Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich mit den Bedingungen einer Neubestimmung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern. Sie zielen, aus der Sicht eines Mannes, auf die Idee der „Partnerschaft“ als positiver Vision. Gleichzeitig soll damit zum Forschungsfeld der „Geschlechterforschung“ beigetragen werden, die es unter diesem Begriff, zumindest in der Bundesrepublik Deutschland. noch nicht gibt. Anknüpfungspunkte für solches Nachdenken bestehen zahlreich: Das traditionelle Männerbild scheint — in Reaktion auf ökonomische wie kulturelle Veränderungen (Berufstätigkeit der Frauen. Frauenbewegung) — ins Wanken geraten zu sein; Männer kümmern sich mehr um ihre Kinder, um Hausarbeit, werden sensibler; zunehmend ist in wissenschaftlichen und populären Medien von den „neuen Männern“ und „neuen Vätern“ die Rede.
Nachdenken über das Geschlechterverhältnis ist ohne Bezugnahme, ja Anschluß an die Frauenforschung nicht möglich. Sie erst hatte, beginnend in den sechziger Jahren, „Geschlecht“ als soziale Kategorie zum Thema gemacht. Der feministische Blick hinter die unbefragte Normalität des Ausschlusses von Frauen stellt den wohl innovativsten Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Diskussion der letzten Dekaden dar. Doch trotz Frauenforschung und Frauenbewegung erfahren Frauen noch immer Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechtes, werden trotz der „Neuen Männer“ Frauen vergewaltigt, mißhandelt, pornographisch gedemütigt. Trotzdem fügt sich für viele Frauen in globalerer Sicht die Bilanz beider Tendenzen — Abbröckeln und (Wieder-) Stärkung von Männerdominanz — positiv, scheint ihnen die alte Idee der Gleichheit zwischen den Geschlechtern so nahe wie nie vor einer Realisierung.
Es gehe nicht mehr „um die Möglichkeit für Selbst-und Mitbestimmung, sondern um die Realisierung dieser Möglichkeiten und die Folgeprobleme, die hieraus entstehen“ fassen Uta Gerhardt und Yvonne Schütze die neue Herausforderung für Frauen zusammen.
Dies kann freilich nicht mehr allein eine Sache der Frauen bleiben. Erst in jüngster Zeit beginnen sich Männer systematisch mit der Frage zu beschäftigen, ob Partnerschaft zwischen den Geschlechtern möglich ist. Vor allem im englischsprachigen Raum beansprucht eine „Männerforschung“ mit der „Frauenforschung“ aufzuschließen Letztere verdankte ihren Impuls wesentlich der Frauenbewegung, damit der sozialen Diskriminierungserfahrung und dem Bedürfnis nach Gleichheit der Geschlechter. Das können Männer nicht wiederholen: Eine „Männerbewegung“ als Plagiat der Frauenbewegung ist unmöglich. Wenn Männer ein Interesse an einer Veränderung des Geschlechterverhältnisses haben, an einer Bewegung in Richtung Partnerschaft. so hat es viel mit ihrer persönlichen Erfahrung zu tun: „Sie haben eine Beziehung zu einer feministischen Frau, die von ihnen verlangt, sensibler zu werden, ein bestimmtes Männerverhalten zu ändern usw. Andere Männer sind intrinsisch motiviert: Sie sind es leid, weiterhin jenen Rollenerwartungen zu genügen, die sie an ihrer Arbeitsstätte, in der Familie oder in ihrem Intimbereich erfüllen sollen.“ Doch das „Andere“. Neue zu finden, fordert nicht nur im persönlichen Bereich heraus. Ist es dasselbe „Neue“, Utopische, wie die Gleichheitsidee der Frauenbewegung, vergleichbar deren Interesse an einer Beseitigung patriarchaler, frauen-beherrschender Strukturen, also auch politisches Interesse?
Die persönliche und politische Perspektive des Geschlechterverhältnisses gestalten zu wollen, setzt ei-nen Begriff des GeschlechterunterschiedeS voraus. Wer Mann und Frau für „natürlich“ ungleich, gar unterschiedlich wertvoll hält, wird eine andere Per-spektive vermuten als derjenige, der selbst die biologischen Unterschiede für unwesentlich erachtet.
I. Geschlecht und soziale Theorie
Am Beginn der Sozialwissenschaften stand die Kritik sozialer Ungleichheit, der Armen-und Arbeiterfrage Doch daneben war die „Frauenfrage“ das zweite große, die sozial-und gesellschaftspolitische Diskussion des 19. Jahrhunderts beherrschende Thema. Von John Stuart Mill. August Bebel, Charles Fourier bis hin zu Lorenz von Stein. Herbert Spencer und Georg Simmel reicht die Reihe von Männern und wenigen Frauen, die sich mit den Frühformen der „Frauenforschung“ befaßten Die Verwendung dieses Begriffes rechtfertigt sich aus dem Gegenstandsbereich dieser wissenschaftlichen Bemühungen: der Frauen-und Geschlechter-frage. Im Unterschied zur Thematisierung der Arbeiterfrage wurde die Ungleichheit der Geschlechter biologistisch begründet, in der Evolutionstheorie Herbert Spencers beispielsweise mit der angeblichen psychischen Inferiorität der Frau (größere Emotionalität und Spontaneität, geringere Weitsichtigkeit. wenig ausgeprägter Gerechtigkeitssinn). Doch auch Autoren, die wie Georg Simmel den Forderungen der Frauenbewegung gegenüber aufgeschlossener waren — er betrachtete die Frau als das psychisch einheitlichere, in sich abgeschlossenere Geschlecht. — sahen die Frauen vorrangig über die biologische Funktion als Mutter vermittelt.
