Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Grundeinkommen ohne Arbeit? | APuZ 38/1988 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 38/1988 Artikel 1 15 Jahre Massenarbeitslosigkeit —. Aspekte einer Halbzeitbilanz Leben mit der Arbeitslosigkeit Zur Situation einiger benachteiligter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt Herausforderungen und Möglichkeiten einer kommunalen Arbeitsmarktpolitik Grundeinkommen ohne Arbeit? Ausblick auf die Arbeitsgesellschaft. Über das ganz allmähliche Verschwinden des Menschen

Grundeinkommen ohne Arbeit?

Joachim Wiemeyer

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf eine grundlegende Änderung der Sozialsysteme in der Bundesrepublik Deutschland und anderer Länder zielt der Vorschlag zur Einführung eines „Grundeinkommens ohne Arbeit“ ab. Der Diskussion über die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Auswirkungen eines solchen Grundeinkommens sowie der sozialethischen Wertung dient der vorliegende Beitrag. Ein allgemeines Grundeinkommen würde eine solche Abgabenbelastung erfordern, daß die notwendige Leistungsmotivation deutlich sinken müßte, oder massive Ausweichreaktionen in die Schattenwirtschaft die Folge wären. Das gegenwärtige Sozialhilfesystem mit einer Bedürftigkeitsprüfung kann ferner durch ein generelles Grundeinkommen nicht ersetzt werden, weil die Bedarfsgerechtigkeit andere finanzielle Leistungen pro Kopf — z. B. für Rentner oder Mütter mit Kleinkindern — erfordert als für Arbeitsfähige im Erwerbsalter, Gesellschaftliche Probleme wie die Beseitigung unzureichender Arbeitsbedingungen oder die Gewährleistung einer permanenten Weiterbildung können nicht durch einen Ausstieg aus der Arbeitswelt, der durch ein Grundeinkommen finanziert wird, gelöst werden, sondern nur durch betriebliche Mitbestimmung und Tarifvereinbarungen. Aus sozialethischer Sicht ist jede Gesellschaft auf eine gerechte Verteilung von Rechten und Pflichten angewiesen. Einem lebenslangen Grundeinkommen als Recht müßte eine mehrjährige staatlich vorgeschriebene und kontrollierte Arbeitspflicht entsprechen. Auch unter dieser Perspektive stellt ein „Grundeinkommen ohne Arbeit“ keinen Weg zu mehr Freiheit und Gerechtigkeit dar. Die vorhandenen sozialen Probleme können durch eine sachgerechte Weiterentwicklung der Sozialordnung besser gelöst werden.

Seit einiger Zeit wird in der Bundesrepublik Deutschland und über ihre Grenzen hinaus über ein „Grundeinkommen ohne Arbeit“ diskutiert. Ein solches Grundeinkommen soll als soziales Grundrecht jedem einzelnen Bürger ohne Voraussetzungen lebenslang zustehen. Die Forderung nach Einführung eines garantierten Grundeinkommens wird aus verschiedener Perspektive erhoben: — Ein Ausgangspunkt ist die These, daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehe so daß eine Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Wirtschaftswachstum weder möglich (Sättigungserscheinungen) noch wünschenswert (Umwelt-und Rohstoff-problematik) sei. Zwangsläufig müsse ein wachsender Teil der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter seinen Lebensunterhalt aus Sozialleistungen beziehen. Daher sei eine Entkoppelung von Arbeit und Einkommen ebenso notwendig wie die Abkehr von einer an der Erwerbsarbeit anknüpfenden Sozialpolitik Damit nicht eine wachsende Zahl von Menschen auf Sozialleistungen angewiesen seien, müßte ein staatlich garantiertes Einkommen geschaffen werden. — Das garantierte Grundeinkommen reduziert den mit einer Bedürftigkeitsprüfung verbundenen Einfluß der Sozialbehörden. Ausdruck dafür ist u. a. die Heranziehung von Sozialhilfeempfängern zu gemeinnützigen Arbeiten (§ 18 ff. Bundessozialhilfegesetz) — Ein garantiertes Grundeinkommen könnte zur „Befreiung von falscher Arbeit“ führen, indem Arbeitnehmer entweder erst gar keine Tätigkeit bei unzureichenden Arbeitsbedingungen aufnehmen oder eher bereit sind, bei unbefriedigenden Arbeitsbedingungen den Arbeitsplatz aufzugeben.

— Ein garantiertes Grundeinkommen würde ein vorübergehendes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben z. B. zum Zweck einer Aus-, Fort-und Weiterbildung etwa durch ein regelmäßiges Sabbatjahr (alle fünf bis sieben Jahre) erleichtern und fördern Der den Kapitalismus prägende Zwang zur Erwerbsarbeit würde aufgehoben.

— Ein garantiertes Grundeinkommen oberhalb des jetzigen Sozialhilfesatzes würde zur Bekämpfung von „verschämter Armut“ beitragen, die vor allem bei Rentnern verbreitet ist. die sich scheuen, als Bittsteller beim Sozialamt aufzutreten, um durch Sozialhilfe ihre zu niedrige Rente aufzustocken. — Ein garantiertes Grundeinkommen könnte zudem die Alimentation eines autonomen Sektors ermöglichen, der statt durch hierarchische Über-und Unterordnung durch Gleichordnung aller Beteiligten, an Stelle anonymer Marktprozesse durch personale. solidarische Verbindungen gekennzeichnet ist und so den Aufbau einer humanen Gesellschaft ermöglicht Insofern bietet ein garantiertes Grundeinkommen einen Freiraum für die individuelle Selbstverwirklichung.

— Das garantierte Grundeinkommen würde zudem Personen, die bisher schon gesellschaftlich wertvolle, aber nicht durch Markteinkommen belohnte Arbeit leisten, ein eigenes monetäres Einkommen ermöglichen. Dieses würde vor allem Frauen zugutekommen, die bisher von ihren Ehemännern finanziell abhängig sind, weil sie auf Erwerbsarbeit wegen Kindererziehung oder der Pflege von alten und kranken Familienangehörigen verzichten.

