Die amerikanische Wirtschaftspolitik unter Ronald Reagan
Peter De Thier
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Zusammenfassung
Im Januar 1981 trat der Nachfolger Jimmy Carters ein schweres wirtschaftspolitisches Erbe an. Unter der demokratischen Regierung war die Inflationsrate auf 14 Prozent gestiegen, und Zinssteigerungen bis zu 21 Prozent lähmten die Investitionstätigkeit. Gleichzeitig stagnierte aber die konjunkturelle Entwicklung. Es kam zur Entstehung eines neuen Begriffes, nämlich der „Stagflation“, mit der volkswirtschaftliche Theorien regelrecht auf den Kopf gestellt wurden. Ronald Reagan setzte sich beim Amtsantritt zum Ziel, für „inflationsfreies Wirtschaftswachstum“ zu sorgen. Bis 1984 sollte das Defizit im Bundeshaushalt vollständig abgebaut werden. Im Mittelpunkt der angebotsorientierten „Reaganomics“ standen Einkommensteuersenkungen, eine umfangreiche Deregulierung der Wirtschaft sowie Ausgabenkürzungen, die sich vorwiegend auf den Sozialbereich konzentrierten. Nach sieben Jahren „Reaganomics“ verweist die Regierung stolz auf 17 Millionen neugeschaffene Arbeitsplätze und eine Halbierung der Zinssätze im Vergleich zu 1980. Die Arbeitslosenrate fiel auf den niedrigsten Stand seit vierzehn Jahren, und auch die Preisstabilität erscheint zur Zeit noch ungefährdet. Der demokratische Präsidentschaftskandidat behauptet dagegen, daß, wenn ein Land acht Jahre lang „auf Kreditkarte lebt“, irgendwann „die Rechnung beglichen werden müßte“. Wer die Schulden zu begleichen haben wird und — vor allem — wie weit sie noch steigen werden, dürfte sich aber erst nach der Präsidentschaftswahl herausstellen.
I. Die Ausgangstage
Als Ronald Reagan im Januar 1981 in das Amt des amerikanischen Präsidenten eingeführt wurde, trat die neue Regierung ein schweres wirtschaftspolitisches Erbe an: Am Ende der siebziger Jahren hatte das gemeinsame Auftreten von Preissteigerungen und stagnierendem Wirtschaftswachstum zur Entstehung eines neuen Begriffes geführt. Die Stagflation“ stellte herkömmliche volkswirtschaftliche Theorien auf den Kopf. Die Inflationsrate stieg in den USA 1980 auf fast 14 Prozent und Zinssätze bis zu 21 Prozent lähmten die Investitionsnachfrage. Gleichzeitig nahmen aber Wachstum und Produktivität der amerikanischen Wirtschaft in bedenklichem Maße ab. An der Spitze der Tagesordnung stand daher die Devise „inflationsfreies Wirtschaftswachstum“. Präsident Reagan, der als Gouverneur von Kalifornien in seinem Heimatstaat beachtliche wirtschaftspolitische Erfolge erzielt hatte, glaubte, mit dem angebotsorientierten Konzept der „Reaganomics“ eine Lösung gefunden zu haben.
Als im Herbst 1980 die Präsidentschaftskampagne auf Hochtouren lief, wurde von der republikanischen Partei ein Bericht veröffentlicht, der folgenden Titel trug: Ronald Reagans Strategie für Wirtschaftswachstum und Stabilität in den achtzigerJahren. Zu den Mitverfassern gehörten unter anderem derjetzige Außenminister George Shultz sowie Notenbankchef Alan Greenspan. Im Mittelpunkt des Berichts standen fünf Thesen, die der amerikanischen Wirtschaftspolitik der darauffolgenden Jahre ihren Stempel aufdrückten
— Die Staatsausgaben sollten auf ein „vernünftiges Niveau“ reduziert werden. — Einkommensteuersenkungen sollten eingeführt und durch erweiterte Abschreibungsmöglichkeiten sowie neue Spar-und Investitionsanreize ergänzt werden. — „Regulierungsvorschriften müßten sorgfältig überprüft und diejenigen unverzüglich beseitigt werden, die das Wirtschaftswachstum bisher gehemmt haben.“ — Es müßte eine „stabile und voraussehbare Geldpolitik" eingeführt werden. — „Die Finanzpolitik des Bundes müßte Konstanz aufweisen und sich nicht von Monat zu Monat ändern“. Obwohl der letzte Punkt als Seitenhieb auf die unberechenbare Wirtschaftspolitik unter Präsident Jimmy Carter gedacht war, spiegelten sich in den ersten vier Thesen die wichtigsten Vorhaben der Angebotstheoretiker wider.
II. Reaganomics — das theoretische Konzept
1. Die Steuerpolitik Dreh-und Angelpunkt der angebotsorientierten „Reaganomics“ sollten Einkommensteuersenkungen sein. Niedrigere Steuersätze würden zu einer Verbreiterung der Steuerbasis führen und somit aufkommensneutral sein. Die Regierung brauchte demnach langfristig keine Ausweitung des Haushaltsdefizits zu befürchten — ganz im Gegenteil, nach Auffassung der sogenannten „hard-line Reaganomists" würde es sogar zu Mehreinnahmen kommen.
Der entscheidende Vorteil sei jedoch darin zu sehen, daß die „produktiven Kräfte“ in der amerikanischen Volkswirtschaft wieder freigesetzt werden, Investitionsschübe entstehen und die private Nachfrage wiederbelebt wird. Somit könnten die Voraussetzungen für inflationsfreies Wachstum geschaffen werden.
