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Alternative Entwicklungspfade der Telekommunikationspolitik Zu den technischen und ordnungspolitischen Plänen der Deutschen Bundespost | APuZ 46-47/1988 | bpb.de

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APuZ 46-47/1988 Macht der Medien Zum aktuellen Stand der Ethik-Debatte in Journalismus und Wissenschaft Wider die Folgenlosigkeit Bestandsaufnahme der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung zu den Kabelpilotprojekten Alternative Entwicklungspfade der Telekommunikationspolitik Zu den technischen und ordnungspolitischen Plänen der Deutschen Bundespost Artikel 1

Alternative Entwicklungspfade der Telekommunikationspolitik Zu den technischen und ordnungspolitischen Plänen der Deutschen Bundespost

Herbert Kubicek/Barbara Mettler-Meibom

/ 38 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Telekommunikationspolitik greift nicht nur tief in unsere Gesellschaft ein, sie läßt auch höchst unterschiedliche Entwicklungspfade oder Optionen zu, darin z. B.der Energie-oder der Verkehrspolitik ähnelnd. Der Beitrag gibt die Ergebnisse mehrjähriger Forschungen wieder und kommt zu einer umfassenden Kritik der derzeitigen Telekommunikationspolitik. Legt man Kriterien der Sozialveträglichkeit an. so erkennt man eine Fülle von Problemen in der Langfriststrategie der Post: zu hohe technische Komplexität und Verwundbarkeit, hohes Kontroll-und Entdemokratisierungspotential, fehlende soziale Beherrschbarkeit und Bedarfsangemessenheit, umfassende informations-und kommunikationsökologische Risiken. Ordnungspolitisch entzieht die derzeitige Deregulierungspolitik dem Staat längerfristig die Möglichkeit. Kriterien der Sozialverträglichkeit durchzusetzen. Die bisher verfolgte Telekommunikationspolitik ist, wie der Nachweis von technischen und ordnungspolitischen Alternativen zeigt, keine zwingende Notwendigkeit. Vielmehr gibt es Alternativen der Telekommunikationspolitik, die sich in wichtigen Elementen als sozialverträglicher erweisen dürften. Mit diesem Nachweis unterschiedlicher Entwicklungspfade der Telekommunikationspolitik will der Beitrag die öffentliche Diskussion anregen und zu noch möglichen Korrekturen beitragen.

I. Einführung

(1 (3 Breitband-Verteilnetze Fernsprechnetz Abb. 1: Heutige Struktur der Fernmeldenetze Quelle: Deutsche Bundespost

Obwohl das Fernmeldewesen zur Zeit tiefgreifenden ordnungspolitischen und technischen Änderungen unterzogen wird, beschränkt sich die öffentliche Diskussion überwiegend auf die ordnungspolitischen Reformpläne. Über die technischen Änderungen der Fernmeldeinfrastruktur besteht weitgehende Einmütigkeit zwischen den großen Parteien, den Wirtschaftsverbänden und den Gewerkschaften. So könnte man fast von einem breiten gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der Technologie-politik der Deutschen Bundespost sprechen — wären nicht die technischen Ausbaupläne und die ordnungspolitischen Reformvorhaben das Objekt einer umfassenden Kritik, die bisher allerdings nicht nennenswert in die Öffentlichkeit gedrungen ist. Vorgetragen wird diese Kritik auf dem parteipolitischen Spektrum vor allem von den GRÜNEN, und wissenschaftlich begründet wird sie von einer wachsenden Zahl von Sozialwissenschaftlerinnen, Rechtswissenschaftlerinnen und Informatikerinnen *). Sie beschränken sich nicht nur auf eine Kritik, sondern versuchen auch Alternativen in die Diskussion zu bringen. Berufliche und wissenschaftliche Vereinigungen wie die Gesellschaft für Informatik und die Gesellschaft für Rechts-und Verwaltungsinformatik haben inzwischen einzelne Kritikpunkte aufgegriffen und darauf gründende Forderungen erhoben -

Diese vielfältigen, aber verstreuten Kritiken und Alternativvorschläge sind Gegenstand einer Studie, die in knapp zweijähriger Arbeit von einer interdisziplinären Forschungsgruppe im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen erstellt und im Mai 1988 veröffentlicht wurde Der Titel „Optionen der Telekommunikation“ soll zum Ausdruck bringen, daß gegenwärtig noch zwischen verschiedenen Richtungen der Weiterentwicklung des Fernmeldewesens gewählt werden kann. Analog zur Enquete-Kommission Kernenergie werden vier Entwicklungspfade oder Optionen herausgestellt, die sich in technischer und ordnungspolitischer Hinsicht unterscheiden. Der Untertitel „Materialien für einen technologiepolitischen Bürgerdialog“ kennzeichnet die in erster Linie beabsichtigte Verwendung der Studie: Die bisherige Diskussion beschränkt sich auf kleine Expertenzirkel, die überwiegend eigene materielle Interessen an der Entwicklung haben. Obwohl die Entscheidungen der nächsten Zeit letztlich die Arbeits-und Lebensbedingungen von Millionen Menschen um die Jahrtausendwende und danach stark beeinflussen, werden diese nicht nach ihren Wünschen und Bedürfnissen gefragt. Selbst für interessierte Bürgerinnen ist es sehr schwierig, sich über die Werbeanzeigen von Post und Herstellern hinaus Informationen für eine vollständige und eigene Meinungsbildung zu verschaffen. Um diesem Mangel abzuhelfen, sind die Ergebnisse dieser „Optek-Studie“ so aufbereitet, daß sie das gesamte Spektrum der Diskussion strukturieren und mit einer Fülle von zum Teil schwer zugänglichen Dokumenten belegen.

II. Postpolitik am Scheideweg

Vermittlungseinrichtung der Bundespost Außenstelle, Zweigstelle u. a. Unterehmen/Verwaltung A Datenübertragungseinrichtung Betriebe/Selbständige Datenübertragungseinrichtung Untemehmen/Verwaltung B Floppy Disk Drucker Rechner Private Haushalte Plattenspeicher Abb. 2: Angestrebter Endzustand aus der Sicht von Bundespost und Technikherstellern Quelle: Deutsche Bundespost

Die derzeit geplanten technischen und ordnungspolitischen Änderungen des Fernmeldewesens dienen einem gemeinsamen wirtschaftspolitischen Ziel. Neben der Bio-und Gentechnologie gelten die Informations-und Kommunikationstechnologien als einer der wenigen Wachstumsbereiche der nächsten Jahre. Teilweise wird sogar vom Übergang von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft gesprochen, in der die technisch unterstützte Produktion und Distribution von Informationen für Wirtschaft und Gesellschaft bestimmend sein soll. In diesem Zusammenhang wird der Fernmeldeoder Telekommunikationsinfrastruktur der gleiche Stellenwert beigemessen, den die Straßen-und Schienennetze für die Produktion und Distribution von Industriegütern haben. Die Infrastrukturinvestitionen der Post sollen Investitionen der Betriebe und Privathaushalte in neue Telekommunikationsgeräte anregen und Vertriebswege für neue kommerzielle Telekommunikationsdienstleistungen schaffen. Die ordnungspolitischen Maßnahmen der Deregulierung oder Liberalisierung des derzeitigen Femmeldemonopols sollen diesen Prozeß unterstützen und dazu beitragen, daß die Wachstumspotentiale durch Aktivierung der Marktkräfte voll ausgeschöpft werden. 1. Netzausbaupläne der Deutschen Bundespost 1984 hat die Deutsche Bundespost ein auf 30 Jahre angelegtes Konzept für den Ausbau der Fernmeldeinfrastruktur vorgelegt dessen Investitionsvolumen auf 300 Mrd. DM geschätzt wird In diesem Konzept werden Einzelentwicklungen, die bereits Ende der siebziger Jahre unter der sozialliberalen Koalition eingeleitet worden waren, in einem Vier-Stufen-Plan zusammengefaßt. An die Stelle der heutigen speziellen Netze für die Übertragung von Sprache, von Texten und Daten sowie von Hörfunk und Fernsehen soll ein integriertes Universalnetz treten, in dem Nachrichten in jedweder Form (als Sprache, Daten, Texte, Stand-oder Bewegtbilder) elektronisch übertragen und vermittelt werden.

Die derzeitige Fernmeldeinfrastruktur besteht — etwas vereinfachend dargestellt — aus einem Nebeneinander von drei unterschiedlichen (Spezial) Netzen: — Das flächendeckende Fernsprechnetz mit seinen ca. 6 000 Vermittlungsstellen und ca. 30 Millionen Anschlüssen ist für die Übertragung und Vermittlung von gesprochenen Nachrichten entwickelt und ausgebaut worden. Es verfügt über eine überwiegend analoge Übertragungstechnik und eine elek-tromechanische Vermittlungstechnik. Das heißt, die Schallwellen der gesprochenen Worte werden im Telefonapparat in entsprechende elektrische Schwingungen umgewandelt, die über das Netz übertragen werden. Um digitale Daten aus Computern über dieses Netz übertragen zu können, müssen diese erst mit Hilfe eines Modems in Töne umgewandelt werden, die dann wie gesprochene Worte übertragen werden. Die Vermittlungstechnik ist so. daß in den Vermittlungsstellen nicht ohne weiteres festgestellt werden kann, wer gerade mit wem telefoniert.

— Weil das Fernsprechnetz für die schnelle Übertragung von Daten nicht optimal geeignet ist, wurde in den siebziger Jahren das Fernschreibnetz zum Integrierten Text-und Datennetz, auch IDN (= Integriertes Digitales Netz) genannt, ausgebaut. Es besteht heute aus ca. 20 Vermittlungsstellen und weist etwa 300 000 Anschlüsse auf. Übertragungs-und Vermittlungstechnik sind digital. Das heißt, die Signale werden so übertragen, wie sie in den Speichern der angeschlossenen Daten-und Textstationen anfallen. Die Vermittlung erfolgt über Computer. — Neben diesen beiden Vermittlungsnetzen werden Breitbandverteilnetze für die Verteilung von Hörfunk-und Fernsehprogrammen errichtet. Diese aus Kupferkoaxialkabeln bestehenden Netze sind von den beiden anderen völlig getrennt.

