Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kanzlerprinzip und Regierungstechnik im Vergleich: Adenauers Nachfolger | APuZ 1-2/1989 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 1-2/1989 Orientierungsprobleme freiheitlicher Demokratie in Deutschland Adenauers Kanzlerdemokratie und Regierungstechnik Artikel 1 Kanzlerprinzip und Regierungstechnik im Vergleich: Adenauers Nachfolger

Kanzlerprinzip und Regierungstechnik im Vergleich: Adenauers Nachfolger

Peter Haungs

/ 35 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ist die „Kanzlerdemokratie" ein spezifisches Merkmal der Ära Adenauer oder ein generelles Merkmal des Regierungssystems der Bundesrepublik — vergleichbar mit der starken Stellung des Regierungschefs in anderen westlichen Demokratien? In der Literatur sind beide Sichtweisen anzutreffen, neuerdings wird auch die Frage aufgeworfen, ob sich in der Bundesrepublik nicht seit der Ära Adenauer die Bedingungen politischer Führung geändert haben. Solche Entwicklungen werden nicht bestritten, doch ist daraus nicht der Schluß zu ziehen, die Kanzler-demokratie in der Bundesrepublik sei „historisch überholt“. Man braucht die Besonderheiten der verschiedenen Kanzler und der politischen Konstellationen während ihrer Amtszeit nicht in Abrede zu stellen und kann trotzdem die „Kanzlerdemokratie“ für ein generelles Merkmal des Regierungssystems in der Bundesrepublik (neben anderen) halten, dessen Dominanz freilich variierte. Dies wird für Adenauers Nachfolger -Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl -im einzelnen dargestellt, wobei sowohl Spezifika der jeweiligen Kanzlerschaft als auch strukturelle Übereinstimmungen analysiert werden.

I. Varianten der Kanzlerdemokratie

Der Begriff der „Kanzlerdemokratie“ ist zu Beginn der Ära Adenauer aufgekommen und durch sie geprägt Zunächst wurde er überwiegend kritisch verstanden: als ein aus deutschen obrigkeitsstaatlichen Traditionen resultierendes „spezifisches System“, „das sich deutlich von anderen westlichen Demokratien unterscheidet“ Zumal die in den fünfziger Jahren befürchtete „Atrophie der demokratischen Institutionen“ in der Bundesrepublik nicht eingetreten ist — diese sich vielmehr zu einer „normalen“ westlichen Demokratie (mit spezifischen Stärken und Schwächen wie die anderen auch) entwickelt hat —, ist die Sicht der Kanzler-demokratie inzwischen freundlicher geworden, gilt sie geradezu als erstrebenswerte Ausprägung parlamentarischer Regierungsweise, der nur leider der amtierende Kanzler nicht gerecht zu werden vermöge

Wolfgang Jäger hat neuerdings gar die Frage aufgeworfen, ob sich nicht seit der Ära Adenauer „unabhängig von der jeweiligen Persönlichkeit des Amtsinhabers ... die Bedingungen der politischen Führung geändert“ haben Darauf wird in diesem Beitrag einzugehen sein, wobei die Erörterung auf die Alternative hinausläuft, ob die „Kanzlerdemokratie“ als spezifisches Merkmal der Ära Adenauer oder als genereller Strukturaspekt des Regierungssystems der Bundesrepublik zu gelten hat

Ich möchte mich nun der Frage zuwenden, ob und in welcher Weise die Kanzlerdemokratie auch in den 25 Jahren nach dem Ausscheiden Adenauers als Kanzler — also zwischen 1963 und heute — Bestand hatte. Dabei werde ich so vorgehen, daß ich zunächst (I.) die Kanzlerschaft derfünfNachfolger Adenauers porträtiere, wobei die Persönlichkeit der Bundeskanzler sowie Besonderheiten ihrer Regierungszeit im Vordergrund stehen sollen. Danach werde ich (II.) auf Fragen der Regierungstechnik eingehen und mich schließlich (III.) mit generellen Entwicklungstendenzen und Problemen des Regierungssystems beschäftigen.

Die beiden Nachfolger Adenauers, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger, waren nur recht kurze Zeit — jeweils etwa drei Jahre — im Amt; schon deshalb und auch aus anderen Gründen ist nicht zu erwarten, daß sie der Kanzlerdemokratie eine bestimmte Form zu geben vermochten.

Erhard hielt kaum jemand für einen geeigneten Bundeskanzler im regierungstechnischen Sinne. Johannes Gross prägte seinerzeit die daraufgemünzte Formulierung, Erhards Kanzleramtschef und enger Berater Ludger Westrick sei der „Premierminister des Kanzlers“ gewesen Solange Erhard jedoch als „Wahllokomotive“ Erfolg hatte — das war insbesondere bei der Bundestagswahl von 1965 der Fall — konnte er seine sonstigen Schwächen kompensieren. Wie indessen der rapide Ansehensverlust nach dieser Wahl zeigte — eine ähnliche Entwicklung trat nach der Bundestagswahl von 1972 ein —, war diese Basis nur für sehr begrenzte Zeit tragfähig.

Erhards Intentionen und die Regierungspraxis des durch den erbitterten „Kampf ums Kanzleramt“ Zermürbten klafften in vieler Hinsicht auseinander. Vor dem Hintergrund des strengen Kabinettsregiments Adenauers wurde in der Öffentlichkeit wohlwollend aufgenommen, daß Erhard dort mehr Kollegialität in Aussicht stellte; doch wurde daraus kein praktikabler Regierungsstil. Erhard verstand sich als „Volkskanzler“ — eine Selbstverständlichkeit in dem Sinne, daßjeder Bundeskanzler Anhänger über seine Partei hinaus zu gewinnen sucht und auch tatsächlich gewonnen hat. Die Basis in der eigenen Partei wird deshalb freilich nicht unwichtiger — dafür ging Erhard jedoch das Verständnis ab. In der Tat scheint eine „zwiespältige Einstellung zur Politik“ sein Handeln bestimmt zu haben: „der Mitteilungs-und Wirkungswille des zur Missionierung der Allgemeinheit Entschlossenen einerseits, die Verständnislosigkeit für politische Tatsachen andererseits“, wie es Günter Gaus 1965 formulierte Erhard dachte in wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Kategorien, während er der traditionellen Machtpolitik fremd gegenüberstand, ja eine „gewisse Verachtung der Politik schlechthin“ an den Tag legte.

Erhard hatte als einziger Bundeskanzler kein Verhältnis zu seiner Partei, wie er überhaupt „kein Verhältnis zur existierenden Parteiendemokratie“ hatte. So strebte er zunächst den Parteivorsitz, der von Adenauer auch nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler beibehalten wurde, gar nicht an. übernahm ihn aber schließlich doch noch — wenige Monate vor dem Ende seiner Kanzlerschaft. Erhards Anti-Parteien-und Anti-Verbände-Affekt trug im übrigen durchaus zu seiner Volkstümlichkeit bei: Der Fachmann mit überparteilicher Attitüde findet nicht nur in Deutschland Anklang, wie das Beispiel Raymond Barres zeigt Da Erhard zunächst eine geradezu enthusiastische Presse hatte — wohl nicht zuletzt eine Reaktion auf das gespannte Verhältnis seines Vorgängers den Medien gegenüber —, hätte vielleicht schon die Möglichkeit bestanden, sich durch das Fernsehen über Parteien und Interessenverbände hinweg direkt an das Volk zu wenden, wie dies General de Gaulle — unter freilich wesentlich anderen Voraussetzungen — in Frankreich praktizierte. Die damalige Konvergenz von SPD und CDU/CSU hätte eine solche Personalisierung noch begünstigt. Erhard hat von dieser Möglichkeit aber nicht ernsthaft Gebrauch gemacht, hat sie wohl nicht einmal als Versuchung empfunden.

Kurt Georg Kiesinger „hat sein Amt mit der Ausstrahlungskraft seiner überragenden Persönlichkeit ausgefüllt“ Angesichts der Kräfteverhältnisse in der Großen Koalition, diesem Regierungsbündnis zweier annähernd gleich starker Parteien, blieb ihm freilich kein großer Spielraum; er hatte im wesentlichen eine Koordinierungsaufgabe wahrzunehmen, was er mit Geduld, Geschick und Eleganz tat. Neben dem Kabinett bestanden zwei Nebenregierungen: der „Kreßbronner Kreis“ und vor allem die eng kooperierenden und gut harmonierenden beiden Fraktionsvorsitzenden, Rainer Barzel und Helmut Schmidt Es fiel den Unionsparteien schwer, sich auf die veränderte Situation einzustellen, daß sie zwar — ihrem Selbstverständnis entsprechend — weiterhin den Kanzler stellten, daß dieser aber als Kanzler einer Großen Koalition kaum als Parteiführer hervortreten konnte, sondern deren „Wortführer“ sein mußte. Da die Koalition wichtige Probleme, deren Lösung auf ihrem Programm stand, erfolgreich bewältigte, kann Kiesinger durchaus als erfolgreicher Bundeskanzler gelten, dessen „Bonus“ seiner Partei bei der Bundestagswahl 1969 zugute kam Die sozial-liberale Koalition regierte etwa ebenso lange wie Adenauers „bürgerliche Koalition“; allerdings amtierten während dieser Zeit zwei Bundeskanzler: Willy Brandt fünf Jahre und Helmut Schmidt acht Jahre. Während es den Unionsparteien schwer fiel, sich mit der ungewohnten Oppositionsrolle abzufinden, hatte die SPD keine Schwierigkeiten, sich zum ersten Mal mit der Rolle der Hauptregierungspartei zu identifizieren. Obwohl beträchtliche Teile der APO nach 1969 zur SPD stießen, ergaben sich daraus in der sozial-liberalen Aufbruchstimmung zunächst keine Probleme für die Funktionswahrnehmung einer Regierungspartei. Willy Brandt wurde von seiner Partei ähnlich vorbehaltlos unterstützt wie Adenauer durch CDU und CSU in den fünfziger Jahren, wenn es ihm auch bereits 1973 nicht mehr gelang, „die Jungsozialisten zur Rücksicht auf seine Person und Regierung zu bewegen“ Außerdem hielten viele Intellektuelle Brandt wie keinem seiner Vorgänger und Nachfolger die „Versöhnung“ von Geist und Macht und vor allem auch von Macht und Moral zugute. Die Verleihung des Friedensnobelpreises trug noch dazu bei. daß Brandt im Wahlkampf 1972 in der Tat „von seinen Anhängern geradezu als Heiliger verehrt wurde“, wie Wolfgang Jäger formuliert hat