Sofern im 19. Jahrhundert von einer Geschlechter-forschung gesprochen werden kann, konstituierte sich für sie die Geschlechterfrage als Naturfrage. Frauen waren vor allem Gegenstand von Medizin und Biologie Der Beginn der sozialwissenschaftlichen Thematisierung von Geschlecht fiel in eine Phase, in der die frühaufklärerische Kritik an Vorurteilen. die Begründung menschlicher Emanzipation wieder in Frage stand. Immanuel Kant markiert diese „für die Entwicklung des bürgerlichen Weiblichkeitsbildes entscheidende geistesgeschichtliche Schwelle zwischen dem Paradigma der frühaufklärerischen Kritik androzentrischer Weiblichkeitsentwürfe und demjenigen der Wiederetablierung der die Frau zum . Anderen* bestimmenden Geschlechtscharakteristika“ Die Verknüpfung des biologischen GeschlechterunterschiedeS mit Charaktermerkmalen — Frau als Geschlechts-wesen. Mann als Kulturarbeiter (Marianne Weber) — ist nicht erst im 18. Jahrhundert „erfunden“ worden, wie Karin Hausen annimmt sie wurde hier, sozialhistorisch nachvollziehbar, wiederbelebt. Der biologisch begründete Geschlechterdualismus findet sich bereits bei Aristoteles, in der Definition des Männlichen als strukturell von Natur aus über das Weibliche Herrschende Er durchzieht das Menschheitsdenken, allerdings, wie wir noch zeigen werden, mit großen Variationen. Auf der einen Seite finden sich vor allem in der abendländischen Geistesgeschichte dualistische Interpretationen, die die biologischen Unterschiede verlängern und einer (zweiwertigen) Hierarchie Materie-Geist zuordnen. In dieser Tradition bewegt sich auch die Forderung nach „Gleichheit“ als Forderung nach Aufhebung dieser Hierarchie. Auf der anderen Seite findet sich vor allem im östlichen Denken, aber auch in den esoterischen Strömungen des Okzidents (Kabbalah, hermetisches Denken etc.) eine zwar polare, doch nicht-hierarchische Sicht auf das Geschlechterverhältnis. In dieser Tradition bewegt sich die Forderung nach „Partnerschaft“.
II. Zum Natur-Kultur-Dualismus in der Theorie der Geschlechter
Die Erkenntnis, daß der Mensch sowohl Natur-als auch Kulturwesen ist, scheint allgemein geteilt. Die Frage nach dem Verhältnis von Anlage und Umwelt, von Biologie und Gesellschaft gehört zu den Schlüsselfragen der Sozialwissenschaften. In der Ethnologie kristallisierte sie sich in der immer wieder aufflammenden Kontroverse zwischen „biologischen Deterministen“ und „Kulturalisten“ als „nature“ versus „nurture"; in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen beispielsweise als Kontroverse zwischen Vererbungstheorien und environmentalistischem Determinismus.
Die Frage, was dem Menschen an Selbst-Veränderung möglich ist, stellt sich verstärkt, wenn gesellschaftliche Veränderungen gewünscht werden, die einen „anderen Menschen“ voraussetzen oder zur Folge hätten. Vor allem Forderungen nach „Gleichheit“ sind regelmäßig mit der Vermutung einer „natürlichen“. zumindest einer unvermeidlichen Ungleichheit konfrontiert. Kant interpretierte dies positiv und schrieb der „Ungleichheit unter den Menschen“ zu, „eine reiche Quelle so vieles Bösen, aber auch alles Guten“ zu sein Doch unabhängig davon, ob Ungleichheit nützlich ist und für wen. stellt sich vorab die Frage, ob sie natürlich ist. woher sie also konstituiert wird, und ob Ungleichheit mit Herrschaft und Unterdrückung einher gehen muß.
Während die Kategorie des „Geschlechtes“ bei den Klassikern der neueren deutschen Anthropologie (Gehlen. Plessner u. a.) nicht vorkommt, ist die Frauenforschung/feministische Forschung in den USA ganz wesentlich von anthropologischen (und ethnologischen) Zugängen geprägt; Frauenforschung wurde hier überhaupt erstmals akademisch institutionalisiert Die „natürliche“ Unterordnung der Frau wie die „natürliche Dominanz des Mannes“ wurde von feministischen Wissenschaftlerinnen in der Anthropologie, doch auch in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen — vor allem der Sozialpsychologie und der Soziologie — früh und systematisch in Frage gestellt. Sie befanden sich dabei in einer breiten sozialwissenschaftlichen Zeitströmung der psychologischen und soziologischen Theorie der Geschlechterrolle, deren Beginn in den USA der dreißiger Jahre liegt Ganz unterschiedliche Theorieströmungen — Behavioristen, Strukturfunktionalisten, Interaktionisten —, die sich im übrigen auch innerhalb der „women’s studies“ wiederfinden, eint dabei die Überzeugung der gesellschaftlichen Formung menschlichen Verhaltens.
Nicht zuletzt als Reflex auf den kulturalistischen mainstream der (amerikanischen) Sozialforschung wurde die Gegenthese einer explizit biologischen Prägung sozialen Verhaltens ständig weiterentwikkelt. Untermauert mit empirischen Daten zur Geschlechterverschiedenheit hinsichtlich von Physiologie, genetischer Struktur etc. wurde versucht, die „natürliche Dominanz des Mannes“, gar die „Unvermeidlichkeit des Patriarchats“ aus der Biologie zu erklären. Die in diesem Buch prototypische soziobiologistische Argumentation läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Männer sind aufgrund hormoneller Einflüsse aggressiver als Frauen, 2. Männer dominierten in jeder bekannten Gesellschaft, 3. beide Aspekte hängen zusammen. Da Männer aggressiver sind, versuchen sie Frauen sowohl im alltäglichen, familiären Leben als auch in politischen Situationen zu dominieren. 4. Soziale Institutionen passen sich der Realität des biologischen Geschlechts an. 5. In zwei Gesellschaftstypen könne männliche Dominanz reduziert werden: in primitiven Gesellschaften mit ähnlichen ökonomischen Rollen für Männer und Frauen und in stratifizierten Gesellschaften, die einen relevanten Teil sozialer (Macht-) Positionen vererben, anstatt durch Wettbewerb vergeben. Komplexe und demokratische Gesellschaften seien daher besonders pa-triarchal. 6. Auch die Erziehung der Kinder ändere an der Dominanzstruktur nichts. Es sei folglich vernünftig. Mädchen nicht auf Wettstreit mit Jungen zu orientieren, um sie nicht unnötig zu frustrieren. Es gebe, so Goldberg, ein Maß an sozialer Gleichheit, das nicht überschritten werden könne, ohne daß eine Gesellschaft ihr Überleben gefährde: „Wir könnten den Grad männlicher Aggressivität in der heutigen amerikanischen Gesellschaft auf den geringstmöglichen Wert einer industriellen Gesellschaft reduzieren . . . wenn wir dazu bereit sind, die Wissenschaft aufzugeben, bürokratische Organisationen, Industrie und Demokratie.“
Kulturalistische und biologistische Interpretationen scheinen auf den ersten Blick Welten zu trennen. Während die einen die Gestaltbarkeit des Geschlechterverhältnisses durch soziale Verhältnisse betonen, insistieren die anderen auf den unwandelbaren Anteilen. Eine Synthese ist freilich nicht so einfach, wie es die Formulierung einer Feministin nahelegt, die den Kulturalismus der Frauenbewegung kritisiert: „Was die Frauenbewegung nötig hat, ist nicht der durch edle Affekte legitimierte Verzicht auf Biologie, sondern ein Begriff vom Geschlechterunterschied, der die Legierung von Geschichte und Natur verstehen lernt.“ Wie aber sind Biologie und Gesellschaft „legiert“? Vielleicht so, wie es im ersten systematischen deutschen Buch zur „Männerfrage“ vermutet wird? Der Berliner Soziologieprofessor Walter Hollstein meint, an der Gebährfähigkeit der Frau zeigen zu können, daß „dadurch die Frau — nämlich während der Schwangerschaft und Kinderpflege — ins Haus gezwungen wird und der Mann für . außerhäusliche* Aufgaben freigesetzt wird.“ Die sei. so der männerbewegt argumentierende Autor, „unmittelbar aus der Biologie abzuleiten“ — ansonsten seien Herrschaftsund Machtstrukturen nur sozio-kulturell zu erklären. Diese Argumentation steht repräsentativ selbst für die Sozialwissenschaftler, die sich als vorurteilsfrei und aufgeklärt einschätzen. Sie ist soziobiologistisch und bestreitet es gleichzeitig — und produziert damit weiter den „Mythos Frau“.
