Europäischer Regionalismus und föderalistische Staatsstruktur Grundlagen — Erscheinungsformen — Zukunftsperspektiven
Rüdiger Voigt
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Zusammenfassung
In Europa gibt es zahlreiche Sprach-, Religions-und Volksgruppen, die in letzter Zeit verstärkt kulturelle Eigenständigkeit und oft auch territoriale Unabhängigkeit fordern. Das läßt die Frage nach den Ursachen und Folgen des Regionalismus für die europäische Politik akut werden. Dabei ist zum einen nach den Bezugspunkten und Abgrenzungskriterien für die regionale Ausdifferenzierung sowie nach dem Grad der Politisierung regionalistischer Bewegungen zu fragen. Zum anderen geht es um die Frage, welche Konzepte zur „Abfederung“ der zentrifugalen Kräfte, die sich im Regionalismus bemerkbar machen, in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft bereits erprobt sind und ob sie sich auf andere Länder Europas übertragen lassen. In diesem Zusammenhang verdient vor allem die föderalistische Staatsstruktur der Bundesrepublik Deutschland Beachtung, die als ungewöhnlich erfolgreich den Nachbarländern oft als Modell vorgestellt wird. Die sozio-kulturellen Unterschiede und die politischen Empfindlichkeiten in Europa lassen bei der Übertragung solcher Modelle allerdings Zurückhaltung geraten erscheinen.
Die Auseinandersetzungen um den Kosovo zwischen Jugoslawen serbischer und albanischer Abstammung machen erneut deutlich, daß es in Europa bis hin zum Ural erheblich mehr Sprach-, Religions-und Volksgruppen als Staaten gibt. Regionale Minderheiten kämpfen um ihr Recht auf kulturelle und — nicht zuletzt — territoriale Eigenständigkeit. Sogar bereits vergessen geglaubte Regionen wie die baltischen Länder, die mehr Autonomie von der sowjetischen Zentralgewalt fordern, melden sich im Zeichen eines neu erwachenden Selbstbewußtseins zu Wort.
Für die europäische Geschichte ist dies eigentlich ein vertrautes Bild, auch wenn diese Tatsache zuweilen — trotz Südtirol-, Basken-und Nordirland-Problematik — im öffentlichen Bewußtsein eher verdrängt wird. Offenbar gerät dieses Problem immer erst dann in den Blickpunkt, wenn spektakuläre Ereignisse — wie z. B.der Bombenterror der ETA oder der IRA — Schlagzeilen erzeugen. Für In vielen europäischen Staaten treten regionale Minderheiten hervor, die mehr oder weniger offen ihre Ansprüche (zumindest) auf mehr kulturelle Autonomie formulieren. Sie berufen sich dabei auf ihre sprachliche, religiöse, ethnische und/oder historische Eigenständigkeit. Im allgemeinen bleibt es allerdings nicht bei dem Wunsch nach eigenen Volksfesten oder bei der Gründung von Trachten-vereinen, sondern es geht um handfeste Forderungen nach besonderen Rechten innerhalb des Staates. Sobald ein solcher rechtlicher Sonderstatus von Gruppen zur Diskussion steht, muß jedoch zunächst das Problem objektiv nachprüfbarer Kriterien für die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Gruppe geklärt sein.
Auf den ersten Blick erscheint die Sprache als der plausibelste Anknüpfungspunkt Immerhin wur-die europäischen Politiker bedeutet der erstarkende Regionalismus hingegen eine Herausforderung, der sie sich stellen müssen, wenn die Bedeutung Europas in der Welt erhalten werden soll. Im Zeichen der fortschreitenden Integration innerhalb der Europäischen Gemeinschaft muß darüber nachgedacht werden, welche Rolle dabei die Regionen innerhalb und außerhalb der Mitgliedstaaten spielen sollen.
Vor diesem Hintergrund sollen im folgenden einige Überlegungen darüber angestellt werden, welche Besonderheiten der europäische, insbesondere der westeuropäische Regionalismus aufweist, welche Auswirkungen das Zusammentreffen von regionaler Differenzierung und Politisierung des Regionalismus hat — wobei Spanien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland als Beispiele dienen —, und schließlich, welche auf die Staatsstruktur bezogenen Folgerungen und Perspektiven sich daraus ergeben.