In die Startphase der sozial-liberalen Koalition fiel auch ein beträchtlicher Ausbau der Planungskapazität im Bundeskanzleramt. Diese Aktivitäten hatten aber letztlich kaum einen Effekt sie scheiterten vor allem an der Beharrungskraft der Ressorts — zu denjenigen, die sich Ehmkes Dynamik widersetzten, gehörte insbesondere der damalige Bundesminister Schmidt — und an mangelnder politischer Unterstützung durch Brandt selbst, der zunächst durch die Außenpolitik absorbiert war, aber auch nach 1972 kein sonderliches Interesse für den Ausbau des Planungsinstrumentariums wie überhaupt für Fragen der Regierungstechnik zeigte. Mit Ehmke, Frau Focke und Jochimsen verließen 1972 „die drei Promotoren institutionalisierter und organisierter Koordinationsplanung“ das Kanzler-amt, die neue Mannschaft entsprach zwar mehr dem eher kontemplativen Temperament Brandts, harmonierte aber nicht miteinander; insbesondere war der neue Amtschef Horst Grabert seiner Aufgabe nicht gewachsen Als nach Abschluß der Verhandlungen und Ratifizierung der Ostverträge die Innenpolitik und namentlich die von der sozialliberalen Koalition angekündigten „inneren Reformen“ auf der Tagesordnung standen, hatten sich der Elan der Regierung und die Führungskraft des Kanzlers offenbar erschöpft. Persönliche Probleme und schließlich vor allem wirtschaftliche Schwierigkeiten kamen hinzu und tragen zur Erklärung bei, warum Brandt und seine Regierungskoalition ihren großen Erfolg bei der Bundestagswahl von 1972 nicht nutzen konnten.

Brandts Resignation und die Übernahme der Kanzlerschaft durch Helmut Schmidt sowie die Ablösung Walter Scheels durch Hans Dietrich Genscher markieren 1974 einen deutlichen Einschnitt der sozialliberalen Koalition, deren Anfangsträume nun endgültig verflogen waren. Arnulf Baring meinte sogar: „Der Stimmungs-und Richtungsumschwung im Lande lag irgendwo zwischen 1972 und 1974, nicht 1982. Die Kombination Schmidt-Genscher bedeutete von Anfang an einen Trend zur Vorsicht, die Wende zu einer im wesentlichen konservierenden Politik, einer Politik zur Sicherung des Erreichten“. Damit wollte sich der linke Flügel der SPD, der in einigen Großstädten und Parteibezirken über die Delegiertenmehrheit verfügte, nicht abfinden. Der zweite sozialdemokratische Bundeskanzler mußte gegen eine wachsende innerparteiliche Opposition ankämpfen.

Helmut Schmidt ist nicht nur der Bundeskanzler mit der nach Adenauer längsten Amtszeit, sondern zweifellos auch derjenige, der bisher neben Adenauer die Vorstellung von der Bundesrepublik als einer Kanzlerdemokratie am nachhaltigsten prägte. Schmidt hatte zwar in der eigenen Partei einen schwereren Stand als Adenauer und sah sich — anders als dieser — durch eine oppositionelle Bundesratsmehrheit eingeengt. Diese politische Rolle des Bundesrats war ein Thema der öffentlichen Auseinandersetzung, die ihren Höhepunkt im Wahljahr 1976 erreichte.

Ende der siebziger Jahre entlud sich auch die Spannung zwischen dem Bundesverfassungsgericht — das von der Opposition immer wieder bemüht wurde und dieser in mehreren spektakulären Entscheidungen Recht gab — und der Bundesregierung, als in einer Podiumsdiskussion der Evangelischen Akademie Tutzing am 1. Oktober 1978 Bundeskanzler Schmidt und Verfassungspräsident Benda aneinandergerieten. Hingegen konnte sich Schmidt bis zum Ende seiner Kanzlerschaft aufeine überwiegend positive Resonanz in den Massenmedien stützen, in denen (namentlich im Fernsehen) er sich glänzend darzustellen vermochte, während Adenauers Verhältnis zu den Massenmedien aus „wechselseitiger Antipathie“ bestanden hatte. Bereits seit 1970 war Schmidt der populärste deutsche Politiker, der auch bei Unionswählem beträchtliches Ansehen genoß; den Höhepunkt seines (auch internationalen) Renommees erreichte er nach Mogadischu im Herbst 1977

Schmidts effizienter und intensiver Arbeitsstil weist manche Gemeinsamkeiten mit Adenauer auf. Charakteristisch scheint mir die Tatsache zu sein, daß Schmidts Kanzleramtschef Schüler wohl am ehesten von allen Nachfolgern Globkes den Vergleich mit diesem aushält. Eine andere Gemeinsamkeit zwischen Schmidt und Adenauer besteht darin, daß sich beide regelmäßig mit Repräsentanten der Wirtschaft — im Falle Schmidts sind es vor allem Gewerkschaftsführer, aber auch Manager großer Banken und Industrieunternehmen — berieten. Diese regelmäßigen Konferenzen mit Verbandsführem wurden von Schmidt geradezu institutionalisiert und zu dieser Zeit dann als Indiz für „neokorporatistische“ Tendenzen interpretiert Schließlich dominierte Schmidt das Kabinett ähnlich wie Adenauer, wenn er auch der FDP, die mit dem Außen-, Innen-und Wirtschaftsministerium immerhin über drei der bedeutendsten Ressorts verfügte, wohl mehr Konzessionen machen mußte als Adenauer. „Nebenkanzler“ aus den eigenen Reihen, wie sie Brandt insbesondere mit Karl Schiller und Helmut Schmidt in seinen Regierungen hatte, gab es in Schmidts Kabinetten jedoch nicht. „Hinter der Kulisse des perfekten Kanzlerbildes verbarg sich allerdings eine durchaus ambivalente Realität.“ Darauf hat Wolfgang Jäger mit Recht hingewiesen: „Die Konsens-Politik Schmidts ließ nämlich nur eine Politik der kleinsten Schritte zu. Die großen Zukunftsaufgaben — man denke an die Ökologie oder die Rentenfinanzierung — wurden gar nicht angepackt . .

Kohls sechsjährige Amtszeit als Bundeskanzler übertrifft bereits jetzt diejenige Brandts, und am Ende der gegenwärtigen Legislaturperiode wird er voraussichtlich mit Schmidt gleichgezogen haben, also der nach Adenauer am längsten amtierende Kanzler der Bundesrepublik sein. (Dessen Amtszeit als CDU-Parteivorsitzender [1950— 1966] hat Kohl [seit 1973] fast schon erreicht.) Das Argument, seine Amtszeit sei für ein zuverlässiges Urteil noch zu kurz, ist also schon heute nicht mehr stichhaltig.

Mit Kohl übernahm ein „Politiker neuen Typs“ die Regierungsführung in der Bundesrepublik. Er ist mit einer „in . bürgerlichen* Parteien außergewöhnlichen. inzwischen freilich auch hier üblich gewordenen Intensität und Selbstverständlichkeit Parteipolitiker“ Obwohl Erhards Hypothek, verglichen mit den „anhaltenden Herabsetzungen, die Helmut Kohl über sich hatte ergehen lassen müssen“, nach Alfred Grossers Urteil „eher gering“ war sind die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Amtsführung als durchaus günstig zu bezeichnen, insbesondere der starke Rückhalt in der eigenen Partei, der sich durch den Erfolg von Kohls riskanter Strategie beim Regierungswechsel von 1982/83 noch gefestigt hatte, und die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Allerdings dürften die Koordinationsprobleme zwischen Bund und Ländern schwieriger geworden sein und hat sich das Selbstbewußtsein der CDU-Regierungschefs in den Ländern während der Oppositionsperiode der Partei auf Bundesebene noch gekräftigt zumal sie auch im Parteipräsidium der CDU — diesem neben den Koalitionsrunden besonders wichtigen Entscheidungsgremium der gegenwärtigen Bundesregierung — vertreten sind, muß der Bundeskanzler ihre Vorstellungen und Interessen berücksichtigen. Erinnern die genannten Rahmenbedingungen an die Ära Adenauer — mit einer wesentlichen Modifikation: dem veränderten Verhältnis von CDU und CSU —, so sind hinsichtlich des Arbeitsstils und der eng damit zusammenhängenden Arbeitsweise des Kanzleramtes Unterschiede festzustellen. In dieser Hinsicht dürften sich Adenauer und Schmidt nähergestanden haben als Adenauer und Kohl, was etwa weniger Förmlichkeit und Systematik, Abneigung gegen Aktenstudium oder die Zusammenarbeit mit Beamten angeht Die Bedeutung dieser Eigentümlichkeiten sollte man freilich nicht überschätzen, gilt Kohl doch als gut informiert. Auch erwies sich der Wechsel in der Leitung des Kanzler-amtes, zu der sich Kohl im November 1984 entschließen mußte, als wirksame Maßnahme: Wolfgang Schäuble stand als ehemaligem Fraktionsgeschäftsführer der CDU/CSU der zweckmäßigere Arbeitsstil zu Gebote, und er war mit der Bonner Szene besser vertraut als sein Vorgänger. Seither verfügt Kohl in der Tat über ein „geräuschlos funktionierendes Koordinations-Scharnier der Bundesregierung, das an die Amtszeiten von Hans Globke und Manfred Schüler erinnert“ Im Sommer 1988 kam es indessen zu Schwierigkeiten mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die mehrfach gefordert hat, stärker in den politischen Entscheidungsprozeß einbezogen zu werden