Die Tatsache, daß allein Frauen gebären können, daß ihr ganzer Organismus (zumindest in der Geschlechtsreife) auf die Möglichkeit des Gebärens orientiert ist, diese sexuell-reproduktive Differenz zwischen den Geschlechtern ist ein unbestreitbares Faktum. Daß Frauen während der Schwangerschaft „ins Haus gezwungen“ seien, ist jedoch nicht allein vor dem Hintergrund, daß es beispielsweise bis zur Jahrhundertwende noch keinen Mutterschutz für Arbeiterinnen gab, falsch. Und auch die Behauptung, daß die „Kinderpflege“ ins Haus „zwinge“, kann wohl nur dann aufrechterhalten werden, wenn implizit von einer organischen/biologischen Disposition der Frauen zur Kinderpflege ausgegangen wird und vice versa von einem entsprechenden „Negativ-Gen“ beim Mann. Letzteres wird sich kaum finden lassen. Eine biologische Disposition zur Kinderpflege findet sich allenfalls in der mütterlichen Stillfähigkeit. Doch Kinderpflege ist nur zu einem kleinen Teil stillen. Dieses Beispiel läßt vielmehr vermuten, daß in die sozialwissenschaftliche Betrachtung des Geschlechterverhältnisses ideologische Vorurteile eingehen.
Frauen werden zuallererst als Mütter definiert. Diese weitgehend unhinterfragte Vorannahme kennzeichnet nicht nur die als statisch kritisierten Soziobiologen, sondern auch die von ihrer Konzeption her konträren Kulturalisten. Allen gilt die Mutterrolle. d. h. Gebären und Sorgen, als universal, nicht nur im phänomenologischen Sinne, sondern ontologisierend — und damit wird die positivistische.fragwürdige Position vollzogen.
Was aber ist wirklich Natur am Geschlechterverhältnis. was insoweit anthropologische Konstante? Nehmen wir nochmals den Blick der Soziobiologen ein, deren Forschungen in den letzten Jahren zunehmend auch in der feministischen Diskussion positiv rezipiert werden. Neurophysiologische, endokrinologische und genetische Forschungsergebnisse traten zunehmend an die Stelle ideologisierender. kaum begründeter Vorurteile, wie sie mit Stephen Goldberg die „alte“ Soziobiologie kennzeichneten. So versuchte die Soziologin Alice Rossi in der bis dahin explizit kulturalistisch orientierten „women’s studies“ -community der USA den Weg für einen biosozialen Forschungsansatz zu ebnen — mit heftigen Reaktionen Physiologische Geschlechterunterschiede lassen sich — neben der Anatomie — vor allem auf zwei Gebieten feststellen: So belegen neuere Forschungen eine „dimorphische“ Struktur des Gehirns, die für eher aggressive Verhaltensweisen von Männern sprechen könnte, jedoch durch unterschiedliche Hormonspiegel in der fötalen Phase beeinflußt werden können. Zum zweiten differiert bekanntlich die weibliche und männliche Hormonproduktion. Hinsichtlich des Verhaltens wirken sich sowohl die reproduktionsorientierten Hormone Gestagen und Östrogen bei Frauen, bei den Männern die Testosteronproduktion aus: „(a) das Testosteronniveau hängt mit Aggression zusammen; (b) Männer verfügen über ein breites Spektrum an biologisch de-terminierter Testosteronproduktion und diese wiederum kann (c) durch die soziale Umgebung erhöht oder reduziert werden.“
In einem vielzitierten, schon klassischen Beitrag feministischer Anthropologie hat Sherry Ortner die Dialektik von Natur und Kultur in der menschlichen Ontogenese und die häufige Identifizierung von Weiblichem mit Natur und Männlichem mit Kultur systematisch erörtert Kern ihres Arguments ist die Dialektik von Reinheit und Verschmutzung durch natürliche Vorgänge, die für einfache Gesellschaften nur mit Hilfe komplexer Rituale. also durch kulturelle Leistung, verarbeitet werden könne -Ritualisierung dient dabei der Verarbeitung von Ängsten, die durch unbegriffene Naturprozesse regelmäßig ausgelöst werden. Werden Frauen eher mit „Natur“ identifiziert, insoweit sie der Natur näherstünden als Männer, müssen Frauen als Teil der im Prinzip bedrohlichen und kulturell zu regulierenden Natur dem Kulturellen untergeordnet werden. Ortner betrachtet drei Begründungszusammenhänge, in denen Frauen als der Natur näher angesehen wurden/werden als Männer: 1. Frauen seien physiologisch näher der Natur. Mit Bezug auf Simone de Beauvoir betont sie. daß viele Körperfunktionen der Frau für ihre Individualität keine Rolle spielen, im Gegenteil häufig Quelle von Umständen sind. Die „Unterordnung der Frau unter die Art“ formt die Geschlechterrelation existentiell: „Auf der Ebene der Biologie erhält sich eine Art nur dadurch, daß sie sich immer neu erschafft; aber diese Schöpfung ist nur eine Wiederholung des immer gleichen Lebens unter wechselnden Formen. Erst indem der Mensch das Leben durch die Existenz übersteigt, sichert er die Reproduktion des Lebens; durch dieses Sichselbstüberschreiten schafft er Werte, die die bloße Wiederholung in den Schatten stellen.“ Dies, so Beauvoir, sei das Privileg des Mannes, der, „indem er der Gattung dient, gleichzeitig das Antlitz der Erde formt, neue Werkzeuge schafft“ vor allem aber, der in Jagd und Kriegführung sein Leben für andere, die Gesellschaft als Ganzes riskiere. Männliche Transzendenz versus weibliche Immanenz wäre dieser historisch-materialistischen Betrachtungsweise zufolge biologisch-physiologisch gegründet. 2. Die soziale Rolle der Frau ist gleichfalls naturnäher, denn ihre „physiologische Funktionen tendierten universell dazu, ihre soziale Beweglichkeit einzuschränken. Sie binden sie universell an soziale Räume, die wiederum als naturnäher angesehen werden, ... an den häuslichen, familiären Rahmen.“ Frauen sorgen: sie stillen, kochen, pflegen. Männer tun dies nicht, zumindest in weitaus geringerem Umfang auch dort, wo dies physiologisch möglich ist. Die geschlechtliche Arbeitsteilung trennt also private von öffentlichen Räumen. 