Parteienfinanzierung als verfassungspolitisches Problem
Karl-Heinz Naßmacher
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Zusammenfassung
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1966, das den Parteiensystemen Nordamerikas mit ihrem Vorrang des Wahlkampfes vor anderen Parteiaktivitäten mehr entspricht als der politischen Wirklichkeit der Bundesrepublik, muß als zentrales Hindernis für eine realitätsnahe Gestaltung der Parteienfinanzierung in Deutschland erkannt werden. Da die deutschen Parteien ihre relativ gut ausgebauten Parteiorganisationen nicht allein aus generell akzeptierten Finanzquellen (Beiträge der Mitglieder und viele kleine Spenden) bestreiten können, nach geltender Verfassungsinterpretation öffentliche Mittel aber nur für Wahlkampfzwecke verwenden dürfen, ist die Notwendigkeit von Täuschungsmanövern leider Teil der Verfassungswirklichkeit. Die Neufassung des Parteiengesetzes durch die Novellen der Jahre 1983 und 1988 hat noch keinen Ausweg aus diesem Dilemma aufgezeigt. Eine Änderung des Grundgesetztextes, welche die Errungenschaften der bisherigen Rechtsentwicklung absichert, ihre strukturellen Probleme aber überwindet, erscheint noch immer unverzichtbar. Der Beitrag versucht eine Bestandsaufnahme der deutschen Situation nach drei Jahrzehnten umstrittener öffentlicher Parteienfinanzierung. Erörtert werden drei erkenntnislcitende Fragestellungen: Auf welchen Rechtsquellen beruht die derzeitige Regelung? Was sind Stärken und Schwächen des geltenden Systems von Spielregeln im Bereich der Parteienfinanzierung? Wie sind die 1988 beschlossenen Änderungen zu beurteilen?
Die Tätigkeit von Parteien ist in westlichen Demokratien stets problematisch: Jederzeitige Partizipation ist selbstverständlicher Anspruch normativer Setzungen, aber nicht realisierbare Leistung aller Staatsbürger. Solange politisches Engagement, also die Verwendung von Freizeit oder Geld für politische Zwecke, freiwillig erfolgt, sind politische Organisationen für das Funktionieren eines demokratischen Systems unverzichtbar. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen freiwilliger Partizipation und notwendiger Organisation folgt als klassisches Dilemma der Parteienfinanzierung eine Art „magisches Viereck“
Wie können für die Parteitätigkeit ausreichende Mittelbereitgestellt werden, ohne daß einzelne Parteien Startvorteile erhalten, in Abhängigkeit von wichtigen Geldgebern oder in ständige Korruptionsgefahr geraten?
Die Finanzierung aus Beiträgen der Parteimitgliederreicht dazu offenbar nicht aus. Bei der SPD hat die traditionell hohe Beitragsmoral (längst) nachgelassen. Bei CDU und CSU war jahrzehntelang die Mitgliederzahl für eine Beitragsfinanzierung viel zu niedrig; bei der FDP und den GRÜNEN ist das auch heute noch der Fall Beitragsfinanzierung (als normatives Ziel) bedeutete früher grundsätzlich einen Startvorteil der politischen Linken. Spenden der Parteianhänger boten der politischen Rechten (theoretisch) die Möglichkeit, eine ausglei-chende Korrektur vorzunehmen — verschafften ihr aber tatsächlich sowohl materielle Überlegenheit als auch sozialethische Risiken. Die Spendenfinanzierung war stets mit erfahrbaren und real erfahrenen Abhängigkeiten und Korruptionsversuchen verbunden.
Einen Ausweg aus normativen Vorgaben und konkreten Abhängigkeiten wies bereits 1928 Stresemanns Vorschlag einer öffentlichen Finanzierung der Parteitätigkeit Die Anregung wurde jedoch erst drei Jahrzehnte später in die Realität umgesetzt. Die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln erfolgte in allen westlichen Demokratien zu einem Zeitpunkt, an dem sich für die Parteien die traditionellen Formen der Geldbeschaffung (Industrie-spenden, Mitgliedsbeiträge, Abgaben der Mandats-träger, „Provisionen“ für öffentliche Aufträge) aus unterschiedlichen Gründen als nicht länger ergiebig erwiesen.
Für eine Bestandsaufnahme der deutschen Situation nach drei weiteren Jahrzehnten ergeben sich drei Fragestellungen:
— Auf welchen Rechtsquellen beruht die derzeitige Regelung?
— Was sind Stärken und Schwächen des geltenden Systems von Spielregeln im Bereich der Parteienfinanzierung? — Wie sind die 1988 beschlossenen Änderungen zu beurteilen?
I. Stationen der Gesetzgebung und Rechtsprechung
In der Bundesrepublik wird öffentliche Parteienfinanzierung seit 1959 als Lösungsstrategie für offensichtliche Defizite der Mittelbeschaffung einge-setzt Das heute angewandte (und vom Bundesverfassungsgericht erneut bestätigte) Verfahren entstammt dem Gesetz über die politischen Par-teien von 1967, allerdings in seiner 1983 und 1988 novellierten Fassung. Das Parteiengesetz ist von seiner Entstehungsgeschichte und seinem Inhalt her vor allem ein Parteienfinanzierungsgesetz. Es wurde als Ausführungsgesetz zu Art. 21 GG von den Bundestagsparteien einvernehmlich verabschiedet, nachdem die zwischen 1959 und 1966 praktizierte Form öffentlicher Subventionierung für verfassungswidrig erklärt worden war. 1. Zwischen Steuervorteil und Globalzuschuß (1955-1965)
Zunächst galt es (auch im westdeutschen Teilstaat) als selbstverständlich, die Parteitätigkeit vollständig aus privaten Mitteln zu finanzieren: Mitglieder, Sympathisanten und politische Nutznießer der einzelnen Parteien brachten in großen und kleinen Einzelbeträgen die erforderlichen Mittel auf. Die Erfahrungen mit dem Einfluß großer Geldgeber in der Weimarer Republik (beispielsweise NSDAP und Schwerindustrie) hatten jedoch den Parlamentarischen Rat veranlaßt, im Grundgesetz das verfassungspolitische Interesse an der Parteienfinanzierung zu markieren: „Die Parteien . . . müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben“ Diese Rechenschaftspflicht wurde erst 1967 zwingend vorgeschrieben.