Zeitweilig geriet Kohl in eine problematische Konkurrenz mit dem Bundespräsidenten, die in dieser Form wohl einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik war: „In Kohls Kanzlerdemokratie wird der Präsident zu einer politischen Kraft“, konnte man 1985 in der Presse lesen In der Tat kam es zu einem für Kohl ungünstigen Kontrast zwischen dessen Unvermögen, seine Person und die Prinzipien seiner Politik — namentlich kn Fernsehen — überzeugend darzustellen, und von Weizsäckers moralischem Prestige und (modischen Tendenzen durchaus Tribut zollenden) rhetorischem Geschick. Nachdem sich diese problematische politische Konkurrenz inzwischen wieder abgeschwächt hat, kann man freilich den gegenwärtigen Bundespräsidenten als ähnlich glückliche Ergänzung des Bundeskanzlers ansehen, wie sie es Heuss für Adenauer gewesen ist

Die Popularität der Regierungskoalition und namentlich des Bundeskanzlers konnte weder vor noch nach der Bundestagswahl von 1987 mit ihrer durchaus ansehnlichen Leistungsbilanz Schritt halten. Sowohl 1985/86 wie 1988 war das „Halbzeittief* besonders ausgeprägt -Der traditionelle „Kanzlerbonus“ blieb Kohl bisher versagt: Noch unmittelbar vor der Bundestagswahl von 1987 entschieden sich auf die Frage nach dem bevorzugten Kanzler 46, 2 Prozent für den SPD-Kanzlerkandidaten Rau und nur 45, 7 Prozent für Kohl, den amtierenden Kanzler Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungskoalition sowie auch die „Strategiedebatte“ innerhalb der Unionsparteien dürften zu dieser Diskrepanz erheblich beigetragen haben Dennoch konnte sich die Regierungskoalition bei der Bundestagswahl selbst behaupten

Es bleibt abzuwarten, wie der Tod von Franz Josef Strauß im Oktober 1988 sich auf die Position des Bundeskanzlers, das Verhältnis von CDU und CSU, die Gewichtsverteilung in der Regierungskoalition und deren Resonanz bei der Wählerschaft auswirken wird. Eine Verschärfung der Integrationsprobleme am rechten Rand des politischen Spektrums sowie Verluste der FDP sind ebenso vorstellbar wie ein freundlicheres und konstruktive-res „Betriebsklima“ innerhalb der Regierungskoalition sowie eine weniger angefochtene Stellung des Bundeskanzlers, die sich insgesamt positiv auf das Ansehen der Regierung auswirken könnten.

II. Aspekte der Regierungstechnik

Zielte die bisherige Darstellung auf Besonderheiten — seien sie in der Persönlichkeit der verschiedenen Bundeskanzler oder in der spezifischen politischen Konstellation begründet —, so möchte ich mich nun der Frage nach strukturellen Übereinstimmungen zuwenden. Von ihrer Existenz und ihrem Umfang hängt ab, ob „Kanzlerdemokratie“ als spezifisches Merkmal der Ära Adenauer anzusehen ist oder ob sie ein durchgängiges Strukturelement des Regierungssystems der Bundesrepublik darstellt.

Durch Kontinuität gekennzeichnet sind zunächst einmal die rechtlichen und institutioneilen Voraussetzungen der Kanzlerdemokratie. Die Artikel des Grundgesetzes, die eine starke Stellung der Regierung und namentlich des Regierungschefs ermöglichen, gelten seit 1949 unverändert. Einzelne Bestimmungen — wie die bezeichnenderweise niemals praktizierten Regelungen für die Kanzlerwahl in Artikel 63, Absatz 3 und 4, und auch das in Artikel 67 verankerte konstruktive Mißtrauensvotum — sind freilich auf ein Vielparteiensystem mit obstruktiven Flügelparteien zugeschnitten, wie es in der Weimarer Republik existiert hat, in der Bundesrepublik aber in dieser Form nicht wiedererstanden ist bzw. spätestens bei der Bundestagswahl von 1953 zu bestehen aufgehört hat.

Umschreibt man die Funktion der Verfassungsbestimmungen (mit der Smend’schen Formel) als „Anregung und Schranke“, so erwies sich vor allem das Ressortprinzip als „Schranke“ für die Gestaltungsmöglichkeiten des Regierungschefs, während das Kabinettsprinzip kaum jemals größere Bedeutung erlangte Weitere — zumindest zeitweise noch wirksamere — Schranken sind das Bundesverfassungsgericht und der Bundesrat.

Die Regierungsfähigkeit jedes Bundeskanzlers hängt wesentlich von dem Instrumentarium ab, das ihm zur Verfügung steht, sowie von seinem Willen und seinem Vermögen, sich dieses Instrumentariums zu bedienen, wie Wilhelm Hennis bereits in den sechziger Jahren gebührend hervorgehoben hat

Auch das Instrumentarium ist seit Beginn der Bundesrepublik das gleiche geblieben: an erster Stelle das Bundeskanzleramt, während das Presse-und Informationsamt der Bundesregierung größere politische Bedeutung wohl nur in der Anfangsphase der Ära Adenauer hatte (auch weiterhin gehörten freilich die jeweiligen Amtschefs in ihrer gleichzeitigen Eigenschaft als Sprecher der Bundesregierung fast immer zum engeren Beraterkreis des Bundeskanzlers) und über die Leistungsfähigkeit der Geheimdienste zuverlässige Angaben fehlen.

Das Bundeskanzleramt hat sich seit der Ära Adenauer personell erheblich ausgeweitet, wobei der größte Zuwachs zu Beginn der sozial-liberalen Koalition zu verzeichnen war, verursacht vor allem durch die damalige Planungseuphorie. Auch seine Leitungsebene ist vielfältiger geworden Man wird kaum sagen können, daß das Bundeskanzleramt durch seine Vergrößerung zu einem effektiveren Instrument des Bundeskanzlers geworden ist — die gegenteilige Vermutung ist wahrscheinlicher. Die Vergrößerung des Kanzleramtes entspricht der Ausweitung der Ministerien, die eines Gegengewichts bedurfte Dieser Notwendigkeit wurde man sich bereits in Erhards Regierungszeit bewußt; sie führte dann zuerst während der Großen Koalition zu entsprechenden Maßnahmen Der Aufbau einer Planungsabteilung im Bundeskanzleramt, der zu Beginn der sozial-liberalen Koalition forciert wurde, litt — von persönlichen und taktischen Ungeschicklichkeiten abgesehen — darunter, daß er auf einer unzureichenden Analyse der Funktionsbedingungen eines solchen Planungssystems beruhte. Zudem korrespondierte mit der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt der Auf-bzw. Ausbau von Planungsabteilungen in den Ressorts, so daß letztlich keine größere Steuerungskapazität des Bundeskanzleramtes erreicht wurde. Nach dem Regierungswechsel im Oktober 1982 wurde die Planungsabteilung im Rahmen einer Umgliederung des Bundeskanzleramtes aufgelöst, nachdem sie allerdings bereits in der Ära Schmidt fast jegliche politische Bedeutung verloren hatte.

