I. Schule als Instrument zur Durchsetzung des Sozialismus
„Das Bildungswesen hat die Aufgabe, junge Menschen zu erziehen und auszubilden, die mit solidem Wissen und Können ausgerüstet, zu schöpferischem Denken und selbständigem Handeln befähigt sind, deren marxistisch-leninistisch fundiertes Weltbild die persönlichen Überzeugungen und Verhaltensweisen durchdringt, die als Patrioten ihres sozialistischen Vaterlandes und proletarische Internationalisten fühlen, denken und handeln. Das Bildungswesen dient der Erziehung und Ausbildung allseitig entwickelter Persönlichkeiten, die ihre Fähigkeiten und Begabungen zum Wohle der sozialistischen Gesellschaft entfalten, die sich durch Arbeitsliebe und Verteidigungsbereitschaft, durch Gemeinschaftsgeist und das Streben nach hohen kommunistischen Idealen auszeichnen.“
Das Bildungsziel der allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit, wie es im Programm der SED von 1976 formuliert ist, gewinnt seine Konturen durch das Kontrastbild des ausgebeuteten und unterdrückten Menschen im Kapitalismus. Das Bild des Menschen im Kapitalismus steht in einem dialektischen Verhältnis zur sozialistischen Persönlichkeit.
Die Prägung der marxistisch-leninistischen Persönlichkeit durch Bildung und Erziehung ist entsprechend der materialistischen Geschichtsauffassung eine Erscheinung des ideologischen Überbaus der Gesellschaft und damit Widerspiegelung der konkreten gesellschaftlichen Praxis. Die sich entwikkelnde Persönlichkeit ist Objekt gesellschaftlicher Einwirkungen, aber auch Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen. Ausgehend von den jeweils konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen, müssen Menschenbild und Persönlichkeit in jeder Epoche neu bestimmt werden.
Seit dem VIII. Parteitag der SED 1972 definiert sich die DDR nach dem Entwicklungsstand der Gesellschaft.der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse als entwickelte sozialistische Gesellschaft. in der es noch Klassen. Unterschiede und bestimmte differenzierte Interessen zwischen den Klassen gibt In den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften hingegen ist nach marxistischer Auffassung der Mensch in seinen Beziehungen zur objektiven Realität gestört. Er ist entfremdet von seiner Tätigkeit. von der Natur, von den Mitmenschen und von der Gesellschaft. Diese Entfremdung werde mit dem „realen Sozialismus“ in der DDR beseitigt, dessen Strukturmerkmale sozialistische Produktionsverhältnisse, politische Macht des Volkes unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei, die Übereinstimmung von gesellschaftlichen und persönlichen Interessen seien.
Dieses Gesellschaftsbild fließt entsprechend dem Prinzip der Einheit von Schule und Leben in das Verständnis der Rolle der Schule ein: Die Schule ist „Instrument der Revolution“ und „objektiver Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung im Sozialismus“ Die Instrumentalisierung der Schule hat auch Konsequenzen für die Inhalte jeglicher schulischer Bildung. Jene sind Gegenstand gesellschaftlicher Entscheidung. Das sogenannte einheitliche sozialistische Bildungswesen soll zur „Bildung und Erziehung allseitig entwickelter sozialistischer Menschen“ beitragen und ist „in ständiger Wechselbeziehung untrennbar mit den anderen gesellschaftlichen Bereichen“ verbunden Seine Funktion besteht darin, sozialistische Persönlichkeiten heranzubilden.
Das sozialistische Bildungswesen mit seinen ideologischen Zielen, die über den historischen und politischen Unterricht hinaus in allen Fächern angesprochen werden, verfolgt mit innerer Stringenz die Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind. Margot Honecker, die seit 1963 das Ministerium für Volks-bildung leitet, oder Kurt Hager, im ZK der SED seit 1958 für die Bereiche Wissenschaft und Kultur zuständig und zugleich Vorsitzender des Ausschusses für Volksbildung in der Volkskammer, betonen immer wieder die historische Überlegenheit des Sozialismus und dessen Funktion, die Probleme der Menschheit zu lösen. Kontrastierend setzen sie der sozialistischen Gesellschaft die untergehende kapitalistische entgegen, die durchgängig mit Negativ-bildern besetzt wird Das hier angelegte Schema ist dichotomisch. Im Feindbild sind eine Reihe negativer Vorurteile gebündelt, die eine differenzierte Beurteilung dessen, was man mit dem Etikett Feind versieht, unmöglich macht. Da der Bereich der internationalen Politik der unmittelbaren Erfahrung der Menschen weitgehend entzogen ist. werden Denkschablonen der alltäglichen Praxis auf diesen Bereich übertragen Ein dichotomisches Feindbild oder ein Freund-Feind-Schema erfüllt eine doppelte Funktion: Es trägt zur Integration des Lagers der Freunde bei. da die Existenz eines tatsächlichen oder fiktiven Feindes die Notwendigkeit der Einigkeit begründet. Zugleich bietet der Feind ein geeignetes Objekt für die Projektion eigener Probleme und zur Ableitung von Aggressionen. Vor der Bedrohung durch einen äußeren Feind verblassen die inneren Konflikte. In beiden Fällen verstellt das Feindbild die Wahrnehmung der Wirklichkeit und schirmt gegen Informationen aus dem Lager des Feindes ab. Schließlich vereinfacht ein Freund-Feind-Schema komplexe Zusammenhänge.