I. Merkmale des europäischen Regionalismus
Abbildung 6
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den auf dem Kontinent Europa insgesamt 67 Sprachen aber nur 32 Staaten registriert, wobei Varianten oder Dialekte einer Sprache auf regionaler oder gar auf lokaler Ebene nicht eingerechnet sind. Angesichts der Schwierigkeit, eigenständige Sprachen z. B. von Dialekten abzugrenzen, kann kaum in Erstaunen versetzen, daß das „Handbuch der europäischen Volksgruppen“ das allerdings aus gutem Grund sehr umstritten ist, sogar 90 verschiedene Sprachgruppen und Sprachinseln nennt. Aber nicht nur die Sprache, sondern auch andere kulturelle Merkmale — wie z. B. die Religion — führen* u. U. zu der Herausbildung einer eigenen Identität innerhalb einer Staatsnation. So zählt das „Handbuch der westeuropäischen Regionalbewegungen“ immerhin 41 verschiedene Minderheiten in Europa (siehe auch Abb. 1). Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, daß die Sprachen-und Minderheitenstatistik offenbar erhebliche Schwierigkeiten be-reitet, was nicht zuletzt damit zu erklären ist, daß hinter dem Streit um Sprache und Sprachzugehörigkeit oft handfeste politische Interessen stehen. Die Minderheitenproblematik begegnet uns in Europa — ebenso wie auf anderen Kontinenten — sowohl als innerstaatliches wie als internationales Problem. Vor allem für letzteres ist das Völkerrecht geschaffen worden, das — im Rahmen seiner Möglichkeiten — die kulturellen und politischen Rechte von Minderheiten zu schützen versucht. Ohne eine innerstaatliche Umsetzung dieser Rechte in einen praktikablen Minderheitenschutz — z. B. im Rahmen der Verfassung — ist jedoch wenig getan. Die Hilflosigkeit der Weltöffentlichkeit angesichts des Vernichtungsfeldzugs der irakischen Staatsführung gegen die Kurden hat dies wieder einmal schlaglichtartig deutlich gemacht.
Oft überschreiten auch in Europa — von Schwarzafrika ganz zu schweigen — die Siedlungsgebiete der Minderheiten Staatsgrenzen, und auch die Weltkriege haben in Europa neue Minderheitenprobleme geschaffen. So leben etwa die Friesen seit Jahrhunderten teils in Deutschland 4a), teils in Holland, während andere Volksgruppen erst nach dem Ersten bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Minorität im Nachbarland wurden. In allen diesen Fällen kommen im friedlichen Miteinander der Nationen zur Regelung der damit verbundenen Fragen Staatsverträge in Betracht. Dies setzt freilich ein gutnachbarliches Verhältnis der betroffenen Völker voraus.
Als vorbildlich können hier die nordeuropäischen Länder gelten, die nicht zufällig von militanten regionalistischen Aktionen weitgehend verschont geblieben sind. Die Regelung der Schleswig-Frage zwischen Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland und das Autonomiestatut der Insel Aland, das Schweden und Finnland verpflichtet, gelten weltweit als beispielhaft. Aber auch der besonderen Lage der Elsässer im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Deutschland kann im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft angemessen Rechnung getragen werden. Und selbst das Baskenproblem hat durch den Übergang Spaniens zur Demokratie im Jahre 1975 eine neue — hoffnunggebende — Dimension erlangt.
Nicht nur das Beispiel Südtirols zeigt allerdings, wie sehr die Sprachenfrage zu einem Problem der politischen Gewichtung werden kann, wenn der Son-derstatus der Region („Autonome Provinz Bozen-Südtirol“) von der Zahl der Menschen abhängt, die sich zu einer bestimmten, hier der deutschen, Sprachgruppe bekennen Tatsächlich scheint die Sprache ein besonders einfaches und sicheres Mittel zur Identifizierung von Minderheiten und eigenständigen kulturellen Traditionen zu sein. Je mehr Sprachen erkennbar werden und — wichtiger noch — je größer die Bevölkerungsgruppe ist, die sich zu dieser Sprache bekennt, desto stärker wächst auch der Anspruch auf Autonomie, wie immer diese schließlich auch beschaffen sein mag. Vor diesem Hintergrund erscheint es verständlicher, daß zuweilen — wie etwa in der österreichischen Slowenenfrage — Sprachzählungen abgelehnt oder die von den Regionalisten angegebenen Zahlen über die aktive Sprachbeherrschung — wie z. B. in Frankreich — allzuhoch bemessen werden. Denn mit der Größe der Sprachgruppe wächst auch das Machtpotential der regionalistischen Interessenvertreter.
Wo solche linguistischen Argumentationen nicht ausreichen — wie z. B. bei vielen bretonischen Regionalisten und dem kleinen Häuflein flämischer Regionalisten im nördlichen Frankreich —, muß die Geschichte zur Begründung herhalten. Es werden historische Grenzen beansprucht, auch dort, wo eine wechselvolle Geschichte Minderheiten mal dem einen, mal dem anderen Staat zugeordnet hat, lange bevor die Staatsnation zum beherrschenden Merkmal eines Staates wurde Der Ruf nach einer völligen „Neugliederung Europas bis hin zum Ural“ unter „historisch-ethnischen“ Gesichtspunkten ist dann — vor allem bei konservativen Volksgruppentheoretikern — rasch bei der Hand Es liegt nahe, daß sich auch und gerade hinter einer solchen Forderung handfeste politische Interessen verbergen, denn sie impliziert, daß eine Sicherung der kulturellen und politischen Rechte von Minderheiten nur durch Separatismus, also Herauslösen aus dem bisherigen Staatsverband, nicht aber innerhalb dieses Staatsverbandes, z. B. durch eine föderalistische Staatsstruktur, gesichert werden kann
II. Regionale Differenzierung und Politisierung des Regionalismus
Abbildung 7
Abbildung 1 Quelle: Rainer S. Elkar (Hrsg.), Europas unruhige Regionen, Stuttgart 1980.
Abbildung 1 Quelle: Rainer S. Elkar (Hrsg.), Europas unruhige Regionen, Stuttgart 1980.
