Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen zum Ende der achtziger Jahre
Horst Lambrecht
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Zusammenfassung
Der Innerdeutsche Handel befindet sich derzeit offenbar in einer Übergangsphase: Eine unbefriedigende Entwicklung in der Vergangenheit ist dafür ebenso kennzeichnend wie ambivalente Zukunftsaussichten. Dabei sind die politischen Rahmenbedingungen für den deutsch-deutschen Güteraustausch heute günstiger denn je; die wirtschaftlichen sind dagegen eher negativ, und von ihnen sind daher restriktive Einflüsse zu erwarten. Die bislang einmalig günstige politische Konstellation für den Ausbau des Innerdeutschen Handels hat zwei Ursachen: eine nach dem Regierungswechsel in Bonn parteipolitisch nicht mehr umstrittene Handelspolitik gegenüber der DDR und die Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten, die durch den Besuch von Generalsekretär Erich Honecker in der Bundesrepublik im Herbst 1987 ihren sichtbaren Ausdruck fand. Seither gibt es eine Reihe von Verhandlungen, Projektabsprachen, abgeschlossenen Verträgen mit direkten oder indirekten ökonomischen Auswirkungen auf die beiderseitigen Beziehungen. Hierzu gehören z. B. das Vorhaben eines Neubaus der Eisenbahnverbindung Hannover-Berlin und das abgeschlossene Abkommen über den Stromverbund Bundesgebiet-DDR-Bcrlin (West). Unabhängig von solchen, mit besonderer politischer Promotion vorangetriebenen und damit „abgehobenen“ Projekten gibt es ein breites Betätigungsfeld für die Aktivierung des wirtschaftlichen Leistungsaustausches zwischen beiden deutschen Volkswirtschaften. Eine Reihe konkreter Möglichkeiten läßt sich unter den Stichworten „Kooperation“ und „Sonderprogramm Umweltschutz und Modernisierung“ subsumieren. Wie eine Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergeben hat, wird die DDR als Kooperationspartner von den westdeutschen Unternehmen sehr geschätzt. Dies bietet Ansatzpunkte für intensivere Handelsbeziehungen; ebenso oder noch mehr gilt dies für Aufgaben auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der isoliert bei Großprojekten, aber auch bei Modernisierungen mit integriertem Umweltschutz zu verwirklichen wäre. Finanzierungsvorschläge hierfür sind in den verschiedensten Varianten vorhanden. Sie reichen von einmaligen Finanzierungsmodellen wie „Eisenbahn gegen Umweltschutzprogramm“ bis zu relativ „konventionellen“ Vorstellungen, z. B. begünstigten Finanzierungsmöglichkeiten bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Alles in allem: Vorschläge zur Belebung der deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen sind reichlich vorhanden, ein Milliarden-Potential ist ausgebreitet. Es kommt jetzt darauf an. daß die politisch Handelnden es nutzen.
Das Jahr 1989 lädt allenthalben zur Rückschau ein. Unter dem Motto „Vierzig Jahre nach Staatsgründung“ werden uns Artikel aus beiden deutschen Staaten überfluten — es muß mal wieder Bilanz gezogen werden! Der folgende Beitrag versteht sich so nicht. Er ist der Versuch, den gegenwärtigen Zustand der innerdeutschen Wirtschaftsbeziehun-gen vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung zu schildern und die Perspektiven dieser Beziehungen aus heutiger Sicht einzuschätzen. Sich hier so zu beschränken, scheint um so gerechtfertigter, als in dieser Publikationsreihe vor einigen Jahren ein grundsätzlicher Beitrag mit historischem Rückblick zu diesem Thema erschienen ist
I. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen: Ein Bild mit vielen Facetten
Ein sorgfältiger Beobachter der deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen hat derzeit Schwierigkeiten, die Lage auf diesem Sektor, vor allem aber seine Zukunftsaussichten, zu beurteilen: Zu viel unterschiedliche Informationen liegen vor. das Bild ist sehr facettenreich und ein Urteil hierüber kaum auf einen Nenner zu bringen.
Abbildung 4
DER INNERDEUTSCHE WARENVERKEHR NACH ERZEUGNISHAUPTGRUPPEN IN MRD. DM
DER INNERDEUTSCHE WARENVERKEHR NACH ERZEUGNISHAUPTGRUPPEN IN MRD. DM
Die politischen Rahmenbedingungen für diesen Handel sind derzeit ausgesprochen positiv die ökonomischen dagegen negativ. Dies ist anders als zu Beginn der achtziger Jahre; deshalb sind heute restriktive Einflüsse auf die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen eher aus wirtschaftlichen Faktoren zu erwarten. Denn es gilt nach wie vor ein Grundsatz des Handels zwischen den beiden deutschen Staaten: Die Expansionsfähigkeit ihres Güteraustausches wird letztendlich von der Leistungskraft der DDR, des wirtschaftlich schwächeren Partners, bestimmt. Leider ist aber festzustellen, daß die internationale Wettbewerbsfähigkeit der DDR — u. a. im Vergleich zu den Schwellenländern — sich langfristig nicht verbessert, sondern eher abgenommen hat. Zudem sieht es heute zumindest so aus. als ob die DDR in eine Phase abgeschwächten wirtschaftlichen Wachstums hinein-steuert und deshalb noch zusätzlich Schwierigkeiten bei der Warenbereitstellung für ihren „Westexport“ in den nächsten Jahren bekommen wird
Die Signale aus dem politischen Raum sind indes allesamt in positiver Richtung gestellt: Die von Erich Honecker seit Jahren unbeirrt verfolgte Politik der Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten hat durch die Abrüstungs-und Entspannungspolitik von Gorbatschow neue Impulse erfahren. Beim Besuch des ersten Mannes der DDR in der Bundesrepublik Deutschland im September 1987 wurden Bereiche künftiger Zusammenarbeit genannt, und es wurde nicht zuletzt von höchster Stelle auf beiden Seiten unterstrichen. daß der Handel zwischen beiden deutschen Staaten ein „wichtiges stabilisierendes Element der Gesamtbeziehungen“ sei.
