Über den Beitrag der politischen Philosophie zum Ausschluß der Frauen aus der Politik
Als ich vor einigen Wochen einem alten Bekannten.dem mein jetziges Arbeitsgebiet nicht bekannt war. am Telefon davon berichtete, daß ich in Berlin eine Konferenz zum 70. Jahrestag der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes in Deutschland vorbereite gab es eine vernehmbare Pause in der Leitung. Sie ließ mich vermuten, daß mein Gesprächspartner überprüfte, ob seine Rechenkünste oder seine Geschichtskenntnisse nachgelassen hätten. Mit einem erleichterten „Ach so. Du machst was über Frauen“ löste er das Problem.
Am 12. November 1918 wurde den deutschen Frauen per Dekret des Rates der Volksbeauftragten das aktive und passive Wahlrecht zuerkannt; zehn Jahre davor war das in Preußen seit 1850 geltende politische Versammlungsverbot für Frauen aufgehoben worden. Aber noch heute scheint es keine Selbstverständlichkeit zu sein, weder in der öffentlichen Wahrnehmung, noch im ganz privaten Bewußtsein vieler Bürgerinnen und Bürger, daß Frauen zum politisch „Allgemeinen“ gehören.
Die Reaktion meines Freundes und die Tatsache, daß das allgemeine und gleiche Wahlrecht in Deutschland noch immer problemlos mit der Jahreszahl 1870 in Verbindung gebracht wird, zeigen, daß es nicht ausreicht. Ideologiekritik nur unter dem Aspekt der sozialen Zugehörigkeit zu betreiben. Ideologiekritik, wie sie im folgenden an einigen grundlegenden Begriffen und Paradigmen der neuzeitlichen politischen Philosophie abgehandelt werden soll, muß auch die psychische Interessenlage. d. h. auf einer verallgemeinerbaren Ebene in Sonderheit die Geschlechtszugehörigkeit und die mit ihr verbundenen Motive in den Blick nehmen, will sie Wahrheit oder auch nur Schlüssigkeit von Rationalisierungen unterscheiden. Die Brüder Böhme haben dieses Erfordernis moderner Wissenschafts-und Erkenntniskritik treffend formuliert: „Die Rationalität der Philosophie (wird) niemals freikommen von Zweifel, bloße Rationalisierung zu sein, wenn sie nicht vom Wirken unbewußter Motive im Zentrum des Selbstbewußtseins, dem cogito. sich zu überzeugen bereit findet.“
Nun handelt es sich bei der politischen Philosophie, die ich betrachten möchte, nicht unbedingt um das Zentrum des Denkens, wohl aber um die philosophische Legitimation eines auf Verträgen als Akten des Verstandes gedachten Männerstaates, die es erfolgreich ermöglichte. Frauen auf lange Zeit und wirksam vom öffentlichen Leben fernzuhalten. Nicht Frauen also sind mein vorrangiges Thema, sondern das philosophische Denken von Männern. Erst im letzten Teil meines Beitrages soll der Frage nachgegangen werden, wie sich nach der Umsetzung der untersuchten philosophischen Paradigmen in praktische und institutionalisierte Politik, deren sozialisatorische Aneignung und Verinnerlichung, die u. a. durch Frauen selbst erfolgten, auf das Politik-und Machtverhalten von Frauen noch heute auswirken.
I. Staats-Wohl und Staats-Vernunft: Eigentum, Vernunft und Liebe als Paradigmen zum Ausschluß von Frauen aus der politischen Gemeinschaft
Die Männerphantasien, die in der jüdisch-griechisch-christlichen Kultur des Abendlandes seit Menschengedenken über Frauen zirkulieren und die bei aller Komik eine Fülle von Material über die Psychogenese des abendländischen Männer-Denkens bereitstllen, sind in den letzten Jahren von feministischen Wissenschaftlerinnen mehrfach angesprochen worden: die Vorstellung, die Welt sei zunächst nur von Männern bevölkert gewesen und das Böse durch eine Frau. Pandora, oder durch Eva in die Welt gekommen, wie auch die mannigfaltigen Variationen der Vorstellung über körperliche, geistige oder seelische Minderwertigkeit von Frauen.
Für Aristoteles waren Frauen im reproduktiven Sinne „unfruchtbare Männer“, da nur Männer sich über ihren Samen fortpflanzen und Unsterblichkeit erreichen könnten. Platon sah in Frauen die Reinkarnation von zur Strafe in weiblicher Gestalt wiedergeborenen liederlichen Männern; das Christentum versagte ihnen eine gleichwertige Seele, und von der Männer-Medizin des 19. Jahrhunderts wissen wir. warum Frauen zu rational-logischem Denken recht schlecht befähigt sind. Aber nicht solche Phantasien, sondern die Art und Weise, wie sie die staatsphilosophischen Konzepte männlicher Denker beeinflußt haben, sind mein Thema. Um einige der mir in der politischen Philosophie der Aufklärung besonders bedeutsam erscheinenden Widersprüche und Rationalisierungen deutlich zu machen. möchte ich zunächst auf die argumentative Bearbeitung der Geschlechtertatsache durch die Stammväter der politischen Philosophie, durch Platon und Aristoteles eingehen. Die Art und Weise, wie im 18. Jahrhundert das aufklärerische Denken die antiken Argumentationen und Beweise aufnimmt. um sie. unter völlig anderem Beweiszwang stehend, umzudrehen und mit neuen Dimensionen von Widersprüchen zu versetzen, soll dann am Beispiel Hobbes. Lockes. Rousseaus und Fichtes deutlich gemacht werden 1. Die frauenfeindliche Tradition der Antike: Platon und Aristoteles Platons egalitäres Lebensmodell für die Wächterinnen und Wächter seines idealen Staates hat die Gemüter über die Jahrhunderte beschäftigt. In der Tat sieht er für die höchste Kaste seiner Republik, aus der sich die Staatslenker, die Philosophen, rekrutieren. völlige Gleichheit der Geschlechter vor. Selbst das höchste Staatsamt des Philosophen-Lenkers soll einer Frau nicht verwehrt sein, vorausgesetzt. sie zeigt die dafür benötigten Eigenschaften und Tugenden. In der späteren Schrift, den Gesetzen, die Platons zweitbeste Version der Polis darstellt. gibt er — wahrscheinlich aus pragmatischen Gründen — die egalitären Maximai-Forderungen wieder auf: Frauen werden von Staatsämtern und vom Besitz an Eigentum ausgeschlossen, die Ausbildung. insbesondere die sportlich-militärische der Mädchen, soll nur dann denen der Jungen gleich sein, wenn ein Mädchen dazu besondere Neigung verspürt, und zu den ihnen noch zugänglichen untergeordneten priesterlichen Funktionen sind Frauen nur außerhalb ihrer reproduktiven Jahre im Alter von 40— 50 Jahren zugelassen. Dennoch finden sich gerade in den Gesetzen die theoretischen Argumente für eine gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter: Mädchen und Frauen seien bei entsprechender Erziehung an Leistung und Fähigkeiten den Männern gleich; in bezug auf Frauen herrsche schiere Unwissenheit, da von den derzeit geltenden Bedingungen unzulässige Schlüsse auf das gezogen würde, was möglich sei; und aus dem Unterschied der Geschlechter bei Zeugung und Geburt könnten so wenig Schlüsse auf Unterschiede in anderer Hinsicht gezogen werden, wie aus der Tatsache, daß manche Männer Haare haben und manche keine