Von Regionen und Regionalismus wurde und wird von Planem und Verwaltungsfachleuten oft in einem begrifflichen Zusammenhang gesprochen, der mit den hier diskutierten Problemen nur wenig gemeinsam hat. Es geht dabei um die Schaffung größerer Planungsräume — eine Überlegung, die im Zeichen des wirtschaftlichen „Zusammenwachsens“ Europas durchaus ihre Berechtigung hat. Dieser Bedeutungsgehalt von Region ist jedoch klar von dem sozio-kulturell bedingten Regionalismus zu unterscheiden, da eine hierauf beruhende „Regionalisierung“ kaum darauf gerichtet ist, regionale kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen, sondern in erster Linie die Planungsmöglichkeiten verbessern will. Das muß selbstverständlich auch bei der Beurteilung staatsstruktureller Reformvorhaben bedacht werden.
Faßt man nun die begrifflichen Konturen des auf diese Weise beschriebenen Regionalismus etwas genauer, dann zeigen sich bestimmte Charakteristika, denen im folgenden anhand einiger Beispiele nachgegangen werden soll. Als Indikatoren für die regionale Differenzierung werden dabei neben der Sprache auch die ökonomischen Verhältnisse und das Ausmaß der zutage tretenden Gewalt herangezogen. Daraus ergeben sich drei Folgerungen: — Erstens können regional verbreitete Sprachen kulturell eigenständige Regionen anzeigen, deren Bevölkerung zumindest potentiell nach Selbstverwirklichung strebt. — Zweitens können bestimmte Handlungsweisen, die aus regionalen Sozial-und Wirtschaftsverhältnissen hervorgehen, als Indikatoren für Regionalismus gelten; einen Überblick über die entsprechenden regionalen Unterschiede innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gibt die Abb. 2. — Drittens ist das Ausmaß an Gewalt ein unübersehbares Indiz für Autonomiebestrebungen, wenn es auch als zuverlässiger Gradmesser untauglich ist.
Betrachtet man — mit von Krosigk — den Regionalismus als Ausdruck der „wachsenden Politisierung des subnationalen territorialen Bezugsrahmens“, dann ergeben sich daraus drei Problemkomplexe, denen im folgenden anhand des spanischen, des französischen und des deutschen Beispiels nachgegangen werden soll:
— die Differenzierung und Varianzbreite des Regionalismus in seinem Bedingungsgefüge;
— die Eigentümlichkeiten und Auswirkungen staatlicher Dezentralisierungspolitik, und schließlich — die Ausprägungen einer föderalistischen Staats-struktur und ihre Funktionsvoraussetzungen. 1. Varianzbreite des Regionalismus — das Beispiel Spanien Als Beispiel für die Varianzbreite des Regionalismus soll hier Spanien dienen, das eine beträchtliche kulturelle Vielfalt aufweist. Die Einigung Spaniens unter einer Krone seit dem 15. Jahrhundert hat — begleitet von z. T. tiefgreifenden Auseinandersetzungen — eine Reihe von Staaten und staatsähnlichen Regionen zusammengeführt, deren Relikte bis heute nachwirken Dabei fällt besonders auf. daß die historischen Grenzen dieser Regionen nicht deckungsgleich mit den Sprachgrenzen sind und daß nicht alle Regionen über eine erkennbare eigene Sprachtradition verfügen. Dies läßt sich z. B. an den drei „historischen Nationalitäten“ zeigen, um die herum sozusagen das Regionalismuskonzept der spanischen Verfassung von 1978 entworfen wurde. Da eine Autonomie nur für Katalonien, Galizien und das Baskenland kaum mehrheitsfähig gewesen wäre, mußte das ganze Staatsgebiet in 17 sogenannte Autonome Gemeinschaften aufgeteilt werden.