Den Anhängern des Grundeinkommens erscheint eine Finanzierung, die sich je nach Höhe des angestrebten Niveaus von monatlich 800— 1 000 DM pro Erwachsenen und 50 % davon pro Kind für die Bundesrepublik auf ca. 600— 800 Milliarden DM jährlich belaufen würde, deshalb als möglich, weil sich bei den bestehenden Sozialleistungen (Sozial-budget 1986: 603 Milliarden DM) erhebliche Einsparungen ergeben würden. Die notwendigen Mehrausgaben könnten durch eine Maschinen-oder Wertschöpfungssteuer finanziert werden. Es sei nur billig, daß die Maschinen, die den Menschen aus der Arbeitswelt verdrängen, zumindest zu dessen Lebensunterhalt beitragen müßten

In den folgenden Überlegungen soll eine kritische Würdigung der neueren Grundeinkommensdiskussion erfolgen, wobei drei Fragen den Leitfaden bilden: Ist — erstens — die Analyse der sozialen Wirklichkeit durch die Befürworter des Grundeinkommens zutreffend? Stellt — zweitens — das Grundeinkommen eine geeignete Therapie der zu lösenden Probleme dar? Wie ist — drittens — das Grundeinkommen aus sozialethischen Gesichtspunkten, vor allem der in der katholischen Sozial-lehre im Mittelpunkt stehenden Aspekte „Gerechtigkeit und Freiheit“ zu beurteilen? Dabei ist es nicht möglich, alle Aspekte der Diskussion umfassend zu würdigen, da die Forderung nach einem Grundeinkommen ohne Arbeit weit über eine Reform des Sozialsystems hinaus reicht und z. T. als „ein kapitalistischer Weg zum Kommunismus“ angesehen wird und damit auf grundlegende Veränderungen der Wirtschafts-und Sozialordnung abzielt.

Die neueren Vorschläge werden zwar oft mit Konzepten einer „Negativen Einkommenssteuer“ wie sie etwa von dem liberalen Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman vertreten werden, in Verbindung gebracht, weisen aber eine unterschiedliche Zielsetzung auf. Eine Negative Einkommenssteuer ist dadurch gekennzeichnet, daß Bezieher niedriger Einkommen unterhalb eines staatlich festgesetzten Mindesteinkommens einen Transfer (d. h. eine „negative Steuer“) vom Finanzamt erhalten. Bei steigendem Einkommen geht diese negative Steuer zurück. Nach Überschreiten einer Einkommensschwelle (z. B. 14 000 DM setzt dann die Steuerpflicht ein. Zielsetzung dieser Vorschläge ist eine höhere Effizienz des staatlichen Steuer-und Transfersystems, indem durch eine Integration von Sozialleistungen und Steuererhebungen Inkonsistenzen und Ungereimtheiten aus einer mangelnden Abstimmung beider Systeme vermieden werden Diese bestehen im gegenwärtigen Sozialsystem darin, daß der Grundfreibetrag der Einkommenssteuer unterhalb des Sozialhilfesatzes liegt, so daß in Grenzfällen Bürger aus der einen Tasche Einkommenssteuern an das Finanzamt zahlen müssen, und in die andere Tasche Leistungen des Sozialamtes erhalten Erst durch die Steuerreform 1990 wird dieser Mißstand beseitigt.

Weiterhin wollen Friedman und andere vermeiden, daß durch die Art der Gewährung von Sozial-und Arbeitslosenhilfe Sozialleistungsempfänger als eine dauerhafte Klientel einer staatlichen Sozialbürokratie, die aus Eigeninteresse (z. B. Erhalt des Arbeitsplatzes) an einer Mindestzahl zu betreuender Personen interessiert ist, verbleiben. Bei der Sozial-und Arbeitslosenhilfe werden derzeit eigene Einkommen, die über einen Minimalbetrag hinaus gehen, zu 100% auf die Sozialhilfe angerechnet, was de facto der Wirkung einer Besteuerung von 100 % entspricht. Damit fehlt dann aber jeder Anreiz zur Arbeitsaufnahme. Hingegen wird bei der Negativen Einkommenssteuer selbst erworbenes Einkommen nur in Höhe des Steuersatzes (von 30% bis 50%) angerechnet, so daß ein gewisser Arbeitsanreiz besteht.

Der entscheidende Unterschied zwischen den Vorschlägen der „Negativen Einkommenssteuer“ und des „Grundeinkommens ohne Arbeit“ besteht also darin, daß Friedman u. a. für Sozialleistungsempfänger größere Anreize zur Arbeitsaufnahme geben wollen und daher für ein minimales Niveau der staatlichen Transferleistung eintreten, während die Grundeinkommensbefürworter wegen des „Endes der Erwerbsarbeit“ für ein hohes Grundeinkommen eintreten, damit auch ohne Erwerbsarbeit ein angemessener Lebensstandard realisiert werden kann. Im folgenden werden nur die Grundeinkommenskonzepte näher analysiert, wobei zunächst auf die Situationsbeschreibung der Grundeinkommensbefürworter eingegangen wird.

I. Unzureichende Analyse der sozialen Wirklichkeit

Jahresarbeitszeit/Arbeitslosenquote 1987

Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland 1988. Tabellen Nr. 153 u. 155.

Kein Ende der Erwerbsarbeit Verbreitet ist die These, daß sich ein Ende der Arbeitsgesellschaft abzeichnet und in wenigen Jahren 20 000 Erwerbsarbeitsstunden (= 12 heutige Berufsjahre) für jeden einzelnen ausreichen werden , den Lebensunterhalt zu verdienen. Eine höhere individuelle Arbeitszeit müsse zu einer höheren Arbeitslosigkeit führen. Opielka hält zumindest den Übergang zur 20-Stunden-Woche bald für möglich.

Im Gegensatz zu solch kühnen Hoffnungen zeigt ein Blick in die Realität, daß ein Ende der Erwerbs-arbeit nicht absehbar ist. Die Zahl der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik Deutschland beträgt seit vielen Jahren etwa 26 Millionen. Natürlich sind die Stunden bezahlter Arbeit zurückgegangen, weil Einkommenserzielung durch Erwerbsarbeit ja keinen Selbstzweck darstellt. Bei steigendem Einkommen besteht der Wunsch, ausreichend Zeit für Konsum zu haben, etwa nach einem längeren Jahresurlaub. wenn man sich zwei oder drei jährliche Urlaubsreisen leisten kann. In ähnlicher Weise gilt dieses auch für die Wochenarbeitszeit, um zeitintensiver Freizeitgestaltung wie im Rahmen der Sportwelle (Surfen, Tennis usw.) oder bei der Gartenarbeit nachgehen zu können. Aus diesen Wünschen der Beschäftigten und nicht daraus, daß durch einen naturwüchsigen Prozeß des technischen Fortschritts die Erwerbsarbeit permanent abnimmt, ergibt sich die Verringerung der Arbeitszeit.