Erich Hahn. Professor für Marxismus-Leninismus am Institut für Geschichtswissenschaft beim ZK der SED.setzte sich in der Septemberausgabe von „Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde“ mit „Feind-und anderen Bildern“ auseinander: „Die Einsicht in die Unvereinbarkeit des vom Antikommunismus heraufbeschworenen Feindbildes mit allen grundlegenden Erfordernissen der Friedenssicherung unter den heutigen Bedingungen ist in dem Maße gereift, in dem faktisch dieses Feindbild im Massenbewußtsein einer zunehmenden Erosion unterlag — als Resultat der vom Sozialismus ausgehenden Friedensoffensive.“ Hahn belegt seine These, daß es ein dichotomisches Feindbild eigentlich nur im Westen gäbe, zunächst mit Äußerungen von Wissenschaftlern und, Politikern aus der Bundesrepublik zur friedensgefährdenden Funktion des Antikommunismus. Dieses Feindbild sei stark emotionalisiert, enthalte subjektivistische Wertungen und gefühlsmäßige Stellungnahmen anstelle von Erklärungen und Begründungen. Außerdem sei der Antikommunismus absolut und dämonisiere den Gegner. Damit drohten auch die natürlichen Hemmungen gegenüber einem totalen Krieg zu schwinden. Hahn verteidigt, wie es auch Kurt Hager bei verschiedenen Gelegenheiten getan hat, das sozialistische Feindbild damit, daß es nicht mit den oben genannten Kategorien zu messen sei; die Feinde des Friedens zu benennen, habe nichts mit einem Denken in Feindbildern zu tun Der Sozialismus setze sich, gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnis und historisch nachweisbar, mit dem Kapitalismus und dem Imperialismus auseinander. In seiner Kapitalismuskritik beziehe sich die sozialistische Ideologie grundsätzlich auf eine ökonomische Gesellschaftsformation bzw. auf Klassen und nicht auf Nationen, Völker oder Staaten. In den imperialistischen Feindbildern werde dagegen von einem dichotomischen, bipolaren Welt-und Freund-Feind-Schema ausgegangen. Der Imperialismus sei von Natur aus nicht friedfertig, er müsse also friedensfähig gemacht werden „Auf die Erkenntnis, daß Aggressivität im Wesen der imperialistischen Gesellschaft wurzelt, wird kein Marxist verzichten. Jawohl, imperialistische Aggressivität hat ihre Ursache nicht in irgendwelchen zweitrangigen, oberflächlichen, zufälligen, unwesentlichen Eigenschaften, sondern in ihrer wesensbestimmenden Eigenschaft, im monopolkapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln.“
II. Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit
Die Erziehung zur allseits entwickelten Persönlichkeit beinhaltet die Umgestaltung des Bewußtseins; denn das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse bil-det sich nicht spontan. Dabei muß unterschieden werden zwischen der alltäglichen Aneignung des Klassenbewußtseins durch Individuen und auch der Arbeiterklasse einerseits und der Prägung des Bewußtseins durch den wissenschaftlichen Sozialismus andererseits. Während das Alltagsbewußtsein sich immer neu entwickelt, ist der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß des Sozialismus historisch unwiderruflich vollzogen Die sozialistische Ideologie wird über die marxistisch-leninistische Partei in die Arbeiterklasse hineingetragen. Diese Konzeption ermöglicht es, die Axiome des wissenschaftlichen Sozialismus als Widerspiegelung von objektiven Gesetzmäßigkeiten zu definieren und gleichzeitig das empirisch vorfindbare Alltagsbewußtsein zur bloßen Erscheinungsform abzuwerten.Hieraus ergibt sich, daß die Partei aufgrund ihrer wissenschaftlichen Einsichten und ihrer Erfahrungen im Klassenkampf die Inhalte der Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit maßgeblich bestimmt. Im Jugendgesetz von 1974 wird das Erziehungsziel sozialistische Persönlichkeit näher bestimmt: „Vorrangige Aufgabe bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist es, alle jungen Menschen zu Staatsbürgern zu erziehen, die den Ideen des Sozialismus treu ergeben sind, als Patrioten und Internationalisten denken und handeln, den Sozialismus stärken und gegen alle Feinde zuverlässig schützen ... Es ist ehrenvolle Pflicht der Jugend, die revolutionären Traditionen der Arbeiterklasse und die Errungenschaften des Sozialismus zu achten und zu verteidigen, sich für Frieden und Völkerfreundschaft einzusetzen und antiimperialistische Solidarität zu üben . . . Ihr Streben, sich den Marxismus-Leninismus, die wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse, anzueignen und sich offensiv mit der imperialistischen Ideologie auseinanderzusetzen, wird allseitig gefördert . . . Die jungen Menschen sollen sich durch Eigenschaften wie Verantwortungsgefühl für sich und andere, Kollektivbewußtsein und Hilfsbereitschaft, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit, Mut und Standhaftigkeit, Ausdauer und Disziplin, Achtung vor den Älteren, ihren Leistungen und Verdiensten sowie verantwortungsbewußtes Verhalten zum anderen Geschlecht auszeichnen.“
Diese Charakteristika einer sozialistischen Persönlichkeit skizzieren Werte und Wertvorstellungen vom Standpunkt einer bewußten Parteinahme für die Arbeiterklasse. Der Forderung, eine „unverrückbare Klassenposition“ herauszubilden und „für die Sache des Sozialismus in jeder Situation Partei zu ergreifen und die ganze Kraft für die begeisternden Aufgaben der sozialistischen Revolution einzusetzen“ ist zugleich ein Freund-Feind-Schema zugrundegelegt.
Wie sich die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit in der Schule vollziehen kann, sei an einem Beitrag „Zur Herausbildung fester sozialistischer Wertvorstellungen“ in der Zeitschrift „Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde“ veranschaulicht Ausgehend von der These, daß der Klassencharakter der Bedürfnisse und Interessen denjenigen der Werte und des Wertbewußtseins bedingt, fordern die Autoren die offensive Auseinandersetzung mit bürgerlicher Politik und Ideologie. Der Vergleich von Grundwerten des Sozialismus mit dem Kapitalismus wird verdeutlicht an einem Beispiel aus dem Unterricht zum Wesen der kapitalistischen Ausbeutung: „Ein Schüler warf die Frage auf: werden die Arbeiter in der DDR nicht auch ausgebeutet, da sie doch in ihrer Lohntüte auch nicht den Wert vorfinden, den sie in ihrer Arbeitszeit wirklich geschaffen haben? Da die Zeit knapp war, entschloß sich der Lehrer zu einem Schülerauftrag an Freiwillige. Der Inhalt war der folgende: a) Ermittle die Eigentümer des Flick-Konzems und des VEB Sachsenring! b) Ermittle, was mit dem Mehrwert des Flick-Konzerns geschieht und was mit dem Gewinn des VEB Sachsenring! c) Ermittle, wessen Bedürfnisse und Interessen mit dem Mehrwert bzw. Betriebsgewinn in welcher Weise befriedigt werden!“ Die Schlußfolgerung lautet: sozialistisches Eigentum macht die Ausbeutung unmöglich.