Dennoch war es keineswegs Platons Absicht, die Gleichheit der Geschlechter oder gar die Emanzipation der Frauen voranzutreiben. Nicht nur die durch sein ganzes Werk gestreuten misogynen Äußerungen und seine Auffassung von Liebe, die nur unter Männern von sittlicher Qualität sein könne, beweisen dies. Die genaue Analyse des Zusammenhanges. in dem Platon im Staat die Frauen den Männern gleichstellt und die Art und Weise, wie er dort seine Argumentation begründet — jedoch nicht zu Ende führt —. zeigen nach Moller Okin, daß Frauen, nicht weil sie gleichwertige Menschen sind, bei den Wächtern des Staates gleich behandelt werden sollen, sondern daß sie notgedrungen zu gleichen Menschen gemacht werden müssen, weil sie mit der Abschaffung des Privateigentums und damit der Familie in der herrschenden Klasse der Wächter funktionslos geworden wären. Rousseau, der Platon wegen der Abschaffung der Familie heftig angreift. hat dies auf den Punkt gebracht: „Da er in seinem Staat die Einzelfamilie abgeschafft hat und nicht mehr wußte, was er mit den Frauen machen sollte, machte er gezwungenermaßen Männer aus ihnen.“
Platon, der Rationalist, war immerhin in der Lage, die Frauenfrage, obwohl oder gerade weil sie ihm nicht eigentlich wichtig schien, logisch zu Ende zu denken und die sozialen Fähigkeiten des weiblichen Geschlechtes radikal von seinen biologischen zu trennen. Eines der Beispiele, das er zur Illustration und Begründung seiner Position heranzog. ist das der berühmten Wachhunde, die ihre Aufgabe erfüllen. einerlei, ob es weibliche oder männliche Hunde sind. Ihre Fähigkeit. Wachhund zu sein, hat mit ihrem Geschlecht nichts zu tun. Die Art und Weise wie nun Aristoteles diese Beweisführung Platons aufgreift und meint, ad absurdum führen zu können. macht eindrucksvoll seine völlig andere Denkweise deutlich. In der Politik mokiert sich Aristoteles über die „Ungereimtheit“ des Vergleiches mit den Tieren und der daraus abgeleiteten Schlußfolgerung. Gibt es doch bei Tieren keine Hausarbeit! Aristoteles’ funktionalistischer Denkweise geht es nicht einfach darum, die Welt korrekt zu beschreiben. „sondern zu demonstrieren, warum sie so ist. wie sie ist und daß sie. sowie ihre einzelnen Elemente. so wie sie sind, auch sein sollen“ Aristoteles’ Philosophie, seine Ethik und Politik dienen der Legitimation der gesellschaftlichen Verhältnisse. bzw.des Bildes, das er sich von der „gerechten“ Gesellschaft macht. Und dieses ist hierarchisch. elitär und patriarchal.
Jedes Ding, jedes Lebewesen und jeder Mensch hat nach Aristoteles seinen bestimmten Platz im Aufbau des Universums und übt dort die ihm gemäße Funktion aus. Seine Natur, sein Wesen, seine Seele sind identisch mit dieser Funktion. Die Natur eines Dinges oder Wesens ist also sein pragmatischer Zweck und nicht etwa das. was es eigentlich sein könnte, oder das. was es in einem früheren, unverdorbenen Zustand einmal gewesen sein mag. Natur ist nicht das Ursprüngliche, sondern das Entwikkelte.der Endzustand der Dinge: „Denn die Beschaffenheit. die ein Ding beim Abschluß seiner Entstehung hat. nennen wir die Natur des betreffenden Dinges, sei es nun ein Mensch, oder ein Pferd oder ein Haus oder was sonst immer.“
Im Kontext von Aristoteles’ hierarchischem Weltbild bedeutet die teleologische Zweckgerichtetheit der Dinge, daß Jegliches seine Erfüllang, seine ihm eigene Natur nur dadurch erreicht, daß es seine Funktion für das ihm jeweils höher gestellte Ding erfüllt. „Das Schlechtere ist immer des Besseren wegen, wie man ebenso aus der Kunst wie aus den Naturgebilden sehen kann.“ Diese hierarchische Zweckrichtung führt von der unbelebten zur belebten Natur, von den Pflanzen über die Tiere zum Menschen. Aber Aristoteles’ Welt ist nicht einfach nur anthropozentrisch. Die Menschen selbst, zumindest die meisten von ihnen, haben ebenfalls ihren Zweck außerhalb ihrer selbst. Je nach sozialer Position und Hierarchiestufe entspricht es ihrer Natur als Handwerker und Bauern für andere zu arbeiten. als Sklaven anderen zu dienen, oder aber als Frauen den Samen der Männer mit Materie auszustatten. ihre Kinder zu gebären. Dies zu tun. ist ihre Seele und daher ihr Glück — es gut zu erledigen, ihre sittliche Erfüllung: ihre Instrumenten-Ethik. Das letztendliche und allein nur in sich selbst ruhende Ziel des aristotelischen Weltaufbaues ist die nur in sich selbst begründete, nur für sich selbst tätige und nur sich selbst zum Zwecke setzende Glückseligkeit: die rationale Tätigkeit der Seele — das Denken. Nur sie bzw. nur diejenigen, die dieser Tätigkeit nachgehen können, haben keinen Zweck außer ihrer selbst und haben so teil an der eigentlich menschlichen Tugend und Vollkommenheit. Für die Beteiligung am Staat und die Qualifizierung als Bürger ergibt sich hieraus, „daß nicht alle, diejenigen. ohne die ein Staat nicht leben könnte, für Bürger zu halten sind“, da die von Aristoteles „angegebene Tugend des Bürgers“ nur denjenigen „freien Männern . . . zuzuschreiben ist. die von dem Erwerb des notwendigen Lebensunterhaltes befreit sind“ Frauen, die das Leben selbst und nicht nur seinen Unterhalt gewährleisten müssen, brauchen in dieser Argumentation nicht einmal mehrerwähnt zu werden.