Die Tatsache, daß es auf der einen Seite eine umfangreiche und in der Tendenz wachsende Schatten-wirtschaft etwa in Form der Schwarzarbeit gibt, zeigt, daß ein erhebliches Nachfragepotential nach Arbeit besteht. Auf der anderen Seite wird durch die Ausübung von Schwarzarbeit durch viele Arbeitnehmer sowie die fehlende Bereitschaft zur Verkürzung der Arbeitszeit ohne vollen Lohnausgleich und die geringe Nachfrage nach Teilzeitstellen von heute Vollzeitbeschäftigten deutlich, daß die Bedürfnisse der Mehrzahl der Arbeitnehmer noch nicht gesättigt sind. Weder vom Angebot von Arbeit noch von der Nachfrage nach Arbeit her ist ein Ende der Erwerbsarbeit absehbar.

Die Annahme, daß nur eine schnelle und permanente Reduktion der Erwerbsarbeitszeit zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland führen kann, ist verfehlt. Dieses sollte ein Blick in die USA. nach Japan und die Schweiz zeigen — drei Ländern mit höherer Arbeitszeit und niedrigeren Arbeitslosenquoten als in der Bundesrepublik:

Besonders die Beschäftigungsentwicklung in den USA mit einem Anstieg von über 20 Millionen Beschäftigten in den Jahren von 1975 bis 1985 (was einem Beschäftigungszuwachs von über 20 % entspricht) deutet nicht gerade auf das Ende der Erwerbsarbeit hin. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wäre ein deutlich höherer Beschäftigungsstand bei höheren Investitionen, einer beschäftigungsfördernden Tarifpolitik, einer wachstumsfördernden staatlichen Wirtschaftspolitik mit Subventionsabbau und Steuersenkung möglich. Nicht die Entkoppelung von Einkommen und Arbeit und eine Abkehr von der erwerbsarbeitsbezogenen Sozialpolitik ist notwendig, sondern eine Tarif-und Wirtschaftspolitik, die ernsthaft und unter Inkaufnahme von Opfern der Arbeitsplatzbesitzer eine höhere Beschäftigung anstrebt.

Wohlstand beruht auf Arbeit Auch in der modernen Industriegesellschaft beruht der gesellschaftliche Wohlstand vor allem auf Arbeit Die Auffassung, in fast menschenleeren Fabrikhallen würde der Wohlstand durch Roboter quasi automatisch erzeugt, ist verfehlt. Automatische Fertigungsprozesse setzen die hochqualifizierte Arbeit von Ingenieuren, Konstrukteuren, Programmierern und Technikern voraus, die solche Produktionsprozesse erst ermöglichen. Die Automatisierung führt zu einer Reduktion menschlicher Arbeit in der eigentlichen Produktion, hingegen steigt mit zusätzlichen Produktionsstufen die Arbeitsteilung der Volkswirtschaft. Daher sind die gesamtwirtschaftlichen Arbeitsplatzverluste der Technisierung in der Regel erheblich geringer als dieses sich aus der Betrachtung nur eines Unternehmens ergibt.Der Wohlstand der Bundesrepublik beruht nicht zuletzt auf der qualifizierten Arbeit derjenigen, die solche Produktionsprozesse ermöglichen Das wichtigste Kapital einer Volkswirtschaft ist das „Kapital in den Köpfen der Menschen“ — das Humankapital. Die Bereitschaft vieler hochqualifizierter Arbeitskräfte, über eine 35-Stunden-Woche hinaus zu arbeiten, garantiert erst den Wohlstand. Daher ist es keineswegs so. daß die Entfaltung der Produktivkräfte bereits ein Reich der Freiheit mit der Einführung eines Grundeinkommens ermöglicht. Vielmehr erfordert auch der Erhalt der internationalen Konkurrenzfähigkeit eine ständige Erhöhung der Arbeitsqualifikation als Voraussetzung der Weiterentwicklung moderner Techniken. Die Bereitschaft solche Leistungen zu erbringen, hängt nicht zuletzt von der Entlohnung ab.

Enge Verteilungsspielräume Mit der Entkoppelung von Arbeit und Einkommen wird auf alte sozialreformerische Ideen zurückgegriffen. in denen die Vorstellung einer Trennung von Produktion und Verteilung entwickelt wurde. Nicht nur Sozialisten, sondern auch Liberale wie John St. Mill vertraten diese Auffassung: „Anders als die Gesetze der Produktion sind die Gesetze der Verteilung teilweise Menschenwerk.“

Da sich die Möglichkeit einer Trennung von Produktion und Verteilung in Marktwirtschaften als Illusion erwiesen hatte, glaubten auch Ökonomen wie Schumpeter daß in zentralgeleiteten Volkswirtschaften ein größerer Spielraum für diese Trennung gegeben sei. Nachdem vielfältige Experimente dieser Art gescheitert waren, hat sich jedoch auch in zentralgeleiteten Volkswirtschaften die Betonung des Leistungsprinzips durchgesetzt. Sowohl für Marktwirtschaften als auch für zentralgeleitete Volkswirtschaften zeigt sich, daß man von einer engen Bindung vom Beitrag zur Produktion und Verteilung des Produktionsergebnisses ausgehen muß. weil sonst mit gravierenden Auswirkungen für die individuelle Leistungsbereitschaft mit großen gesamtwirtschaftlichen Folgen gerechnet werden muß. Zwar ist in modernen Produktionsprozessen, die ja häufig durch Arbeit in Teams gekennzeichnet sind, der individuelle Leistungsbeitrag für das Gesamtergebnis oft nicht exakt zurechenbar, aber es gibt durchaus deutliche Anhaltspunkte zur Gewichtung der Einzelleistungen Die Lohnstruktur muß daher in einer relativ engen Beziehung zum individuellen Leistungsbeitrag stehen und kann nicht von den Gewerkschaften willkürlich gestaltet werden, es sei denn, um den Preis von Arbeitslosigkeit. Es gibt eine Bereitschaft von Leistungsfähigen, überproportional zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben beizutragen und durch die Zahlung einer progressiven Einkommensteuer sowie über Sozialbeiträge für Nichtleistungsfähige mitzuarbeiten. Es muß aber bezweifelt werden, daß eine solche Bereitschaft — etwa im Rahmen eines Grund-einkommens ohne Arbeit — auch für nicht Leistungswillige besteht Die Bereitschaft, eine hohe Abgabenbelastung — etwa zur Alterssicherung — zu tragen, ist etwas anderes, als für ein jedermann zustehendes Grundeinkommen ohne Arbeit aufzukommen. Bei der Einführung eines generellen Grundeinkommens werden überdies die Grenzsteuersätze für mittlere Einkommensbezieher extrem hoch anzusetzen sein, so daß in Folge von Ausweichreaktionen das Steueraufkommen und damit die Basis der Finanzierung des Grund-einkommens drastisch sinken müßte Schon heute wird Schwarzarbeit, verbunden mit Steuer-und Abgabenhinterziehung, von einzelnen moralisch damit legitimiert, daß es im „sozialen Netz“ einen erheblichen Mißbrauch von Sozialleistungen gebe. Eine Finanzierung des Grundeinkommens über eine Maschinen-bzw. Wertschöpfungssteuer an Stelle einer Einkommenssteuer würde an dieser Problematik nichts grundsätzliches ändern.