Die Aneignung marxistisch-leninistischen theoretischen und politischen Grundwissens erschließe nicht nur die Einsicht in die „realen Prozesse“, sondern münde letztlich in die Frage „Wahr oder falsch“: „Widerlege an Hand der Zusammensetzung des Bundestages der BRD und der Volkskammer der DDR die Behauptung Bonner Politiker, in der BRD gehe die Macht vom Volke aus! — Nenne Tatsachen zur aggressiven Außenpolitik des Imperialismus!“ In diesem Stil vereinfachter Gegenüberstellung von Werturteilen und Meinungsäußerungen, die als wissenschaftliche Erkenntnisse gesellschaftlicher Gesetze deklariert werden, sollen die Perversität der Methoden des Imperialismus, d. h. alle materiellen und geistigen Güter zur Ware herabzuwürdigen, oder die Menschenunwürdigkeit kapitalistischer Ausbeutung entlarvt werden. Vor diesem Negativbild wird dann das ausschließlich positive Bild des Sozialismus und seiner Werte entfaltet. Die Gegenüberstellung dieser Werte mit dem Leben der Werktätigen im Kapitalismus soll zur Stabilisierung sozialistischer Wertvorstellungen führen.
Offensichtlich verstärkt die SED-Führung in den letzten Jahren wieder die ideologische Erziehung. Dieses fand 1986 und 1987 auch in pädagogischen Fachzeitschriften seinen Niederschlag. Die Aufrufe zur intensiveren ideologischen Erziehung lassen die Vermutung zu. daß das von der Partei propagierte Menschenbild in der Praxis wohl nicht im gewünschten Ausmaß von der Jugend angenommen wird. Es fällt den Partei-Ideologen anscheinend immer schwerer, vor allem jungen Menschen einsichtig zu machen, warum in der gegenwärtigen Situation sozialistische Werte verinnerlicht werden sollen, die anhand eines stereotyp umrissenen Feindbildes entwickelt wurden. Gerhart Neuner, Präsident der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, hat auf der fünften Plenartagung am 4. November 1987 eindringlich auf die zentrale Bedeutung der Werte in der schulischen Erziehung hingewiesen Er betont nachdrücklich, daß man nur von einem festen Klassenstandpunkt Werte, die in das Zentrum der System-und Klassengegensätze in der heutigen Welt verweisen, verinnerlichen kann. Daß ein hohes Legitimationsbedürfnis anscheinend gerade in der DDR vorhanden ist, die sich mit der Bundesrepublik an der Trennungslinie von Sozialismus und Imperialismus sieht wird in den wiederholten Forderungen nach Prinzipienfestigkeit im Kampf gegen den Klassenfeind deutlich
Die Realität der heutigen Welt erschließt sich nach Neuner der Wertung, „einer parteilichen, klassen-mäßigen Wertung, nicht außerhalb der theoretisch-geistigen Reflexion, nicht außerhalb der Ideologie, sondern sie muß wesentlich über sie erschlossen werden.“ Man müsse deshalb den Sozialismus als Resultat harter Klassenkämpfe begreifen: „Was dieser Sozialismus heute bereits für die Menschen geleistet hat und leistet, das muß auch bewußt gemacht werden in der Gegenüberstellung zum heutigen Imperialismus. Man braucht Wissen, um hinter dessen manchmal glitzernd erscheinende Fassade zu schauen, um den Imperialismus zu erkennen, wie er wirklich ist: die Friedensgefährdung und Menschheitsbedrohung, die vom Imperialismus ausgehen, die Probleme der „Dritten Welt“, die wesentlich dem Imperialismus geschuldet sind, die gnadenlose Ausbeutung und Unterdrückung, die chronische Massenarbeitslosigkeit, die Abwälzung aller Probleme, aller „Unkosten“ auf die Schwachen, auf die ökonomisch Schwachen, auf die „kleinen Leute“ . . .“
Entsprechend der allseitigen sozialistischen Erziehung ist die Erziehung zu sozialistischen Werten nicht auf den staatsbürgerlichen Unterricht begrenzt, wenn auch dort am markantesten die Zielsetzung der ideologischen Erziehung definiert wird. So heißt es u. a. in den „Unterrichtshilfen Staatsbürgerkunde“: „Im Mittelpunkt der Erziehungsarbeit steht die tiefere Ausprägung der Überzeugung vom unvermeidlichen Untergang des Imperialismus, die Festigung der prinzipiell ablehnenden Haltung gegenüber dem menschenfeindlichen Ausbeutersystem und die Stärkung der Bereitschaft, im Kampf der Völker gegen den Imperialismus seinen eigenen Beitrag zu leisten, jederzeit parteilich und konsequent gegen seine reaktionäre Politik und ideologischen Diversionsversuche aufzutreten und unsere sozialistische Errungenschaft zu verteidigen.“ Erziehung zu einem klassenbewußten Verhalten, zu einer patriotischen Haltung, zur Parteilichkeit gilt in gleichem Maße etwa für den Deutschunterricht. Zu den Zielen und Aufgaben des Literaturunterrichts in den Klassen sieben und acht gehören „Vorstellungen über Inhalt und Wert der Freundschaft und Solidarität, über Glück Und Sinn des Lebens in der sozialistischen Gesellschaft, über die Notwendigkeit gesellschaftlicher Aktivität und über die Bedeutung geschichtlicher Erfahrungen.“ „In der Begegnung mit sozialistischer Literatur erfahren die Schüler, wie diese Autoren mit ihrem Werk und ihrem Leben Partei ergriffen für den Kampf der Arbeiterklasse und für den Sieg des Sozialismus.“ Also steht auch im Literaturunterricht die Festigung des Klassenstandpunktes im Mittelpunkt. Der sozialistische Realismus zeichnet den positiven Helden, der durch Einsicht in die Notwendigkeit historischer Gesetzmäßigkeit zum Subjekt der Geschichte und damit im Sinne des Marxismus-Leninismus frei wird. Die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus soll auch in der Literatur und allgemein im kulturellen Schaffen zum Ausdruck kommen. Letztlich geht es um die „eigenständige Nationalliteratur“ in der DDR, die progressive Tendenzen deutscher Literatur aufgreift und im sozialistischen Realismus auf eine „höhere kulturelle Stufe“ führt. Die Stoffeinheiten „sozialistische Literatur“, die in den Klassen sieben bis zehn zwischen 25 bis 40 Prozent der jeweils etwa 60 Stunden des Literaturunterrichts umfassen, beinhalten überwiegend DDR-Literatur. Es werden auch Prosa und Lyrik angeboten, die sich mit „revolutionärem Heldentum“ in der Sowjetunion und in der Dritten Welt beschäftigen, sowie mit Beispielen aus der „proletarisch-revolutionären Kunst“ vor 1945.