Post und Herstellerindustrie wollen, daß die Daten-und Textübertragung in einigen Jahren ähnliche Größenordnungen annimmt wie das Fernsprechen. (Abb. 2). Ein solcher Durchbruch zu Massenanwendungen ist nach herrschender Auffassung nicht über den weiteren Ausbau des dafür errichteten Spezialnetzes (IDN) zu erzielen. Vielmehr soll das bisher wenig computergerechte, dafür aber flächendeckende Fernsprechnetz schrittweise so umgerüstet werden, daß es die Funktionen der anderen (Spezial-) Netze mit erfüllen kann. Diese Umrüstung erfolgt in vier Stufen. 1. Stufe Seit 1984 werden die elektromechanischen durch digitale Vermittlungsstellen, d. h. durch speicherprogrammierte Rechner ersetzt. Daneben werden die Übertragungswege zwischen den Vermittlungsstellen digitalisiert. Der Übergang von der Mechanik zur Elektronik in der Vermittlungstechnik ist dem herrschenden Stand der Technik entsprechend mit einem grundlegenden Wandel des Vermittlungsvorgangs verbunden. Der bisher prinzipiell anonyme (weil schrittweise durchschallende Vermittlungsvorgang) wird ersetzt durch einen prinzipiell identifizierenden Vorgang, bei dem die Speicherung der rufenden Nummer und der Zielnum-B mer für die Herstellung einer Verbindung unverzichtbar sind. Von dieser Änderung merken die Teilnehmerinnen in der Regel nichts. Sie haben, wenn sie weiterhin telefonieren wollen, auch keine Möglichkeit, sich dieser Veränderung zu entziehen. 2. Stufe Von Dezember 1988 an wird durch den Einbau entsprechender Erweiterungen der digitalisierten Fernsprech(orts) vermittlungsstellen und neuer Netzanschlüsse bei den Teilnehmerinnen die Umrüstung auf den ISDN-Standard eingeleitet. ISDN steht für Integrated Services Digital Network oder Integriertes Sprach-und Daten-Netz. Auf den vorhandenen einfachen Kupferanschlußleitungen des Fernsprechnetzes können dann zwei digitale Basis-oder Nutzkanäle und ein digitaler Dienst-oder Steuerkanal geschaltet und gleichzeitig genutzt werden. Der ISDN-Netzanschluß wird „Kommunikationssteckdose“ genannt. Daran können bis zu acht verschiedene Endgeräte (Femsprechapparate, Fernkopierer, Text-oder Datenstationen u. ä.) angeschlossen werden, von denen jeweils zwei unabhängig voneinander für Verbindungen mit demselben oder mit zwei verschiedenen anderen Teilnehmeranschlüssen genutzt werden können. Weil die Verbindung durchgehend digital ist, kann eine Reihe von Zusatzinformationen (Nummer des rufenden Anschlusses, Gebühren u. ä.) mitübertragen und angezeigt werden.

ISDN-Anschlüsse sollen nur auf Antrag geschaltet werden. So wird es noch mindestens 20 bis 30 Jahre bei einem Nebeneinander von alten Analoganschlüssen und ISDN-Anschlüssen im Fernsprechnetz bleiben. Über das ISDN werden zunächst alle bisher im Fernsprechnetz und im Integrierten Text-und Datennetz (IDN) angebotenen Fernmeldedienste mit veränderten Leitungsmerkmalen angeboten werden. Darüber hinaus werden langsame Schwarz-Weiß-Bildübertragung, Fernzeichnen sowie Textfax als Kombination aus Fernschreiben und Femkopieren als weitere zukünftige Dienste genannt. 3. Stufe Auf der Basis der vorhandenen einfachen Kupferanschlußleitungen ist die Übertragung von bewegten Bildern in Farbfemsehqualität nicht möglich. Auch für die Übertragungsgeschwindigkeit von Daten gibt es technische Obergrenzen. Daher soll in einem dritten Schritt das Schmalband-oder 64 Kilobit-ISDN zu einem Breitband-ISDN ausgebaut werden. Neben neuen technischen Elementen in den Vermittlungsstellen und beim Teilnehmer müs32 sen dazu Teilnehmeranschlußleitungen aus Glasfaserkabeln verlegt werden. 4. Stufe In einer vierten Stufe soll schließlich die Vermittlungstechnik so erweitert werden, daß sie auch die Vermittlung und Verteilung von Hörfunk-und Fernsehprogrammen umfaßt. Dann könnten auch die heute von den Breitbandverteilnetzen erfüllten Funktionen von dem ursprünglichen Fernsprechnetz übernommen werden. Fernsehsendungen oder Videofilme könnten aber auch individuell abgerufen und überspielt werden. Die Deutsche Bundespost spricht vom IBFN (= Integriertes Breitband Femmeldenetz) oder einem Universalnetz. Entsprechende Versuche werden seit 1983 in sieben Städten unter der Bezeichnung BIGFON (Breitbandiges Integriertes Glasfaserfernmeldeortsnetz) durchgeführt. Es gibt neuerdings Hinweise darauf. daß das Bundespostministerium von dem bisher verfolgten Konzept des Universalvermittlungsnetzes in Sternform abrückt und technische Alternativen prüft. 2. Neuordnung des Post-und Fernmeldewesens Der ordnungspolitische Rahmen des Post-und Fernmeldewesens wird vor allem durch das Grundgesetz sowie durch das Postverwaltungsgesetz von 1953, das Fernmeldeanlagengesetz von 1928 und das Telegraphenwegegesetz von 1899 abgesteckt Nach Art. 87 GG ist das Post-und Fernmeldewesen als unmittelbare Bundesverwaltung zu führen. Der Deutschen Bundespost ist u. a. das Fernmeldemonopol vorbehalten. Das heißt, sie alleine ist berech-tigt, außerhalb privater Grundstücke Fernmeldeanlagen zu errichten und zu betreiben.

Insbesondere Unternehmen aus der EDV-Branche war dieses Monopol mit zunehmender Nachfrage nach Datenfernübertragung ein Dom im Auge. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wurde 1977 jedoch abgewiesen (BVerfGE 46, S. 120ff.). Nach dem Regierungswechsel 1982 wurde eine Regierungskommission Fernmeldewesen eingesetzt, die 1987 Empfehlungen für eine Neuordnung des Fernmeldewesens erarbeitet hat Parallel dazu wurde auf EG-Ebene ein Grün-buch zur Telekommunikation erstellt Daran anknüpfend sind mehrere Versionen eines Entwurfs für ein Poststrukturgesetz vorgelegt worden. Das Bundeskabinett hat im Mai 1988 einen Entwurf verabschiedet, zu dem die Bundesländer jedoch eine Reihe von Änderungswünschen angemeldet haben. Der Kern der Reform ist zwischen Bundesregierung und Bundesrat allerdings nicht strittig:

— Das Postverwaltungsgesetz soll durch ein Postverfassungsgesetz geändert werden. Es stellt die wirtschaftlichen Ziele in den Vordergrund und sieht eine Trennung des hoheitlichen Bereichs von den Dienstleistungsfunktionen vor; letztere sollen drei Unternehmen mit eigenen Vorständen und Aufsichtsräten übertragen werden. Für die einzelnen

Unternehmen ist eine eigene Haushaltsführung und Kostenrechnung vorgesehen. Das Unternehmen Deutsche Bundespost-TELEKOM verfügt über das Netzmonopol und das Monopol für den einfachen Fernsprechdienst. Alle anderen Fernmeldedienste dürfen auch von anderen Unternehmen angeboten werden. Sogenannte Pflichtleistungen müssen von TELEKOM erbracht werden, sogenannte Freie Leistungen dürfen angeboten werden. Was Pflicht-und was Freie Leistungen sind, soll der Bundesminister für Post-und Telekommunikation durch Verordnung bestimmen. Auf die gleiche Weise soll er Benutzungsbedingungen sowie Regelungen zum Datenschutz, allerdings nur für TELEKOM, erlassen dürfen. — Im Fernmeldeanlagengesetz werden dementsprechend die Bestimmungen über das Fernmeldemonopol geändert. „Jedermann“ ist danach berechtigt, Telekommunikationsdienstleistungen für andere — mit Ausnahme des einfachen Fernsprechdienstes — zu erbringen. „Jedermann“ darf auch zugelassene Endeinrichtungen anbieten und betreiben. Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen müssen dies anzeigen. Eine Genehmigungspflicht besteht nicht. Das Zulassungsverfahren für Telekommunikationsendeinrichtungen soll vereinfacht und beschleunigt werden.

III. Kritik an den Netzausbauplänen und Vorschläge für technische Alternativen

Fernsprechen Oatenübertragung Im Fern* sprechnetz Telefax er. 23 Bildschirmtext Telex Datei L Teletex Oatex P Telefax u Ers Blldtemsprechen Hörfunk Fernsehen > • Fern-sprech-netz Integriertes Femschreitund Datennetz (ION) BIGFON Gemeinschafts* antennenanlagen U n 1 1 Schmalband ISDN G 4kals Videokonferenz* Versuchsnetz Schmal-band-und Breitband-ISDN X snws BK-Ketz j > ) Universal-netz Abb. 3: Geplante Stufen des Ausbaus der Fernmeldenetze zu einem totalen integrierten Universalnetz 0•gdsgq Videekomferenz?

Insgesamt gibt es zwei ganz unterschiedliche Ausgangspunkte für Kritik und Alternativvorschläge. Auf der einen Seite wird kritisiert, daß die Bundespost ihr an sich richtiges Konzept zu langsam realisiere, dadurch den deutschen Herstellern von Fernmeldeanlagen internationale Marktchancen nehme und im Inland den Diffusionsprozeß nicht über die kritische Schwelle bringe. Von anderer Seite werden die Netzausbaupläne im Hinblick auf soziale Risiken kritisiert und in dieser Hinsicht bessere Alternativen gefordert. Da die erste, ökonomisch orientierte Kritik hinlänglich Publizität erlangt hat, soll hier nur auf die zweite eingegangen werden. 1. Die Hauptkritikpunkte Die im Zusammenhang mit sozialen Risiken vorgetragene Kritik kann in sechs Bereiche untergliedert werden. a) Technische Komplexität Das geplante Schmalband-ISDN wird im Vollausbau eines der größten Rechnernetze werden. Die mehr als 6 000 Vermittlungsstellen sind die Knoten dieses Netzes. Darüber sollen Verbindungen zwischen ca. 30 Millionen Terminals gesteuert werden, die sich auf mindestens zehn Dienste mit jeweils einer Reihe von Dienstemerkmalen beziehen.

In der Nachrichtentechnik galt früher der Grundsatz, daß unterschiedliche Funktionen auf unterschiedliche Systeme verteilt werden sollten Mit dem Einzug der Computertechnik erliegt nun auch die Nachrichtentechnik dem „Komplexitätssyndrom“ der Informatik. Denn in der Informatik gilt, wie der Schweizer Informatikprofessor Niklaus Wirth selbstkritisch feststellt, „eine einfache Lösung oft als zurückgeblieben und naiv“

Mit zunehmender Komplexität steigt jedoch das Fehlerrisiko und sinkt die technische Beherrschbarkeit. Computernetze brechen immer wieder zusammen, Rechner „stürzen ab“. So ist im Juni 1986 das französische paketvermittelnde Datennetz TRANSPAC zusammengebrochen, weil es dem Ansturm von Abfragen durch die Privathaushalte nicht gewachsen war. Das entsprechende deutsche Datex-P-Netz, ein Teilnetz im IDN, gilt nach Auffassung des Verbandes der Postbenutzer als „besonders instabil. Das Netz bricht häufig zusammen, Verbindungen werden oft unterbrochen, der Ausfall von Knotenrechnern führt zum Ausfall ganzer Netzteile . . ,“ Der Verband verweist auch darauf, daß schon der Ausfall einer Datenvermittlungsstelle für die jeweiligen Benutzer schlimme Folgen haben kann, der Ausfall einer Ortsvermittlungsstelle im Vergleich dazu jedoch eine Katastrophe ist.