Diese Erkenntnis oder dieses Bekenntnis hat es zwar schon früher gegeben, durch die Aufnahme dieser Formulierung in das Abschlußkommuniqud dieser Begegnung, die von der DDR als Eintritt in eine neue Phase der deutsch-deutschen Beziehungen gewertet wird, ist der besondere Rang der wirtschaftlichen Kontakte aber endlich von beiden Seiten gebührend anerkannt worden Es bleibt zu hoffen, daß dies den Beteiligten Mut macht und ihre Phantasie beflügelt, damit hieraus Impulse für die innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen erwachsen. Dies ist besonders für die DDR wichtig, weil man sich dort erst allmählich von dem Klischee zu befreien beginnt, daß der Handel mit dem „Klassenfeind“ etwas Suspektes sei, aufgrund ökonomischer Notwendigkeit zwar Unvermeidbares, aber auf alle Fälle etwas, das in Grenzen zu halten sei. Im übrigen dürfe nie übersehen werden, daß der „Klassenfeind“ die Wirtschaftsbeziehungen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Schadenszufügung sehe und praktiziere und sie außerdem im Vorfeld dieser Strategie als Instrument der Erpressung einsetze.
Solche Denkschablonen des Kalten Krieges, auf die Wirtschaftsbeziehungen ausgedehnt, hat es auch im Westen gegeben (Motto: Wir stützen ein mißliebiges gesellschaftliches System, halten es an der Macht, helfen, es attraktiver zu machen etc.). Sie haben sich hier allerdings nicht so lange gehalten; schon in den sechziger Jahren kam dieses Denken ins Wanken, und es konnte im Innerdeutschen Handel schon zur Zeit der Großen Koalition überwunden werden.
Danach gab es in der politischen Auseinandersetzung um dieses Thema kräftige Rückschläge, weil die damalige Opposition (CDU/CSU) offensichtlich glaubte, hier aus taktischen Gründen parteipolitisches Kapital schlagen zu können, indem sie die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition, insbesondere die Ostverträge, sowie eine konstruktive Handelspolitik gegenüber der DDR bekämpfte. Dies hat indirekt Wirkung erzielt: Es stellte die sozialdemokratischen Kanzler unter den Verdacht, „mit dem Osten zu paktieren“, was die sozialdemokratisch geführten Regierungen zur Vorsicht in ihrer Deutschlandpolitik, vor allem in Sachen Zugeständnisse in der Handelspolitik gegenüber der DDR veranlaßte. Diese innenpolitische Kontroverse war mit ein Grund dafür, daß die Handelspolitik der sozial-liberalen Koalition hinter der ihrer Vorgängerregierung zurückblieb. Sicher ist auch, daß ein sozialdemokratischer Kanzler es nie gewagt hätte oder hätte wagen können, einem Milliardenkredit für die DDR (wie im Juli 1983 und im Juli 1984 zweimal geschehen) zuzustimmen
Auch an der Geschichte des Swings läßt sich der unterschiedliche Grad der Courage in Sachen Handelspolitik gegenüber der DDR ablesen. Die bislang handelsfreundlichste Regelung war der von der Großen Koalition geschaffene dynamische Swing. Er galt von 1969 bis Ende 1975. Hiernach betrugder Kreditrahmen jeweils 25 v. H.der Lieferungen der DDR im vorausgegangenen Jahr. Er wurde von der sozial-liberalen Regierung Schmidt/Genscherdurch ein festes Kreditlimit von 850 Mill. Verrechnungseinheiten (VE = DM) abgelöst, das von Anfang 1976 bis Ende 1982 galt. Danach wurde von der gleichen Bundesregierung (als eine Art „Strafaktion“) eine schrittweise Reduzierung des Swing auf 600 Mill. VE bis 1985 festgelegt. Die derzeitige — bis Ende 1990 — geltende Regelung sieht wieder einen Festbetrag von 850 Mill. VE vor.