Auch öffentliche Subventionen der Parteitätigkeit waren zunächst unbekannt. Dies änderte sich durch ein Steuergesetz von 1954 Spenden an politische Parteien konnten (neben gemeinnützigen und wohltätigen Zuwendungen) als steuermindernde Sonderausgaben geltend gemacht werden. Das Bundesverfassungsgericht verwarf jedoch am 24. Juni 1958 die praktisch unbegrenzte Begünstigung von Parteispenden als verfassungswidrig; die Begründung hob vor allem auf Startvorteile für bestimmte Parteien ab. Mit der Bemerkung, es sei verfassungsrechtlich zulässig, „für die die Wahlen tragenden politischen Parteien finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung zu stellen“ gab das Gericht jedoch gleichzeitig den Anstoß für die öffentliche Subventionierung.
Als „Zuschüsse zur Förderung der politischen Bildungsarbeit“ stellte der Bundeshaushalt 1959 erstmalig fünf Mio. DM bereit. Dieser Betrag wurde im Haushalt 1962 (nach den schwierigen Koalitionsverhandlungen von 1961) auf Initiative der FDP um 15 Mio. DM „für die Aufgaben der Parteien nach Artikel 21 GG“ aufgestockt. Den Gesamtbetrag der „Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Artikel 21 GG“ erhöhten die Bundeshaus-halte 1965 und 1966 auf jeweils 38 Mio. DM. Gegen die entsprechende Festsetzung im Haushaltsgesetz 1965 (und damit gegen das Prinzip der öffentlichen Parteienfinanzierung) klagte das Land Hessen. Darüber hinaus erhoben nicht im Bundestag vertretene Parteien Anspruch auf Beteiligung an den bereitgestellten Mitteln. 2. Wahlkampfkostenpauschale (1966— 1968)
Diese vier Klagen entschied das Bundesverfassungsgericht am 19. Juli 1966: Es erkannte das verfassungspolitische Risiko einer praktisch nicht begrenzbaren Staatsfinanzierung der Parteien und erklärte diese für verfassungswidrig. Als Begründung wurde eine juristische Hilfskonstruktion gewählt, die hinter den erreichten Stand staatsrechtlicher Einsicht zurückfiel: „Das Verfassungsgebot der grundsätzlich staatsfreien und offenen Meinungsund Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen wehrt . . . jede staatlich institutioneile Verfestigung der Parteien ab. . . Eine völlige oder auch nur überwiegende Deckung des Geldbedarfs der Parteien aus öffentlichen Mitteln ist nach allgemeiner Ansicht mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren.“ Art. 21, 1 GG verbiete es, „die dauernde finanzielle Fürsorge für die Parteien zu einer Staats-aufgabe zu machen“. Das Gericht hielt es freilich für verfassungsrechtlich zulässig, „den politischen Parteien die notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes“ aus öffentlichen Mitteln zu ersetzen
Diese Anregung brachten die Parteivertreter mit dem Gesetz über die politischen Parteien vom 24. Juli 1967 in eine merkwürdige Form: Parteien mit einer gewissen Wählerresonanz (zunächst 2, 5%, seit 1969 0, 5% der abgegebenen gültigen Zweitstimmen) erhalten eine pauschalierte Vergütung ihrer Wahlkampfkosten — ohne Bezug zu ihren tatsächlichen Aufwendungen und ohne einen entsprechenden Nachweis. Als „angemessen“ wurden die im Verfassungsgerichtsprozeß genannten Kosten der Bundestagswahl 1965 (ca. 85 Mio. DM) angesehen, beträchtlich aufgerundet und mit DM 2, 50 je Wahlberechtigten pauschaliert. Diese Regelung wurde erneut in Karlsruhe angefochten, vom Gericht aber 1968 im wesentlichen akzeptiert
Das Parteiengesetz erneuerte auch die steuerliche Begünstigung von politischen Zuwendungen, allerdings ohne Beeinträchtigung der (1958 bekräftigten) Chancengleichheit: Jeder Steuerpflichtige konnte Beiträge und Spenden an Parteien bis zu DM 600 jährlich steuermindernd geltend machen. Zugleich sicherte das Gesetz eine buchstabengetreue Erfüllung der Rechenschaftspflicht nach Art. 21 GG. Seit 1968 läßt sich einer jedermann zugänglichen Quelle (dem Bundesanzeiger bzw. einer Bundestagsdrucksache) entnehmen, wieviel die deutschen Parteien einnehmen und woher das Geld stammt Die Öffentlichkeit wußte aber bis 1985 nicht, wofür es verwendet wurde, welche Schulden die Parteien hatten und über welche Vermögenswerte sie verfügten. 3. Am Rande der Legalität (1969— 1982)
Eine dauerhafte Lösung für die Finanzierungsprobleme der deutschen Parteien wurde allerdings in den Jahren 1966 bis 1968 nicht gefunden. Die allgemeine Preis-und Einkommensentwicklung zwischen 1967 und 1978 minderte die reale Kaufkraft der beiden gesetzlich festgelegten Geldbeträge (DM 2, 50 Wahlkampfkostenpauschale je Wahlberechtigten und Wahlperiode; DM 600 steuerlich abzugsfähige Spenden je Steuerpflichtigen und Jahr) erheblich. In diesem Zeitraum haben sich alle Preis-indizes etwa verdoppelt, die Einkommensindizes eher verdreifacht. Erst 1974 wagten die Parteien (freilich ohne öffentliche Darlegung ihrer tatsächlichen Aufwendungen) eine insgesamt bescheidene Inflationsanpassung der Wahlkampfkostenpauschale von DM 2, 50 auf DM 3, 50 (= 40 Prozent nach mehr als 10 Jahren) Die erste Direktwahl desEuropäischen Parlaments 1979 bot den Parteien eine willkommene Gelegenheit, die Einnahmen aus der Wahlkampfkostenerstattung praktisch zu verdoppeln. Aber auch damit war der seit