Methodisch sei darauf zu achten, daß die literarischen Werke in Bezug gesetzt würden zu den Kunst-und Lebenserfahrungen der Schüler. „Großer Wert ist auf emotional bewegende, zum Meinungsstreit herausfordernde Aufgaben-und Problemstellungen zu legen.“ Am Einzelschicksal erführen die SchülerEreignisse aus den Klassenkämpfen der Vergangenheit, den Anfängen des sozialistischen Aufbaus und der gegenwärtigen sozialistischen Wirklichkeit in der DDR: „Sie erleben das Heldentum revolutionärer Kämpfer und erfahren, welcher Anstrengungen es bedarf, revolutio-näre Ideale zu verwirklichen.“ In der Klasse sieben werden Gedichte vorgestellt, „in denen Lyriker der jüngeren Generation Erfahrungen und Probleme der Lebensgestaltung Jugendlicher in der sozialistischen Gesellschaft aufgegriffen und in den Zusammenhang der Grundfragen unserer Zeit gestellt haben.“ Zur Auswahl stehen Gisela Steineckert „Soll der Mensch . . und Rainer Kirsch „Imperialistenlogik":
Soll der Mensch . ..
Soll der Mensch den Menschen nie mehr nach der Schlacht betrauern muß auf dieser Erde eben Frieden wie das eigne Leben kostbar sein und dauern Daß die Bäume und die Leute ganz normale Jahreszeit haben daß sie üppig umgehn können mit den schönen Gaben Daß uns Felder, Wald und Wiesen nicht an Giften sterben grüne Wälder, satte Erde wolln wir vererben . . .
Imperialistenlogik Wo ein Wasser ist, muß ein Abwasser rein. Wo ein Mensch ist, muß ein Polizist sein. Wo einer nachdenkt, genügt eine Verdächtigung. Wo tausend nachdenken, muß sein eine Ermächtigung. Wo das Volk aufsteht, muß hin eine Intervention. Wo wenige aufstehn, reicht eine Detonation. Wo ein Land nicht auf uns hört, gehört es zerbombt. Wo einer zu weit sieht, wird Zeit, sein Ende kommt. Wo zuviel Zeit ist, müssen Ängste und Superstars her. Wenn wir untergehn, soll die Welt hinterher
Im Lehrplan wird zu dem Gedicht von Gisela Steineckert ausgeführt, daß die Schüler es als Bekenntnis der Schriftstellerin zu Frieden und Sozialismus begreifen. In „Imperialistenlogik“ wird ein entsprechendes Negativbild entworfen.
Der Lehrplan Literaturunterricht in der Klasse acht benennt weltanschaulich-moralische Grundfragen der Gegenwart, in denen sich das Lebensgefühl junger Sozialisten widerspiegele: „ihre Lebensfreude, Heimatliebe. Naturverbundenheit, ihr Streben nach Bewährung, nach Selbsterkenntnis und nach sinnvoller Lebensgestaltung, ihre politische Haltung im Sinne des sozialistischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus.“ Der Literaturunterricht soll dazu beitragen, die Persönlichkeit des Schülers im Sinne der Liebe zum sozialistischen Vaterland, zur Arbeiterklasse, zur marxistisch-leninistischen Partei und zur Freundschaft mit den sozialistischen Staaten zu prägen. „Untrennbar damit verbunden“, so heißt im Lehrplan für die Klasse neun, „ist die Erziehung zum Haß gegen Imperialismus und Militarismus“
Aus dem Lesebuch für die Klassen neun und zehn sei als Beispiel für die Erziehung zum kämpferischen Sozialisten das Gedicht „Wohldurchdacht“ von Johannes R. Becher zitiert
Was auch geschehn sein mag — o manches Grab Kann uns vom schweren Opfergang berichten —, Was an Verhängnis, Irrtum sich begab, War es nur dieses, was geschah? Mitnichten!
Was wir errungen, wird uns nie entrungen, Was wir erreicht mit Übermenschen-Kraft, Was schrittweis wir dem Feinde abgezwungen: Das war und ist und bleibt — Errungenschaft! Was er der Feind, verneint, was er bejaht, Das gilt es wachen Sinnes zu beachten, Und was er rät zu tun, ist — Feindes Rat!
Denk stets daran: der Feind will dich entmachten. Entmachte ihn und zeige deine Macht!
Und wohldurchdacht wird unser Werk vollbracht.
III. Wehrerziehung in der Schule: Haß gegen den Klassenfeind
Die Vorbereitung auf die Wehrerziehung setzt bereits im Kindergarten ein. Den Kindern werden eindeutig Freunde und Feinde benannt: Die Volksarmee und den sozialistischen Bruder in der Sowjetunion soll man lieben, der Bundeswehr und der amerikanischen Armee soll man mißtrauen. In der Zeitschrift „Bummi“ werden die Kinder im Vor-schulalter mit den Aufgaben der Soldaten in Bildergeschichten vertraut gemacht. Dieses setzt sich in der Grundschule z. B. im Fach Heimatkunde fort. Die Schüler erfahren in Wort und Bild wie Soldaten und Kampfgruppen bereitstehen, um die Errungenschaften der sozialistischen Revolution zu verteidigen. Sie werden vorbereitet auf die Pflichten derjungen Pioniere. In den naturwissenschaftlichen Fächern und in der Mathematik werden Aufgaben gestellt, die den militärischen Bereich beinhalten. „Der Wehrunterricht dient der sozialistischen Wehrerziehung der Jugend und ist ferner Bestandteil des Bildungs-und Erziehungsprozesses an der Schule.“ Er hat die „klassenmäßige, patriotische und internationalistische Haltung“ der Schüler weiter auszuprägen. Grundlage der Wehrerziehung ist die Erziehung der Bürger:
— „zum Patriotismus, zur Liebe zum sozialistischen Vaterland sowie zum Haß gegenüber den imperialistischen Feinden des Volkes, — zum sozialistischen Internationalismus und zur Waffenbrüderschaft, — zur Opferbereitschaft für die Errungenschaften des Sozialismus.