Das angebotsorientierte Konzept der Reaganschen Steuerpolitik wurde seiner Titulierung als „Wende“ bzw. „Reagan-Revolution“ im theoretischen Ansatz durchaus gerecht. Es stellte nämlich den keynesianischen Gedanken der gesamtwirtschaftlichen Nachfragesteuerung völlig auf den Kopf und ging teilweise sogar soweit, den Keynesianismus als angebotsorientierte Theorie aufzufassen
Dem ambitionierten Vorhaben lag jedenfalls folgender Gedanke zugrunde: Produktion und Investition erfolgen grundsätzlich zum Zwecke der Einkommenserzielung Steigende Grenzsteuersätze würden somit aufgrund der sinkenden Rendite zu einem Produktionsrückgang führen. Keynesianisehe Nachfragesteuerung, so die Angebotstheoretiker, wäre in diesem Fall erfolglos, da eine Nachfragebelebung bei stagnierender Produktion höchstens Preissteigerungen zur Folge haben könnte. Angesichts der Stagflation unter Präsident Carter wäre ein weiterer Inflationsschub verhängnisvoll gewesen.
Höhere Grenzsteuersätze würden unter anderem bewirken, daß Produktionsfaktoren, die für den Wirtschaftskreislauf unverzichtbar sind, in die Schattenwirtschaft abwandern. Die sogenannten „Opportunitätskosten“ der Freizeit würden sinken, da der Verzicht auf ein höher besteuertes Einkommen ein geringerer Verzicht ist, der von den Angehörigen mittlerer und höherer Steuerklassen immer häufiger in Kauf genommen wird.
Dem keynesianischen Argument, daß nämlich Steuererhöhungen, sofern sie für zusätzliche Staatsausgaben verwendet werden, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln, hielt Arthur Laffer, einer der Mitbegründer der angebotsorientierten Theorie, folgende Überlegung entgegen: Der berühmte „Laffer tax-wedge“ (d. h. Steuerkeil) beruhe auf dem Argument, daß beispielsweise eine Erhöhung der Sozialversicherungsabgaben — oder auch anderer Steuern — sich doppelt negativ auswirken würde: 1. auf der Nachfrageseite: Das verfügbare (Netto-) Einkommen sinkt und dämpft somit die Konsum-nachfrage. 2. auf der Angebotsseite: Durch den Arbeitgeber-anteil an der Sozialversicherung steigt die Belastung der Unternehmer. Die Rendite jeder zusätzlichen Investition bzw. jedes zusätzlichen Angestellten sinkt, und die Produktion würde demzufolge gedrosselt werden. Außerdem würden sich weitere Arbeitskräfte freiwillig für die Schattenwirtschaft entscheiden, da die Differenz zwischen Nettoeinkommen und Arbeitslosenunterstützung den Arbeitseinsatz kaum noch lohnend erscheinen läßt. 2. Die Laffer-Kurve Auf die sogenannte „Laffer-Kurve“ stützten sich sämtliche Steuerreformen, die von der Reagan-Administration durchgeführt wurden. Der prominente Stanford-Ökonom Arthur Laffer hat sie nach eigener Aussage beim Mittagessen Präsident Reagan auf eine Serviette gezeichnet, der von der einfachen, aber plausiblen Wirkungsweise angeblich so beeindruckt war, daß er sich von diesem Zeitpunkt an angebotsorientierte Steuersenkungen auf seine Fahnen schrieb.
Nach Auffassung Laffers gibt es für jedes Steueraufkommen im Prinzip zwei mögliche Steuer-sätze Strebe die Regierung beispielsweise Einnahmen in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar an, könnten zwei Wege zum Erfolg führen. Durch Steuererhöhungen würde die Steuerbasis vorläufig unverändert bleiben, langfristig aber schmaler werden. Aufgrund sinkender Renditen würde nämlich die Produktion gedrosselt und folglich würden die verfügbaren Einkommen, die über Konsum-oder Investitionsausgaben wieder in den Wirtschaftskreislauf fließen, ebenfalls schrumpfen.
Den Vorwurf, es handele sich um eine an den Haaren herbeigezogene Theorie, die einer praktischen Bewährungsprobe niemals standhalten könne, wiesen Laffer und seine Anhänger zurück. Schließlich konnte man Praxiserfolge aus der Vergangenheit vorweisen. 1978 wurde in Kalifornien die umstrittene „Proposition 13“ verabschiedet, die eine umfassende Senkung der Grundsteuer vorsah. Das neue Gesetz wurde teilweise als „skandalös“ verschrien, da die erwarteten Einnahmeverluste angeblich ein Riesenloch in den Staatshaushalt reißen würden. Es kam jedoch ganz anders. Die Wachstumsrate lag in Kalifornien daraufhin um 40 Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt, und innerhalb von zwei Jahren wurden 400 000 neue Stellen geschaffen. Der Einnahmeverlust im Grund-steuerbereich wurde durch zusätzliche Einnahmen aufgrund der verbreiterten Einkommensteuerbasis fast wieder ausgeglichen.
Als Musterbeispiel führten jedoch die „Reaganomists“ die Kennedy-Johnson Steuerreform aus dem Jahre 1963 an. Die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen wurde von 91 auf 70 Prozent gesenkt, und der Spitzensteuersatz für Erwerbseinkommen auf 50 Prozent gesenkt. Das erwartete haushaltspolitische Fiasko blieb aus, und dringend benötigtes Kapital, das zuvor überwiegend in Im-mobilien investiert wurde, floß zurück in den industriellen Sektor. Der wirtschaftliche Aufschwung der darauffolgenden Jahre wurde fast einhellig auf die Steuersenkungen zurückgeführt. 3. Die große Steuerreform von 1981: Der „Economic Recovery Tax Act“
Mit dem „Economic Recovery Tax Act of 1981“ (ERTA), der in strikter Anlehnung an das angebotsorientierte Konzept verfaßt wurde, sollten die Voraussetzungen geschaffen werden für eine Wiederbelebung der amerikanischen Wirtschaft. Das Gesetz beruhte auf den Initiativen des Kongreßabgeordneten Jack Kemp sowie des Senators William Roth, die den „Kemp-Roth Bill“ bereits 1977 im Kongreß als Gesetzesvorlage eingebracht hatten. Nach Wunsch der beiden konservativen Republikaner sollten innerhalb von drei Jahren die Einkommensteuersätze gestaffelt um 30 Prozent gesenkt werden. Der „ERTA“ enthielt ferner Investitionsanreize, die für ein stabiles, inflationsfreies Wirtschaftswachstum sorgen sollten Die Stagflation der späten siebziger Jahre hatte nämlich die Forderung nach einer weitreichenden Reform der indirekten Investitionsförderung laut werden lassen. Die lange Abschreibungsdauer führte angesichts gewaltiger Preissteigerungsraten dazu, daß die real absetzbaren Beträge an Wert verloren und der Zweck, die Investitionstätigkeit zu beleben, deut-lich verfehlt wurde. Die Abschreibungsdauer wurde daher im Zuge des „ERTA“ auf drei, fünf und 15 Jahre (für Anlagevermögen) verkürzt. Das Zusammenwirken der neuen Regelung mit dem von Präsident John F. Kennedy eingeführten Investitionssteuerkredit führte jedoch zu einer bemerkenswerten Entwicklung: Häufig war die Summe der absetzbaren Beträge größer als die gesamte Steuerbelastung. Viele Unternehmer „verkauften“ daher ihre Steuerkredite an profitträchtigere Unternehmen, die einer höheren Steuerbelastung ausgesetzt waren. Etliche Großbetriebe wurden daher mit „Negativ-Steuern“ belegt, bekamen also trotz ansehnlicher Bilanzgewinne vom Finanzamt Gelder in Millionenhöhe noch zurückerstattet Durch den Tax Equity and Fiscal Responsibility Act im darauf-folgenden Jahr rückte man diesem Mißstand zu Leibe und schob dem sogenannten „safe-harbor leasing“ einen Riegel vor.