Die bisherigen Erfahrungen mit digitalen Ortsvermittlungsstellen belegen solche Befürchtungen. In Großbritannien weist das „System X“ von British Telecom so viele Störungen auf, daß sich Unternehmen in der Öffentlichkeit beklagen (Wall Street Journal vom 27. August 1987). Nach einer Meldung der Frankfurter Rundschau fiel im Februar 1988 in Frankfurt die Fernvermittlungsstelle für längere Zeit aus. Trotz Notstromaggregat und Parallelrechner wurde der gesamte abgehende Fernsprechverkehr lahmgelegt. Der Fehler konnte in dem komplexen System über Stunden nicht lokalisiert werden (FR vom 13. Februar 1988). Wenn mit der ISDN-Einführung dann über eine solche Vermittlungsstelle der gesamte Femsprech-, Daten-und Textverkehr geht, sind die Folgen eines Ausfalls für die Wirtschaft unüberschaubar.

In der allgemeinen Diskussion über die Risiken von Hochtechnologien wird immer wieder gefordert, daß die Systeme fehlerfreundlich und entkoppelt gestaltet werden sollen -Die derzeitige Infrastruktur mit getrennten Vermittlungsstellen für Femsprechen, Telex und Datex-P entspricht diesen Forderungen. Beim Ausfall eines Teilnetzes können noch die beiden anderen benutzt werden; mit dem ISDN wird diese Möglichkeit ohne Not aufgegeben. b) Verwundbarkeit Hochkomplexe und zentralisierte Systeme sind technisch verwundbar. Wenn an eine ISDN-Vermittlungsstelle einmal mehrere tausend Datenverarbeitungsstationen angeschlossen sein sollten (z. B. für den elektronischen Zahlungsverkehr und den elektronischen Lieferabruf), so ist physische Gewalt gegen diese Schaltknoten des elektronischen Nervensystems der Informationsgesellschaft zu befürchten. Die immer wieder vorkommenden Bombenanschläge auf Rechenzentren geben Anlaß genug, dieses Risiko emstzunehmen. Je mehr wirtschaftlich relevante Nachrichtenströme über einen Vermittlungsknoten laufen, um so interessanter wird dieser für einen kriminellen Angreifer. Sind erst einmal der bargeldlose Kauf mit elektronischen Kreditkarten, die elektronische Warenbestellung und der Lieferabruf weit verbreitet, wird die Wirtschaft durch Drohungen mit Anschlägen auf ISDN-Vermittlungsstellen erpreßbar

Neben physischer Gewalt gegen Vermittlungsstellen besteht die Gefahr „weicherer Angriffe“ in Form von Software-Manipulationen und sogenannten Viren. Vor allem das Wartungspersonal der Systemhersteller und das Bedienungspersonal des Netzbetreibers hat die Möglichkeit, Manipulationen an der Software der Vermittlungsrechner vorzunehmen und z. B. Computerviren einzuschleusen. Bei einem integrierten und speicherprogrammierten Vermittlungsnetz sind diese Risiken systemimmanent. Schutzmaßnahmen richten sich nach der herrschenden Logik dann präventiv gegen die Menschen, die mit dem System zu tun haben. Ein Bericht des „Spiegel“ über das von General Electric betriebene Datennetz MARK III trug den bezeichnenden Titel „Die schwache Stelle ist der Mensch“ (Der Spiegel 7/85). In diesem Netz werden z. B. die Vermittlungsstellen und das Vermittlungspersonal mit mehrfachen Zugangskontrollen und permanent laufenden Videokameras überwacht.

Eine weitere „Schwachstelle“ sind all diejenigen, die mit der Entwicklung und Wartung der Vermittlungssoftware befaßt sind. Sie könnten Informationen an potentielle Angreifer weitergeben. In die-sem Zusammenhang ist wohl die Überprüfung von Beschäftigten aus dem Bereich „öffentliche Vermittlungstechnik“ der Siemens AG durch den bayerischen Verfassungsschutz zu sehen, die ohne Wissen der Betroffenen durchgeführt wurde

Dies sind erste Anzeichen, die in die Richtung der u. a. von Robert Jungk und auch von Alexander Roßnagel befürchteten Entwicklung weisen: Der zunehmenden technischen Verwundbarkeit wird mit immer mehr Sicherungsmaßnahmen begegnet, die letztlich die Freiheitsrechte so einschränken, daß ein totalitärer Überwachungsstaat entsteht

Diese Gefahr ist deswegen groß, weil die speicherprogrammierte Vermittlungstechnik die Möglichkeit bietet, alle Nutzungen zu protokollieren. Dies kann leicht als Mittel der vorbeugenden Gefahren-abwehr oder zur nachträglichen Identifizierung von Angreifern ausgegeben und generell genutzt werden. Dann entstünden Dateien, die nur einem Überwachungsstaat angemessen sind. Um diese Art von „Schutz“ zu vermeiden, erscheint es notwendig, die technischen Systeme von vornherein so zu gestalten, daß sie weniger verwundbar sind c) Kontroll-und Entdemokratisierungspotential (Datenschutz)

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung besagt, daß personenbezogene Daten nur im erforderlichen Umfang gespeichert werden dürfen und daß die Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe für die Betroffenen transparent sein muß. Mit dem geplanten Ausbau der Fernmeldeinfrastruktur wird dieses Recht sowohl innerhalb des Netzbereichs als auch in den verschiedenen Anwendungsbereichen gefährdet.

Im Netzbereich bedeutet die bereits begonnene Digitalisierung der Vermittlungstechnik in der Form speicherprogrammierter Vermittlungsrechner einen grundlegenden Wandel von einem prinzipiell anonymen zu einem prinzipiell identifizierenden Vermittlungsverfahren. Verbindungsdaten wie Datum, Uhrzeit, Gebühreneinheiten und Zielnummer werden für jede Verbindung zunächst gespeichert und sollen in Zukunft zwecks Erstellung differenzierter Gebührenrechnungen („Nachweis“) in regionalen Rechenzentren gespeichert werden. Ohne Zweifel gibt es Interessen für solche differenzierten Femsprechrechnungen — etwa zu steuerlichen Zwecken. Dies rechtfertigt erstens jedoch nicht die Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten aller Teilnehmerinnen. Und zweitens ist nicht nur das Interesse der beantragenden Teilnehmerinnen zu berücksichtigen, sondern auch das Persönlichkeitsrecht der Mitbenutzerinnen und der Angerufenen. So sollten z. B. Ehemänner nicht einen Einzelgebührennachweis beantragen können, um ihre Ehefrauen, oder Eltern ihre Kinder kontrollieren zu können. Und wer angerufen wird und mit dem Abnehmen des Telefonhörers die Speicherung seiner Rufnummer als Zielnummer auf dem Konto eines anderen auslöst, sollte dies wissen können

Da Fernsprechteilnehmerinnen nicht wählen können, ob sie an eine speichernde oder nicht speichernde Ortsvermittlungsstelle angeschlossen werden, handelt es sich hier um einen Eingriff in persönliche Freiheiten. Dieser erscheint nicht zulässig, weil er nicht erforderlich ist. Technisch ist nämlich auch die dezentrale Einzelgebührenerfassung am Teilnehmeranschluß möglich.

Je mehr Dienste in einem Netz integriert werden, um so größer wird bei der derzeit geplanten Vermittlungstechnik der Umfang speicherbarer und auswertbarer Daten. In der bisher verfolgten Endstufe des Netzausbaus, dem Integrierten Breitband-Fernmeldenetz (IBFN) auf Glasfaserbasis, würde in einem Vermittlungsrechner gespeichert, mit wem Teilnehmerinnen wann und wie lange telefoniert haben. Bildfernsprechen, Telex, Telefax oder Bildschirmtext betrieben und welche Femseh-und Hörfunkprogramme sie eingeschaltet haben.

In dem Maße, wie private Dienste zugelassen werden, entstehen in deren Betriebs-und Vermittlungszentralen ähnliche Dateien mit personenbezogenen Daten. Die für diese geltenden Datenschutz-anforderungen und -kontrollen sind nach geltendem Recht der Bundesrepublik wesentlich schwächer als die für den öffentlichen Bereich. So dürfen die Datenschutzbeauftragten bzw. Kontrollinstanzen nicht von sich aus, sondern nur auf Beschwerden hin prüfen. In der Regel haben die Teilneh-* merlnnen aber keine Kenntnis, welche Daten in Verbindung mit einem Dienst wozu weiterverarbeitet und/oder weitergegeben werden, um sich konkret beschweren zu können.

Auch eine Reihe von sogenannten Leistungsmerkmalen im ISDN wirft Probleme der Interessenabwägung auf. So sollen beim Identifizieren angerufene Teilnehmerinnen bzw. Inhaberinnen der empfangenden Datenstation entscheiden, ob die Rufnummer der anrufenden Person oder der sendenden Datenstation bei ihm angezeigt wird. Diese Entscheidung ist für die Anrufenden bzw. die sendende Stelle nicht erkennbar. Im Telefondienst müßten jedoch beispielsweise diejenigen, die eine Drogen-oder Aidsberatungsstelle anrufen, selbst bestimmen können, ob ihre Rufnummer dort angezeigt wird

Im Bereich der Datenfernübertragung gibt es aus der Sicht der sendenden Teilnehmerinnen Fälle, wo ein Identifizieren sehr erwünscht ist (z. B. Banküberweisungen). Wenn dieselben Teilnehmerinnen jedoch im elektronischen Katalog eines Versandhauses „blättern“, so soll wohl kaum das Versandhaus darüber entscheiden, ob es die Nummer mitgeteilt bekommt oder nicht. Da das derzeitige ISDN-Konzept der „Philosophie“ einheitlicher Behandlung aller Übertragungen folgt, ist nicht vorgesehen, daß innerhalb eines Datenübertragungsdienstes von Fall zu Fall selbst entschieden werden kann, ob die eigene Rufnummer weitergeleitet wird oder nicht. Technisch ist dies ohne weiteres möglich. Es ist nur im derzeitigen Verfahren für den Verbindungsaufbau nicht realisiert.

Mit zunehmendem Einsatz von Sprach-und Textspeichersystemen stellt sich darüber hinaus auch die Frage nach dem Schutz der Inhaltsdaten. Weil in der Bundesrepublik Deutschland die Datenschutz-gesetze auf den Schutz von personenbezogenen Daten in Dateien ausgerichtet sind, entsteht die Frage, ob ein Sprachspeicher überhaupt eine Datei ist.