Eine Korrektur einer als ungerecht empfundenen Einkommensverteilung muß an den Ursachen ansetzen und kann nicht über ein Grundeinkommen erreicht werden. Durch Intensivierung des Wettbewerbs sind nichtleistungsbezogene Einkommen, die beispielsweise Ergebnis einer Absicherung von vorteilhaften Marktpositionen durch den Staat oder von privaten Wettbewerbsbeschränkungen sind, abzubauen.

Arbeitszwang im Kapitalismus?

Mit dem Grundeinkommen ohne Arbeit wird — so ihre Befürworter — ein Reich der Freiheit ange-strebt, daß durch die Aufhebung des den Kapitalismus prägenden Zwangs zur Arbeit gekennzeichnet sei. Nun stellt aber die menschliche Arbeit die ökonomische Grundlage jeder bisherigen Gesellschaft — gleich welcher politischen Orientierung — dar und sie wird auch in Zukunft diese Stellung behalten. Unter sozialethischen Gesichtspunkten ist dabei zum einen wichtig, daß der Ertrag der Arbeit in erster Linie den arbeitenden Menschen zufließt und zum anderen diese die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Berufen und Arbeitgebern zu wählen. Die realen Wahlmöglichkeiten hängen auch von der Höhe der Arbeitslosigkeit ab. Neben unselbständiger Arbeit bietet sich eine selbständige Tätigkeit, sei es als Einzelunternehmer, sei es als gleichberechtigter Partner in einem Gemeinschaftsunternehmen wie einer Produktivgenossenschaft an. Angesichts der hohen Geldvermögensbildung von durchschnittlich 80000 DM pro Haushalt in der Bundesrepublik, weit gestreutem Haus-und Grundbesitz sowie staatlicher Existenzgründungsdarlehen stellt die Möglichkeit zum Aufbau einer selbständigen Existenz für viele Arbeitnehmer nicht nur ein formales Freiheitsrecht, sondern eine reale Möglichkeit dar. Wenn trotzdem viele Erwerbstätige feste Arbeitseinkommen mit geregelten Arbeitszeiten einer selbständigen und risikobehafteten Tätigkeit vorziehen, spricht dies nicht für im Schnitt schlechte Bedingungen unselbständiger Arbeit.

Die Möglichkeiten des einzelnen Arbeitnehmers hängen dabei wesentlich vom Grad seiner Ausbildung ab. Daher bedeutet eine qualifizierte Schulund Berufsbildung für den einzelnen Arbeitnehmer das wichtigste Gut. Im Arbeitsprozeß werden eine umfangreiche Arbeitsschutz-und Arbeitsrechtsgesetzgebung, Mitbestimmungsrechte und die kollektive Interessenvertretung durch Gewerkschaften gewahrt. Für Zeiten der Nichtarbeit bieten die Systeme Sozialer Sicherung eine umfassende Absicherung. Alternative Wirtschaftsordnungen wie zentralgeleitete Volkswirtschaften oder arbeiterselbstverwaltete Marktwirtschaften wie in Jugoslawien scheinen für bundesdeutsche Arbeiter gerade keine attraktive Alternative zu sein

Nach Auffassung der katholischen Soziallehre ist für die Beurteilung einer Wirtschaftsordnung die Stellung des arbeitenden Menschen in der Ordnung das zentrale Kriterium. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine soziale Marktwirtschaft, die immer auch weiterentwicklungsfähig ist, allen historischen und zeitgenössischen Alternativordnungen vorzuziehen. Die Gefahr des Grundeinkommens ohne Arbeit besteht darin, daß es nicht die Freiheit des Einzelnen erweitert, sondern nur in Verbindung mit einer Arbeitspflicht funktionsfähig wäre, weil nämlich sonst nicht die gesellschaftlich notwendige Arbeit erbracht wird. Eine solche Arbeitspflicht würde aber einen sozialen Rückschritt in der Entwicklung hin zu mehr Freiheit für den arbeitenden Menschen darstellen.

Illusion eines autonomen Sektors Die Herausbildung eines autonomen Sektors, der durch ein Grundeinkommen alimentiert wird. zeugt von romantischer Sehnsucht nach einer verklärten Idylle vorindustrieller Strukturen. Er berücksichtigt nicht, weshalb viele Menschen im 19. Jahrhundert freiwillig aus den Bereichen der persönlichen und solidarischen Beziehungen ins anonyme Reich der Geldwirtschaft geflohen sind. Die Geldwirtschaft hat für den Einzelnen mehr Freiheit gebracht — zweifelsohne verbunden mit dem Verlust einer gewissen personalen Solidarität, die nicht annähernd durch die anonyme Solidarität der Sozialversicherungen ersetzt wurde.

Bei der Hochschätzung der personalen Solidarität der vorindustriellen Gesellschaft ist jedoch zu berücksichtigen, daß Solidarität durchaus Beziehungen der Gegenseitigkeit beinhaltet, bei denen allerdings Leistung und Gegenleistung zeitlich weit auseinanderfallen können. So war jeder bereit, seinem Nachbarn im Falle eines Brandes Hilfe zu leisten, weil ja er selbst z. B. nach einem Blitzschlag ebenso unverschuldet in die gleiche Notsituation geraten konnte. Die Gewißheit auf eine solche Gegenleistung ergibt Sicherheit. In einem überschaubaren Rahmen mit stabilen sozialen Beziehungen werden keine institutionellen Absicherungen benötigt, etwa durch rechtliche Vereinbarungen, gemeinsame Kassen usw. Der Steuerungsmechanismus „Solidarität“ setzt daher dauerhafte soziale Beziehungen und eine gewisse soziale Kontrolle voraus. Im Gegensatz zu diesen Voraussetzungen von Solidarität ist das alternative Umfeld der Grundeinkommensbefürworter durch eine relativ hohe Fluktuation, etwa bei Alternativbetrieben geprägt. Es fehlen dort also die Voraussetzungen für dauerhafte, d. h. gegenseitig sichernde Solidarität.

II. Richtige Probleme — falsche Therapie

Grundeinkommen statt Sozialhilfe?

Die Befürworter des Grundeinkommens sehen in der wachsenden Zahl von Sozialhilfeempfängern eine zunehmende Personengruppe, die etwa im Wege der Bedürftigkeitsprüfung von der Sozialbürokratie einer Reglementierung unterworfen wird. Ein garantiertes Grundeinkommen soll diesen Zustand beenden.