den „fetten Jahren“ aufgestaute Finanzbedarf der Parteien nicht zu dekken; der Höchstbetrag für steuerbegünstigte Zuwendungen an Parteien galt als dringend anpassungsbedürftig. Um eine öffentliche Blamage durch das Bundesverfassungsgericht zu vermeiden, wollten die Schatzmeister der Bundestagsparteien für die fällige Novelle zunächst den gesetzgeberischen Spielraum ausloten. Die dazu eingereichte Verfassungsklage des Landes Niedersachsen (dessen damaliger Finanzminister Walther Leisler Kiep ist noch heute Schatzmeister der Bundes-CDU) erwies sich jedoch nur als mäßig erfolgreich. In selbstkritischer Würdigung seiner bislang wegweisenden Rolle entzog sich das Gericht 1979 dem Ansinnen der Parteien, bekräftigte die Handlungsgrenzen seiner Grundgesetzinterpretation und betonte den politischen Gestaltungsauftrag der in Bundestag und Bundesrat agierenden Parteienvertreter
Den erkennbaren Rahmen haben die Parteien durch gesetzliche Verdreifachung der Höchstgrenzen für steuerbegünstigte Parteispenden (von DM 600 auf DM 1 800 je Steuerpflichtigen) unverzüglich ausgeschöpft parallel dazu aber (unter dem Druck finanzieller Schwierigkeiten) auf zunächst als nicht akzeptabel angesehene Formen der Geldbeschaffung zurückgegriffen. Parteispenden wurden zum Zwecke der Steuerverkürzung (auf Initiative der Schatzmeister) durch „Geldwaschanlagen“ der Parteien (Staatsbürgerliche Vereinigungen, fiktive Berufsverbände, z. T. auch politische Stiftungen) geleitet und anschließend ordnungsgemäß bei den Parteikassen vereinnahmt („Umwegfinanzierung“). Die Flick-Affäre hat das Ausmaß dieser’in den siebziger Jahren üblichen Umwegfinanzierungen erkennbar gemacht Solche Praktiken wurden seither vor allem durch soziale Kontrolle (Medienresonanz und antizipierte Reaktionen) überwunden. Die als „Generalsanierung“ konzipierte erneute Änderung des Parteiengesetzes war zentraler Gegenstand der bislang letzten Verfassungsgerichtsentscheidung zum Themenkreis. 4. Verfassungspolitischer Immobilismus (1983-1988)
Im Gegensatz zu den (gescheiterten) Amnestieversuchen im Zusammenhang mit der Flick-Affäre enthält die durch eine vom Bundespräsidenten beru-fene Sachverständigen-Kommission entworfene Novelle von 1983, die 1986 in ihren Grundzügen von einer Mehrheit der Verfassungsrichter akzeptiert wurde insgesamt eher zaghafte Ansätze zur Weiterentwicklung der Rechtslage. Seit 1984 gibt es keine steuerbegünstigte Umwegfinanzierung mehr. Große Spenden müssen seitdem veröffentlicht werden; eine Mißachtung dieser Pflicht zur Publizität ist mit steuerrechtlichen Sanktionen bewehrt. Allerdings hält sich die zum 1. Januar 1984 in Kraft gesetzte Novelle (noch stärker als die Kommissionsvorschläge strikt im Rahmen der Karlsruher Vorgaben (Chancengleichheit bei Steuerbegünstigung; Wahlkampfbindung bei direkten Subventionen). Erst 1988 haben die Parteien nach den Erfahrungen von 1983/1986 durch die Einführung eines (systemwidrigen) Sockelbetrages der Wahlkampfkostenerstattung und die Umdefinition des Chancenausgleichs den begrenzten Konflikt mit der bisherigen Rechtsprechung gewagt.
Alle Innovationen der Jahre 1983 und 1988 (Kleinspenderregelung. Chancenausgleich und Sockelbetrag) versuchen zwar den Rahmen der Vorgaben aus Karlsruhe zu dehnen, vermeiden aber, irgendeine der Vorgaben frontal anzugehen. Die zum Jahreswechsel 1983/84 vollzogene Änderung des Grundgesetzes bildet nur den Abschluß eines Verfassungswandels; sie signalisiert Änderungen im politischen Alltag der westlichen Demokratie in Deutschland ebenso wie im allgemeinen Parteien-verständnis. Seit dem 1. Januar 1984 fordert das Grundgesetz: „Die Parteien . . . müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben“ Damit wurde die notwendige Schlußfolgerung aus einer ambivalenten verfassungspolitischen Stellung der Parteifinanzen gezogen: Eine auf die Einnahmen beschränkte öffentliche Rechenschaftslegung der Parteien war nur sinnvoll, solange die Finanzierung der Parteien ausschließlich aus privaten Mit-'teln erfolgte. Mit der lebensfremden Trennung zwischen dem (im öffentlichen Interesse liegenden und deshalb aus öffentlichen Mitteln zu finanzierenden) Wahlkampf einerseits und der (in eine Art „staatsrechtliche Irrelevanz“ abgedrängten) sonstigen Parteitätigkeit andererseits hat das Bundesverfassungsgericht aber nicht nur die Grundlage für das gegenwärtige System der öffentlichen Finanzierung, sondern auch den Anstoß für manche Tarnung in der Finanzierung parteibezogener Tätigkeiten geschaffen.
Solange die deutschen Parteien die Aufwendungen für ihre relativ gut ausgebauten Parteiorganisationen nicht aus den traditionellen und in ihrer Legitimität nicht bestrittenen Finanzquellen (Beiträge der Mitglieder und viele kleine Spenden) bestreiten können, nach geltender Verfassungsinterpretation öffentliche Mittel aber nur zu Wahlkampfzwecken verwenden dürfen, ist die Notwendigkeit von Täuschungsmanövern unvermeidbarer Teil der Verfassungswirklichkeit Dieser verfassungspolitische Immobilismus läßt sich nur durch eine erneute Änderung im Wortlaut des Verfassungstextes überwinden.