Die durch die damalige Opposition herbeigeführte unglückliche Situation der Polarisierung, die zu übertriebener Rücksichtnahme auf längst überholte politische Positionen führte, war Anlaß, seinerzeit folgendes zu schreiben: „Unter diesen Bedingungen wird es in der Bundesrepublik um so mehr darauf ankommen, die ohnehin starke emotionale Belastung der Handelspolitik gegenüber der DDR nicht noch zu vergrößern. Der Innerdeutsche Handel ist und bleibt ein sehr wichtiger Bestandteil der deutsch-deutschen Beziehungen; er ist — wie diese — ein zu sensibles Gebilde, als daß leichtfertig mit ihm umgegangen werden sollte. Ein verantwortungsbewußtes, d. h. nicht zuletzt sachkundiges und emotionsfreies Herangehen an diese Fragen könnte dazu beitragen, die ohnehin schwierigen deutsch-deutschen Beziehungen nicht noch zusätzlich zu belasten.“ Nach dem Regierungswechsel von der sozial-liberalen zur christlich-liberalen Koalition im Herbst 1982 hatte die neue Bundesregierung zunächst noch mit den Belastungen ihrer eigenen Vergangenheit zu kämpfen. Denn die schrillen, alles andere als auf Kooperation gerichteten Töne von Jürgen Wohl-rabe, Manfred Abelein, Olaf von Wrangel, Heinrich Lummer und anderen klangen noch nach. Erst als Franz Josef Strauß mit dem Paukenschlag des ersten Milliardenkredits das jetzige Regierungslager auf den Boden einer sachlichen Deutschland-politik zurückzwang, waren die Weichen auch für eine vernünftige Handelspolitik gegenüber der DDR gestellt. Über die beiden Milliardenkredite an die DDR ist in den von der Bundesregierung herausgegebenen „Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland“ (vom Februar 1987) u. a. zu lesen: „Nicht zuletzt waren sje politisch bedeutsam: Vor allem der mit dem Namen Franz Josef Strauß verbundene erste — unerwartete — Milliardenkredit hat nach dem Regierungswechsel statt der vielerseits befürchteten Wende in der Deutschland-politik Kontinuität signalisiert.“ Diese Zusammenhänge noch einmal aus einer Gesamtschau reflektierend, konnte Mitte der achtziger Jahre bereits festgestellt werden: „Von den politischen Rahmenbedingungen her bestehen bessere Voraussetzungen für eine günstige Entwicklung des Innerdeutschen Handels als je zuvor. Das betrifft das Verhältnis beider deutscher Staaten untereinander ebenso wie die innenpolitische Situation in der Bundesrepublik gegenüber Fragen des Verhältnisses zur DDR. In der Bundesrepublik gibt es heute einen breiten Konsens über die politischen Parteien und über Regierungsbündnisse hinweg, die Beziehungen zur DDR in einer sachlichen, vernünftigen und kooperativen Weise zu gestalten. Das ist ähnlich wie zu Zeiten der Großen Kaolition, und es ist anders als zu Zeiten des sozialliberalen Bündnisses: Die sozialliberale Koalition war in ihrer Ost-und Deutschlandpolitik ständigen Angriffen und Verdächtigungen seitens der damaligen Opposition und seitens der dieses politische Spektrum stützenden Presse ausgesetzt; sicher hat diese Tatsache auch dazu beigetragen, daß die damalige Bundesregierung in ihrer Deutschlandpolitik und in den Fragen der Handelsbeziehungen zur DDR so zögerlich verfahren ist. Nachdem das Verhältnis zur DDR mit der Anerkennung und der Vertragspolitik der siebziger Jahre auf eine vernünftige Grundlage gestellt ist. und nachdem die jetzige Bundesregierung die Deutschlandpolitik ihrer Vorgängerinnen offensichtlich fortzuführen bereit ist, bestehen von der politischen Seite her heute bessere Voraussetzungen auch für eine konstruktive Handelspolitik, als dies selbst zu Zeiten der Großen Koalition möglich war.“
Esgibt in letzter Zeit eine Reihe ermutigender Meldungen über abgeschlossene oder in Verhandlung befindliche Projekte, ebenso Nachrichten über angeregte Vorhaben oder eine in Aussicht gestellte Gesprächsbereitschaft. Hierzu gehören nicht zuletzt: -die im Abschlußkommunique des Honecker-Besuchs angesprochene Eisenbahnverbindung zwischen Hannover und Berlin, über die seit September 1988 verhandelt wird, sowie das inzwischen unterzeichnete Abkommen über die Lieferung von Strom aus dem Bundesgebiet nach Berlin (West) und in die DDR (ab 1989) Damit sind sowohl Berlin (West) als auch die DDR in den westeuropäischen Stromverbund einbezogen;
-der Verkauf von Air-Bus-Flugzeugen an die DDR (einschließlich des Wartungsvertrages für diese Maschinen); — der Bau des „Dom-Hotels“ in Ost-Berlin als eine Art Pilotprojekt für künftige touristische Vorhaben; — das Pannenhilfe-Abkommen auf den Transitstrecken
— das Abkommen zum Erhalten historischer Bauten
— die Vereinbarung über die Einrichtung eines zusätzlichen Grenzübergangs für den Transitverkehr im Süden Berlins
— Vereinbarungen über einen Gebietsaustausch zwischen der DDR und Berlin (West)
— die Bereitschaft der DDR, über die Elbe-Verschmutzung auch ohne Anerkennung der Grenzregelung zu verhandeln, d. h.dem Einstieg in die Verhandlungen über die Elbsanierung ohne politische Vorbedingungen zuzustimmen,
— Gespräche über Fernwärmelieferungen aus OstBerlin und Gedanken über eine Regelung des deutsch-deutschen Flugverkehrs, der Zusammenarbeit der Flughäfen Tegel und Schönefeld
— der bevorstehende Abschluß eines Vertrages über die Betreuung und Pflege von Pferden des Mariendorfer Trabrenn-Vereins auf einem Gestüt in der DDR
— die Meldung über die Beschäftigung von arbeitslosen West-Berliner Ärzten in Kliniken Ost-Berlins oder der DDR
— die neueste Vereinbarung mit der DDR über den Berliner Eisenbahnverkehr Allen Projekten ist gemeinsam, daß sie in irgendeiner Form auch ökonomische Auswirkungen haben können oder haben werden. Auffällig an diesem Katalog ist außerdem, daß Berlin hierin eine große Rolle spielt. Dies ist angesichts der bestehenden — im Prinzip anormalen — Verhältnisse der Stadt nicht verwunderlich und angesichts des riesigen Nachholbedarfs an deutsch-deutscher Zusammenarbeit diese Stadt betreffend geradezu zu erwarten. Gleichwohl ist die häufige Berücksichtigung von Berliner Interessen in den deutsch-deutschen Abmachungen bemerkenswert — nicht zuletzt deshalb. weil sie zumindest Ansätze eines neuen Denkens der DDR über die Berlin-Frage, d. h. ihrer Berlin-Politik dokumentiert. Die DDR-Führung hat sich damit auf unspektakuläre Weise — zumindest teilweise — offensichtlich von ihrer (wie auch immer zu bezeichnenden) Obstruktions-, Ausgrenzungs-. Isolations-und Austrocknungs-Politik gegen West-Berlin verabschiedet. Dies sollte zur Kenntnis genommen werden, und hieraus können nur positive Schlußfolgerungen gezogen werden.