In der Tat gibt es in der Sozialhilfe heute Personenkreise, für die diese subsidiäre Grundsicherung nicht geschaffen wurde. Bemerkenswert erscheint aber die Tatsache, daß im Gegensatz zur Aufmerksamkeit, die das Thema „Altersarmut“ in jüngster Zeit findet, die Zahl der Alten über 65 Jahre, die — trotz einer insgesamt gestiegenen Zahl von Sozialhilfeempfängern — Hilfe zum laufenden Lebensunterhalt benötigen, von 292 100 im Jahre 1975 auf 214 200 im Jahre 1985 abgenommen hat Um Altersarmut in Zukunft noch weiter abzubauen, wäre zum einen eine Pflichtversicherung für alle Selbständigen, wie sie etwa für Handwerker und Landwirte bereits besteht, anzustreben, damit nicht frühere Selbständige im Falle eines wirtschaftlichen Scheiterns auch noch mit einer unzureichenden Altersversorgung dastehen. Neben früheren Selbständigen und deren Hinterbliebenen weisen sodann vor allem Frauen niedrige Renten auf. Durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten und die Senkung der Anspruchsgrundlage für den Renten-bezug auf mindestens fünf Versicherungs-bzw. Erziehungsjahre ist die ökonomische Situation vieler Frauen bereits verbessert worden, wobei durch die Kumulation von zwei oder drei relativ kleinen Renten (der eigenen und der Hinterbliebenenrente) ein auskömmliches Versorgungsniveau gewährleistet wird. Durch die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen, die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten und eine mögliche Ausweitung der Rentenansprüche im Fall der Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger kann durch Fortentwicklung des bestehenden Sozialsystems für Frauen ein ausreichendes Alterseinkommen gewährleistet werden. Nicht die Einführung eines Grundeinkommens, das als Ausdruck von Resignation gegenüber der Arbeitslosigkeit angesehen werden muß. sondern eine ursachenadäquate Strategie zur Verbesserung der Beschäftigungssituation wird zu einer Reduzierung des durch Arbeitslosigkeit bedingten Sozialhilfebezugs führen. Langzeitarbeitslose müssen dabei über Bildungsmaßnahmen, ABM-Stellen und Einarbeitungszuschüsse des Arbeitsamtes wieder in den Arbeitsprozeß integriert werden.

Auf eine verfehlte Familienpolitik deutet der Anstieg des Sozialhilfebezugs für Kinder unter 18 Jahren — trotz einer insgesamt gesehen rückläufigen Kinderzahl — von 420 600 im Jahre 1975 auf 643 300 im Jahre 1985 hin Trotz der Anhebung des Kindergeldes seit 1986 ist das Niveau der staatlichen Transfers im Familienlastenausgleich insbesondere für untere Einkommensgruppen noch zu gering. Eine gezielte Anhebung des Kindergeldes für untere Einkommensgruppen müßte dafür sorgen. daß eine Familie mit mehreren Kindern bei niedrigen Arbeits-bzw. Sozialeinkommen nicht zum Bezug von Sozialhilfe genötigt ist.

Generell bleibt aber eine Bedürftigkeitsprüfung beim Bezug von Sozialhilfe unverzichtbar Ein. generelles Grundeinkommen ohne Arbeit könnte aus Gründen der Finanzierbarkeit nur ein so geringes Niveau erreichen, daß tatsächlich Bedürftige, die das Grundeinkommen nicht durch Arbeit aufstocken können, zu schlecht versorgt werden. Aus Gerechtigkeitsgründen müssen aber die knappen finanziellen Mittel auf die tatsächlich Bedürftigen, die sich wegen mangelnder Arbeitsfähigkeit oder der fehlenden Zumutbarkeit von Erwerbsarbeit (z. B. Mütter mit kleinen Kindern) nicht selbst helfen können, konzentriert werden. Ein Grundeinkommen stellt lediglich für Arbeitsfähige, die z. B. in Alternativbetrieben dieses Einkommen durch eigene Arbeit aufstocken können, ein attraktives Angebot dar. Die Idee eines Grundeinkommens ist ja nicht zuletzt aus der Situation der Alternativbetriebe entstanden, bei denen Unterhaltszahlungen von Eltern und Partnern. Bafög. Arbeitslosengeld und Sozialhilfe bereits jetzt eine Art Grundeinkommen darstellen. Aber nicht die relativ kleine Zahl der Alternativen, sondern tatsächlich Bedürftige müssen im Mittelpunkt der Sozialpolitik stehen, so daß eine Überprüfung der Bedürftigkeit unverzichtbar ist.

Befreiung von falscher Arbeit Zutreffend wird von den Anhängern des Grundeinkommens auf unzureichende Arbeitsbedingungen in der modernen Arbeitswelt verwiesen. DiesenAspekt, daß es im Arbeitsprozeß nicht allein um einen möglichst hohen Arbeitsertrag und seine gerechte Verteilung geht, sondern auch der Arbeitsvollzug bedeutsam ist, hat bereits Papst Paul VI. 1969 in seiner Ansprache vor der internationalen Arbeitsorganisation angesprochen, als er für eine Entwicklung der Arbeitswelt vom Mehr-Haben zum Mehr-Sein plädierte Eine bessere Gestaltung der Arbeitsbedingungen wird aber nicht dadurch erreicht, daß durch ein Grundeinkommen der Ausstieg aus der Erwerbsarbeit erleichtert wird, sondern nur durch eine Umgestaltung der Arbeitswelt selbst Hier sind vor allem Betriebsräte und Gewerkschaften gefordert, die Ausweitung der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers am Arbeitsplatz anzustreben und die Qualität der Arbeit zu verbessern. Ein autonomer Sektor wie etwa die Hamburger Alternativbetriebe, bei denen in der Mehrzahl 55 Wochenstunden ohne soziale Absicherung und bezahlten Urlaub für 500 DM im Monat (!) gearbeitet wird kann eine Änderung der formellen Arbeitswelt nicht erzwingen, da dazu seine Leistungsfähigkeit zu gering ist.

Lebenslange Fortbildung wird immer wichtiger Eine lebenslange Bildung wird für den Einzelnen immer wichtiger. Dies betrifft nicht nur die Arbeitswelt. wo die Einführung neuer Technologien ständige Weiterbildung erfordert, sondern auch das gesellschaftliche und private Leben. Der Erwerb von Kenntnissen beispielsweise über ökologische Zusammenhänge und von Möglichkeiten der Vermeidung von Umweltschäden im privaten Lebensbereich ist genauso wichtig wie das Wissen über eine gesundheitsgerechte Lebensführung.