3. Und auch die seelische Struktur der Frau wird als naturnäher angesehen. Während Männer eher einen objektivierenden und abstrakten Gegenstandsbezug entwickeln, ist derjenige von Frauen in nahezu allen Gesellschaften subjektiver und an konkreten Inhalten orientiert. Roilentheoretisch formulierte Talcott Parsons dies als überwiegende „Expressivität“ der Frau und überwiegende „Instrumentalität" des Mannes: „Die instrumentale Funktion richtet sich primär auf die Beziehungen zwischen der Gruppe und der äußeren Situation . . . Die expressive Funktion dagegen betrifft in erster Linie die Harmonie oder Solidarität der Gruppe selbst, die internen Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander und die . emotionalen 1 Spannungszustände. . . innerhalb der Gruppe.“ Bezog sich bereits Parsons auf die psychoanalytische Kategorie der Identifikation, so wurde in der feministischen Sozialforschung vor allem von Nancy Chodorow die Frage untersucht, welche Konsequenzen es für die psychosoziale Entwicklung von Frauen und Männern hat. daß die erste Liebesbeziehung/Objektbeziehung eines jeden Menschen eine Frau (die Mutter) ist: „Weil sie von Frauen aufgezogen wurden, wollen Frauen eher als Männer auch selbst Mütter werden, d. h. sich selbst in eine primäre Mutter-Kind-Beziehung zurückversetzen, Befriedigung aus dieser Beziehung ziehen und die psychologischen und beziehungsmäßigen Fähigkeiten dazu entwickeln.“
Psychoanalytisch-soziologisch wird damit die von Generation zu Generation geschehende Reproduktion des „Mutterns“ verständlich. Dies formt die seelische Struktur der Frauen/Mütter und der Männer. Carol Gilligan folgert daraus, daß auch die seelisch-moralische Entwicklung der Frauen nicht ein-fach, wie bei Freud und anderen männlichen Psychologen. als Abwesenheit männlicher Identitätsleistung gedeutet werden darf (z. B. Penisneid, geringere Ich-Stärke) Erst der Blick auf die historische Erfahrung des „Mutterns“ erklärt, warum Frauen eine so scheinbar andere „weibliche Moral“ entwickeln. Die männliche Biographie ist. so Gilligan im Anschluß an Chodorow, von Anbeginn durch Trennung und Individualismus, die weibliche hingegen durch Verbundenheit, Verantwortung und Fürsorge für den anderen geprägt 4. Als vierte Dimension wäre die Unterschiedlichkeit hinsichtlich der geistig/spirituellen Zuordnung dem Ortnerschen Schema hinzuzufügen: Die männliche Nähe zu Transzendenz erklärte die geringere Repräsentanz von Frauen in religiösen Systemen, ihren frühen Ausschluß aus Priesterkasten und religiösen Symbolen.
Kritisch einwenden läßt sich hinsichtlich des bereits erstgenannten physiologischen Faktors, daß das menschenschaffende, spezifisch weibliche Arbeitsvermögen gleichfalls riskant war. für die Frau selbst, als Individuum. In Beauvoirscher Logik: dem partikularen Risiko der Frau stehe das universale Risiko des Mannes gegenüber; also doch Immanenz versus Transdenzenz — womit Beauvoir (und mit ihr eine Generation von Feministinnen) freilich die selbstaufgestellte Regel mißachtet: „die . Schwäche erscheint nur als solche im Lichte der Zwecke, die der Mensch sich setzt“ Eine Gesellschaft. die dem Gebären transzendenten „Zweck“ verleiht und es nicht im patriarchalen Sinn sinnlos, weil „nur“ als körperlich interpretiert, spaltet das Weibliche nicht ab. Claude Levy-Strauss sah Frauen mehr noch als Männer in die Dialektik des Sozialen gezwungen. Subjekt der eigenen und Subjekt fremder Begierde zu sein, „und als solches wahrgenommenes Subjekt, d. h. als Mittel, die anderen zu binden, indem man sich mit ihnen verbündete“; ein dialektisches Argument gegen den Ausschluß von Frauen aus der Transzendenz: „Aber die Frau konnte niemals Zeichen werden und nur dies, da sie auch in einer Männerwelt immer noch eine Person ist und da sie in dem Maße, in dem sie als Zeichen definiert wird, als eine Erzeugerin von Zeichen anerkannt werden muß.“ Frauen stehen zwischen Kultur und Natur: ein Mangel?
Gewiß scheint es nur wenige Gesellschaften gegeben zu haben, in denen Väter auch nur einen in etwa relevanten Anteil der frühkindlichen Pflegetätigkeiten übernahmen. Doch konnte die „Unterordnung der Frau unter die Art“ zumindest partiell ausgeglichen werden: sei es materiell durch matrilineare und matrilokale Organisation des Verwandtschaftssystems und Erbrechtes, sei es (zusätzlich) seelisch durch die Existenz einer entwickelten Frauenkultur. oder geistig/spirituell durch Religionen, in denen weibliche Gottheiten einen gleichen oder auch höheren Rang einnahmen Ivan Illich hat. wenngleich unter Verzicht auf die Analyse von Macht-und Herrschaftsverhältnissen und insoweit idealisierend, materialreich die vorindustrielle Geschlechterwelt als „Genus“ -Welt analysiert, in der sich beide Geschlechter in allen kulturellen Systemen komplementär und nicht unbedingt hierarchisch ergänzten, eine je eigene Symbolik besaßen und eigene „Welten“ bevölkerten
Vor dieser, wie ich sie nennen möchte: „Historizität des Natürlichen“, des Biologischen, erscheinen auch die erwähnten, von Feministinnen wie Nancy Chodorow und Carol Gilligan erfolgten Revisionen der Psychoanalyse plausibel: ihre Betonung des sich selbst reproduzierenden, funktionalen Mechanismus von „mutternden“ (to mother) Müttern und ihren Töchtern, die jene frühkindliche, identitätsnotwendige Abgrenzung der Jungen von der Mutter nicht benötigen. Es scheint nicht berechtigt, diese Überlegungen schlicht als „ahistorisch“, gar „ethnozentrisch und elitär“ abzutun Ganz im Gegenteil: erst die Aufdeckung von an biologischen Differenzen anknüpfenden sozialen Klassifikationen verhindert ihre biologistische Mystifikation.
