Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Weltpolitik der Reagan-Administration | APuZ 44/1988 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 44/1988 Präsidentielles Regierungssystem und bundesstaatliche Ordnung Zur Reorganisation und Politisierung des föderativen Systems in der Reagan Ära Die amerikanische Wirtschaftspolitik unter Ronald Reagan Sozialpolitik unter der Reagan-Administration Die Weltpolitik der Reagan-Administration

Die Weltpolitik der Reagan-Administration

Ernst-Otto Czempiel

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Ära Reagan stellt den Versuch dar, die Weltführungspolitik der USA noch einmal der Führung von Allianzsystemen anzuvertrauen. Reagan (und der Westen) hat damit die seit der Mitte der sechziger Jahre laufende Phase des Ost-West-Konfliktes gewonnen. Die Sowjetunion hat erstmals in die Abrüstung nuklearer und konventioneller Waffen eingewilligt; sie hat sich aus Afghanistan und aus den unter Breschnew eingegangenen weltpolitischen Engagements zurückgezogen. Reagans Sowjetunionpolitik zerfällt klar in die Periode scharfer Konfrontation bis Ende 1983 und in die zunehmender Kooperation seit 1984. die ihren (ersten) Höhepunkt im INF-Vertrag von 1988 fand. Der Wandel erklärt sich aus der Kritik der amerikanischen Gesellschaft an der Konfrontationspolitik Reagans, aber ebenfalls daraus, daß diese Politik für Ronald Reagan auch ein Mittel war, um die Staatsausgaben der USA von der Sozial-auf die Machtpolitik umzulenken. Dieser Versuch war nur bis 1983 erfolgreich, weil der Kongreß danach Widerstand leistete und auch das Rüstungsbudget einfror. So mußte — und konnte — der Dialog mit Moskau wieder beginnen. Reagans Konzentration auf die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion hat seine Außenpolitik übermilitarisiert und eine Vernachlässigung der großen weltpolitischen Konflikte (Nahost. Afrika) heraufgeführt. Sie blieb andererseits als Konfliktlösungsmittel erfolglos, wie Zentralamerika zeigt. Aufgabe des Nachfolgers wird es sein, eine modernere Weltführungspolitik der USA zu konzipieren, die der sich herausbildenden polyarchischen und multipolaren Welt besser entspricht.

Der Aufsatz enthält kondensierte Teilergebnisse meines Forschungsprojektes über die amerikanische Sowjetunionpolitik seit der Mitte der siebziger Jahre. Ich bin der Stiftung Volkswagenwerk für großzügige Unterstützung dankbar. Die das Projekt abschließende Monographie erscheint im Frühjahr 1989 im Verlag C. H. Beck, München.

Am 20. Januar 1989. mittags 12 Uhr, endet die Amtszeit Präsident Ronald Reagans. Er wird dann acht Jahre lang im Weißen Haus regiert haben, die von der amerikanischen Verfassung vorgesehene Höchstdauer. Bisher hat nur ein einziger Präsident der amerikanischen Nachkriegszeit zwei Amtsperioden durchgestanden: Dwight D. Eisenhower. Acht Jahre sind eine lange Zeit, und schon deswegen ist es berechtigt, von der „Ära Reagan“ in den Vereinigten Staaten zu sprechen. Reagan hat die achtziger Jahre aber auch inhaltlich geprägt. Er hat den Vereinigten Staaten seinen Stempel des Konservativismus aufgedrückt; er hat dem Präsidenten-amt.dessen Ansehen durch Richard Nixon zerstört, aber schon durch Gerald Ford, vor allem durch Jimmy Carter wiederhergestellt worden war, eine

Gloriole des Pomp mitgegeben, die ihn zu einem der beliebtesten Präsidenten der Nachkriegszeit gemacht hat. Wenn er auch nicht im strengen Sinne regiert hat — die Einzelheiten der Politik, vor allem die der Außenpolitik interessierten ihn nicht —, so hat er doch geherrscht, hat er in seiner Person und in seinem Auftreten den Anspruch der USA durchscheinen lassen, die erste Führungsmacht der Welt zu sein. Gewiß war der Präsident, den die USA und das Ausland zu sehen bekamen, eine PR-Erscheinung, sorgfältig von Medienberatern in Szene gesetzt. Aber Ronald Reagan ließ sich auch inszenieren. Er besaß alles, was die Amerikaner lieben: persönliche Stärke, Selbstironie und Witz. Die politischen Siege, die Reagan errungen hat, vor allem die Wahlsiege, verdankte er in erster Linie sich selbst.

I

Reagans politische Programme waren bei weitem nicht so unumstritten wie die Person des Präsidenten. Er gehörte dem extrem rechten Flügel der Republikanischen Partei an. muß also als ultra-konservativ bezeichnet werden. In seinem Anti-Kommunismus war er nicht zu übertreffen; sein Sowjetunionbild war in den fünfziger Jahren entstanden und seitdem kaum verändert worden. Dementsprechend registrierte er die Herausforderung der amerikanischen Macht durch die Sowjetunion besonders deutlich. Er sah die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten gefährdet, sah das außenpolitische Hauptziel seiner Administration darin, die amerikanische Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion wiederherzustellen. Er hielt die Entspannungspolitik für prinzipiell falsch, weil sie lediglich der sowjetischen Aufrüstungspolitik nützte. Ein solches Programm ließ sich weder in den USA noch in der Welt durchsetzen. Es spricht für die Flexibilität des Politikers Reagan, daß er dies alsbald eingesehen.seine Politik zunächst angepaßt und schließlich um 180 Grad gedreht hat. Aus dem Saulus der Entspannungskritik wurde der Paulus des ersten Abrüstungsvertrages der Weltgeschichte.

Der Wandel wurde Reagan dadurch erleichtert, daß sein Hauptinteresse nicht der Weltpolitik, sondern der Innen-und Sozialpolitik der USA galt. Ronald Reagan war von seiner politischen Laufbahn her auf die Innenpolitik ausgerichtet. Hier hatte er seine Interessen, hier verfügte er über hervorragende und ausgedehnte Erfahrungen. Sein Kampf galt dem Sozialstaat, schon der New Deal-Gesetzgebung Roosevelts, vor allem aber den großen sozialpolitischen Reformen unter Kennedy und Johnson. Sie hatten die Sozialversicherung ausgedehnt und das Netz staatlicher Wohlfahrtspolitik erheblich erweitert. Diese Entwicklung der USA zum Sozialstaat europäischer Prägung rückgängig zu machen, war das politische Hauptziel Reagans seit den sechziger Jahren. Ihm hat er seine Präsidentschaft gewidmet, zu seinen Gunsten wohl auch die Außenpolitik, vor allem die Aufrüstungspolitik eingesetzt. Was der Verteidigung zusätzlich gegeben werden mußte, konnte nur der Sozialpolitik genommen werden. Auf diesem Ansatz beruhte Reagans Umverteilungspolitik, ebenso wie Präsident Johnson seinerzeit die Mehraufwendungen für die Sozialpolitik der . Großen Gesellschaft* zumindest teilweise dem Verteidigungshaushalt entnommen hatte. Man kann die These aufstellen, daß Reagans Aufrüstungspolitik weniger der Sowjetunion als vielmehr der Re-Distribution in den USA galt. An ihr jedenfalls hat der Präsident bis zum Ende seiner Amtszeit unverrückbar festgehalten, während er seine ursprüngliche Sowjetunionpolitik in ihr Gegenteil verkehrte. Andererseits lag der Akzent der Reaganschen Weltpolitik eindeutig und fast ausschließlich auf der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion. Sie hatte seit 1945 im Vordergrund der amerikanischen außenpolitischen Aufmerksamkeit gestanden, sich aber erst in verschiedenen Schüben zum Hauptproblem entwickelt. Erst zu Beginn der siebzigerJahre hatte die Sowjetunion aufgrund ihrer Aufrüstungspolitik seit 1965 die strategische Parität mit den Vereinigten Staaten erreicht. 1974 begann sie mit ihrer Intervention in Angola offensichtlich auch die politische Parität zu verlangen. Jedenfalls sahen sich in der Mitte der siebziger Jahre die USA vor eine ganz neue Lage gestellt, deren Entwicklung ihnen während ihrer Beschäftigung mit dem Vietnam-Krieg offenbar entgangen war. Die Sowjetunion war zur Weltführungsmacht Nummer Zwei geworden, war vielleicht sogar auf dem Wege, die Vereinigten Staaten zu überrunden. Die USA mußten ihre Strategie erneut überdenken. Deren zweiter Entwurf Weltführung durch Führung von Allianzsystemen war im Vietnam-Krieg zusammengebrochen und von der Nixon-Doktrin ersetzt worden, die den Leistungsaufwand mehr den Verbündeten zuschob und die amerikanische Führung in der Steuerung des weltpolitischen Dreiecks Washington — Peking — Moskau installierte. Henry Kissingers Erwartung, die Sowjetunion auf diese Weise zu weltpolitischem Wohlverhalten anhalten zu können, zerbrach in Angola 1974, vor allem im Horn von Afrika 1978. Die konservative Kritik an der Entspannungspolitik, auch an der von Jimmy Carter versuchten Kombination von Rüstungskontrolle und offensiver Menschenrechtspolitik, wurde Mitte der siebziger Jahre zu einer kräftigen gesellschaftlichen Bewegung ausgebaut. Sie warnte vor den Zielen der Sowjetunion, die, hinter dem Schleier der Entspannungspolitik, die USA militärisch zu überholen versuche. Sie warnte auch vor dem weltpolitischen Expansionismus der Sowjetunion unter Breschnew. Diese Kritik zwang den USA eine erneute Diskussion über die gegenüber Moskau einzuschlagende Strategie auf und erzeugte dabei ein innenpolitisches Klima, das die Reagan-Koalition langsam vorbereitete.