Die Bedeutung des Amtes für die außenpolitischen Aktivitäten des Bundeskanzlers hat sich freilich kaum geändert, wenn sich auch die Autonomie des Auswärtigen Amtes seit 1961 in zunehmendem Maße gefestigt hat, zumal seit Mitte der sechziger Jahre in die außenpolitische Kompetenzverteilung „ein doppeltes Spannungsverhältnis eingebaut (ist): zum einen zwischen Bundeskanzler und Ressortminister und zum anderen zwischen den Koalitionsparteien“ Dennoch ist heute jeder Regierungschef und insbesondere — angesichts der geographischen und wirtschaftlichen Situation der Bundesrepublik — jeder Kanzler mit Außenpolitik befaßt, selbstverständlich auch der gegenwärtige: Helmut Kohl wurde im Sommer 1985 zwar bescheinigt, daß er „weder von Wirtschaftspolitik noch von Außenpolitik etwas versteht“ in derselben Zeitung war jedoch etwa zur gleichen Zeit von einer „Amerikanisierung der Verhältnisse“ in Bonn die Rede: „Gemeint ist damit die Rollenverteilung zwischen Kanzleramt/White House und Auswärtigem Amt/State Department. Gemeint ist die Interessenaufteilung zwischen operativen Machern um den Präsidenten/Kanzler und den auf Kontinuität drängenden Pragmatikern Genscher/Shultz . . ." Und nach dem Durchbruch zum europäischen Binnenmarkt unter maßgeblicher Beteiligung Kohls und seiner Moskau-Reise liest man wiederum in derselben Zeitung: „Der Außenpolitiker Kohl hat sich eindrucksvoll in Szene gesetzt und Hans-Dietrich Genscher . . . fast in eine Nebenrolle gedrängt“

— was etwas heißen will, hat doch nach Helga Haftendoms kompetentem Urteil „seit den Zeiten von Außenminister Schröder in der Regierung Erhard . . . ein Außenminister nicht mehr eine solch starke Position innegehabt, wie dies bei Außenminister und Vizekanzler Genscher der Fall ist“

Von Adenauers besten Zeiten einmal abgesehen, als es ein Auswärtiges Amt noch nicht gab, es von Adenauer mitgeleitet oder kontrolliert wurde, spielte das Kanzleramt — insbesondere Egon Bahr als „Kopf und Herz der neuen, sozial-liberalen Ost-politik“ — vor allem während der ersten Regierung der sozial-liberalen Koalition, aber auch weiterhin eine maßgebliche Rolle, beispielsweise bei der politischen Vorbereitung des Europäischen Währungssystems während der Kanzlerschaft Helmut Schmidts Mit Außenpolitik ist zwar jeder Bundeskanzler befaßt, und für jeden gilt auch, daß internationale Anerkennung seine innenpolitische Position zu stärken pflegt. Adenauer verstand es zudem geschickt, durch Konzentration auf die Außenpolitik die Angriffsflächen seiner Amtsführung zu verringern Darin dürfte auch eine besondere Eignung derAußenpolitik als Domäne des Kanzlers liegen: Gegen den Ressortegoismus, der in der Innenpolitik zu dominieren pflegt, vermag auch ein starker Bundeskanzler wenig auszurichten

Zu den permanenten Faktoren des Regierungssystems gehört auch die föderalistische Struktur sowie die Verfassungsgerichtsbarkeit, namentlich in Gestalt des Bundesverfassungsgerichts: Mögen diese Faktoren auch zur Zeit der sozial-liberalen Koalition stärker ins öffentliche Bewußtsein getreten sein, so stellten sie doch bereits auch für Adenauer unbequeme und unliebsame Begrenzungen seines Handlungsspielraums dar Es genügt, an die Opposition der Länder gegen seine Fernsehpläne und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Angelegenheit vom Februar 1961 zu erinnern! Zudem läßt sich das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesländern am Ende der Ära Adenauer nur als notorisch schlecht bezeichnen: Für eine Reihe wesentlicher Probleme konnten über Jahre hinweg keine akzeptablen Lösungen gefunden werden

Zu den durch Kontinuität charakterisierten Strukturen ist schließlich — zumindest seit Mitte der fünfziger Jahre — das Parteiensystem zu rechnen mit seiner Konzentration auf zwei große Parteien (CDU/CSU und SPD) und wenige kleinere (FDP, Deutsche Partei bis 1961, Grüne seit 1983). Alle bisherigen Bundesregierungen beruhten auf — recht stabilen — parlamentarischen Koalitionen. Wenn sich auch das Verständnis von Koalitionspolitik gewandelt hat — Adenauers raffinierte Bedenkenlosigkeit in der Ausnutzung innerer Gegensätze von Koalitionsparteien fand keine Fortsetzung, seit 1969 wurden Koalitionen als auf längere Zeit angelegte Bündnisse abgeschlossen —, galten von Anfang an bis heute bestimmte Spielregeln, die wohl — ähnlich wie die Geschäftsordnung des Bundestags — Konventionen der Weimarer Republik beibehielten. Zu diesen Spielregeln gehört insbesondere, daß die Besetzung der in den Verhandlungen über die Regierungsbildung festgelegten Kabinetts-sitze den Koalitionsparteien obliegt; auch die CSU war in diesem Sinne bereits in der Ära Adenauer Koalitionspartei Insofern stellt auch eine Einrichtung wie der „jour fixe“ in der bayerischen Staatskanzlei, dieses monatliche Treffen der Bundesminister aus den Reihen der CSU sowie des Vorsitzenden der Bonner CSU-Landesgruppe mit einigen Mitgliedern des bayerischen Kabinetts und weiteren bayerischen Landespolitikern, keine prinzipielle Neuerung dar, wenn er auch mit Recht wegen des Sonderstatus von Strauß, der zudem als einziger Parteivorsitzender nicht dem Kabinett angehörte, und wegen seiner Rivalität mit dem Bundeskanzler besondere Beachtung fand.

Zu den Kommunikations-und Koordinationsformen von Koalitionsregierungen gehören jedenfalls Koalitionsausschüsse verschiedener Prägung: in mehr oder weniger formalisierter Form, mit unterschiedlicher Beratungsintensität. Der bereits erwähnte „Kreßbronner Kreis“ bildete keine Ausnahme unter den besonderen Bedingungen der Großen Koalition, sondern er war die Ausprägung der Regel unter diesen spezifischen Verhältnissen Die Existenz von Koalitionsausschüssen impliziert, daß die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers. dieses häufig überschätzte oder mystifizierte. in der Realität eher stumpfe Instrument „Koalitionsdomänen“ (im Hinblick auf Personen und politische Inhalte) zu berücksichtigen hat.

Daneben bestanden und bestehen — die Grenzen sind fließend — eine Vielzahl von Zirkeln, die sich mehr oder weniger regelmäßig treffen und deren Gemeinsamkeit darin liegt, daß sich ihre Zusammensetzung nicht nach formalen Kriterien bestimmt, vielmehr vom Bundeskanzler so gewünscht wird. Mit solchen Zirkeln enger Mitarbeiter und befreundeter Experten, von Parlamentariern und Journalisten haben sich alle Kanzler beraten: Wenn man die Existenz solcher Beratungsgremien berücksichtigt, hat auch Adenauer keine „einsamen Entscheidungen“ getroffen, wie insbesondere Jost Küpper (und vor ihm bereits Jürgen Domes) herausgearbeitet hat Wenn in letzter Zeit dem amtierenden Bundeskanzler innerhalb der Regierungskoalition vorgehalten wurde, er bereite wichtige Entscheidungen in diversen Zirkeln vor so handelt es sich dabei um keine Erfindung Kohls, sondern um eine Spezialität Adenauers und auch um eine Praxis der anderen Bundeskanzler, wie im übrigen wohl jedes Regierungschefs. Die — kaum zu umgehende — Bedeutung solcher informeller Beratungszirkel wird von Gremien mit formaler Kompetenzausstattung, wie insbesondere dem Bundeskabinett und den Bundestagsfraktionen der Regierungsparteien, als Beeinträchtigung ihrer Zuständigkeit empfunden und entsprechend beanstandet

Unterschiedlich war die Praxis im Hinblick auf die Verbindung von Kanzlerschaft und Führung der Hauptregierungspartei. Die Regel ist, daß die Kanzler zugleich Parteivorsitzende sind, wie dies bei Adenauer. Kiesinger, Brandt und Kohl der Fall war und ist. Erhard und vor allem Schmidt bilden die Ausnahme. Beide Male blieb der Vorgänger als Bundeskanzler weiterhin Parteivorsitzender (bei Erhard mit Ausnahme der letzten Monate seiner Kanzlerschaft). Die Frage ist, ob diese Ämtertrennung in jedem Falle negativ zu bewerten ist, zumal sie angeblich auch Funktionserfordernissen des parlamentarischen Regierungssystems widerspricht

Ich neige zu einer differenzierenden Betrachtungsweise: Während Erhards Verzicht auf den Parteivorsitz von Anfang an unklug war, weil er sich damit voraussehbare Schwierigkeiten einhandelte, gab es für Schmidts Verzicht gute Gründe, auch wenn er selbst nachträglich die gegenteilige Ansicht vertritt. Anders als Erhard profitierte Schmidt von der Distanz zur eigenen Partei und mußte nicht als Folge seines Verzichts auf die Parteiführung innerparteiliche Konkurrenten um das Kanzleramt fürchten, zumal er sich auch der Unterstützung durch den Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner sicher sein konnte. Im nachhinein spricht jedenfalls mehr für die Annahme, daß die gleichzeitige Übernahme des Parteivorsitzes bereits früher zu Schmidts Scheitern geführt hätte, als daß er dadurch Schwierigkeiten hätte vermeiden können. Brandt vermochte die Frustration des linken Parteiflügels über die Regierungspolitik besser aufzufangen und die Partei zu integrieren, als dies Schmidt vermutlich möglich gewesen wäre. Vor solchen Schwierigkeiten hätte Erhard wohl — trotz seiner prinzipiellen Parteifeme — kaum gestanden, zudem konnte sich dieser — im Unterschied zu Schmidt — auf die Loyalität des Parteivorsitzenden nicht verlassen. Allgemein wird man sagen können, daß die Trennung der Ämter grundsätzlich möglich ist, wenn sie einvernehmlich erfolgt, so daß die Unterstützung des Regierungschefs durch die eigene Partei nicht in Frage gestellt ist

III. Entwicklungstendenzen und Probleme des Regierungssystems: Ist die Kanzlerdemokratie „historisch-überholt“?

Wolfgang Jäger hat neuerdings den Begriff der Kanzlerdemokratie als „historisch überholt“ bezeichnet; die Zukunft gehöre „einer Parteiendemokratie, die dem Bundeskanzler die mühselige Rolle eines Koordinators und Sprechers im komplexen Entscheidungsprozeß — möglicherweise auch die Rolle eines telegenen Showmasters und Moderators — zuweist“. Die Bedingungen politischer Führung, wie sie in den Jahren der Großen Koalition bestanden, dürften zum „Normalfall“ werden

Ich möchte diese Einschätzung als eine Tendenzangabe im Hinblick aufbestimmte Merkmale des politischen Prozesses verstehen; eine begriffliche Alternative kann man daraus aber wohl kaum ableiten, denn auch die Kanzlerdemokratie der Ära Adenauer war zugleich Parteiendemokratie, und Koordination ist ein wesentliches Element jeglicher Regierungstätigkeit; auch ist die Ära Adenauer kein homogenes Gebilde: Vor allem in ihrer Spätphase nach der Präsidentschaftskrise von 1959 weist der politische Prozeß doch große Übereinstimmungen mit späteren Perioden in der Entwicklung des Regierungssystems auf.