Eine Kritik dieser technischen Kontrollmöglichkeiten ergibt sich nicht erst, wenn einer Instanz die Absicht der Personenüberwachung unterstellt werden kann. Die Datenschutzbeauftragten gehen aus Erfahrung davon aus, daß Dateien, die für einen bestimmten Zweck errichtet werden, Begehrlichkeiten bei anderen Stellen wecken, denen im Laufe der Zeit zunehmend entsprochen wird. Eine Beschränkung der freien Kommunikation der Bürger tritt im übrigen bereits dann ein, wenn aufgrund des Wissens um die Möglichkeit der technischen Überwachung mit der „Schere im Kopf“ kommuniziert wird

Ein weiterer Problembereich betrifft den mit dem ISDN angestrebten Übergang von vielen inkompatiblen geschlossenen Datennetzen zu einem einheitlich standardisierten, technisch offenen Netz. Ein solches offenes Netz würde die bisherigen technischen Hindernisse für die beliebige Übermittlung personenbezogener Daten beseitigen. Für den Schutz personenbezogener Daten in technisch offenen Netzen sind die Bestimmungen der Datenschutzgesetze einschließlich zentraler Begriffe nicht gedacht und bieten daher auch keinen wirksamen Schutz Und selbst wenn konkretere Regelungen formuliert werden, bleibt das Problem der Überwachung ihrer Einhaltung. Dies gilt für die Millionen erwarteter PC-Anschlüsse ebenso wie für die internationale Datenübertragung.

Vor allem innerhalb der öffentlichen Verwaltung ist ein technisch offenes Netz, das beispielsweise Kommunalverwaltungen, Regierungspräsidien und Landesbehörden verbindet, nicht mit dem Zweckbindungsprinzip und Abschottungsgebot vereinbar Auf technischem Weg würde so eine Art Informationsabsolutismus ermöglicht, der mit demokratischen Prinzipien unvereinbar ist. Notwendig ist es vielmehr, Prinzipien informationeller Gewaltenteilung unter veränderten technischen Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten. d) Informations-und kommunikationsökologische Risiken Die ökonomischen Erwartungen zielen darauf ab, daß viele Prozesse direkter zwischenmenschlicher Kommunikation sowie der Kommunikation per Brief oder Telefon durch das Benutzen von Systemen der Text-und Datenübertragung und -Verarbeitung ergänzt bzw. ersetzt werden. Mit einem solchen Wechsel der Kommunikationsmedien werden sich auch die Kommunikationsbeziehungen und das Kommunikationsverhalten zwischen Menschen erheblich verändern. So hat z. B. eine bessere räumliche und zeitliche Erreichbarkeit von Menschen, gekoppelt mit erweiterten Möglichkeiten der Speicherung von Kommunikationsinhalten, zur Folge, daß technisch vermittelte sprachliche Kommunikation zunehmend ohne direkten sprachlichen Kontakt oder als reine Text-und Datenkommunikation stattfinden kann. Wo zwischenmenschliche Kommunikation gar durch technisch vermittelte Kommunikation ersetzt wird, werden all die nicht-sprachlichen Elemente beschränkt oder ausgeschaltet, die für die soziale Dimension von Kommunikation so wichtig sind. Information und Kommunikation sind nicht nur Rohstoffe oder Waren, sondern gleichzeitig die einzigen Möglichkeiten, um uns selbst und unsere Umwelt wahrzunehmen — gewissermaßen der Ausgangsstoff für Persönlichkeitsentwicklung und die Entwicklung sozialer Beziehungen. Eine Rationalisierung und Kommerzialisierung von Information und Kommunikation durch zunehmende technische Mediatisierung bedeutet tiefgreifende Eingriffe in komplizierte soziale Zusammenhänge, die wir heute noch keineswegs umfassend verstehen.

Dies gilt für die einzelnen Anwendungsfelder, vor allem aber für die angestrebte universelle Nutzung in vielen Arbeits-und Lebensbereichen gleichzeitig. Eine solche Gleichzeitigkeit ruft Kumulationseffekte hervor, die in besonderem Maße aus sozialwissenschaftlicher Sicht kritisiert werden. Die Befürchtungen gehen in Richtung auf eine Formalisierung und Verarmung der Kommunikation (Volpert), ein Leben aus zweiter Hand (Eurich), ein allmähliches Verschwinden der Wirklichkeit und Erfahrungsentzug (v. Heutig) sowie den Verlust von Ganzheitlichkeit, Überschaubarkeit, Körperlichkeit und die Chance zum Irrtum (Mettler-Meibom)

Diese Befürchtungen werden nicht aus einer kommunikationsökologisch „heilen“ Welt heraus geäußert. Vielmehr haben Fernsehen und Computereinsatz schon erhebliche „kommunikationsökologische Altlasten“ erzeugt. Viele der befürchteten Folgen hängen auch nicht nur von den technischen Systemen der Telekommunikation, sondern z. B. auch von der sozialen Kommunikationsinfrastruktur ab. Dazu gehören Einrichtungen der Jugend-und Erwachsenenbildung und der sozialen Dienste, der öffentliche Personennahverkehr und — im Zusammenhang mit den geplanten Veränderungen der Bundespost nicht zu vergessen — die Brief-post.

Bei der Beurteilung, was als konkretes Risiko einzuschätzen ist, spielen kulturelle Wertvorstellungen eine große Rolle, die inhaltlich nicht standardisiert werden sollen. Eine offene demokratische Gesellschaft muß jedoch die Vielfalt kultureller Austauschformen sichern und fördern. Vor diesem normativen Hintergrund besteht ein zentrales Risiko darin, daß bei einer noch stärkeren Unterwerfung von Kommunikationsprozessen unter die Marktgesetze die bisherigen personenbezogenen und personalintensiveren Kommunikationsdienstleistungen so teuer werden, daß bei der gegebenen ungleichen Einkommensverteilung nicht jeder frei zwischen technischen und nicht-technischen Kommunikationsformen bei der Inanspruchnahme öffentlicher und privater Dienstleistungen wählen kann. Langfristig ist dann zu befürchten, daß die personalintensiven Kommunikationseinrichtungen weiter ausgedünnt und vielleicht sogar geschlossen werden — wie im Verkehrsbereich Bahnstrecken wegen zu geringer Nutzung stillgelegt und den betreffenden Menschen damit Wahlmöglichkeiten genommen wurden. e) Kritik, hinsichtlich der sozialen Beherrschbarkeit Bei sehr langfristig angelegten und viele Lebensbereiche betreffenden Veränderungen können nicht alle Folgen vorhergesehen und entsprechende Risiken vorbeugend ausgeschaltet werden. Es ist jedoch bei staatlichen Infrastrukturprojekten zu fordern, daß Instanzen und Verfahren existieren oder geschaffen werden, die eine wirksame Steuerung der Entstehung und Verteilung von Belastungen erlauben. Wenn solche Instanzen und Verfahren existieren, kann eine Techniklinie als sozial beherrschbar bezeichnet werden.

Die soziale Beherrschbarkeit der Telekommunikation wird in der Fachdiskussion überwiegend auf die für den sozialen Rechtsstaat typischen Schutzrechte konzentriert Diese knüpfen oft an bestimmten Formen und Strukturen der Interaktion an. Dies beginnt bei der Schriftform und Unterschriftspflicht für bestimmte Verträge und geht über Haftungsregelungen bis hin zum Arbeitsschutz und dem System der Sozialen Sicherung, welche noch auf der Prämisse basieren, daß abhängige Arbeit in der Regel räumlich in Betrieben und rechtlich im Arbeitnehmerverhältnis erfolgt, und die Schutzbestimmungen und Ansprüche der Arbeitnehmerinnen daran koppeln. Mit einer Ausweitung von Telekommunikationsdiensten verändern sich jedoch die Formen und Strukturen von Transaktionen. Tatbestände, an die bestimmte Schutzrechte geknüpft sind, können so entfallen. Ohne eine Weiterentwicklung der Schutzrechte hinsichtlich der neuen Transaktionsformen kommt es zu einer faktischen Verringerung des vom Gesetzgeber ursprünglich gewollten Schutzes bzw. sozialen Besitzstandes, ohne daß dies in einer ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers so beschlossen wird. Zwar ist der Gesetzgeber grundsätzlich zum Nachbessern verpflichtet; es fehlt jedoch an einem Verfahren für die Koppelung von Entscheidungen im Bereich der Telekommunikationsinfrastruktur und des Rechts der jeweiligen Anwendungsbereiche. Ebenso fehlt ein Verfahren für die regelmäßige und systematische Überprüfung des Rechts in den einzelnen Anwendungsbereichen im Hinblick auf Regelungsdefizite aufgrund von veränderten Transaktionsformen. Das Hauptrisiko besteht somit in einer schleichenden Aushöhlung des sozialen Rechtsstaates aufgrund technischer Veränderungen. Dies gilt um so mehr, als die Entscheidungen über den Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur vom Verfahren her rechtsstaatlich nicht einwandfrei und gesellschaftspolitisch nicht hinreichend demokratisch legitimiert sind (vgl. unten Abschnitt 4). f) Kritik, hinsichtlich der Bedarfsangemessenheit Sind die vorgenannten Risiken der Preis für eine technische Innovation, die durchgeführt werden muß, wenn das relativ hohe Durchschnittsniveau des materiellen Wohlstands der Bundesrepublik gehalten werden soll? Gibt es starke ökonomische Kräfte, die diese Technik auch ohne staatliches Zutun realisieren? Wird damit nicht nur einer bisher unbefriedigten Nachfrage entsprochen? Alle drei Fragen sind keineswegs so einfach und klar zu beantworten wie dies Bundespost und Technikhersteller tun.

Einer der radikalsten Befürworter eines schnellen und umfassenden Netzausbaus, Franz Arnold, bis 1982 im Bundespostministerium für die Fernmeldepolitik zuständig, hat unmißverständlich festgestellt, daß ein Bedarf an neuen Telekommunikationsdiensten vor dem Ausbau der Netze nicht ermittelt werden kann Es handelt sich um eine angebotsorientierte Investitionspolitik, die zunächst einmal nur den Herstellern von Netzbestandteilen nützt — auf Kosten aller Fernsprechteilnehmer.

Detaillierte Meinungsumfragen bei Anwenderbetrieben kommen zu dem Ergebnis, daß diese nicht so sehr technische Verbesserungen der Fernmeldedienste sondern geringere Gebühren fordern Gegen die ursprünglich beabsichtigte Austrocknung der Spezialnetze haben sich die Datenfernübertragungsanwender vehement gewehrt. Nun wird neben dem ISDN das Datex-P-Netz für 500 Millionen DM erneuert. Damit entfällt die für das ISDN vorgetragene Begründung der Bereinigung der Netzvielfalt.

Nach den Fehlprognosen beim Bildschirmtext sind die ursprünglich gehegten Erwartungen über die Nachfrage privater Haushalte nach ISDN-Anschlüssen erheblich gedrosselt worden. Damit wird auch das Wachstum der Endgerätemärkte wesentlich geringer und langsamer ausfallen.