Die Ungereimtheiten des aristotelischen Welt-und Menschenbildes und seines Versuches, den Ausschluß der Frauen aus der Gemeinschaft der Bürger zu legitimieren, ist von amerikanischen Wissen-schaftlerinnen im einzelnen untersucht worden -Erwähnen möchte ich hier lediglich das bedenkenswerte Resume von Moller Okin. die darauf hinweist, daß sich die meisten der modernen Theoretiker, die sich mit Aristoteles auseinandersetzen, zwar von Aristoteles’ Klassen-Ethik distanzieren, an seinen Anschauungen über die Frauen und an der Art. wie er sie politisch instrumentalisiert, jedoch keinerlei Anstoß nehmen. Was sie lediglich tun. ist. Aristoteles Vielfach-Ethik auf die ihnen geläufige Doppel-Moral zu reduzieren. Dabei entgeht ihnen aber, daß in der Systematik des aristotelischen Denkens Klasse und Geschlecht und ihre causa finalis.der von allen Geschäften des Lebens befreite Wissende — Gelehrte oder Bürger — eine logische Verknüpfung eingehen, welche keineswegs dadurch aufgelöst werden kann, daß die männlichen Sklaven durch freie Arbeiter oder stimmberechtigte Angestellte ersetzt werden. 2. Weibliche Natur und männliches Eigentum. Rationalisierungsversuche zum Schutz bürgerlich-männlicher Emanzipationsinteressen In einer Gesellschaft wie der attischen des vierten vorchristlichen Jahrhunderts, in der die Einschließung der Frauen ins Haus und ihre Entfernung aus allen wissenschaftlichen und politischen Arenen selbstverständlich war und in der von niemandem -erst recht nicht von Frauen — Gleichheitsansprüche vorgebracht wurden, war es für Platon und Aristoteles leicht, wenn nicht gar selbstverständlich. Frauen wie einen Appendix des Besitzes bzw. als Mittel zum Zwecke des Wohlbefindens der Männer zu betrachten und sie aus der Politik auszuschließen. Die Denkerder Aufklärung sahen sich dagegen vor einem weit schwierigeren Geschäft, wenn sie die Bestimmung der Frauen zu vergleichbarer Abhängigkeit und Rechtlosigkeit begründen sollten. Wenn bei Aristoteles der hierarchische Gesellschaftszweck als systemisches und sittliches Argument für die politische und menschliche Subordination der Frauen in gewisser Weise stimmig ist. so konnte eine solchermaßen funktionalistische Betrachtungsweise im Kontext eines Denkens nicht mehr greifen, das die natürliche politische Gleichheit aller Menschen zum Ausgangspunkt des politischen Diskurses nahm und sich anschickte, angestammte Hierarchien und traditionelle Privilegien zu bekämpfen. Wenn Platon Frauen als eine Art Eigentum betrachtete — was sie zu seiner Zeit in der Tat waren — und ihr Schicksal mehr oder weni-ger eng mit diesem verband, so konnte eine Philosophie, die sich für politische Menschenrechte ohne Ansehen der Person und des Standes einsetzte. Frauen schwerlich als Sachen betrachten und ihnen als Besitz des Mannes politische Rechte absprechen. Daß Frauen keine vollwertigen Menschen seien, war nach 1600 Jahren Christentum ebenfalls nicht mehr möglich zu behaupten, ebensowenig, daß es ihr ausschließlicher Zweck oder ihre Natur sei. für Männer dazusein und deren Kinder zu nähren. Wenn im politischen Diskurs des 17. und 18. Jahrhunderts Natur und Eigentum dennoch als zwei der wichtigsten Paradigmen zum Ausschluß der Frauen auftauchen, um den gleichen Effekt zu erzielen, den Platon und Aristoteles in aller Offenheit und in gewisser Weise folgerichtig expliziert hatten., so bedurfte es im Denken der Aufklärung hierfür gewisser bisher wenig beachteter logischer Manipulationen.
Wie wir wissen, hat die Aufklärung, dieses gewaltige Unternehmen der gedanklichen und sozialen Umschichtung und der „Reorganisation der politischen Legitimationen“ neben der Vernunft die „Natur“ zur wichtigsten Legitimationsinstanz erhoben und unter anderem ihre politischen Forderungen aus ihr abzuleiten versucht. Natur ist für die Aufklärung jedoch nicht mehr das teleologische Prinzip, das den Sinn und die Stellung eines Wesens innerhalb gegebener oder erwünschter Grenzen definiert wie bei Aristoteles, sondern sie ist ein zugleich historisch wie apriorisch gedachter Ausgangspunkt, von dem her sich Ziele und Forderungen für eine erst zu erobernde und neu zu gestaltende Welt ableiten lassen. Fast alle politischen Schriftsteller des 17. und 18. Jahrhunderts haben ihre Vorstellungen über einen wie immer historisch gedachten Naturzustand zu Papier gebracht. Erstaunlich ist. daß sich in vielen dieser „Naturzustände“. so z. B. bei Hobbes und selbst bei Rousseau. die Frauen im Zustand völliger Gleichheit mit den Männern befinden. Hobbes.der ihre Gleichheit auf die bei ihnen gleichermaßen vorhandene Fähigkeit zu töten zurückführt, geht sogar so weit, die Mütter im Naturzustand als die natürlichen Herren (Lords) ihrer Kinder zu betrachten
Diese egalitäre Bestimmung des ursprünglichen Geschlechterverhältnisses. in dem ganz in der Logik des Leviathan nur beständiger Geschlechter-kampf. nicht aber „Natur“ eine Vorherrschaft der Männer begründen könnte, hat jedoch keine Konsequenzen für seine weitere Beweisführung. Der mörderische Naturzustand wird nach Hobbes durch Konsens und Vertrag aller und durch die dadurch begründete legitime Alleinherrschaft des Souveräns beendet. „Als Souverän der Familie, die aus einem Mann mit seinen Kindern, und seinen Sklaven“ besteht, wird dann jedoch der Vater ausgemacht, der „durch Gesetz der Natur absoluter Herr über seine Frau und seine Kinder“ ist. Hobbes befindet sich mit dieser nur noch empirisch begründeten Zustandsbeschreibung in dreifachem Widerspruch zu seinen eigenen Prämissen: zu seiner egalitären. ja mutterrechtlichen Beschreibung des Naturzustandes; zu seinem politischen Axiom, daß legitime Herrschaft nur durch Konsens und Vertrag zustande kommen kann; und zu dem von ihm begründeten Prinzip des modernen politischen Diskurses.der den Staat als einen Zusammenschluß von individuellen Einzelnen und ihrer Rechte ansieht und der sich gegen natürliche oder traditionelle Hierarchien oder Gruppen als gegebene politische Grundeinheiten wendet.
