I
Als am 17. August 1988 eine Militärmaschine mit dem 64jährigen pakistanischen Präsidenten Zia ulHaq und 31 hochrangigen Begleitern an Bord kurz nach dem Start in Bahawalpur abstürzte, war damit in der instabilen Region Südwestasiens ein Ereignis eingetreten, dessen politische Auswirkungen auch heute noch nicht abzusehen sind. Unter den Toten befanden sich der amerikanische Botschafter Arnold Raphel und sechs Militärs, einschließlich des Generals Akhtar Abdul Rehman, der an zweiter Stelle in der militärischen Hierarchie stand und für die militärische Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin verantwortlich war. sowie Generalleutnant Mohammad Afzal, der den mächtigen militärischen Nachrichtendienst leitete
Zias Tod kam so unerwartet, daß man sogleich einen Sabotageakt als Absturzursache vermutete. Pakistans Verkehrsminister Aslam Khatak war davon voll überzeugt. Immerhin hatte Zia zu Hause wie im Ausland viele Feinde Die sowjetische und die afghanische Regierung waren äußerst verbittert über seine uneingeschränkte Unterstützung der islamischen Rebellen. Es hatte ernstzunehmende Gerüchte gegeben, daß die Explosion des Munitionsdepots in der Nähe von Rawalpindi im April 1988, bei der Hunderte von Menschen getötet worden waren, auf einen Anschlag des von den Sowjets ausgebildeten afghanischen Geheimdienstes (KHAD) zurückzuführen sei. Der KHAD wird für 101 Anschläge, die 1987 in den Flüchtlingslagern, auf Märkten und an anderen Orten in Pakistan verübt worden waren und 127 Menschen das Leben kosteten, verantwortlich gemacht.
Die Beziehungen Pakistans zum „Erbfeind“ Indien waren ebenfalls gespannt, da Indien seinen nördlichen Nachbarn wiederholt beschuldigt hatte, die militanten Sikhs in ihrer Forderung nach einem unabhängigen Staat Khalistan zu unterstützen. Den Gerüchten, die von einer indischen Rakete sprachen, die auf die Maschine Zias abgefeuert worden sei, wurde allerdings von der Jagdfliegereskorte Zias widersprochen, die keine herankommende Rakete ausgemacht hatte. Und es ist auch kein Grund dafür zu erkennen, daß Indien nach elf Jahren Diktatur in Pakistan zu solchen Mitteln hätte greifen sollen, um sich Zias zu entledigen.
In Pakistan selbst gab es politische Opponenten und religiöse Gegner Zias, denen der Griff zur Gewalt zuzutrauen gewesen wäre, nachdem dieser elfJahre die Hoffnung auf Wiederherstellung der Demokratie enttäuscht hatte. Die Baluchis haßten Zia, seit er einen aus Baluchistan stammenden Luftpiraten hatte hängen lassen. Viele Mitglieder der religiösen Sekte der Amadiyas hatten unter seinen intoleranten Islamisierungsmaßnahmen gelitten. Die schiitischen Bevölkerungsteile (20 Prozent der Gesamtbevölkerung) Pakistans konnten nicht vergessen, daß ihr hoher religiöser Führer Allama Syed Arif Ali Hussaini kürzlich ermordet worden war.
Schließlich war sogar das Militär selbst, das Zia zum Ärger seiner politischen Gegner als seine „Wählerschaft“ bezeichnete, nicht über jeden Verdacht erhaben. Jedenfalls kursierten Gerüchte über eine geplante Verschwörung hochrangiger Offiziere gegen Zia
Daß Zia selbst äußerst sicherheitsbewußt war, läßt sich aus der Tatsache ablesen, daß er nicht eine einzige Nacht außerhalb seiner Militärresidenz in Rawalpindi verbrachte, nachdem sein ziviler Ministerpräsident, Mohammad Khan Junejo, am 29. Mai 1988 abgesetzt worden war. Die Untersuchungskommission der pakistanischen Luftwaffe, die von amerikanischen Militärexperten und Fachleuten der Firma Lockheed unterstützt wurde, fand keinen Beweis für ein technisches Versagen. Die amerikanischen Experten äußerten die Ansicht, daß es einen Funktionsausfall gegeben habe, ohne jedoch den Absturz direkt auf Sabotage zurückzuführen. Es ist anzunehmen, daß die tatsächliche Ursache für den Flugzeugabsturz nie geklärt werden wird. Mittlerweile beschäftigt man sich denn auch mehr mit den gegenwärtigen Problemen, die Zia Pakistan hinterlassen hat, sowie mit den internationalen Folgen seines plötzlichen Abgangs.
II. Die Wahlen vom 16. November 1988
Obwohl Senatspräsident Ghulam Ishaq Khan gemäß der Verfassung von 1977 unmittelbar nach dem Tode Zias zum Präsidenten des Landes ernannt wurde, gab es große Befürchtungen im Hinblick auf die politische Zukunft des Landes. Anlaß dafür bot die Bildung eines Notstandsrats, bestehend aus den Befehlshabern der drei Militärgattungen, fünf Ministern der Zentralregierung und den Ministerpräsidenten der vier Provinzen, die alle eng mit Zia verbunden gewesen waren. Dem politischen Beobachter stellten sich verschiedene Fragen. Würden der neue Präsident und der neue Oberbefehlshaber General Mirza Aslam Beg die von Zia für den 16. November angekündigten freien Wahlen zulassen und die Macht den gewählten Volksvertretern übergeben, wie sie es in ihren Erklärungen hatten verlauten lassen? Würde Zias Islamisierungsprogramm, das die Gesellschaft wirtschaftlich, sozial und politisch entzweite, beibehalten werden? Würde die wirtschaftliche und politische Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin, insbesondere ihrer fundamentalistischen Fraktion, fortgesetzt werden, obwohl dies negative Rückwirkungen auf die nationale Politik wie auf die internationalen Beziehungen hatte?