Wie bei anderen großtechnologischen Entwicklungen hat es eine kleine Gruppe von Elektrokonzernen geschafft, die Deutsche Bundespost und die Bundesregierung zu einem langfristigen Beschaffungsprogramm mit einem Volumen von 300 Milliarden DM zu bringen. Kritische Ökonomen sprechen von einem „Post-Industriellen Komplex“ Auf dem Arbeitsmarkt schlägt sich all dies nicht nieder. Für die Herstellung einer digitalen Ortsvermittlungsstelle wird nur ca. ein Fünftel der Arbeitsstunden benötigt wie für eine elektromechanische Vermittlungsstelle. Beim Betrieb erfordert sie weniger Bedienungs-und Wartungsaufwand. 2. Ansatzpunkte für technische Alternativen Befürworter der gegenwärtigen Netzausbaupläne unterstellen Kritikern oft, sie wollten den derzeitigen Stand der Technik auf Jahrzehnte festschreiben und jede Veränderung verhindern. Diese Unterstellung ist unzutreffend und konstruiert eine falsche Entscheidungssituation. Es gibt nicht nur die Alternative Postpläne oder Status quo. Ein Telekommunikationssystem besteht aus einer ganzen Reihe von Elementen oder Parametern, mit jeweils mehreren Gestaltungsaltemativen. In den „OptekMaterialien" wird in diesem Sinne ein „Baukasten“ technischer Alternativen dargestellt und erläutert. So kommt z. B. als Netzstruktur ein Vermittlungs-, ein Verteil-oder ein Vermittlungs-/Verteilnetz in Frage. Man kann für mehrere Femmeldedienste jeweils ein eigenes Netz errichten oder sie in einem Netz integrieren. Das Netz kann auf Flächendekkung ausgerichtet oder als grobmaschiges Overlay-Netz angelegt sein. Die Gebührenerfassung kann beim Teilnehmeranschluß oder in der Vermittlungsstelle, und zwar durch Summenzähler oder Einzelauflistung bzw. Speicherung, erfolgen.

Weil es sich bei den geschilderten Ausbauplänen der Post letztlich um eine Auswahl aus Alternativen handelt müßten diejenigen, die diese Auswahl getroffen haben, eigentlich nachweisen, daß die gewählte Alternative hinsichtlich der verfolgten Ziele besser ist als andere. Ein solcher Vergleich ist bisher unterblieben. Dennoch behauptet die Bundesregierung in der Antwort auf eine Große Anfrage der GRÜNEN: „Zum ISDN gibt es keine wirtschaftlichen Alternativen“ (BT-Drs. 10/5145, S. 3). Zumindest zwei Altemativvorschläge sind jedoch in der Literatur unterbreitet worden, für die eine vergleichende Kosten-Nutzen-Analyse allerdings noch fehlt. Sie sollen im folgenden kurz vorgestellt werden. a) Der datenschutzorientierte Vorschlag von Pfitzmann u. a.

Nach der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland dürfen personenbezogene Daten nur gespeichert und verarbeitet werden, wenn dies (a) erforderlich, (b) transparent und (c) im Verhältnis Staat-Bürger auf einer gesetzlichen Basis mit sehr konkreten Verwendungszwecken geregelt ist. Bei dieser Rechtslage ist anzunehmen, daß einzelne Elemente wie die Speicherung von Verbindungsdaten oder die Anzeige der Rufnummern in ihrer derzeitigen Form einer rechtlichen Prüfung nicht genügen und daher verändert werden müssen

Vor dem Hintergrund des hohen Stellenwertes des technischen Datenschutzes haben Pfitzmann u. a. eine Netzkonzeption vorgeschlagen, die den Datenschutz von Verbindungs-und Inhaltsdaten gegenüber dem Netzbetreiber und externen „Angreifern“ maximiert. Diese Zielsetzung erfordert nach ihrer Auffassung eine völlig andere Netztopologie Teilnehmerseitig von den Ortsvermittlungsstellen soll ein Netz auf Glasfaserbasis errichtet werden. Darin werden die Nachrichten — wie in innerbetrieblichen lokalen Computernetzen — im Broadcast-Verfahren zu den Empfangsgeräten der Adressaten weitergeleitet. Durch entsprechende Codie-rungsverfahren ist sicherzustellen, daß nur der adressierte Empfänger von Nachrichten diese entschlüsseln kann. Der Netzbetreiber kann weder die Adressaten noch die Inhalte identifizieren. Allerdings ist ein Maximum an Datenschutz und Datensicherung nicht billig zu haben. Glasfaseranschlußleitungen und die Verlagerung von Steuerungsfunktionen aus den Vermittlungszentralen in die Endgeräte wären dabei vor allem zu nennen. b) Informationelle Selbstbestimmung und Kommunikationsökologie durch differenzierte Vermittlungsstellen Ein von Herbert Kubicek bereits 1984 zur Diskussion gestellter Alternativvorschlag zielt ebenfalls auf die Sicherstellung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ab. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, daß in einer menschengerechten zukünftigen Gesellschaft die elektronische Vernetzung von Haushalten und Betrieben nicht die Regel, sondern — wie bisher auch — die Ausnahme sein soll. Die Frage nach der geeigneten Fernmeldeinfrastruktur wird danach von der angestrebten Gesellschafts-bzw. Verkehrsstruktur her beantwortet. Etwas vereinfachend wird die Kernfrage von Hedberg und Johannson-Hedberg wie folgt zugespitzt: „Die Wahl zwischen einer zukünftigen Computerisierung auf Heimniveau (Heimarbeit u. a.) und einer Computerisierung auf Institutionenniveau ... ist ein Beispiel für eine unerhört wichtige strategische Wahl für die Entwicklung der Informationsgesellschaft. Eine Computerisierung auf Heimniveau ist verknüpft mit Heimarbeit, home-banking, home-shopping, computergestütztem Unterricht, elektronischer Post, Zeitung oder elektronischem Zahlungsverkehr und einem erhöhten Medienangebot in der Wohnung. Eine Computerisierung auf Institutionenniveau ... ist mehr vereinbar mit vorhandenen Institutionen in der Gesellschaft wie Post, Bank, Schule, Tagesstätte, Bibliothek oder Zeitung.“

Eine Computerisierung auf Institutionenniveau erfordert jedoch eine andere Infrastruktur. Die Daten-und Textübertragung kann dann — wie bisher auch — auf einem speziell dafür eingerichteten Overlay-Netz erfolgen. Die Integration aller Dienste in das Fernsprechnetz, die viele Risiken verschärft, könnte unterbleiben. Das Fernsprechnetz könnte zwar mit Mikroelektronik ausgestattet wer-den, allerdings nicht mit der derzeit vorgesehenen speicherprogrammierten Vermittlungstechnik. Denkbar ist vielmehr, daß die derzeitige mechanische Technik des schrittweisen Durchschaltens elektronisch in festgeschalteten Systemen erfolgt. In einer Broschüre der Herstellerfirma SEL wird ausdrücklich betont, daß Gestaltungsspielräume bei der Festlegung bestehen, was in Hardware und was in Software realisiert wird. Da Software leichter änderbar ist und Telefongespräche von Behörden und staatlichen Stellen weder jetzt noch später ohne weiteres und in großem Stil registriert werden sollen, ist es sicherer, den Datenschutz nicht nur durch rechtliche Verbote, sondern durch eine entsprechende technische Gestaltung zu sichern.

In eine ähnliche Richtung gehen Vorschläge des wirtschaftsnahen Datenschutzexperten Gliss: „Vermittlungsrechner als dedicated Systems ausstatten, d. h. nicht frei programmierbar. Diese wichtige Forderung soll bewirken, daß keine Funktionen leicht hinzugefügt werden. Wir kennen das Problem aus der DV-Sicherheit. Überall, wo Software im Spiel ist, da ist auch die Sicherheit , soft‘, leicht zu umgehen oder abzuschalten für den, der privilegierte Schreibberechtigungen im System hat oder sie sich verschaffen kann. Sind die Sicherheitsmechanismen hingegen in Hardwarebausteinen realisiert, dann muß sich schon jemand mit Schraubenzieher und Lötkolben an der Anlage zu schaffen machen, um ihre Funktionen zu verändern.“

Ein Alternativ-Konzept besteht somit darin, das Fernsprechnetz mit festgeschalteter elektronischer Vermittlungstechnik so zu modernisieren, daß weiterhin anonyme Verbindungen hergestellt werden. Parallel dazu könnte das derzeitige IDN mit seinen ca. 20 Vermittlungsstellen auf den ISDN-Standard umgerüstet werden, so daß man z. B. für Datex-P und Teletex nicht mehr zwei Anschlußleitungen braucht. Man könnte die ohnehin protokollierende Vermittlungstechnik dann auch für einen Sprachübertragungsdienst in diesem Netz verwenden — für die (Geschäfts-) Kunden, die dies wollen. Das heißt: Eine Alternative zum derzeit verfolgten ISDN-Konzept besteht darin, die derzeitige Trennung der Vermittlungsstellen und ihre funktionale Differenzierung aufrechtzuerhalten, beide Bereiehe den jeweiligen Funktionsanforderungen entsprechend weiterzuentwickeln und den ISDN-Standard nicht als Regel für das flächendeckende Fernsprechnetz, sondern in einem Overlay-Netz für den speziellen Bedarf zu realisieren Ökonomisch ist eine solche an der bestehenden Struktur anknüpfende Differenzierung eines sprachoptimierten und eines datenoptimierten Teil-netzes auf jeden Fall vorsichtiger. Und in sozialer Hinsicht ist sie umsichtiger. Das Recht auf informationeile Selbstbestimmung wäre gewahrt, weil jeder Teilnehmer zwischen einem anonym vermittelnden und einem protokollierenden Netz wählen kann und weil gleichzeitig alle Beteiligten wissen können, worauf sie sich einlassen.

Der Altemativvorschlag schließt ein, daß die letzte geplante Integrationsstufe, bei der auch noch Hörfunk-und Fernsehabruf über denselben Rechner in den Ortsvermittlungsstellen laufen, entfällt. Statt dessen werden ein Glasfaser-Overlay-Netz für die Betriebe sowie die Hörfunk-und Fernsehverteilung über terrestrische Sender und Satelliten als völlig ausreichend für den langfristig erkennbaren Bedarf angesehen.