Es mag indessen sein, daß der Handlungsspielraum der führenden Politiker abgenommen hat und weiterhin abnimmt, daß überhaupt die politischen Gestaltungsmöglichkeiten zurückgehen. Ich stimme dieser — auch von Jäger akzeptierten — These nicht ohne Zögern zu, könnte es doch auch sein, daß der Eindruck reduzierter politischer Gestaltungsmöglichkeiten darauf beruht, daß die politische Szene von den Medien sozusagen besser ausgeleuchtet wird als früher — in den fünfziger Jahren etwa —, so daß auch Hindernisse und Gegenkräfte fürjedermann deutlicher erkennbar sind. (Dadurch wird freilich politische Führung auch objektiv schwieriger!) Vorstellbar ist außerdem, daß sich weniger die tatsächlichen Verhältnisse als die Maßstäbe verändert haben: Gemessen an einem überzogenen (idealistisch überhöhten, ästhetischen) Politikbegriff scheinen die politischen Gestaltungsmöglichkeiten geringer zu sein, als sie auch heute tatsächlich sind. Selbst in der Ära Adenauer erfolgte im übrigen die Konkretisierung der Regie-rungspolitik „in einem mehrstufigen Geflecht formeller und informeller Ebenen“ wobei der Kanzler nur in bestimmten Bereichen (vor allem in der Außenpolitik) der überragende Akteur war.

Doch haben sich die politischen Strukturen zweifellos verfestigt: Das gilt für die Parteien ebenso wie für die Interessenverbände (bzw. die Besitzstände gesellschaftlicher Gruppen) und die mit ihnen kooperierende Ministerialbürokratie, auch für den „kooperativen Föderalismus“, der ja in starkem Maße Verwaltungsföderalismus ist; die rechtlichen Normierungen nehmen ständig zu — und damit auch die Möglichkeiten rechtlicher Kontrolle bzw. politischer Gestaltungsmöglichkeiten der Gerichte —. so daß es zumindest schwieriger und langwieriger geworden ist, zu politischen Entscheidungen zu gelangen und diese dann auch zu realisieren. Teilweise dürfte eine solche Entwicklung aus jahrzehntelanger politischer „Normalität“ (ein in Deutschland ungewohnter Zustand: vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute gerechnet, hat er die Dauer des Kaiserreiches von 1871 erreicht!) resultieren, teilweise das Ergebnis spezifischer deutscher Traditionen sein, wie ausgeprägte Sozialstaatlichkeit und insbesondere die Perfektionierung des Rechtsstaates als Resultat der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur: In der Praxis freilich mit der unvermeidlichen Konsequenz, daß sich Richtern politische Gestaltungsmöglichkeiten zulasten von Politikern und Beamten eröffnen und zudem deren politische Verantwortungsbereitschaft ausgehöhlt wird. Das Bundesverfassungsgericht und die Verwaltungsgerichte mit ihrer Tendenz, eigenes Ermessen an die Stelle eines für fehlerhaft gehaltenen Verwaltungsermessens zu setzen, sind hier an erster Stelle zu nennen, aber auch die Arbeitsgerichtsbarkeit im Hinblick auf vom Gesetzgeber nicht geregelte Fragen des Arbeitskampfes.

Gerichte können freilich nur tätig werden, wenn sie angerufen werden. Dies istjedoch in zunehmendem Maße der Fall — nicht zuletzt eine Folge der Ausweitung politischer Partizipation, wie sie die politische Kultur der Bundesrepublik seit Ende der sechziger Jahre kennzeichnet und insbesondere zu einer verstärkten Beanspruchung der Verwaltungsgerichte führte. Ausweitung politischer Partizipation bedeutet freilich nicht nur alternative Formen politischer Beteiligung wie Bürgerinitiativen oder politisch-soziale „Bewegungen“; sie betrifft auch die Parteien, die in den siebziger Jahren zahlreiche neue Mitglieder gewonnen haben; außerdem dürften Mitglieder und Funktionäre von Parteien sowie Parlamentarier „anspruchsvoller“ geworden sein, stärker auf ihre „Berechtigung“ zur Mitentscheidung pochen und eine geringere Bereitschaft zur (bloßen) Unterstützung ihrerjeweiligen politischen Führung aufweisen

Außerdem hat die Entwicklung der Medien, namentlich die Ausbreitung des Fernsehens, die Struktur politischer Prozesse verändert Die Berichterstattung im Fernsehen hängt von der Möglichkeit der Visualisierung ab: „Gefilmt werden können immer nur konkrete Dinge, Ereignisse und Personen. Doch deren jeweilige Bedeutung wird nur verständlich in ihrer Beziehung auf meist abstrakte, unsichtbare und deshalb unzeigbare Zusammenhänge. Hinzu kommt, daß das Fernsehen bei den zeigbaren Ereignissen meistens deren Oberflächenstruktur präferiert. So wird die Politik verkürzt auf das Vorzeigbare mit dem Effekt, daß sich die Information auf die politischen Persönlichkeiten zentriert.“ Die Vorliebe für Neues und Krisenhaftes ist im Fernsehen besonders ausgeprägt, und die „starke Vereinfachung politischer Vorgänge . . . fördert die Fiktion, politische Probleme seien leicht zu verstehen, ihre Lösung sei nur eine Frage des guten Willens ... Es muß vermutet werden, daß sich die politischen Vorstellungen und Forderungen der zum Femsehpublikum gewordenen Bevölkerung von der komplexen Realität mit noch unbekannten Folgen entfernen.“

Besonders im öffentlich-rechtlich organisierten Bereich versuchen Medien (auch aufgrund der starken Tendenz zum anwaltlichen Journalismus in der Bundesrepublik) und Politiker, sich gegenseitig zu instrumentalisieren, wobei beide Seiten durchaus erfolgreich sind

Schließlich sind die Erwartungen an die Politik gestiegen, wohl nicht zuletzt auch als Folge fortschreitender Säkularisierung Angesichts hoher Erwartungen an die Politik und der Vielfalt der bei politischen Entscheidungen zu berücksichtigenden Faktoren (auch: aus flexiblerem Wählerverhalten resultierende Irritationen) und Akteure ist überzeugende und wirksame politische Führung sehr schwierig und eher unwahrscheinlich geworden. Aus diesen Entwicklungen möchte ich jedoch nicht den Schluß ziehen, daß die Kanzlerdemokratie in der Bundesrepublik „historisch-überholt“ sei, zumal es auch gegenläufige Tendenzen gibt: So dürften etwa einzelne Minister während der Kanzlerschaft Schmidts oder Kohls in der Öffentlichkeit weniger Beachtung gefunden haben als in den fünfziger und sechziger Jahren, von der normativen Dimension ganz abgesehen, daß gerade Demokratien politischer Führung bedürfen. Man kann den Begriff zwar — unter Hinweis auf die besonderen Bedingungen der Gründungsphase und auf die Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers — für die Ära Adenauer reservieren in der „Kanzlerdemokratie“ ja auch negativ — im Sinne einer autoritären Deformation — verstanden wurde, was angesichts der fortschreitenden Verklärung Adenauers leicht in Vergessenheit gerät. Ein solches individualisierendes Vorgehen scheint mir jedoch nicht zwingend zu sein. Man braucht Besonderheiten der verschiedenen Kanzler und der politischen Konstellationen während ihrer Amtszeit nicht in Abrede zu stellen und kann trotzdem die „Kanzlerdemokratie“ für ein generelles Merkmal des Regierungssystems in der Bundesrepublik halten, dessen Dominanz freilich zeitlich variierte: Die Große Koalition wird man sinnvollerweise als Ausnahmesituation verstehen, und die kurze Kanzlerschaft Ludwig Erhards hat zumindest in der Retrospektive den Charakter eines Übergangsregimes. Doch selbst in diesem Falle läßt sich mit Johannes Gross argumentieren: „Auch Erhards Regentschaft ist eine Kanzler-demokratie, und jeder Nachfolger wird einer Kanzlerdemokratie vorstehen, solange das politische System der Bundesrepublik intakt bleibt und stabil.“ Die beiden sozialdemokratischen Kanzler und auch Helmut Kohl haben Gross Recht gegeben.