Die überraschende Absetzung der Zivilregierung von Ministerpräsident Junejo am 29. Mai 1988, die 1985 nach einer nicht auf Parteien gestützten Wahl von Zia selbst eingesetzt worden war, hatte für ihre Freunde wie Feinde eine große Überraschung bedeutet. Die offizielle Erklärung nannte als Begründung eine tiefe Verstrickung in Korruption, einen Mangel an Recht und Ordnung im Land, die Unfähigkeit, das Islamisierungsprogramm Zias zu verwirklichen, sowie die starke Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Gleichzeitig mit dem nationalen Parlament löste Zia auch die Parlamente der vier Provinzen Pakistans auf und kündigte Neuwahlen innerhalb von drei Monaten an, wie es die Verfassung vorsieht.
Paradoxerweise schloß die neue Übergangsregierung, die von Zia ernannt wurde, 13 (von insgesamt 18) Minister ein, die in der einen oder anderen Weise mit der Regierung Junejo verbunden gewesen waren. Dies läßt die offizielle Version der Gründe für die Absetzung der Regierung Junejo in einem'zweifelhaften Licht erscheinen. Tatsächlich waren Recht und Ordnung im Lande schon gestört, bevor Junejo das Amt des Premierministers übernahm. Ethnische Rivalitäten sowie sezessionistisehe Bestrebungen in den Provinzen Sind und Balu-chistan gab es sogar schon vor Zias Amtsantritt; die Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse war ebenfalls nicht neu, und auch die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Islamisierungspolitik waren seit langem sichtbar gewesen. Junejo und seine Regierung waren daher für diese Probleme allein nicht verantwortlich zu machen. In erster Linie war es Zia selbst, der mit seiner elfjährigen diktatorischen Herrschaft das Land dorthin gebracht hatte, wo es sich nun befand.
Die wirklichen Gründe für den Bruch mit Junejo liegen tiefer und sind in Differenzen in der Innen-und der Außenpolitik zu suchen In der Afghanistanfrage z. B. galt Zias offene Sympathie den am stärksten fundamentalistisch geprägten Gruppen unter den Mudschaheddin, deren Machtübernahme in Form einer Interimsregierung er befürwortete, noch bevor das geplante Genfer Abkommen unterzeichnet werden konnte. Was immer Zia zu dieser Haltung in der Afghanistanfrage bewogen haben mag, die pakistanische Armeeführung als Haupt-nutznießer der sowjetischen Invasion in Afghanistan hatte jedenfalls kein sonderliches Interesse an der Unterzeichnung eines Abkommens, das nicht ihren Interessen entsprach. Junejo vertrat dagegen die Auffassung, es liege im innen-wie im außenpolitischen Interesse Pakistans, eine baldige Lösung des Afghanistankonflikts herbeizuführen. Der dauernde Aufenthalt von über drei Millionen afghanischen Flüchtlingen in Pakistan und der zunehmende Drogen-und Waffenhandel verstärkten die bereits bestehenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Probleme, vor die das Land sich gestellt sah, erheblich.
Im Bereich der internationalen Beziehungen brachte die wachsende Verwicklung in den Afghanistankonflikt an der pakistanischen Westgrenze erhebliche Sicherheitsprobleme mit sich, zumal sich auch die Spannungen mit Indien zu militärischen Konfrontationen ausgewachsen hatten. Schließlich lag es angesichts der erklärten Absicht der USA und der UdSSR, ein für alle Seiten akzeptables Afghanistan-Abkommen zu schließen, im nationalen Interesse Pakistans am Prozeß der Konfliktlösung mitzuwirken, anstatt gegenzusteuern. Junejo ging noch einen Schritt weiter und berief vor der Unterzeichnung des Genfer Abkommens am 14. April 1988 eine Konferenz der Führungsspitzen aller großen politischen Parteien ein. Wie erwartet, sprachen sich alle Parteien für eine baldige Beilegung des Afghanistankonflikts aus und unterstützten damit die Zivilregierung darin, eigene Initiativen auf dem Feld der Außenpolitik zu ergreifen. Zia und sein enger militärischer Stab betrachteten dies als einen Versuch Junejos, seine demokratische Basis zu erweitern. Sie hatten darauf spekuliert, daß die einflußreichen lokalen konservativen Politiker, die 1985 gewählt worden waren, mit den Streitkräften eng zusammenarbeiten und sich deren Vorstellungen unterordnen würden. Doch das am 14. April in Genf unterzeichnete Abkommen setzte das Signal für eine stufenweise Aushöhlung der Macht der Armee im Bereich der Außenpolitik.
Zudem erregte die Untersuchung einer Explosion, die sich im Frühjahr 1988 im Ojhri-Munitionsdepot in der Nähe von Rawalpindi ereignet hatte, den Ärger des Militärs. Es liegen Beweise dafür vor, daß die Regierung Junejo den von den Militärs erstellten Bericht kategorisch zurückwies und beschloß, eine eigene Untersuchung durchzuführen. Der neue von einem Kabinettsausschuß erstellte Bericht machte das Militär für die Katastrophe verantwortlich. da die Lagerung hochexplosiver Waffen inmitten einer Großstadt grob fahrlässig gewesen sei, und empfahl die sofortige Entlassung der verantwortlichen Offiziere.
Die sich anbahnende Konfrontation zwischen Militärund Zivilregierung wurde des weiteren durch die wachsende Kritik am Verteidigungshaushalt angeheizt, der sich mittlerweile auf 34 Prozent der öffentlichen Ausgaben belief. Immer mehr Mitglieder der Nationalversammlung betrachteten diesen Etat als zu hoch. Offenbar hatte Junejo außerdem begonnen. die von der Militärbürokratie gewünschte Beförderung von Offizieren hinauszuzögern. Die Amtsenthebung von General Mujibur Rehman, des einflußreichen Staatssekretärs im Informationsministerium, und von Generalmajor Agha Nek Mohammad, des Chefs des Geheimdienstes, wurden als gezielte Versuche Junejos gewertet, den Einfluß des Militärs zurückzudrängen. Schließlich mag auch die Reise, die Junejo im Mai 1988 in vier asiatische Länder, einschließlich Südkoreas und den Philippinen. unternahm, vom Militär als ein Versuch verstanden worden sein, die Modalitäten eines Über-gangs von einer Militärherrschaft zu einer zivilen Regierung zu erproben.