Ronald Reagan hatte, wie erwähnt, kein außenpolitisches Konzept. Das „Buschfeuer“, das er schon seit 1964 ständig anfachte, galt dem Erzfeind des amerikanischen Konservativismus: der Bundesregierung in Washington. Sie schränkte in der konservativen Sicht die Freiheit und den Lebensspielraum der Amerikaner ein, sie war das politische Hauptproblem der USA, nicht etwa dessen Lösung. Mit der Kritik am „Big Government“ in Washington schuf Ronald Reagan die politische Basis seiner Koalition, auf die sich Großbürger und Kleinbürger, Big Business und Small Business einigen konnten. Reagans politische Hauptleistung bestand darin, jenen gesellschaftlichen Populismus zu erzeugen, auf den sich das republikanische Lager von rechts außen bis zur Mitte hin verpflichten ließ. Die außenpolitische Komponente wurde erst später hinzugefügt, vor allem durch das „Committee on the Present Danger“, aber auch durch die „Neo-Konservativen“ Unter dem Druck dieser Bewegung mußte schon Jimmy Carter nachgeben, mußte die Sozialpolitik kürzen und die Rüstung aufstocken. Er hätte ihm in den Wahlen von 1980 vielleicht immer noch erfolgreich standhalten können, wenn nicht der Ajatollah Chomeini 1979 zweiundfünfzig amerikanische Diplomaten als Geiseln genommen und mehr als ein Jahr festgehalten hätte, wenn vor allem Breschnew im Dezember des gleichen Jahres nicht in Afghanistan einmarschiert wäre. Ronald Reagan hatte eben nicht nur eine Koalition, er hatte auch „fortune“. Mit beiden gewann er die Präsidentschaftswahlen vom Herbst 1980.

II.

Das Glück hat ihn nicht verlassen. Er galt als der „Teflon-Präsident“, an dem nichts hängenblieb. Zum Ausgang seiner Amtszeit verhalf ihm der sowjetische Parteichef Gorbatschow mit dem Rückzug aus Afghanistan erneut zu einem politischen Trumpf. Aber Ronald Reagan hielt auch an seinem Programm fest. Er wollte wiederherstellen, was in seiner Erinnerung die USA in den fünfziger Jahren gekennzeichnet hatte: Macht nach außen, Reichtum nach innen. Das eine sollte durch die riesige Steigerung der Rüstung, das andere durch „Reaganomics“ erreicht werden, die angebotsorientierte Wirtschaft mit dem Kern in einer substantiellen Senkung der Einkommensteuer. Reagan versprach sich davon die Beseitigung von Arbeitslosigkeit und Inflation, die Eingliederung der Armen in den Wirtschaftskreislauf, die die Wohlfahrtspolitik, vielleicht sogar die Sozialpolitik überflüssig machen würde.

Ein außenpolitisches Programm war das gerade nicht. Sozialpolitisch hatte Ronald Reagan sehr konkrete Vorstellungen. Er ließ die Sozialversicherungsprogramme intakt, verminderte aber deren Leistungsumfang. Er kürzte die Wohlfahrtspro- gramme, vor allem die Familien-und die Lebensmittelhilfe. Da der Kongreß zumindest in den ersten drei Jahren der Reagan-Administration zustimmte, waren 1986 die Ausgaben des amerikanischen Sozialstaats um 12, 5 Prozent, praktisch auf den Stand von 1964 zurückgefallen

Die Politik gegenüber der Sowjetunion reduzierte sich zunächst auf eine konfrontative Rhetorik und auf eine massive Erhöhung des Rüstungsetats, die zunächst ebenso unbegründet wie ungezielt blieb. Getragen von der politischen Krisenstimmung der beginnenden achtziger Jahre gab auch hier der Kongreß zunächst nach, steigerte in den drei Jahren von 1981 bis 1983 das Rüstungsbudget um 43 Prozent. Insbesondere die investiven Ausgaben für Produktion, Forschung und Entwicklung von Waffen wurden berücksichtigt, teilweise verdoppelt. Bis heute ist freilich unklar geblieben, ob dieses riesige Aufrüstungsprogramm Präsident Reagans erforderlich war und in welcher Weise die amerikanische Verteidigungsfähigkeit davon profitiert hat In der Praxis hat die Reagan-Administration nämlich nur dasjenige Rüstungsprogramm ausgeführt, das schon Carter geplant, aber finanziell nicht so großzügig ausgestattet hatte. Eine Ausnahme bildete lediglich der B 1-Bomber, den Präsident Carter gestrichen hatte, weil er ihn für überholt hielt. Als wirkliche Neuheit wird man nur die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) bezeichnen können, die Präsident Reagan im März 1983 verkündete. Sie wurde aber erst seit 1985 im Haushalt veranschlagt und kann deswegen schwerlich für den 1, 5 Trillionen US-Dollar-Verteidigungshaushalt verantwortlich gemacht werden, den Reagan bis dahin ausgegeben hat.

Selbst die 600 Schiff-Marine, Reagans Lieblings-projekt, erweist sich jenseits der beiden zusätzlichen Flugzeugträgerkampfgruppen, die Reagan geordert hat, mehr als Umrüstung, denn als Aufrüstungsprogramm. Lediglich der Luft-und der See-transport sowie die Vornestationierung von Kriegs-material haben von dem Reaganschen Aufrüstungsprogramm profitiert. Sie dienen sicherlich auch der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, in erster Linie aber der amerikanischen „power projection“ in der Dritten Welt.

Ein solches Resultat darf insofern nicht verwundern, als es an der strategischen Rüstung der USA kaum etwas zu verbessern gab. Keiner der Vorgänger Reagans hatte an dieser Rüstung etwas fehlen lassen, zu keinem Zeitpunkt war eine strategische Überlegenheit der Sowjetunion auch nur perspektivisch in Sicht. Die für die Sicherheit der USA in erster Linie verantwortlichen Vereinigten General-stabschefs erklärten 1982, daß zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion strategisch ein wirkliches Gleichgewicht (essential equivalence) und auf allen anderen Gebieten eine ejndeutige Überlegenheit der Vereinigten Staaten gegeben war Das berühmt gewordene „Fenster der Verwundbarkeit“, mit dem die Reagan-Koalition ihren Wahlkampf geführt und Reagan seine zusätzlichen Rüstungsgelder gefordert hatte, hatte (wie seinerzeit die , Raketenlücke 1 bei John F. Kennedy) in dieser Form nie bestanden. Bestanden hatte auf Seiten der Reagan-Koalition der politisch begründete Wunsch, mehr Geld für die Rüstung auszügeben. 1976 hatte sie der Carter-Administration das soge-nannte Team B‘ aufs Auge gedrückt, das die Analysen, die die CIA über die sowjetische Aufrüstung angefertigt hatte, nach oben korrigieren sollte. Die Sowjetunion gab ein Mehrfaches des amerikanischen Rüstungsbudgets für ihre Aufrüstung aus, weil sie Mitte der sechziger Jahre von einem sehr viel niedrigeren Niveau aus gestartet war und ihre Rüstungszyklen anders verliefen als die der bereits hochgerüsteten USA. 1983 mußte die CIA öffentlich einräumen, daß der sowjetische Verteidigungshaushalt keineswegs jährlich um 3 bis 5 Prozent, sondern lediglich um 2 Prozent gesteigert worden und der Aufwand für die Waffenbeschaffungsprogramme in den sieben Jahren seit 1976 konstant gehalten worden war War es also evident, daß die Sowjetunion aufgerüstet und die Vereinigten Staaten auf dem strategischen Gebiet eingeholt hatte, so war es ebenso evident, daß sie nicht im Begriff war, die USA zu überholen. 1985 fror der Kongreß das Rüstungsbudget ein, wenn auch auf bereits sehr hohem Niveau.