Dieser Altemativvorschlag ist verschiedentlich als unsinnig abqualifiziert worden. Noch vor ca. zehn Jahren hat jedoch das für Telekommunikation zuständige Vorstandsmitglied der Siemens AG, Dieter v. Sanden, eindringlich vor einer Integration von Telefon-und Datennetzen gewarnt: „Zuverlässigkeitsforderungen stehen dem Zusammenfassen wesensfremder Funktionen entgegen; deshalb gibt es heute Daten/Textnetze neben dem Telefonienetz . . . Mit anderen Worten, im Zweifelsfalle nehme man lieber einfache, übersichtliche, getrennte Funktionen oder Anlagen mit einem gewissen Mehraufwand bei der Anschaffung — also bewußtes Zusetzen von Redundanz — als eine Mischanlage. die wegen ihrer Kompliziertheit letztlich erhöhte Betriebsaufwendungen bringt. Aus dieser Philosophie der Desintegration, des Zusetzens von Redundanz heraus, ist auch das Trennen von Telefonie einerseits und Text-und Datenübermittlung andererseits in verschiedene Vermittlungsnetze betriebssinnvoll. Das deutsche Konzept des digitalen Datennetzes neben dem Telefonienetz trägt diesem Rechnung.“

IV. Kritik an der Deregulierung und ordnungspolitische Alternativen

Die aktuellen Deregulierungsmaßnahmen sind eine Reaktion auf die Kritik an den derzeit noch geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Diese insbesondere von Wirtschaftsverbänden, Wirtschaftspolitikern und Wirtschaftstheoretikern vorgetragene Kritik läuft darauf hinaus, daß die Deutsche Bundespost für die Volkswirtschaft wichtige technische Innovationen nicht schnell und umfassend genug durchsetze und zu hohe Gebühren für Fernverbindungen verlange. Dies wird auf das Fernmeldemonopol und die Subventionierung defizitärer Dienste im Bereich der „gelben Post* (Zeitungen, Briefe, Pakete) zurückgeführt. Als Konsequenz aus solchen Diagnosen wird die Aufhebung des Monopols und der Quersubventionierung gefordert.

Der Entwurf für ein Poststrukturgesetz geht zwar in diese Richtung; manchen geht er jedoch nicht weit genug, so daß die Deregulierung auch von dieser Seite her kritisiert wird. So fordern einige Wirtschaftsverbände z. B. einen Wettbewerb in Form der Zulassung konkurrierender Netze. Auf diese in den „Optek-Materialien" ausführlich dokumentierte Kritik soll hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden. Wir konzentrieren uns auf die weniger bekannten Kritikpunkte, die davon ausgehen, daß die Bundespost umfassende gesellschaftliche Veränderungen einleitet, ohne dazu hinreichend legitimiert zu sein und ohne den erzeugten Risiken ausreichend vorzubeugen. 1. Unzureichende Rechtsbasis Die gesamten Entscheidungen über den Netzausbau sind nach den Regeln des Postverwaltungsgesetzes erfolgt. Danach entscheidet der Bundespostminister unter Beteiligung des Postverwaltungsrates, dem jedoch kein wirksames Vetorecht zusteht. Auch wird kritisiert, daß die Zusammensetzung dieses Gremiums nicht dem Spektrum der von den Entscheidungen betroffenen Gruppen entspricht.

Das Postverwaltungsgesetz ermächtigt den Bundespostminister, die Bedingungen des Fernmeldewesens durch Rechtsverordnungen zu regeln. Der Entwurf für ein Poststrukturgesetz übernimmt dieses Prinzip. Mehrere Rechtswissenschaftler und die Konferenz der Datenschutzbeauftragten haben Zweifel, ob diese Regelung verfassungskonform ist Das Grundgesetz verlangt nämlich generell, daß solche Ermächtigungen hinsichtlich Zielsetzung und Umfang konkretisiert werden. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, daß bereits mit Fernmeldediensten wie Bildschirmtext und Temex grundrechtsrelevante Sachverhalte berührt werden, die nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts einer gesetzlichen Regelung durch den Bundestag bedürfen. Dasselbe gilt dann auch für die Digitalisierung und das ISDN

Dementsprechend fordern die Kritikerinnen wesentlich konkretere Ermächtigungen und jeweils gesetzliche Regelungen für Teilbereiche und neue Phasen des Fernmeldewesens. Über die Befassung des Parlaments soll vor allem mehr Öffentlichkeit erzeugt werden. 2. Budgetrecht Obwohl die Deutsche Bundespost in ein Ressort des Bundeskabinetts eingeordnet ist, unterliegt ihr Haushalt nicht den parlamentarischen Beratungen. Abgeordnete der GRÜNEN und der CDU haben dies bei den Haushaltsberatungen — wenn auch mit unterschiedlicher Zielsetzung — kritisiert. Der Posthaushalt mit ca. 75 Milliarden DM und einem jährlichen Investitionsvolumen von ca. 17 Milliarden wird als Sondervermögen geführt. Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN hat bereits 1984 und erneut 1986 (Drucksache 10/2451 und 10/5458) beantragt, durch eine Änderung des Postverwaltungsgesetzes den Posthaushalt durch das Parlament beraten und verabschieden zu lassen. Diese Anträge wurden von keiner anderen Fraktion unterstützt. Im Entwurf für das Poststrukturgesetz bleibt es bei der Ausschaltung des Parlaments aus den Haushaltsentscheidungen des nur noch mit Hoheitsaufgaben befaßten Ministeriums ebenso wie der drei Unternehmen. 3. Datenschutz Bereits unter den geltenden Rahmenbedingungen kritisieren die Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes die inhaltlich wie formal unzureichenden Datenschutzbestimmungen. Ihre Forderungen laufen auf konkrete bereichs-oder dienste-spezifische Regelungen in gesetzlicher Form hinaus. Der Entwurf für ein Poststrukturgesetz ermächtigt den Minister pauschal, Belange des Datenschutzes durch Verordnung zu regeln. Dies kritisieren nicht nur die Datenschutzbeauftragten. Diese Kritik gilt um so mehr, als in Zukunft privatwirtschaftliche Unternehmen Fernmeldedienste wie Bildschirmtext oder Temex anbieten können sollen, ohne daß für diese auch nur die für die Bundespost geltenden Bestimmungen der Datenschutzgesetze für den öffentlichen Bereich gelten. Daher werden einheitliche bereichsspezifische gesetzliche Bestimmungen für alle Diensteanbieter und teilweise auch eine Genehmigungspflicht für private Diensteanbieter gefordert Eine weitere Forderung betrifft eine Abgabe auf die Speicherung und Übertragung personenbezogener Daten, die nach dem Verursacher-prinzip der Finanzierung von Kontrollkosten dienen soll 4. Länderbeteiligung Obwohl die Telekommunikation ohne Zweifel auch in den Bereich der Kultur fällt, haben die Länder keinen unmittelbaren Einfluß. Sie haben darauf zum Preis von zwei Sitzen im Postverwaltungsrat verzichtet. Nach dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf für ein Poststrukturgesetz soll selbst diese geringe Beteiligung im Aufsichtsrat der TELEKOM entfallen. Der Bundesrat hat daher Nachbesserungen in Form der Schaffung eines dem Postverwaltungsrat vergleichbaren Gremiums gefordert.

Von Rechtswissenschaftlern werden teilweise sehr viel weitergehende Beteiligungsrechte der Länder angemahnt, die in einem Telekommunikationsplanungs-oder Telekommunikationswegegesetz verankert werden sollen Einzelne Landesmedienoder Landesdatenschutzgesetze beinhalten Anforderungen an einzelne Femmeldedienste wie z. B. Temex. Um hier zu einheitlichen Regelungen zu kommen und dennoch die Länderhoheit zu respektieren, fordert die Konferenz der Datenschutzbeauftragten — wie schon bei Bildschirmtext — einen Staatsvertrag. Über die Länder hinaus wird teilweise auch eine breitere Bürgerinnenbeteiligung und eine stärkere Öffentlichkeit der Entscheidungsverfahren gefordert. 4. Koppelung mit dem Anwendungsrecht Wie im Hinblick auf die soziale Beherrschbarkeit deutlich wurde, fehlt es an einer institutionalisierten Überprüfung geltender Schutzgesetze auf ihre Wirksamkeit bei neuen elektronischen Transaktionsformen. Um eine solche Koppelung herzustellen, wird die Forderung nach einem bloß formalen Parlamentsvorbehalt auf einen inhaltlichen Parlamentsvorbehalt erweitert. Neue Fernmeldedienste sind danach inhaltlich zu definieren (z. B. Telebanking und Telearbeit). In der strengsten Fassung soll ein solcher Dienst einer gesetzlichen Zulassung bedürfen, die jedoch erst erteilt werden darf, wenn die Wirksamkeit von Schutzgesetzen nicht tangiert oder aber hergestellt wird Praktikabler wäre eine parlamentarische und/oder eine unabhängige Expertenkommission, die in regelmäßigen Abständen die Wirksamkeit von Schutzgesetzen überprüft, den Gesetzgeber auf Regelungsdefizite hinweist und Empfehlungen für Nachbesserungen macht.

V. Optionen und Anwendungsszenarien

Die erwähnten vielen technischen Gestaltungsmöglichkeiten können mit unterschiedlichen rechtlichen Regelungen verbunden werden. Dann entstehen jeweils andere Rahmenbedingungen für die Telekommunikation, die die Anwendungen und deren Folgen in den verschiedenen Arbeits-und Lebensbereichen beeinflussen. Erst die vergleichende ökonomische und soziale Bewertung dieser Folgen würde eine rationale Grundlage für die Auswahl einer bestimmten technischen und ordnungspolitischen Variante schaffen. Allerdings ist es kaum möglich, alle Varianten vollständig aufzulisten. Es ist auch nicht jede Kombination möglich und sinnvoll. Und die Folgen sind bei den langfristigen und umfassenden Prozessen auch nicht exakt prognostizierbar.

Große Unternehmen verwenden bei ähnlich langfristigen und ungewissen Entscheidungen die Szenario-Technik. Die Vielzahl der Handlungsmöglichkeiten wird zu wenigen Strategien oder Optionen gebündelt, deren Folgen dann grob abgeschätzt werden. In ähnlicher Weise hat die Enquete-Kommission Kernenergie vier Entwicklungspfade herausgearbeitet. Die „Optek-Materialien" enthalten ebenfalls vier Optionen oder Entwicklungspfade, die aus den geschilderten technischen und rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten kombiniert worden sind und die wir im folgenden skizzieren.

Als Optionen bezeichnen wir idealtypische Kombinationen von technischen und rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die uns im Hinblick auf bestimmte Ziele und politische Grundwerte stimmig erscheinen. Die Auswahl dieser Ziele und Grundwerte soll das gesamte derzeitige Spektrum abdekken und zu einer deutlichen Abgrenzung zwischen den Optionen führen. Sie verdeutlichen Mehrheitsund Minderheitspositionen und sind aus heutiger Sicht nicht gleich wahrscheinlich. Dies kann sich jedoch ändern! Bei einem auf 30 Jahre angelegten Prozeß muß eine umsichtige und politisch verantwortungsvolle Planung auch Trendbrüche, einen Wertewandel und einen politischen Prioritäten-wechsel in Rechnung stellen. Wenn sich in Bezug auf den Einsatz der Informations-und Kommunikationstechniken in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren ähnliche Veränderungen einstellen sollten wie beispielsweise hinsichtlich des Einsatzes von Chemikalien im Zusammenhang mit der Ernährung und der Umwelt, dann wird vieles anders kommen, als es die heute herrschende Planung vorsieht. 1. Die Postoption Technische Innovation und wirtschaftliches Wachstum haben als Ziele höchste Priorität und erfordern staatliche „Hebammendienste“ im Sinne einer umfassenden Telekommunikations-Angebotspolitik. Zur Erreichung dieser Ziele wird der Aufbau eines flächendeckenden digitalen Universalnetzes angestrebt. auf dem neben dem Femsprechen auch öffentlich zugängliche standardisierte Massendienste der Text-, Daten-und Bildübertragung realisiert werden sollen. Zu diesem Zweck erfolgt eine starke Einflußnahme auf Hersteller, Anbieter und Anwender, um zu einheitlichen Standards für Geräte und Dienste zu kommen. Der Erhalt des Netz-und Dienstemonopols schafft dafür günstige Voraussetzungen. Als Gegenleistung werden Dienste und Geräte mit erheblichen Vorleistungen äußerst billig angeboten, um sie über die kritische Akzeptanz-schwelle zu heben.