Sie umfaßt — die sozialistische Bewußtseinsbildung und die Entwicklung des militärpolitischen Denkens aller Bürger, — den Wehrunterricht an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen. . .
— die politische und militärische Ausbildung in der NVA, in den Grenztruppen der DDR . . ,“
Der Wehrunterricht wurde seit dem 1. September 1978 obligatorisch in den Klassen neun und zehn eingeführt und ab Mai 1981 auf die Klasse elf ausgedehnt. Er umfaßt für die Klassen neun und zehn jeweils vier Doppelstunden zu Fragen der sozialistischen Landesverteidigung für alle Schüler und in der Klasse neun eine freiwillige Wehrausbildung im Lager für Jungen (zwölf Ausbildungstage) bzw.den Lehrgang Zivilverteidigung für die anderen Schüler und die Schülerinnen. In der Klasse zehn sind außerdem drei Tage Wehrbereitschaft verpflichtend. Der Unterricht knüpft an Kenntnisse zu Fragen der sozialistischen Militärpolitik an. die in den Fächern Staatsbürgerkunde und Geschichte vermittelt werden. Kenntnisse über Krieg und Frieden und die Waffenbrüderschaft mit der Sowjetunion sollen im zusätzlichen Wehrunterricht systematisiert werden.
Die im Unterricht vermittelten Feindbilder sind stereotyp. Sie werden auf den Ebenen emotionaler wie rationaler Erziehung behandelt. Im emotionalen Bereich steht die Liebe zur DDR und der Haß gegen die Feinde des Sozialismus, die aggressiven Imperialisten, im Zentrum. Die rationale Erziehung soll Einsichten vermitteln in das Wesen des Sozialismus als „höchste Form menschlichen Zusammenlebens“ und damit in eine Gesellschaftsform. die um jeden Preis zu verteidigen ist. Die „sozialistische Wehrmoral . . . gipfelt in dem unerschütterlichen Willen zum Kampf und zum Sieg in einem von den Imperialisten aufgezwungenen Krieg.“
Als Unterrichtsmaterial dient u. a.der „Wissensspeicher Wehrausbildung“ Im Abschnitt „Grundfragen sozialistischer Landesverteidigung“ werden Militärpolitik, Militärtheorie, Wesen des Krieges, Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes und die Politik der friedlichen Koexistenz nach marxistischer Lehre skizziert: „Gerechte und ungerechte Kriege unterscheiden sich in unserer Epoche vor allem dadurch, ob sie ihrem objektiven politischen Inhalt nach mit den Interessen der revolutionären Arbeiterklasse übereinstimmen oder ob sie ihnen widersprechen. Gerechte Kriege sind daher:
— Kriege zur Verteidigung des Sozialismus.
— revolutionäre Bürgerkriege, — nationale Befreiungskriege ....
— Kriege zur Verteidigung unabhängiger junger Nationalstaaten, — Befreiungskriege der Völker kapitalistischer Länder, die Opfer einer imperialistischen Aggression wurden . . .
Ungerechte Kriege sind:
— Kriege imperialistischer Staaten gegen sozialistische Länder, — Bürgerkriege der Bourgeoisie und anderer reaktionärer Kräfte gegen die sozialistische Bewegung des Proletariats und seiner Verbündeten . . ., — Kolonialkriege des Imperialismus, — Kriege des Imperialismus gegen junge Nationalstaaten, — Raubkriege imperialistischer Staaten gegen schwächere kapitalistische Länder, — Eroberungskriege zwischen imperialistischen Staaten.
Die sozialistischen Staaten unterstützen gerechte Kriege . . . Zugleich streben sie danach zwischenstaatliche Konflikte ohne Krieg zu lösen und den Krieg aus dem Leben der Gesellschaft auszuschließen. Das entspricht sowohl der marxistisch-leninistischen Stellung der Arbeiterklasse zur bewaffneten Gewalt als auch den neuen Möglichkeiten aus der Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus.“
Nach der marxistisch-leninistischen Lehre hat der Krieg sozio-ökonomische Ursachen; er entstand also „erst mit dem Aufkommen des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Spaltung der Gesellschaft in antagonistische Klassen“, folglich kann er mit dem „Sieg der Arbeiterklasse“, mit der Erfüllung ihrer historischen Mission beseitigt wer-den: „Die herrschenden Ausbeuterklassen aller Länder haben in 5500 Jahren vergangener Geschichte der Menschheit mehr als 1400 Kriege entfesselt, in denen mindestens 3, 6 Mrd. Menschen getötet wurden.“ Voraussetzung für den Frieden in der Welt ist also die Vernichtung des Kapitalismus.