Solche und ähnliche Ungereimtheiten und Widersprüche lassen sich bei fast allen politischen Autoren dieser Epoche aufspüren. Gemeinsam ist ihnen allen, daß mit mindestens zwei verschiedenen Naturbegriffen gearbeitet wird. Für Männer und gelegentlich für Frauen, sofern sie sich in der sicheren Entfernung des Naturzustandes befinden, wird der aufgeklärte apriorische Naturbegriff eingesetzt, von dem Ansprüche abgeleitet werden können. Wenn jedoch von Frauen die Rede ist. bzw. von der Position, die sie in der politischen Gemeinschaft einnehmen sollen, wird der funktionalistische Naturbegriff des Aristoteles bemüht, der ein Wesen nach dem Zweck, den es in der Gesellschaft einnimmt oder einnehmen soll, bestimmt — wobei das Sinnumfeld des apriorischen Begriffes, das in der Argumentation immer mitschwingt, eine „natürliche“. d. h. von Anfang an gegebene Unabänderlichkeit dieses Zustandes illusioniert. In verdächtiger Spiegelfechterei werden durch die Verwendung des Terminus „Natur“ Ursprung und Ziel der Geschichte gegeneinander verschoben und ausgetauscht und der Zustand des einen mit dem des anderen legitimiert. Dabei werden die biologische und die soziale Rolle von Frauen zur Verwischung der Spuren je nach Bedarf getrennt oder in eins gesetzt. Ähnlich widersprüchlich ist die aufgeklärte Argumentation. wenn es um die politischen Dimensionen des Eigentums und im Zusammenhang damit um Frauen geht. Da die Zunahme an Macht des aufsteigenden Bürgertums und sein politischer Einfluß überwiegend auf ökonomischer Basis beruhte, spielten das Eigentum und die Sicherung dieser Machtbasis gegen denkbare Übergriffe eine hervorragende Rolle in der neuzeitlichen politischen Philosophie. Die argumentative Auseinandersetzung zielte hierbei in zwei Richtungen und verfolgte zwei unterschiedliche Strategien. Explizit wird der Kampf geführt, der sich gegen mögliche Übergriffe des Staates richtet und für die Unantastbarkeit des bürgerlichen Eigentums streitet. Die aristokratischen „Privilegien“ der englischen Habeaskorpusakte werden als grundgesetzliche Ansprüche eines jeden Bürgers zu höchsten politischen Gütern erklärt und unter Einbeziehung des Privateigentums als „natürliche“ Rechte des Bürgers gegen den Staat argumentativ abgesichert. Implizit und indirekt verfährt die Argumentation beim Bemühen um die Sicherung der „legitimen“ Erbfolge bzw.der nur über sie erreichbaren Kontinuität und Verfügungsgewalt über Eigentum, auch über den eigenen Tod hinaus. Der hier von innen, aus der eigenen Privatsphäre heraus drohende Kontrollverlust konnte nur durch die Verfügungsgewalt von Männern über die Körper und die Kinder der Frauen bzw. durch die Legitimierung dieser Verfügungsgewalt abgewehrt werden. Da die antike Zugehörigkeit der Frauen zum Besitz nicht mehr diskursfähig war und da Frauen als Menschen vernünftigerweise gleiche Rechte auf Unabhängigkeit und Eigentum in Anspruch nehmen könnten, wird die Argumentation einfach umgedreht. Nicht das Eigentum der Männer, sondern die Eigentumslosigkeit, ergo Schutzlosigkeit der Frauen ist der Grund für ihre — wohlbemerkt freiwillige — Abhängigkeit vom Manne. — bei Locke bereits im Naturzustand -Ihre Schutz-und Eigentumslosigkeit veranlaßt Frauen dazu, sich im eigenen Interesse den Wünschen und Bedürfnissen ihres Mannes zu fügen, ihm unter anderem die Verfügung über die Früchte ihres Körpers zu überlassen — und sich folglich den Gesetzen einer sie extrem diskriminierenden Doppelmoral zu unterwerfen. Sie veranlaßt Frauen auch, auf die Kontrolle des eigenen Besitzes — so wiederum Locke — zu verzichten und in der Konsequenz auf die Teilhabe an der bürgerlichen Gesellschaft und Politik.