Da Reagans fiskalpolitische Strategie, die aus der Verbindung von Einkommensteuersenkungen und Rüstungsausgabensteigerungen sich notwendig ergebenden Fehlbeträge aus dem Sozialetat zu dekken, am Widerstand der Legislative scheiterte, begann das Haushaltsdefizit der USA beträchtlich zu steigen. Hatte es 1979 noch 40, 2 Mrd. US-Dollar ausgemacht, so verfünffachte es sich unter den Händen Ronald Reagans bis 1983 auf 208 Mrd. US-Dollar. Diesen, in seiner Höhe unerhörten Verstoß gegen die fiskalpolitischen Grundsätze des Republikanismus verdeckte die erste Reagan-Administration durch eine pointiert konfrontative, teilweise sogar donnernde Polemik gegen die Sowjetunion. Der Präsident stellte sie als das „Reich des Bösen“ hin, das „lügt, betrügt und zu jedem Verbrechenfähig“ ist. Was Jimmy Carter nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan an amerikanisch-sowjetischen Verbindungen noch stehengeiassen hatte, wurde von Reagan gekappt. Von 1981 bis 1983, in der Zeit von „Reagans Regime“, versanken die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen in einer neuen Eiszeit. Die Reagan-Administration erklärte die Entspannung offiziell für tot, den SALT II-Vertrag für schädlich und die Rüstungskontrolle für entbehrlich.

Die von der Reagan-Administration dieser Periode bevorzugte konfrontative Rhetorik bereitete in Amerika wie in Westeuropa zunehmend Sorgen. Die amerikanischen Mittelstreckenraketen, deren Stationierung im Herbst 1983 begann, veränderten ihre Bedeutung. Sie galten vielen nicht mehr nur als Siegel des amerikanischen Schutzes, sondern auch schon als Vorposten einer möglicherweise offensiven Strategie der Reagan-Administration gegen die Sowjetunion. In die gleiche Richtung deutete die in den ersten Jahren offiziell vertretene Strategie der . horizontalen Eskalation*. Sie implizierte, daß die USA im Konfliktfall den Krieg globalisieren, also vielleicht auch in Europa führen wollten, selbst wenn er dort nicht begonnen hatte. Die Sorgen nahmen zu, nachdem Präsident Reagan im März 1983 die Strategische Verteidigungsinitiative verkündet hatte: Würde sie nicht, zumindest in der Übergangszeit, den USA eine Erstschlagskapazität gegen die Sowjetunion verleihen? Würde sie nicht, zweitens, erneut zu einer Abkopplung der USA von Westeuropa, zu Zonen unterschiedlicher Sicherheit in der Allianz führen? Gewiß, diese Sorgen bezogen sich vor allem auf Vorgänge, die auf der deklaratorischen Ebene der Politik, nicht auf der operativen angesiedelt waren. SDI aber gehörte zweifellos auf jene operative Ebene, ebenso wie die FOFA-Strategie und das Kampfhandbuch für die Armee . Airland Battle 2000*. Wenn sich auch Präsident Reagan in der Praxis seiner Politik sehr zurückhaltend verhielt, so wich seine Administration doch fundamental von der mittleren Position ab, die von Eisenhower bis Carter die amerikanische Weltpolitik bestimmt hatte.

Den außereuropäischen Problemen versuchte die erste Reagan-Administration mit Hilfe eines . Strategischen Konzeptes* beizukommen. Außenminister Haig glaubte, daß Araber und Israelis. Palästinenser und Perser ihre Konflikte vergessen, jedenfalls vernachlässigen würden zugunsten des gemeinsamen Kampfes gegen die Sowjetunion. Diese Hoffnung trog mehrfach. Israel nutzte das ihm erstmals angebotene Militärabkommen zum Einmarsch in den Libanon, woraufhin Washington enttäuscht dieses Abkommen wieder suspendierte. Die zur UN-Botschafterin ernannte Neo-Konservative Jeane Kirkpatrick distanzierte die Reagan-Administration von der durch Carter erneut belebten, eigentlich traditionellen amerikanischen Menschenrechtspolitik. Sie erklärte den Kommunismus und den Terrorismus zu den eigentlichen Gegnern der USA und ließ dadurch ein günstigeres Licht auf rechtsautoritäre Diktaturen fallen Das half zwar den Contras in Nicaragua, die von der CIA ins Leben gerufen worden waren und viele Somoza-Anhänger aufwiesen, es überzeugte aber nicht einmal den amerikanischen Kongreß. Nur zweimal, 1984 und 1987, hat er dem Präsidenten Militärhilfe für die Contras bewilligt.

Allerdings hatte das „Strategische Konzept* keine weiterreichenden Folgen. Auch hier schlug die Rhetorik nicht auf die Politik durch. Gewiß, Reagan kehrte zu einer kräftigen Unterstützung Südafrikas zurück. Er schlug aber gegenüber dem philippinischen Diktator Marcos und gegenüber Südkorea durchaus kritische Töne an, trug später auch zur Entfernung von Marcos aus Manila und von Duvallier aus Haiti bei.

Ein politisches Konzept, eine auch nur einigermaßen durchgearbeitete Strategie gegenüber den Problemen der außereuropäischen Welt lag dem nicht zugrunde. Sie fehlte sogar gegenüber der Sowjetunion. In den ersten drei Jahren von . Reagans Regime* gab es nur einen einzigen Versuch, der Aufrüstung und der konfrontativen Isolierung der Sowjetunion einen konzeptuellen Rahmen zu verleihen. Am 15. Juni 1983 gründete der neue Außenminister Shultz vor dem Kongreß die Sowjetunion-politik der Reagan-Administration auf die Annahme, daß „die Sowjetunion von unseren Maßnahmen, die ihr die mit einer Aggression verbundenen Risiken verdeutlichen, eher abgeschreckt wird, als durch ein zerbrechliches Netz der Interdependenz“ Das war die Absage an Kontakte und Kooperation, an Rüstungskontrollvereinbarungen und politische Abkommen jeder Art. Bilaterale Verabredungen, die bisherigen Versuche der Verständigung und der Zusammenarbeit sollten, da sie offensichtlich in Afghanistan gescheitert waren, ersetzt werden durch die unmißverständliche Sprache der amerikanischen Macht.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß Shultz das außenpolitische Kalkül des harten Kerns der Reagan-Administration exakt wiedergab. Shultz selbst gehörte nicht dazu. Wie das Außenministerium insgesamt, zählte er zusammen mit den Vereinigten Stabschefs zu den Gemäßigten in der Administration. Die Falken waren in der zivilen Leitung des Pentagon zu finden, angeführt von Verteidigungsminister Weinberger und seinem Staatssekretär Perle, aber auch in der Rüstungskontroll-und Abrüstungsbehörde(ACDA), die Ronald Reagan bei seinem Amtsantritt von jedem Rüstungskontrollanhänger gesäubert und mit Anhängern strikter Aufrüstungspolitik besetzt hatte. Diese Gruppe hatte großen Einfluß auf die konzeptionelle Diskussion der ersten Reagan-Jahre, vor allem im Bereich der Rüstungskontrollpolitik. Jenseits dessen gestaltete Reagan seine Weltpolitik eher vorsichtig. Er zog die amerikanische Armada vor Beirut zurück, statt nach dem Massaker an amerikanischen Soldaten militärisch gegen Syrien, den Klienten der Sowjetunion, vorzugehen. Rhetorisch brachte Reagan die Sowjetunion mit jeder politischen Gewaltaktion, sogar mit dem internationalen Terrorismus in Verbindung, wie er anläßlich der Eroberung von Grenada offen proklamierte. Seine Praxis aber unterschied sehr deutlich zwischen Kommunismus und Terrorismus, bombardierte zwar Libyen, informierte aber rechtzeitig die Sowjetunion darüber, so daß sie ihre Schiffe aus den gefährdeten Häfen zurückziehen konnte.

