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Macht der Medien Zum aktuellen Stand der Ethik-Debatte in Journalismus und Wissenschaft | APuZ 46-47/1988 | bpb.de

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APuZ 46-47/1988 Macht der Medien Zum aktuellen Stand der Ethik-Debatte in Journalismus und Wissenschaft Wider die Folgenlosigkeit Bestandsaufnahme der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung zu den Kabelpilotprojekten Alternative Entwicklungspfade der Telekommunikationspolitik Zu den technischen und ordnungspolitischen Plänen der Deutschen Bundespost Artikel 1

Macht der Medien Zum aktuellen Stand der Ethik-Debatte in Journalismus und Wissenschaft

Hermann Boventer

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Ethik-Thema im Journalismus steht vor einer neuen Konjunktur. In einer Reihe von „Fällen“ während der letzten Zeit ist das Verhalten der Medien in der Berichterstattung einer scharfen Kritik ausgesetzt worden. Sich Grenzen zu setzen, ist eine Grundbedingung des journalistischen Selbstverständnisses, solange der Beruf ein freier bleiben soll. Die Ethik-Debatte im Journalismus ist aber auch auf dem Hintergrund der allgemeinen Wissenschaftskrise zu sehen: Der Informationsfortschritt wird zur Bedrohung. Die Kommunikationswissenschaften stehen vor der längst überfälligen Aufgabe, sich stärker auch für eine normative Betrachtung zu öffnen. Angesichts dieser Notwendigkeit werden neun Aufgabenfelder für die Medienethik skizziert. Der gegenwärtige Stand der Ethik-Debatte in Praxis und Theorie wird zum Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen gemacht. Grundlegend für eine medienethische Betrachtungsebene ist ferner die Frage, welche Wirklichkeit der Journalismus hervorbringt und wie sich die Wirkungsforschung hier verhält. Auf der hermeneutischen Ebene richtet sich die Aufmerksamkeit aufdas Verstehen und Interpretieren, und hier ist die Sprache das Medium aller Medien. Weiterhin wird daran erinnert, daß es eine Wissenschaftsgeschichte der ethischen Theorie gibt, die für die normative Sichtweise der Journalismus-Phänomene auszuwerten ist. Auf der Makro-Ebene sind es die Strukturen, die ökonomischen Bedingungen und juristischen Rahmen-ordnungen, die für die Medien die Machtfrage aufwerfen. Überlegungen zur Medienpädagogik und Medienkompetenz gehören hinzu. Verantwortung, Moral und Kritik sind in ihrem Bedingungsverhältnis für den Medienalltag zu prüfen.

Im Jahre 1971 mußte Elisabeth Noelle-Neumann in der Einleitung zum Fischer-Lexikon Publizistik noch resigniert vermerken: „Das derzeit geringe — oder jedenfalls äußerst partielle — Interesse für ethische Fragen hat in den letzten zwei Jahrzehnten keine neuen Arbeiten zum Thema Ethik des Journalismus entstehen lassen. Wir haben darum auf einen Artikel dazu verzichtet.“

Diese Situation trifft nicht mehr zu; das Thema hat nicht nur durch „Fälle“ wie die Flick-Spenden-Affäre. die Kieler Ereignisse um den Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten Barschel oder die Berichterstattung beim Gladbecker Geiseldrama einen starken Auftrieb bekommen, sondern die Medien mit ihren politischen und kulturellen Auswirkungen sind auch von der allgemeinen Ethik-Debatte eingeholt worden.

Der Beginn dieser Debatte fällt in die späten siebziger Jahre. Ein Buch wie das von Hans Jonas mit dem Titel „Das Prinzip Verantwortung“, das 1979 erschien, besaß in jener Zeit noch die Aura einer gewissen Esoterik. Schließlich handelte es sich um Philosophie, die sich an Kants kategorischen Imperativ anlehnte und vor metaphysischen Prämissen nicht zurückschreckte. Jonas hatte über die Gnosis publiziert und ein jüdisches Emigrantenschicksal aufzuweisen, das ihn nach Amerika brachte. Schon der erste Satz seines Vorworts war wie eine Proklamation, und plötzlich war die Ethik, die Verantwortungsethik, wieder in aller Öffentlichkeit gegenwärtig: „Der endgültig entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden.“

Jonas stand nicht allein mit seinem Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation und seiner Ausgangsthese, daß die Verheißung der modernen Technik in Drohung umgeschlagen sei. Dieses Gefühl beherrschte auch von Anfang an die öffentliche Debatte um die Auswirkungen der neuen Informations-und Kommunikationstechnologien, die seit Mitte der siebziger Jahre geführt wurde und im Grunde schon eine verkappte Ethik-Debatte war: Darf der Journalismus, was er kann?

Der klassische Zeitungsjournalismus hatte zur Technik ein bisher noch recht unproblematisches Verhältnis. Der Telegraph, dann das Telefon, das Radio als Propagandawaffe im Hitler-Reich, schließlich und vor allem im Nachkriegsdeutschland der beispiellose Siegeszug des Fernsehens änderten diese instrumentelle Unschuld des Journalismus radikal und lieferten ihn den ganz neuen Zwängen der elektronischen Apparate und Technologien aus. Ist beispielsweise das Fernsehen mit seinem Riesentroß an Technik und Technikern, das Programme in fabrikmäßigen Formen produziert, überhaupt noch ein journalistisches Medium? Der Gegenstand selbst, den wir mit Journalismus und Publizistik bezeichnen, verliert sich ins Diffuse der Unterhaltungsindustrie, und das macht eine Bestimmung seiner moralischen und ethischen Gründe auch nicht leichter.

I. Warum wir eine Ethik für Journalisten brauchen: Glaubwürdigkeit der Medien auf dem Prüfstand

Daß es eine neue Konjunktur für das Ethik-Thema im Journalismus gibt, ist auf eine Reihe von Anläs-Esen und Gründen zurückzuführen. Dazu zählt, wie gesagt, die allgemeine Wissenschaftskrise auf dem Hintergrund eines angefochtenen Fortschrittsglau-bens. Auch der Informationsfortschritt sieht sich in diese Zweifel hineingenommen, ob er für die Menschen in der hochindustrialisierten Gesellschaft nicht das Gegenteil von dem erbringt, was er verspricht. Warum immer noch mehr Programme und neue Medien? Ich bin nicht sicher, ob der Kommunikationswissenschaftler Jürgen Wilke sich nicht irrt, wenn er glaubt, daß die Konsequenzen eines ethisch nicht verantworteten Wissenschaftsfortschritts weit über das hinausgingen, was der Journalismus „anrichten“ könne Die Verwilderung der Sprache und öffentlichen Kommunikation löscht zwar nicht das physische Dasein aus, aber sie kann für das geistige Leben verheerende Folgen haben. Eine Politik ohne Ethos, sagt Polybios, ist wie ein Mensch ohne Augen — zum Fürchten allemal; dieser Satz ist ohne weiteres auf das System des massenmedialen Journalismus übertragbar. Orwells Welt ist nicht grundlos ein Staat mit einem Wahrheits-und Kommunikationsministerium an der Spitze. Jede humane und ethische Dimension ist hier ausgeklammert.