Die Erklärung Zias anläßlich der Absetzung der Regierung Junejo am 29. Mai, daß innerhalb von 90 Tagen gemäß der Verfassung Neuwahlen stattfinden würden, nahm man in politischen Kreisen nicht sehr ernst. Kurz darauf jedoch trat Zia mit den Führern der religiösen und rechten Parteien in Konsultationen ein. um der wachsenden Popularität der Pakistan People’s Party (PPP), der Partei Benazir Bhuttos, ein konservatives Bündnis entgegenzusetzen. Zia zog darüber hinaus die Einführung des Verhältniswahlrechts in Erwägung, um einer Dominanz der PPP vorbeugen zu können, falls diese die absolute Mehrheit erlangen sollte.
Die militärischen Kreise um Zia und jene, die unter der autoritären Herrschaft Zulfikar Ali Bhuttos gelitten hatten, fürchteten einen Sieg der PPP. Mitglieder der Pakistan Moslem League (PML), die der Übergangsregierung angehörten, trugen Zia den Parteivorsitz an. Da die PML traditionell die Interessen der Feudalherren und der städtischen Konservativen in sich vereinigt, hätte Zias Eintritt in die Parteipolitik eine erhebliche Herausforderung für die anderen politischen Parteien, insbesondere für die PPP, bedeutet.
Zia erwog offensichtlich noch zwei weitere Optionen, um Zeit für eine Neuordnung der Politik nach seinen Vorstellungen zu gewinnen. Die eine Möglichkeit waren Wahlen ohne Parteienbasis wie im Jahre 1985 und — darauf folgend — die Gründung einer neuen Partei mit Hilfe der dann neu gewählten, parteilosen Abgeordneten, die ohne Schwierigkeit für Zia zu gewinnen gewesen wären, wie es sich schon nach der Wahl von 1985 gezeigt hatte Die zweite Möglichkeit wäre die Durchführung eines den allgemeinen Wahlen vorausgehenden Referendums gewesen, durch das ein Mandat für grundlegende Verfassungsänderungen hätte erlangt werden können. Auf diese Weise hätten die Parlamentswahlen — wenn auch unter Bruch der geltenden Verfassung — verschoben werden können.
III. Wahlbündnisse und Wahlergebnisse
Durch Zias plötzlichen Tod änderte sich die politische Landschaft vollständig. Bis dahin waren die Parteien nicht überzeugt gewesen, daß die für den 16. November 1988 angekündigten Wahlen tatsächlich stattfinden würden. Das Wahlfieber setzte erst ein, als der Oberste Gerichtshof am 2. Oktober 1988 auf Antrag Benazir Bhuttos die Wiederzulassang der politischen Parteien für Rechtens er-klärte Der amtierende Präsident sorgte zudem mit einem revidierten Wahlgesetz u. a. dafür, daß die Wahlen unter der Oberaufsicht der Justiz stattfinden würden.
Die Verwirrung in der parteipolitischen Landschaft war beträchtlich: Die Fraktionen der PML, die sich erst einige Wochen zuvor gespalten hatten, gaben Mitte Oktober ihren erneuten Zusammenschluß bekannt. Die politische Rechte strebte eine Erneuerung in der Islamic Democratic Alliance (IDA) an, zu der als wichtigste Gruppierung des islamischen Parteienspektrums auch die Jamaat-i-Islami gehörte. Als Gegenspieler von PML und IDA hatte sich die Movement for the Restoration of Democracy (MRD) organisiert, in der die von Benazir Bhutto geführte PPP die bedeutendste Formation darstellte.
In beiden Lagern gab es erhebliche Spannungen, die immer dann sichtbar wurden, wenn es um die Frage ging, wie die bei den Wahlen erhofften Parlamentssitze verteilt werden sollten So traten die Jamiat-i-Ulemai-Islam (JUI) und die Tehrik-i-Istiqlal der IDA erst bei. nachdem ihnen 33 Prozent der Sitze in den National-und Provinzparlamenten zugesichert worden waren. Auf der anderen Seite hatte Benazir Bhutto als Vorsitzende der PPP ihre Bereitschaft erklärt, verschiedene Minister Zias sowie Minister der Provinzregierungen und Mitglieder der National-und Provinzparlamente in ihre Reihen aufzunehmen. Dies führte zu ernsthaften Spannungen innerhalb der PPP, da alte Parteimitglieder und andere der MRD angeschlossene Parteien hierin eine Verletzung ihrer legitimen Rechte sahen.
Die Kandidatenliste der IDA setzte sich aus Groß-grundbesitzern. religiösen Führern, Oberhäuptern der Klans sowie aus Industriellen und hochrangigen Offizieren im Ruhestand zusammen, also aus Personengruppen, die bereits seit den Zeiten der Mogulherrschaft durch die Kollaboration mit den Herrschenden die Kommunalpolitik bestimmt bzw. mit den vorangegangenen Regierungen eng zusammengearbeitet hatten. In ihrem Wahlprogramm forderte die IDA insbesondere die weitere Islamisierung Pakistans und die Fortsetzung der Unterstützung der afghanischen Widerstandsbewegung.
Die Liste der Kandidaten der PPP unterschied sich erheblich von der für die Wahlen im Jahre 1970. als Intellektuelle, Arbeiter und Gewerkschafter fürdie PPP gegen die Großgrundbesitzer und die politische Rechte Partei ergriffen hatten. Je näher die Wahlen rückten und je mehr sich die Chancen für einen Sieg erhöhten, desto stärkeren Zulauf bekam die PPP von allen Seiten: In den ersten beiden Oktoberwochen erhielt die PPP-Führung 18 000 Anträge für die Besetzung der 600 Sitze in dem Nationalparlament und in den Provinzparlamenten, wobei sich eine ganze Anzahl von Parteineulingen aus Großgrundbesitzern, religiösen Führern, Klanoberhäuptern und Generälen a. D. rekrutierte. Auch Geld zur Unterstützung der Wahlkampagne der PPP floß nun reichlich.