Solche Lernprozesse nur für eine Minderheit der Bevölkerung zu ermöglichen, indem ein Grundeinkommen ohne Arbeit den zeitweisen Ausstieg aus der Erwerbsarbeit alimentiert, ist verfehlt. Vielmehr sind solche Weiterbildungsmaßnahmen in die Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung einzubeziehen. Eine Verankerung von Weiterbildungsansprüchen in Tarifverträgen zum Zweck der beruflichen, aber auch der politischen, ökologischen und kulturellen Bildung wäre ein angemessener Weg. Die Arbeitgeber werden dabei in erster Linie an einer betriebs-und berufsbezogenen Weiterbildung interessiert sein. An den Gewerkschaften wird es liegen, einen Teil der Weiterbildungsansprüche auch für andere Zwecke zu sichern.

Bürokratieabbau Mit dem Grundeinkommen wird — wie erwähnt — ein Abbau der Sozialbürokratie angestrebt. Selbst wenn dieses erreicht werden sollte, stellt sich die Frage, ob das gesamte Ausmaß der staatlichen Bürokratie reduziert werden kann. Angesichts der erforderlichen deutlichen Steigerung der Steuerbelastung zur Finanzierung des Grundeinkommens wird eine Ausweitung der Finanzverwaltung zur Vermeidung von Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit erforderlich sein. Es erscheint verfehlt, Bürokratie dadurch abbauen zu wollen, daß man die staatliche Verfügungsgewalt über die von Bürgern erarbeiteten Einkommen ausweitet.

III. Problematische sozialethische Prämissen

Grundeinkommen als Weg der Gesellschaftsveränderung Angesichts der oft weitreichenden gesellschaftsverändernden Zielvorstellungen, die mit einem Grundeinkommen ohne Arbeit verbunden werden, gewinnt man den Eindruck, daß das Grundeinkommen bei einigen Anhängern sozialistischer Gesellschaftskonzeptionen an die Stelle der Sozialisierung der Produktionsmittel — ein Weg, der durch die Erfahrungen des realen Sozialismus völlig diskreditiert ist — als Voraussetzung einer humaneren Gesellschaft getreten ist. Ob durch ein Grundeinkommen eher eine humanere Gesellschaft erreicht wird als durch die Sozialisierung von Produktionsmitteln, muß jedoch bezweifelt werden. Durch technische Veränderungen der Gesellschaft ändert man nicht den Menschen grundlegend. Vielmehr muß bei jeder Änderung gesellschaftlicher Institutionen — wie dies die Nationalökonomie tut — gefragt werden, ob es unter der Annahme eigennützigen Verhaltens aller Betroffenen zu einer Verbesserung des Zusammenlebens der Menschen kommt. Es dürfte jedoch fraglich sein, ob es realistisch wäre, wachsende Schwarzarbeit, die zum einen durch die höhere Abgabenbelastung zur Finanzierung des Grundeinkommens verursacht wird und zum anderen als Zusatzeinkommen zum Grundeinkommen dient, „vor allem durch den Versuch zu bekämpfen, eine gesellschaftliche Normenänderung zu errei-chen, die derartiges nicht mehr augenzwinkernd toleriert“

Viele wohlmeinende Eingriffe von Politikern in Märkte haben oft das Gegenteil von dem erreicht, was ursprünglich beabsichtigt war. Dies betrifft zum Beispiel die Einkommenssicherung der Bauern durch überhöhte Preise auf dem Agrarmarkt, den Wohnungsmarkt bei Mietenregulierung, um diese niedrig zu halten, womit eine Wohnungsknappheit künstlich herbeigeführt wurde, oder arbeitsrechtliehe Lösungen des Einkommensersatzes im Krankheitsfall. die eine Arbeitslosigkeit gesundheitsbeeinträchtigter Personen zur Folge haben. Angesichts solcher vielfältiger Erfahrungen wohlmeinender Änderungen der Sozialstrukturen mit z. T. verheerenden Ergebnissen sollte ein Grundeinkommen aus dieser Perspektive kritisch hinterfragt werden. Als besonderes Problem eines Grundeinkommens stellt sich vor allem die Situation von Jugendlichen dar. die mit der Volljährigkeit von 18 Jahren ein Grundeinkommen von 800— 1 000 DM erhalten sollen. Daraus dürften nicht nur für junge Leute aus sozial schwächeren Familien und Angehörige der zweiten Ausländergeneration große Gefährdungspotentiale (Spielhallenbesuch. Videokonsum. Alkohol usw.) erwachsen, die Teile dieser Personengruppe von einer Integration in die Gesellschaft durch die Teilnahme an der Arbeitswelt abhalten könnte Angesichts der für die Gesellschaft insgesamt wichtigen Integrationsfunktion des Arbeitslebens besteht ein weiterer problematischer Aspekt der Einführung des Grundeinkommens in einer Zunahme kurzzeitiger und unsteter Beschäftigungsverhältnisse. die weit über notwendige Mobilitätsprozesse auf dem Arbeitsmarkt aufgrund wirtschaftlicher Strukturveränderungen hinausgehen würden.

Gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit Die Teilhabe am Arbeitsleben hat über den Einkommenserwerb hinaus hohe Bedeutung für das individuelle und das gesellschaftliche Leben. Den weitgehenden gesellschaftlichen Konsens zu dieser Frage hat Bundespräsident R. v. Weizsäcker 1986 vor dem Bundeskongreß des DGB formuliert: „Erwerbsarbeit ist nicht das ganze Leben. Aber sie ist ein wichtiges Stück unserer Existenz und unserer Selbstachtung. Es gehört zur Entfaltung der Persönlichkeit, den eigenen Gaben und Neigungen entsprechend tätig sein zu können, den Lebensunterhalt zu erwerben und das Gefühl zu haben, daß man gebraucht wird. Vor allem für junge Menschen ist das entscheidend.“ Sozialethisch betrachtet, hat daher der Zugang zur Erwerbsarbeit einen hohen individuellen und gesellschaftlichen Rang.