Ethische und normative Ansätze sind in der deutschen Publizistikwissenschaft jahrzehntelang an den Rand gedrängt worden. Der sozialwissenschaftliche Empirismus erklärt Normen und Normenbegründungen für „unwissenschaftlich“. Diese Ausschließlichkeit ist heute in Frage gestellt, etwa wenn Wilke ausführt: „Daß die Zurückhaltung gegenüber dem Thema journalistische Berufsethik auch bei uns aufgegeben oder zumindest als leichtfertig empfunden wird, dürfte vornehmlich darauf zurückzuführen sein, daß man zunehmend wieder von einer großen Wirkung, ja einer Macht der Massenmedien ausgeht.“

Die zunehmende Aufmerksamkeit für eine normative Betrachtungsweise der journalistischen Phänomene und Sachverhalte hat sich voraussagen lassen. In Amerika sind die Entwicklungen mit dem Fernsehen früher angelaufen und den europäischen Erfahrungen vorausgeeilt. Im Gefolge von Marshall McLuhan, dessen zum Teil gewagte Thesen auf überraschende Popularität stießen, ist seit den sechziger Jahren eine breite Kultur-und Femsehdebatte in Gang gekommen. Anfangs erstreckte sie sich auf die Problematik von Gewaltdarstellungen im Fernsehen, später wurden auch die gesamtgesellschaftlichen Folgeprobleme für eine Schriftkultur und die politische Urteilsbildung einbezogen. Entsprechend sind „Media Ethics" als eigener Zweig der amerikanischen Kommunikationswissenschaft ausgebildet worden. Die Vorherrschaft der empirischen Methoden hinderte diese Wissenschaft nicht daran, auch kritisch-moralische Fragen zu stellen „Journalismus und Ethik“ ist als Ringvorlesung im Wintersemester 1987/88 an der Freien Universität Berlin mit über einem Dutzend öffentlicher Vorträge auch beim studentischen Publikum . angekommen 4. Peter von Zahn eröffnete die Serie mit der Frage: „Warum wir eine Ethik für Journalisten brauchen“. Der erfahrene Praktiker und langjährige Fernsehstar meinte vielsagend, er glaube, „die Moralphilosophie hat da noch einiges vor sich. Sie muß an Hand von Fallstudien aus dem journalistischen Tagewerk unsere Augen schärfen für das, was ist und was ethische Norm sein muß oder nicht sein darf. Ohne Rückgriff auf die großen Traditionen der Moralphilosophie, besonders auf Aristoteles, werden wir nicht auskommen.“ Aristoteles rechne auch Fröhlichkeit, Witz und Großherzigkeit zu den ethischen Qualitäten des Lebens. Peter von Zahn wollte diese Tugenden, die zum individuellen und sozialen Wohlergehen beitragen, auch zu den journalistischen gerechnet wissen

Es darf also wieder öffentlich, praktisch und fach-wissenschaftlich davon gesprochen werden, daß es auch im Journalismus bestimmte Tugenden gibt. Die These von der Philosophie-und Ethikbedürftigkeit der Medien braucht sich nicht mehr zu verstecken. Das ist im Hinblick auf die letzten Jahrzehnte der Auseinandersetzung über Theorie und Praxis des Journalismus etwas Neues und sehr Erfreuliches. Allerdings betreten wir mit einer „Philosophie der Medienkultur“ ein noch ziemlich unbeackertes Feld. Welche Aufgaben stellen sich hier? Ich nenne dazu im folgenden einige Fragestellungen und Betrachtungsebenen. Daraus ergibt sich eine Art von Aufgabenkatalog für eine Ethik des Journalismus. Zuvor ist jedoch unter den Anlässen und Gründen für die journalistische Ethik-Debatte noch eine auffallende Veränderung im allgemeinen Publikumsverhalten anzuführen. Das läßt sich zum Beispiel an Leserbriefen erkennen. Veränderungen zeigen sich auch im Sehverhalten des Fernsehpublikums und in einer gewissen Politikmüdigkeit. Mit dem Journalismus und seiner Qualität sind vielfältige und oft sehr gegensätzliche Erwartungen in der Öffentlichkeit verbunden. Ein relativer Konsens besteht jedoch in dem Punkt, daß Journalismus und Moral etwas miteinander zu tun haben. Man erwartet eine verläßliche Berichterstattung. Journalisten stehen nicht jenseits von Moral und Ethik. Sie selbst schätzen sich allerdings oft anders ein: „Wer mich Zyniker nennt, der ehrt mich. Ich bin gerne Zyniker.“ Das ist eine Äußerung von Rudolf Augstein. Möglicherweise würde er sie heute nicht wiederholen. „Barschels schmutzige Tricks“ lieferten als Schlagzeile seines Nachrichtenmagazins immerhin den Auftakt für einen höchst moralischen Argumentationskomplex auf allen betroffenen Seiten.

Auf der Publikumsseite muß sich viel Zorn angesammelt haben. In Hunderten von Leserbriefen wird über den angeblichen oder tatsächlichen Machtmißbrauch der Medien räsoniert. „Verantwortungslose“ Journalisten, die ihre Privilegien „schamlos“ ausnutzen, werden aufs Korn genommen: „Die Produkte ihrer (journalistischen) Tätigkeit sind: Desinformation, bewußt oder grob fahrlässig; tendenziöse Information . . . Eine Politik nach demokratischen Grundsätzen ist daher vom Prinzip nicht möglich, denn es herrscht eigentlich die Diktatur der Presse.“ Aber es wird nicht nur hart kritisiert, sondern man findet auch konstruktive Gedanken und Vorschläge ausgebreitet. Ein Leser nennt es ein Signal der Hoffnung, daß just am gleichen Sonntag, an dem Uwe Barschel tot aufgefunden wurde, Hans Jonas zum Thema der Selbstkontrolle in einer freiheitlichen Gesellschaft in der Frankfurter Paulskirche gesprochen habe, als er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm. Die Freiheit, habe Jonas gesagt, müsse erkennen, „daß durch sie das Ganze auf dem Spiel steht, und daß sie allein dafür verantwortlich ist. Sich Grenzen zu setzen, ist erste Pflicht aller Freiheit, ja, die Bedingung ihres Bestandes.“

Eine systematische Auswertung der Leserbriefe nach den Kieler Ereignissen würde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bestätigen können, daß die Öffentlichkeit ganz allgemein in ihrer medienanalytischen und medienkritischen Unterscheidungsfähigkeit sensibilisiert worden ist. Der Reflexionsgrad ist größer geworden, das Distanzierungsvermögen gewachsen. Wir haben es mit einem Publikum zu tun, das „gelernt“ hat und selbstbewußter auftritt. Die Kriterien von Glaubwürdigkeit und Authentizität werden ziemlich streng angelegt. Zu einer glaubwürdigen Politik und zu einem glaubwürdigen Journalismus gehören Grundsatztreue und Verläßlichkeit, sonst leeren sich die Ränge und wird abgeschaltet.

Der frühere ZDF-Intendant Karl Holzamer bemerkte schon in den frühen Jahren des Fernsehens einmal sehr treffend: „Der wichtigste Knopf ist der Abschaltknopf!“ Das Fernsehen stand (und steht immer noch) im allgemeinen Bürgerurteil auf viel zu hohem Thron. Ein Beleg dafür sind die viel zu hohen Glaubwürdigkeitswerte für das Medium Fernsehen im Vergleich zu den Printmedien und auch zum Radio Das Fernsehen ist noch immer von einem Mythos umgeben, und das erleichtert nicht, sondern erschwert die Arbeit der Journalisten, weil sich die Erwartungshaltungen der Zuschauer nicht genügend differenziert haben. Kreativität und innovatorische Kraft im Journalismus sind auf möglichst große Bürger-und Marktnähe angewiesen. Sonst erstarrt das System autoritär in der Überschätzung der eigenen Wirkungen.

Die jüngere Generation demonstriert heute schon ein ganz anderes Verhältnis zu den Autoritäten der Telekratie. „Die Glaubwürdigkeitslücke des Fern-sehjournalismus" zeigt sich an den gesunkenen Einschaltquoten für die Präsentation von Politik. Das Medium Fernsehen erfährt eine Entautorisierung. Siegfried Weischenberg gelangt zu der nachdenklichen Schlußfolgerung: „Die aktuelle politische Fernsehberichterstattung in der Bundesrepu-blik muß den Journalismus wiederentdecken.“ Das Fernsehen hat die Grenzen und Möglichkeiten des eigenen Mediums noch viel zu wenig ausgeleuchtet Mit einer Theorie, Ethik und Ästhetik des Fernsehens stehen wir noch ganz am Anfang

II. Aufgabenfelder für die Medienethik: Einführung des ethischen Denkens

Im folgenden werden stichwortartig die Aufgabenfelder für die Medienethik aus aktueller Sicht in neun Kapiteln skizziert. Es geht um Bausteine einer journalistischen Ethik im Hinblick auf die (philosophischen) Warum-Fragen sowohl auf der Makro-Ebene, wo sich der Blick auf die Institutionen und Systeme richtet, als auch auf der Ebene des persönlichen Handelns, der individuellen Verantwortung im Journalismus und der Medienkultur. 1. Hippokratischer Eid für Journalisten Berufsethik und Selbstkontrolle Über den Schreibtischen in amerikanischen Redaktionsbüros findet der Besucher gelegentlich eine Presse-Gebotstafel „The Journalist’s Creed“ — das Credo eines Journalisten Seit den zwanziger Jahren gibt es in den USA diese journalistischen Wertetafeln. Der professionelle Status soll mit einer Art Hippokratischem Eid für Journalisten bekräftigt werden. Viele lächeln darüber; aber das puritanisch-moralistische Erbe schafft in den USA immer noch ein anderes Klima für die Berichterstattung und Einflußnahme der Medien.