Im Haushaltsplan der neuen Regierung wurde der Steuerreform besonders große Aufmerksamkeit gewidmet, zumal sie in Anbetracht des ausufemden Haushaltsdefizits sehr umstritten war. Daß es sich bei der sogenannten „Reagan-Revolution“ wahrhaftig um eine Wende handelte, kam im ersten Budgetentwurf besonders deutlich zum Ausdruck. Erstmals hatte nämlich ein neugewählter Präsident den Entwurf seines Vorgängers vorbehaltlos abgelehnt
III. Die Ausgabenpolitik
Neben den bereits erwähnten Steuersenkungen waren es die Aufstockung des Rüstungsetats, erweiterte Abschreibungsbestimmungen sowie die ab 1985 vorgesehene Indexierung der Einkommen-steuerklassen. die das finanzielle Gebaren des Bundes während der ersten Reagan-Jahre prägen sollten
Vorwürfen der demokratischen Opposition, daß Ausgabenerhöhungen, die gleichzeitig mit Steuersenkungen eingeführt werden, die Haushaltsmisere nur verschärfen könnten, begegnete man immer wieder mit denselben Argumenten:
Die Sozialausgaben sollten auf ein sogenanntes „social safety net“ („soziales Sicherheitsnetz“) reduziert werden. Dies würde zu bedeutenden Einsparungen führen. Die Steuersenkungen würden langfristig eine Verbreiterung der Steuerbasis zur Folge haben und somit zu Mehreinnahmen führen. Durch Deregulierung könnten die Kosten im öffentlichen Sektor verringert werden. Der sogenannte „Neue Föderalismus“ sollte etliche Aufgaben an die Einzelstaaten und Gemeinden „zurückdelegieren“. Man rechnete auf diesem Wege mit einer umfangreichen Entlastung des Bundeshaushalts.
Die Zweckoptimisten in der republikanischen Regierung in wurden jedoch bald die Schranken gewiesen. Im Laufe des ersten Haushaltsjahres wurde die Einschätzung der Defizitentwicklung nämlich mehrmals nach oben korrigiert. Wie sich erst nach Verabschiedung des ERTA-Gesetzes herausstellte, würden die Steuersenkungen innerhalb von fünf Jahren Einnahmeverluste von 750 Mrd. Dollar verursachen.
Der endgültigen Verabschiedung des „ERTA“ ging ein monatelanges Tauziehen zwischen Regierung und Kongreß voraus. Die demokratische Opposi-tion sträubte sich gegen 30prozentige Einkommen-steuersenkungen. Vor allem wären nach Auffassung der Opposition sogenannte „across the board cuts“ unsozial, da sie die höheren Einkommensklassen begünstigen würden. Man warjedoch bereit, bis zu 20 Prozent entgegenzukommen, dies aber auch nur dann, wenn die unteren Lohnklassen stärker entlastet würden.
Durch geschicktes diplomatisches Taktieren, das Präsident Reagan vor allem dem Vorsitzenden der Haushaltsbehörde Office of Management and Budget (OMB) David Stockman, zu verdanken hatte, wurde dem Tauziehen im Spätsommer ein Ende gesetzt. Am 29. Juli 1981, nachdem in beiden Kammern des Kongresses Mehrheiten erzielt worden waren, erlangte die umfassendste amerikanische Steuerreform seit John F. Kennedy mit der Unterschrift Präsident Reagans endgültig Rechtskraft. Die Zugeständnisse gegenüber der demokratischen Opposition waren minimal: Die Einkommensteuersätze wurden nicht um 30, sondern lediglich 25 Prozent heruntergesetzt. Im ersten Jahr würde die Senkung 5 Prozent, in den beiden darauffolgenden Jahren jeweils 10 Prozent betragen.