Auf der einen Seite sollen die jungen Menschen in ihrer Wehrbereitschaft motiviert werden, indem man ihnen vermittelt, daß sie für eine gerechte Sache, für die freie Lebensform des Sozialismus eintreten. auf der anderen Seite wird der Haß gegen den Klassenfeind, gegen den aggressiven Imperialismus betont. Liebe und Haß. Freund und Feind stehen in einem dialektischen Verhältnis und werden dabei jeweils vom Klassenstandpunkt betrachtet: Haß des imperialistischen Ausbeuters vom Standpunkt der Arbeiterklasse ist ein sittlicher Wert; Haß des sozialistischen Menschen vom Standpunkt der imperialistischen Klasse wäre Verrat am Humanismus. Da Militarismus verstanden wird als Resultat des Kapitalismus, kann der Sozialismus keinen Militarismus hervorbringen. Vielmehr bilden „die Politik der friedlichen Koexistenz und die Existenz sozialistischer Streitkräfte“ eine untrennbare Einheit, „solange der Imperialismus und seine Fähigkeit zur Aggression fortbestehen“. Friedliche Koexistenz unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen bedeutet zwar Verzicht auf Krieg und militärische Gewaltandrohung, schließt aber nach marxistischem Verständnis gleichwohl „Klassenkampf auf politischem, ökonomischem und insbesondere ideologischem Gebiet“ ein: „Der Imperialismus trägt, solange er existiert, in Form der Monopolherrschaft die gesetzmäßigen Ursachen des Krieges und den Drang nach Aggression in sich. Gewalt. Krieg. Raub und Unterdrückung entspringen den innersten Wesenszügen des Imperialismus. Nur bestimmte, für den Imperialismus ungünstige äußere Umstände können Wirkungen und Auswirkungen dieser Wesensmerkmale eindämmen. Die Frage Krieg oder Frieden entscheidet sich also nicht automatisch an der Aggressivität des Imperialismus, sondern auch durch die für oder gegen den Krieg auftretenden gesellschaftlichen Kräfte.“
IV. „Sozialistische DDR und imperialistische BRD“
Der Lehrplan Staatsbürgerkunde für die Klassen sieben bis zehn vermittelt grundlegende Erkenntnisse des Marxismus-Leninismus in enger Verbindung mit Kenntnissen der Politik der SED, um die Schüler zur „wissenschaftlich fundierten, unverrückbaren Klassenposition“ zu erziehen, ihre Bereitschaft zu entwickeln, für den Sozialismus „Partei zu ergreifen“ und zu erkennen, daß er die „einzige Alternative zum menschenfeindlichen System des Imperialismus“ darstelle Im Unterricht soll die sozialistische Persönlichkeit soweit gefestigt werden, daß der Schüler fähig ist, in den politischen Kämpfen der Vergangenheit und der Gegenwart immer die objektiven Interessen der sozialen Klassen zu erkennen und sie klassenmäßig vom Standpunkt der Arbeiterklasse zu werten.
Der „kämpferische und polemische Geist“ des Unterrichts erfordere die überzeugende, „offensive und offen parteiliche“ Auseinandersetzung mit der Politik und Ideologie des Klassengegners. Der Unterricht soll die Schüler „in Wesenszüge der imperialistischen Ideologie, in die Funktion dieser Ideologie sowie in Techniken geistiger Manipulation und ideologischer Diversion einführen“
In den Klassen sieben und acht soll die Überzeugung der Schüler gefestigt werden, daß der Sozialismus dem Imperialismus überlegen sei. Zum Abschluß der Klasse acht vertieft die Stoffeinheit „Die sozialistische DDR und die imperialistische BRD — zwei Staaten mit gegensätzlicher gesellschaftlicher Ordnung“ die im Lehrplan geforderte aggressive Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind. Mit der Behandlung der gegensätzlichen Gesellschaftssysteme des entwickelten Sozialismus und des Imperialismus in der gegenwärtigen Phase ist das „erzieherische Hauptanliegen verbunden, bei den Schülern die unversöhnliche Haltung gegenüber dem aggressiven und menschenfeindlichen Imperialismus. insbesondere gegenüber dem BRD-Imperialismus, weiterauszuprägen“
Die Schulbuchautoren vermitteln in „Staatsbürgerkunde 8“ zunächst ein uneingeschränkt positives Bild des sozialistischen Staates, der den Aufbau des Sozialismus in der DDR im Interesse aller Werktätigen leite, plane und schütze. Er verwirkliche die Ziele der SED und sei deshalb das Machtinstrument der von der Arbeiterklasse und ihrer Partei geführten Werktätigen bei der Gestaltung des Sozialismus und der Sicherung des Friedens. Die sozialistische Demokratie festigte die Macht der Bauern; die sozialistische Verfassung sei Ausdruck der Macht der Arbeiterklasse. Die Bürger übten ihre politische Macht durch demokratisch gewählte Volksvertretungen aus. Der Sozialismus garantiere allen Bürgern das Recht auf umfassende Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens. In solchen und ähnlichen Merksätzen werden dem Schüler wiederholt die Errungenschaften und Leistungen des Sozialismus vorgestellt. Mögliche kritische Einwände, etwa gegen den demokratischen Sozialismus, werden als feindliche Angriffe „imperialistischer Politi-ker und Ideologen“ pauschal und letztlich ohne jede sachliche Begründung abgetan
In der sich anschließenden Stoffeinheit „Grundlegende Rechte und Pflichten der Staatsbürger“ in der DDR wird das Feindbild plakativ und polemisch gezeichnet und karikiert. Während in Wort und Bild mehrfach dargelegt wird, daß in der DDR das Grundrecht auf umfassende Mitgestaltung des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens durch den Sozialismus garantiert werde, sollen Bilder, Texte und Quellen belegen, daß in der imperialistischen Bundesrepublik die Werktätigen von der Macht ausgeschlossen seien. Dem Schüler wird das Bild einer von inneren Krisen zerrütteten Bundesrepublik Deutschland vorgestellt, die mit polizeistaatlichen Mitteln gegen die arbeitende Klasse vorgehe, ihre Bürger ausbeute und eine revanchistische und aggressive Politik nach innen und nach außen betreibe „Mitgestaltung und Mitbestimmung der Werktätigen in allen grundsätzlichen Fragen sind dem imperialistischen Staat wesensfremd und verhaßt. Er verweigert sie den Werktätigen überall dort, wo sie die Existenz des bestehenden Regimes in Frage stellen könnten, im Staat, in der Wirtschaft, in den Betrieben. Zwar haben die Betriebsräte und Gewerkschaften in den Betrieben und Wirtschaftszweigen ein sogenanntes Mitspracherecht. Aber das ist keine Mitbestimmung . . . Auf Streiks reagieren die kapitalistischen Ausbeuter in zunehmendem Maße mit Aussperrung, das heißt sie lassen die Werktätigen erst dann wieder arbeiten, wenn sie ihre Forderungen aufgegeben haben.“