Konzentriert man sich dabei auf die sprachliche Eigenständigkeit dann wird erkennbar, daß das Katalanische nicht nur in der Region Katalonien, sondern auch in der angrenzenden Region Pais Valenciano (Land Valencia) — insgesamt von etwa 24 Prozent der spanischen Bevölkerung — gesprochen wird. Es erweist sich zwar als dominierende, sicher beherrschte und überwiegend gebrauchte Sprache, allerdings fällt die Sprachintensität in südlicher Richtung deutlich ab. Demgegenüber ist das Galizische (etwa 7 Prozent) aufdie Region Galizien beschränkt. Auch wenn es sich gut zu behaupten vermag, so erreicht es doch nicht denselben Verbreitungsgrad wie das Katalanische. Deutlich fällt hingegen das Baskische (etwa 2, 5 Prozent) aus dieser Trias heraus. Es ist keine romanische Sprache; insofern sind die Hürden für eine Sprachassimilation erheblich höher. Die Zahl jener, die das Baskische nicht sprechen können, ist besonders hoch, die Anzahl jener, die es ohne Mühe anwenden können, ist besonders niedrig
Obgleich von einem Zusammenhang zwischen Sprache und Regionalbewußtsein ausgegangen werden muß, läßt ein Ergebnis aufhorchen, das spanische Untersuchungen zutage gefördert haben. Danach unterstützt zwar die linguistisch-kulturelle Differenz zur kastilischen „Staatssprache“ die Regionen in ihrer Identitätsfindung ebenso wie eine eigene territoriale Geschichte. Beides wirkt jedoch nicht gewissermaßen von selbst, sondern es wird von regionalen Eliten instrumentalisiert. Dabei kann es sich sowohl um intellektuelle Eliten als auch um traditionelle Eliten („Clans“) handeln. Hierzu gehört dann auch die parteipolitische Instrumentalisierung des Regionalismus durch regionale Parteien, die bis in die frühen achtziger Jahre die spanische Innenpolitik wesentlich mitbestimmt haben. Seit der Regierungsübernahme durch die Sozialisten scheint diese Tendenz jedoch — mit Ausnahme der baskischen Verhältnisse — überwunden zu sein, wenn einzelne regionalistische Splittergruppen 1986 auch ein politisches Comeback erlebt haben. Immerhin zeichnet sich unter dem Druck der zu bewältigenden Aufgaben eine Tendenz der regionalen Eliten zum Pragmatismus und zur Kooperation ab
Sicher lassen sich die am spanischen Beispiel gewonnenen Einsichten nicht ohne weiteres auf andere Staaten bzw. Regionen übertragen. Sie machen aber deutlich, daß die Politisierung von Regionen zum einen nicht immer und überall quasi naturwüchsig verläuft, sondern zumindest des Anstoßes sowie eventuell der Trägerschaft durch Eliten bedarf und sich zum anderen nur selten auf eine einzige Ursache zurückführen läßt. Vielmehr muß nach einem „Ursachenbündel“ gesucht werden, das dann auch bei jedem Versuch, die dem Regionalismus innewohnenden zentrifugalen Tendenzen durch staatsstrukturelle Lösungsmodelle aufzufangen, berücksichtigt werden sollte. 2. Dezentralisierungspolitik von oben — das Beispiel Frankreich Wurde in Spanien der Anspruch der Regionen — insbesondere der „historischen Nationalitäten“ — auf einen Sonderstatus innerhalb des Gesamtstaates eher von der Bevölkerung und ihren politischen Repräsentanten in den Regionen getragen, so handelt es sich bei der französischen Dezentralisierungspolitik um den exemplarischen Versuch einer Zentralregierung, quasi „von oben“ den Einwänden und dem Druck regionalistischer Politik zu begegnen und einen in Jahrhunderten zielstrebig ausgebauten Zentralismus schrittweise abzubauen.
Allerdings stellt sich der Regionalismus in Frankreich auch anders dar als etwa in Spanien. So war die Bedrohung einer eigenständigen Tradition in Sprache und Kultur in Frankreich kaum jemals Ausgangspunkt für die politisch relevanten regionalistischen Bewegungen, obgleich zumindest auf Korsika (74 Prozent) und im Elsaß (80 Prozent) ein großer Teil der Bevölkerung aktiv und passiv die eigene Sprache beherrscht Und auch das Ausmaß der Gewalt spielte hier als Gradmesser für die Intensität des Regionalismus nur unterschwellig eine Rolle. Ist für Spanien der Problemfall terroristischer Gewalt das Baskenland, so hat im französischen Staatsverband Korsika — wenn auch weniger krass — diese Rolle übernommen Es ist damit zugleich der Prüfstein für Erfolg oder Mißerfolg jeder Dezentralisierungspolitik in Frankreich.
Bereits General de Gaulle hatte 1969 einen Gesetz-entwurf vorgelegt, mit dem die Regionen zu rechts-fähigen Gebietskörperschaften werden sollten. Dieser Entwurf wurde jedoch in der Volksbefragung vom 27. April 1969, mit der de Gaulle sein politisches Schicksal verbunden hatte, abgelehnt. 1972 trat dann das von Pompidou initiierte Gesetz Nr. 72-619 über die Schaffung und Einrichtung von Regionen in Kraft, das allerdings weniger die Selbstbestimmung historisch gewachsener Regionen als vielmehr die regionalökonomisch motivierte Schaffung größerer Planungseinheiten zum Ziel hatte. Erst Mitterand, dem ersten sozialistischen Staatspräsidenten, war es vorbehalten, nach seinem Wahlsieg vom Mai 1981 eine weitreichende Dezentralisierung zu einem der wichtigsten Ziele seiner Amtszeit zu machen. Bei der Initiierung des Dezentralisierungsgesetzes vom 2. März 1982 ging es ihm vor allem um drei Komplexe
— Die kommunalen Instanzen sollten weitgehend von der bisher geübten Vorabkontrolle und von direkten Eingriffen der Zentralgewalt befreit werden — ein Vorhaben, das in deutscher Sicht wenig spektakulär erscheint, für Frankreich aber durchaus etwas Neues bot.
— Die Exekutivgewalt unterhalb der Staatsregierung sollte von den bislang durch die Pariser Zentrale eingesetzten „Beauftragten“ (Präfekten etc.) an die gewählten Präsidenten der jeweiligen parlamentarischen Gremien (z. B. „Conseil regional“) übergeben werden.
— Den kommunalen und regionalen Körperschaften sollte im Rahmen einer Umverteilung zwischen Staat und Gebietskörperschaften in sozialen und ökonomischen Angelegenheiten eine weitreichende Planungs-und Entscheidungskompetenz eingeräumt werden.