Als Kronzeuge auch für ein diesbezügliches Urteil kann der jetzt aus dem Amt geschiedene Leiterder Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Regierung der DDR, Hans-Otto Bräutigam, gelten. Hierüber war folgendes zu lesen: „Die entscheidende Veränderung bei DDR-Positionen hat es seiner Meinung nach in der Stellung zu Berlin gegeben. Bei aller Aufrechterhaltung ihrer Rechtspositionen habe die DDR hier eine Entscheidung von strategischer Bedeutung getroffen, die Berlin (West) jetzt besser in den Gesamtprozeß der deutsch-deutschen Beziehungen einbindet. Belegen kann Bräutigam das mit dem Kulturabkommen ebenso wie mit dem S-Bahn-Vertrag und mit der Errichtung eines weiteren Transitübergangs im Süden Berlins.“
II. Kooperation als Möglichkeit zur Intensivierung der deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen
Abbildung 2
Tabelle 1: Kennziffern zum Innerdeutschen Handel Quelle: Wochenbericht des DIW. (1988) II.
Tabelle 1: Kennziffern zum Innerdeutschen Handel Quelle: Wochenbericht des DIW. (1988) II.
Die seit 1986 von vielen als unbefriedigend empfundene Entwicklung des Innerdeutschen Handels hat die Frage nach Impulsen für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden deutschen Staaten erneut aufgeworfen. Hierbei fällt häufig das Stichwort „Kooperation“. Da außerdem nach landläufiger Meinung — selbst bei Insidern — und vorhandenen Recherchen (z. B.der ECE) die DDR im Vergleich zu anderen RGW-Ländern als ein Wirtschaftspartner eingestuft wird, der wenig Kooperationsbeziehungen mit westlichen Ländern unterhält. lag es nahe, die Tatbestände. Schwierigkeiten und Möglichkeiten bei den über den Handel hinausgehenden Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit etwas näher zu untersuchen. Dies geschah Ende 1987 in einer Fragebogenaktion des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
Befragt wurden rund 2 350 Unternehmen, mehr als 600 antworteten. Fast 500 Firmen meldeten Wirtschaftsbeziehungen (Handel und/oder Kooperation) mit der DDR und anderen sozialistischen Ländern. 200 Firmen bekundeten Kooperationsbeziehungen, darunter 140 mit der DDR. Mit ihr wurden 1 100 Kooperationsprojekte gemeldet, mit allen aufgeführten Ländern rd. 2 500 Projekte. Die hohe Zahl der Projekte, insbesondere mit der DDR, wird allerdings deutlich durch eine intensive Zusammenarbeit im Verlagswesen geprägt; ohne Kooperation in diesem Bereich lauten die entsprechenden Zahlen 250 bzw. 1 100.
Der Fragebogen wurde nach einer Adressenliste versandt, die als Kerngruppe die Aussteller auf der Leipziger Messe enthält. Der mit dieser Adressenliste erreichte Kreis bestreitet mit Sicherheit den ganz überwiegenden Teil des Umsatzes im Innerdeutschen Handel, da die Liste sehr umfangreich ist und alle im innerdeutschen Geschäft wichtigen Firmen erfaßt. Inwieweit dies auch für den „übrigen Osthandel“ der Bundesrepublik, d. h. für die Wirtschaftsbeziehungen zu den übrigen aufgeführten sozialistischen Ländern gilt, ist schwerer zu beurteilen. Immerhin ergab die Umfrage, daß der Kreis der im Innerdeutschen Handel tätigen Firmen nicht auf diesen einen Handelspartner fixiert ist. sondern zu über neun Zehnteln im „Ostgeschäft“ überhaupt auftritt und daß viele namhafte Großbetriebe und Konzerne, die auch als „Osthändler“ bekannt sind, zu dem Kreis der Angeschriebenen gehören. Dies gewährleistet, daß die antwortenden Firmen über ihre Handels-und Kooperationsbeziehungen zur DDR hinaus zwar nicht im strengen statistisch-methodischen Sinne als repräsentativ eingestuft werden können, aber dennoch kompetent und berufen sind, wichtige Erkenntnisse zur Einstufung der DDR als Kooperationspartner auch im Vergleich zu anderen sozialistischen Ländern abzugeben.