Als Außenminister Shultz im Juni 1983 die außen-politische Devise der ersten drei Reagan-Jahre formulierte, war die Zeit ihres Regimes praktisch schon vorüber. Das Außenministerium hatte im Sommer 1983 den Kontakt zur Sowjetunion wieder hergestellt, hatte Moskau über die Einrichtung neuer Konsulate in den beiden Staaten sondiert. Die Wiederannäherung wurde durch den Abschuß der koreanischen Verkehrsmaschine durch einen sowjetischen Jäger zwar nochmals verzögert, aber nicht mehr endgültig gestört.

Im Januar 1984 änderte Präsident Reagan seine Sprache, bot der Sowjetunion in einer Femsehansprache erneut Kontakt und Kooperation an. Damit ging das Regime der ersten drei Jahre endgültig zu Ende. Es machte einer Strategie Platz, die zwar noch immer antagonistisch war und nach wie vor auf den Sieg der USA setzte, die aber doch dem Element der Kooperation und der Rüstungskontrolle wenigstens wieder Aufmerksamkeit zu-wandte. Das unilaterale Diktat der Macht, das der Sowjetunion ihren Platz in der Weltpolitik zuweisen wollte, wurde erneut ersetzt durch die Bereitschaft zu Kommunikation und Kooperation. Auch sie beruhten auf der Macht, dem Medium der internationalen Politik. Aber sie beschränkte sich eben nicht mehr auf die gewaltsame sprachlose Geste, sondern stellte sich dem Dialog mit dem Gegner.

Das war eine bedeutende Wende der Reagan-Administration. die sich damit zur traditionellen Mitte der amerikanischen Weltpolitik zurückzutasten begann. Als Außenminister Shultz im Oktober 1984 diese neue Politik umriß, ließ er nicht nur die von ihm ein Jahr zuvor präsentierte Konzeption, sondern sogar die von Nixon und Kissinger weit hinter sich. Beide hatten der Sowjetunion ihr Wohlverhalten in der Dritten Welt durch das Gegengeschäft der Rüstungskontrolle und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sozusagen abkaufen wollen. Die „linkage-Politik" sollte die Sowjetunion zur politischen Selbsteindämmung dadurch veranlassen, daß sie ihr im Verweigerungsfall die politischen und ökonomischen Kompensationen entzog. Als dieser Fall eintrat, 1974 in Angola, 1978 im Hom von Afrika und 1979 schließlich mit der Intervention in Afghanistan, mußte diese Politik die angedrohten Konsequenzen auch ziehen. Carter bestrafte die Sowjetunion mit Sanktionen, mit Weizenboykott und Olympiaverzicht. Das hatte eigentlich ganz auf der harten Linie Reagans gelegen, die er in den ersten drei Jahren auch verfolgte. 1984 ging Außenminister Shultz weit über Nixon und Kissinger hinaus. Er stellte die Sanktionspolitik prinzipiell in Frage, ebenso die „linkage-Politik“, die beide nur amerikanische Interessen schädigten, ohne sowjetisches Verhalten erfolgreich zu beeinflussen. Shultz löste statt dessen die Verknüpfung auf, machte amerikanisch-sowjetische Vereinbarungen unabhängig von möglichem sowjetischen Fehlverhalten. „Sollen wir uns weigern, mit den Sowjets eine Vereinbarung auf einem Gebiet abzuschließen, wenn sie auf einem anderen Gebiet etwas Empörendes unternehmen? Würde uns ein derartiges Vorgehen stärkere Einwirkungen auf das Verhalten Moskaus schaffen?“ Shultz gab sich selbst die Antwort und gab damit gleichzeitig die neue Devise der Reaganschen Sowjetunionpolitik aus: „Wir sollten keine langfristigen Interessen opfern, um unmittelbare Empörung zu äußern.“

Das war eine wirkliche Wende vorwärts, eine Kursänderung der Außenpolitik der Reagan-Administration um 180 Grad. Sie zielte jetzt darauf ab, zwischen den Bereichen der Kooperation — in den Fragen der Rüstungskontrolle und der gefährlichen regionalen Konflikte — und denen der Konfrontation, nämlich in der Konkurrenz um militärische Stärke und um die Dritte Welt, deutlich zu unterscheiden. Shultz intensivierte im Jahre 1984 die Kontakte mit seinem sowjetischen Kollegen Gromyko, der am 28. September 1984 sogar von Präsident Reagan empfangen wurde — zum ersten Mal in vier Jahren. Am 8. Januar 1985 verabredeten beide Außenminister das Rüstungskontrollgespräch in Genf, das im Winter 1983 von den Sowjets abgebrochen worden war, wieder aufzunehmen.

III

Was hatte die Wende vom Januar 1984 in Washington ausgelöst? Die Antwort darauf kann nur in einem Punkt eindeutig und verbindlich sein: Es war nicht Gorbatschow, der zu diesem Zeitpunkt noch mehr als ein Jahr vom Amtsantritt in Moskau entfernt war. Der wichtigste Antrieb kam vielmehr aus der amerikanischen Innenpolitik. Die Präsidentschaftswahlen vom Herbst 1984 warfen ihre Schatten voraus. Reagans Popularität hatte in den Jahren der Rezession, 1982 und 1983, stark gelitten —, seine Aufrüstungspolitik hatte nur in einem Jahr, 1981, Zustimmung gefunden. Seitdem nahm sie kontinuierlich ab, und zwar besonders in den Phasen, in denen der Präsident die Konfrontation mit der Sowjetunion zuspitzte

In den USA hatte Reagans Absage an die Rüstungskontrolle die Freeze-Bewegung hervorgerufen (und in Europa die Friedensbewegung). Im Mai 1983 hatte sich sogar das Repräsentantenhaus in einer Resolution dafür ausgesprochen, die Kernwaffen auf beiden Seiten einzufrieren. Reagans Regime hatte in den USA verbreitet Angst ausgelöst und die Erinnerung an den Wahlkampfvorwurfwieder wachgerufen, daß der Präsident „triggerhappy“ sei. Nicht nur die breite Öffentlichkeit, so fand der Chicago Council on Foreign Relations im März 1983 heraus, sondern gerade die politische Elite drängte auf die Wiederherstellung des Rüstungskontrolldialoges mit der Sowjetunion und auf die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Moskau

Die Alarmlampen im Weißen Haus hatten aber schon früher aufgeleuchtet. Die (Zwischen) Wahlen im Herbst 1982 hatten die konservative Koalition, die Präsident Reagan in den ersten beiden Jahren automatische Mehrheiten beschert hatte, beendet. Bei den gleichzeitig stattfindenden Gouverneurs-wahlen hatten die Demokraten den größten Sieg seit zwölf Jahren davongetragen. Gegen solche starke Strömungen in der Gesellschaft und im Kongreß läßt sich in den USA keine Politik betreiben.

Hinzu kamen die Sorgen der Europäer und ihre Interventionen in Washington. Besonders die Bun-desrepublik war an einer Wiederaufnahme des amerikanisch-sowjetischen Dialoges interessiert, weil sie unter seiner Unterbrechung am meisten litt. Außenminister Genscher hatte denn auch die Periode der amerikanisch-sowjetischen Sprachlosigkeit durch häufige Ostblockreisen zu überbrücken versucht.