Der veränderte Charakter der PPP war nicht zu übersehen. Die zum früheren Mitgliederstamm zählenden Arbeiter, Bauern, kleinen Geschäftsleute. Intellektuellen und Studenten, die unter Zias Regime am meisten gelitten hatten, fühlten sich in ihrem Anspruch, alle Kandidaten der PPP zu stellen, betrogen. Das Argument Benazir Bhuttos, daß es wenig nütze, die richtigen Leute zu nominieren und die Wahlen zu verlieren, überzeugte sie nicht; viele verließen die Partei. Selbst das Grundsatzprogramm der Partei erfuhr Veränderungen, um die Unterstützung möglichst großer Wählerschichten zu gewinnen. Den Wahlslogan ihres Vaters „Nahrung. Bekleidung und Behausung“ ließ Benazir Bhutto fallen, um damit den Eindruck linker Dominanz in der PPP zu zerstreuen. Zudem stellte sie ihre Angriffe auf das Militär ein und versprach, keine Rache für den Tod ihres Vaters mehr nehmen zu wollen. Der Geschäftswelt versicherte sie, daß das Privatunternehmen die beste Garantie für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sei. Des weiteren schwor sie dem Anti-Amerikanismus, der die PPP bis dahin beherrscht hatte, ab und forderte nun ebenfalls die Fortsetzung der Unterstützung für die Mudschaheddin und die afghanischen Flüchtlinge, bis diese nach einem befriedigenden Abkommen in ihr Land zurückkehren könnten.
Sich kurzfristig verändernde Bündnisse, wechselnde Loyalitäten sowie das Gerangel um Parlamentsitze erwiesen sich wieder einmal als ein beherrschendes, durchaus „normales“ Kennzeichen pakistanischer Politik. Die tatsächlichen Probleme des Landes blieben im Wahlkampf hingegen unbeachtet.
In mancher Hinsicht brachten die Wahlen unerwariete Ergebnisse. Die führenden Schichten mußten sich nach der Wahl ihr politisches Aus eingestehen. Von den insgesamt 27 an den Wahlen beteiligten Parteien konnten nur acht genügend Stimmen für eine parlamentarische Repräsentation gewinnen, wobei es bei dreien nur für einen einzigen Sitz langte. Die meisten Parteiführer der IDA verloren ihre Sitze, und die Kandidaten von bekannten Familien mit langer politischer Tradition wie die Soomros, Jatois, Bizanjos, Murris und Mengais erlitten allesamt Niederlagen. Auch die PPP — obwohl Populärste aller zur Wahl angetretenen Parteien — bekam diesen Trend zu spüren. So wurde z. B. in Rawalpindi der Generalsekretär der PPP, Ex-General Tikka Khan, von einem unbekannten jungen Mann überflügelt.
Die PPP gewann 92 der insgesamt 205 Sitze in der Nationalversammlung Die konservative Koalition der IDA folgte an zweiter Stelle mit nur 55 Sitzen. Eine weitere politische Überraschung war der Erfolg einer neuen Partei, der Mohajir Qaumi Movement (MQM), die auf Anhieb vor allem in den städtischen Gebieten der Provinz Sind 13 Sitze gewann. Auffallend war zudem, daß die neuen politischen Führungspersönlichkeiten — Bhutto (PPP), Altaf Hussain (MQM), Nawaz Sharif (IDA) — sämtlich nicht älter als Anfang 40 waren.
Eine vorläufige Wahlanalyse läßt einige aufschlußreiche Schlußfolgerungen zu. Der Trend zur Abwahl der traditionell etablierten Kandidaten verdeutlichte die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem bestehenden Regime. Zwar kam die Mehrheit der zur Wahl stehenden Kandidaten nach wie vor aus der Schicht der Feudalherren, die auf über 70 Prozent der ländlichen Bevölkerung beträchtlichen Einfluß ausüben, doch wurde die Stimmabgabe wo immer möglich zur Wahl unbedeutenderer Feudalherrn genutzt. Es wurden vor allem diejenigen Kandidaten gewählt, die unter der Diktatur Zias gelitten hatten. Weniger bekannte Kandidaten siegten dann, wenn ihre Gegenspieler in irgendeiner Weise mit der bisherigen Regierung in Verbindung gestanden hatten. So gewann z. B. in Lahore ein ehemaliger Studentenführer ohne aufwendige Kampagne gegen einen einflußreichen Kandidaten der IDA.
Die PPP konnte außer in der Provinz Sind, in der sie über eine starke Stammwählerschaft verfügte, nicht die Mehrheit der Stimmen erringen. Die Gründe dafür liegen wohl darin, daß die Partei ihr sozialistisch ausgerichtetes Wahlprogramm von 1970 durch ein vage formuliertes kapitalistisch orientiertes Dokument ersetzt hatte, das sich nur geringfügig vom Wahlprogramm der IDA unterschied. Auf der Kandidatenliste der PPP fanden sich ebenso viele Feudalherren wie aufder der IDA. Das Wahlergebnis widerlegte denn auch die zuvor aufgestellte Behauptung der PPP, daß sie bei freien Wahlen den Sieg davontragen würde.
Auch der Mythos, daß der Islam ein guter Wahlslogan sei, löste sich in Luft auf, obwohl eine Meinungsumfrage vor der Wahl Zias dem Islamisierungsprogramm einen hohen Stellenwert eingeräumt hatte. Das Wahlergebnis zeigte vielmehr eindeutig. daß die Bevölkerung jenen mißtraute, die meinten, die Religion zur Erhaltung von Machtpo-sitionen und Privilegien nutzen zu können. Die religiösen Parteien, die 1970 noch 21 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt hatten, erhielten diesmal nur wenige Sitze. Maulana Kausar Niazi, ein religiöser Führer, verlor z. B.seinen Sitz, obwohl er für die PPP kandidiert hatte. Die fundamentalistischste der religiösen Parteien, die Jamaat-i-Islami, die anfangs mit Zia zusammengearbeitet hatte, gewann nach elf Sitzen bei den Wahlen von 1985 nur noch ein einziges Mandat. Ein Grund für das Scheitern der IDA muß sicherlich auch darin gesehen werden. daß sie versucht hatte, die Frau und die Tochter von Zulfikar Ali Bhutto unter Berufung auf den Islam persönlich zu verunglimpfen.