Wichtige Ergebnisse der DIW-Umfrage sind: 1. Die Kooperationsbeziehungen zwischen Firmen aus der Bundesrepublik und der DDR sind weit umfangreicher, als bisher angenommen wurde. Nach der ECE hat die DDR insgesamt, d. h. mit allen westlichen Partnern, nur 39 Kooperationsprojekte. Aus der Umfrage geht jedoch hervor, daß allein mit Partnern der Bundesrepublik rund 150 spezifizierte laufende Projekte existieren; zusammen mit den abgeschlossenen und in Verhandlung stehenden sind es sogar 1 100 Projekte. Da dies -einer Umfrage gemäß — nur die gemeldeten Projekte sind, ist der tatsächliche Umfang der Kooperation noch größer, als er in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt. 2. Die Firmen der Bundesrepublik schätzen die DDR als Kooperationspartner sehr. Die DDR und Ungarn sind eindeutig die Favoriten unter den sozialistischen Ländern hinsichtlich ihrer Eignung als Partner für Kooperationsbeziehungen. Je nach Referenzgruppe nimmt die DDR meistens den Spitzenplatz vor Ungarn ein. Die Gründe für diese Spitzenstellung der DDR wurden im Fragebogen und in nachfolgenden Gesprächen ermittelt. Häufig wurden dabei die gemeinsame Sprache, also weniger Verständigungsschwierigkeiten genannt. Aber auch eine qualifizierte Facharbeiterschaft, ein gut ausgebildetes technisch-wissenschaftliches Personal waren wichtig. Auch das im RGW-Vergleich hohe technologische Niveau und der Stand der wissenschaftlich-technischen Forschung werden für die DDR als Plus bewertet, ferner Faktoren wie Zuverlässigkeit, Vertragstreue. Ebenso wurden räumliche Nähe und bessere Infrastrukturbedingungen als Grund genannt, die DDR zu bevorzugen. Diese Wertschätzung wird durch andere Ergebnisse der Umfrage untermauert, z. B.: weniger Schwierigkeiten als bei Projekten mit anderen Ländern, leichtere Verhandlungen und eine größere „Projektzufriedenheit“, d. h. Einschätzung des Kooperationsprojektes hinsichtlich seines Schwierigkeitsgrades. 3. Zwischen Handel und Kooperation gibt es enge Wechselbeziehungen, und die Kooperation wird von den westdeutschen Unternehmen als ein stabilisierendes und stimulierendes Element des Ost-West-Handels eingeschätzt. Gut zwei Drittel der Betriebe mit Kooperationsbeziehungen hatten auch schon vorher Handelsbeziehungen, 95 v. H.der kooperierenden Firmen und 85 v. H.der Firmen mit Wirtschaftsbeziehungen (Handel und Kooperation) stufen Kooperationsbeziehungen als handelsfördernd ein. Nach Branchen betrachtet, ergibt sich zwar ein etwas differenzierteres Bild, es schätzen aber selbst die Unternehmen der Elektrotechnik, der Sparte mit der niedrigsten diesbezüglichen Bewertungsquote, die Kooperation noch zu 77 v. H. als handelsfördernd ein.
Unabhängig von solchen grundsätzlichen Erkenntnissen vermitteln die Ergebnisse der Umfrage detailliertere Einblicke in die Ost-West-Kooperation (nach Formen, Motiven, Wirtschaftszweigen. Schwierigkeiten, Finanzierungsformen, Betriebsgröße, Dauer der Vertragsverhandlungen und Projektlaufzeit, Projektzufriedenheit etc.). Dies kann nutzbringend für die Zukunft eingesetzt werden, wenn hieraus die entsprechenden Schlußfolgerungen gezogen werden.
Versucht man, die Schwierigkeiten, die bei der Abwicklung von Kooperationsbeziehungen von den Unternehmen gesehen werden, in einer sogenannten „Mängelrügenliste“ zu erfassen, ergibt sich, daß sie den Hauptadressaten auf der östlichen Seite sehen. Gleichwohl bleibt die Erkenntnis richtig: „Auch wenn die an die Westseite gerichtete Mängelrügenliste kürzer ist, sollte sie dennoch ernstgenommen werden, weil der Westen hier etwas selbst tun kann, wenn er die Wirtschaftsbeziehungen zur DDR oder zu anderen sozialistischen Ländern ausbauen will.“ Die an die Ostseite gerichtete Mängelrügenliste ist zwar weit schwerer abzubauen, dafür liegen hier aber auch die größeren Reserven. Bei; den an die Ostseite gerichteten Forderungen nach besseren Bedingungen für Kooperationsbeziehungen stehen vier Punkte im Vordergrund: mehr Flexibilität, Abbau der Bürokratie, mehr Entscheidungskompetenz, Möglichkeiten zu Direktkontakten sowie zu direkten und offenen Gesprächen.
Bei der Frage nach den Schwierigkeiten wurden folgende Punkte bei den laufenden Projekten mit dem Kooperationspartner DDR am häufigsten genannt: Schwierigkeiten bei der Produktion im Hinblick auf Qualität, technisches Niveau, Mode und Design; fehlende Kapazitäten in der Produktion und/oder in der Forschung; falsche Vorstellungen aufgrund mangelnder Marktkenntnisse über Preis. Qualitätsansprüche, Absatzmethode und/oder Produktgestaltung; Terminüberschreitungen.
Bei den laufenden Kooperationsprojekten mit den anderen sozialistischen Ländern sind die Schwerpunkte ähnlich. Lediglich bei zwei Problemen gibt es deutliche Unterschiede: Fragen der Finanzierung. die im Kooperationsgeschehen mit der DDR nicht sehr ins Gewicht fallen, werden bei den anderen Ländern mit am häufigsten genannt. Umgekehrt ist es bei dem Problem fehlender Kapazitäten. Bei der DDR recht bedeutend, spielt es bei den anderen sozialistischen Ländern offensichtlich kaum eine Rolle.