Für Korsika wurde hingegen am 2. März 1982 ein „Sonderstatut“ verkündet, durch das der Insel eine Reihe von zusätzlichen Rechten gewährt wurde.
Nach Abschluß der ersten Wahlperiode Mitterands und seiner Wiederwahl zum Präsidenten der Republik werden nunmehr einige typische Entwicklungen sichtbar, die der vom Präsidenten eingeleiteten und in Gesetzen normierten Dezentralisierungspolitik zuwiderlaufen:
— Die von der Vorstellung der Einheit und Unteilbarkeit der Republik ausgehende republikanische Tradition Frankreichs sieht im Regionalismus eine Bedrohung dieser Einheit; daß dies auch jetzt noch gilt, zeigt eine Meinungsumfrage, bei der Ende 1985 die befragten Franzosen mehrheitlich ein eigenständiges regionales Profil lediglich für die Bereiche Arbeitsmarktpolitik, Städte-und Wohnungsbau sowie Radio und Fernsehen befürworteten. — Insbesondere von der zentralen Bürokratie geht ein beträchtlicher Widerstand gegen die Dezentralisierungsmaßnahmen aus, der sich z. B. in Form von Verweigerungs-und Hinhaltetaktiken äußert. — Die Karrieremuster der Verwaltungsangehörigen, aber auch der Politiker, sind nach wie vor an der Zentrale orientiert, so daß es z. B. — anders als in Deutschland — in Frankreich noch immer schwerer ist, von der Provinz aus Karriere zu machen; allerdings hat die Attraktivität des Präfekten-amtes deutlich abgenommen. — Eine in sich geschlossene und die Dezentralisierung ergänzende Steuer-und Finanzreformfehlt bislang. Nach wie vor spielen die staatlichen Zuweisungen eine große Rolle, die jedoch traditionsgemäß eher zur Lenkung der Regionen als zur Sicherung ihrer Eigenständigkeit eingesetzt werden. Erst nach und nach werden bestimmte Steuereinnahmen — wie z. B. die Kraftfahrzeugsteuer — auf die Departements übertragen. 3. Föderalismus — das Beispiel Bundesrepublik Deutschland Anders als in Spanien und Frankreich, wo die Regionen z. T. bereits vor mehr als 500 Jahren zu einem einheitlichen Territorialstaat zusammengefaßt wurden, erstarkten die Regionen in Deutschland in derselben Zeit zu selbständigen Kleinstaaten. Die Entwicklung verlief also gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen. Sorgte in Frankreich eine konsequente Zentralisierungspolitik dafür, daß sich das wirtschaftliche, politische und geistige Leben auf eine Zentrale, auf Paris, hin ausrichtete, so entstanden in Deutschland zur gleichen Zeit viele kleine Zentren, aber eben keine Zentrale. Eine nationalstaatliche Einigung, wie sie 1871 im Fürstenbund des Deutschen Reichs entstand, mußte von diesem Polyzentrismus ausgehen. Auch heute noch spiegeln die kulturellen Besonderheiten der Bundesländer — nicht zuletzt die berühmtesten Universitäten — diese Entwicklung wider.
Im Verlauf des dreimaligen Neubeginns — 1871, 1919 und 1949 — war daher der deutsche Nationalstaat — lediglich unterbrochen von dem NS-Einheitsstaat — ein Bundesstaat. Da in der DDR 1952 die Länder abgeschafft und durch (unselbständige) Bezirke abgelöst worden sind, müssen sich die folgenden Überlegungen auf die föderalistische Staatsstruktur der Bundesrepublik Deutschland konzentrieren. Ihre Entwicklung hat in den vergangenen 40 Jahren gezeigt, daß es trotz aller Widerstände gelungen ist, einen Staat zu schaffen, in dem — anders als in sehr viel zentraler verwalteten Staaten wie etwa Spanien, Frankreich oder auch in Großbritannien — erstaunlich einheitliche Lebensbedingungen herrschen. Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt es zwar nach wie vor, auch auf wirtschaftlichem Gebiet, diese sind aber weit weniger gravierend als in anderen Staaten Europas. Insgesamt kann man feststellen, daß die Bundesrepublik — verglichen mit dem Kaiserreich und der Weimarer Republik — einen beachtenswerten Grad an Homogenität erreicht hat.der die Frage nach den Ursachen nahelegt.
Einer der wichtigsten Gründe hierfür liegt in der umfassenden Modernisierung der Bundesrepublik Deutschland, die früher eingesetzt hat und konsequenter durchgeführt wurde als in anderen Ländern. Die Schockreaktion der Deutschen auf die nationalsozialistischen Verbrechen und die Kriegs-niederlage schuf ein sozio-kulturelles Vakuum, das sich mit Hilfe des „American Way of Life“ zunächst — zumindest oberflächlich — füllen ließ. Als „Wirtschaftswunder“ ist die ökonomische Modernisierung Westdeutschlands in den Sprachschatz eingegangen. Später folgten die Modernisierung von Verwaltung und Bildungssystem. Beides ging nicht ohne schmerzhafte Anpassungsprobleme vonstatten, ließ sich aber in der bis zum Einzug der GRÜNEN in den Bundestag bestehenden stabilen Drei-Parteien-Landschaft der Bundesrepublik ohne systemgefährdende Krisen bewältigen. Dazu trug nicht zuletzt die föderalistische Staatsstruktur bei, die in Bund und Ländern unterschiedliche Koalitionen zuließ und damit den reibungslosen Wechsel von der einen zur anderen Regierungsführung ermöglichte.