Neben der Erwerbsarbeit liegt eine sinnerfüllte menschliche Arbeit auch in der Erziehung von Kindern und der Betreuung alter und kranker Angehöriger. Die Leistungen bei der Erziehung von Kindern werden gesellschaftlich erst jetzt ansatzweise durch die rentensteigemde Berücksichtigung eines Erziehungsjahres anerkannt. Die Ausweitung der Anrechnung von Erziehungszeiten sowie die soziale Absicherung von Personen, die unbezahlte Pflege-leistungen im Haushalt erbringen, wäre eine sinnvolle Erweiterung des bestehenden Sozialsystems. Da das Erziehungsgeldgesetz wie auch der Kündigungsschutz während des Erziehungsurlaubs von Müttern oder Vätern in Anspruch genommen werden können, wird durch die Sozialgesetzgebung ein einseitiges Rollenverständnis, das solche Tätigkeiten allein Frauen zuweist, nicht mehr weiter verfestigt. Damit geben sich aus radikal-feministischer Perspektive die Befürworter des Grundeinkommens aber nicht zufrieden, weil das Erziehungsgeld wie das Grundeinkommen Widersprüche aufweisen. Diese bestehen darin, daß einerseits ein Grundeinkommen die ökonomische Abhängigkeit der nicht-erwerbstätigen Ehefrau mildert oder aufheben würde, andererseits ein Grundeinkommen gerade Frauen von der emanzipationsfördernden Teilhabe am Erwerbsleben abhalten könnte. Ideal erscheint daher eine Kombination von Grundeinkommen und verkürzter Erwerbsarbeit (20-Stunden-Woche), wobei z. T. die vorgeschlagenen Mechanismen wie die Aufteilung des Elternurlaubs zwischen beiden Partnern nicht mehr weit von der von denselben Gruppen abgelehnten Zwangsarbeit der Sozialhilfe entfernt sind. Aus freiheitlicher Perspektive sind Fragen der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau partnerschaftlich auf gleichberechtigter Basis zu treffen. Eine massive staatliche Lenkung in eine bestimmte Richtung, z. B. die zwangsweise Aufteilung von Erziehungsurlaub auf beide Elternteile, wie dies beim Einstieg in Grundeinkommensregelungen gefordert wird sind ebenso abzulehnen wie das Mutterschaftsgesetz der sozial-liberalenKoalition, das einseitig die Kinderbetreuung durch die Mutter vorschrieb.

Grundeinkommen widerspricht Subsidiaritätsprinzip Jede Gesellschaft muß schon aus Gründen der Gleichheit und der Gerechtigkeit auf einem ausgewogenen Verhältnis von Rechten und Pflichten beruhen. Ein Grundeinkommen ohne Arbeit wäre aber ein Recht, dem keine gleichwertigen Pflichten gegenüberstehen würden — es sei denn, man greift auf diejenigen Verfechter dieser Konzeption zurück, die jeden Bürger für eine Reihe von Jahren einer allgemeinen Arbeitspflicht unterwerfen wollen Diese Überlegung und um soziale Desintegrationsprobleme zu vermeiden, hat Opielka veranlaßt, eine mehrjährige soziale Dienstleistungspflicht vorzuschlagen Eine solche Dienstleistungspflicht, die vor dem 30. Lebensjahr abzuleisten wäre, würde ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten und Pflichten wiederherstellen, also der Gerechtigkeit entsprechen. An Stelle der Sozialbürokratie, die heute bei der Sozialhilfe eine Bedürftigkeitsprüfung vornimmt, würde dann eine Behörde treten, die die Ableistung der Dienstpflicht und Büro organisiert überwacht; der angestrebte -kratieabbau entfällt also Eine solche Regelung dürfte im politischen Entscheidungsprozeß kaum mehrheitsfähig werden.

Nach Auffassung der katholischen Soziallehre ist es zuerst Aufgabe des Einzelnen, seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen Als Hilfe zur Voraussetzung der Selbsthilfe hat der Staat in einer modernen Industriegesellschaft vor allem durch ein ausgebautes Bildungswesen und soziale Einrichtungen zu sorgen. Wer arbeitsfähig ist und nicht durch andere Umstände (z. B. Erziehung/Pflege) gehindert ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, hat nicht das Recht, auf Kosten anderer zu leben. Die Regelungen und Bedingungen in der Gesellschaft müssen so gestaltet werden, daß jedem Arbeitswilligen und Arbeitsfähigen auch die Möglichkeit zur Erwerbsarbeit gegeben ist. Jeder Leistungsfähige hat überdies zum Kollektivbedarf der Gesellschaft und für Nichtleistungsfähige zu sorgen. Anspruch auf gesellschaftliche Solidarität haben diejenigen, die nicht leisten können.

Den Vertretern des Grundeinkommens gebührt das Verdienst, auf wichtige gesellschaftliche Problem-felder aufmerksam gemacht zu haben. Sie haben Anstöße zu einer Diskussion über die Fortentwicklung des Sozialsystems und der Arbeitswelt geben. Der vorgeschlagene radikale Bruch mit dem gegen -wärtigen System Sozialer Sicherung durch die Einführung eines Grundeinkommens ohne Arbeit — so kann prognostiziert werden — wird aber zurecht aufgrund seiner wirtschaftlichen Konsequenzen und seinen normativen Prämissen in den nächsten Jahren im politischen Entscheidungsprozeß nicht konsensfähig sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. A. Bust-Bartels. Recht auf Einkommen?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 28/84. S. 39— 54; M. Opielka/G. Vobruba (Hrsg.). Das garantierte Grundeinkommen. Frankfurt 1986; M. Opielka. Perspektiven von Arbeit und Einkommen in der Wohlfahrtsgesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 36/86. S. 37 — 55; ders. /I. Ostner (Hrsg.). Umbau des Sozialstaats. Essen 1987; Th. Schmid (Hrsg.). Befreiung von falscher Arbeit: Thesen zum garantierten Mindesteinkommen. Berlin 19862.

  2. Vgl. z. B. für Österreich: H. Büchele/L. Wohlgenannt. Grundeinkommen ohne Arbeit: Auf dem Weg zu einer kommunikativen Gesellschaft, Wien-München-Zürich 19852.

  3. Vgl. R. Dahrendorf. Ein garantiertes Mindesteinkommen als konstitutionelles Anrecht, in: Th. Schmidt (Anm. 1), S. 133.

  4. Vgl. G. Vobruba. Die Entflechtung von Arbeit und Essen. in: M. Opielka/G. Vobruba (Anm. 1). S. 39 ff.

  5. Vgl. M. Opielka/H. Stalb. Das garantierte Grundeinkommen ist unabdingbar, genügt aber nicht, in: M. Opielka/G. Vobruba (Anm. 1). S. 87ff.

  6. Th. Schmid (Anm. 1).

  7. Vgl. M. Opielka, Strukturprobleme gesellschaftspolitischer Alternativen, in: derselbe/I. Ostner (Anm. 1), S. 134.

  8. Dieser Aspekt wird besonders von H. Büchele/L. Wohl-genannt (Anm. 2). S. 74ff., hervorgehoben

  9. Vgl. Sozialbericht 1986. Bundestagsdrucksache 10/5810v. 1. 7. 1986. S. 98.

  10. Vgl. W. -D. Hasenclever. Ein Weg ins Schlaraffenland? Das Grundeinkommen für jeden Bürger könnte ein Schritt zu sozialer Freiheit sein, in: Die Zeit vom 2. 5. 1986. S. 31.