Die Wahlen brachten mit der MQM eine neue politische Kraft zum Vorschein. Sie gewann auf Anhieb 13 der 15 Sitze in den Städten der Provinz Sind und wurde damit zum Zünglein an der Waage bei der Entscheidung, welche große politische Gruppierung die Macht in Islamabad übernehmen würde. Die Mitglieder dieser neuen Partei rekrutierten sich vorwiegend aus den in den städtischen Gebieten von Sind ansässigen Indienflüchtlingen der Jahre 1947/48, die sich von Sindis, Punjabis und Pathanen an den Rand gedrängt und diskriminiert fühlten. Insgesamt machten die Wahlen sehr deutlich, daß die Parteien — die PPP bis zu einem gewissen Maß ausgenommen — eher auf lokale, regionale und ethnische Fragen als auf die übergreifenden nationalen Probleme des Landes ausgerichtet gewesen waren.
Obwohl die Militärs und der Präsident die IDA bevorzugt hätten, wurde Benazir Bhutto — wenn auch mit einiger Verzögerung — am 2. Dezember 1988 als Ministerpräsidentin vereidigt. Damit steht zum ersten Mal eine Frau an der Spitze eines islamischen Staates. Vor allem aber hatte die Bevölkerung die These Zias widerlegt, daß der Islam und die Struktur der pakistanischen Gesellschaft keine Wahlen und Parteien im westlichen Sinne zulassen würden.
IV. Innenpolitische Probleme Pakistans
Zias Tod markierte das Ende einer langen politischen Phase, die als theologisch-militärische Diktatur bezeichnet werden kann. Zia hinterließ das Land in einem größeren politischen, religiösen, ethnischen und ökonomischen Chaos, als er es 1977 von Bhutto übernommen hatte. Während seiner diktatorischen Herrschaft verbot er die Parteien, brachte die Opposition mit repressiven Maßnahmen zum Schweigen und änderte willkürlich die Verfassung von 1973. um seine persönlichen Machtbefugnisse zu vergrößern. Offen äußerte er sein Mißtrauen gegenüber Politikern. In der Armee sah er seine Hauptwählerschaft und machte sie zum privilegiertesten Teil der pakistanischen Gesellschaft. Die Armeeangehörigen erhielten bessere Pensionen, bessere medizinische Versorgung, bessere Ausbildung für ihre Kinder. Offizieren wurden größere Flächen bewässertes Land und in den Städten billigere Grundstücke in günstiger Lage zugewiesen Sondergerichte unter dem Kriegsrecht verteidigten die Privilegien der Militärs. Die gesamte zivile Verwaltung, einschließlich der Justiz, war der Armee unterstellt. Zudem übernahmen immer mehr Offiziere gutbezahlte Ämter im gehobenen Staatsdienst. Zehn Prozent der gehobenen Beamtenstellen wurden von Zia für gediente und in den Ruhestand versetzte Offiziere reserviert.
Diese Durchdringung des gesamten nationalen Gefüges durch die Armee stellt das Land vor die zentrale politische Frage, welche Rolle die Armee bei der zukünftigen Gestaltung der Politik einnehmen wird. Die diesbezüglichen Befürchtungen haben sich zunächst nicht erfüllt. Die Wahlen, unterstützt von Entscheidungen der Justiz, sind vom Militär nicht behindert worden. Trotz starker Vorbehalte gegenüber Benazir Bhutto und der PPP bei Teilen der Armee, bei Großunternehmern und konservativen religiösen Gruppen wurde ihr die Bildung einer gewählten Regierung, die ihrem Vater 1977 vom Militär entrissen worden war, ermöglicht. Dennoch scheint Skepsis angebracht, ob das Militär sich tatsächlich aus der Politik zurückziehen wird, nachdem es 29 der insgesamt 41 Jahre des Staates Pakistan politisch bestimmt hat.
Bei der Unterdrückung der politischen Opposition wandte Zia nicht nur repressive Maßnahmen wie Verhaftung, öffentliche Auspeitschungen und Folter an, sondern verfolgte darüber hinaus eine Politik im Dienst partikularer Interessen, die die Spaltung der Gesellschaft aufgrund regionaler ethnischer, religiöser und sprachlicher Unterschiede verfestigte. Die Unruhen in der Provinz Sind im Jahr 1983, als friedliche Demonstrationen sich zu offener Rebellion gegen Zias Regime auswuchsen, ließen erkennen, daß grundlegende Probleme völlig vernachlässigt worden waren. Die fortgesetzte Zuteilung großer neu bewässerter Ländereien an pensionierte Militärangehörige aus dem Punjab sowie die Dominanz von Punjabis, Pathanen und Muhajirsin den städtischen Zentren wie Karatschi und Hyderabad schärften das Bewußtsein der Sindhis dafür. daß sie einem nationalen Kolonialismus ausgesetzt waren
Ein anderes innenpolitisches Problem stellen die ethnischen Unruhen dar, die unter Zia einen neuen Höhepunkt erreichten. Die Jahre 1986 und 1987 waren gekennzeichnet von schweren Gewaltausbrüchen in verschiedenen Städten Pakistans. Mehr als 1 000 Menschen wurden in dieser Zeit in Karatschi und Hyderabad getötet. Die Millionenstadt Karatschi wird zunehmend von militanten ethnischen Gruppen beherrscht, die über den blühenden Schwarzmarkt in Besitz von hochentwickelten, ursprünglich für die Mudschaheddin gedachten Waffen gekommen sind. Da die Polizei jeder Bestechung zugänglich ist, verfügt zudem auch die Drogenmafia über eigene bewaffnete Trupps.