Im Rahmen des föderalistischen Systems der Bundesrepublik haben dabei vor allem drei Ausgleichs-mechanismen eine Rolle gespielt, die im folgenden anhand von Beispielen vorgestellt werden sollen: der politische, der wirtschaftliche und der finanzielle Ausgleich. a) Politischer Ausgleich In einem Bundesstaat sind die Aufgabenbereiche und damit auch die Gesetzgebungskompetenzen traditionell zwischen Zentralstaat (Bund) und Gliedstaaten (Ländern) aufgeteilt. Angesichts starker Vereinheitlichungstendenzen im Gefolge der wirtschaftlichen Entwicklung hat diese durch die Verfassung ursprünglich vorgegebene Verteilung allerdings im Laufe der Zeit dazu geführt, daß in den Länderparlamenten nur noch wenig Bedeutsames entschieden wird. Die Länder schienen ihre politische Substanz zu verlieren, so daß das bundesstaatliche System als Ganzes in Gefahr geriet. Zwei Faktoren haben jedoch zu einer Kompensation dieses Machtverlusts der Länder geführt — Zum einen legt das Grundgesetz in Art. 30 fest, daß die Bundesgesetze in aller Regel durch die Länderverwaltungen in eigener Verantwortlichkeit ausgeführt werden müssen. Damit gibt die Bundesverfassung den Ländern eine entscheidend wichtige Funktion in die Hand und verbietet zugleich dem Bund fast ausnahmslos, eigene Verwaltungen einzurichten. Zurecht hat man daher auch vom deutschen Verwaltungsföderalismus gesprochen. — Zum anderen muß jedes Gesetz nicht nur eine Mehrheit im Bundestag, sondern auch im Bundesrat finden. Sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages direkt gewählte Repräsentanten des (bundes-) deutschen Volkes, so sitzen im Bundesrat die Vertreter der Landesregierungen, die darüber entscheiden, ob sie einem Gesetz zustimmen wollen oder nicht. Mit einem Stimmenblock zwischen drei (z. B. Bremen) und fünf Stimmen (z. B. Nordrhein-Westfalen) können die Länder mehrheitlich das Zustandekommen von sogenannten Zustimmungsgesetzen ganz verhindern, das Inkrafttreten von sogenannten Einspruchsgesetzen immerhin — unter Umständen erheblich — verzögern. Da Bundestag und Bundesrat in ihren parteipolitischen Mehrheiten durchaus voneinander abweichen können, besteht ein Zwang zum politischen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen, zu einem Kompromiß, der z. B. unter Zuhilfenahme des Vermittlungsausschusses Zustandekommen kann. b) Wirtschaftlicher Ausgleich Allzu krasse ökonomische Unterschiede zwischen den Teilen eines Bundesstaates führen zu im allgemeinen nicht erwünschten Wanderungsbewegungen. Es kommt zu Betriebsverlagerungen und zum Umzug qualifizierter Arbeitskräfte in wirtschaftlich attraktivere Regionen. Damit nimmt aber die Attraktivität ohnehin bereits benachteiligter Standorte weiter ab und ihre Chancen im Wettbewerb um die Ansiedlung begehrter Industriebetriebe werden geringer. Denn so, wie Staaten im internationalen Rahmen um die Ansiedlung von Unternehmen konkurrieren, tun dies auch die Bundesländer — und die Kommunen — im nationalen Rahmen. Dabei ist die Entscheidung darüber, ob etwa ein berühmter Elektronikkonzem sein Domizil schließlich in Baden-Württemberg oder in Nordrhein-Westfalen aufschlägt, nicht nur von wirtschaftlicher, sondern auch von politischer Bedeutung. Der Standort wird zur Prestigefrage für die beteiligten Landesregierungen.
Das Grundgesetz hält verschiedene Instrumente zum Abbau des Wohlstandsgefälles bereit, die einzeln oder kombiniert eingesetzt werden können. Wichtigstes regionalpolitisches Mittel ist die soge-nannte Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (Art. 91 a GG). Obgleich solche Gemeinschaftsaufgaben eigentlich nicht in das ursprünglich vorgesehene Konzept strikter bundesstaatlicher Aufgabenteilung passen. haben sie inzwischen doch auch aus der Sicht überzeugter Föderalisten ihre Bewährungsprobe bestanden. Insbesondere die regionale Wirtschaftsstrukturverbesserung trägt wesentlich dazu bei, unser bundesstaatliches System zu erhalten.
Das gesamte Bundesgebiet wird nach bestimmten Kriterien — etwa dem Pro-Kopf-Einkommen — in Gebietseinheiten aufgeteilt, die als mehr oder weniger förderungswürdig eingestuft werden. Entsprechend der festgelegten Förderungswürdigkeit werden dann an die benachteiligten „Regionen“ aus einem besonderen Fonds Mittel zur Standortverbesserung ausgeschüttet. Über die Vergabe entscheidet ein Planungsausschuß, der paritätisch aus Vertretern der Bundesregierung und aller Landes-regierungen zusammengesetzt ist und finanzielle Beschlüsse nur mit Zweidrittelmehrheit fassen kann. Weder der Bund noch die Länder insgesamt können also überstimmt werden; allerdings muß das einzelne Land die Mitentscheidung der anderen Länder in quasi eigenen Angelegenheiten hinnehmen.