II. Finanzwirtschaftliche „Regeln der Machtbewerbung“
Nicht jede Forderung der deutschen Parteien nach mehr öffentlichen Mitteln ist verfassungspolitisch ausreichend begründet. Ein Agieren am Rande der Illegalität wird jedoch keineswegs ausschließlich mit individuellem Fehlverhalten hinwegerklärt werden können. Das Grundproblem liegt vielmehr in einem Mißverhältnis zwischen den tatsächlichen (und für die deutsche Demokratie qualitativ unverzichtbaren) Aktivitäten der politischen Parteien, ihrer Fraktionen und der ihnen nahestehenden politischen Stiftungen einerseits sowie den für diese Aktivitäten in den letzten drei Jahrzehnten entwikkelten verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen andererseits. 1. Unübersichtliche Subventionspraxis Heute stehen mindestens fünf Quellen einer öffentlichen Parteienfinanzierung unabhängig nebeneinander, die bislang an keiner Stelle überschaubar gemacht werden. Der finanzielle Gegenwert für die indirekte Förderung der Parteien durch die beiden Steuervergünstigungen (§§ 10 b und 34 g EStG bzw.der entsprechenden Bestimmungen des KStG) für Beiträge und Spenden (bis DM 60 000 pro Jahr und Steuerpflichtigem) ist überhaupt nicht zu kalkulieren. Die älteste direkte Subvention der Parteitätigkeit aus dem Bundeshaushalt bilden die seit 1949 gezahlten Zuschüsse für die Arbeit der Bundestagsfraktionen Nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 1966 wandelten Bundestag und Bundesrat den pauschalen Zuschuß an die Parteien aus dem Bundeshaushalt teilweise in einen Zuschuß an partei-nahe Stiftungen, teilweise in eine Wahlkampfkostenpauschale um. Schließlich werden seit 1979 die Wahlkampfkosten für das Europäische Parlament erstattet. Schrittweises Vorgehen erweiterte auch in Deutschland den Anspruch der Parteien auf öffentliche Mittel (vgl. Tab.1).
Während der siebziger und achtziger Jahre wurden die Zuschüsse an Parlamentsfraktionen und politische Stiftungen extrem gesteigert. Neben den öffentlichen Subventionen des Bundes für verschiedene Bereiche der Parteitätigkeit stehen Zuwendungen der Länder und Gemeinden an Fraktionen und Stiftungen, pauschalierte Erstattungen für die Wahlkampfkosten der Landesebene und jene Abgaben, die Bundes-und Landtagsabgeordnete sowie kommunale Mandatsträger aus ihren Diäten an Fraktionen bzw. Parteien leisten. Die Wahlkampfkostenerstattung aus den Landeshaushalten wird nach Herkunft, Betrag und Organisationseinheit in denjährlichen Rechenschaftsberichten der Parteien ausgewiesen. Für alle übrigen Zuschüsse aus Landes-und Kommunalhaushalten wäre ein Gesamtbetrag nur durch die umfangreiche Auswertung aller öffentlichen Haushalte zu ermitteln. 2. Partielle Transparenz der Parteifinanzen Die Höhe öffentlicher Zuschüsse für die Parteitätigkeit kontrastiert mit den bis 1983 sehr beschränkten Informationen über die Parteifinanzen. Von 1968 bis 1987 stiegen die Einnahmen der im Bundestag vertretenen Parteien aus öffentlichen Mitteln von 47 auf 195 Mio. DM, die Gesamteinnahmen dieser Parteien von 103 auf 544 Mio. DM. In beiden Werten sind weder der Gegenwert der Steuervergünstigung für Spenden und Beiträge, die Abgaben der Mandatsträger noch die Mittel, die den Fraktionen und den politischen Stiftungen zur Verfügung stehen, enthalten.
Bis zum Erscheinen der ersten umfangreichen Rechenschaftsberichte im Herbst 1985 war die Transparenz der Parteifinanzen für Außenstehende, Wähler wie Steuerzahler, ausgesprochen dürftig. Für parteinahe Institutionen wie Parlamentsfrak-, tionen und politische Stiftungen die beide inzwischen für ihre im Dienste der deutschen Demokratie geleistete Arbeit (zu Recht) beachtliche öffentliche Zuschüsse erhalten, gilt selbst diese eingeschränkte (in einer Zeit ausschließlich privater Finanzierung politischer Arbeit postulierte) Rechenschaftspflicht bis heute nicht. Auch das Bundesverfassungsgericht hat daran in seinen Urteilen von 1986 keinen Anstoß genommen.
Allerdings wurde durch die Novelle von 1983 das höchste Maß an Transparenz in einer westlichen Demokratie erreicht: Alle Gliederungen der formellen Parteiorganisation sind berichtspflichtig; die Angaben für die einzelnen Organisationsebenen werden gesondert, aber in einem einheitlichen Dokument ausgewiesen Die positive Einschätzung dieses Teilaspekts der deutschen Regeln für die Machtbewerbung darfjedoch über eine Verschlechterung des Informationsstandes und über zwei gravierende Schwächen der seit 1984 geltenden Regelung nicht hinwegtäuschen.
Zwischen 1968 und 1983 wurden Abgaben der Mandatsträger an ihre Partei (eine Art „Parteisteuern“) gesondert ausgewiesen. Die Sachverständigen-Kommission wollte solche Abgaben im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abschaffen; die Gesetzgeber beschränkten sich jedoch auf das Unsichtbarmachen Die Informationsfülle der Rechenschaftsberichte 1984 bis 1987 hat möglicherweise dazu beigetragen, Journalisten von einer regelmäßigen Auswertung der Berichte abzuschrecken. Durch Zusammenfassung überdetailliert ausgewiesener Kategorien bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung der Sammelposition „Spenden“ könnte die Aussage verdichtet, der Informationswert erhöht werden. Schließlich ist die Rechenschaftslegung insoweit lückenhaft, als keine „Konzernbilanzen“ vorgelegt werden Im internationalen Vergleich bleibt dennoch der hohe Standard der deutschen Regelung festzuhalten. 3. Rahmenbedingungen öffentlicher Finanzierung Ein dringendes Problem der öffentlichen Parteien-finanzierung besteht ohne Zweifel darin, für einen Inflationsausgleich bei den verschiedenen Zuwendungsformen zu sorgen, da sonst die Parteien von Jahr zu Jahr immer weniger an realer Kaufkraft erhalten. Die Entwicklung der Parteieinnahmen läßt sich erst dann richtig beleuchten, wenn neben den Ausgaben, dem Vermögen und den Schulden der einzelnen Parteien allgemeine wirtschaftliche Indikatoren hinzugezogen werden, etwa die Entwicklung der Preise und der Einkommen. Die Durchschnittsbeiträge pro Mitglied liegen bei den Bundestagsparteien durchaus im Trend der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die Beitragseinnahmen, die Subventionen aus öffentlichen Mitteln sowie die Gesamteinnahmen der Parteien übertrafen mit jährlichen Zuwachsraten von etwa 15 Prozent alle gesamtwirtschaftlichen Indikatoren. Die Inflationsgefahr bedroht also weniger die Parteien als vielmehr die Steuerzahler.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Gegensatz zu den politischen Parteien und den wichtigen Medien im Verlauf der Auseinandersetzung mit Fragen der Parteienfinanzierung zwei wichtige Gefahren erkannt und durch seine Urteile immer wieder zu konterkarieren versucht;
— Ungleiche Startchancen im Parteienwettbewerb, wie sie sich vor allem als Folge der erheblichen Steuerprogression bei steuerbegünstigten Zuwendungen durch private Geldgeber (im wesentlichen Großspender) ergeben, sind für ein demokratisches System nicht akzeptabel. -Überwiegende Staatsfinanzierung der Parteitätigkeit, etwa als Folge der politischen „Selbstbedienung“ und einer prinzipiell unbegrenzten Parteitätigkeit, ist auch dann nicht wünschenswert, wenn unverzichtbare und zusätzliche Aufgaben politischer Parteien im demokratischen Staat nicht präzise voneinander abgegrenzt werden können.