Bei den Unruhen in Karatschi im Oktober 1988 war über die Hälfte des Geschäftsviertels ein Ausgehverbot verhängt worden. Die Handelskammer von Karatschi schätzt, daß allein diese Ausschreitungen die Regierung 1, 6 Mio. US-Dollar pro Tag kosteten, nicht eingerechnet die hohen Einbußen an Verbrauchs-und Umsatzsteuern sowie die Produktions-und Exportausfälle Ursache der Unruhen waren Zusammenstöße zwischen Pathanen (Migranten aus der Nordwestgrenzprovinz) und Afghanen mit den Muhajirs. Unter den Muhajirs war die Unzufriedenheit über das Quotensystem gewachsen, das die Anzahl der für sie vorgesehenen Beamtenstellen sowie die Anzahl der Plätze für ihre Kinder in den Bildungseinrichtungen beschnitt. Das Fehlen jeglicher Möglichkeit, sich politisch zu artikulieren, und wachsende Mißstände vergrößerten das Konfliktpotential und führten dazu, daß Tausende unschuldiger Menschen ihr Leben lassen mußten. Zwar hatten ethnische Spannungen bereits vor Zias Machtübernahme existiert, doch seine Afghanistanpolitik und die unter seiner Herrschaft die ganze Gesellschaft erfassende Korruption verliehen diesen Konflikten eine neue Dimension und neue Intensität, die die politische Zukunft Pakistans gefährden könnten.
Sektiererische Auseinandersetzungen um die Auslegung des Islam hat es seit der Entstehung Pakistans gegeben. Unter der politischen Prämisse der Islamisierung der Gesellschaft haben diese Konflikte zugenommen und den komplexen Problemen des Landes eine weitere Dimension hinzugefügt. Zias Verständnis des Islam war simpel, orthodox und einseitig. Ohne klar umrissene Idee von einem islamischen Staat hielt er die Fackel des konservativ-sunnitischen Islam hoch und befremdete damit die Schiiten, die 20 Prozent der pakistanischen Bevölkerung weltweiter stellen. Proteste führte Zia das islamische Strafrecht mit Praktiken wie öffentliche Auspeitschungen und der Amputation von Gliedmaßen ein. Besonders zu leiden hatten die Ahmadiyas, denen das Recht der freien Religionsausübung und das Leben als normale Bürger verweigert wurden. Das Fehlen jeglicher Legitimation versuchte Zia durch die sich selbst auferlegte Mission der Islamisierung aller gesellschaftlichen Bereiche wettzumachen und in eine emotionale Bestätigung seines Militärregimes durch die Bevölkerung zu verwandeln Tatsächlich aber benutzte er die Religion als autoritäres Instrument, um kritische Fragen verstummen zu lassen, Großgrundbesitzern und großen Geschäftsleuten uneingeschränkte Freiheit in der Ausbeutung der Massen zu gewähren und um uneingeschränkte Macht auszuüben. Zias Ablehnung der westlichen Demokratie ist nicht mit dem Geist des Islam zu erklären. Zwar setzten die Novemberwahlen dem Islamisierungsprogramm ein abruptes Ende, jedoch sind die dadurch heraufbeschworenen religiös-sektiererischen Spannungen im politischen Bereich auch weiterhin spürbar, da die verschiedenen Sekten verschiedene Volksstämme repräsentieren. Jede Regierung, die ein säkulares Programm des nationalen Wiederaufbaus durchsetzen möchte, wird von dieser Seite eine starke Opposition zu erwarten haben.
Teile der einheimischen Presse und gewisse internationale Beobachter haben Zia Frömmigkeit, Bescheidenheit und Ehrenhaftigkeit bescheinigt Demgegenüber ist festzustellen, daß die Korruption, die sich um Zia ausbreitete und zu einem normalen Bestandteil des täglichen Lebens wurde, von ihm tatenlos hingenommen wurde. Entgegen der von ihm beschworenen reinigenden geistigen Kraft des Islam begünstigte er die Durchdringung der pakistanischen Gesellschaft mit einem uneingeschränkten Materialismus
Die korrumpierte politische Kultur hat selbstverständlich auch im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung ihre Spuren hinterlassen. Das reale Bruttosozialprodukt wuchs zunächst seit 1977 jährlich um 6, 7 Prozent. Bei einem jährlichen Bevölkerungswachstum von drei Prozent betrug das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens 3, 4 Prozent. Die Inflationsrate lag seit 1986 unter fünf Prozent. Die Arbeitslosigkeit hielt sich aufgrund der Arbeitsemi-gration in den Nahen Osten in Grenzen. Allerdings basiert der wachsende Wohlstand der herrschenden Schichten auf Milliarden an Entwicklungshilfe, hohen Heimüberweisungen pakistanischer Arbeitnehmer im Ausland, den rechtswidrigen Gewinnen aus dem blühenden Drogen-und Waffenhandel und der weitverbreiteten Korruption Blickt man also hinter die Fassade des hohen Wachstums, so ist zu konstatieren, daß dieses nicht auf der Stärke eigener Kapitalakkumulation aufgrund von Ersparnissen und hoher Produktivität basiert und nicht von Dauer sein kann.
Die Heimüberweisungen aus dem Ausland sind mittlerweile um zehn Prozent jährlich gesunken. Auch der Heroinhandel Pakistans steht auf schwachen Füßen, da eine Bedingung der amerikanischen Unterstützung für Benazir Bhutto die Unterbindung dieses Handels gewesen ist. Zudem läßt sich im Kontext der Ost-West-Entspannung voraussagen, daß, wenn die Sowjets Afghanistan verlassen haben, die großzügige ausländische Unterstützung Pakistans als Frontstaat gegen den Kommunismus deutlich abnehmen wird. Die vorwiegend durch Baumwolle, Baumwollgarn und Baumwolltextilien erwirtschafteten Exporterlöse werden wahrscheinlich größeren Schwankungen auf den internationalen Märkten ausgesetzt sein. Seit Jahren hat Pakistan eine der niedrigsten Ersparnis-und Investitionsraten der Welt am Bruttosozialprodukt aufzuweisen. Als Zia 1977 die Macht übernahm, lag die Auslandsverschuldung bei 6, 5 Mrd. US-Dollar, heute beläuft sie sich auf 15 Mrd. US-Dollar. Bereits Anfang 1988 hatte Zias Finanzminister hierauf hingewiesen und die Einführung progressiver Einkommenssteuern vorgeschlagen. Die hohe Verschuldung erklärt sich primär aus einem großen Haushaltsdefizit, dem mit interner und externer Kreditaufnahme und Defizitfinanzierung als Reaktion auf die sich verschlechternde Zahlungsbilanzlage begegnet wurde. Zur Zeit werden 80 Prozent des laufenden Haushalts für Schuldendienst und Militär-ausgaben aufgewendet Es bleibt nichts für Entwicklungsvorhaben und Sozialausgaben übrig.