Der Planungsausschuß stellt einen Rahmenplan auf, durch den die Zielvorstellungen festgeschrieben werden, während die Detailplanung dem betroffenen Land überlassen bleibt. In der Praxis ist der verbleibende Entscheidungsspielraum des Landes aber nicht sehr groß, so daß die Gemeinschaftsaufgaben — ähnlich wie die sogenannte Mischfinanzierung — zumindest zeitweilig außerordentlich umstritten waren. Vor allem in der Zeit der sozialüberalen Bundesregierung gaben sie ständig Anlaß zum Streit zwischen dem Bund und einzelnen Ländern, insbesondere dem Freistaat Bayern, der zeitweilig sogar ihre Abschaffung im Rahmen einer Verfassungsänderung forderte. c) Fiskalischer Ausgleich Eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen funktionsfähigen Föderalismus ist die sachgerechte Verteilung der Steuerquellen zwischen Bund und Ländern um dem grundsätzlich gleichwertigen Anspruch von Zentralstaat und Gliedstaaten auf Finanzierung ihrer Aufgaben gerecht werden zu können. Dementsprechend sieht das Grundgesetz ein ausgeklügeltes Verteilungssystem vor, das die Steuern teils nach dem Trennprinzip, teils nach dem Verbundsystem Bund und Ländern sowie — im Rahmen der Verfassung nach Maßgabe der Landes-gesetzgebung — den Kommunen zuweist. Gemessen an ihrer unterschiedlichen Wirtschafts-und Finanzkraft gibt es jedoch auch nach dieser Vertei-lung relativ „arme“ und relativ „reiche“ Länder in der Bundesrepublik Deutschland, so daß ein deutliches Wohlstandsgefälle zwischen den Bundesländern erkennbar wird. Ist ein Bundesland aber „arm“, hat es also eine niedrigere Finanzkraft, dann hat das natürlich Auswirkungen auf seine Leistungsfähigkeit. Es kann dann z. B. weniger Schulen oder Landstraßen bauen als das Nachbarland. Nach dem Willen des Grundgesetzes sollen aber alle Länder ihre Aufgaben — zumindest annähernd — gleich erfüllen können. Es muß also zu einem Ausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern kommen, der verständlicherweise Ausgangspunkt ständiger Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern einerseits sowie zwischen den Ländern andererseits ist.
Das Grundgesetz sieht in diesem Zusammenhang zwei Arten von Ausgleich vor, einen horizontalen und einen vertikalen Finanzausgleich. Findet der Ausgleich zwischen den Ländern auf gleicher Ebene — also horizontal — statt, so verteilt im anderen Fall der Bund — in vertikaler Richtung — bestimmte (Ergänzungs-) Zuweisungen an finanz-schwache Länder (Art. 107 GG), mit deren Hilfe ihre Finanzkraft auf fast 95 Prozent der bundes-durchschnittlichen Steuereinnahmen pro Einwohner angehoben wird. Probleme ergeben sich daraus, daß das gesamte Volumen des horizontalen Finanz-ausgleichs von drei Bundesländern aufgebracht wird, von denen Baden-Württemberg bei weitem die Hauptlast trägt. Es ist also kaum verwunderlich, daß gerade diese Ausgleichsregelungen in jüngster Zeit Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung waren, weil sich neben Baden-Württemberg vor allem auch Nordrhein-Westfalen benachteiligt fühlte. Es hatte jahrelang in den Länderfinanzausgleich eingezahlt und sieht sich nun mit den besonderen Kohle-und Stahllasten, die es zu tragen hat, von Bund und Ländern im Stich gelassen.