Die Umfrageergebnisse zeigen überdies, daß zu jeder Projektphase auch spezifische Schwierigkeiten gehören. In der Akquisitionsphase sind es in erster Linie unzureichende Entscheidungsflexibilität und/oder ungenügende Kompetenz. In der Phase der Vertragsverhandlungen bereiten die Eingriffe übergeordneter Planungs-und Leitungsorgane sowie falsche Vorstellungen über die Marktverhältnisse die größten Schwierigkeiten. In der Abwicklungsphase treten dann naturgemäß produktionsspezifisehe Probleme in den Vordergrund. Zwei Drittel aller Nennungen entfallen auf: Schwierigkeiten bei der Produktion im Hinblick auf Qualität, technisches Niveau und Design; fehlende Kapazitäten in der Produktion und/oder Forschung sowie Terminüberschreitungen. Bemerkenswerterweise wurden die Schwierigkeiten bei der Produktion und die Terminüberschreitungen von den kleinen und mittleren Betrieben häufiger genannt als von den großen
III. Förderprogramme im Innerdeutschen Handel bergen ein Milliardenpotential
Abbildung 3
Tabelle 2: Warenstruktur des Innerdeutschen Handels Quelle: Statistisches Bundesamt. Wiesbaden: Warenverkehr mit der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin (Ost), Fachserie 6, Reihe 6 (Jahreshefte)
Tabelle 2: Warenstruktur des Innerdeutschen Handels Quelle: Statistisches Bundesamt. Wiesbaden: Warenverkehr mit der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin (Ost), Fachserie 6, Reihe 6 (Jahreshefte)
Wer florierende Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten für wünschenswert hält, den kann die Entwicklung des Innerdeutschen Handels schon lange nicht mehr befriedigen. Er blieb langfristig sowohl hinter der Entwicklung des Außenhandels der Bundesrepublik als auch des Außenhandels der DDR zurück Gleichwohl wird er, wenn er „besondere Schübe“ in den deutsch-deutschen Handelsbeziehungen in Gang setzen will, sich nicht allein auf die traditionellen Instrumente der Handelspolitik gegenüber der DDR (wie Swing, Kontingente etc.) beschränken können. Ihm wird mehr einfallen müssen, nämlich spezielle Förderungsprogramme. Ein solches wäre ’z. B. ein „Sonderprogramm für Umweltschutz und Modernisierung“
Das DIW urteilte Anfang vergangenen Jahres: „Hierdurch könnten nicht nur Umweltbelastungen (zum Nutzen beider Seiten) vermindert, sondern auch Leistungssteigerungen der DDR-Wirtschaft erzielt werden, die letztendlich gute Voraussetzungen auch für die Belebung des Innerdeutschen Handels bieten. Ein breit angelegtes Förderungsprogramm in dieser Richtung könnte — jedenfalls langfristig — von größter Bedeutung sein.“ Das Institut bedauerte damals allerdings, daß diese Empfehlungen „von den Verantwortlichen bisher nicht oder nicht ausreichend in Verhandlungen eingebracht. geschweige denn in die Tat umgesetzt worden“ seien.
Auch der frühere Staatssekretär Bräutigam sah hier offensichtlich Perspektiven. In einer Bilanz seiner sechseinhalbjährigen Tätigkeit in Ost-Berlin sagte er.der Grundlagenvertrag von 1972 beschreibe ein Programm der Zusammenarbeit, das in wichtigen Teilen noch gar nicht in Angriff genommen sei. Dazu gehörten Themen wie Umwelt und deutsch-deutscher Luftverkehr. Bei der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit stehe man erst am Anfang
Als Finanzierungsvorschläge für das Sonderprogramm Umweltschutz und Modernisierung wurden unterbreitet: — Das Projekt einer Entschwefelung der DDR-Braunkohlekraftwerke wird mit der Modernisierung des Eisenbahnverkehrs von und nach Berlin verknüpft; die Verrechnungseinheiten, die für die von der DDR zu erbringenden Bauleistungen eingenommen werden, verwendet die DDR zur Finanzierung des Umweltprojekts. -Der DDR werden zinsgünstige Darlehen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Finanzierung von Umwelt-und Modernisierungsanlagen zur Verfügung gestellt. -Die DDR erhält projektgebundene Kredite zum Nulltarif, indem man ihr einen verwendungsgebundenen zusätzlichen Kredit bei der Deutschen Bundesbank nach dem Muster des Swing (sog. Umwelt-swing) einräumt -Es wird eine sogenannte DDR-Umweltanleihe aufgelegt; diese auf dem Kapitalmarkt sicher als interessant empfundene Anlagemöglichkeit könnte noch zusätzlich an Reiz gewinnen, wenn sie steuerbefreit oder steuerbegünstigt würde. -Eine Minderung des Finanzierungsbedarfs ließe sich auch über die Subventionierung von umweltfreundlichen Investitionen erreichen. Dies würde bedeuten, daß anstelle des Anwenders in der Bundesrepublik der Hersteller oder Lieferant von Umwelttechnik in die DDR die Begünstigung in Anspruch nehmen könnte.
Die Grundüberlegung zu dem ersten Vorschlag ist der Gedanke einer möglichst optimalen Verknüpfung von politisch-ökonomischen Tauschgeschäften wie etwa dem Bau einer modernen Eisenbahnstrecke zwischen Hannover und Berlin mit dem Innerdeutschen Handel. Sicher ist, daß man der DDR nicht „vorschreiben“ kann, wie sie „ihr Geld“ aus den Bauleistungen zu verwenden hat — in ausgabenbeschränkten Verrechnungseinheiten oder in frei verfügbarer konvertibler Währung —; gleichwohl wäre es von ihr unter dem Gesichtspunkt langfristiger „Westdevisenmaximierung“ unklug, das „Prinzip des Höchstnutzens am Einzelobjekt“ zu verfolgen. Denn die politische Bereitschaft für derartige Geschäfte wird in Zukunft in der Bundesrepublik sicher entscheidend davon abhängen, in welchem Maße sich solche Projekte im Rücklauf als wirtschaftliche Erfolge „amortisieren“. Diesen Zusammenhang sollte man nicht übersehen. Mit Sicherheit war die Verknüpfung von Verkehrsinvestitionen im Transitverkehr bisher zu gering: Eine weit größere Partizipation des Innerdeutschen Handels hieran hätte in der Vergangenheit die Aufge-schlossenheit der Akteure auf unserer Seite für derartige Projekte ohne Zweifel wesentlich erhöht.
Berechnungen aus dem DIW haben ergeben, daß ein umfassendes Projekt zur Entschwefelung aller Braunkohlekraftwerke der DDR mit etwa sechs Mrd. Mark zu veranschlagen sei Hierbei würde eine Reduzierung der Schwefeldioxid-Emissionen aus diesen Quellen (1985: 2. 8 Millionen Tonnen!) um 75 Prozent erreicht. Nach Schätzungen der bundesdeutschen Industrie könnte die DDR die Hälfte dieser Kosten beim gegenwärtigen Stand der Technik durch Eigenleistungen erbringen. Geht man von einer Eigenbeteiligung der DDR in dieser Höhe aus. wäre das eine Größenordnung in der Nähe der Kosten des Eisenbahnprojektes.