Obwohl einigen der hartnäckigsten „Reaganomics“ -Befürwortern schon bald klar wurde, daß die angebotsorientierte Politik mit bedeutenden Mängeln versehen war, blieb auch in den darauffolgenden Jahren die Einkommensteuer weitgehend verschont. David Stockman hatte als erster die Notwendigkeit von Steuererhöhungen angesprochen, da ansonsten das Budgetdefizit hoffnungslos ausufern würde. Diese beschränkten sich jedoch auf „unsichtbare“ Verbrauchssteuern sowie Maßnahmen zur Eliminierung diverser Vergünstigungen. 1. Die Rolle David Stockmans Heimlicher Drahtzieher und einer der Wegbereiter der Reaganschen Wirtschaftspolitik war während der ersten Jahre OMB-Chef David Stockman. Stockman trat ein undankbares Amt an. da es galt, mehrere allem Anschein nach unvereinbare Ziele gleichzeitig zu realisieren. Präsident Reagan hatte sich nämlich zum Ziel gesetzt, bis 1984 das Haushaltsdefizit vollständig abzubauen. Aufgrund der vorgesehenen Steuersenkungen konnte dies aber nur über die Ausgabenseite des Budgets durchgesetzt werden. Hier gab es allerdings einige „heilige Kühe“, die aufgrund starker Interessenvertretungen als so gut wie unantastbar galten. Eine Erhöhung des Verteidigungsetats war für den Präsidenten genauso unverzichtbar wie die Steuerreform. Es mußte daher vorwiegend im Sozialbereich der Gürtel enger geschnallt werden. Für das Fiskaljahr 1982 waren daher Einsparungen in Höhe von 41. 4 Milliarden Dollar vorgesehen, die sich folgendermaßen aufteilten, diverse Sozialprogramme, einschließlich „medicaid“ (gesetzliche Krankenversicherung), „Essensmarken“ (Nahrungsmittelzuschüsse) 10, 1 Mrd. US-Dollar; Personalausgaben auf Bundesebene (Personalkürzungen, Kürzung von Zusatzleistungen wie Weihnachtsgeld, reale Lohnkürzungen) 6, 3 Mrd. US-Dollar; Abbau von Beschäftigungsprogrammen 6, 1 Mrd. US-Dollar; Subventionsabbau (Molkereiindustrie, Transportindustrie, Bundespost) 3, 3 Mrd. US-Dollar; Abbau direkter Investitionsförderungsmaßnahmen 3, 1 Mrd. US-Dollar; Sparmaßnahmen im Bildungssektor, insbesondere Kürzung von „Studentendarlehen“ 1, 6 Mrd. US-Dollar; Eliminierung von Wohnungsbauprogrammen, Mietsubventionen 0, 6 Mrd. US-Dollar sowie Diverses von 1, 3 Mrd. US-Dollar: Die Summe der Kürzungen belief sich auf 41, 4 Mrd. US-Dollar.
Obwohl die Ausgabenkürzungen vorwiegend die unteren Einkommensklassen trafen, bezeichnete sie Präsident Reagan als „gerecht und sozial ausgewogen“. Der demokratische Widerstand im Kongreß konnte durch geschicktes Taktieren des OMB-Chefs Stockman überwunden werden, der es verstand, mit mehr oder minder belanglosen Zugeständnissen einzelne Interessengruppen zu ködern. Bei der Verabschiedung des ersten Bundeshaushalts unter Präsident Reagan blieben von den geplanten Kürzungen in Höhe von 41, 4 Mrd. US-Dollar immerhin 36 Mrd. US-Dollar erhalten.
Die Kombination aus der Steuerreform „ERTA“ und einer sehr restriktiven Sozialpolitik, die allen negativen Voraussagen zum Trotz innerhalb weniger Monate durch beide Kammern des Kongresses geboxt werden konnte, stellte die Weichen für die größte wirtschaftspolitische Wende seit Roosevelts „New Deal“ zu Beginn der dreißiger Jahre.
Inmitten der Euphorie, die sich angesichts des ersten großen wirtschaftspolitischen Erfolges in Regierungskreisen breitmachte, bewahrte lediglich Stockman einen kühlen Kopf. Der OMB-Chef hatte früh erkannt, daß auf der Kehrseite der Medaille die Entwicklung des Haushaltsdefizits stand. Als Stockman wenige Tage nach der Senatsabstimmung Präsident Reagan in einem vier-Augen Gespräch mitteilte, daß es unter den gegebenen Voraussetzungen unmöglich sein werde, den Bundeshaushalt bis 1984 auszugleichen, soll der Präsident gesagt haben: „Wenn das stimmt, hatte ja Tip O’Neill (demokratischer Abgeordneter und Sprecher des Repräsentantenhauses) die ganze Zeit Recht!“
Stockman, der mit seinen Thesen an die Öffentlichkeit ging und in einem aufsehenerregenden Inter-view zugab, daß „einige Aspekte der angebots-orientierten „Reaganomics“ durchaus unrealistisch waren“ wurde als Verräter abgestempelt und reichte dann Anfang 1982 seinen Rücktritt ein.
IV. Die Deregulierungspolitik der Reagan-Administration
Zwischen Mitte der sechziger Jahre und dem Amtsantritt Ronald Reagans wurden in den Vereinigten Staaten etwa zwanzig neue Regulierungsbehörden gegründet. Etliche Bereiche sollten durch staatliche Eingriffe strikteren Vorschriften unterliegen: das Gesundheitswesen, die Umwelt, Arbeitsplatzsicherheit und vor allem der Energiesektor und das Transportgewerbe. Zu den wichtigsten Neugründungen zählten die Consumer Product Safety Commission (CPSC) als Verbraucherschutzbehörde, die National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) zur Überwachung der Straßenverkehrs-sicherheit, die Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) sowie die Occupational Safety and Health Administration (OSHA), die für die Überwachung der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zuständig ist.
Nach einer Studie des angesehenen Nationalökonomen Murray Weidenbaum entstanden durch den „Dschungel“ an Regulierungsvorschriften jährliche Kosten bis zu einer Höhe von 66 Mrd. US-Dollar Ein großer Teil des Produktivitätsverlustes in der amerikanischen Wirtschaft wurde ebenfalls auf die Regulierungswelle der vorangegangenen Jahre zurückgeführt, und eine weitere Studie behauptet, daß amerikanische Bürger jährlich etwa 1, 5 Mrd. Stunden an Zeit aufwenden würden, um Formulare auszufüllen.