Von der amerikanischen Gesellschaft auch bei Strafe des möglichen Machtverlustes aufgefordert und von den westeuropäischen Alliierten bedrängt, mußte Ronald Reagan wenden. Er wendete radikal und erfolgreich. Die Amerikaner honorierten seine Wiederannäherung an die Sowjetunion und die erneute Aufnahme des Rüstungskontrolldialoges im November 1984 mit einem Erdrutschsieg. Dazu hatte zweifellos auch die verbesserte Wirtschaftslage beigetragen, die nach der Überwindung der Rezession 1983 eintrat. Nicht vergessen werden dürfen die Zerrissenheit der Demokratischen Partei und die daraus resultierende Schwäche des Herausforderers Mondale. Nicht vergessen werden darf auch Roger Ailes, der Medienberater Präsident Reagans, der das Erscheinungsbild des Präsidenten in der letzten Phase des Wahlkampfs erheblich auf-besserte. Ausschlaggebend für die Wende dürfte also die Perspektive einer möglichen Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen vom November 1984 gewesen sein. Nicht nur die präsidentielle Rhetorik, auch seine konfrontative Politik gegenüber der Sowjetunion befanden sich nicht im Einklang mit den Anforderungen der amerikanischen Gesellschaft. Sie war zwar an einer starken Machtposition der USA interessiert, befürwortete deswegen auch eine beträchtliche Aufrüstung. Gleichzeitig aber votierte sie konstant für die Kooperation mit der Sowjetunion, insbesondere auf dem Sektor der Rüstungskontrolle und der Vermeidung eines Nuklearkrieges. Diesem Interesse mußte der Präsident Rechnung tragen.

Dazu brauchte er nicht einmal so sehr die Politik zu verändern. Immerhin hatte es ja bis Ende 1983 Rüstungskontrollverhandlungen in Genf gegeben, wenn sich die Reagan-Administration auch spät dazu entschlossen und dann darin recht zögerlich verhalten hatte. Die konfrontative Rhetorik mußte aufgegeben, die politische Diskriminierung der Sowjetunion fallengelassen und die diplomatische Isolierung beendet werden. Die machtpolitische Substanz der Reaganschen Weltpolitik sollte beibehalten, ihr Erscheinungsbild aber mußte verändert werden. >>IV.

Dieses Kalkül konnte gegenüber der Dritten Welt durchgehalten werden, nicht aber gegenüber der Sowjetunion. Hier veränderte der Amtsantritt Michail Gorbatschows im Frühjahr 1985 die internationale Umwelt Reagans geradezu dramatisch. Praktisch zu Beginn seiner zweiten Amtszeit sah sich Ronald Reagan einem Gegner gegenüber, der von der starren, auf Rüstung und Macht fixierten und daher eigentlich berechenbaren Politik der Alten Garde in Moskau weit entfernt war. Gorbatschow verordnete der Sowjetunion eine innen-, wirtschafts-und gesellschaftspolitische Reform, um sie aus der Stagnation herauszubringen und in eine moderne Führungsmacht zu verwandeln Er nahm die Expansionspolitik seiner Vorgänger zurück und schaltete quasi über Nacht die sowjetische Amerikapolitik von Konfrontation auf Kooperation um.

Dadurch wurde Ronald Reagans Versuch vereitelt, zwar seine Rhetorik und sein Verhalten anzupassen, nicht aber die Substanz seiner Politik auszuwechseln. Präsident Reagan hielt nach wie vor in der Sache nichts von der Rüstungskontrolle, gab vielmehr im Mai 1986 bekannt, daß er zum Ende des Jahres die SALT Il-Obergrenzen, die er bis dahin trotz der Ablehnung dieses „grundsätzlich verfehlten“ Vertrages eingehalten hatte, überschreiten würde. Sein Aufrüstungsprogramm ließ ohnehin keinen Einfluß der Wende vom Januar 1984 erkennen. 1985 sah sich der Kongreß gezwungen, seinerseits die Aufrüstungspläne des Präsidenten zu stoppen und ihm auch seine fiskalpolitische Taktik zu nehmen. Die Legislative lehnte Reagans Vorschlag, den Budgetausgleich in der Verfassung zu verankern, ab, und brachte ihn stattdessen im Budgetausgleichsgesetz von 1985 unter. Seine — notfalls automatisch eintretenden — Kürzungen mußten zur Hälfte vom Rüstungsbudget getragen werden. Damit war Ronald Reagans innenpolitische Revolution, sein Versuch, mit Hilfe der Aufrüstung den Sozialstaat zu revidieren, in eine Sackgasse geraten. Schon 1983 hatte der Kongreß eine weitere Beschneidung des Sozialetats zugunsten des Rüstungsetats verweigert; das Budgetausgleichsgesetz legte es dem Präsidenten nahe, seine Rüstungsbudgetforderungen nicht zu übertreiben.

Der Kongreß machte auch Reagans Absicht, zwar das Erscheinungsbild seiner Politik, aber nicht deren Zielrichtung zu verändern, zunichte. Die Legislative holte im Sommer 1986 zu einem rüstungskontrollpolitischen „Rundumschlag“ aus. Vier Gesetze sollten den Präsidenten zwingen, ein Moratorium beim Test von Anti-Satellitenwaffen zu verhängen. die Gelder für die Produktion chemischer Waffen zu streichen, die SALT-Obergrenzen beizubehalten und den Vertrag über die friedliche Nutzung der Atomenergie sowie den über die Schwellenwerte bei Atomtests endlich zur Ratifikation vorzulegen. Hätte der Kongreß diese Vorlagen verabschiedet, was nach Lage der Dinge als gesichert gelten konnte, hätten sie Reagans Aufrüstungspolitik empfindlich gestört.

Von seiner Frau klug beraten, trat Ronald Reagan die Flucht nach vom an. Er verwandelte damit die drohende Niederlage in einen überraschenden, seine Flexibilität demonstrierenden Sieg. Innerhalb von elf Tagen verabredete er sich mit Gorbatschow zum „Vorgipfel“ von Reykjavik. Damit hatte er dem Kongreß die Waffen aus der Hand geschlagen; die Gesetzentwürfe wurden zu Resolutionen heruntergestuft bzw. zurückgezogen. Der Präsident seinerseits kam freilich vom Regen des Kongresses in die Traufe seines sowjetischen Gegenspielers. Gorbatschow brachte ein komplettes Abrüstungspaket mit nach Reykjavik, das Reagan zwar auflösen, aber nicht gänzlich zurückweisen konnte. Er einigte sich mit seinem Gegner über die Abrüstung der Mittelstreckenraketen in Europa und eine Halbierung der strategischen Offensivwaffen, wurde nur durch einen sowjetischen Verhandlungsfehler vor der Unterschrift bewahrt. Gorbatschows spätere Konzessionen lösten das Paket auf und räumten für den INF-Vertrag alle weiteren Hindernisse aus dem Weg, indem sie auf die verbliebenen 100 Sprengköpfe bei den Mittelstreckenraketen größerer und auf die Raketen mittlerer Reichweite ganz verzichteten. Auf dem Washingtoner Gipfel im Dezember 1987 konnte auf diese Weise der INF-Vertrag mit der doppelten Null-Lösung unterschrieben werden. In Moskau, Anfang Juni 1988, wurde er in Kraft gesetzt.

Zu Recht hat Henry Kissinger die Konferenz von Reykjavik eine „Revolution“ genannt; sie ist es in mehrfachem Sinn. Niemals zuvor in der Geschichte war ein wichtiges, hochmodernes und einsatzfähiges Waffensystem wegverhandelt worden. Auch für die Reagan-Koalition war es eine Revolution. Angetreten mit der Absicht, die Rüstungskontrolle zu verhindern, mußte sie sich jetzt zu einer radikalen Abrüstungsmaßnahme verstehen. Schließlich war es auch für die NATO-Allianz eine Revolution: Präsident Reagan brach mit dem INF-Vertrag nicht nur aus dem europäischen Verteidigungssystem diejenigen amerikanischen Abschreckungswaffen wieder heraus, die die Europäer erst 1979/83 erhalten hatten. Der erste Abrüstungsvertrag der Weltgeschichte durchbrach das Allianzsystem auch konzeptionell. Tendenziell hatten das schon Nixon und Kissinger mit den Rüstungskontrollabkommen der siebziger Jahre getan, indem sie die Allianzsysteme durch die rüstungsbeschränkenden Absprachen mit dem Gegner überbrückten. Ronald Reagan aber ging sehr viel weiter. Er reduzierte die Allianzfunktion, indem er sich mit dem Gegner über die Beseitigung eines wichtigen, in deutschen und westeuropäischen Augen geradezu entscheidenden Abschreckungsmittels verständigte.