Das DIW schrieb damals hierzu: „Die Bundesregierung könnte mit der Verbesserung des Berlin-Verkehrs deutschlandpolitische Ziele und umweltpolitischen Nutzen in idealer Weise mit Interesse auf dem Gebiet des innerdeutschen Handels verbinden.“ Und es sei noch einmal hinzugefügt: Das Ausmaß der Akzeptanz bei solcher Art von Projekten sollte nicht gering eingeschätzt werden.
Um die Größenordnungen für ein Modernisierungsprogramm der DDR-Industrie und seine Folgen für ein beispielsweise durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu finanzierendes Sonder-programm zu skizzieren, wurden damals folgende Überlegungen angestellt: „Über welche Größenordnung es sich bei der Finanzierung und den Investitionsvorhaben bei einem Modernisierungsprogramm in etwa handeln könnte, ergibt sich aus folgender Modellrechnung: Sollen die Zinsen um 2 v. H. gesenkt werden, sind bei einer tilgungsfreien Zeit von zwei Jahren und einer gesamten Laufzeit von zehn Jahren für ein Investitionsvolumen von 6, 5 Mrd. DM über die gesamte Laufzeit rund 850 Mill. DM durch öffentliche Haushalte aufzubringen. Dies brächte — bei einem Liefervolumen von 7, 5 Mrd. DM im Warenverkehr mit der DDR im Jahre 1986 — ein deutliches kontinuierliches Wachstum für den Innerdeutschen Handel. Bei einem Eigenleistungsanteil der DDR-Industrie von z. B. zwei Dritteln — er wird von Fall zu Fall stark schwanken — könnte unser Nachbar und Wirtschaftspartner im nächsten Jahrzehnt Modernisierungsinvestitionen in einer Größenordnung von 20 Mrd. DM tätigen. Investitionen von zwei Mrd. DM p. a. bedeuten — Mark der DDR und DM gleichgesetzt — 4 v. H.der gesamtwirtschaftlichen Investitionen in der DDR (1985: 52 Mrd. Mark) bzw. 7 v. H.der industriellen Investitionen. Bei einem geringeren Eigenanteil würde sich das Volumen der Modernisierungsinvestitionen entsprechend verringern. Auf alle Fälle sind dies Größenordnungen, die keineswegs utopisch sind. Auf Seiten der Bundesrepublik wäre ein Haushaltszuschuß von 850 Mill. DM über zehn Jahre sehr gut angelegtes Geld, wenn man bedenkt, daß allein die Berliner Kraft und Licht (Bewag) -AG in den nächsten Jahren für die Luftreinhaltung zwei Mrd. DM ausgibt und daß die Elektrizitätswirtschaft im Bundesgebiet 13 Mrd. DM hierfür aufzuwenden hat.“
Zur Wertung ist hinzuzufügen: Wägt man ein auf Großkraftwerke der Braunkohleindustrie konzentriertes Entschwefelungsprogramm gegen die Variante „Modernisierungsprogramm mit Produktivitäts-und Umwelteffekten bei vielen mittleren und kleineren Betrieben“ gegeneinander ab, so hat jedes seinen „Charme“ und deshalb vermutlich seine „Liebhaber“: Die Variante Umweltschutz über die Großkraftwerke und ihre Finanzierung über das anstehende Eisenbahnprojekt findet aufgrund der bestehenden Interessenlage sicher eher seine Befürworter in Bonn; anders dürfte es dagegen in OstBerlin sein: Hier müssen die über den Zustand ihrer Wirtschaft wirklich Informierten und realistisch Denkenden eher auf Modernisierung setzen und können froh sein, daß gleichzeitig Umweltschutz, der genauso wie die Produktivitätssteigerung nötig wäre, den man sich aber nicht leisten kann, hierbei „anfällt“ Welche Variante auch immer den Zuschlag bekommt, kann letztendlich nur die DDR entscheiden. Die Bundesrepublik gewinnt aber auch in jedem Falle, und zwar auf vielfältige Weise.
Die DDR hat bei ihrer Entscheidung für die Finanzierungsoption mit einer Belastung aus der Vergangenheit zu kämpfen: der Liquiditäts-und Verschuldungskrise zu Beginn der achtziger Jahre. Sie ist damals aufgrund von ihr selbst nur wenig zu verantwortenden Umständen in erhebliche Liquiditätsprobleme gegenüber dem Ausland geraten und hat seither eine übervorsichtige Westhandelspolitik betrieben Aufgrund dessen vollzog die DDR-Führung eine radikale Kurskorrektur: War die Handelspolitik gegenüber den westlichen Industrieländern in den siebziger Jahren auf kreditfinanzierte Importe ausgerichtet, so gewann die Konsolidierung ihrer Bilanzen zu Beginn der achtziger Jahre Priorität. Schon 1981 gab es nach der DDR-Statistik gegenüber den kapitalistischen Industrieländern eine drastische Reduzierung des Defizits, und von 1982 an wurden Exportüberschüsse erwirtschaftet. Die DDR hat diese Politik durch ein geschicktes Schuldenmanagement mit Erfolg betrieben; sie hat hierfür internationale Anerkennung erfahren, und sie ist heute wieder sehr kreditwürdig. Dies läßt sich nicht zuletzt daran ablesen, daß die DDR vergleichsweise hohe Devisenguthaben bei westlichen Banken angehäuft hat. Trotzdem hat die DDR das Liquiditäts-und Sicherheitsdenken beibehalten und ihm Priorität eingeräumt — weit vor den Zielen außenwirtschaftlicher Rentabilität und unter Inkaufnahme von Wachstumsverlusten durch unterlassene Importe. Die DDR hat dieses Verhalten sogar auf die Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik ausgedehnt, obwohl es hier angesichts der bestehenden Umstände keinen Anlaß dafür gab.