Schließlich haben sich auch die regionalen wirtschaftlichen Disparitäten unter Zias Herrschaft vergrößert und politische Reminiszenzen an die sechziger und siebziger Jahre geweckt, als dasselbe Phänomen die Ursache für die Abspaltung des damaligen Ostpakistan (Bangladesh) war. Sogar der offizielle Wirtschaftsbericht für 1987/88 gesteht ein, daß die Einkommensverteilung sowohl in der Stadt als auch auf dem Land sich im Vergleich zu 1960, als 22 Familien zwei Drittel des Besitzes kontrollierten, verschlechtert hat. Um die Konsequenzen dieser Entwicklung zu erkennen, genügt es, durch Karatschi zu gehen und die glitzernden Parties in Marmorimitationen des Weißen Hauses zu beobachten, während in den nahegelegenen Ghettos über drei Millionen Menschen ohne Wasser, Elektrizität und Kanalisation leben. Es mag sein, daß die Anzahl der reichen Familien von 22 im Jahre 1960 auf 22 000 im Jahre 1988 gestiegen ist, aber die breite Masse hat ihre Lebensbedingungen in all diesen Jahren nicht verbessern können
V. Außenpolitische Entwicklungen
Zias Außenpolitik beinhaltete drei große Ziele: Historische Hintergründe und geopolitische Zwänge machten die Sicherung der Grenzen zum obersten Ziel, so daß der Modernisierung der Streitkräfte ein hoher Stellenwert beigemessen wurde. Gegen den Nachbarn Indien hatte das Land drei Kriege ausgefochten. Afghanistan hatte die Grenzen zu Pakistan nie offiziell anerkannt, und die Konsolidierung eines sozialistischen Staates mit Unterstützung der Sowjetunion wäre ein weiterer Unsicherheitsfaktor gewesenI Die zweite Aufgabe der Außenpolitik wurde daher darin gesehen, eine solche Entwicklung zu verhindern. Als drittes sollte — nicht allein aus ideologischen Gründen, sondern auch aus offensichtlich ökonomischen Überlegungen — eine Intensivierung der freundschaftlichen Bindung an die islamischen Staaten im Mittleren Osten erreicht werden.
Mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan im Jahre 1979 ergab sich die Möglichkeit, diese Ziele zu verwirklichen. Die Beziehungen zu den USA erfuhren eine beispiellose Aufwertung, als Zia das amerikanische Engagement für Afghanistan zu seiner eigenen Sache machte. Er offerierte seine Hilfe für den Waffentransfer zu den Mudschaheddin und bezog sogar das Militär in die Ausbildung der Widerstandskämpfer und die Koordinierung ihrer Kampftätigkeit ein. Im Gegenzug erhielt Pakistan von den USA und von internationalen Institutionen Milliarden Dollars als Militär-und Wirtschaftshilfe. Auf Anraten der USA und aus Furcht vor den iranischen Fundamentalisten sowie einer sowjetischen Intervention finanzierten die Golfstaaten die pakistanischen Militärausgaben mit Milliardenbeträgen. Quasi über Nacht wurde Pakistan vom Westen zu einem Bollwerk gegen den Kommunismus aufgebaut — trotz der Menschenrechtsverletzungen und der diktatorischen Regierung des Landes.
Der plötzliche Tod Zias wird höchstwahrscheinlich einen Wandel dieser Konstellation nach sich ziehen. vor allem im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Pakistan und den USA. Erstens vermindert die neue Ära der Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den Supermächten unweigerlich die Bedeutung, die Pakistan von den USA beigemessen wird. Das bedeutet geringere Militär-und Wirtschaftshilfe für Pakistan. Es gibt bereits Überlegungen in Pakistan, alternative Sicherheitskonzepte zu entwickeln. In diesem Zusammenhang ist der Vorschlag General Begs zu erwähnen, wonach ein strategischer Konsens zwischen Pakistan, Afghanistan, Iran und der Türkei herzustellen sei, um so die Nordwestgrenze Pakistans zu sichern Zweitens ist anzumerken, daß Benazir Bhutto in den Wahlen zwar einen moderaten Ton gegenüber den USA angeschlagen und eine Fortsetzung der bisherigen außenpolitischen Orientierung Pakistans zugesichert hat. daß es aber in der PPP eine breite Ablehnung des asymmetrischen Verhältnisses zwischen beiden Ländern gibt. Selbst innerhalb der Armee ist eine starke Unzufriedenheit mit der Art der bestehenden Beziehungen spürbar. Unter den veränderten Verhältnissen werden sich alle diese Kräfte für einen Wandel der pakistanischen Außenpolitik gegenüber den USA stark machen. Allerdings hat letztlich der amerikanische Einfluß das Militär bereits so durchdrungen, daß es wie selbstverständlich die strategischen Interessen der USA vertritt. Welche dieser gegensätzlichen Tendenzen schließlich überwiegt, wird davon abhängen, wie sich das innenpolitische Tauziehen entscheidet zwi-schen den nationalistischen Kräften, die eine unabhängige Außenpolitik anstreben, und jenen, die ihre Interessen in den bestehenden Allianzen am besten vertreten sehen.
Die indisch-pakistanischen Beziehungen haben seit jeher im Mittelpunkt der Außenpolitik beider Länder gestanden. In den letzten 41 Jahren hat es dreimal Krieg zwischen ihnen gegeben, und zur Zeit stehen sich beide Armeen in einem unerklärten Krieg auf dem Siachin-Gletscher im Himalaya gegenüber. Die historische Bürde der Teilung des indo-pakistanischen Subkontinents und die ungelöste strittige Kaschmirfrage haben stets die Beziehungen zwischen beiden Ländern belastet. Als das kleinere und mit geringeren Ressourcen ausgestattete Land hat Pakistan immer nach Verbündeten Ausschau gehalten, um eine militärische Parität zu erreichen. Seit der Gründung Bangladeshs (des ehemaligen Ostpakistan), bei der das militärische Eingreifen Indiens eine entscheidende Rolle gespielt hat, versucht Pakistan, durch den Griff zur Ätomtechnologie seine Grenzen abzusichern. Zudem hat Indien durch die Zündung einer eigenen Atombombe im Jahre 1974 und durch die ständige Modernisierung seiner Streitkräfte die Sicherheitsbedürfnisse Pakistans noch vergrößert.