Es ist fraglich, ob die Reagan-Administration diese strukturverändernden Qualitäten des INF-Vertrages mitreflektiert hat. Sie folgte wohl eher anderen Interessen, von denen eines allerdings auch Strukturqualität besitzt. Die USA waren zu keiner Zeit daran interessiert, in Westeuropa mit eurostrategischen Kernwaffen präsent zu sein, weil sie das amerikanische Mutterland automatisch an jeden Konflikt in Westeuropa ankoppeln. Unter diesem Aspekt bringt der INF-Vertrag die USA in die Position zurück, die sie bis 1979/83 innegehabt hatten. Zu berücksichtigen ist auch, daß die im INF-Vertrag und in dem kommenden Vertrag über die Halbierung der Offensivwaffen sich ausdrückende Minderung der Relevanz von Kernwaffen die technologische Überlegenheit der USA im Bereich der konventionell bestückten , smart weapons’ stärkt.

Diese Hinweise verkleinern nicht die politische Leistung Ronald Reagans. Er hat mit dem INF-Vertrag einen Durchbruch zugelassen, den keiner seiner Vorgänger für möglich gehalten, geschweige denn geschafft hatte. Ronald Reagan kann es bequem seinem Nachfolger überlassen, diesen Ansatz weiterzuführen und, vor allem, die konzeptionellen Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie könnten durchaus bewirken, daß die USA den zweiten Entwurf ihrer Weltführungsstrategie, Weltführung durch Führung von Allianzen, überarbeiten bzw. aufgeben zugunsten eines moderneren, mehr zeitgemäßen Führungsstils.

Dieses Problem hat Ronald Reagan nicht gelöst, er hat es durch seinen Rückgriff auf die Konfrontationspolitik und auf die Militarisierung der Ostpolitik eher noch zugespitzt.

Seine Politik stellte vermutlich den letzten Versuch der Vereinigten Staaten dar, ihre Weltführungspolitik ganz unter das Zeichen des Konfliktes mit der Sowjetunion zu stellen und mit den in der Vergangenheit dafür bereitgestellten Mitteln zu instrumentieren. Dieser Versuch erwies sich schon am Ende der ersten Amtszeit Reagans als nicht mehr praktikabel, weder in den Vereinigten Staaten selbst, noch in Westeuropa. Ronald Reagan modifizierte ihn vorbildlich mit seiner Revolution, die, wenn nicht alles täuscht, eine neue, tiefer gehende und länger anhaltende Phase der Entspannung zwischen den beiden Supermächten eingeleitet hat.

Für Westeuropa werden damit die gleichen Probleme heraufziehen, die die partielle Kooperation zwischen Moskau und Washington in den siebziger Jahren erzeugt hatte: größere Abhängigkeit, geringerer Einfluß. Die Westeuropäer, allen voran die Deutschen, wären daher gut beraten, wenn sie dazu beitragen würden, daß die in Reagans revolutionärem Abrüstungsvertrag liegende Chance zur konzeptionellen Überwindung der Allianzsysteme ergriffen und ausgenutzt wird zu einer verstärkten politischen Kooperation innerhalb Westeuropas und zwischen ihm und den Vereinigten Staaten. Erst dadurch entsteht ein politisches Machtgebilde, das es sich leisten kann, militärische Gewalt und die dazugehörigen Allianzsysteme an das Ende des politischen Mittelspektrums zu rücken und den Austrag des Konfliktes mit der Sowjetunion vornehmlich politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Mitteln anzuvertrauen.

V.

Die Politik der Reagan-Administration gegenüber der Dritten Welt zeigte auch in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten keinerlei konzeptionellen Durchbruch. Im Gegenteil. Das . Strategische Konzept 1 wurde in der zweiten Reagan-Administration zu der (offiziell so nicht genannten) Reagan-Doktrin, die der Präsident in seiner Kongreß-Botschaft vom 14. März 1986 darlegte Reagan stellte darin fest, daß die Sowjetunion, die in der Phase der Entspannungspolitik politisch expandiert hatte, vor der unter Reagan wieder erwachten Stärke des Westens auf dem Rückzug begriffen sei. Diesen Exodus des sowjetischen Einflusses aus der Welt wollte Präsident Reagan mit den Mitteln der „power projection" und der „Kriegführung niedriger Intensität“ mit Militärhilfe und wirtschaftlicher Unterstützung an Freiheitskämpfer und antikommunistische Regierungen vollenden. Zu diesem Zweck verschob er die Zusammensetzung der amerikanischen Auslandshilfe immer weiter in den militärischen Bereich Er hatte bei den Empfängerländern im Krisenbogen’ des Nahen Ostens: Israel, Ägypten und Jordanien, schon immer den Löwenanteil erhalten. Jetzt wurde er bei allen Empfängerländern stärker bedacht. Militär-und militärische Unterstützungshilfe nahmen 1988 fast 60 Prozent der Auslandshilfe der USA ein, während auf die reine Entwicklungshilfe nur 40 Prozent entfielen. Im langjährigen Durchschnitt hatten die Anteile stets bei 51 und 49 Prozent gelegen.

Da die Auslandshilfe infolge der Sparmaßnahmen (und der allgemeinen Abneigung) des Kongresses absolut abnahm, sich 1988 nur noch auf 15 Mrd. US-Dollar belief, trat ihre militärische Kopflastigkeit noch stärker hervor. Sie spiegelte die Grundeinstellung der Reagan-Administration wider, daß der Staat nur für den Sachbereich der militärischen Sicherheit, für alle anderen Sachbereiche hingegen die Gesellschaft selbst zuständig sei. Entwicklung und Entwicklungshilfe gehörten damit in den Bereich der Privatwirtschaft. Auch die Vereinten Nationen, das diplomatische Hauptinstrument der Dritten Welt, bekamen Reagans Abneigung zu spüren. Er kürzte die amerikanischen Beitragszahlungen an die internationale Organisation derart, daß sie mehrfach, und 1988 erneut, an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geriet.

Für diese stark militarisierte Politik in der Dritten Welt erhielt Reagan Schützenhilfe durch den Kongreß. Die Legislative hob 1985 das Clark-Amendment auf, das die Einmischung in den angolanischen Bürgerkrieg verboten hatte. Sie erlaubte im gleichen Jahr erstmals die öffentliche Unterstütz zung der Widerstandskämpfer in Afghanistan und Kambodscha, genehmigte mit der Einlagerung von Waffen und Gerät in Thailand sogar die vorsichtige militärische Rückkehr der USA nach Indochina

Allerdings hat Reagan es in der Dritten Welt nicht bei einseitiger Machtpolitik belassen. Er bot mit seiner Rede vor den Vereinten Nationen vom 24. Oktober 1985 der Sowjetunion eine „regionale Friedensinitiative“ an Wo immer ein regionaler Konflikt in der Dritten Welt beendet werden konnte — in der Sicht Reagans: wo immer sich die Sowjetunion zurückzog —, sollten die beiden Supermächte politische Garantien übernehmen und wirtschaftliche Entwicklungshilfe leisten. Der erste Test dieses Angebots kam mit dem sowjetischen Rückzug aus Afghanistan. Die USA und die Sowjetunion unterzeichneten als Garantiemächte die Abkommen zwischen Afghanistan und Pakistan und gaben darüber hinaus Nicht-Einmischungsgarantien ab Der Antagonismus der Reagan-Doktrin schlug damit in die regionale Kooperation der Supermächte um. Es bleibt abzuwarten, wieweit sie trägt.

Die Reagan-Doktrin kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie ihre Ziele erreicht hat. Die Sowjetunion hat sich nicht nur aus Afghanistan zurückgezogen, sie hat ihre Unterstützung Nicaraguas verringert und sich auch bereit erklärt, Vietnam zugunsten seines Rückzugs aus Kambodscha zu beeinflussen. Moskau wirkt an einer Angola-Regelung mit, die den Rückzug der Kubaner bringen soll. Es hat seine U-Boote vor der amerikanischen Küste zurückgezogen, die Anzahl seiner Schiffsbewegungen erheblich verringert. Die Sowjetunion ist also weltpolitisch auf dem Rückzug. Wenn auch die Entscheidung dazu wohl eher auf Moskauer Entschlüsse als auf Washingtoner Taten zurückgeführt werden dürfte, so kann die Reagan-Administration sich durchaus damit brüsten. Sie war gewiß nicht ohne Einfluß in Moskau, und sei es nur als Umwelt-bedingung für die Durchsetzung des Gorbatschow-sehen Reformkurses.