Anthropologische Universalisierungen des Geschlechterverhältnisses mögen schon problematisch sein. Wissenschaftlich unhaltbar ist gewiß die Ontologisierung und damit die Verlängerung sozialer Praxis mit dem Verweis auf biologische Geschlechterdifferenzen. Ist also doch alles kulturell „machbar“. trotz Biologie, oder wie ein Familiensoziologe die Perspektiven des Geschlechterverhältnisses resümierte: „anything goes“ Könnte die Häufung an Unterstellungen. Vorwürfen. Mythen und Beliebigkeiten etwas mit einer begrifflichen Verwirrung von Anfang an zu tun haben?
III. Partnerschaft zwischen den Geschlechtern
Die philosophische und anthropologische Möglichkeit von Partnerschaft bedarf sozialer Strukturen und individueller Handlungskompetenzen, um sich zu verwirklichen. Diese scheinen heute in einem bislang ungekannten Maße gegeben. Vor dem Hintergrund der weiter oben genannten Beispiele für Kulturen, in denen Frauen nicht unter der Suprematie der Männer litten, ist das erklärungsbedürftig. Was ist heute neu? Neu ist, daß es die „Genus" -Welt im Illich’schen Sinne nicht mehr gibt: Aufklärung und Individualisierung, Ausdifferenzierung von Waren-, Welt-und Arbeitsmarkt, von Staat und Bürokratien, Familien und anderen Gemeinschaftssystemen ließen die quasi-ständische Ordnung des, Geschlechterverhältnisses nicht unberührt. Illich spricht deshalb vom industriellen „Sexus“: Arbeitsteilung unter der Illusion von Gleichheit und ohne kulturelle Identität Das „Geworfensein“ des Menschen, seine existenzielle Verantwortung-für-sich mag schärfer denn je erfahren werden. Doch gleichzeitig wuchs für eine große Anzahl von Menschen die Chance, sich zu entscheiden: Freiheit. Biologie ist also weniger denn je bloßes „Schicksal“.
Erst die moderne Gesellschaft läßt die Rede von „Partnerschaft“ als gesellschaftliche Perspektive sinnvoll erscheinen. Das bedeutet, streng theoretisch formuliert: „In dem Maße, als die Gesellschaft die Form ihrer primären Differenzierung ändert und von stratifikatorischer zu funktionaler Differenzierung übergeht, kann die Unterscheidung von Männern und Frauen nicht mehr in einem asymmetrischen Sinne benutzt werden, um den Männern die Funktion der Repräsentation des Systems im System zu geben. Die entsprechende Semantik muß ersetzt werden durch eine Semantik der Gleichheit.“
Die von Niklas Luhmann konstatierte Adaption der Geschlechterunterscheidung an neue Systembedingungen sollte offensichtlich nicht als funktionaler Automatismus gelesen werden. Denn, um bei ihm zu bleiben, die neue Stufe jenseits der Ungleichheit schafft die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern nicht ab — ein theoretisches Problem: „Das bedeutet, daß das Paradox, daß ein System in sich selbst nochmals vorkommt, ersetzt werden muß durch das Paradox der Ununterscheidbarkeit des Unterschiedenen.“
Das theoretische Problem ist zugleich ein politisches (und psychologisches); es spiegelt sich wieder in der geschlechterpolitischen Strategiekontroverse, in der bis dato zwei Hauptrichtungen unterschieden werden können: „Die eine begreift soziale Geschlechtsunterschiede (gender differences). als etwas, was überwunden werden müsse, da es letztlich die Benachteiligung und Abhängigkeit von Frauen begründe; die andere Auffassung behauptet, . gender difference'sei etwas, womit man sich identifizieren, was man bejahen solle, weil es weibliche Stärken und Tugenden enthülle. Beide Auffassungen bezeichnen zugleich unterschiedliche politische Zielsetzungen: Assimilation im Unterschied zu Separation, eine Politik abstrakter Gleichheit und Angleichung im Unterschied zu einer Politik des Unterschieds und der Trennung.“ Als dialektische Aufhebung schlugen wir im Zusammenhang sozialpolitischer Diskussion das Programm der „Partizipation“ bzw.der „Teilhabe“ vor: „Das Teilhabekonzept hält durch alle Differenzierungen hindurch an der Idee von Gesellschaft als Einheit — wenn auch widersprüchliche — fest, löst diese nicht einseitig auf. Es geht hier um die schwierige Politik, das eine zu tun — z. B. Besonderheit zu berücksichtigen — und zugleich das andere nicht zu lassen — auf Gleichheit hinzuwirken.“
Ist nach alldem „Partnerschaft“ zwischen den Geschlechtern möglich? Zumindest ist die Behauptung ihrer Möglichkeit eine These, die sich von zwei antagonistischen Konzepten abgrenzt: von der Vision einer androgynen, eingeschlechtlichen und insoweit geschlechtslosen Zukunft (weil das „Geschlecht“ nur durch die Unterscheidung wird), die folgerichtig in die Assimilation bislang weiblicher und männlicher Kulturen und Politiken führt — und die auf der anthropologischen Natur-Seele-Stufe das Begehren, als Triebhaftes zum anderen hin, beendet: „Die Leidenschaft ist dabei auszusterben. ebenso wie der sinnliche Rausch.“ Die Idee der Partnerschaft grenzt sich weiterhin von der Vision einer explizit zweigeschlechtlichen Kultur ab. die die Differenz pflegt und bestenfalls versucht, durch komplexe politische Kompensationen Rechtsgleichheit herzustellen. „Partnerschaft“ wäre ein pragmatisches und anspruchsvolles Konzept zugleich. Es beginnt beim Bestehenden, der Historizität des Biologischen, und versucht sie dort zu transzendieren, wo funktionale und Subjekte
Motive eine Veränderung nahelegen. Doch wo könnte dies sein?