Nach dem Krieg hat der Deutsche Presserat mit seinem Pressekodex an die berufsethische Tradition angeknüpft. Die obersten Werte sind Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Sie werden als Ethos der Selbstverpflichtung betrachtet. Der Deutsche Presserat ist mit seinen Kodifizierungsversuchen allerdings auf keine große Gegenliebe gestoßen. Aus der Praxis kommt ein Schulterzucken: Niedriger hängen! Aus der Wissenschaft kommt der Hinweis auf „wirkungsschwache Leerformeln“ Müssen wir uns damit von der berufsethischen Nachdenklichkeit verabschieden?

Ein Hauptirrtum der Kodifizierungsversuche liegt darin, daß sie „die“ journalistische Ethik formulieren wollen. Ethische Antworten haben jedoch vielfach heute ihre Eindeutigkeit verloren. In den komplexen Zusammenhängen desjournalistischen Handelns sind Schwarz-Weiß-Entscheidungen die Ausnahme. In dieser Situation kann es nicht um Patentrezepte gehen, sondern das Ziel ist die Schärfung des ethischen Urteils. Jeder braucht im Alltag seine Hinweisschilder, und solange sie als solche ausgewiesen werden, bleiben Freiheits-und Ermessensspielräume erhalten. So können die Versuche zur einprägsamen Formulierung von ethischen Mindestregeln im Journalismus durchaus ihren plakativen und orientierenden Wert haben. Wenn der Journalismus auch weiterhin zu den freiesten Berufen, die es gibt, gehören soll, dann muß die in der Verfassung garantierte Offerte mit ihren geistigen und moralischen Herausforderungen auch professionell erhärtet werden können.

Die journalistische Profession, von der wir unbefangener sprechen sollten, braucht eine permanente Debatte zum berufskulturellen Selbstverständnis. Anders wird die Freiheitsmoral auf Dauer nicht zu legitimieren sein. „Was die Kontrolle und — wenn möglich — Vorbeugung journalistischer Kunstfehler angeht, so kann sich Legitimation . . . nicht anders herstellen lassen als bei Ärzten, Rechtsanwälten, Wissenschaftlern: über angemessene berufliche Lernprozesse und Rekrutierungsverfahren für die Journalisten.“ Ich möchte diesem Satz von Siegfried Weischenberg die Einschränkung hinzufügen. daß die Kontrolle im Journalismus essentiell eine Selbstkontrolle ist und bleiben muß. Gerade darum ist sie auf ihre ethischen Qualitäten angewiesen. Auch als Selbstkontrolle ist sie in soziale Zusammenhänge eingebettet. Aber eine gesetzliche Kontrolle der Pressefreiheit wollen wir nicht. Deshalb liegen Selbstkritik und Selbstdisziplinierung des Journalismus in seinem ureigensten Interesse. 2. Die journalistische Wirklichkeitskonstruktion Wirklichkeit, Wirkungsfrage und Medien Zu den individualethischen und personalen Kategorien gesellen sich die sozialethischen: Was machen die Medien mit uns? Was machen wir mit den Medien? Eine Objektivierung der Wirkungsprozesse — und zwar solchermaßen, daß Ursache und Wirkung anhand eindeutiger und allgemeingültiger Sätze erklärt werden können — ist nicht möglich. Die Prozesse sind wertorientiert und teleologisch. Fakten und Sätze werden in normative Sätze übersetzt. Urteil und Bewegung werden ausgelöst, es soll etwas bewirkt werden, sonst geht der Journalismus ins Leere. Etwas bewirken, das heißt, die Wirklichkeit im Sollen auf ein Ziel hin verändern, das erstrebenswert oder „gut“ ist. Die gesamte Tradition der Ethik und Moralphilosophie läßt sich auf die beiden Wörter „gut“ und „sollen“ zurückführen. Insofern ist die Wirkungsfrage die ethische Königs-frage im Journalismus schlechthin; ihr vorgelagert ist die ontologische Frage, die Seins-und Wirklichkeitsfrage. Was ist Wirklichkeit? Was ist journalistische Wirklichkeit? Heute zeigt sich, wie das Verhältnis von Medien und Wirklichkeit unter dem Aspekt von normativen Prägungen und Einflüssen, also im Kontext von „gut“ und „sollen“, in den soziologischen und politischen Erwägungen zum Thema immer stärker ins Zentrum rückt. Es gibt keinen wertneutralen Mediengebrauch, zu dem Wissenschaft oder Wirkungsforschung sagen könnten: so ist es „richtig“, so ist es „falsch“. Die Richtigkeit liegt nur vordergründig im jeweiligen und aktuellen Funktionieren. Unsere gesamte Wirklichkeitserkenntnis ist immer auch die Erkenntnis von Werten, und sie bestimmen das Wirkungsfeld, wenn es im Ganzen zu jenem Kampf der Meinungen kommt, der in der Demokratie unverzichtbar ist.

Vor diesem Fragehorizont verlangen Themen wie „Medien und Wertewandel“, „Medien und politische Kulturmuster“, „Medien und moralische Urteilsbildung" oder die umfassende Problematik der Lesarten von Wirklichkeit mehr Aufmerksamkeit. Peter L. Berger und Thomas Luckmann veröffentlichten 1970 ihre deutschsprachige Ausgabe des Werks „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ -Diese Denkansätze liegen in der Journalismustheorie fast gänzlich brach und ungenutzt. Noch sehr viel früher datiert Walter Lippmanns glänzende Analyse „Public Opinion“ E. Noelle-Neumann hat sie in ihre Studien eingebaut Die „pictures in our heads“ gehören ins Zentrum der Medienwirkungsforschung, und ihnen ist, wenn überhaupt, nur mit dem vollen Instrumentarium der Geisteswissenschaften und interdisziplinären Kooperation beizukommen. Vernachlässigt sind auch die ästhetischen Dimensionen in der Komplementarität zu den ethischen. „Die Poesie der Neuen Medien“ kann breite Erkenntnisschneisen öffnen: „Wir suchen die Ästhetik der elektronischen Medien, nach Denk-und Sprachformen, die sich nicht im Abwägen des Entweder/Oder erschöpfen, die Welt auf die Alternative reduzieren: Video oder Film, Kunst oder Trivialität, Fakt oder Fiktion . . ,“

Im Umgang mit (elektronischen) Bildern gibt es zuviele Analphabeten; die Macht der Bilder, die zur Macht über die Wirklichkeit führt, ist von Neil Postman korrekt, aber zu kulturpessimistisch ausgelegt worden. Daß das Bild, daß die Phantasie am Ende sei und sich alles zum trivialen Amüsement wende, ist Postmans folgenschwerstes Vorurteil, das die Journalismustheorie nicht hinnehmen sollte Hingegen sollten wir die Denkanstöße, die Postman zum metaphorischen Charakter der Bildsprache gibt, aufgreifen und verarbeiten. Nach Postman ist jede Epistemologie als Lehre vom Ursprung der Erkenntnis und Wahrheit von Entwicklungen bestimmt, die medienabhängig sind: „Wie die Zeit, so ist auch die Wahrheit das Produkt eines Gesprächs, das der Mensch mittels der von ihm erfundenen Kommunikationstechniken und über sie mit sich selbst führt.“ Postman gründet dann allerdings seine Epistemologie zu ausschließlich auf Buchdruck und Schriftkultur. Seine Klage vom Verfall der Schriftkultur angesichts des Fernsehens, dessen Bilderflut uns alle „dümmer“ mache und mit ihrem Show-Effekt den öffentlichen Diskurs zerstöre, kann so nicht stehen bleiben. 3. Das Verstehen und das Verstandenwerden Sprache unter dem Anspruch des Sittlichen Derjournalistische Umgang mit der Wirklichkeit ist auf das Medium der Sprache angewiesen. Die Sprache ist das bildende Organ unserer Auffassung von der Welt. Das journalistische Wort hat realitätsstiftende und realitätsverändemde Kraft.