Warnungen vor sozialen Risiken werden nicht beherzigt. Es werden auch keine besonderen Daten-schutzmaßnahmen ergriffen. Der Netzausbau schreitet zwar wie geplant voran; die Nachfrage nach Anschlüssen und die Teilnehmerzahlen neuer Dienste bleiben jedoch erheblich hinter den Prognosen zurück. 2. Die Wettbewerbsoption Die Wettbewerbsoption knüpft ebenfalls an den bisher vorgelegten Netzausbauplänen an. Ordnungspolitisch orientiert sie sich an der Deregulierung in Großbritannien sowie den Empfehlungen der Regierungskommission Fernmeldewesen und Forderungen von Wirtschaftsverbänden. Technische Innovation und wirtschaftliches Wachstum haben auch hier höchste Priorität. Im Gegensatz zur Postoption glaubt man jedoch, daß diese Ziele am besten durch ein Zurückschneiden staatlicher Telekommunikationspolitik auf eine dienende Funktion für die privatwirtschaftlichen Wettbewerber erreicht werden können. Der Ausbau der öffentlichen Telekommunikationsinfrastruktur erstreckt sich dementsprechend in erster Linie auf die netztechnische Grundversorgung im Schmalband-ISDN und die Bereitstellung von Grunddiensten (Femsprechen, Datenübertragungsdienste) für die vielfältigen privatwirtschaftlichen Anwendungsfelder. Höchste Priorität hat dabei der Bedarf der Geschäftskommunikation. Das Fernmeldemonopol wird bis auf das bloße Netzmonopol aufgelöst. Privatwirtschaftliche Unternehmen können demnach auch Telekommunikationsdienste betreiben und Endgeräte vertreiben. Weil die „Hebammenfunktion“ der Bundespost damit entfällt, bleibt der Ausbaugrad des Schmal-band-ISDN geringer als in der Postoption. Da aufgrund der Deregulierung die privatwirtschaftlichen Wettbewerber einen großen Teil der Gewinne aus den Fernsprechdiensten abschöpfen, fehlen der Bundespost die entsprechenden Mittel für einen angebotsorientierten Netzausbau mit entsprechenden Vorleistungen. Als Folge davon schreitet die Digitalisierung wesentlich langsamer voran. Auf das B-ISDN und das IBFN mit Glasfaserkabeln als Regelanschlußleitung im Ortsnetz wird aus diesen Gründen ganz verzichtet.

Nur die höheren Einkommensschichten können sich neuere Telekommunikationsgeräte für den privaten Alltag leisten. Für die breite Masse verschlechtern oder verteuern sich die Telekommunikationsdienstleistungen. 3. Die sozialtechnokratische Option Die sozialtechnokratische Option basiert auf der Annahme, daß die Postoption aus Akzeptanzgründen auf halbem Weg steckenbleibt. Um die Akzeptanz zu erhöhen, versucht man, Datenschutzprobleme im technischen Konzept der DBP zu beseitigen und eine Wirtschafts-, Beschäftigungs-und Einkommenspolitik zu betreiben, die eine breite Nachfrage möglich macht.

Auch bei dieser Option haben technische Innovation und wirtschaftliches Wachstum höchste Priorität. Es geht jedoch in erster Linie um Massen-statt um Spezialanwendungen, die eine größtmögliche Akzeptanz von neuen Geräten und Diensten bei den Privathaushalten voraussetzen. Um dies sicherzustellen, müssen Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes bei den neuen Netzen und Diensten durch gesetzliche Maßnahmen und durch eine aufwendigere Netztechnik, wie sie von Pfitzmann u. a. vorgeschlagen wird, ausgeräumt werden. Eine „Konzertierte Aktion“ unter Beteiligung von Post, Herstellern, Anwendern, Verbrauchern, Verwaltung, Parlamenten, Gewerkschaften und Datenschutzbehörden leitet diese Wende ein. Neben der Berücksichtigung der Datenschutzprobleme spielt eine Politik der Überwindung der Massenarbeitslosigkeit durch Umverteilung von Arbeit eine große Rolle, die erheblich zu einem breiten politischen Konsens über die maximale Nutzung der Informations-und Kommunikationstechniken beiträgt. Dieser Konsens macht es auch möglich, auf Dauer erhebliche staatliche Vorleistungen für den Netzausbau zu erbringen. Der Konsens beruht darauf, daß das Fernmeldemonopol einer parlamentarischen Kontrolle unterworfen wird, d. h.der Auf-und Ausbau neuer Netze und die Einführung neuer Dienste unterliegen einem Parlamentsvorbehalt. Damit sollen Regelungsdefizite vermieden werden. Das Fernmeldemonopol bleibt erhalten. Die Dienstedefinition und -regelung erfolgt anwendungsorientiert (z. B. Telebanking-Dienst, elektronischer Post-Dienst). Die hohe Akzeptanz elektronischer Dienste führt dazu, daß die „gelbe“ Post weitgehend austrocknet. Der Paketdienst wird überwiegend von Privatfirmen übernommen.

Netzpolitisch kommt die Bedeutung des Datenschutzes in einem Wechsel zu einem Vermittlungs-Verteilnetz auf Glasfaserbasis zum Ausdruck, das ein hohes Maß an Datensicherheit und Datenschutz gewährleistet. Durch Anwendung spezieller Verschlüsselungsverfahren und das Prinzip der Nachrichtenverteilung im Teilnehmerbereich wird eine vollständige Anonymisierung von Verbindungen und Nachrichten auch gegenüber dem Netzbetreiber erreicht.

Für dieses Konzept sind Glasfaser-Teilnehmeranschlüsse technisch notwendig. Seine forcierte Implementierung führt dazu, daß bereits relativ früh ein flächendeckendes Breitband-ISDN zur Verfügung steht und vor allem Bildübertragungsdienste massenhaft genutzt werden.

Als flankierende Maßnahme bietet die Post ein „Volkskommunikationsterminal“ an, das die Nutzung aller für Privathaushalte relevanter Dienste ermöglicht. Dieses Gerät ist wegen der Massenproduktion sehr kostengünstig und findet deshalb eine weitgehende Verbreitung. Die Post vertreibt und wartet die Geräte im Monopol zu sehr niedrigen Gebühren und kann so die Dienstenutzung der Privathaushalte erheblich steigern. 4. Die Technikbegrenzungsoption Während die sozialtechnokratische Option auf seit langem bekannte soziale Risiken wie Datenschutz und Arbeitsplatzverlust reagiert, trägt die Technikbegrenzungsoption auch solchen Risiken der Informations-und Kommunikationstechniken Rechnung, für die erst langsam das Bewußtsein wächst und die in vollem Umfang auch erst nach einer breiteren und intensiveren Nutzung erfahrbar sein werden. Gemeint sind die Gefahren für die Persönlichkeitsentwicklung und die sozialen Beziehungen, die weiter oben mit dem Begriff „informations-und kommunikationsökologische Risiken“ umschrieben wurden. Diese Problemwahrnehmung wird verbunden mit einer zunehmenden grundsätzlichen Ablehnung großtechnologischer Systeme, die durch immer neue Katastrophen genährt wird. Soziale Beherrschbarkeit wird als Ziel mit hoher Priorität anerkannt. Es setzt sich die Überzeugung durch, daß dazu eine Begrenzung der Informationsund Kommunikations(IuK) -Techniken notwendig ist. Gleichwohl bleibt es bei dem Ziel einer innovationsorientierten Modernisierung der Telekommunikationsinfrastruktur. allerdings mit neuen Akzenten. Aus diesem Grunde wird eine Politik des Netz-ausbaus verfolgt, bei der eine Technikbegrenzung von Anfang an vorgesehen ist. Ihre wichtigsten Elemente sind:

— Größenbegrenzung — Begrenzung der Komplexität — Entkoppelung und Dezentralisierung — Anpassung der jeweiligen Netze an unterschiedliche Benutzererfordernisse und Benutzergruppen — Dateneinsparung durch technische, rechtliche und ökonomische Maßnahmen — Weiterentwicklung rechtlicher Regelungen bei neuen Verkehrsformen.

Das Fernmeldemonopol bleibt erhalten bzw. wird wieder hergestellt und im Sinne parlamentarischer, föderaler und auch direkter Demokratie besser ausgestaltet. Dazu gehört eine demokratische Kontrolle der Post durch einen anders zusammengesetzten Postverwaltungsrat sowie durch das Budget-recht des Parlaments und einen inhaltlichen Parlamentsvorbehalt bei der Netz-und Dienstegestaltung. Ein Postplanungsgesetz regelt die ineinander verzahnten Kompetenzen von Bund und Ländern. Das Planungsverfahren muß inhaltlich unter anderem sicherstellen, daß Alternativen benannt und einer inhaltlichen und interessenpolitischen Bewertung unterworfen sind. Eine „Konzertierte Aktion der Schadensbegrenzung im Telekommunikationswesen“ soll sicherstellen, daß auf den verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen soziale Problemlagen frühzeitig erkannt und Maßnahmen konzertiert eingeleitet werden können (z. B. Datenschutz, Frauen-und Familienpolitik, Verbraucherpolitik, Jugendpolitik, Wettbewerbspolitik). Ein „Bundesamt für Telekommunikation“ dient dazu, alternative Entwicklungspfade der Telekommunikation zu formulieren.

VI. Ausblick

Die Optek-Materialien, die auch Anwendungs-und Wirkungsszenarien beinhalten, zeigen die Komplexität und Folgenschwere der jetzt getroffenen wie der anstehenden telekommunikationspolitischen Entscheidungen auf. Sie verdeutlichen indirekt, daß es sich die damit befaßten politischen und technischen Fachgremien bisher viel zu einfach gemacht haben. Die Regierungskommission Fernmeldewesen hatte noch nicht einmal den Auftrag, soziale Aspekte zu berücksichtigen. Sie hat zwar über hundert Experten angehört — die Verbraucherverbände und Datenschutzexperten fehlten dabei aber ebenso wie Kritiker aus dem wissenschaftlichen Bereich. Auch der Deutsche Bundestag hat erklärt, die Technikfolgenabschätzung ernster nehmen zu wollen auf die zur selben Zeit anstehenden tele-kommunikationspolitischen Entscheidungen wird diese Absicht offenbar jedoch nicht angewendet.