Bezeichnenderweise war es die sozialliberale Regierung von Jimmy Carter, bei der erste Ansätze gemacht wurden, die Zügel etwas zu lockern. Die zivile Luftfahrt wurde vollständig dereguliert, und im September 1980 beschloß der Kongreß, Ölpreiskontrollen ein Jahr später völlig abzuschaffen. Unter Ronald Reagan sollte jedoch die Lawine erst richtig ins Rollen kommen. 1. Maßnahmen unter der neuen Regierung Mit ihrem klaren Bekenntnis zum Rückzug des Staates aus der Wirtschaft hatten sich die „Reaganomists“ zum Ziel gesetzt, dem Trend der vorangegangenen 15 Jahre Einhalt zu gebieten. Die neue Regierung zögerte auch nicht lange, ihr umfassendes Deregulierungsprogramm in die Praxis umzusetzen. Am 22. Januar 1981. vierzehn Tage nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten, wurde unter der Leitung von Vizepräsident George Bush der „Presidential Task Force on Regulatory Relief“ gegründet, dem die Durchsetzung und Überwachung der Deregulierungspolitik oblag. Sechs Tage später wurden durch eine Verordnung des Präsidenten zahlreiche Vorschriften für sechzig Tage außer Kraft gesetzt, vorbehaltlich einer Überprüfung durch die neue Regierung. Die Ölpreiskontrollen wurden mit sofortiger Wirkung aufgehoben und das „Council on Wage and Price Stability“, das 1975 zur Inflationsbekämpfung gegründet worden war. wurde aufgelöst.
Dreh-und Angelpunkt der Deregulierungsoffensive war jedoch eine Verordnung des Präsidenten, die am 17. Februar erlassen wurde: Das OIRA (Office of Information and Regulatory Affairs) sollte künftig veranlassen, daß alte und neue Vorschriften, die staatliche Eingriffe in die Privatwirtschaft zur Folge hätten, einer „Kosten-Nutzen“ -Prüfung unterzogen werden. Den Urhebern der neuen Verordnung war freilich bewußt, daß eine Quantifizierung der Vor-und Nachteile bestimmter Vorschriften schwierig, teilweise sogar unmöglich sein würde. Offenkundiges Ziel war es daher auch, der Regierung die Möglichkeit einzuräumen, neue Regelungen vor ihrem Inkrafttreten zu überprüfen und eventuelle Ergänzungen vorzunehmen. Daß es sich dennoch vorwiegend um einen symbolischen Schritt handelte, zeigten die Erfolge der ersten Monate deutlich: Von 172 neuen Vorschriften traten 112 unverändert in Kraft, und lediglich achtzehn wurden zurückgezogen oder abgeschafft
Die ersten Anstrengungen der neuen Regierung waren von Enthusiasmus und guten Absichten gekennzeichnet. Die Begeisterung ließ jedoch bald nach, und in den darauffolgenden sieben Jahren stellten sich eher bescheidene Erfolge ein.
Rundfunk und Kommunikation: Seit Beginn der dreißiger Jahre liegt die Zuständigkeit für die Vergabe von Sendefrequenzen beim „Federal Communications Commission“ (FCC). Die Vergabe an neugegründete Rundfunkstationen hing in vielen Fällen von Zugeständnissen hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung bestimmter Sendungen ab. Der von Präsident Reagan ernannte neue FCC-Vorsitzende, Mark Fowler, hatte die Aufgabe, die De-regulierung im Hörfunksektor voranzutreiben und verkrustete bürokratische Strukturen, die häufig zu Protektion und Mißbräuchen geführt hatten, aufzulösen. Erneuerungsanträge für abgelaufene Rundfunklizenzen wurden unter Fowler schneller und unbürokratischer abgewickelt Außerdem sollte der Markt allmählich geöffnet werden, indem zunächst die Sendeabstände von zehn auf neun Kilohertz reduziert werden sollten. Dieser Vorstoß verlief aber nach einiger Zeit genauso im Sande wie der Versuch, den einzelnen Femsehstationen mehr Freiheiten bei der Urheberschaft neuer Serien sowie der allgemeinen Programmgestaltung einzuräumen. In letzterem scheiterten sämtliche Anstrengungen am Widerstand der sogenannten „Hollywood-Mafia“ innerhalb der Bundesregierung. Film-und Fernsehproduzenten aus Hollywood hatten bei „alten Freunden“ in Washington ihren Einfluß geltend gemacht, um sich die Konkurrenz vom Leibe zu halten
Energiepolitik: Wie auch in vielen anderen Bereichen wollte Präsident Reagan den Einfluß der öffentlichen Hand im Energiesektor aufein Minimum reduzieren. Der erste entscheidende Schritt war die Aufhebung der 1971 eingeführten Ölpreiskontrollen. Diese Maßnahme zeitigte ungewöhnliche Erfolge und schien den Bemühungen der neuen Regierung Recht zu geben: Seit März 1981 gingen Rohöl-und Benzinpreise fast ununterbrochen zurück. Trotz der sinkenden Preise stieg die inländische Produktion bis 1982 um fast 50 Prozent.
Die Widersprüchlichkeit der Reaganschen Energie-politik drohte jedoch bald, die ersten, erfolgreichen Deregulierungsschritte ad absurdum zu führen: Während die Ölpreise nunmehr den Gesetzen des freien Marktes unterliegen sollten, wurden die Erdgaspreise weiterhin von Washington aus diktiert. Der „Natural Gas Policy Act“ aus dem Jahre 1978 bewirkte zwar eine teilweise Aufhebung der staatlichen Eingriffe. Bis 1985 sollten nämlich die Preis-obergrenzen für „neues“ Erdgas aufgehoben werden. das aus Quellen stammte, die erst nach 1977 erschlossen wurden. „Altes“ Erdgas hingegen unterlag nach wie vor staatlich festgelegten Preisobergrenzen. Nach Auffassung vieler Experten würde jedoch eine vollständige Deregulierung Verbrauchern und Unternehmern gleichermaßen zugute kommen: Die Produktion und somit das Angebot würden steigen, und die wichtigste Folge aus der Sicht der Konsumenten wäre eine voraussehbare Preisentwicklung
Dieser Vorschlag, den die Regierung 1986 im Kongreß als Gesetzesvorlage eingebracht hat, ist jedoch bisher ohne Resonanz geblieben. Ähnlich verhält es sich mit Richtlinien zur Begrenzung des Benzinverbrauchs amerikanischer Personenkraftwagen und kleinerer Lastkraftwagen. Diese wurden unter der Carter-Administration eingeführt, um nach den Ölpreisschocks der siebziger Jahre eine Drosselung des Benzinverbrauchs zu erzwingen. Eine Anwendung der CAFE (Corporate Average Fuel Standards) -Vorschriften hätte bedeutet, daß die Regierung gegen amerikanische Autohersteller wie General Motors und Ford Strafen in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar hätte verhängen müssen. Gerade die größeren PKWs, die sich durch wesentlich höheren Benzinverbrauch auszeichnen, sind jedoch für die internationale Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Autoindustrie von entscheidender Bedeutung. Erst im Jahre 1986, als die Importbeschränkungen für japanische Kleinwagen aufgehoben wurden, schritt die Regierung zur Tat. Die CAFE-Regelungen wurden aber nur unwesentlich gelockert: Neu zugelassene amerikanische Autos müssen seit 1986 lediglich 26 Meilen pro Gallone zurücklegen können, während die Zahl vorher bei 27. 5 Meilen pro Gallone lag Auch in diesem Bereich sind seit 1986 keine Fortschritte mehr erzielt worden.