Es versteht sich allerdings, daß „Kanzlerdemokratie“ nur ein Merkmal des Regierungssystems ist, das gleichzeitig auch andere Charakterisierungen erlaubt: Parteienstaat/„Fraktionenstaat“ Verbändestaat, Verwaltungsstaat, Justizstaat dürften die wichtigsten sein, die zu verschiedenen Zeitpunkten als besonders prägnante Etikettierung galten; hinzu kommen noch die föderalistische Struktur mit der daraus resultierenden „Politikverflechtung“ sowie die Medien als Faktor mit zunehmender Bedeutung, für den noch kein entsprechender Begriff geprägt wurde (von der „vierten Gewalt“ einmal abgesehen). Alle diese Charakterisierungen treffen gleichzeitig zu — wobei die Gewichtung zeitlich variieren und nicht exakt gemessen werden kann — und relativieren sich damit gegenseitig Die meisten dieser Charakterisierungen gelten auch für andere westliche Demokratien: So ist die „Kanzlerdemokratie“ die deutsche Variante einer allgemeinen Entwicklung in den westlichen Demokratien, die fast überall — namentlich in den größeren Staaten — zu einer herausragenden Stellung des Regierungschefs geführt hat. In Staaten mit Vielparteiensystemen, wie Italien, und in kleineren Demokratien, wie den skandinavischen, den Beneluxländern oder der Schweiz, ist diese Entwicklung zwar weniger ausgeprägt, aber nicht unbekannt, wie etwa die Stellung verschiedener österreichischer Bundeskanzler (Kreisky allen voran) oder auch des spanischen und griechischen Regierungschefs zeigt.

Welche der genannten Merkmale und Faktoren sind für das Regierungssystem der Bundesrepublik am ehesten spezifisch? Die Antwort auf diese Frage möchte ich auf die Formel bringen: föderalistische Parteiendemokratie mit starkem justizstaatlichem Gepräge; sie impliziert, daß das Regierungssystem der Bundesrepublik in beträchtlichem Maße als Konkordanzdemokratie zu charakterisieren ist. Auch insofern bezeichnet „Kanzlerdemokratie“ zwar ein wichtiges Merkmal, das jedoch im internationalen Vergleich eben nicht als sonderlich spezifisch erscheint — schon deshalb nicht, weil sich ausländische Regierungschefs mit weniger und schwächeren Gegengewichten konfrontiert sehen: Man denke nur etwa an den britischen Prime Minister! Zu seinen Kompetenzen gehört bekanntlich das Recht der Parlamentsauflösung, über das der Bundeskanzler nicht verfügt, waren die Verfassungsväter im Parlamentarischen Rat doch aufgrund ihrer Weimarer Erfahrungen darauf bedacht, die Parlamentsauflösung zu erschweren. Dies hatte bisher zweimal (1972 und 1982/83) zur Folge, daß eine Parlamentsauflösung nur auf fragwürdigen Umwegen möglich war. Zwar mag man im Parlamentarischen Rat. wie Karlheinz Niclauß in Erinnerung gerufen hat die Bundestagsauflösung mittels Vertrauensfrage als Ersatz für direkt-demokratische Instrumente angesehen haben, doch erschien dieses Verfahren in den beiden praktizierten Fällen — vor allem 1982/83 — als fragwürdig: Wer (außer dem Bundesverfassungsgericht) mochte schon glauben, daß die Regierungsmehrheit, die am 16. Dezember 1982 den Haushalt für 1983 verabschiedete, am Tage darauf nicht mehr existierte?

Leider haben sich Bundestag und Bundesrat bisher nicht zu einer entsprechenden Verfassungsänderung (m. E. am besten im Sinne der britischen Lösung, da eine Verfassungsänderung zugunsten eines Selbstauflösungsrechts des Parlaments mit Zweidrittelmehrheit der Problematik nicht gerecht würde) entschließen können die aufgrund der Entwicklung des Regierungssystems in der Bundesrepublik, namentlich des Strukturwandels ihres Parteiensystems, gerechtfertigt wäre und dem eingetretenen Verfassungswandel Rechnung trüge: Wenn der kleinere Koalitionspartner seine vor der Wahl formulierte Koalitionsaussage revidiert und durch seinen Koalitionswechsel einen politischen Richtungswechsel herbeiführt, wie dies im Herbst 1982 der Fall war, ist offenbar die Legitimierung dieses Wechsels durch Neuwahlen erforderlich geworden. Darin spiegelt sich ein Wandel des Koalitionsverständnisses seit der Ära Adenauer. Diese Entwicklung bedeutet eine Modifikation des demokratischen Elements der Kanzlerdemokratie als Ausprägung der parlamentarischen Demokratie.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Peter Haungs. Kanzlerdemokratie in der Bundesrepublik Deutschland: Von Adenauer bis Kohl, in: Zeitschrift für Politik. 33 (1986), S. 45 f.; der vorliegende Beitrag stützt sich u. a. aufdiesen Text, ferner auf ein Referat des Verf. für das 5. Passauer Symposium zum Parlamentarismus im Oktober 1988 in der Universität Passau zum Thema: „Politische Führung in Wettbewerb zwischen Parlament und Regierung“.

  2. Karl Dietrich Bracher, Die Kanzlerdemokratie — Antwort auf das deutsche Staatsproblem?, in: ders., Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus. Demokratie, München 1976, S. 119f., oder, wie Fritz Rene Allemann in seinem Buch „Bonn ist nicht Weimar“. Köln 1956, S. 338, formulierte: Adenauer habe „die Demokratie westlichen Typs mit deutsch-historischer Substanz verdünnt und denaturiert“.

  3. F. R. Allemann (Anm. 2), S. 347.

  4. Vgl. in diesem Sinne etwa Gunter Hofmann. „Helmut Kohl ist und bleibt Kanzler“. Bonns Sommer des Mißvergnügens: Seine Gefolgschaft seufzt über den Regierungschef, in: Die Zeit, Nr. 34 vom 17. August 1984, S. 3.

  5. Wolfgang Jäger, Von der Kanzlerdemokratie zur Koordinationsdemokratie, in: Zeitschrift für Politik. 25 (1988).

  6. In der Literatur sind beide Sichtweisen anzutreffen: Während Jost Küpper (Die Kanzlerdemokratie. Voraussetzungen, Strukturen und Änderungen des Regierungsstiles in der Ära Adenauer. Frankfurt 1985), der zwischen Genese (1945-1953), „Hoch“ -Zeit (1953-1959) und Ende (19591963) von Adenauers Kanzlerdemokratie differenziert, die Frage offen läßt, ist nach Ansicht von Anselm Doering-Manteuffel (Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer. Außenpolitik und innere Entwicklung 1949— 1963. Darmstadt 1983, S. 24f.) das Etikett „Kanzlerdemokratie“ für das politische System und die politische Mentalität in der Bundesrepublik „auf die Ära Adenauer beschränkt“ geblieben, und auch Hans-Peter Schwarz (vgl.seinen Beitrag in diesem Heft) hält diese ebenso wie neuerdings Karl Dietrich Bracher (Die Bewährung der Zweiten Republik. Einleitender Essay zu Klaus Hildebrand. Von Erhard zur Großen Koalition 1963— 1969. Stuttgart-Wiesbaden 1984. S. 13) für eine „Ausnahmeform der fünfziger Jahre“; dieser Richtung ist auch Jäger (1988) zuzurechnen, während Bracher in der erwähnten älteren Studie (1976). Haungs (1986) und neuerdings Karlheinz Niclauß (Kanzlerdemokratie. Bonner Regierungspraxis von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl, Stuttgart 1988) „Kanzlerdemokratie“ als generelles Merkmal des Regierungssystems in der Bundesrepublik interpretieren.S. 16.

  7. Johannes Gross, Erhards Regentschaft. Die zweite Kanzlerdemokratie, in: Der Monat, 16 (1964), S. 9.

  8. K. Niclauß (Anm. 6. S. 112 f.) verweist zur Erklärung von Brandts plötzlichem Machtverlust auch auf die „Eigendynamik des journalistisch-literarischen Bereichs“, der sich unvermittelt gegen einen bis dahin unterstützten Politiker wandte.

  9. Vgl. Daniel Koerfer. Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987.

  10. Günter Gaus. Bonn ohne Regierung? Kanzlerregiment und Opposition. Bericht. Analyse. Kritik. München 1965, S. 30.

  11. Klaus Hildebrand. Von Erhard zur Großen Koalition 1963-1969, Stuttgart-Wiesbaden 1984, S. 38.

  12. Ebd., S. 239.

  13. Vgl. auch Hans-Peter Schwarz, Die Bedeutung der Persönlichkeit in der Entwicklung der Bundesrepublik, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.). Personen und Institutionen in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstages von Theodor Eschenburg, Kehl 1985, S. 13.

  14. Dieter Oberndorfer, Die Große Koalition 1966— 1969. Reden und Erklärungen des Bundeskanzlers. Stuttgart 1979, S. 328.

  15. Vgl. Heribert Knorr, Der parlamentarische Entscheidungsprozeß während der Großen Koalition 1966 bis 1969. Struktur und Einfluß der Koalitionsfraktionen und ihr Verhältnis zur Regierung der Großen Koalition, Meisenheim am Glan 1975, bes. S. 229 ff.

  16. So Kiesinger selbst am 23. Mai 1967 auf dem CDU-Parteitag in Braunschweig. Zit. nach D. Oberndorfer (Anm. 14), S. 64.