Hume z. B. bringt vor. daß nur Männer die Versorgung des Nachwuchses adäquat gewährleisten können. da nur sie über die ökonomischen Mittel und über die Kontakte zur Welt verfügen, die für die Erziehung der nachfolgenden Generation notwendig seien. Männer würden sich dieser Aufgabe und den mit der Aufzucht von Kindern verbundenen Opfern und Strapazen aber nur unter der Bedingung annehmen, daß eine natürliche Verbindung sie zur Sorge für ihren Nachwuchs dränge. Diese natürliche Zuwendung kann sich aber nur dann entwickeln. wenn ihnen absolute Sicherheit gewährleistet wird, daß sie sich dem im biologischen Sinne „eigenen“ Kinde zuwenden. Daher sind Frauen, anders als Männer, und dies aus eigenem Interesse, dem Gebot absoluter Keuschheit und der Kontrolle des Vaters oder des Ehemanns unterworfen. Wiederum ist die Argumentation, bei Hume wie im gleichen Zusammenhang noch deutlicher bei Locke kreisförmig: Frauen sind eigentums-, also schutzlos, und begeben sich daher unter die Herrschaft eines Ehemannes; die Herrschaft des Ehemanns bewirkt, daß sie nicht nur ihre Kinder, sondern auch die Ergebnisse ihrer produktiven Tätigkeit der Verfügung und Kontrolle des Mannes unterstellen. Die bürgerliche Herrschaft des Mannes über die Frau wird also mit ihrer Eigentumslosigkeit — ihre Eigentumslosigkeit mit der ehelichen Herrschaft des Mannes erklärt, wobei mit mehr oder weniger deutlichen Hinweisen auf ihre Gebärfähigkeit. welche zur Behinderung degradiert wird, dem Ganzen der Anschein von Freiwilligkeit und Natürlichkeit gegeben wird. Das eigentliche Motiv, die Sicherung des männlichen Anspruches auf „legitime“ Erben und auf alleinige Verfügung über den Besitz, d. h. also die Sicherung des Status quo.der sich zwar in vieler Hinsicht ändern sollte, aber eben nicht in dieser, bleibt dabei ungesagt. 3. Vernunft und Liebe: Symbioseabwehr oder das gespaltene Subjekt des politischen Diskurses Die politische Philosophie der Aufklärung erkennt explizit nur die Vernunft bzw. eine als vernünftig vorgestellte Natur als Legitimation von Herrschaft an. Nur ein Akt der Vernunft ist in der Lage, die als widerstreitend gedachten Einzelinteressen der Individuen aus ihrem potentiell zerstörerischen Gegeneinander zu einem vernünftigen und gemeinsamen Ganzen zu integrieren. Der Vertrag, durch den der Staat als allgemeiner Wille gegründet und Herrschaft gestiftet wird, ist ein Akt universaler und zugleich kollektiver Vernunft, denn nur wenn alle Bürger ihm zustimmen, ist er das. was er aus Vernunftsgründen sein soll: die Manifestation eines allgemeinen Willens, der in der Lage ist. die partikularen Vernunftinteressen der Einzelsubjekte zu transzendieren. Frauen, von denen gleichwohl nirgend behauptet wird, sie seien keine Menschen oder Individuen, wurden in allen aufklärerischen Konzepten vom Akt der Vertragsgründung und in der logischen Folge vom Wahlrecht ausgeschlossen. Während also im Verhältnis der Männer untereinander Herrschaft nur im gegenseitigen Einverständnis möglich ist und widerstreitende Interessen auch im Einzelfall vertragliche Regelungen erfordern, wird im Verhältnis der Geschlechter untereinander Herrschaft und Interessenidentität fraglos vorausgesetzt. und dies, obwohl die Unterschiede zwischen Mann und Frau als weitaus größer angesehen wurden als die zwischen einzelnen Männern. Am deutlichsten drückt dies der Individualist James Mill in seinem Artikel „Gouvernment" von 1821 aus: „Es leuchtet ein. daß all die Individuen, deren Interessen fraglos in denen anderer Individuen aufgehoben sind, ohne Schwierigkeit ausgeschlossen werden können. Unter diesem Gesichtspunkt können alle Kinder bis zu einem gewissen Alter betrachtet werden, deren Interessen in die ihrer Eltern eingebunden sind. Auch Frauen fallen hierunter. da ihre Interessen meistens mit denen ihrer Väter oder mit denen ihrer Ehemänner zusammengehen.“
Was für die politische Gesellschaft widerlegt und entkräftet werden soll: die Legitimität herkömmlicher gesellschaftlicher Verbände und Hierarchien, sowie das Recht einiger, im angemaßten Interesse anderer über diese zu verfügen, wird im Verhältnis zu Frauen wieder eingeführt und bekräftigt.
Ich möchte aber diesen Widerspruch nicht nur einfach als Widerspruch benennen, sondern versuchen, dem rationalen Sinn dieser irrationalen Ungereimtheit auf die Schliche zu kommen und herausfinden. was dieser Widerspruch über die Art der Vernunft aussagt, die da an ihrem politischen Werke ist. Zunächst einmal können wir feststellen, daß das Subjekt des aufgeklärten politischen Diskurses.der sich seit Hobbes individualistisch, atomistisch und liberal — im Sinne der Prononcierung von Einzelinteressen — gibt, nicht etwa ein Individuum ist, sondern die Familie. Das Atom, die kleinste Einheit des politischen Gefüges ist nicht der Mann, sondern die als Interesseneinheit gedachte Verbindung Vater-Mutter-Kind. Susan Okin. die dieses als eines der Ergebnisse ihrer Untersuchung konstatiert, übersieht jedoch, daß es nicht Familien sind, die den politischen Verband begründen, son-dem Männer, die sich die Interessen von Frauen und Kindern einverleiben, sich mit diesen verschmolzen haben — die als Mann und Frau zugleich auftreten und es so ermöglichen, die realen Frauen und Kinder in einen vor-politischen Raum zu verbannen. Daß die Familie bis in unsere Tage ein quasi rechtsfreier Raum geblieben ist. an dem sogar das Gewaltmonopol des Staates noch immer eine Grenze findet, ist nur ein Ausdruck dieser illusionierten Verschmelzung der Personen und ihrer Interessen.