Finanzmärkte: Wie die jüngsten Zuspitzungen der amerikanischen Banken-und Sparkassenkrise zeigen. ist die Wirksamkeit der Finanzmarktderegulierung ebenfalls zweifelhaft. Der ehemalige Finanzminister Donald Regan hatte bereits vor seinem Amtsantritt die Weichen gestellt für eine Lockerung der staatlichen Zügel im amerikanischen Kreditwesen. Regan war zuvor Chef des prominenten Investment-Unternehmens „Merryl Lynch“ und hatte kleine und mittlere Investoren mit Anlage-möglichkeiten geködert, die eine wesentlich höhere Rendite versprachen als Sparbücher oder andere Bankeinlagen.
Da amerikanische Kreditinstitute seit 1933 vom Wertpapierhandel ausgeschlossen sind, wurden Kapitalanlagegesellschaften zur ernsthaften Konkurrenz für Privatbanken und Sparkassen Sparbücher wurden im Eiltempo aufgelöst, und die Banken wandten sich verzweifelt an den Gesetzgeber, der ihnen neue Tätigkeitsfelder eröffnen sollte.
Im Kongreß wurde daraufhin ein Gesetz verabschiedet. das die Zinsobergrenzen für Spareinlagenaufhob. Um mit dem reichhaltigen Angebot an Anlagemöglichkeiten, die aber ausschließlich den Investment-Fonds bzw. zugelassenen Börsenmaklern vorbehalten waren, konkurrieren zu können, zahlten die Banken ihren Kunden wesentlich höhere Zinsen. Die höhere Zinsbelastung leistete freilich einen bedeutenden Beitrag zur Insolvenzwelle, die seit einigen Jahren das Fundament des amerikanischen Kreditwesens ernsthaft in Frage stellt. 2. Zusanunenfassende Betrachtung — Deregulierung unter Präsident Reagan Neben angebotsorientierten Steuersenkungen war die Deregulierungspolitik die entscheidende Stütze des Reaganomics-Konzepts. Das klare Bekenntnis der neuen Regierung zu einem weitgehenden Rückzug des Staates aus der amerikanischen Wirtschaft beschränkte sich hauptsächlich auf medienwirksame Maßnahmen, deren Symbolwert ihre inhaltliche Bedeutung deutlich übertraf. Der von Vizepräsident George Bush geleitete „Presidential Task Force on Regulatory Relief“ veröffentlichte 1983 unmittelbar vor seiner Auflösung einen Ergebnisbericht, der von den meisten unabhängigen Experten heftig kritisiert wurde. Während der ersten zwei Jahre unter Präsident Reagan sollen durch Deregulierung Kostenersparnisse in Höhe von 16 Milliarden Dollar entstanden sein Künftig dürfe man mit weiteren jährlichen Einsparungen von 13 bis 14 Milliarden US-Dollar rechnen.
Andere unabhängige Studien sprachen sogar von Zusatzkosten, so daß von einem allgemeinen Konsens hinsichtlich der Auswirkungen der Deregulierungspolitik keine Rede sein kann. Schwierigkeiten entstanden vor allem bei der Quantifizierung bestimmter Variablen (bspw.: „Arbeitsplatzsicherheit), deren Nutzen sich nicht mit einem Preisschild versehen läßt.
Obwohl in einigen Bereichen (Energie, Finanzmärkte, Arbeitsplatzsicherheit) gewisse Fortschritte erzielt wurden, verliefen in wichtigen Sektoren jegliche Bemühungen im Sande. So scheiterten beispielsweise sämtliche Versuche, den „Clean Air Act“ (Gesetz zur Reinhaltung der Luft) sowie den „Clean Water Act“ zu reformieren und zu vereinfachen, am Widerstand einzelner Interessenvertretungen. Hinzu kommt noch, daß grundlegende legislative Veränderungen vermieden wurden. Ausnahmen stellten lediglich das „Garn-St. Germain“ -Gesetz (1982) zur Bankenreform sowie im selben Jahr ein Gesetz zur Reform der Tarifgestaltung im Busverkehr (Bus Regulatory Reform Act) dar.
Darüber hinaus prägten langatmige Debatten und kurzlebige Verordnungen das Geschehen. Vor allem in der Landwirtschaft scheiterten die Bemühungen, die besonders strikte Regulierung zugunsten privater Initiativen abzubauen, geradezu kläglich. Mit öffentlicher Unterstützung versperren kartellartige Zusammenschlüsse größerer Betriebe für eine Reihe landwirtschaftlicher Produkte kleinen und mittleren Unternehmen den Markt und haben somit eine oligopolistische Struktur heraufbeschworen. Dem ehrgeizigen Vorhaben Präsident Reagans, die amerikanische Wirtschaft von der Bürde öffentlicher Eingriffe weitgehend zu befreien, blieben bis heute nur äußerst bescheidene Erfolge beschert. Die Steuerpolitik wies hingegen auch nach dem „Economic Recovery Tax Act“ von 1981 eine gewisse Kontinuität auf.