Betrachtet man vor dem Hintergrund der europäischen und nordamerikanischen Erfahrungen die Zusammenhänge zwischen Regionalismus und Föderalismus, dann läßt sich zunächst feststellen, daß in Ländern mit einer gewachsenen föderalistischen Staatsstruktur regionalistische Bewegungen zu den Ausnahmeerscheinungen gehören. Sie treten allenfalls dann auf. wenn die föderalistische Gliederung insbesondere Sprachgruppen nicht ausreichend berücksichtigt, wie z. B. bei der Ausgliederung des Kantons Jura aus dem Kanton Bern Das könnte — umgekehrt — den Schluß nahelegen, daß der Föderalismus auch dort ein geeignetes Struktur-prinzip staatlicher Ordnung sein könnte, wo er bisher keine Tradition hatte. Er würde sich dann als Möglichkeit zur Kanalisierung von Autonomiebestrebungen anbieten, die andernfalls auf eine Loslösung aus dem Staatsverband (Separatismus) zielen würden. Vor dem — naheliegenden — Gedanken an einen „Export“ des deutschen Modells in andere europäische Länder als Lösungsmuster für regionalistische Probleme muß jedoch gewarnt werden. Die politische Kulturforschung hat vielmehr gezeigt. daß die Unterschiede in den einzelnen Län-dem Europas viel zu groß sind, als daß sich „Patentlösungen“ realisieren ließen
Bereits die Beschäftigung mit dem westeuropäischen Regionalismus läßt die Vielfalt der Erscheinungsformen des Regionalismus erkennen: Nord-iren, Schotten und Waliser, Flamen und Wallonen, Bretonen, Okzitaner und Korsen, Basken, Galizier und Katalanen, Südtiroler, Elsässer und andere haben vor allem eines gemeinsam: Sie fordern mehr kulturelle und z. T. auch territoriale Eigenständigkeit. Sowohl in den Erscheinungsformen als auch in der Trägerschaft der regionalistischen Bewegungen unterscheiden sie sich jedoch zum Teil ganz erheblich. So sind in Okzitanien eher kleine Intellektuellenzirkel die Träger der Bewegung, in Schottland, Katalonien und Südtirol könnte man von politischen Parteien traditionellen Typs sprechen während in Nordirland, im Baskenland und auf Korsika militante Organisationen zu dominieren scheinen. Aus der Analyse der drei Beispielfälle Spanien, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland lassen sich einige Schlußfolgerungen ziehen, die im folgenden kurz skizziert werden sollen:
— Die regionalistischen Bewegungen lassen sich, zumindest in Westeuropa, unter politikwissen-schaftlichen Gesichtspunkten in eine Typologie einordnen, die aus den Koordinaten „Programmatik“ und „Politische Reichweite“ gebildet werden Die Ergebnisse eines solchen Typisierungsversuches zeigt die nachfolgende Übersicht. — Die komplexen Motiv-und Bedürfnisstrukturen innerhalb von Regionen müssen nicht nur im zwischenstaatlichen Bereich — z. B. durch das Völkerrecht — ernst genommen, sondern auch im innerstaatlichen Bereich angemessen in der Staats-struktur berücksichtigt werden. Eine eigene Sprache und eine eigene Tradition einer Minderheit bzw. einer Region sind dabei wichtige Indizien für das Bedürfnis nach kultureller — und unter Umständen darüber hinaus auch nach territorialer — Eigenständigkeit. Zur politischen Forderung nach Autonomie führt ein erstarkendes Regionalbewußtsein aber im allgemeinen erst dann, wenn es durch intellektuelle oder traditionelle Eliten instru mentalisiert wird. Der Versuch, z. B. durch Umformung der Staatsstruktur Gewaltanwendung zu verhindern, kann allerdings nur dann Erfolg haben, wenn es gelingt, auch die sozio-ökonomischen Ursachen für das Ausbrechen von Gewalt abzubauen. — In dem Spannungsverhältnis zwischen Zentrale und Peripherie ist ein gewisses Maß an Dezentralisierung offenbar unverzichtbar, um die zentrifugalen Kräfte aufzufangen. Der Föderalismus kann hierfür die geeignete Staatsstruktur sein, um den Prozeß der Dezentralisierung „abzufedern“; er ist jedoch kein Allheilmittel. Vielmehr müssen bestimmte gesellschaftliche und wirtschaftliche Grundvoraussetzungen vorliegen, um einen föderalistischen Staatsverband erfolgreich werden bzw. bleiben zu lassen. Die Erfahrung mit den Bundesstaaten Europas und. Nordamerikas lehrt, daß geB meinsame Sprache und Literatur, Geschichte und Religion zwar nicht absolut unverzichtbare, aber doch wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg des Föderalismus sind. Fehlen die sprachlichen und religiösen Gemeinsamkeiten — wie z. B. in der Schweiz, in Kanada oder in Jugoslawien —, dann muß ihre einheitsstiftende Kraft durch andere Mittel ersetzt werden. Das kann eine Bedrohung von außen sein, gelegentlich ist es auch eine charismatische Persönlichkeit (Marschall Tito), die den Bundesstaat zusammenhält.
Auf die Dauer kann der Föderalismus aber nur dort Bestand haben, wo er einen angemessenen Ausgleich der politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Interessen ermöglicht. Allerdings reicht hierfür nicht eine einmalige Anstrengung aus, vielmehr handelt es sich um eine Aufgabe, die sich allen Beteiligten ständig neu stellt. Die Verfassung stellt mit der in ihr vorgeschriebenen Staatsstruktur hierfür lediglich den institutioneilen Rahmen zur Verfügung, die Realisierung bleibt hingegen den Menschen überlassen.
Rüdiger Voigt. Dr. jur., geb. 1941; seit 1981 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Siegen und Vorsitzender des Forschungsschwerpunktes „Historische Mobilität und Normenwandel“. Veröffentlichungen u. a.: Das System des kommunalen Finanzausgleichs. Grundprobleme und Reformvorschläge, Stuttgart 1980; Föderalismus — Modell für ein vereintes Europa, in: R. S. Elkar (Hrsg.), Europas unruhige Regionen, Stuttgart 1981; (Hrsg.) Handwörterbuch zur Kommunalpolitik, Opladen 1984; Nordrhein-Westfalen. Eine politische Landeskunde, Stuttgart 1984; (Hrsg.) Gastarbeiter zwischen Integration und Remigration, Bamberg 1988.
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