Durch insgesamt neun Urteile in den Jahren 1958 bis 1986 hat das Bundesverfassungsgericht zwei wichtige Rahmenvorgaben entwickelt: Sicherung der Chancengleichheit im Parteienwettbewerb und der Mischfinanzierung aus öffentlichen und privaten Mitteln. Die Urteile zur Regierungspropaganda, zu den Abgeordnetendiäten, zu den politischen Stiftungen, zur Budgetfinanzierung und zur steuerlichen Begünstigung von Spenden erkennen die grundlegende Bedeutung politischer Parteien für das Funktionieren eines demokratischen Regierungssystems an. Sie hoben Maßnahmen auf. die sich einseitig zugunsten bestimmter Parteien auswirkten.
Diese Würdigung der Verfassungsgerichtsurteile darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein wesentliches Problem der gegenwärtigen Parteien-finanzierung die gleiche Ursache hat: Das Gericht wich einer umfassenden Würdigung der Parteifunktionen aus und postulierte die formelle Bindung der direkten Subventionen an den Wahlkampfzweck. Die umfassende Würdigung von finanzwirtschaftlichen Erfordernissen der Parteiendemokratie kann aber nicht ohne realistische Einschätzung der wichtigsten Parteiaufgaben, des tatsächlichen Finanz-bedarfs, der erreichbaren Einnahmequellen und ihrer langfristigen Wirkungen vorgenommen werden.
III. Subventionierung der Demokratie oder Griff in die Staatskasse?
In der deutschen Diskussion, die für Journalisten und Politiker eher eine Marginalie des politischen Alltags darstellt, ist die „selbstverständliche“ Hin-wendung zur öffentlichen Finanzierung ebenso problematisch wie der Verzicht auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Rolle von Wirtschafts-Unternehmen in der Parteienfinanzierung Die Rückkehr zur rein privatwirtschaftlichen Finanzierung stellt aber keine Alternative dar. Der beste Kenner der weltweiten Parteienfinanzierungsprobleme, der 1988 verstorbene Kanadier Khayyam Z. Paltiel. hat dies bereits 1981 zu Recht als Relikt eines überholten individualistischen Zugriffs bezeichnet, Diese Ideologie verschleiere, „daß der Mittelzufluß für das Parteiensystem die wirtschaftliche und soziale Struktur einer Gesellschaft widerspiegelt“ 1. Demokratische Elitenherrschaft und ihre Kosten Für eine Beteiligung am politischen Prozeß benötigen alle Parteien mehr als jene Güter und persönlichen Dienstleistungen, die ihre Anhänger unentgeltlich zur Verfügung stellen. Den Zugang zu Wirtschaftsgütern und Sachverstand erlangen sie regelmäßig über den (freien) Markt und durch Zahlung der dort geltenden Preise. Geld ist deshalb für die Parteien jene politische Ressource, die es ihnen erlaubt, praktisch alle anderen Schwächen und Schwierigkeiten zu überwinden: Geld kann in Güter und Dienstleistungen umgewandelt werden, also die Verfügung über materielle Ressourcen und menschliche Energien vermitteln.
Einerseits kann der Bedarf an finanziellen Mitteln Politiker veranlassen, ihre Aufmerksamkeit mehr denen zuzuwenden, die ihre Partei finanzieren, als jenen, die der Partei eine Stimme geben. Andererseits gilt die Empfindlichkeit von Politikern gegenüber dem Wahlausgang als einzige Quelle responsiver und verantwortlicher Regierung. In entwickelten Gesellschaften besteht ein dauerndes Spannungsverhältnis zwischen Gruppen, die über technische, materielle oder finanzielle Ressourcen für politische Zwecke verfügen, und dem demokratischen Prinzip „Jeder hat eine Stimme!“ Die Anerkennung der politischen Parteien als „Instrumente demokratischer Regierungsweise“ und damit als unverzichtbares Element moderner Massendemokratien weist daher alle durch Aktivitäten der Parteien verursachten Aufwendungen dem politischen System als notwendige Kosten zu.
Schwierigkeiten ergeben sich allerdings schon bei der Ermittlung notwendiger Kosten. Der griffigen Bezeichnung „Kosten der Demokratie“ liegt der bestechende Gedanke zugrunde, daß jedes politische System spezifische Kosten verursacht, die in der einen oder anderen Form von der Bevölkerung zu tragen sind. Eine möglichst umfassende Bestimmung des Begriffs müßte auch die Kosten von politischen Entscheidungen der Parteiendemokratie anlasten. Bekanntlich sind viele Entscheidungen der Tagespolitik als Leistungen (der Parteien) an stimmenstarke und/oder finanzierungsrelevante Gruppen anzusehen („Wahlgeschenke“ Von solchen Kosten wird hier ebenso abgesehen wie von den Aufwendungen des Staates für Einkommen und Amtsausstattung der Berufspolitiker. Ähnliche Kosten der spezifischen Staatsform würden auch ohne Parteitätigkeit anfallen.