1. „Technologische Partnerschaft“ — das Aus* blenden der Körperdualität Lokalisiert man die weibliche Reproduktionsbindung als Haupthindernis für die Geschlechterpartnerschaft, so erscheint der Versuch, sie technologisch aufzuheben, durchaus naheliegend. Der Stand der Reproduktionstechnik scheint dies zumindest in absehbarer Zeit zuzulassen. Frauen gebären nicht mehr, stillen nicht mehr. Die Reproduktion wird nicht mehr biologisch zugeordnet. Hierfür gibt es Automaten. Auch in der feministischen Diskussion wurde dies als Utopie gedacht Unklar ist in diesen Visionen, wer sorgt, jene Arbeit „für andere“ leistet, deren Prototyp zwar die Säuglingspflege ist. jedoch weit darüber hinaus weist: soziale Arbeit. Pflegearbeit. Hausarbeit.
Wenn von der überwiegenden Mehrheit der Frauen eine Abschaffung ihrer Gebärfähigkeit nicht gewollt wird, sie vielleicht auch technologisch nicht so umstandslos verwirklicht werden könnte, dann ist mit der grundlegendsten körperlichen Differenz zwischen den Geschlechtern auf Sicht weiterzuleben — während gleichzeitig andere physiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern evolutionsgeschichtlich aufgrund technologischer und sozialer Entwicklungen zurücktreten (Rückgang körperlicher Arbeit, Verringerung der Kinderzahl). Ob evolutionäre oder revolutionäre Veränderungen der körperlichen Basis des Geschlechterverhältnisses: sie haben Konsequenzen für das Seelisch-Soziale und für die geistige Ebene. 2. „Partnerschaft der individuellen Entfaltung“
Mit guten Gründen steht es zu erwarten, daß sich die individuell-seelischen Geschlechterbilder. die männliche und die weibliche „Seele“ verändern. Es braucht nicht unbedingt die technische Abschaffung des weiblichen Gebärvermögens, um den relativen Stellenwert der generativen Reproduktion im Lebenszyklus von Frau und Mann zu reduzieren Zwischen 1960 und 1985 sank die „Gesamtfruchtbarkeit“, d. h. die durchschnittliche Zahl von Lebendgeburten pro Frau in der Bundesrepublik Deutschland, von 2. 4 auf 1. 3 Kinder. Selbst bei konventioneller Rollenaufteilung verkürzte sich damit die „Familienphase“ der Frauen wirksam, und ließ sie trotz disincentives seitens der Politik auf den Arbeitsmarkt drängen. Die Erwerbsquote verheirateter Frauen stieg in der Bundesrepublik zwisehen 1963 und 1983 von 33, 5 Prozent auf 43, 6 Prozent. Die Steigerung derselben Quote in Schweden — von 44 Prozent auf 69, 6 Prozent im selben Zeitraum — macht deutlich, welches Interesse die Frauen aktualisieren, wenn es seitens der Arbeitsmarktpolitik positiv aufgegriffen wird
Die Verringerung der durchschnittlichen Kinderzahl in den hochindustrialisierten Ländern hat — neben den sozioökonomischen Veränderungen — eine weitere, für die individualpsychologische Betrachtung wesentliche Ursache: die (Wieder-) Aneignung der Schwangerschaftsverhütung, durch die Pille wie durch die „sexuelle Revolution“ der sechziger Jahre, die, in Verbindung mit der Frauenbewegung, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Frauen, damit auch auf Sexualität ohne Reproduktionsleistung betonte. Sexualität konstituiert damit die „soziale Superstruktur“ des Geschlechterverhältnisses nicht (mehr) in der biologischen Zwangsläufigkeit. Auch bei reduzierter Gebärpraxis bleibt Sexualität die offensichtliche Vermittlung von Körper-Natur und sozialer Geschlechtlichkeit. Folgt man den Überlegungen von Barbara Ehrenreich, so scheint in den USA die „sexuelle Revolution“ eine der Frauen geblieben zu sein, nicht der Männer: „Das weibliche Verhaltensmuster veränderte sich von vorehelicher Jungfräulichkeit und anschließender Monogamie in die Richtung dessen, was für Männer immer schon galt: zwischen den Mitsechzigern und den Mitsiebzigern wuchs die Zahl von Frauen, die voreheliche sexuelle Erfahrungen hatten von einer kleinen Minderheit zur respektablen Mehrheit: und manche schätzen den Anteil verheirateter Frauen mit . Seiten-sprüngen'auf beinahe die Hälfte.“ Sexualität wurde auch für Frauen zu einem sozio-kulturellen Ereignis.
Beide Veränderungen — Verringerung der Kinderzahl und Lösung des Sexuellen aus der biologischen Zwecksetzung — tragen zu einer Konzeption individuell-psychologischer Partnerschaft bei. insoweit sie die Geschlechterdifferenz situativer scheinen lassen, weibliche und männliche Lebensentwürfe einander ähnlicher werden können. Die Differenz wird zu einer Frage des (individuellen) „Charakters“ und nicht mehr von vornherein klassifiziert. Ginge die Entwicklung in diese Richtung weiter, so wären die Folgen weitreichend. Auf der individuellen Ebene scheint es, zusammenfassend, ein Umlernen als Reflex auf gesellschaftliche Veränderungen zu geben. Man kann dies nutzentheoretisch deuten, im Sinne einer Anpassung der individuellen Akteure an geänderte Situationen, um die . Kosten 4 ihres Handelns möglichst gering zu halten Man könnte dies auch psychoanalytisch interpretieren: veränderte empirische Tatsachen — hier: Kinderzahl und flexiblere Sexualität — verändern den Objektbezug von Frauen und Männern. Inwieweit beide (und weitere) Interpretationen eine nachhaltige individuelle Fähigkeit zur Partnerschaft — bei Frauen wie bei Männern — erwarten lassen, ist sicher nicht leicht beantwortet. 3. „Soziale Partnerschaft“
Wie ist Partnerschaft sozial möglich: durch soziale Institutionen, soziale Normen? Wenn wir die Abschaffung der weiblichen Arbeitsdifferenz beiseite lassen und aus ihrer im letzten Abschnitt diskutierten individuellen Reduzierung noch nicht erhoffen können, daß sich daraus hinreichende soziale Veränderungen in Richtung Partnerschaft entwickeln, so bestünde als drittes die Möglichkeit, zumindest die der Schwangerschaft und Geburt folgenden Arbeiten nicht mehr allein im Bereich der Frauen zu belassen.