V. Die Entwicklung bis 1988
1. Die weiteren Steuerreformen Bereits 1982 hatte die Regierung erkannt, daß der eingeschlagene Weg kaum zu der für 1984 vorgesehenen Budgetsanierung führen würde. Der Vorsitzende des Office of Management and Budget, David Stockman, hatte bereits für 1982 Steuererhöhungen vorgeschlagen, war damit aber nicht durchgedrungen. Als Stockman mit seinen umstrittenen Äußerungen an die Öffentlichkeit trat, schlossen sich auch einige Regierungsmitglieder Stockmans Thesen an. Es zeichnete sich jedenfalls eine langsame Abkehr der Bundesregierung vom Reaganomics-Dogma ab. Die unerbittliche Realität eines ausufernden Haushaltsdefizits zwang Präsident Reagan dann auch, zur Tat zu schreiten und sich mit dem Gedanken möglicher Steuererhöhungen anzufreunden. Die im Rahmen des Economic Recovery Tax Act eingeführten Einkommensteuersenkungen blieben zwar unangetastet. Dafür wurden Verbrauchssteuererhöhungen sowie eine Quellensteuer auf Zins-und Dividendeneinkommen eingeführt
1982 hieß das große Steuergesetz Tax Equity and Fiscal Responsibility Act (TEFRA). Der anspruchsvollen Titulierung als „Gesetz für Steuergerechtigkeit und haushaltspolitische Verantwortung“ konnte TEFRA jedoch nicht ganz gerecht* werden. Wichtig war vor allem die Abschaffung einiger Investitionsanreize, die im Vorjahr durch den ERTA in Kraft getreten waren und in vielen Fällen zu den bereits angesprochenen „Negativsteuern“ geführt hatten. Von TEFRA, das geringfügige Veränderungen bewirkte, ohne aber das grundlegende wirtschaftspolitische Konzept der Regierung in Frage zu stellen, versprach man sich innerhalb von drei Jahren Mehreinnahmen in Höhe von etwa 100 Mrd. US-Dollar.
Im Wahljahr 1984 wurde ein weiteres Steuergesetz verabschiedet, das in Anbetracht der politischen Umstände zwei wesentliche Voraussetzungen zu erfüllen hatte: Es mußten Maßnahmen ergriffen werden. die auf der Einnahmenseite zur Budgetsanierung beitragen. Die Steuererhöhungen mußten jedoch „unsichtbar“ bleiben, damit bei der Präsidentschaftswahl den regierenden Republikanern keine Nachteile entstünden. Abgesehen von geringfügigen Verbrauchsteuererhöhungen sowie dem teilweisen Abbau indirekter Investitionsförderungsmaßnahmen sorgte ein Präzedenzfall für Aufregung in der amerikanischen Öffentlichkeit: Um Mißbräuchen bei den Empfängern von Sozialleistungen vorzubeugen, wurden erstmals Daten, über die bislang jeweils nur einzelne Bundesbehörden (so z. B.
die Steuerbehörde Internal Revenue Service) verfügten. zusammengelegt. Direkte Vergleiche sollten mögliche Unregelmäßigkeiten aufdecken und somit Fahndungen und Ermittlungen nach „Mehrfachempfängern“ erleichtern. Dieser Passus wurde nicht nur deswegen kritisiert, weil er in einem Steuergesetz fehl am Platz erschien und gegen den Geist der Reaganschen Deregulierungspolitik verstieß, sondern es war vor allem zweifelhaft, ob nicht Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen vorliegen könnten. Der Deficit Reduction Act (DEFRA) von 1984 blieb jedoch, ähnlich wie TEFRA im Jahre 1982, weit hinter den Erwartungen zurück.
Das jüngste Kapitel in der Geschichte der amerikanischen Steuerpolitik war zugleich eines der umfassendsten. Im Mittelpunkt der Steuerreform von 1986 stand eine weitere Entlastung im Bereich der persönlichen Einkommensteuer. Das Steuersystem sollte durch die Abschaffung diverser Vergünstigungen und die Verringerung von 14 auf lediglich zwei Einkommensteuersätze überschaubarer gemacht werden und durch die Schließung zahlreicher „Schlupflöcher“ zusätzliche Einnahmen sicherstellen. Seit 1988 unterliegen Einkünfte aus selbständiger und unselbständiger Arbeit einem Steuersatz von 15 oder 28 Prozent Die Körperschaftssteuer wurde angehoben, und zwar bis zu einem Höchstsatz von 34 Prozent, Abschreibungsmöglichkeiten und Investitionsfreibeträge wurden ein-geschränkt und der Investitionssteuerkredit für Forschungsausgaben auf 20 Prozent reduziert. 2. Ausgabenpolitik Kernpunkt der Reaganschen Haushaltspolitik war eine Drosselung der Zuwachsrate der öffentlichen Ausgaben. Der Verteidigungsetat sollte aufgestockt und die Sozialausgaben auf das sogenannte „soziale Sicherheitsnetz“ reduziert werden. Hierzu gehörten Arbeitslosenunterstützung, Rentenzahlungen (im Rahmen des social security Systems), Familienbeihilfe sowie die Invalidenrente. Die umfassendsten Kürzungen bezogen sich auf das Bildungswesen, Arbeitsmarktförderung sowie Wohnungsbeihilfe und Verpflegungszulagen für Familien. die oberhalb der Armutsgrenze leben.