Andere Kosten werden den Parteien nicht unmittelbar zugerechnet; so erbringen z. B. staatliche Behörden oder öffentliche Einrichtungen unentgeltliche Leistungen, die der Parteiarbeit direkt oder indirekt (weil sie Aufwendungen ersparen) zugute kommen. Sendezeiten bei Rundfunk-und Fernsehanstalten für Öffentlichkeitsarbeit von Parteien bzw. Wahlwerbung bilden hier einen gewissen Schwerpunkt. Sieht man von dem (wichtigen) Ausnahmefall der USA (mit ihrem System privater Rundfunk-und Femsehstationen) ab, dann steht den politischen Parteien überall gebührenfreie Zeit für werbende Radio-und TV-Sendungen zur Verfügung Diese Bereitstellung von Sendezeit geht bislang einher mit der öffentlich-rechtlichen Struktur von Rundfunk und Fernsehen. Damit ist noch nichts darüber ausgesagt, ob die Verteilung der Sendezeit an die konkurrierenden Parteien dem Prinzip der Chancengleichheit entspricht.
Insgesamt erweist sich eine Abgrenzung der Kosten der Parteitätigkeit gegen Ausgaben anderer Institutionen und Organisationen für politische Zwecke als ebenso notwendig wie schwierig. Auch bei den Finanzen der Parteien manifestiert sich Demokratie als eine Form der „Elitenherrschaft“ Die faktische Elitenherrschaft ist freilich mit demokratischen Zielvorstellungen solange zu vereinbaren, wie es gelingt, bestimmte Mindestbedingungen der Elitenrekrutierung zu garantieren. Dazu gehören vor allem der relativ offene Zugang zu jeder „politischen“ Teilelite und ein System wirksamer Anreize für den Eintritt in eine der demokratischen Teileliten. Solange jedes Mitglied einer Gesellschäft die einigermaßen realistische Chance hat, nach eigener freier Entscheidung im Rahmen einer politischen Teilelite wirksam zu werden, lassen sich gesellschaftliche Arbeitsteilung, demokratische Teilhabe und unterschiedliche Nutzung der Partizipationsmöglichkeiten miteinander vereinbaren. Das allgemeine Prinzip demokratischer Partizipation durch die Öffentlichkeit einer Massengesellschaft muß jedoch durch eine Intensitätsskala unterschiedlich „anspruchsvoller“ Partizipationsformen ergänzt werden. Nur so hat der einzelne das selbstverständliche Recht, im Rahmen seiner Möglichkeiten zwischen verschieden stark „belastenden“ Partizipationsformen zu wählen und damit den Grad seiner eigenen Wirksamkeit im politischen Prozeß einer demokratisch organisierten Gesellschaft selbst zu bestimmen. Die Entscheidung über den Einsatz von Geld für politische Zwecke gehört ebenso in den Katalog partizipativer Ressourcen wie das Stimmrecht bei Wahlen und Abstimmungen oder der Einsatz von Freizeit für politische Zwecke
Gerade weil sie auf freiwilliger Mitgliedschaft und freiwilliger Mitarbeit beruhen, sind demokratische Systeme insgesamt ebenso wie ihre Teilsysteme, die politischen Parteien, darauf angewiesen, die Initiative ihrer Mitglieder durch verfassungspolitische „Anreizprogramme“ (z. B. Vergütung für öffentliche Ämter, Steuervorteile für Spenden und Beiträge) in die gewünschten Bahnen zu lenken. Daneben erscheint direkte öffentliche Finanzierung bislang als notwendig, weil das Spannungsfeld zwischen freiwilliger Mitgliedschaft und öffentlichen Ausgaben der Parteien auf andere Weise nicht überbrückt werden kann. 2. Geldbeschaffung zwischen Staatshaushalt und Bürgerbeitrag Wenn öffentliche Parteienfinanzierung den Grad politischer Partizipation nicht reduzieren soll, muß die direkte, nichtregelgebundene öffentliche Finanzierung der Parteien sich in westlichen Demokratien als eine Übergangsmaßnahme erweisen. Das gilt vor allem, weil gerade Dienstleistungsgesellschaften mit hohem Lebensstandard sich die relativ „kostspielige“ Regierungsform Demokratie ökonomisch durchaus leisten können. Allerdings durften sich die Staatsbürger in diesen Ländern im Wege pathologischen Lernens schon zu lange daran gewöhnen, daß Demokratie zwar Meinungsbildung und Stimmabgabe (also Zeit), aber kein Geld »ko-stet“. Die direkte öffentliche Finanzierung der Parteitätigkeit entfaltet langfristig bei Parteien und Bürgern die falschen LernWirkungen: Demokratie kostet nichts; Parteitätigkeit muß (oder kann) unbegrenzt ausgedehnt werden. Ähnliche Entwicklungen bei Einzelpersonen würden sofort als Anleitung zum Suchtverhalten erkennbar sein. Geld (in jeder Form und aus fastjeder Quelle) ist für Parteien der „Stoff“, mit dem sie ihre Sucht, von den Bürgern „geliebt“ zu werden, befriedigen. Gewisse Praktiken aus den siebziger Jahren. etwa die Zwischenschaltung von Geldwaschanlagen, sind zwar eingestellt worden. Die gescheiterten Amnestieversuche (und ihre Begleiterscheinungen) lassen sich aber nur verstehen als ein Versuch, einige Techniken der Beschaffung von „Stoff“ zu entkriminalisieren. Damit wird aber das Problem nicht an der Wurzel gepackt.
Die Achtung vor geltenden Gesetzen und die Bindungswirkung von Verfassungsgerichtsurteilen werden durch den offenkundig lebensfremden Inhalt der Rechtslage im Bewußtsein der Akteure so weit reduziert, daß Geldbeschaffung auf „ungesetz-lichen" Wegen („Umwegfinanzierung“ oder „indirekte Parteienfinanzierung“) als notwendiger .. Mundraub“ erscheint, der sozial dadurch gerechtfertigt wird, daß die betreffenden Personen keinen persönlichen Vorteil, sondern nur das Wohl ihrer Partei im Auge haben.