Die Familie gehört im Diskurs der Aufklärung nicht zur Das drückt sich unter anderem Politik. darin aus, daß sie z. B. bei Fichte nicht in die Sittlichkeitslehre, wo Staat und Gesetze abgehandelt werden, sondern ins Naturrecht plaziert wird, dem auch die dem Gesetz des Stärkeren unterworfenen Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten zugerechnet werden. So wie die Staaten ein sittlich-rechtliches und durch Gesetze geordnetes Leben nach innen, im Verhältnis zu und zwischen den einzelnen Staatsbürgern vorweisen, und daneben ein natürliches, vorgesetzliches und im Zweifelsfalle gewalttätiges nach außen, so steht auch jeder Mann in zweierlei Bezügen: als Bürger und Untertan in rechtlich geregelten Verhältnissen zu anderen Männern und zur staatlichen Obrigkeit, und — als Privatmann — in vorpolitischen, außerhalb der Rechtsordnung stehenden, durch Dominanz und Vormundschaft gekennzeichneten Beziehungen zu Frau und Kindern. Wenn die Familie als vor-politisch gedacht wird, so doch keineswegs als vor-gesellschaftlich. Im Innen-verhältnis zwischen Mann und Frau, das nach außen.dem Staate zu. symbiotisch gedacht wird, ist in der politischen Philosophie der Aufklärung eine gewaltige Dynamik zu erkennen, die als Voraussetzung für die Konstitution des Mannes zum Bürger und der Bürger zum Staat entziffert werden kann. Neben der Sicherung des Eigentums und des legitimen Namens — dem aristotelischen „Ausbrüten“ jetzt nicht mehr im biologischen, aber immerhin noch im übertragenen und gesellschaftlichen Sinne — wird der Familie und insbesondere der keuschen Hausfrau die entscheidende Rolle in einer aufwendigen Seelenökonomie zugedacht, die den Zweck hat.den Mann als vernünftiges, also von Emotionen und Affekten unbehelligtes, rationales Individuum zu produzieren. Als Zeugen für dieses im wahrsten Sinne grundlegende Motiv, die Familie als Instrument der Symbioseabwehr zu konstruieren. möchte ich Jean-Jacques Rousseau anführen. Rousseau hat die Forderung einer rational begründeten politischen Vernunft nach Gleichheit und Einheitlichkeit, ähnlich wie zu seiner Zeit Platon, am konsequentesten zu Ende gedacht. Im Unterschied jedoch zu Platon. für den Frauen keine affektive Bedrohung darstellten, waren für Rousseau Frauen das Einfallstor der Unvernunft, des Triebhaft-Natürlichen.der den Verstand fesselnden Affekte. Noch kein Volk sei am exzessiven Alkoholgenuß. alle seien sie am Chaos der Weiber zugrunde gegangen, sagt Rousseau in seinem Brief an d’Alambert. Als einer der durchgängigen Motive seiner pädagogischen und politischen Schriften ist denn auch der auf dem Hintergrund seiner Biographie geradezu hünenhaft anmutende Versuch zu identifizieren, die Gefahr Frau zu bannen, die den modernen Mann bei der Ergreifung der Macht über sein eigenes Geschick, das er der Natur und der Tradition zu entreißen beginnt, stört. Rousseau muß seine Frauen so zurichten, daß sie nicht nur keine Gefahr mehr für den freien Bürger darstellen, sondern daß sie darüber hinaus lebenslänglich damit beschäftigt und dafür qualifiziert sind, die Gefahr. die aus den eigenen Trieben und Lüsten der Männer entstammt, unter Kontrolle zu halten.
Rousseaus episches Hauptwerk, die „Nouvelle Hloise“ ist mitnichten der große Liebesroman, als der er tausendfach gelesen wurde, sondern das hohe Lied der Vermeidung. Über circa 1 000 Seiten Dünndruck wird da leidenschaftlich gegen die Liebe und gegen den Wunsch nach Vereinigung gekämpft. Der Sieg ist errungen, als es die Liebenden gelernt haben, ohne Begehren und Schuld zu verspüren, in nächster Nähe zu verweilen. Er in politisch-gelehrte Gespräche mit ihrem Ehemann vertieft, sie züchtig um die Kinder besorgt. Aber auch in der legitimen Verbindung zwischen Emil und seiner Ideal-Frau Sophie darf es keine wirkliche und spontane Begegnung geben. So wie er im Außenverhältnis ihr Herrscher ist. so verlangt er von ihr. daß sie in der Beziehung untereinander die Herrschaft über ihn ergreife: ihn abweise, oder an sich ziehe, und dies nicht seinen oder ihren Bedürfnissen gehorchend, sondern einer kalkulierten Seelenökonomie zufolge, die den Sinn hat. das gefährliche Feuer des sinnlichen Verlangens in wohldosierten Abständen, im jeweils richtigen Augenblick und in der für ihn gerade richtigen Mischung zu löschen oder zu zügeln und so unter Kontrolle zu halten. Denn nicht von der außerehelichen, sondern von der absorbierenden Liebe droht die Gefahr. Rousseau gilt die Liebe eines Mannes zur Frau seines Nachbarn oder Freundes solange als wenig lasterhaft, wie der Mann seine Pflichten als Familienvater und Staatsbürger erfüllt, während die hingebungsvolle Liebe zur eigenen Gattin eine schuldhafte Verletzung männlicher Selbstdisziplin und Staatsbürgerlichkeit darstellt. Die nach außen als symbiotische Verschmelzung vorgestellte Familie enthüllt so in ihrem Innenraum das gerade Gegenteil. Als feinsinniges Instrument der Vermeidung von Kontakt. Begegnung und Symbiose soll sie Männer schützen vor Selbstverlust und Hingabe. „Vereinigung“. „Hingabe“ und „völlige Entäußerung ohne Vorbehalt“ bleibt bei Rousseau der rein männlichen Sphäre der Politik Vorbehalten. Zu Beginn des Contrat Social wird der „Akt“, in dem die Männer sich zum gemeinsamen Staatswesen zusammenfinden, mit eben diesen Worten beschrieben. Für Rousseau, den leidenschaftlichen Frauenverehrer und Frauenhasser sind die Kräfte der symbiotischen Identifikation und der aufopfernden Hingabe nur denkbar und legitim im Zusammenschluß affektfreier Männer und im Zeichen einer Vernunft, die Sinnlichkeit, Gefühle und Liebe erfolgreich aus den Gefilden der Politik verdrängt und ausgeschlossen hat.