  17. Für Kiesinger als Bundeskanzler sprachen sich unmittelbar vor der Wahl 54 Prozent der Befragten aus (44 Prozent

  18. Arnulf Baring. Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel. Stuttgart 1982. S. 594.

  19. W. Jäger (Anm. 5), S. 24; nach A. Baring (Anm. 18. S. 600). kannte Brandt „seine Ausstrahlung, sein Charisma, das Magnetfeld, die Stimmung, die um ihn herrschte, wenn er auftrat. Brandt wußte sehr wohl von seiner geheimnisvollen Begabung, die er mit Charles de Gaulle. John F. Kennedy und Johannes XXIII. teilte und um die ihn Helmut Schmidt sehr beneidete: anderen Menschen das Gefühl, ja die Über-zeugung zu geben, daß sie alle gemeinsam großen Idealen dienten.“

  20. So auch Willy Brandt (Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960 bis 1975. München 1976, S. 310) selbst: „Die neuen Ansätze, den Ablauf der Regierungsarbeit im engeren Sinne strenger und wirksamer zu planen, führten übrigens nicht weit. Sie waren zum Teil wohl noch zu praxisfem angelegt. scheiterten zum anderen am Beharrungsvermögen der Apparate und an der Eigenwilligkeit der Ressortchefs.“

  21. Hartmut Bebermeyer. Regieren ohne Management? Planung als Führungsinstrument moderner Regierungsarbeit. Stuttgart 1974. S. 88ff.

  22. Vgl. K. Niclauß (Anm. 6). S. 149.

  23. Arnulf Baring. Die Wende kam schon vor acht Jahren, in: Die Zeit vom 8. Oktober 1982.

  24. J. Gross (Anm. 7). S. 13.

  25. Vgl. Sibylle Krause-Burger, Helmut Schmidt. Aus nächster Nähe gesehen, Düsseldorf 1980, S. 173 ff.

  26. Ebd.. S. 17 ff.

  27. Vgl. Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, Frankfurt 1981, bes. S. 137 ff.

  28. Vgl. A. Baring (Anm. 18), S. 664ff.

  29. W. Jäger (Anm. 5), S. 26.

  30. K. Niclauß (Anm. 6), S. 265.

  31. Peter Haungs, Helmut Kohl, in: Walther L. Bernecker/Volker Dotterweich (Hrsg.), Persönlichkeit und Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Politische Porträts. Band 2, Göttingen 1982, S. 27; so auch Werner Filmer/Heribert Schwan, Helmut Kohl, Düsseldorf 1985, u. a. S. 335, 357.

  32. Alfred Grosser, Das Deutschland im Westen, Eine Bilanz nach 40 Jahren, München 1985, S. 142.

  33. Vgl. dazu K. Niclauß (Anm. 6). S. 221 ff.

  34. Neuere Beispiele sind insbesondere Lothar Späths Distanzierung von der Bonner Politik während des baden-württembergischen Landtagswahlkampfs von 1988 und das Erpressungsmanöver des niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht, mit dem er zusätzliche Bundesmittel für die (meisten) Länder erreichte. Vgl. auch im Hinblick auf das selbstbewußte und innovative Verhalten der CDU-Landesregierungsparteien Josef Schmid, Landesverbände und Bundespartei der CDU. Organisationsstrukturen. Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus, Politikwiss. Diss. an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Konstanz, 1988, S. 99.

  35. Zwischen den Unionsparteien hielt der permanente Konflikt während der Oppositionsjahre über Sach-, Strategie-und Personalfragen auch nach der Rückkehr an die Regierung an; er war wohl primär in der Person von Franz Josef Strauß begründet, seiner Erbitterung darüber, daß er weder Kanzler noch Außenminister werden konnte. Vgl. zur Schlußphase dieser Auseinandersetzung Robert Leicht. Des Gegenkanzlers letzter Kampf. Franz Josef Strauß und Helmut Kohl: Die Dauerfehde ruiniert sie beide, in: Die Zeit. Nr. 28 vom 8. Juli 1988, S. 1. Vgl. zur Situation nach der Wahl von Theo Waigel zum CSU-Vorsitzenden Günter Müchler, Strauß war stark, die Partei ist stärker, in: Rheinischer Merkur/Christ und Welt, Nr. 47 vom 18. November 1988, S. 8.

  36. Vgl. W. Filmer/H. Schwan, (Anm. 31), S. 333.

  37. W. Jäger (Anm. 5), S. 28. Auch weitere Personalentscheidungen Kohls erwiesen sich als vorteilhaft und dürften zur Überwindung des Stimmungstiefs Ende 1985/Anfang 1986 beigetragen haben: die Ernennung des beim ZDF tätigen Wirtschaftsjournalisten Friedhelm Ost zum Nachfolger Peter Boenischs als Chef des Bundespresse-und Informaüonsamtes im Juni 1985. die Entscheidung für Rita Süssmuth als Nachfolgerin Heiner Geißlers an der Spitze des Ministeriums für Familie, Jugend und Gesundheit sowie die Einrichtung eines Bundesumweltministeriums im Juni 1986 und seine Besetzung mit dem Frankfurter Oberbürgermeister Walter Wallmann.

  38. Im August 1988 schrieb Alfred Dregger an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen Regierung, Ressorts, Fraktion und Fraktionsarbeitsgruppen verbessern.“

  39. Gunter Hofmann. Der Präses und der Populist. In Kohls Kanzlerdemokratie wird der Präsident zu einer politischen Kraft, in: Die Zeit, Nr. 22 vom 24. Mai 1985, S. 3; vgl. auch Nina Grunenberg. Gentleman in gereizter Umwelt. Richard von Weizsäcker verwandelt die Ohnmacht seines Amtes in einen geistig-moralischen Führungsanspruch, in: Die Zeit. Nr. 27 vom 28. Juni 1985, S. 3.

  40. Vgl. Eberhard Pikart. Theodor Heuss und Konrad Adenauer. Die Rolle des Bundespräsidenten in der Kanzlcrdemokratie, Zürich 1976. bes. S. 152 ff.

  41. Vgl. etwa Rolf Zundel. Der Kanzlerim Halbzeitknick. In Bonn gibt sich Kohl optimistisch, aber im Lande ist die Union angeschlagen, in: Die Zeit. Nr. 45 vom 4. November 1988, S. 1.

  42. Rainer-Olaf Schultze, Die Bundestagswahl 1987 — Eine Bestätigung des Wandels, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 12/87, S. 5.

  43. Vgl. Peter Haungs, Die CDU in den achtziger Jahren. Anmerkungen zur Organisation und Strategie, in: Rupert Breitling/Winand Gellner (Hrsg.). Politische Studien (Teil II: Parteien und Wahlen) zum 65. Geburtstag von Erwin Faul. Gerlingen 1988, S. 87ff.

  44. Auch im Sommer 1988 war ein merkwürdiger Kontrast zu beobachten: während 68 Prozent der Bundesbürger die Regierung negativ bewerteten, bekundeten immerhin etwa 50 Prozent ihre Bereitschaft, die Regierungsparteien zu wählen! (vgl. Welt am Sonntag, Nr. 35 vom 28. August 1988, S. 1).

  45. Symptomatisch dafür ist auch die untergeordnete Rolle der Kabinettsausschüsse.

  46. Namentlich in seiner 1964 veröffentlichten Studie über „Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik“.

  47. Vgl. Horst O. Walker, Das Presse-und Informationsamt der Bundesregierung. Eine Untersuchung zu Fragen der Organisation, Koordination und Kontrolle der Presse-und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, Frankfurt 1982, bes. S. 123 ff.

  48. Vgl. dazu P. Haungs (Anm. 1), S. 47.

  49. Außerdem erhielt das Kanzleramt als Folge der Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition die Zuständigkeit für die Beziehungen zur DDR und für die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin.

  50. Vgl. Heribert Schatz, Auf der Suche nach neuen Problemlösungsstrategien: Die Entwicklung der politischen Planung auf Bundesebene, in: Renate Mayntz/Fritz Scharpf (Hrsg.), Planungsorganisation. Die Diskussion um die Reform von Regierung und Verwaltung des Bundes, München 1973. S. 9 ff.

  51. Vgl. Wolfgang Jäger, Die Innenpolitik der sozial-liberalen Koalition 1969— 1974, in: K. D. Bracher/Wolfgang Jäger/Werner Link, Republik im Wandel 1969— 1974. Die Ära Brandt, Stuttgart-Mannheim 1986. S. 33: „Wie immer man auch Ehmkes Persönlichkeit gewichtet, eines ist gewiß: Seine Eigeischaften und Fähigkeiten waren alles andere als dazu angetan, die komplizierte Regierungsmaschinerie reibungsund lautlos funktionieren zu lassen.“

  52. Helga Haftendorn. Das außen-und sicherheitspolitische Entscheidungssystem der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/83, S. 3.

  53. Theo Sommer, Noch kann sich Kohl wieder fangen. Aber er ist ein Kanzler auf Bewährung, in: Die Zeit, Nr. 25 vom 14. Juni 1985, S. 1.

  54. Gunter Hofmann, „Zu viele kleine Kissingers“. Kanzler-Stil und Ressort-Eigennutz drängen das Auswärtige Amt auf den zweiten Platz, in: Die Zeit, Nr. 21 vom 17. Mai 1985. S. 5.