Die üblichen Formen organisationsinterner Willensbildung bieten den für die Parteifinanzen verantwortlichen Funktionären keine Handhabe, der Verschwendungssucht und Ausgabenwut von Parteivorständen (gerade der oberen Gebietsverbände entgegenzutreten. Aus persönlicher Loyalität gegenüber der „engeren“ Parteiführung (Vorsitzende. Generalsekretär) versuchen die Schatzmeister (und ihre Mitarbeiter) zunächst, durch Kreditaufnahme den Konflikt zu verschieben. Später sehen sie sich gezwungen, in der Auseinandersetzung mit der „engeren“ Parteiführung entweder weitere Aktionen zu verhindern oder diese notfalls zu vollziehen. Öffentliche Finanzierung in Form einer pauschalen Wahlkampfkostenerstattung ohne detaillierte und nachprüfbare Auflagen für die geldsüchtigen Parteien kann nur die unverzichtbare Dosis einer Ersatzdroge sein, die dem Süchtigen das Überleben ermöglicht, aber sie kann noch kein Therapiekonzept ersetzen Zur Entziehungskur kommt es aber schon deshalb nicht, weil Ärzte (Gesetzgeber) und Patienten (Parteiführungen) im Politiker-Kollektiv weitgehend personenidentisch agieren. Die besondere Pikanterie besteht dementsprechend in der „Selbstmedikation“; der Suchtkranke ist sein eigener Arzt — das daraus resultierende Rezept heißt immer wieder; mehr öffentliches Geld! Die Parteiengesetznovelle von 1988 ist in wichtigen Punkten ein Rückfall in die alte Sucht.
IV. Kritik der Parteiengesetznovelle von 1988
Die zwischen Oktober und Dezember 1988 vom Bundestag beratene, noch vor Weihnachten verabschiedete und rechtzeitig am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Fünfte Novelle zum Parteiengesetz (PartG) institutionalisiert ein nicht-parteigebundenes Begutachtungsverfahren für Probleme der Parteienfinanzierung (§§ 18, 8 und 22a, 6 PartG), behandelt einige Randaspekte der Publizitätsproble-me (Abgrenzung zwischen Spenden und Beiträgen, Freigrenze bei der Spenderpublizität) und enthält den Versuch einer Korrektur des falsch konstruierten Chancenausgleichs. Die neu eingeführte öffentliche Sockelfinanzierung der Parteitätigkeit ist freilich ein Rückfall in alte Zugriffsverfahren („Selbst-bedienung"); das Problem der überhöhten Staats-quote bei den Parteizentralen blieb unbearbeitet. 1. Wirkungslose Spendenpublizität Zunächst hat die Novelle die Transparenz der Mittelherkunft wieder eingeschränkt. Die Erhöhung der Publizitätsschwelle (§ 25, 2 PartG) ist wesentlich motiviert durch das Bestreben, größere Spenden als DM 20 000 pro Spender und Jahr für die Parteizentralen einzuwerben. Die Bindung des Steuervorteils an die Offenlegung der Identität des Spenders hat offenbar (zusammen mit den gescheiterten Amnestieversuchen) dazu beigetragen, die Spendenbereitschaft erheblich zu reduzieren. Die Anpassung der Freigrenze an die Inflationsfolgen soll hier etwas Erleichterung schaffen. Zugleich erleichtert die Änderung auch innerparteiliche Kommunikationsprobleme: Die Bundesschatzmeister haften für eine Offenlegung von Informationen, die ihnen die unteren Gebietsverbände am liebsten vorenthalten würden.
Dieses Problem wäre freilich nicht nur durch eine pauschale Anhebung der Schwelle für die Gesamtpartei, sondern auch durch eine Absenkung der Schwelle auf DM 10 000 bei gleichzeitiger Begrenzung der Publizitätspflicht auf jeden einzelnen Gebietsverband (am besten von der hauptamtlich besetzten Kreisebene aufwärts) zu beseitigen: Jede berichtspflichtige Organisationseinheit müßte der Zentrale melden, wenn Spender in Jahr ein einem bei dieser Einheit mehr als DM 10 000 gespendet hat. Die Bundespartei könnte diese Meldungen um ihre eigenen Angaben ergänzen und die Spenderliste veröffentlichen. Eine massive Umgehung wäre theoretisch möglich, praktisch aber weder interessant noch zu befürchten, weil das Aufkommen aus solchen Spenden ohnehin drastisch zurückgegangen ist Ein Spendenverbot für juristische Personen ist so praktisch überflüssig geworden.
Auch die zum Teil problematischen Kategorien der öffentlichen Rechenschaftslegung tragen zur Verwirrung bei. Nach bislang geltendem Recht wurden Beiträge der Mitglieder und Abgaben der Mandats-träger in einer Summe ausgewiesen. Die jetzt durch Neufassung von § 27, 1 PartG veranlaßte Umbuchung der „Parteisteuern" in die Kategorie „Spenden“ (nach dem Vorbild der GRÜNEN) sichert endgültig die Verschleierung der Einnahmen aus dieser „quasi-öffentlichen“ Geldquelle buchhalterisch ab. Eine unangemessene Abgrenzung der rechenschaftspflichtigen Einnahmen gilt auch weiterhin für große und kleine Spenden. In beiden Fällen wäre jedoch eine Unterscheidung zwischen Leistungen der Mitglieder und solchen der Mandatsträger bzw. zwischen kleinen und großen Spenden einzelner Geldgeber für eine öffentliche Erörterung der Finanzierungsprobleme hilfreich und notwendig.
Hinter den Geldquellen, die nicht getrennt ausgewiesen werden, stehen nämlich unausgesprochene Annahmen über die Motive der Geldgeber:
— Mandatsträger leisten Abgaben, um die weitere Ausübung ihrer Tätigkeit als Berufspolitiker sicherzustellen; — Mitglieder leisten Beiträge, um eine politische Richtung oder weltanschauliche Position auch organisatorisch und finanziell zu fördern;
— kleine Spenden werden vorrangig aus allgemeiner Zustimmung zur Politik der betreffenden Partei gegeben und sind prinzipiell gleichwertig mit der Zuwendung eigener Freizeit/freiwilliger Mitarbeit;
— mit großen Spenden versuchen finanziell potente Geldgeber sich Zugang zu politischen Entscheidungsträgem oder Einfluß auf politische Einzelentscheidungen zu verschaffen (buying access bzw. political corruption).