Daraus läßt sich freilich noch keine positive Gesamteinschätzung der Politik Reagans in der Dritten Welt ableiten. Abgesehen von ihrer Übermilitarisierung und der Vernachlässigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse der Entwicklungsländer liegt das bedeutendste Versäumnis der Reagan-Administration darin, daß sie zu der Lösung der wirklich großen Probleme nichts beigetragen hat. Im Nahen Osten hat sie sich nach dem Scheitern des Reaganschen Friedensplanes auf die Rolle des interessierten Zuschauers zurückgezogen und den Dingen freie Hand gelassen. Erst die im Herbst 1987 beginnenden Aufstände im Gaza-Streifen und im Westjordanland lösten eine neue, aber erfolglose Initiative von Außenminister Shultz aus. Sie konnte fünf Jahre des Verzichts auf die Weiterführung der von Präsident Carter eingeleiteten Politik nicht mehr wettmachen.

Eine Namibia-und eine Angola-Regelung sind durch die Torschlußaktivitäten des amerikanischen Unterstaatssekretärs Crocker näher gerückt; sie werden für den November erwartet. Bis dato hatte Reagan die Position der Republik Südafrika faktisch gestärkt.

Noch schwerer wiegt, daß die Reagan-Administration — hier allerdings die Politik ihrer Vorgänger fortsetzend — das Verhältnis zu Indien nicht verbessert.den „tilt" zu Pakistan beibehalten hat. Der Tod von Staatspräsident Zhia eröffnet hier neue Möglichkeiten der Korrektur. Reagans einseitiger und im Laufe der Jahre verstärkter Verlaß auf China wird selbst in Washington besorgt betrachtet, zumal sich die sowjetisch-chinesischen Beziehungen deutlich verbessern.

Die größte Fehlanzeige muß Ronald Reagan in Mittelamerika erstatten. Es ist ihm in den acht Jahren seinerTätigkeit weder gelungen, El Salvador zu stabilisieren, noch den Konflikt in Nicaragua zu beenden. Die militärische Unterstützung der Contras hat zwar das Regime in Managua verunsichert, enthielt aber zu keiner Zeit eine tragfähige politische Lösung für die Zukunft dieses Landes.

Ebenfalls ein Fragezeichen verdient die Auseinandersetzung Reagans mit dem internationalen Terrorismus. Sie zählte von Anfang an zu seinen Hauptzielen; ihr widmete er am 15. April 1986 das Bombardement Libyens. Gegen den Willen der Westeuropäer unternommen, bezeichnete diese Aktion einen einsamen und kritischen Höhepunkt der Reaganschen Antiterrorismuspolitik. Libyen hat deswegen seine anti-amerikanischen Aktivitäten keinesfalls aufgegeben, sondern sie bis in den Südpazifik hinein erweitert.

Die eher einschlägigen Mittel, die Sorge für die Menschenrechte und die Förderung der Demokratisierung, hat der Präsident erst sehr spät in sein politisches Programm aufgenommen Sein Vorgänger Carter war ihm hier weit voraus, als er versuchte, mit einer aktiven Menschenrechtspolitik das wichtigste Problem der Dritten Welt zu lösen, die Quelle der Gewalt zu versiegeln und auf diese Weise das Tor des sowjetischen Einflusses zu verschließen. Unter Ronald Reagan hat sich zwar Moskau aus der Dritten Welt militärisch zurückgezogen. Seine politische Präsenz aber ist unter Gorbatschow stärker denn je geworden, der es offenbar verstanden hat, den aus der wirtschaftlichen Notlage geborenen militärischen Rückzug der sowjeti-schen Macht in eine politische Werbekampagne zu verwandeln.

Die Reagan-Administration war zu lange und zu ausschließlich auf die gewaltsame Bekämpfung des sowjetischen Einflusses in der Dritten Welt fixiert, als daß sie den dort ablaufenden relevanten Prozeß hätte wahrnehmen können: den Generationswechsel und die damit verbundene Entstehung eines endogenen Nationalismus. Weniger denn je will sich diese Welt unter das Joch des Ost-West-Konflikts zwängen lassen. Wer Einfluß auf sie nehmen will, muß einen ganz anderen Führungsstil entwickeln, der nicht diktiert und erzwingt, sondern überredet und gewinnt. Es genügt eben nicht mehr, eine bewaffnete Armada in den Persischen Golf zu entsenden. Sie kann, indem sie einem der dortigen Kriegs-partner Schützenhilfe bietet, die Waffenstillstands-bereitschaft des anderen Partners beschleunigen. Die politischen Probleme der Region werden dadurch nicht gedämpft, sondern eher zugespitzt. Es wird Reagans Nachfolger sehr schwerfallen, die politischen Beziehungen zum Iran wiederherzustellen. Der Irak wird sich nicht davon abhalten lassen, die neu gewonnene Handlungsfreiheit den noch immer ungelösten Problemen des arabisch-israelischen Konfliktes zuzuwenden. Gewiß, es ist schwer, wenn nicht unmöglich, für alle Probleme der Welt eine Lösung zu finden. Es sollte aber relativ leichtfallen, eine militarisierte Machtpolitik zu unterlassen, deren Anachronismus seit Vietnam, seit dem Fall des iranischen Schah und, wenn man so will, seit Afghanistan evident ist. Daß Ronald Reagan sich in den acht Jahren seiner Präsidentschaft allzu sehr auf solche vertrauten, aber eben nicht mehr effektiven Mittel verlassen hat, ist das wahrscheinlich größte Defizit seiner Politik.

VI.

Für diese eher rückwärtsgewandte, sozusagen künstlich wiederbelebte Großmachtpolitik alten Stils haben die USA mehrfach bezahlt. Der wirtschaftliche Wohlstand seit 1983 war, weil die Einsparungsvorstellungen der Legislative und des Präsidenten sich gegenseitig blockierten, nur noch auf Kredit zu haben. Einst der große Gläubiger der Welt, wurden die USA auf diese Weise zu ihrem größten Schuldner. Vielleicht noch gravierender war das Außenhandelsdefizit, das sich Anfang der achtziger Jahre erneut einstellte und seitdem stark vergrößerte. Seine Gründe lagen nicht nur im Höhenflug des Dollar, der in den ersten Jahren

Reagans die Stärke der USA zu demonstrieren schien und schließlich mit Hilfe einer konzertierten Aktion des Westens zu einer sanften Landung veranlaßt werden konnte. Die Gründe lagen auch in der abnehmenden Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie. Reagan war zwar ein anerkannter Vorkämpfer des Freihandels, der den protektionistischen Strömungen energisch Widerstand leistete, so daß ein relativ akzeptables Außenhandelsgesetz 1988 zustande kam. Jenseits der Rhetorik aber hat kein anderer amerikanischer Präsident der einheimischen Industrie soviel Schutz und Unterstützung zukommen lassen wie Reagan. Eine Industriepolitik modernen Stils hingegen ist in den Jahren seiner Herrschaft nicht zustande gekommen. Für Reagans Machtpolitik haben die USA auch politisch bezahlt. Ronald Reagan hat, ohne es freilich zu sagen, die „imperiale Präsidentschaft“ Richard Nixons weitergeführt, hat jedenfalls die amerikanische Innenpolitik und, wie sich bei der Krise um das Erdgas-Röhren-Geschäft gezeigt hatte, auch die amerikanische Außenhandelspolitik den Interessen der auswärtigen Machtpolitik unterzuordnen versucht. Der Freedom of Information Act wurde wieder eingeschränkt. Die CIA erhielt ihre Handlungsfreiheit fast uneingeschränkt wieder zurück. und der Lügendetektor wurde zum amtsüblichen Instrument der Loyalitätsprüfung erhoben. Im Zeichen der nationalen Sicherheit und des Primats der Außenpolitik verselbständigte sich der bürokratische Apparat des Nationalen Sicherheitsrates und der CIA. Beide führten in Nicaragua Krieg auf eigene Faust, obwohl der Kongreß dies ausdrücklich verboten hatte. In der Iran-Contra-Affäre machte sich die ebenso undemokratische wie un-amerikanische Einstellung breit, daß der Zweck die Mittel heilige. Als dieser Skandal im Herbst 1986 aufflog, zog er die gesamte Außenpolitik Reagans in eine tiefe Vertrauenskrise, von der sie sich nicht mehr richtig erholt hat