Obwohl die reale Zuwachsrate der Sozialausgaben von 4, 6 auf 2, 5 Prozent zurückgeführt werden konnte, wurden auch hier die geplanten Kürzungen nicht in vollem Umfang durchgesetzt. Drei Kriterien werden hierfür als Hauptursachen angeführt: — Die Wirtschaft wuchs während der ersten Reagan-Jahre langsamer als erwartet. Arbeitslosenzahlungen sowie andere Transferzahlungen wurden demzufolge stärker in Anspruch genommen. — Viele Sozialprogramme, die nach Wunsch der Regierung gestrichen werden sollten, blieben aufgrund des Widerstandes im Kongreß bestehen. — Die Ausweitung der Agrarsubventionierung hat die öffentlichen Haushalte stärker als erwartet belastet. Die Entwicklung des Haushaltsdefizits unterstreicht jedenfalls, daß der ehemalige OMB-Chef David Stockman, der von „einigen unrealistischen Aspekten“ der Reaganomics sprach, mit seiner kritischen Voraussage recht behalten hat. Das Ziel der Reagan-Administration, bis 1984 den Bundeshaushalt zu sanieren, war mit dem Bekenntnis zu kontinuierlichen Einkommensteuersenkungen kaum vereinbar. Die Vereinigten Staaten sind in der Zwischenzeit vom weltgrößten Gläubiger zum welt-größten Schuldner geworden.
VI. Die Reagan-Bilanz
Die wirtschaftspolitische Bilanz der Reagan-Administration präsentiert sich als zweischneidiges Schwert. Hinter unbestrittenen Erfolgen, die man noch vor sieben Jahren für unmöglich gehalten hätte, verbergen sich die Schattenseiten. Das „Wirtschaftswunder“ wird vom republikanischen Präsidentschaftskandidaten George Bush im Wahlkampf stark hervorgehoben. In den entgegengesetzten Standpunkten des Vizepräsidenten und seines demokratischen Kontrahenten Michael Dukakis spiegelt sich auch die Widersprüchlichkeit der Reaganschen Wirtschaftspolitik wider:
Auf den ersten Blick erscheint die Bezeichnung „Reagan-Revolution“ mit dem daraus resultierenden „Wunder“ durchaus gerechtfertigt. Innerhalb von sieben Jahren sind über siebzehn Millionen neue Arbeitsplätze entstanden. Die Arbeitslosenrate wurde von über 7 Prozent auf 5, 2 Prozent, das niedrigste Niveau seit 1974, zurückgeführt. Als Ronald Reagan den demokratischen Präsidenten Jimmy Carter im Weißen Haus ablöste, war der Begriff der „Stagflation“ in aller Munde. Von Wirtschaftswachstum konnte keine Rede sein, da das Bruttosozialprodukt um jährlich 0, 2 Prozent schrumpfte. Gleichzeitig betrug aber die Preissteigerungsrate 14 Prozent, und in ihrem Sog schossen die Zinsen in die Höhe, teilweise bis zu 21 Prozent. Sieben Jahre später wächst die Wirtschaft um 3, 3 Prozent pro Jahr, und die Inflationsrate liegt bei 4, 3 Prozent. Die Zinssätze haben sich in der Zwischenzeit halbiert und maßgeblich zur Belebung der Investitions-und Konsumnachfrage beigetragen. Auf diese unbestrittenen Erfolge verweist George Bush und reklamiert sie als Verdienst der republikanischen Regierung, in der er immerhin der „zweite Mann“ war. Für den Fall eines Wahlsieges hat Bush dreißig Millionen weitere Arbeitsplätze in Aussicht gestellt.
Auf der Kehrseite der Medaille steht die soge-nannte „Neue Armut“. Der demokratische Kandidat Dukakis verweist darauf, daß das heutige Pro-Kopf-Einkommen der Amerikaner dem Niveau von 1968 entspricht. Das Handelsministerium hat Anfang September Statistiken über die Einkommensverteilung in den USA veröffentlicht. Die Zahl der Amerikaner, die unterhalb der offiziellen Armutsgrenze leben, wuchs im Vorjahr auf 33 Millionen. Daß jeder achte Amerikaner in Armut lebt, auf der anderen Seite aber 17 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden sind, erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Einen entscheidenden Beitrag hierzu hat jedoch das Stagnieren des gesetzlichen Mindestlohns geleistet. Seit 1981 beträgt der Mindestlohn, der nicht einmal der Inflationsrate angepaßt wurde, 3, 35 US-Dollar pro Stunde. Ein überproportionaler Teil der neuen Jobs bewegt sich in diesem unteren Bereich. Der demokratische Senator Ted Kennedy erklärt sich das Phänomen folgendermaßen: „In den Vereinigten Staaten wird immer noch derjenige akzeptiert und anerkannt, der einen schlechtbezahlten Job einer (eventuell) besser bezahlten Arbeitslosigkeit vorzieht.“ Die offizielle Armutsgrenze wurde vom Statistischen Bundesamt (U. S. Census Bureau) auf 11 600 US-Dollar (für eine vierköpfige Familie) festgesetzt. George Bush erinnert zwar daran, daß das Durchschnittseinkommen einer vierköpfigen Familie um 1, 1 Prozent auf 31 000 US-Dollar gestiegen ist, doch sechzig Prozent des Zuwachses kommen der höchsten Einkommensteuerklasse zugute.
Hinter der eleganten Wahlkampfrhetorik verbergen sich dann noch die sogenannten „Zwillingsdefizite“. Das Haushaltsdefizit erreichte vor zwei Jahren 220 Mrd. US-Dollar, und der Negativsaldo im Außenhandel weist erst seit Mitte 1988 gewisse Besserungstendenzen auf. Auch der „Neue Föderalismus“ zeigte nur geringe Erfolge. Etliche Aufgaben, vor allem im Sozialbereich, wurden an die Einzelstaaten und Gemeinden zurückdelegiert. Die dezentralen Körperschaften verzeichneten zu Beginn der siebziger Jahre Überschüsse, die in der Summe dem Defizit des Bundeshaushaltes entsprachen. In der Zwischenzeit schreiben jedoch die Einzelstaaten ebenfalls rote Zahlen, und der Negativsaldo im Bundeshaushalt liegt nach wie vor bei etwa 150 Mrd. US-Dollar.
Peter De Thier, Diplom-Volkswirt, geb. 1961; Studium der Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien/Hochschule für Welthandel; zur Zeit als Wirtschaftskorrespondent für die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau und Die ZEIT in Washington tätig. Veröffentlichungen: Zahlreiche Zeitungsartikel und Rundfunkbeiträge zu wirtschaftspolitischen Fragen.
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