Ein Praktiker schreibt: „Mein Urteil über die journalistische Qualität führt mich zu folgender Kritik. Erstens: Die Vorstellung von einem attraktiven Journalismus hat zu einer Verwilderung der Sprache geführt.“ Den Fragen nach Wirklichkeit und Wahrheit im journalistischen Erkennen und Handeln wird auf der sprachanalytischen Ebene eine neue Perspektive hinzugefügt. Kann uns die Sprache helfen, über die wahre Rede zur wahren Welt zu gelangen? In aller Schärfe stellt sich die Wahrheitsfrage für den auf das Wort gegründeten Journalismus täglich aufs neue.

Die Sprache ist Weltgestaltung, sie will das Handeln und die Tat, sie bringt über das deutende Verstehen die kreative Macht des Wortes zum Zug. Das Wort wird im Verstehen wirksam. Ethik des Journalismus ist in wesentlichen Stücken eine Ethik der Sprache und ihres Verstehens. Wer versteht, gewinnt Freiheit in der Erkenntnis über sich selbst und die anderen. Das Verstehen und das Verstandenwerden kennzeichnen die journalistischen Tätigkeitsbereiche als sinnstiftende Faktoren: „Die Welt ist die Signatur des Wortes.“

Wenn wir die journalistischen Phänomene auf der hermeneutischen Ebene betrachten, gilt die Auslegungsmethode einer praktischen Philosophie. Was heißt das? Hermeneutik ist ein wissenschaftliches Verfahren der Auslegung und Erklärung von Texten. Hermeneutik ist auch eine Methode des Verstehens menschlichen Daseins. Hermeneutik bedeutet in unserem Zusammenhang eine Untersuchung der journalistischen Praxis in ihrer Rückbindung an lebensweltliche Erfahrungen unter dem Anspruch des Sittlichen. Für diese Praxis ist das Normative konstitutiv und im Moralprinzip begründet. Anders gesagt: Die Journalisten sind Hermeneutiker, die unsere Welt durch ihre Informationen interpretieren. Journalismus will über die Sprache etwas verständlich machen. Journalismus ist Interpretationskunst. Mit so unterschiedlichen Worten wie „aussagen“, „verkünden“, „erklären“ oder „übersetzen“, die alle begrifflich von der Stamm-aussage „Hermeneutik“ abgeleitet sind, werden sprachbedingte Tätigkeiten bezeichnet: das Verstehen und das Verstandenwerden. Das ist keine Willkürlichkeit in den Worten. Journalismus ist ein Handeln nach der Maxime „Sei verständlich!“ 4. Strukturen des Zwischenmenschlichen Kommunikation und Massenkommunikation als Gespräch Die Vielschichtigkeit des Gegenstands „Kommunikation“ bereitet den einschlägigen Wissenschaften arge Kopfschmerzen, und das gilt auch für seine Übertragung auf Prozesse der Massenkommunikation. Sogar die Theologen haben sich des Kommunikationsbegriffs angenommen. In dem vatikanischen Dokument „Communio et Progressio“, das die katholische Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit den Strukturen und Realitäten der säkularen Medienwelt zu versöhnen sucht, wird Christus als „Meister der Kommunikation“ bezeichnet Daraus kann man alles und nichts ableiten; ähnlich ergeht es auch den Informationstheoretikern und Kommunikationswissenschaftlern, die von einer ungeprüften Ontologie und Anthropologie ausgehen; sie gelangen über das „Naive“ ihrer Aussagen nicht hinaus.

„Uns geht es um die Voraussetzungen des Zwischenmenschlichen“, schreibt Martin Buber. „Der Mensch ist nicht in seiner Isolierung, sondern in der Vollständigkeit der Beziehung zwischen dem einen und dem anderen anthropologisch existent: erst die Wechselwirkung ermöglicht, das Menschentum zulänglich zu erfassen.“ Das sind auch Grundbestandteile einer journalistischen Ethik in der Herstellung von Öffentlichkeit und ihrem öffentlichen Reden, daß einer auf den anderen „erschließend einwirke“ zum „Bestände des Zwischenmenschlichen“. Das anthropologische Gesprächsmodell wird als strukturelles Moment in die Massenpublizistik eingeführt: Journalismus als Dialog und Dialogsituation. Hier ist nicht nur an Martin Buber und viele andere anzuknüpfen, sondern ein so unterschiedlieher Geist wie Jürgen Habermas hat in seiner Theorie des kommunikativen Handelns immer wieder neue Begründungsversuche für eine Kommunikations-und Wahrheitsethik vorgelegt. Im Zentrum steht perspektivisch die Humanisierung der Massenkommunikation. Im Ur-Modell von Gespräch und Dialog hegen die Gegenkräfte zur kollektiven Anonymität der massenmedialen Wirkungen. 5. Die Achtbarkeit der Menschen Geisteswissenschaft, Ethikdiskurs und Journalismus Lange Zeit mußte der empirisch-analytischen Kommunikationswissenschaft die Ethik als das langweiligste Thema der Welt erscheinen. „Es ist so, wie es ist“ — dies empirisch herauszufinden und in die Helligkeit der exakten Analyse zu holen, lohnte allein die Anstrengung. Die Welt des Sollens lag auf einem ganz anderen Planeten und war für den vorherrschenden Wissenschaftstypus völlig irrelevant. Ethik war „Geschwätz“ oder wurde bestenfalls als Essay-Thema charakterisiert.

Der Umschlag des Zeitgeistes ist hier nun unverkennbar; er hat die Infragestellung der wissenschaftlichen Rationalitätspostulate insgesamt zum Hintergrund. In der Bedrängnis durch die neuen Warum-Fragen artikuliert sich ein ethischer Konservativismus und fast schon ein Kult des Irrationalen, der in die sogenannte Postmoderne einmündet. Die angewandte Ethik erlebt eine Konjunktur, und damit es keine trügerische Konjunktur ist, bedarf sie der wissenschaftlichen Pflege und Grundlegung. Die Geisteswissenschaften nennen sich im angelsächsischen Verständnis bis heute „moral Sciences“. Die Geisteskultur des Humanismus mit ihrer spezifischen Moralität bildet den Grund, in dem die philosophische Ethik seit Aristoteles verwurzelt ist. Der gegenwärtige Ethikdiskurs, der in vielen Wissens-und Wissenschaftsbereichen geführt wird, ruht auf diesen Fundamenten und kann davon nicht absehen. Die Ethik zehrt als Wissenschaft vom Fundus ihrer Erkenntnisse und Denktraditionen. Dabei kommt es aktuell darauf an. die philosophische Ethik noch stärker als bisher anwendungsfähig zu machen.