Präsident Reagan trat auf die personalpolitische Notbremse. Der nationale Sicherheitsberater mußte gehen, der Stabschef des Weißen Hauses ebenfalls. Den CIA-Direktor Casey rief der Tod ab. Eine neue Mannschaft hat die letzten beiden Jahre der Reaganschen Außenpolitik geleitet und für Konsolidierung und Beruhigung gesorgt. Aber es muß doch als symptomatisch für die strukturbildende Wirkung der achtjährigen Reagan-Herrschaft gelten, daß ein Oberst des Nationalen Sicherheitsrates offen das von ihm diagnostizierte Sicherheitsinteresse der USA über die Verfassung und über die politischen Kontrollrechte des Kongresses stellen und dafür noch öffentlichen Applaus ernten konnte. Ronald Reagan hat nicht nur den Konservativismus. nicht nur den Nationalismus in den USA (und in der Welt) hoffähig gemacht; er hat auch die Entstehung des „Sicherheitsstaates“, die Unterordnung der Freiheiten und der Entfaltungsinteressen des einzelnen unter die außenpolitischen Machterfordemisse des Staates, weiter vorangetrieben. Das kann nicht die Absicht des Kandidaten Reagan gewesen sein, der ja eben das alte liberal-demokratische Amerika wiederherstellen wollte. Aber es wurde zur Konsequenz der Präsidentschaft Reagans, der die machtpolitische Überlegenheit der Vereinigten Staaten zu einem Zeitpunkt wiederherstellen wollte, als dies nicht nur als unmöglich, sondern auch als anachronistisch zu gelten hatte.

Es ist unbestritten, daß unter Ronald Reagan und mit ihm die Vereinigten Staaten und der Westen die seit der Mitte der sechziger Jahre laufende Phase des Ost-West-Konfliktes gewonnen haben. Die Sowjetunion hat erstmals in die Abrüstung der nuklearen wie der konventionellen Waffen eingewilligt; sie zieht sich von den unter Breschnew eingegangenen weltpolitischen Engagements zurück. Wem immer diese Erfolge im einzelnen zu verdanken sind, Ronald Reagan ist sehr wohl berechtigt, sie auch an seine Fahnen zu heften. Seine Politik hat seine Ziele erreicht. Aber es war ein posthumer Sieg — über die Sowjetunion Breschnews. Es war ein teurer Sieg zudem, der auch die USA an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit herangeführt und damit in der Welt das Bild der Hegemoniekrise verbreitet hat. Nicht umsonst wird gerade in Asien Kennedys Buch über „Aufstieg und Fall der Großmächte“ begeistert zitiert, das militärische Überanstrengung als die Ursache des Großmachtverfalls ausweist Das ist so unrichtig nicht, wenn es auch die ungeheuren Kraftreserven der Gesellschaft und der Wirtschaft der USA verkennt. Auch dann wird die Macht der USA nicht groß genug sein, um die der Regionalmächte — Europa. China. Japan. Australien. Israel. Brasilien — zu mediatisieren. Der Versuch dazu ist. sozusagen, im Ansatz verfehlt, und deswegen muß Ronald Reagan wohl als der letzte amerikanische Präsident gelten, der es noch einmal versucht hat. Die Welt kann auf den Führungsimpuls der Vereinigten Staaten nicht verzichten. Er muß nur modernisiert und den Zuständen unserer polyarchischen und multipolaren Welt angepaßt werden. Deren Zukunft wird maßgeblich davon abhängen, ob Reagans Nachfolger diese Aufgabe meistert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu den verschiedenen Entwürfen der amerikanischen Nachkriegspolitik vgl. Ernst-Otto Czempiel. Entwicklungslinien der amerikanisch-europäischen Beziehungen, in: Europa-Archiv. 28 (1973) 22. S. 781 ff.

  2. Dazu Michael Staack. Kurswechsel in Washington. Entspannungsgegner und Rüstungskontrolle unter der Präsidentschaft Ronald Reagan. Berlin 1987.

  3. Vgl. Axel Murswieck. Sozialpolitik in den USA. Opladen

  4. United States Congress. Congressional Budget Office. Defense Spending: What Has Been Accomplished?. Staff Working Paper, Washington, April 1985.

  5. United States Congress 97/2. Committee on Armed Services. Senate. Structure and Operating Procedures of the Joint Chiefs of Staff. Hearing. Washington 1983. Statement Admiral Holloway. S. 5.

  6. United States Congress 98/2 und 99/1. Joint Economic Committee. Allocation of Resources in the Soviet Union and China — 1984. pt. X. Washington 1985. Statement Robert Gates. Deputy Director for Intelligence. CIA. S. 7.

  7. Jeane Kirkpatrick. Dictatorships and Double Standards, in: Commentary. 68 (1979) 5, S. 34ff.

  8. Erklärung von Außenminister George P. Shultz vor dem Außenpolitischen Ausschuß des Senats am 15. Juni 1983. abgedruckt in: Ernst-Otto Czempiel/Carl-Christoph Schweitzer (Hrsg.). Weltpolitik der USA nach 1945, Einführung und Dokumente. Bonn 19872, S. 409 f.

  9. Zur „linkage-Politik“ vgl. Gebhard Schweigler. Von Kissinger zu Carter. München 1982; Christian Hacke. Die Ära Nixon-Kissinger. 1969 — 1974. Stuttgart 1983.

  10. Rede von Außenminister George P. Shultz vor der RAND Corporation in Los Angeles am 18. Oktober 1984. abgedruckt in: Czempiel/Schweitzer (Anm. 8). S. 416 ff.

  11. Dazu Miroslav Nincic. The United States, the Soviet Union, and the Politics of Opposites. in: World Politics. XL (1988) 4. S. 452 ff.

  12. Dazu Bernd W. Kubbig, Amerikanische Rüstungskontroilpolitik. Die innergesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in der ersten Amtszeit Reagans (1981 — 1985), Frankfurt

  13. John E. Reilly (ed.). American Public Opinion and U. S. Foreign Policy 1983. The Chicago Council on Foreign Relations, Chicago 1983. S. 36.

  14. Vgl. dazu Richard H. Ullmann. Ending the Cold War. in: Foreign Policy. 72 (1988). S. 130 ff.

  15. Botschaft des Präsidenten Ronald Reagan an den Kongreß über Probleme der regionalen Sicherheit vom 14. März 1986. abgedruckt in: Czempiel/Schweitzer (Anm. 8). S. 433 ff.

  16. Vgl. Michael T. Klare, The Interventionist Impulse: U. S. Military Doctrine for Low-Intensity Warfare. in: ders. /Peter Kornbluh (eds.), Low-Intensitiy Warfare. Counterinsurgency. Proinsurgency and Antiterrorism in the Eighties, New York 1988, S. 53 ff.

  17. Dazu Bernhard May. Reagan und die Entwicklungsländer. Die Auslandshilfepolitik im amerikanischen Regierungssystem, München 1987.

  18. Stephen S. Rosenfeld. The Guns of July, in: Foreign Affairs, 64 (1986) 4. S. 698 ff.

  19. Abgedruckt in: Wireless Bulletin 197, 25. Oktober 1985. S. 1 ff.

  20. Die Verträge sind abgedruckt in: Europa-Archiv. 43 (1988) 11. S. D 306ff.

  21. Friedbert Pflüger, Die Menschenrechtspolitik der USA, München 1983.

  22. Vgl. die umfassende Dokumentation in: United States Congress 100/1. Select Committee to Investigate Covert Arms Transactions Wilh Iran. House, und Select Committee on Secret Military Assistance to Iran and the Nicaraguan Opposition. Senate: Iran-Contra Affair. Report. Washington. November 1987.

  23. Paul Kennedy. The Rise and Fall of the Great Powers. New York 1987.

Weitere Inhalte

Ernst-Otto Czempiel, Dr. phil., geb. 1927; Professor für Auswärtige und Internationale Politik an der Universität Frankfurt; Forschungsgruppenleiter an der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung, Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: Amerikanische Außenpolitik. Gesellschaftliche Anforderungen und politische Entscheidungen, Stuttgart 1979; Internationale Politik. Ein Konfliktmodell, Paderborn 1981; (Hrsg.) Amerikanische Außenpolitik im Wandel. Von der Entspannungspolitik Nixons zur Konfrontation unter Reagan, Stuttgart 1982; (zus. mit Carl-Christoph Schweitzer) Weltpolitik der USA. Einführung und Dokumente, Bonn 19872; Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986.