  55. Rolf Zundel, Der Kanzler im Halbzeitknick, in: Die Zeit. Nr. 45 vom 4. November 1988, S. 1.

  56. H. Haftendorn (Anm. 52).

  57. A. Baring (Anm. 18), S. 266.

  58. Vgl. dazu K. Niclauß (Anm. 6). S. 163.

  59. Vgl. Klaus Günther. Der Kanzlerwechsel in der Bundesrepublik. Adenauer-Erhard-Kiesinger. Hannover 1970. S. 112 ff.

  60. Vgl. für das erste Kabinett Brandt Hartmut H. Brauswetter. Kanzlerprinzip, Ressortprinzip und Kabinettsprinzip in der ersten Regierung Brandt 1969— 1972. Bonn 1976. S. 162 ff.

  61. Vgl. zu Adenauers Konflikten mit Bundesrat und Bundesverfassungsgericht in seinen ersten Regierungsjahren Udo Wengst, Staatsaufbau und Regierungspraxis 1948 bis 1953. Zur Geschichte der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland. Düsseldorf 1984. S. 302 ff.

  62. Vgl. dazu Heinrich Küppers. Adenauer und Altmeier im Femsehstreit 1958— 1961. in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 35 (1987). S. 625 ff.

  63. Vgl. Renate Kunze. Kooperativer Föderalismus in der Bundesrepublik. Zur Staatspraxis der Koordinierung von Bund und Ländern, Stuttgart 1968, S. 40.

  64. Vgl. Günter Müchler, CDU/CSU. Das schwierige Bündnis. München 1976.

  65. Selbst in der Ära Adenauer gab es lebhafte Koalitionsberatungen, vor allem während der ersten Legislaturperiode und wieder nach 1961. Vgl. Jost Küpper, Die Kanzlerdemokratie. Frankfurt 1985, passim.

  66. Vgl. Hans Buchheim, Die Richtlinienkompetenz unter der Kanzlerschaft Adenauers, in: Dieter Blumenwitz u. a. (Hrsg.), Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Band II, Stuttgart 1976. S. 339ff., der mit Recht formuliert, daß „die Regierungstätigkeit des Kanzlers sich im großen und ganzen genauso wie jetzt vollziehen würde, wenn der Satz . Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik'nicht im Grundgesetz stünde und es keine Geschäftsordnung der Bundesregierung gäbe“ (S. 350).

  67. Jürgen Domes. Bundesregierung und Mehrheitsfraktion. Aspekte des Verhältnisses der Fraktion der CDU/CSU im zweiten und dritten Bundestag zum Kabinett Adenauer, Köln-Opladen 1964, bes. S. 162ff.; J. Küpper (Anm. 65), passim.

  68. „Jenes immer kunstvoller, aber zugleich immer undurchschaubarer entwickelte System aus wechselnden kleinen Zirkeln mit wechselnder Besetzung, in denen die eigentlichen Koalitionsentscheidungen fallen“ (Carl-Christian Kaiser, Grummelnd in die Sommerpause. Die Union ist mit den einsamen Entscheidungen des Kanzlers unzufrieden, in: Die Zeit, Nr. 32 vom 5. August 1988, S. 4).

  69. Im Sommer 1988 wurde solche Kritik vor allem durch die FDP formuliert; in diesem Zusammenhang freilich von „Verfassungskrise“ zu sprechen, dürfte unangemessen sein. Vgl. Claus Gennrich. Rumoren im Gefüge der Macht. Bonner Zustandsbeschreibung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Juli 1988.

  70. Vgl. etwa Brachers (Die Bewährung der Zweiten Republik [Anm. 6]. S. 13) Diktum, die Kanzlerdemokratie bedürfe „zur Funktionsfähigkeit in besonderem Maße der Vereinigung von Regierungs-und Parteiführung“.

  71. So auch W. Jäger (Anm. 5), S. 27 f.

  72. So auch K. Niclauß (Anm. 6), S. 68; vgl. als aktuelles Beispiel für diese Sichtweise die Koppelung von Regierungs-und Parteiführung durch den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel in der Auseinandersetzung mit seinem Herausforderer, Umweltminister Hans-Otto Wilhelm, auf dem Koblenzer CDU-Parteitag im November 1988, die von Wilhelm gewonnen wurde.

  73. Vgl. W. Jäger (Anm. 5), S. 31.

  74. Vgl. auch seine Ausführungen zu Bundesländern und Bundesverfassungsgericht als „Mitregenten“, der deutschen Variante der internationalen Diskussion über „Regierbarkeit“, in: Wolfgang Jäger/Werner Link. Republik im Wandel 1974— 1982. Die Ära Schmidt, Stuttgart-Mannheim 1987. S. 51 ff.

  75. In diesen Zusammenhang gehört auch die unter Bezugnahme auf Jürgen Habermas (Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V. Frankfurt 1985) gängig gewordene Problematisierung von „Unübersichtlichkeit“: Ist das Bedürfnis nach Anschaulichkeit jedoch ein angemessener Maßstab zur Beurteilung politischer, zumal demokratischer Verhältnisse, die unvermeidlicherweise „unübersichtlich“ sind? Komplexe Strukturen und strukturelle Spannungen sind Merkmale moderner Demokratien mit ihren „gemischten Verfassungen“, für die die bundesstaatliche Parteiendemokratie der Bundesrepublik ein besonders markantes Beispiel ist.

  76. J. Küpper (Anm. 65). S. 193.

  77. In diesem Sinne bereits Emst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien. Stuttgart 1964, S. 32ff.

  78. Vgl. Nevil Johnson, Parties and the conditions of political leadership, in: Herbert Döring/Gordon Smith (Eds.), Party Government and Political Culture in Western Germany, London 1982, S. 154 ff.

  79. Vgl. Heinrich Oberreuter. Übermacht der Medien, Zürich-Osnabrück 1982.

  80. Wolfgang Bergsdorf. Politik und Fernsehen. Die Herausforderung der liberalen Demokratie durch den Bildschirm-Journalismus. in: Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen/Hans-Helmuth Knütter/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa, Bonn 1987, S. 571.

  81. Ebd„ S. 575f.

  82. Vgl. dazu Fritz Plasser, Parteien unter Streß, Wien 1987, bes. S. 71 ff.

  83. Vgl. Ulrich Matz, Der überforderte Staat: Zur Problematik der heute wirksamen Staatszielvorstellungen, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung. Band 1, Stuttgart 1977, S. 82 ff.

  84. Vgl. W. Jäger (Anm. 5), S. 31.

  85. Vgl. oben S. 1. Anm. 6.

  86. J. Gross (Anm. 7), S. 8. - Die Kanzlerdemokratie ist auch nicht an die Majorität einer Partei gebunden (so etwa Rüdiger Altmann. Das Erbe Adenauers. Stuttgart 1960, S. 62), die es in der Bundesrepublik ohnehin noch nie gegeben hat - sind CDU und CSU, die sie 1957 zusammen ein einziges Mal erreicht haben, doch zwei eigenständige Parteien!

  87. Vgl. Uwe Thaysen, „Fraktionenstaat“: Oder was sonst?, in: Peter Haungs/Eckhard Jesse (Hrsg.). Parteien in der Krise? In-und ausländische Perspektiven. Köln 1987, S. 237 ff.

  88. Die Annahme eines „Strukturbruchs“, wie sie Gerhard Lehmbruch (Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Stuttgart 1976) etwa zwischen föderalistischen Kooperationserfordernissen und parteiendemokratischer Konkurrenz meinte feststellen zu können, halte ich dagegen für übertrieben, zumal auch die Parteien föderativ aufgebaut sind.

  89. Vgl. Uwe Thaysen. Mehrheitsfindung im Föderalismus. Thesen zum Konscnsualismus der westdeutschen Politik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 35/85. S. 3ff.

  90. K. Niclauß (Anm. 6), S. 278f.

  91. So auch Werner Kaltefleiter (Parteien im Umbruch. Ein Beitrag zur politischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 201), der mit Recht argumentiert: „Mit einer solchen Regelung hätte auch Helmut Schmidt im Herbst 1982 die Auflösung nicht erzwingen können, weil selbstverständlich CDU/CSU und FDP genausowenig bereit gewesen wären, einer Auflösung zuzustimmen, wie sie nicht bereit waren, auf ihr Verfassungsrecht zur Wahl eines anderen Kanzlers zu verzichten.“

  92. Konservatives Beharrungsvermögen hat gerade im Hinblick auf Verfassungsänderungen gewiß seine Berechtigung, aber kann man tatsächlich noch behaupten, die bisherige Regelung habe sich bewährt?

  93. K. Niclauß (Anm. 6), S. 274, meint denselben Sachverhalt, wenn er das „doppelte Gesicht“ der Kanzlerdemokratie durch repräsentative Verfassungsregeln und plebiszitäre Konventionen geprägt sieht.

Weitere Inhalte

Peter Haungs, Dr. phil., geb. 1939 in Lahr/Schwarzwald; Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Bernhard Vogel) Wahlkampf und Wählertradition, Köln-Opladen 1965; Reichspräsident und Parlamentarische Kabinettsregierung, Köln-Opladen 1968; (Hrsg.) Wahlkampf als Ritual?, Meisenheim am Glan 1974; (Hrsg.) Res Publica. Dolf Stemberger zum 70. Geburtstag, München 1977; Parteiendemokratie in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 19812; (Hrsg.) 40 Jahre Rheinland-Pfalz. Eine politische Landeskunde, Mainz 1986; (Hrsg. zus. mit Eckhard Jesse) Parteien in der Krise?, Köln 1987.