Die journalistische Ethik ist eine angewandte Ethik. Den Versuch einer solchen Anwendung auf kommunikationswissenschaftlicher Grundlage haben Ulrich Saxer und Manfred Rühl vor einigen Jahren vorgelegt, als der Deutsche Presserat seinen 25. Jahrestag beging. Die ethische Selbstverpflichtung der Journalisten sollte reflektiert werden. Die Autoren argumentierten systemtheoretisch. Das auf Appellen beruhende Pathos der Individualethik sollte in einer Art Paradigmenwechsel durch eine moderne Systemrationalität ersetzt werden. In einer merkwürdigen Kehrtwendung zogen die Autoren für ihre Begründung jedoch den Kantischen Topos der „Achtung“ heran. In ihren Überlegungen zum „Ethikbedarf“ als „moralisches Steuerungspotential“ im Journalismus erklärten sie die mitmenschliche Achtung zur zentralen Kategorie ihrer Kommunikationsethik. So sollten die anthropologischen Denkvoraussetzungen „mit dem ontologisierenden Rekurs auf verborgene Gesetzlichkeiten“ aus dem Weg geräumt werden. Aber damit beginnen auch schon die Fragen: Ist eine Ethik ohne Ontologie und Anthropologie überhaupt begründbar? Woher legitimiert sich die Achtbarkeit der Menschen voreinander? Der Journalismus hat zwar die Systemzwecke zur Voraussetzung, aber in seiner Subjektivität überschreitet er die bloß technischen Zwecke auf ein Mehr hin, das Journalismus überhaupt erst zum Journalismus macht

Ohne die Vertrautheit mit der Begrifflichkeit und Wissenschaftsgeschichte der ethischen Theorie bekommt man die Phänomene der Sittlichkeit nicht in den Griff. Die Wissenschaft von der Sittlichkeit kann sich heute auf mannigfache Denkansätze beziehen. Wir nannten bereits die Diskursethik (als transzendentalpragmatische, universalpragmatische oder konstruktivistische Denkschule). Dann treten semantische Untersuchungen, Vernunft-und Rationalitätsanalysen, entscheidungs-und spiel-theoretische Varianten in der Normenbegründung hinzu, auch Fragen der Kontextualisierung, schließlich die klassischen Deutungen der hedonistischen und utilitaristischen Prinzipienlehre. Heute wird der Disput auch unter den Stichworten „teleologisch“ (zielsinnig, wenn die Handlung von ihren sittlichen Folgen her beurteilt wird) und „deontologisch“ (pflichtbezogen, wenn das Gesollte zum Kriterium gemacht wird) geführt. Von den Tugenden, von Verantwortung, Schuld und Gewissen muß ge-sprochen werden. Die Ethik von Institutionen und Organisationen ist mit dem wiederbelebten Gerechtigkeitsdiskurs in Verbindung zu bringen. Eine Theorie des gelungenen, geglückten Journalismus könnte zwischen antiker und neuzeitlicher Ethik vermitteln. Die Felder sind kaum abgesteckt, die Desiderate in der normativen Beurteilung der Journalismusphänomene beträchtlich, wie erkennbar wird. 6. Eine Politik, die Pressefreiheit begünstigt Macht der Medien als Vierte Gewalt?

Auf der Makro-Ebene sind es die Strukturen, die ökonomischen Bedingungen und juristischen Ordnungen, die in die Ethik-Debatte gehören. Medien-politisch ist zu fragen: Welche Systeme begünstigen Freiheit? Werden die Aspekte der Chancengerechtigkeit in genügendem Maße eingebracht? Solange sich die Pressefreiheit auf die Druckmedien erstreckte, war der Wettbewerb im Prinzip herstellbar. Die Märkte regulierten den Zugang, und die Presseverlage hatten im Regelfall eine privatrechtliche und -wirtschaftliche Unternehmensform. Das änderte sich mit der Ausbreitung des Rundfunks. Die Einstellung war nicht nur aus technischen Gründen von vornherein eine andere. Als dem preußischen Innenminister Karl Severing zum ersten Mal ein Radioempfänger vorgeführt wurde, zeigte er sich erschrocken über die Möglichkeiten der Einflußnahme. Severing meinte: „Wenn jeder einen derartigen Apparat im Hause hat. dann ist es eine Kleinigkeit, die Monarchie auszurufen!“ Das war 1923 im „Geburtsjahr“ des Rundfunks in der Weimarer Republik. Hans Bredow, der damals Staatssekretär war und als „Vater“ des Rundfunks gilt, mußte der Reichswehrführung versichern, daß alle Rundfunksender in der Hand der Reichspost blieben und der Staatskontrolle unterstellt seien.

Das Fernsehen ist ein noch viel mächtigeres Instrument als das Radio, und das Verhältnis von Medien und Demokratie wird damit noch viel einschneidender berührt als in der Weimarer Zeit. Die Medien sind heute — mit dem Fernsehen als Leitmedium an der Spitze — die umfassendste und wohl auch subtilste Macht in der politischen Kultur unseres Landes. So verwundert es nicht, daß gefragt wird, ob eine solche Gesellschaft gemäß ihrer Verfassungsstaatlichkeit als repräsentative Demokratie noch regierbar erscheint, wenn sich Gegengewalten mit populistischer, elitärer und letztlich unkontrollierbarer Tendenz herausbilden. Stellen die Medien mit ihrem Machtpotential eine Gefahr für das Funktionieren demokratischer Gewalten dar? Die Medien sind keine Herrschaftsmittel. Jedenfalls können sie legitimerweise einen solchen Anspruch nicht erheben, sondern sie leisten vermittelnde Dienste, sie stellen Öffentlichkeit her und begleiten kritisch die Prozesse der sozialen Kommunikation. Sie stellen keine eigenständige Gewalt dar, die sich als Vierte Gewalt neben den Institutionen des Verfassungsstaats etabliert

Eine selbsternannte Vierte Gewalt im Staat, die mindestens symbolisch an die Seite der drei klassischen Gewalten tritt, weckt falsche Erwartungen und hat falsche Voraussetzungen. „In Amerika“, so lese ich in einem Ankündigungstext von Programmen zur politischen Bildung in Bayern, „hat der Journalismus längst den Platz der Vierten Gewalt im Staat eingenommen“. Das angekündigte Programm galt dem CBS-Starjoumalisten Dan Rather, seit den Watergate-Enthüllungen ein gefürchteter Femsehkorrespondent. „Auch jetzt bei Irangate, den Enthüllungen über den Waffenhandel der Reagan-Administration, war Dan Rather an führender Stelle dabei. Die Politiker haben Angst vor ihm, die Zuschauer machen ihn zum erfolgreichsten Fernsehjournalisten.“

Ohne eine solche Ankündigung ernster zu nehmen als sie gemeint ist, läßt sich doch eine gewisse Genugtuung darüber, daß Journalisten den Politikern auf die Finger klopfen, dem Text entnehmen. Journalisten als Mit-Politiker: Als Rudolf Augstein anläßlich seiner Ehrenpromotion über das Thema „Öffentlichkeit als . vierte Gewalt*“ sprach, meinte der Begründer des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ zur Ära Adenauer, sie habe einerseits ein zu spätes, andererseits aber ein von der Öffentlichkeit ins Werk gesetztes Ende gefunden. Wörtlich: „Der . Spiegel* war hier nicht unbeteiligt.“ Die Grenzen vom Journalisten zum Politiker und Mandatsträger verwischen sich. Die Begriffsfigur der drei klassischen Gewalten von Montesquieu wird um eine vierte Gewalt als Gegengewalt ergänzt. Journalisten kontrollieren die Mächtigen, wer immer das sei. Neben den Staatsgewalten, ja gegen sie etabliert sich eine Macht, die sich mit ihrer notwendigen Kontrollfunktion dem gewaltenteiligen Prin-zip entzieht. Die Öffentlichkeit wird zur Plattform für eine Machtentfaltung, die viele kritische Fragen aufwirft.

Was sind die Aufgaben der Journalisten im Verfassungsstaat? Sie sind die Makler der Öffentlichkeit. Sie sind Nachrichtenüberbringer. Ihre Aufgabe lautet: aufzupassen und aufzumerken; Kritik und Kommentar gehören essentiell dazu. Journalisten sind ex officio keine Gegenmacht und Gegenkultur. Dann müßte auch der Berufszugang bis ins letzte reglementiert werden; die Verrechtlichung des Journalismus wäre nicht aufzuhalten. Es entstünden öffentlich-rechtliche Informationsbeamte zur „Grundversorgung“ der Bevölkerung (ein ziemlich schiefer Begriffdes letzten Karlsruher Rundfunkurteils Die Journalisten nehmen ein Wächteramt wahr, aber nicht qua „Verfassungsauftrag“ sondern aus der Selbstverpflichtung und dem Ethos der bürgerlich-freiheitlichen Wachsamkeit. In der Aktivierung der Geistes-und Meinungsfreiheit zur allseitigen Kommunikation sind Aufgabe und Macht der Journalisten begründet. Sie sind weder die Herren noch amtlichen Verwalter der Öffentlichkeit, sondern selber ein dienender Teil davon. Macht und Ohnmacht liegen sehr eng beieinander, und in diesem Fall müssen sie es auch. 7. Vernünftiger Umgang Medienpädagogik und Medienkompetenz Für eine pädagogische Sicht der Medien — also im Hinblick auf den Erwerb vernünftiger Erfahrungsregeln im Umgang mit den Medien — ist es entscheidend, ob ich einen freiheitlich-ethischen Denkansatz der Selbstverpflichtung und Verantwortung hervorkehren will oder ob der Denkansatz der Vergesellschaftung der Massenkommunikationsmittel gelten soll. Daß ein Mediensystem auch tatsächlich als Freiheitssystem funktioniert, daß Monopole und andere Wettbewerbsverzerrungen möglichst verhindert werden, damit die Medien ihre Publikums-und Marktnähe behalten, — das ist die Voraussetzung für die Entfaltung einer bürgerlichen Medienkompetenz. Sie bedarf eines entsprechenden Ordnungsrahmens, den der Gesetzgeber schafft und überwacht.