Im Kampf um die Erhaltung der politischen Rechte würden „Kommunisten und andere fortschrittliche Kräfte durch Berufsverbote, Gesinnungsschnüffelei und Bespitzelung unterdrückt und behindert“ Nur ein Bild zur UN-Mitgliedschaft der beiden deutschen Staaten vermittelt den Eindruck friedlichen Nebeneinanders, der aber durch den Kontext „Aggressivität heute“ wieder verwischt wird
Solche verzerrte Darstellung der politischen und gesellschaftlichen „Realität“ in den sogenannten imperialistischen Staaten verfolgt in erster Linie den Zweck, die marxistische Lehre von der Überlegenheit des Sozialismus zu untermauern und zugleich von eigenen systemimmanenten Problemen bei der Durchführung des entwickelten Sozialismus abzulenken. Dabei konstruiert man aus vereinzelten. nicht zusammengehörenden Steinchen ein Bild, das beweisen soll, daß Demokratie in der Bundesrepublik nur vorgegaukelt würde. Hierzu einige Beispiele: „Die Massenarbeitslosigkeit beweist, daß der Kapitalismus unfähig ist, eine menschenwürdige Gesellschaft bzw. elementare Menschenrechte zu gewährleisten. Sie ist Ausdruck dafür, daß der Kapitalismus. daß die Kapitalisten immer auf Kosten der Werktätigen existieren.“ Da also Millionen das Recht auf Arbeit verweigert würde, müsse die Unmenschlichkeit des Imperialismus „durch Beseitigung der kapitalistischen Macht-und Eigentumsverhältnisse“ abgeschafft werden. Das positive Gegenbild: „Erst im Sozialismus ist es möglich, frei von Ausbeutung und Existenzangst zu leben und eine menschenwürdige Gesellschaft aufzubauen.“
Das eingliedrige Schulsystem der DDR wird als eine „der größten Errungenschaften des sozialistischen Staates vorgestellt. Dagegen gäbe es in der Bundesrepublik trotz allgemeiner Schulpflicht ein Bildungsprivileg; denn dort „existieren neben den staatlichen noch etwa 900 private Schulen. Wer seinem Kind eine erstklassige Ausbildung in solch einer Schule angedeihen lassen möchte, hat dafür monatlich zwischen 1200 und 2 000 DM zu zahlen. Die . höheren Schulen 1 vermitteln der zukünftigen Elite der kapitalistischen Gesellschaft eine weitaus umfassendere Bildung.“ Abgesehen von inhaltlichen Verfälschungen wird der Eindruck erweckt, also ob die „höheren Schulen“ Privatschulen wären. Im nächsten Schritt der Beweisführung für die Überlegenheit des sozialistischen Bildungssystems werden „kausale“ Zusammenhänge konstruiert:
„In der BRD gibt es Tausende arbeitsloser Lehrer, obwohl an den Schulen dringend Lehrer gebraucht werden, um den zum Teil beträchtlichen Unterrichtsausfall abzubauen. Doch während Milliarden DM in die Rüstung fließen, ist für die Bildung der Kinder angeblich kein Geld vorhanden. So ist es auch nicht verwunderlich, daß in einem so hochentwickelten Industrieland wie der BRD ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung als Analphabeten eingestuft wird. Manche können nur einfachste Texte schreiben.“
Im Systemvergleich der Stoffeinheit 8. 3 wird — gestützt auf die Lehrinhalte der vorangegangenen, oben skizzierten Einheiten — wieder von der These der Überlegenheit des Sozialismus ausgegangen; denn Bürger der DDR haben bedeutende Grundrechte. „die es nur im Sozialismus geben kann“ -Die beiden deutschen Staaten zeichne jedoch eine Besonderheit aus: „Die DDR ist ein sozialistischer, die BRD ein imperialistischer Staat. Beide stehen sich an der Trennlinie von Sozialismus und Imperialismus gegenüber.“
Das Feindbild Bundesrepublik Deutschland bzw.deren imperialistische und aggressive Bourgeoisie wird dadurch verstärkt, daß das Objekt, auf wel- ches eigene Aggressionen und Probleme gelenkt werden, sich in greifbarer Nähe befindet und im Erfahrungshorizont wie auch emotional verankert ist. Die Nähe birgt aber auch zusätzliche Probleme mit sich. Die DDR-Führung sieht sich einem hohen Legitimationsdruck ausgesetzt: Die marxistisch-leninistische Partei muß die Überlegenheit des Sozialismus in der DDR gegenüber dem kapitalistischen System im anderen Teil Deutschlands nicht nur ideologisch darlegen, sondern diese auch durch Fakten belegen.
Dieses Dilemma verlangt der politisch-ideologischen Erziehung nicht selten eine abenteuerliche Gedankenakrobatik ab. Es wird in immer wieder neuen Varianten das Feindbild entsprechend den Konstanten marxistischer Ideologie gezeichnet. Die Grautöne im Schwarz-Weiß-Bild werden ideologisch mit taktischen Erwägungen begründet. Aber nach wie vor mündet die Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus in den Lehrplänen und Schulbüchern immer in vergleichbare klassenkämpferische Parolen und Merksätze, die die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Imperialismus, die gegensätzlichen Ziele im Klassenkampf, die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung oder die historische Notwendigkeit der Ablösung des Kapitalismus betonen.
Die These, daß der Imperialismus in der Bundesrepublik aggressiv und revanchistisch war und auch gegenwärtig (Redaktionsschluß des Bandes: November 1986) noch ist. wird historisch-politisch zu begründen versucht. Die Schüler erfahren in der Klasse sieben, daß 1949 der Versuch des Monopol-kapitals gescheitert wäre, seine Herrschaft in ganz Deutschland wieder herzustellen. Die damals gegründete Bundesrepublik sollte als „Speerspitze“ gegen den Sozialismus agieren. „Von Anfang an unterlag in der BRD jegliche fortschrittliche, demokratische Tätigkeit der staatlichen Kontrolle und Bespitzelung. Ein immer dichteres Netz der Überwachung wurde über die Bundesrepublik gezogen . . . Damit sollen die Massen eingeschüchtert, der imperialistischen Politik gefügig gemacht werden. Dem diente auch die massive Beeinflussung der Bevölkerung der BRD im Sinne des Antikommunismus und Antisowjetismus. Zeitungen und Zeitschriften, Bücher und Broschüren — sie alle verbreiten ein falsches, schöngefärbtes Bild von der kapitalistischen Gesellschaft. Damit verschleiern sie bewußt die kapitalistischen Ausbeutungs-und Machtverhältnisse.“ Hauptziel der aggressiven Politik der Bundesrepublik sei damals wie heute die DDR: „Vor allem bis zum Anfang der sechziger Jahre wurden viele Versuche von der BRD und von Westberlin aus unternommen, die DDR zu schwächen, sie gewaltsam . aufzurollen', um sie dann in den eigenen Herrschaftsbereich einzuverleiben. Unzählige Pläne wurden ausgebrütet und durchgeführt, um dem Sozialismus in der DDR Schaden zuzufügen. Da gab es die Zigarrenschachtel, in der eine Bombe eingebaut war . . ."