Wie die affektfreie Vernünftigkeit zum konstituierenden Wesensmerkmal des männlichen Bürgers, so wird „Liebe“ zu einem Paradigma stilisiert, welches — den Frauen zugeschrieben — deren Ausgrenzung aus den „vernünftigen“ Gefilden von Staat und Politik vollends besiegelt. Johann Gott-lieb Fichte kommt das Verdienst zu, das Liebes-argument in wirkungsvoller Weise zur perfiden Perfektion gebracht zu haben: Frauen haben der Definition zufolge, die seinen apriorischen Ausgangspunkt bildet, keine eigenen sexuellen Bedürfnisse. Da aber zur Erfüllung des Naturzweckes Fortpflanzung beide Geschlechter einen eigenen selbsttätigen Trieb verfolgen müssen, um vollwertige Menschen zu sein, muß bei der Frau, die nicht nur als Mittel zur Befriedigung der Lust des Mannes und der Zwecke der Natur gedacht werden kann, „nach dem Plane der Natur“ ein eigener spezifischer Trieb vorausgesetzt werden. Als diesen Trieb macht Fichte die Liebe aus. Die Liebe aber ist „der Natur-trieb des Weibes, einen Mann zu befriedigen . . . ein Trieb, der dringend seine Befriedigung heischt“ 19). Die politischen Implikationen dieser Liebesdefinition, die mehr als ein Jahrhundert das bürgerliche Eherecht und die gesellschaftliche Realität der Frauen geprägt hat, ergeben sich im Fortgang der Argumentation mühelos und wie von selbst. Die Frau, die ihren Körper und ihre Person dem Manne als Mittel zu seiner Befriedigung hingegeben hat, kann nach Meinung Fichtes nichts anderes für sich zurückbehalten, ohne sich dem Makel auszusetzen, diesem anderen — Vermögen oder Beruf — mehr Wert beizumessen als ihrer Person selbst. Sie gibt daher „notwendig dem Geliebten alles hin. was sie hat . . . ihre eigene Würde beruht darauf, daß sie ganz, so wie sie lebt und ist. ihres Mannes sey. und sich ohne Vorbehalt an ihn und in ihm verloren habe. Das geringste, was daraus folgt, ist. daß sie ihm ihr Vermögen und alle ihre Rechte abtrete, und mit ihm ziehe ... sie hat aufgehört. das Leben eines Individuums zu führen: ihr Leben ist ein Teil seines Lebens geworden; und dies wird trefflich dadurch bezeichnet, daß sie den Namen des Mannes annimmt.“ 20)
Die absorbierende Liebe, vor der sich die Denker der Aufklärung fürchten wie vor dem leibhaftigen Gottseibeiuns und die sie mit allerlei rationalen und
Die absorbierende Liebe, vor der sich die Denker der Aufklärung fürchten wie vor dem leibhaftigen Gottseibeiuns und die sie mit allerlei rationalen und institutionellen Vorkehrungen von Männern fern-zuhalten suchen, soll bei Frauen alles verschlingen: ihre Lust und Sexualität, ihre politischen Rechte, ihre Fähigkeit, einen Beruf zu ergreifen, oder ein Amt zu übernehmen, die Verfügung über ihr eigenes Vermögen, ja ihre Individualität und Persönlichkeit selbst.
Daß die bürgerliche Kultur der letzten beiden Jahrhunderte voll ist von Versuchen, den Mädchen und Frauen einen solchen Begriff von Liebe nahezu-bringen, und auch, daß diese Versuche nicht ohne Erfolg geblieben sind, ist wohl bekannt. Weniger geläufig ist uns jedoch, daß die Konzepte von Eigentum, Vernunft und Liebe, wie sie in der politischen Philosophie der Aufklärung entwickelt wurden. aufs innigste verbunden waren mit der Konzeption des modernen Staates, und daß mit ihrer Hilfe Vorstellungen vom Staatswohl und von der Staatsvernunft geprägt wurden, die im Zuge ihrer institutionellen Durchsetzung im 18. und 19. Jahrhundert die Beteiligung von Frauen an der Politik und am öffentlichen Leben wirkungsvoll verhinderten und die Lebenskraft und Produktivität der Frauen als private und gemeinschaftliche Ressource unter männliche Verfügungsgewalt stellten.
II. Frauen und Politik heute: Von der äußeren Trennung zum inneren Konflikt
Daß solchermaßen abgespaltene Vernunft nicht vernünftig und Liebe nicht liebesfähig sein kann, beginnen wir heute zu verstehen. Dennoch haben die beschriebenen Paradigmen die politische Sozialisation von Frauen über Generationen beeinflußt und wirken sich noch heute auf ihr Politik-und Machtverhalten aus. Ein Verständnis des spezifischen Verhältnisses, das Frauen heute politischer, aber auch persönlicher Macht gegenüber an den Tag legen, ist nur auf dem Hintergrund der ideen-und sozialgeschichtlichen Umwälzungen zu verstehen. die im Verlauf der letzten 200 Jahre die Lebensbedingungen von Frauen und ihr Verhältnis zu den in der Regel männlichen Machthabern und politischen Institutionen von Grund auf verändert haben. Was in der politischen Theorie von Hobbes. Locke. Rousseau und Fichte vorausgesetzt bzw. gefordert wurde — die strikte institutioneile Trennung von Vernunft und Liebe. Familie und Politik — hat sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts und der Herausbildung der modernen Staats-. Verwaltungs-und Wirtschaftsformen endgültig durchgesetzt. Während Frauen noch bis in die Zeit des Ancien Regimes bei den politischen Aktionen und Repräsentationen der Herrschenden wie auch bei den Rebellionen und Aufständen des Volkes durchaus präsent waren, verfielen im Zuge von Industrialisierung. Verbürgerlichung und Verstädterung des Lebens die traditionell weiblichen Widerstands-und Aktionsformen
Die gesellschaftlichen Umstrukturierungen gingen einher mit einer bisher nicht gekannten, aber schon politisch-philosophisch legitimierten Polarisierung zwischen öffentlichen und privaten, produktiven und reproduktiven, männlichen und weiblichen Lebensbereichen. Unter dem Einfluß der neuen Vernunft-Moral und den Erfordernissen des auf Konkurrenz ausgerichteten wirtschaftlichen Lebens, zerfiel hierbei die bislang für Männer und Frauen gemeinsam und in gleicher Weise geltende christliche Verhaltensethik und bewirkte, daß sich Norm-struktur und Verhaltensmoral der sich gegenüberstehenden Lebensbereiche fundamental widersprachen. „Die neue Strukturierung der Welt sollte man sich nicht als eine bloße Neueinteilung entlang einer mehr oder weniger neutralen Trennungslinie vorstellen. Die beiden Bereiche widersprechen sich, was ihre Grundwerte anbelangt, von Grund auf. und die Trennungslinie zwischen beiden ist geradezu aufgeladen mit moralischen Unvereinbarkeiten.“