Als Elemente der Kultur erfordern die Medien neue Kulturtechniken ihrer Nutzung, und wenn es so etwas wie eine Medienkultur geben soll, dann wird sie im ganzen auch ein Spiegelbild unseres „savoir vivre“ sein. Ich muß allerdings den Mut, daß ich den Bürgern die Wahlfreiheit zutraue, immer schon voraussetzen, und nur so läßt sich ein bejahend-kreativer Umgang mit den Medienangeboten einüben. Das Thema lautet: Vernunft der Freiheit. Moral der Freiheit. Das mag für jemanden, der alles lieber auf dem Gesetzeswege geregelt sähe, zu idealistisch klingen. Ich meine, wir müssen das Vertrauen, daß die Menschen in der Lage sind, für sich selbst zu entscheiden, immer schon voraussetzen, sonst „geht“ eigentlich nichts in der Demokratie und wäre alle politische Bildung auf eine staatsbürgerliche Urteils-und Freiheitsfähigkeit hin vergebens.

Die Medienpädagogik ist lange als Bewahr-Pädagogik gesehen worden, die von negativen Befunden ausging. Bis heute hat sie ihre Identität nicht gefunden, und „dies zeigt sich darin, daß sie sich der Einsicht noch verschließt, daß sie bei ihrer Arbeit auf ethische Maßstäbe angewiesen ist“. Das Zitat stammt aus einem neueren Text der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, deren Name schon Programm ist: „Ethik der Medien ist ein regulatives Prinzip medienpädagogischer Arbeit.“ Keine Pädagogik kann ohne den ethischen Gedanken auskommen.

Die Herausbildung der Medienkompetenz in der demokratischen Gesellschaft darf man sich allerdings nicht als einen schulmäßigen Prozeß vorstellen. Das „Pädagogische“ in der Begriffsbildung ist irreführend. Gewiß muß ich mich kundig machen und etwas von den Dingen verstehen, die auf mich einwirken. Ich muß und kann Techniken erlernen. Aber die Herausforderungen, die zu bestehen sind, haben eine weitergehende Qualität von Kompetenz zur Voraussetzung. Aus mehr Information entsteht nicht automatisch schon mehr Steuerungs-und Freiheitsfähigkeit. Hartmut von Hentig schreibt: „Je weiter das , electronic age", die , TV-culture", die Informatisierung der Gesellschaft fortschreiten, umso mehr ist Philosophie gefordert.“ Der Erwerb von Standhaftigkeit und Charakter in den kommunikativen Beziehungen ist gefordert. Dazu gehört eine bestimmte „Prudentia“ im Umgang mit den Medien, sich des eigenen Verstandes zu bedienen in einer Lebensphilosophie und Haltung, die sich als „Medienkompetenz“ aktualisiert. 8. Am Anfang die Figur des Sokrates Verantwortung und Kritik Die Fräge ist sehr berechtigt, ob in vielen Fällen des Medienalltags überhaupt von einer freien und verantwortlichen Entscheidungslage gesprochen werden kann. Die Systeme verlangen ein hohes Maß an Konformität. So scheint das Verantwortungskonzept sich schon teilweise selbst zu liquidieren. Vor noch kaum einem Jahrzehnt hatte es den Anschein, daß alle Wiederbelebungsversuche an den Begriff „Verantwortung“ zum Scheitern verurteilt seien. Die Erkenntnis, daß die Freiheit der Forschung nicht grenzenlos sein kann, aber auch die Hoffnung, „daß wir uns freiwillig Schranken der Verantwortung auferlegen und unserer so groß gewordenen Macht nicht erlauben, zuletzt uns selbst, oder die nach uns kommen, zu überwältigen“ — solche Denk-und Argumentationsfiguren haben dem Verantwortungsbegriff fast über Nacht zur Karriere verholfen. Völlig unproblematisch ist er gleichwohl nicht, und auf die Herausforderungen von Gegenwartsproblemen lediglich moralisierend zu reagieren, macht das Verantwortungspostulat nicht glaubwürdiger. Die Gefahr der Überdehnung ist nicht zu leugnen

Im neuzeitlichen und säkularisierten Kontext erscheint alle Verantwortung im Grunde als Selbstverantwortung. Trotzdem hat der Begriff, der noch immer seine Kraft aus dem Ethos des europäisch-christlichen Menschenbildes zieht, seinen dialogischen und normativen Charakter nicht gänzlich eingebüßt. Die Moral der Verantwortung ist bis heute der klassische Argumentationsgrund für das journalistische Ethos. Moral, so läßt sich allgemein definieren, stellt den für die Daseinsweise der Menschen konstitutiven und normativen Grundrahmen des Verhaltens vor allem zu den Mitmenschen, aber auch zur Natur und zu sich selbst dar Die Verantwortungsmoral des journalistischen Berufsstandes läßt sich unter dem Begriff „Vermittlung“ zusammenfassen. Ihr erster Zweck sei die Information der Zeitgenossen über das, was in der Welt vorgeht. So heißt es in einem Medienrechtshandbuch zum Stichwort „Verantwortung des Journalisten“. Dazu komme als zweiter nicht minder wichtiger Zweck die möglichst zuverlässige Besorgung des wechselseitigen Austauschs von Ideen, Meinungen, Interessen und Zielvorstellungen, um sie in das „Zeitgespräch der Gesellschaft“ einzubringen Die Pressegesetze der Länder sprechen hier von einer öffentlichen Aufgabe.

An Dokumenten über Moral und Verantwortung des Journalisten fehlt es nicht. In wesentlichen Punkten (wahre Information, Sorgfaltspflicht, Gegendarstellungsrecht, Schutz der Privatsphäre, Bestechungsverbot, Berufsgeheimnis u. a.) stimmen sie überein. Wenn Peter Sloterdijk in seiner „Kritik der zynischen Vernunft“ die Medien in einem Kapitel abhandelt, das die Überschrift trägt: „Schule der Beliebigkeit — Informationszynismus, Presse“ dann bewegt sich eine solche Klassifizierung, strenggenommen, außerhalb des Konsenses und normativen Grundrahmens, der für jeden Journalismus, sofern er diesen Namen verdient, konstitutiv ist. Das heißt, wir kommen nicht umhin, den Journalismus moralisch zu definieren, sonst fehlen die konstitutiven Merkmale. Zwar ist die Freiheit auch als Pressefreiheit unteilbar, und vor allem die staatlichen Gewalten sollten nicht der Versuchung erliegen, die schwarzen Schafe im Journalismus von den weißen trennen zu wollen, aber Unterscheidungsmerkmale gibt es.