Unsere Optek-Materialien wollen demgegenüber die politische Diskussion nicht nur über die politischen Instanzen, sondern auch „von unten“ anregen und unterstützen. Die Telekommunikationspolitik darf nicht den Politikern und Experten allein überlassen bleiben. Vielmehr handelt es sich um außerordentlich weitreichende politische Entscheidungen, in die sich viele Menschen in ihrem eigenen Interesse einmischen sollten, auch wenn die gravierenden Auswirkungen vielleicht nicht mehr sie selbst, sondern erst ihre Kander betreffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Empfehlung der Gesellschaft für Informatik. Für eine breitere Diskussion über das Für und Wider des ISDN, in: Informatik Spektrum. (1987) 10, S. 205— 214, sowie Stellungnahme der Gesellschaft für Rechts-und Verwaltungsinformatik (GRVI) zum Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Post-und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz-PoststrukG), in: Computer und Recht (im Druck).

  2. Peter Berger/Herbert Kubicek/Michael Kühn/Barbara Mettler-Meibom/Gerd Voogd, Optionen der Telekommunikation. Materialien für einen technologiepolitischen Bürger-dialog, hrsg. v. Ministerium für Arbeit. Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Programm Mensch und Technik. Sozialverträgliche Technikgestaltung. 3 Bde.. Düsseldorf 1988.

  3. Der Bundesminister für das Post-und Fernmeldewesen, Stab 202, Konzept der Deutschen Bundespost zur Weiterentwicklung der Fernmeldeinfrastruktur, Bonn 1984.

  4. Deutscher Bundestag, Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Neue Informations-und Kommunikationstechniken“, Drucksache 9/2442 v. 28. März 1983, S. 229.

  5. Vgl. Joachim Scherer. Telekommunikationsrecht und Telekommunikationspolitik. Baden-Baden 1985.

  6. Neuordnung der Telekommunikation. Bericht der Regierungskommission Fernmeldewesen. Heidelberg 1987.

  7. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Auf dem Wege zu einer dynamischen Europäischen Volkswirtschaft. Grünbuch über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte, Mitteilung der Kommission KOM (87) 290 endg., Brüssel, 30. Juni 1987.

  8. Vgl. Dieter von Sanden, Der Stand der Nachrichtentechnik in Deutschland im Vergleich zur internationalen Entwicklung, in: 50 Jahre Professorenkonferenz, 50 Jahre Fernmeldewesen, am 29. u. 30. November 1977 in Darmstadt, (o. O.), S. 9.

  9. Niklaus Wirth, Faszination der Komplexität, in: Technische Rundschau, Messemagazin, (1986) 36, S. 176— 183.

  10. Verband der Postbenutzer, Hat die Deutsche Bundespost auch in der Telekommunikation versagt?, Offenbach 1986, S. 10.

  11. Emst Ulrich und Christiane v. Weizsäcker, Fehler-freundlichkeit als evolutionäres Prinzip, in: Wechselwirkung, (1986) 29, S. 12 ff., sowie Charles Perrow, Normal Accidents, New York 1984.

  12. Vgl. Bernd Lutterbeck, Das Restrisiko der Informationstechnik — Gefahr für Freiheit und Demokratie? in: Michael Löwe/Gerhard Schmidt/RudolfWilhelm (Hrsg.). Umdenken in der Informatik, Berlin 1987, S. 43— 58.

  13. Vgl. J. L. Groß, „Das ist ja ein Ding“, in: Metall, (1987), 10.

  14. Robert Jungk, Der Atomstaat, München 1977, sowie Alexander Roßnagel, Die Verfassungsverträglichkeit von Techniksystemen — am Beispiel der Informations-und Kommunikationstechniken, in: Recht und Politik, (1987) 1, S. 4-11.

  15. Vgl. generell zur Diskussion von Alternativen in der Informatik Michael Löwe u. a. (Anm. 12) sowie Rudolf Kitzing/Ursula Lindner-Kostka/Fritz Obermaier (Hrsg.), Schöne neue Computer-Welt, Berlin 1988.

  16. Vgl. Herbert Kubicek, ISDN im Lichte von Demokratieprinzip und informationeller Selbstbestimmung; in: Datenschutz und Datensicherung, (1987) 1, S. 21— 26, sowie gegenteiliger Auffassung Joachim Schmidt, Die Gewährleistung des Datenschutzes bei der Teilnahme an Telekommunikationsdienstleistungen der Deutschen Bundespost — dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Telekommunikationsordnung, in: Jahrbuch der Deutschen Bundespost 1988, Bad Winsheim 1988, S. 315-355.

  17. Vgl. H. Kubicek sowie gegenteiliger Auffassung J. Schmidt (Anm. 16).

  18. Vgl. allgemein dazu Hansjürgen Garstka. Schutz von Persönlichkeitsrechten bei der Nutzung Neuer Medien, in: Neue Medien für die Individualkommunikation, hrsg. v. Wolfgang Kilian, München 1984. S. 79- 85.

  19. Vgl. Spiros Simitis, Reicht unser Datenschutzrecht angesichts der technischen Revolution aus?, in: Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat? Symposium der Hessischen Landesregierung, Protokollband, Wiesbaden 1984, S. 27 ff.

  20. Vgl: 6. Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten für den Datenschutz in Baden-Württemberg 1985. Stuttgart 1986. S. 13 ff.

  21. Walter Volpert. Zauberlehrlinge, Weinheim 1985; Claus Eurich, Computerkinder, Reinbek 1985; Hartmut von Heutig, Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit, München 1984, sowie Barbara Mettler-Meibom, Soziale Kosten in der Informationsgesellschaft, Frankfurt 1987.

  22. Vgl. Wilhelm Steinmüller, Soziale Beherrschbarkeit offener Netze, in: ÖVD/Online, (1985) 10, S. 146ff., sowie Herbert Kubicek, Zur Sozialen Beherrschbarkeit integrierter Fernmeldenetze, in: K. T. Schröder (Hrsg.), Arbeit und Informationstechnik, Berlin 1986. S. 324 ff.

  23. Franz Arnold. Die künftige Entwicklung der öffentlichen Femmeldenetze in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Auswirkungen auf den Benutzer, Hamburg 1984.

  24. Zur Postreform: Informationen und Materialien zur Neustrukturierung des Post-und Fernmeldewesens in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Sammlung für die Deutsche Bundespost, hrsg. vom Bundesministerium für das Post-und Fernmeldewesen. Bonn 1987.

  25. Klaus Borchard/Arno Gottschalk, Die Post-Industrielle Gesellschaft. Ein Blick hinter die Kulissen bundesdeutscher Fernmeldepolitik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (1988) 1, S. 88-103.

  26. Vgl. auch die Stellungnahme der Gesellschaft für Informatik (Anm. 1).

  27. Vgl. Anm. 16.

  28. Andreas Pfitzmann/Birgit Pfitzmann/Michael Waidner, Technischer Datenschutz in diensteintegrierenden Digital-netzen — Warum und wie?, in: Datenschutz und Datensicherung. (1986) 3. S. 178-192.

  29. B. Hedberg/B. Hedberg-Johannson, Kroneberg 2000 — om lir och arbcte i informationshället, Arbetslivscentrum. Stockholm 1983, zitiert nach der Übersetzung von Jürgen Simoleit, Sozialpolitische und beschäftigungswirksame Formen der Anwendung neuer Kommunikationstechnologien. Materialien der Kooperationsarbeit, Nr. 6, Kooperationsstelle Hamburg, Hamburg 1985, S. 16.

  30. Hans Gliss, Konsequenzen aus der Einrichtung offener Kommunikationssysteme. Chancen, Risiken und Einwirkungsmöglichkeiten auf die Entwicklung, in: Nina Gerner/Otto Spaniol (Hrsg.), Kommunikation in verteilten Systemen, Berlin 1987, S. 776— 786.

  31. Herbert Kubicek/Arno Rolf, Mikropolis. Mit Computer-netzen in die „Informationsgesellschaft“. Hamburg 19862.

  32. Dieter von Sanden (Anm. 8), S. 9.

  33. Vgl. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Entschließung vom 18. April 1986 zum Entwurf einer Telekommunikationsordnung (TKO) vom November 1985. Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 10/1139 v. 17. 12. 1986; Hans Brinckmann. Rechtliche und politische Kontrolle einer neuen Infrastruktur, in: Gesellschaft für Rechts-und Verwaltungsinformatik (Hrsg.), Kommunikationstechnische Vernetzung, Darmstadt 1986, S. 25 — 48, sowie Joachim Scherer, Die Telekommunikationsordnung der Deutschen Bundespost. Rechtsgrundlage für die Informationsgesellschaft?, in: Computer und Recht, (1987), 2, S. 119ff.

  34. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Achter Tätigkeitsbericht. Bonn 1986, sowie Neunter Tätigkeitsbericht, Bonn 1987, S. 29 ff.

  35. Vgl. Stellungnahme der GRVI (Anm. 1).

  36. Zum Gedanken der Dateneinsparung vgl. Otto Ullrich. Wieviel Daten braucht die Utopie?, in: Kursbuch (1981) 66. S. 134 ff.; zur Ausgestaltung einer Datenabgabe vgl. Alexander Roßnagel. Eine Datenabgabe als Instrument zur Daten-einsparung (Veröffentlichung in Vorbereitung).

  37. Vgl. Joachim Scherer (Anm. 5), sowie Alexander Roßnagel/Peter Wedde, Die Reform der Deutschen Bundespost im Licht des Demokratieprinzips, in: Deutsches Verwaltungsblatt. 15. Juni 1988. S 562— 571.

  38. Vgl. Wilhelm Steinmüller und Herbert Kubicek (Anm. 22).

  39. Vgl. Deutscher Bundestag, Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen — Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung“, Drucksache 10/6801 vom 21. 1. 1987.

Weitere Inhalte

Herbert Kubicek, Dr. rer. pol., geb. 1946; 1977— 1988 Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Trier, seit Juli 1988 Prof, für Angewandte Informatik an der Universität Bremen. Arbeitsschwerpunkte: Organisationstheorie, Technikfolgenabschätzung und soziale Beherrschbarkeit der Informations- und Kommunikationstechniken im Büro-und Verwaltungsbereich. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit A. Kieser), Organisation, Berlin 19842; (zus. mit A. Rolf), Mikropolis. Mit Computernetzen in die Informationsgesellschaft, Hamburg 19862. I Barbara Mettler-Meibom, Dr. phil.; derzeit als Heisenberg-Stipendiatin und Privatdozentin am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg tätig, ab Frühjahr 1989 Professorin der Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Kommunikation an der Universität Essen. Veröffentlichungen u. a.: Breitbandtechnologie. Über die Chancen sozialer Vernunft in technologiepolitischen Entscheidungsprozessen, Opladen 1986; Soziale Kosten in der Informationsgesellschaft, Frankfurt 1987; (zus. mit B. Böttger, I. Hehr) Informatisierung des privaten Alltags. Ein Beitrag aus der Sicht von Frauen (erscheint 1989).