Drei Formen der Kompensation der weiblichen generativen Leistung bieten sich an:
a) Zum einen die Verlagerung der Sorgearbeit auf das Kollektiv der Frauen. Beispiele hierfür finden sich historisch und im Kulturvergleich von „GenusGesellschaften“ (z. B. Hopi). Die erwähnte „Mütterbewegung“ knüpft hieran an: weibliche Lebensräume zu konstituieren, die den „biosozialen“ Nachteil bequemer Väter/Männer kompensieren. Ob diese Strategie verallgemeinerungsfähig ist. steht dahin. Dahin steht allerdings auch, ob eine einseitige Trennung von Lebensaufgaben im kulturell-körperlichen Bereich (der Kinderaufzucht) auf der seelischen und geistigen Ebene wirkliche Begegnung ermöglicht.
b) Als zweiter Kompensationsweg bietet sich die Vergesellschaftung der Sorgearbeit durch den Sozialstaat bzw. lokale politische Einheiten an. Faktisch allerdings führt dies in der Regel zu einem dem Fall (a) ähnlichen Ergebnis: Wie das Beispiel des Kibbuz in extenso vorführt, kann die nahezu völlige Vergesellschaftung der Haus-und Sorgearbeit auch bedeuten, daß sie nun zwar nicht mehr im privaten. familiären Rahmen von einer Frau für „ihren“ Mann und „ihre“ Kinder getan wird, doch es sind weiterhin fast durchweg Frauen, die die vergesellschaftete Sorgearbeit leisten zudem — im Unterschied zu (a) — unter politischer Kontrolle der Männer (Gesetzgebung etc.). Möglicherweise mag dies hinsichtlich der Geschlechterpartnerschaft weniger (negative) Rückwirkungen zeitigen, als die körperlich-materielle Trennung abstrakt ist. die Nicht-Verantwortung der Männer dem einzelnen Mann nicht angeschrieben, häufig nicht einmal als solche wahrgenommen wird. c) Die dritte Variante wäre Kompensation durch die Männer oder: soziale Partnerschaft durch aktive Vaterschaft. Gewiß ist dies leicht gesagt. Einer gleichberechtigten Übernahme väterlicher Aufgaben durch Männer stehen zahlreiche äußere Hemmnisse (Arbeitszeit. Einkommenssicherung, Arbeitsplatzsicherheit), aber auch innersubjektive Vorbehalte gegenüber (Abgrenzungen der Frau, Konfliktrisiken aufgrund ständiger Aushandlungsprozesse etc.). Es ist nicht normal, damit auch erschwert. die Vaterschaft ernst zu nehmen. Nichtsdestotrotz scheinen vor allem jüngere Frauen und Männer ein höheres Maß an Handlungsalternativen auszuprobieren, insbesondere dort, wo auf Seiten der Frauen ausgeprägte familienexterne und auf Seiten der Männer familieninterne Interessen bestehen, auf die in Entscheidungssituationen regelmäßig zurückgegriffen werden kann Alle Untersuchungen über Entwicklungen von Vaterschaft zeigen „eine gestiegene Partizipation von Vätern im Sozialisationsbereich. Dieser steht“ — jedoch — „keine entsprechende Beteiligung an der Pflege der Kinder und an sonstigen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten. auch keine gleichermaßen getragene Mit-verantwortung für den häuslichen Bereich gegenüber . . . Der Mann wird höchstens als Mithelfender, nicht als Mitverantwortlicher in der Familie tätig.“
Ein Grund dafür könnte auch darin gesehen werden, daß der Vater in „partnerschaftlichen“ Bezie-hungen nur schwer eine wirkliche Funktion zu finden scheint. Denn die Mutter-Kind-Beziehung scheint heute merkwürdig um ihre negativen, zer-störerischen Anteile entleert; ähnliches widerfährt dem Vater: „er besitzt keine Funktion, außer der. die Mutter zu verdoppeln“
IV. Frauenforschung, Männerforschung, Geschlechterforschung
Was bedeuten die bisherigen Überlegungen für den wissenschaftlichen Umgang mit dem Geschlechter-Verhältnis? Es wäre, wie wir sahen, falsch, dem von Männern vertretenen mainstream der Sozialwissenschaften vorzuhalten, er hätte sich mit dem Geschlechterverhältnis nicht beschäftigt. Feministinnen kritisieren vielmehr, daß die Welt/-perspektive der Frauen der „männerzentrierten Voreingenommenheit der Sozial-und Geschichtswissenschaften“ zufolge „unsichtbar“ geblieben sei Sicher ist die Geschichte der Soziologie der Frauen komplex. Doch die Erforschung eines in einer Machtbeziehung Subalternen durch Angehörige der beherrschenden Gruppe stellt große, meist übergroße Anforderungen an die Reflexionsfähigkeit, damit an die postulierte „Objektivität“, vor allem noch dann, wenn die dominierte Gruppe — die Frauen — zur Forschung wohl fähig wäre, aber nicht zugelassen wird/wurde. So wurde über Frauen wohl geforscht — Frauen als Mütter, als biologisch vom Manne unterschiedene Wesen. Was jedoch nicht entstand, ist eine „Soziologie der Geschlechter“. Das nahezu durchgängige Fehlen eines Stichwortes „Geschlecht“ in sozialwissenschaftlichen Hand-und Lehrbüchern der letzten Jahrzehnte legt davon Zeugnis ab.
Aber es ist nicht allein das Konglomerat aus Männerdominanz und Frauenausschluß, das eine soziale Theorie des Geschlechterverhältnisses — und damit auch seiner Entwicklungsmöglichkeiten! — behindert. Hinzu tritt das individuell-psychologische Problem der Forscher (Mutterkonflikt der Männer. Verdrängung des Weiblichen etc.) und. über allem, das geistig-philosophische Dilemma der Unklarheit über das „Wesen“ des Menschen.
Die im Anschluß an die „Neue“ Frauenbewegung der Nachkriegszeit entstandene Frauenforschung resultierte aus einer Kritik an der Vernachlässigung der sozialen Konstruktion von Geschlecht in den Wissenschaften. Sie klagte einen sozialwissenschaftlichen Gegenstandsbezug überhaupt ein und — politisch — ein Interesse an Demokratisierung und Gleichheit. Ihr Gegenstand war lange Zeit noch nicht viel Neues. Ihre Perspektive war Kritik am Vergessen und Beherrschen, selten nur der Aufweis des anderen, möglichen Daran hat sich noch nicht viel geändert. Der Begriff der „Partnerschaft“ ist in der „Frauenforschung“ noch kein utopischer Begriff -Erst langsam beginnt „frau“ sich überhaupt explizit mit Männern — und damit dem Geschlechterverhältnis in seiner Totalität auseinanderzusetzen.