Mit seiner Außen-und Verteidigungspolitik trieb nun Zia seinerseits Indien in die Defensive. Mit amerikanischer Militärhilfe kaufte er kostspielige, hochtechnisierte Waffen und erwarb zugleich mit nationalen Finanzmitteln billig alte Systeme, die er modernisieren ließ. Ein Rüstungswettlauf und zunehmende Spannungen beherrschten den Subkontinent.
Die Folgen dieser Außenpolitik sind in diesem Beitrag an anderer Stelle erörtert worden. Pakistan hat für sie politisch, sozial und ökonomisch einen hohen Preis zu zahlen. Ihre langfristigen Folgen sind noch nicht abzusehen, zumal die politische Zukunft Afghanistans unklarer ist denn je.
VI. Enge Handlungsspielräume für Benazir Bhutto
Der Ausgang der November-Wahlen stellte für die rechtskonservativen Machthaber in Pakistan eine böse Überraschung dar. Bevor Benazir Bhutto am 2. Dezember als Ministerpräsidentin vereidigt wurde, ließ man zwei Wochen verstreichen, um der Opposition durch Stimmenkauf eine Mehrheitsbildung zu ermöglichen Obwohl es keine Alternative zu ihrer Partei gab, mußte sie in Verhandlungen über die Machtübernahme eintreten. Bhutto soll dabei u. a. akzeptiert haben, die derzeitige Afghanistanpolitik fortzuführen, den Waffentransfer zu den Mudschaheddin nicht zu behindern und den Anteil des Militäretats von 34 Prozent der öffentlichen Ausgaben nicht zu verringern Sie akzeptierte darüber hinaus die Bildung eines Nationalen Sicherheitsrates, zu dem außer dem Präsidenten und dem Ministerpräsidenten die Geheimdienst-chefs von Armee, Marine und Luftwaffe sowie die Regierungschefs der vier pakistanischen Provinzen gehören. Dies bedeutet eine Institutionalisierung der Funktion des Militärs in der Regierung. Dem Militär nahestehende Beobachter sind daher der Ansicht, daß Bhutto zwar das Regierungsamt, aber nicht die politische Macht übertragen worden ist. Zudem ist eine effiziente Regierungstätigkeit von der Unterstützung des Senats abhängig, dessen 87 Mitglieder mehrheitlich der PML, der größten Partei innerhalb der IDA, angehören. Kein Gesetz kann ohne die Zustimmung des Senats verabschiedet werden. Um Pakistan den Weg in die Demokratie zu ebnen, wäre eine auf eine Zweidrittelmehrheit gestützte Verfassungsänderung notwendig, damit die undemokratische Verformung der Verfassung durch Zia rückgängig gemacht werden könnte.
Der Handlungsspielraum der PPP im nationalen Parlament erfährt eine weitere Einschränkung dadurch, daß sie nur in einer der vier Provinzen, nämlich in Sind, die Mehrheit erzielt hat. Der Hauptrivale der PPP, Nawaz Sharif von der IDA, amtiert als Regierungschef der Provinz Punjab, aus deren Bevölkerung sich rund 90 Prozent des Militärs Pakistans rekrutiert.
Das größte innenpolitische Problem ist die politische Zersplitterung des Landes Es ist den politischen Parteien anzulasten, daß sie diese Pakistan seit seinem Bestehen kennzeichnende innere Aufspaltung nicht durch die Schaffung einer nationalen Identität aufzuheben vermochten. Durch seine Verdammung des Säkularismus trug Zia zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft bei, anstatt eine Brücke zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen zu bauen. Es ist schwer vorstellbar, daß
Benazir Bhutto unter den gegenwärtigen Zwängen eine auf nationalem Konsens beruhende Politik wird realisieren können.
Zudem hat Benazir Bhutto eine Vielzahl von wirtschaftlichen Problemen übernommen. Bislang haben sich die Wirtschaftspolitiker Pakistans vor allem auf gute Ernten, auf die Überweisungen pakistanischer Arbeitnehmer aus dem Ausland und auf großzügige Entwicklungshilfe verlassen, ohne sich mit regionalen Disparitäten und Einkommensverteilung zu befassen. Um das langsame Abgleiten des Landes in den Bankrott zu stoppen, gewährte der Internationale Währungsfonds kürzlich einen Kredit in Höhe von 1, 3 Mrd. US-Dollar, allerdings unter der Voraussetzung strikter Austeritätsbedingungen, von denen die Ärmsten am stärksten betroffen werden. Im Wahlkampf hat die PPP hohe Ausgaben im sozialen Bereich versprochen. Darüber hinaus beinhaltete das Wahlprogramm umfangreiche öffentliche Investitionen für die Schwerindustrie. Benazir Bhutto kann weder den Militärhaushalt kürzen noch die Feudalherren und die reichen Schichten höher besteuern, mit denen sie eine politische Allianz eingegangen ist. Die Steuerlast wird daher im wesentlichen von der breiten Bevölkerung getragen werden müssen. Damit sind die politischen Schwierigkeiten vorprogrammiert.
Um den Sicherheitsbedürfnissen des Landes gerecht zu werden, bedarf es einer Außenpolitik, die nicht auf partikulare oder fremde Interessen zugeschnitten ist. Pakistan kann es sich nicht leisten, lediglich als Spielball der Großmächte zu fungieren. Notwendig sind die Balance im Verhältnis zum Osten wie zum Westen und ein Interessenausgleich mit den Nachbarländern auf der Grundlage des Prinzips der Nichteinmischung. Eine solche Politik könnte Pakistan zu mehr Sympathie und den dringend benötigten Finanzmitteln aus dem Ausland verhelfen.