Kritik (Selbstkritik) ist hier nichts anderes als Moral. Journalisten sind Moralisten im wohlverstandenen Sinn, und solange ihnen das starke Gefühl für Moraldefizite nicht den Verstand zur Erkenntnis ihrer Wissensdefizite raubt, können Moralisten auch gute Journalisten sein. Am Anfang aller Ethik steht gewissermaßen immer die Figur des Sokrates. Wir müssen uns kundig machen, bevor wir urteilen. 9. Beispielhafter Journalismus Praxis und Spielregeln In jedem Handwerk gibt es Erfahrungswerte und Erfahrungsprinzipien. Keiner fängt beim Nullpunkt an, und ein Volontär, der das versuchte, würde es bald zu spüren bekommen, in welche Fehler und Irrtumsfallen er hineinstolpem kann. „Learning by doing“ ist die altehrwürdige Maxime, die dem Jungredakteur nahegelegt wird. So fehlt es nicht an Kriterien des Richtigen, des Guten oder Falschen im Journalismus, für eine „quality-press", wie es im englischsprachigen Raum heißt. Die Spielregeln brauchen weder erfunden noch konstruiert zu werden. Sie sind vorhanden und werden als gelebte Moral von geschriebener und ungeschriebener Gesetzlichkeit im Alltagsgeschäft des Journalismus praktiziert — dies oft in beispielhafter und hervorragender Form. Den beispielhaften Journalismus gibt es; es macht nachdenklich, daß diese simple Tatsache betont werden muß. Das Thema lautet hier: Vernunft der Praxis. Das Modell ist ein vernunftbestimmter Journalismus, der sich aus der lebensweltlichen Moral und Praxis legitimiert. Wenn wir „Journalismus" sagen und meinen, ziehen viele Geschichten und Fälle am geistigen Auge vorbei, die wahrheitsfähig sind und sich zu einer praktischen Philosophie des Journalismus verdichten.

Im journalistischen Handeln gibt es eine personale Verantwortungszuweisung. Daneben gibt es auch eine sachgebundene Verantwortungszuweisung, die in ihrer Plausibilität von den Sachaussagen her einsichtig gemacht werden kann. Das heißt, die Sollensvorstellungen sind nicht freischwebend, sondern in der Sache begründet, sie sind pragmatisch. Die Ethik steckt gewissermaßen in der Sache, die Journalismus heißt, und dort ist sie herauszuholen. Die Richtigkeit steckt in der Moral, die sich im handwerklichen Können, im Recherchieren-und Schreiben-Können, im klugen und kompetenten Umgang mit den Mitteln und Möglichkeiten vielfach bewährt hat, wodurch sich die Praxis als „gut“ erweist.

Diese Kompetenz in der journalistischen Könnerschaft ist die elementare Bedingung für ein gelungenes Werk und durch keine moralische Absichtserklärung zu ersetzen. Die Sach-und Fachkompetenz einerseits, die moralische Kompetenz andererseits durchdringen sich und sind füreinander bedingend. Die Sachgebundenheit tritt als eine Art „geronnene“ Moral ins Blickfeld. In einem sachgebundenen Modell der Verantwortungszuweisung sind es die Sachen, die einen Anspruch auf unser Handeln erheben. Dabei lassen sich abschließende Antworten, die ein für allemal gültig sind, nicht einfach überstülpen. Die Fragen des ethischen Dilemmas sind offene Fragen und keine Glaubensfragen; sie sind von Fall zu Fall argumentativ und immer aufs neue zu begründen

In Veldhoven war im April 1988 eine internationale Rednerrunde für eine Bestandsaufnahme des Fachs Kommunikationswissenschaft versammelt. Die Fachzeitschrift „Media Perspektiven“ berichtete darüber und faßte die Ergebnisse dahingehend zusammen, daß die eigentliche Frage, die der Kongreß gestellt habe, unbeantwortet geblieben sei. Diese Frage lautete: „Was wissen wir darüber, was Leben in dieser Medienumwelt bedeutet?“ In dem Bericht der Zeitschrift wird der Widerspruch als unaufgelöst bezeichnet, wie nämlich zwischen dem Berg an Forschungsergebnissen, der von der Kommunikationsforschung in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht worden sei, und der „Maus an Erkenntnissen“ im Hinblick auf ein relevantes Lebenswissen ein Brückenschlag erfolgen könne

Die Moralphilosophie und wohl auch die Wissenschaft und die Praxis vom Journalismus haben da noch einiges vor sich, um Peter von Zahn aus seinem Berliner Vortrag nochmals abschließend anzuführen. Dieser Praktiker wollte, wie gesagt, auch die Fröhlichkeit, den Witz und die Großherzigkeit zu den journalistischen Tugenden gerechnet wissen Wer Menschlichkeit, wer Fröhlichkeit verbreitet und großherzig ist, verdient unser Vertrauen. Die Medien auf dem Prüfstand ihrer Glaubwürdigkeit, ihrer journalistischen und moralischen Kompetenz: Das ist die Vertrauensfrage, ein tägliches Plebiszit. Die beste Liebeserklärung an den Journalismus, und ohne sie kann nichts „gut“ werden, das ist die Verbeugung vor dem Publikum.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Elisabeth Noelle-Neumann/Winfried Schulz (Hrsg.), Fischer-Lexikon Publizistik, Frankfurt 1971, S. 9.

  2. Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt 1979, S. 7.

  3. Jürgen Wilke. Journalistische Berufsethik in der Journalistenausbildung, Referat bei der 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik-und Kommunikationswissenschaft, 8. — 10. 5. 1987 in Eichstätt, unveröffentlichtes Manuskript.

  4. Ebenda.

  5. Vgl. Hermann Boventer, „Media Ethics“ in den Vereinigten Staaten, in: Publizistik, (1983) 1. S. 19— 39.

  6. Peter von Zahn. Warum wir eine Ethik für Journalisten brauchen. Zum Ethik-Bedarf des Journalisten in einer hochindustrialisierten Gesellschaft, Vorlesung an der FU-Berlin, 20. 10. 1987. unveröffentlichtes Manuskript. .

  7. Über einen gesicherten oder gar allseits anerkannten Wissensstand zur journalistischen Ethik und Philosophie verfügen wir nicht, und das liegt auch daran, daß die Entwicklungen neueren Datums sind. Die weitreichende Bedeutung der Medien dringt erst langsam ins Zeitbewußtsein ein. Der Verfasser hat mit dem Versuch einer „Ethik des Journalismus“ (Konstanz 1984) aus philosophischer und kommunikationswissenschaftlicher Sicht nach Wegen der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis gefragt. Interdisziplinäre Vorarbeiten dazu aus philosophisch-ethischer Sicht waren nicht vorhanden.

  8. Ferdinand Simoneit. Indiskretion Ehrensache. Ein Buch für alle, die Journalisten werden, und für alle, die Journalisten verstehen wollen. München 1985, S. 54.

  9. Der Spiegel. Titelblatt vom 14. 9. 1987.

  10. Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, vom 9. 11. 1987.

  11. Ebd., 26. 10. 1987. Peter Stoler. Korrespondent des Time-Magazine. veröffentlichte ein Buch „The War Against the Press“ (New York 1986). Kriegsstimmung gegen die Medien hat sich in Amerika schon früher artikuliert als hierzulande. Die Medienlandschaft werde von einer Kaltfront überzogen, meint Stoler. „Die Amerikaner“, schreibt er, „wollen jetzt die Medien wegen ihrer Macht und ihrer unheimlichen Einflußnahme auf das Leben des einzelnen bestrafen.“ Der öffentliche Groll, die Vertrauenskrise zwischen Publikum und Medien — ob berechtigt oder nicht — nehmen zu. Ein „Krieg“ kann nur zum Schaden beider stattfin

  12. Karl Holzamer, Mut zum Abschalten, Interview in „kontraste“. Illustrierte für junge Erwachsene, Nr. 9/1963, S. 32.

  13. Vgl. Klaus Berg/Marie-Luise Kiefer (Hrsg.), Massen-kommunikation III. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964— 1985, Frankfurt 1987, S. 164f. Zwar haben die Glaubwürdigkeitswerte seit 1970 im Meinungsbild der Bundesbürger einen Erosionsprozeß erfahren und die Distanzierungsfähigkeit hat zugenommen. Trotz dieser Image-Verluste bleibt das Fernsehen (61 Prozent) gegenüber der relativen Glaubwürdigkeit der Berichterstattung in Hörfunk (16 Prozent) und Tageszeitung (20 Prozent) noch immer für die Befragten das mit großem Abstand glaubwürdigste Medium (Werte 1985).