  11. O. von Nell-Breuning. Gerechtigkeit und Freiheit. München 19852.

  12. Ph. van Parijs/R. vander Veen. Ein Kapitalistischer Weg zum Kommunismus, in: M. Opielka/I. Ostner (Anm. 1) S. 167.

  13. Vgl. 1. Metze. Negative Einkommensteuer, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften. Bd. 9. S. 788— 799.

  14. Vgl. M. Friedman. Kapitalismus und Freiheit. Stuttgart 1971. S. 244 ff.

  15. So die vorgeschlagene Größenordnung bei W. Engels u. a. (Kronberger Kreis). Bürgersteuer — Entwurf einer Neuordnung von direkten Steuern und Sozialleistungen. Bad Homburg 1986. S. 18.

  16. Vgl. J. van Almsick. Die negative Einkommensteuer, Berlin 1981. S. 36.

  17. Vgl. E. -P. Kausemann. Möglichkeiten einer Integration des Steuer-und Transfersystems, in: Wirtschaftsdienst. 63 (1983). S. 401 ff.

  18. Vgl. A. Gorz, Richtziele für eine Neugestaltung des Wohlfahrtsstaates, in: M. Opielka/I. Ostner (Anm. 1). S. 143 f.

  19. M. Opielka/H. Stalb (Anm. 5). S. 84 ff.

  20. Vgl. J. Wiemeyer, Perspektiven der Erwerbsarbeit, Reihe Kirche und Gesellschaft, Nr. 141, Köln 1987.

  21. Vgl. F. Klanberg/A. Prinz, Anreizkompatibilität von Transfers im Bereich der sozialen Mindestsicherung. Eine ökonomische Analyse der Grundeinkommensvorschläge, in: Sozialer Fortschritt, 35 (1986), S. 235 f.

  22. Dieses verkennt z. B. P. Glotz. Freiwillige Arbeitslosigkeit? Zur neueren Diskussion um das Grundeinkommen, in: M. Opielka/G. Vobruba (Anm. 1). S. 142f..der an Stelle der Arbeit die Technik als Hauptquelle des gesellschaftlichen Reichtums setzt.

  23. J. St. Mill, Grundsätze der politischen Ökonomie, Bd. 1. Jena 19242. S. 32.

  24. Vgl. J. A. Schumpeter. Kapitalismus. Sozialismus und Demokratie. München 19754, S. 331 ff.

  25. Die Auswirkungen eines Grundeinkommens auf Leistungsmotivation und Lohnstruktur werden von E. Wegner, Zu den Verteilungswirkungen eines existenzsichernden Grundeinkommen, in: M. Opielka/I. Ostner (Anm. 1). S. 277 grob unterschätzt oder bewußt heruntergespielt.

  26. Vgl. G. Bäcker/H. Kühn, Sozialpolitische Reformen und Politische Ökonomie, in: M. Opielka/I. Ostner (Anm. 1), S. 200.

  27. Vgl. Klanberg/Prinz (Anm. 21). S. 237.

  28. Der Verfasser hat gezeigt, daß die Arbeit in arbeiterselbstverwalteten Betrieben für die Arbeitnehmer nicht attraktiver ist, als in kapitalgeleiteten Unternehmen. Vgl. J. Wiemeyer, Produktivgenossenschaften und selbstverwaltete Unternehmen — Instrumente der Arbeitsbeschaffung?, erscheint in: Ordo-Jahrbuch 1988.

  29. Vgl. L. Voigt-Weber, Alternative Betriebe. Genese, Struktur und Funktionsprobleme, Frankfurt 1984, S. 101.

  30. Vgl. Wirtschaft und Statistik. 2/87. Sozialhilfeempfänger 1985. Tab. 3. S. 153.

  31. Vgl. ebenda.

  32. Vgl. F. Klanberg. Eine neue Grundsicherung? Zu einigen Implikationen der Grundrenten-und Grundeinkommensdiskussion. in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. 66 (1986), S. 441.

  33. Vgl. Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Deutschlands (Hrsg.), Texte zur katholischen Soziallehre, Kevelaer 19835. S. 482 f.

  34. Diesen Aspekt betonen zutreffend G. Bäcker/H. Kühn (Anm. 26), S. 203.

  35. Vgl. Ch. Perssonn/O. Tiefenthal. Strukturprobleme alternativer Ökonomie. Empirische Analyse Hamburger Alternativökonomieprojekte. in: P.de Gijsel/H. -G. Seifert-Vogt (Hrsg.), SchattenWirtschaft und alternative Ökonomie, Regensburg 1984, S. 182 f.

  36. A. Bust-Bartels. (Anm. 1). S. 52.

  37. Vgl. G. A. Erler, Wenn’s denn nicht anders geht. Zauderndes zum Mindesteinkommen für Frauen, in: Th. Schmid (Anm. 1). S. 126f.

  38. R. von Weizsäcker. Die Verantwortung der Gewerkschaften in der freiheitlichen Demokratie, in: Presse-und Informationsamt der Bundesregierung. Bulletin Nr. 58 vom 28. 5. 1986. S. 492.

  39. Vgl. M. Schreyer. Mindesteinkommen — Stolper-oder Meilenstein für die grüne Zukunft?, in: M. Opielka/G. Vobruba (Anm. 1). S. 162ff.

  40. Vgl. M. Opielka/H. Stalb (Anm. 5). S. 86.

  41. Vgl. etwa G. Adler-Karlsson. Gedanken zur Vollbeschäftigung, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung. 12 (1979). S. 499 f.

  42. Vortrag im Franz-Hitze-Haus Münster am 1. 7. 1987.

  43. Auf die Notwendigkeit von Arbeitsfähigkeitsprüfungen statt von Bedürftigkeitsprüfungen weist I. Metze (Anm. 13), S. 794 hin.

  44. Vgl. Johannes XXIII.. Mater et magistra Nr. 51, in: Texte zur katholischen Soziallehre. (Anm. 33). S. 214.

Weitere Inhalte

Joachim Wiemeyer. Dr. rer. pol., lic. theol., geb. 1954; wiss. Mitarbeiter am Institut für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster und Lehrbeauftragter für Sozialpolitik an der kath. Fachhochschule Norddeutschland. Veröffentlichungen u. a.: Produktivgenossenschaften — eine Alternative?. Köln 1985; Sozialethische Überlegungen zur Umweltproblematik; Zum Verhältnis von Dependenztheorie und Befreiungstheologie; Neuere Literatur zur Wirtschaftsethik. in: Jahrbuch für Christliche SozialWissenschaften. 26. /28. /29. Bd. (1985/87/88).