In diesem Stil werden die Schüler seitenlang über die Aggressivität der imperialistischen Kreise in der Bundesrepublik aufgeklärt. Es erübrigt sich, das positive Gegenbild, die auf die Stärkung der Verteidigungskraft des Sozialismus gerichtete Friedenspolitik und die Freundschaft mit dem sozialistischen Bruderstaat Sowjetunion nachzuzeichnen
V. Revolutionäre Traditionen und gegenwärtige Tendenzen
In den letzten Jahren sind im marxistischen Geschichtsbild Ausweitungen und Differenzierungen zu beobachten, die es der SED gestatten, „alle revolutionären, demokratischen, progressiven und humanistischen Erscheinungen und Persönlichkeiten für ihre Traditionslinie fruchtbar zu machen und auch Leistungen und Personen der . herrschenden Ausbeuterklasse*, die dem Fortschritt im Sinne des Sozialismus gedient haben, teilweise oder ganz für sich zu beanspruchen. Damit kann die SED ihre Traditionslinie, die in der Vergangenheit über weite Strecken doch recht mager ausfiel, anreichem und durchaus attraktiver und interessanter gestalten.“
Diese Tendenz findet ihren Niederschlag auch im neuen Lehrplan für Geschichte Noch stärker als zuvor rückt die deutsche Geschichte, verstanden als Nationalgeschichte der DDR. in den Mittelpunkt. Die DDR verkörpere „tief in den großen Leistungen und Kämpfen unseres Volkes verwurzelt“ die besten Traditionen deutscher Geschichte, „insbesondere die revolutionären Traditionen des Kampfes der Arbeiterklasse“, und stelle „den bisherigen Höhepunkt der ganzen deutschen Geschichte“ dar Im bereits vorliegenden, überarbeiteten Band für die Klasse neun, der den Zeitraum von der russischen Oktoberrevolution bis zur Gründung derDDR umfaßt, wird die deutsche Nachkriegsgeschichte fast ausschließlich auf die Entwicklung in der sowjetischen Zone und die Gründung der DDR bezogen. Die Entwicklung in den Westzonen wird weitgehend negiert. In einfachster Schwarzweißmalerei wird sie als Verhinderung „antifaschistischdemokratischer Aktionen“ durch die Westmächte, Errichtung des Monopolkapitalismus und Betreiben der Spaltung Deutschlands beschrieben.
Die Intentionen des neuen Lehrplans entsprechen weiterhin der vor allem im Staatsbürgerkundeunterricht forcierten parteilichen Erziehung zum begründeten Klassenstandpunkt, zur Liebe zum sozialistischen Vaterland, zum sozialistischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus und zur antiimperialistischen Grundhaltung Ausdrücklich wird eine hohe erzieherische Wirksamkeit durch die „Konkretheit marxistisch-leninistischer Geschichtsbetrachtung“, die „parteiliche Darstellung und Wertung historischer Ereignisse“ und ihre „emotional wirksame Behandlung“ eingefordert. Nach Reaktionen in der Fachzeitschrift „Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde“ begrüßen Lehrer, daß nunmehr die Geschichte der DDR und die Schwere des Kampfes um den Sieg des Sozialismus anschaulicher werden könne. Damit scheint sich eine Tendenz zur verstärkten Personalisierung zumindest anzudeuten, indem die Leistungen sozialistischer Politiker wie Ulbricht, Grotewohl oder Castro als vorbildlich hervorgehoben werden. Erste Berichte über die Anwendung des neuen Lehrplans im Unterricht lassen kaum vermuten, daß das Feindbild abgebaut würde. Zwar fordert der modifizierte Lehrplan für Staatsbürger-kunde eine differenziertere Sicht des Imperialismus, indem neben dem „unversöhnlichen Gegensatz von Arbeiterklasse und Bourgeoisie“ deutlich gemacht werden soll, daß im Kampf um den Frie-den auch „realistisch denkende Kreise des Imperialismus sehr wohl Partner sein können“ Solche Modifikationen sind taktische Erwägungen, die damit begründet werden, daß in der gegenwärtigen Phase sich verschärfender Klassenkämpfe die Gegensätze auch innerhalb der Bourgeoisie anwachsen. Aber der ideologische Kampf soll mit unverminderter Schärfe weitergeführt werden. Dieses gilt besonders angesichts der „Friedensinitiativen“ des sozialistischen Lagers.
Die DDR-Führung scheint gegenwärtig wenig offen für Veränderungen, wie sie sich in der Sowjetunion anbahnen. So stellte Ende Oktober Kurt Hager auf dem Schulräteseminar in Ludwigsfelde fest: „Die in der Sowjetunion vor sich gehende Umgestaltung ergab sich aus inneren Entwicklungsbedingungen, ihre Formen und Methoden entsprechen den Zielen, die sich die KPdSU stellt; sie sind nicht auf die anderen sozialistischen Länder übertragbar.“
Die Anzeichen — Revision der Lehrpläne und der Schulbücher einschließlich der Stellungnahmen von Lehrern in Fachzeitschriften — deuten gegenwärtig eher darauf hin, daß die ideologische Schulung im Rahmen der Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit weiterhin verstärkt durchgeführt wird. Dabei darf nicht übersehen werden, daß sich die DDR unter einem hohen Legitimationsdruck angesichts ihrer geopolitischen Lage an der „Trennlinie zwischen Sozialismus und Imperialismus“ befindet. Mag sich auch die DDR-Führung nach außen hin flexibler zeigen, so läßt sich hieraus keine Entsprechung an der ideologischen Front im Inneren ableiten. Gerade die friedliche Koexistenz und der Kampf um den Frieden erforderten ideologische Prinzipienfestigkeit