  14. Siegfried Weischenberg, Die Glaubwürdigkeitslücke des Fernsehjournalismus. Anmerkungen zum Zusammenhang zwischen der Politikmüdigkeit der Bevölkerung und der aktuellen politischen Berichterstattung, in: Media Perspektiven, (1987) 11. S. 711.

  15. Ebd. S. 716.

  16. Vgl. Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, Frankfurt 1985, S. 26ff. Das Kapitel „Medien als Epistemologie“ zählt zum besten Teil in der manchmal überzogenen Kritik der Fernsehkultur.

  17. Die Lehren vom Guten und Schönen gehen seit altersher ein Bedingungsverhältnis ein. Was bedeutet das für eine ethische und ästhetische Kunstlehre des Fernsehens? Vgl. dazu Alphons Silbermann (Hrsg.), Die Rolle der elektronischen Medien in der Entwicklung der Künste, Frankfurt 1987.

  18. Zu den Schwierigkeiten des berufskulturellen Selbstverständnisses von Journalisten in der Berufsethik und Professionalisierungs-Debatte vgl. Hermann Boventer, Ethik des Journalismus. Zur Philosophie der Medienkultur, Konstanz 19852, S. 129f.. 246. 273. 361 f. und 422f.

  19. Manfred Rühl. Journalismus und Gesellschaft. Bestandsaufnahme und Theorieentwurf, Mainz 1980, S. 395.

  20. Siegfried Weischenberg, Fragen der Moral, in: journalist, (1987) 12, S. 30.

  21. Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1970.

  22. Walter Lippmann. Public Opinion, New York 1922.

  23. Elisabeth Noelle-Neumann, Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung — unsere soziale Haut, München 1980, S. 206 ff.

  24. Wolfgang Preikschat, Video. Die Poesie der Neuen Medien. Weinheim 1987, S. 14.

  25. Die Schriftkultur wird von Postman mit Kultur und Moral weithin gleichgesetzt. Die künstlerische Phantasie belehrt uns eines anderen. Postman verfehlt den diskursiven Wert des Bildes und der Bildsprache. „Die Suggestion der Wirklichkeitstreue, der wir bis heute erliegen, ist gleichbedeutend mit der Einengung des Spekulativ-Poetischen auf das Logisch-Rationale und Zweckmäßige mythischer Symbole und allegorischer Handlungen“ (Wolfgang Preikschat [Anm. 24], S. 31).

  26. Neil Postman (Anm. 16), S. 37.

  27. Kurt Becker, Situationsanalyse des Journalismus in der Bundesrepublik, in: 15 Jahre Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses, München 1985, S. T 2.

  28. Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834), in: Werke, hrsg. von Peter Beyer u. a., 3. Teil, Leipzig o. J., S. 123. Über Sprache als Medium, über die Redlichkeit der journalistischen Texte, über das Wort und die Sache sowie über die Hermeneutik des Verstehens und der Sprachspiele vgl. Ethik des Journalismus (Anm. 18), S. 96ff.

  29. Erich Straßner, Fernsehnachrichten. Eine Produktions-, Produkt-und Rezeptionsanalyse. Tübingen 1982. S. 50.

  30. Pastoralinstruktion Communio et Progressio über die Instrumente der sozialen Kommunikation, Trier 1980, S. 11.

  31. Martin Buber, Das dialogische Prinzip, Heidelberg 19794, S. 290.

  32. Ludwig Wittgenstein, Schriften 3, Frankfurt 1967, S. 69. In seinem Tagebuch notiert er, „daß man all dem Geschwätz über Ethik — ob es eine Erkenntnis gebe, ob es Werte gebe, ob sich das Gute definieren lasse etc. — ein Ende macht“.

  33. Manfred Rühl/Ulrich Saxer, 25 Jahre Deutscher Presserat. Ein Anlaß für Überlegungen zu einer kommunikationswissenschaftlich fundierten Ethik des Journalismus und der Massenkommunikation, in: Publizistik, (1981) 4. Vgl. dazu: Hermann Boventer, Ethik und System im Journalismus. Der Steuerungsbedarf moderner Mediensysteme. Kritische Anmerkungen zu einem Aufsatz von Manfred Rühl und Ulrich Saxer, in: Publizistik, (1984) 1— 2, S. 34— 48.

  34. Vgl. Werner Rings. Die 5. Wand. Das Fernsehen. Düsseldorf 1962. S. 95.

  35. So fragt Otto B. Roegele in seinem Bändchen „Neugier als Laster und Tugend“, Zürich 1982. S. 42f.: „Kann die Demokratie das Fernsehen überleben?“

  36. Vgl. Heinrich Oberreuter. Übermacht der Medien. Erstickt die demokratische Kommunikation?. Zürich 1982, S. 35 f.

  37. Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Faltblatt „Programme zur politischen Bildung im Bayerischen Fernsehen“, vom 31. 1. 1988.

  38. Rudolf Augstein, Öffentlichkeit als „vierte Gewalt“, in: Bernd Jürgen Martini (Hrsg.). Journalisten-Jahrbuch ‘ 88, Hamburg 1987. S. 48.

  39. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet im Niedersachsen-Urteil vom 4. 11. 1986 die „unerläßliche Grundversorgung“ als Sache der öffentlich-rechtlichen Rundfunk-anstalten.

  40. Vgl. Ferdinand Simoneit (Anm. 8), S. 47.

  41. Wolfgang Wunden, Konzept zur Medienpädagogik, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur in der Bundesrepublik e. V., unveröffentlichter Entwurf, Frankfurt 1988.

  42. Hartmut von Hentig, Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit. Ein Pädagoge ermutigt zum Nachdenken über die Neuen Medien, München 1984, S. 70.

  43. Hans Jonas, Forschung und Verantwortung, Vorträge in Hoechst, Frankfurt 1983, S. 16.

  44. Vgl. Hermann Lübbe, Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft, Berlin 1987.

  45. Vgl. Artikel „Moral“, in: Otfried Höffe (Hrsg.), Lexikon der Ethik, München 1980, S. 168.

  46. Artikel „Verantwortung des Journalisten“, in: Peter Schiwy/Walter J. Schütz (Hrsg.), Medienrecht. Stichwörter für die Praxis, Neuwied 1977. S. 208.

  47. Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, Band 2, Frankfurt 1983, S. 559.

  48. Vgl. Stephan Ruß-Mohl. Learning by doing? Journalistische Ethik und Journalisten-Ausbildung. Freie Universität Berlin, Ringvorlesung „Journalismus und Ethik“, 19. 1. 1988. Ruß-Mohl stellte in seinem Vortrag Fallbeispiele vor, um daran die ethische Argumentation zu erproben. Diesen „Case-Study-Approach“ praktizieren die Amerikaner vorwiegend in ihren Lehrbüchern zur „Media Ethics“. Vgl. Clifford G. Christians/Kim B. Rotzoll/Mark Fackler, Media Ethics. Cases and Moral Reasoning, New York 1983.

  49. Zum Kapitel „Praxis und Spielregeln“ vgl. die Beiträge einzelner Journalisten, die aus der Praxis „erzählen“ und das moralische Dilemma im Alltagshandeln veranschaulichen: Hermann Boventer (Hrsg.), Medien und Moral. Ungeschriebene Regeln des Journalismus, Konstanz 1988.

  50. Marie-Luise Kiefer, Blick zurück nach vorn. Bestandsaufnahme zur Kommunikationsforschung anläßlich der 10. Sommatie-Tagung vom 13. bis 15. 4. 1988 in Veldhoven, in: Media Perspektiven, (1988) 5, S. 275.

  51. Peter von Zahn (Anm. 6).

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Hermann Boventer, Dr. phil., geb. 1928; zwölf Jahre Tätigkeit als Journalist, bis 1981 Akademiedirektor, heute freier Publizist. Seit 1976 Lehrbeauftragter an der Universität Bonn (Medientheorie). Veröffentlichungen u. a.: Politische Bildung: Ethik, Werte, Tugenden, Trier 1980; Evangelische und Katholische Akademien, Paderborn 1983; Ethik des Journalismus: Zur Philosophie der Medienkultur, Konstanz 1984; Medien und Moral: Ungeschriebene Regeln des Journalismus, Konstanz 1988; Einführung in die Medienethik, Bonn 1988 (im Druck).