Das reale Abgrenzungsproblem liegt in der Unterscheidung zwischen finanziellen Zuwendungen in kleinen und großen Beträgen (mit unterschiedlichen Motiven der Geldgeber und Abhängigkeiten der Empfänger). Wenn das Rechenschaftsschema (§ 24, Abs. 2, Nr. 1 und 4 PartG) anstelle der beiden Kategorien „Beiträge“ und „Spenden“ drei Kategorien („Zuwendungen im Rahmen von § 34g EStG“. „Zuwendungen zwischen DM 1 201 und Veröffentlichungsschwelle“ sowie „publizitätspflichtige Zuwendungen“ — also Großspenden über DM 10 000 bzw. 20 000 bzw. 40 000) — enthielte, ließe sich der Chancenausgleich auf die Nicht-§ 34 g-fähigen Zuwendungen begrenzen. 2. Unreflektierter Chancenausgleich Dieser Vorschlag würde dem ursprünglichen Ziel des Chancenausgleichs ohnehin besser entsprechen als jede der bisher praktizierten Regelungen (von 1983 bzw. 1988). Die Aufgabenstellung des von der Sachverständigen-Kommission 1983 „erfundenen" Chancenausgleichs bestand darin, das Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsrecht (Gebot der Chancengleichheit) und Steuerrecht (großzügige Begünstigung von Parteispenden) durch eine „Entschädigungszahlung“ aus öffentlichen Mitteln aufzufangen. Die erheblichen gesetzestechnischen Komplikationen (der alten wie der neuen Regelung) ergeben sich aus der allenfalls vereinsrechtlich zu begründenden Trennung zwischen Beiträgen und Spenden. Das finanzwirtschaftliche Ergebnis einer Berechnungsformel, die nicht zwischen Spenden und Beiträgen trennt, waren unkalkulierbare „Lottogewinne“ jener Parteien, die weder Spenden noch Beiträge in angemessenem Umfang erhalten (FDP und GRÜNE).
Die Formel von 1988 zielt praktisch nicht mehr auf das ursprüngliche Problem, sondern nur noch auf die Umverteilung eines zusätzlichen „Topfes der Staatsfinanzierung“ zugunsten der beiden großen Parteien Die jetzt beschlossene Anpassung der Berechnungsformel wäre bei dem oben skizzierten Schema der Rechenschaftslegung überflüssig gewesen; die nur wegen der Fortgeltung des heutigen Schemas notwendige Änderung ist eine echte „Verschlimmbesserung“ des Parteiengesetzes. Die Nichtbeachtung der Chancenausgleichszahlungen beider gesetzlich vorgeschriebenen Ermittlung der „Staatsquote“ (§ 18, 6 PartG) widerspricht ohnehin einfachen Grundsätzen kaufmännischer Buchhaltung. 3. Verschleierte Staatsquote Im internationalen Vergleich zwischen Industrie-ländern wird der Anteil der direkten Subventionen aus öffentlichen Mitteln an den Gesamteinnahmen der Parteien, die Staatsquote, bei den westdeutschen Parteizentralen weltweit nur noch von den kleinen Parteien in Italien und Schweden übertroffen. Selbst die großen Parteien dieser beiden Länder bleiben unter dem in Deutschland erreichten Niveau (vgl. Tab. 2). (In Europa kennen nur Spanien und Portugal höhere Staatsquoten Der Staats-Deutschland inzwischene hat jedoch durch blo-quote bei den Parteizentraen 8 gegen das Verfasßen Zeitablauf zu einem führt wenn der da-
sungsgerichtsurteil ^überwiegende Deckung des malige Grundsatz („uo öffentlichen Mitteln“ Geldbedarfs der Parteien aus offen ichen einyelne ist verfassungswidrig) nicht nu Organisationsebenso je n n d d e e n rn tea a u uch der deutschen Parteien insgesamt, e angewendt gweisrdo. nDdeiretseasufPjreodbelem mußte Karlsruhe bisher noch nicht prüfen.
Das Parteiengesetz (§ 18, Abs. 6) versucht hierzu nur definitorische Kunstgriffe, die auf die Dauer wackelig werden können, weil der Staatsanteil bei den Parteizentralen (Bundesparteien) seit 1970/72 massiv angestiegen ist (vgl. Tab. 2). Das er-schwinden der Kategorie „Abgaben der Mandats-träger“ aus den Rechenschaftsberichten (Novelle von 1983) hat dabei geholfen, im Hinblick auf die Gesamtpartei (und deren Staatsquote) eine Grau-zone der Parteienfinanzierung aus öffentlichen Kassen unsichtbar zu machen. Die Sachverständigen-kommission artikulierte 1983 noch die Absicht, ent-sprechende Zahlungen möglichst abzuschaffen Die Parteien haben sich seit 1984 aber mit einer buchungstechnischen Zusammenfassung der beiden Kategorien (Mitgliedsbeiträge und Mandats-träger-Abgaben) begnügt Bereits diese Umbu-chung entzog die entsprechenden Einnahmen dem Zugriff des Verfassungsgerichts. Die gesetzliche Neudefinition der Mitgliedsbeiträge (§ 27, 1 PartG) sichert das Verschwinden der „Parteisteuern" im allgemeinen Spendentopf endgültig ab. (Die „Vorbildfunktion“ der auf Transparenz politischer Prozesse fixierten GRÜNEN bei der Verschleierung solcher Einnahmen sei nur am Rande festgehalten.) Einer allmählichen Erhöhung der Staatsquofe dient auch der jetzt eingeführte Sockelbetrag unter der irreführenden Bezeichnung „Wahlkampfkostenerstattung“ (§ 18. 6 PartG).
Karl-Heinz Naßmacher, Dipl. -Kfm., Dr. rer. pol., geb. 1941; Studium der Wirtschafts-und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln und der Pennsylvania State University; Tätigkeit in der Erwachsenenbildung (Bergneustadt, Dortmund) und an Hochschulen (Köln, Wuppertal); seit 1975 Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt westliche Demokratien und Kommunalpolitik im Institut für vergleichende Politikforschung der Universität Oldenburg. Veröffentlichungen u. a.: Das österreichische Regierungssystem, Opladen 1968; Politikwissenschaft 1 und II, Düsseldorf 19773 und 19792; (mit Hiltrud Naßmacher) Kommunalpolitik in der Bundesrepublik. Opladen 1979; Parteien im Abstieg (erscheint 1989); zahlreiche Beiträge zur empirischen Wahl-und Parteienforschung, zur Kommunalpolitik und zur Parteienfinanzierung in westlichen Demokratien.
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