In einer Gesellschaft, in der die Zuständigkeit von Frauen für das Private und von Männern für die gesellschaftliche Produktion und die Öffentlichkeit, für institutionalisierte Macht und Politik klar getrennt waren, haben sich auch für den Umgang mit Macht und Politik geschlechtsspezifisch unterschiedliche Verhaltensmuster und Wertvorstellungen entwickelt, die als kulturelle Normen bis in unsere Tage wirksam sind. Männer bewegen sich diesem Kulturmuster zufolge in klar strukturierten, von außen vorgegebenen Hierarchien, die prinzipiell allen Männern zugänglich sind. Alle Männer, die bestimmte Denk-und Spielregeln beherrschen, haben prinzipiell gleiche Chancen, in jede Stufe der gesellschaftlichen Machthierarchie aufzusteigen. Machtbeziehungen der Männer untereinander sind durch klare Verkehrsnormen bestimmt, welche durch institutioneile, bürokratische, juristische und wirtschaftliche Regelsysteme vorgegeben sind. Machtkämpfe unter Männern werden auf einer rationalen Argumentationsebene (Rhetorik) ausgetragen und bleiben, zumindest dem Anspruch nach, frei von persönlichen Gefühlen dem Gegner gegenüber. Macht wird zu einer Sache entpersonalisiert und von allen dem „Privaten“ und „Persönlichen“ vorbehaltenen Gefühlen getrennt gehalten. Das Machtverhalten von Frauen ist demgegenüber durch die Anwendung ausgesprochen persönlicher und emotionaler Durchsetzungsstrategien geprägt. Im bürgerlichen Schema von Männlichkeit und Weiblichkeit bestimmt letztendlich der Einsatz ganz privater, emotionaler und familiärer Qualitäten über die soziale Position, die eine Frau erringen wird. Die Hierarchien, mit denen Frauen in Auseinandersetzungen umzugehen haben, sind nach außen hin über die Position des Ehemanns bestimmt. und nach innen — das Aktionsfeld der eigenen Familie betreffend — auf rudimentäre Weise verkürzt zu der Hierarchie Mann — Frau — Kind. * Veränderungen in dieser hierarchischen Anordnung ergeben sich im klassisch-bürgerlichen Frauenleben nicht durch eigene Bemühungen, sondern nur dadurch, daß das Gefälle nach unten hin durch das Heranwachsen der Kinder zunehmend aufgehoben wird. Ein sozialer Aufstieg innerhalb der Familienhierarchie war jedoch niemals formal und offen, sondern nur durch indirektes Umstülpen des realen familiären Machtverhältnisses möglich. Frauen lernten in dieser Situation mit einer Macht umzugehen. die sie.selbst der Möglichkeit nach, nie einnehmen würden und die sie daher nur durch indirekte Manipulationen beeinflussen konnten. Entsprechend sieht das weibliche Kulturmuster Macht-verhalten der Frauen in Form von Zuwendung und Erpressung. Verlocken und Versagen, durch Einfühlnahme und Opferhaltung — durch Empathie, Intrige und Beziehungsmacht vor. Darüber hinaus unterstellte es Frauen einem moralischen Verdikt, welches Machtstreben und Machtausübung durch Frauen im politischen, aber auch im allgemein gesellschaftlichen Umfeld zum Tabu erklärte.
Es entzieht sich unserer Kenntnis, inwieweit Frauen, unter dem gesellschaftlichen Anspruch, Gegenwerte von Macht — nämlich Liebe — zu repräsentieren. die hier idealtypisch beschriebenen indirekten Strategien der Machtausübung tatsächlich entwickelt haben. Anzunehmen ist allerdings, daß das gültige Kulturmuster in einer gewissen Wechselwirkung zu dem tatsächlichen Verhalten von Frauen stand und dieses auch beeinflußt hat. In dem Maße aber, in dem Frauen die häuslich-familiäre Isolierung durchbrechen und in öffentliche Bereiche eindringen, werden auch sie zunehmend konfrontiert mit dem offen-öffentlichen, stärker von außen strukturierten männlichen Machtmuster. Die oben genannte Trennungslinie zwischen an sich unvereinbaren moralischen Systemen, welche im 19. Jahrhundert noch als Trennlinie zwischen den Geschlechtern angesehen werden konnte, wurde damit als individuelles Problem und als permanenter Entscheidungs-, Identitäts-und Wertekonflikt in die sich öffentlich-politisch verhaltende Frau selbst hineinverlagert
Die ambivalente Distanz der Frauen zur männlichen Macht und Politik, die sie bekämpfen und doch zugleich anstreben, und die Unsicherheit dem eigenen kulturellen Erbe und Verhaltensrepertoire gegenüber, welches als Mitverursacher für politische und gesellschaftliche Machtlosigkeit verpönt, und doch andererseits als wertvollere Form der sozialen Kommunikation beibehalten werden soll, stellt in der Öffentlichkeit tätige Frauen vor neuartige Verhaltensprobleme. Auch und insbesondere dann, wenn ihre politischen Aktivitäten mit einem frauenpolitischen Anspruch verbunden sind. Der Rückgriff auf das alte Paradigma der „Geistigen Mütterlichkeit“, welches derzeit unter dem Signum eines besonderen mütterlich-weiblichen Politik-begriffes die typischerweise weiblichen Varianten patriarchaler Deformationen zu leugnen, und sie gar mit höheren Weihen auszustatten sucht, ist mit Sicherheit kein Weg zur Lösung dieser Ambivalenzen. Die patriarchalen Paradigmen „Eigentum“. „Vernunft“ und „Liebe“ haben heute im Jahre 1988 ihr erschreckendes und reales Pendant erzielt: In der Armut von Frauen, in ihrer skandalösen Unter-repräsentanz in den Zentren von Wissenschaft und Forschung, und im materiellen und psychischen Elend der Schützlinge von mittlerweilen 120 Frauenhäusern in Deutschland. Der Kampf gegen diese Realitäten ist ein inhaltlicher Kampf, der sich gegen die herkömmlichen Prioritäten der überwiegend von Männern bestimmten Politik wendet, aber auch gegen diejenigen Formen und Rituale des politischen Lebens, die ihre Entstehung und ihr derzeitiges Funktionieren der Abspaltung familiärer Verantwortungen aus dem Leben von Politikern verdanken. Dieser Kampf kann nicht liebevoll und sollte nicht „mütterlich“ im Verborgenen geführt werden. Er wird heute von immer mehr politisch tätigen Frauen selbstbewußt und solidarisch und überaus offen und direkt in die politische Öffentlichkeit gebracht.