Mittlerweile beginnen auch Männer, systematisch über das Geschlechterverhältnis zu reflektieren. In den USA wurden an einer Reihe von Universitäten und Colleges „men’s studies“ eingerichtet — eine offensichtliche Parallele zur gleichfalls erst seit wenigen Jahren etablierten, doch immer noch randstäpdigen Frauenforschung (women’s studies). Einer der profiliertesten Vertreter der amerikanischen „Männerforschung“, Harry Brod, formulierte die Aufgabe der neuen Disziplin: „Während die traditionelle Wissenschaft offensichtlich von Männern handelt, schließt die Verallgemeinerung von Männern als menschlicher Norm faktisch eine Betrachtung dessen aus, was Männern als solchen zu eigen ist. Die Über-Verallgemeinerung der männlichen als allgemein-menschlicher Erfahrung verzerrt nicht nur unser Verständnis, was, wenn überhaupt, menschlich ist; sie schließt auch das Studium von Männlichkeit als spezifisch männlicher Erfahrung aus . . . Die allgemeinste Definition von . Männerforschung 1 ist die, daß sie Männlichkeit und männliche Erfahrung als spezifische und je nach sozial-historisch-kultureller Formation variierende zum Gegenstand hat.“
Der Umgang mit der Differenz, den die „Männerforschung“ — wie auch die (feministische) Frauen-forschung — einfordert: ist er mehr als eine systematisierte Form der Selbsterfahrung? Trägt dieses von Brod formulierte Programm eine eigene, neue Disziplin? Kann es eine sinnvolle Perspektive sein. künftig „Frauenforscherinnen“ und „Männerforscher“ institutionell verankert zu sehen — und zu erleben, wie sie um die ohnedies knappen materiellen Ressourcen konkurrieren?
Der Beginn der Frauenforschung war der Protest gegen die Nicht-Wahrnehmung eines wesentlichen Teils der Wirklichkeit, war die Freilegung. Sichtbarmachung des „anderen Geschlechtes“, die Selbstartikulation als Voraussetzung für Selbstbestimmung. Dies kann Männerforschung kaum mit der protestierenden Emphase wiederholen, und wenn sie es tut, so klingt es lächerlich. Wäre „Männerforschung“ dann schlicht ein neuer Gegenstandsbereich: eben die Erforschung des Männlichen (so wie Familienforschung, Süßwasserfischforschung etc.)?
Wollen wir zur Beantwortung dieser Fragen nochmals einen Schritt zurücktreten und die Geschichte der Thematisierung von Geschlecht in den Sozial-wissenschaften systematisieren. Vier Phasen lassen sich unterscheiden:
1. Die erste Phase war von einer weitgehenden Ignoranz gegenüber dem Thema „Geschlecht“ gekennzeichnet. die nur von wenigen Autoren durchbrochen wurde.
2. In einerzweiten Phase wurde dieser Zustand, vor allem von Frauen, kritisiert.
3. In einer dritten Phase wurde „Frauenforschung“ als eine neue Disziplin, als Kompensation für die frühere Vernachlässigung eingefordert und eingerichtet. Ihr entspricht auch die Selbstbewußtwerdung von Männern und nun die spiegelbildliche Installation von „Männerforschung“. Das Problem dieser Konzeption ist zum einen ihr Defizitansatz, damit die Herausnahme der Geschlechterfrage aus der allgemeinen Sozialforschung, und zum anderen. wie dies an der Methodologie-Diskussion in der „Frauenforschung“ abgelesen werden kann, das Dilemma von Objektivität und Parteilichkeit. So hob beispielsweise Ursula Müller als allgemeine Prinzipien einer feministischen Methodologie „die grundlegende und bewußte Parteilichkeit der Forschung für die Sache der Frauen“ hervor wie auch „die Entlarvung des Postulats von . Interessensneutralität'und . Wertfreiheit'oder auch . Objektivität'als Ideologie, die den sexistischen Charakter der traditionellen Methodologie verdecken soll“ Erkenntnistheoretisch wird dieser Position zweierlei entgegengehalten: zum einen die begriffliche Gleichsetzung von „Wertfreiheit''und „Objektivität“ Während Max Weber die Freiheit von Werturteilen mit der fundamentalen Unterscheidung zwischen der Perspektive des Handelnden und der des Beobachters in Zusammenhang bringt argumentiert die feministische Frauenforschung explizit für eine Forschung „aus Betroffenheit“. Insoweit bestreitet sie jene Trennung von Wissenschaftler und Gegenstand. Der feministische Ansatz nahm damit die in der neueren naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie entwickelte Position vorweg, die von der Relativität des Erkannten in Abhängigkeit vom Standpunkt des Beobachters spricht Dies fordert allerdings die Reflexion des eigenen werthaften Urteilens und Handelns als Wissenschaftler in ganz besonderem Maße. Anderenfalls würde die Relativität von Werten die angestrebte Parteilichkeit als beliebige Konsequenz ausweisen. Insoweit wird der von Müller, Mies und anderen vertretenen feministischen Methodologie — zum zweiten — ein impliziter Biologismus vorgehalten, da allein die biologische Besonderheit „Frau“ einen Werthorizont, nämlich „Betroffenheit“, zu konstituieren scheint. Es wäre zwar überzogen und hinsichtlich der historischen Diskriminierungserfahrung von Frauen auch ignorant, den Feminismus als biologistische Ideologie abzutun Doch die Gefahr des Biologismus, die insbesondere im erwähnten separatistischen Ansatz der Frauen-forschung enthalten ist, belegt die Notwendigkeit, in die Richtung der skizzierten ganzheitlichen Anthropologie weiterzudenken.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint die Etablierung einer eigenständigen „Männerforschung“ ambivalent. Versteht man sie als wissenschaftspolitisch normativ aufgeladenes Projekt, so liefe sie Gefahr wissenschaftlicher Bedeutungslosigkeit. Betrachtet man „Männerforschung“ nur als Gegenstandsbereich — eben Erforschung der „spezifisch männlichen Erfahrung“ (Brod) —. so stellt sich die Frage, ob nicht der Gegenstandsbereich der Frauenforschung mit seinem breiten Wissen und seinen Traditionen auf die Erforschung von Männern ausgeweitet werden sollte. 4. Damit wären wir bei der vierten Phase des Verhältnisses von Geschlecht und sozialer Theorie: der vollen Integration der Geschlechteranalyse in die zentralen Fragen der Sozialwissenschaften selbst. Hierzu ist eine interdisziplinäre, normativ feministi-sche „Geschlechtererforschung" zweifellos hilfreich, die Frauen und Männer zur Reflexion eben auch des Verhältnisses der Geschlechter organisiert — mit so wenig Vermachtung, wie Akademia dies nur zuläßt, eben: in Partnerschaft.