Diese Unabhängigkeit. Bonität und Liquidität demonstrierende Haltung kam z. B. darin zum Ausdruck, daß 1984 ein einmalig hoher Überschuß im Warenverkehr erreicht wurde und daß seither eine demonstrativ deutliche Nichtausnutzung des zinslosen Überziehungskredits, des Swings, zu registrieren ist. Die DDR hat die Konsolidierung ihrer „Westhandelsbilanzen“ als Ziel für den gegenwärtigen Fünfjahrplan verfolgt. Derzeit sind keine Anzeichen in Sicht, daß sich an dieser Marschroute demnächst etwas ändert Dies bedeutet aber auch, daß Umwelt-und Modernisierungsprojekte, die mit massiverem Einsatz westlicher Devisen oder auf kreditfinanziertem Wege realisiert werden könnten, nur geringe Chancen haben. Es ist allerdings die Frage, wie lange es sich die DDR wegen ihrer zum Teil beängstigenden Produktivitätsdefi-zite und enormen Umweltbelastungen leisten will oder kann, diese Haltung durchzustehen.
Der Eintritt in den neuen Fünfjahrplan (1991 bis 1995) könnte für die DDR ein gegebener Anlaß sein, diesbezügliche Neuorientierungen nicht auszulassen: Eine abermalige Umorientierung im Westhandel von der Konsolidierungspolitik (der achtziger Jahre) zu einer zweiten Phase der kredit-finanzierten Importpolitik (in den neunziger Jahren) wäre unter veränderten Modalitäten durchaus geboten, weil sie in höchstem Maße im ökonomischen Interesse der DDR selbst liegt. Eine Weiterführung der Konsolidierungspolitik ist außerdem heute aus außenwirtschaftlicher Sicht nicht mehr gerechtfertigt. Mehr als gerechtfertigt dagegen ist es — angesichts der skizzierten Umstände —, nach der Investitionspause in der DDR und den unterlassenen Importen aus westlichen Ländern den Westhandel als Wachstumsträger der eigenen Volkswirtschaft zu nutzen.
Die DDR wäre überdies in ihrem Import-und Kreditgebaren gegenüber der Bundesrepublik sicher nicht schlecht beraten, zu bedenken, daß z. B. ein Ausschlagen von zinsbegünstigten Krediten der KfW das Verpassen einer einmaligen Chance bedeuten könnte, weil ein solches Verhalten auf der Westseite kontraproduktiv wirken müßte: Den Befürwortern von guten Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten im allgemeinen und von wirtschaftlichen im besonderen erschwert es ihre Position. ihre Gegner bestätigt es in ihrer Haltung (Motto: „Die andere Seite will ja nicht, man sieht’s ja wieder“) und liefert ihnen somit Argumente gratis. und die Schwankenden werden noch schwankender. Wie die DDR sich in dem Spannungsfeld zwischen einem politisch vorgegebenen Konsolidierungskurs und einer ökonomisch gebotenen kreditfinanzierten Importpolitik entscheiden wird, ist derzeit nicht abzusehen. Solange diese Unwägbarkeiten bestehen, ist dies sicher eine Belastung der deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen, denn man kann sich nicht auf sie einrichten, d. h. sie sind nicht kalkulierbar.
Gewisse Unwägbarkeiten für die künftige Entwicklung des Innerdeutschen Handels werden zuweilen auch darin gesehen, daß der zu schaffende Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft Auswirkungen auf diesen Güteraustausch haben könnte — und zwar unter zwei Aspekten: einmal aus wirtschaftlichen Gründen (Wettbewerb!) und zum anderen wegen des Sonderstatus des Innerdeutschen Handels. Aus ökonomischer Sicht gilt sicher folgende Feststellung: „Einerseits wird durch den Abbau von Handelsschranken und von Schranken für den Personen-, Dienstleistungs-und Kapitalverkehr eine erhebliche Nachfragesteigerung innerhalb der EG erwartet, von der auch die DDR profitieren kann. Um diese potentiellen Vorteile aber nutzen zu können, wird es andererseits für die DDR erforderlich sein, sich flexibel an diese neue Wettbewerbslandschaft anzupassen. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist jedoch fraglich, ob es die DDR schafft, entsprechende Anpassungsprozesse in ihrer Wirtschaft durchzusetzen, zumal die neuen EG-Mitglieder im Mittelmeerraum eine starke Konkurrenz darstellen.“
Ansonsten gilt nach wie vor, daß die Regierungen beider deutscher Staaten ein vitales Interesse an den gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen haben und daß sie an dem Status dieses Handels festhalten wollen. Hieran wird sich weder durch die Verhandlungen zwischen der EG und der DDR noch durch die Bildung des europäischen Binnenmarktes etwas ändern. Denn der Sonderstatus des Innerdeutschen Handels ist im Protokoll der Römischen Verträge festgeschrieben, und damit liegt das Einverständnis der Partnerstaaten der Gemeinschaft vor. Andererseits liegt es im EG-politischen Interesse der Bundesregierung, daß auch unter den Bedingungen des Binnenmarktes 1992 das Protokoll über den Innerdeutschen Handel voll zur Anwendung kommt.
Horst Lambrecht, Dr. rer. pol., Diplomvolkswirt; seit 1964 wissenschaftlicher Mitarbeiterim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin (West) in der Abteilung DDR und östliche Industrieländer, Arbeitsgebiete: Außenhandel der DDR, Innerdeutscher Handel, Landwirtschaft der DDR. Zahlreiche Veröffentlichungen zu diesen Themen.
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