Das „Land der Morgenstille“ — ein Brennpunkt der Weltpolitik
Peter J. Opitz
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Zusammenfassung
Dieser Beitrag nimmt die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele in Seoul und die Gefahr terroristischer Störungen zum Anlaß eines Rückblicks auf die Rolle, die Korea seit seiner „Öffnung“ vor einem Jahrhundert in der Weltpolitik gespielt hat. Dabei soll gezeigt werden, daß die Halbinsel von Anfang an zu einem Spielball in der Machtpolitik der pazifischen Großmächte wurde und daß auch der Korea-Krieg als eine Etappe in diesem Prozeß gesehen werden muß. Eine Analyse der wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen seit dem Ende des Korea-Kriegs auf der Halbinsel sowie in ihrem regionalen und internationalen Umfeld führt schließlich zu dem Ergebnis, daß sich trotz weiterhin bestehender konfligierender Interessenlagen und andauernder tiefer Widersprüche zwischen den beiden koreanischen Staaten die Situation zunehmend stabilisiert hat. Daß sich dieser Stabilisierungsprozeß trotz möglicher zeitweiliger Rückschläge auch in dem kommenden Jahrzehnt weiter vertiefen wird, ohne allerdings in eine Wiedervereinigung einzumünden, kann als Prognose gewagt werden.
I. Wolken über Olympia
Vom 17. September bis 2. Oktober 1988 werden in dersüdkoreanischen Hauptstadt Seoul die 24. Olympischen Sommerspiele stattfinden. Erst nach ihrem Ende wird sich zeigen, ob die Delegierten, die sich im September 1981 in Baden-Baden auf der Vollversammlung der Nationalen Olympischen Komitees mit 52 gegen 27 Stimmen für die südkoreanische Metropole entschieden, eine glückliche Hand hatten. Leicht dürfte ihnen ihre Entscheidung kaum gefallen sein. Denn der Boykott der 22. Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau durch westliche Staaten und die VR China, als Protest gegen die Intervention sowjetischer Truppen in Afghanistan, war noch in frischer Erinnerung und die Revanche des Ostblocks bei den bevorstehenden Olympischen Spielen in Los Angeles war schon absehbar. Angesichts der Tatsache, daß sich die Regierung in Seoul 1980 dem Boykott der Spiele in Moskau angeschlossen hatte, war somit auch die Möglichkeit einer sowjetischen Revanche 1988 in Seoul nicht von der Hand zu weisen.
Die Gefahr eines sowjetischen Boykotts wurde noch dadurch vergrößert, daß es für die Führung in Moskau zusätzlich gute politische Gründe gab, die südkoreanische Hauptstadt zu meiden. Denn abgesehen davon, daß sie zu Südkorea keine diplomatischen Beziehungen unterhält, hatte die Regierung im nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel, die Moskau als einzige legitime Regierung anerkennt, vehement gegen die Entscheidung des Olympischen Komitees zugunsten Seouls protestiert. Trat Moskau aus Loyalität gegenüber Pyongyang in Seoul jedoch nicht an, so drohte eine Kettenreaktion. Denn dann würde auch der andere große asiatische Nachbar und Verbündete Nordkoreas — die VR China — zögern, ein eigenes Team nach Südkorea zu entsenden. Einem sowjetischen und chinesischen Boykott aber würden sich mit Sicherheit zahlreiche andere sozialistische Staaten in aller Welt anschließen und damit den Spielen im „Land der Morgenstille“ erheblich von dem Glanz nehmen, den sich die Veranstalter erhofften.
Doch es waren nicht nur die Schatten der Rivalität der Großmächte, die schon lange vor Beginn der Spiele am fernen Horizont aufzogen und sich erst gegen Anfang dieses Jahres verzogen, als sowohl Moskau wie Peking die Teilnahme an den Olympischen Spielen bekanntgaben und die Mehrzahl der sozialistischen Staaten ihrem Schritt folgte. Nicht minder real waren andere Bedrohungen: die Gefahren terroristischer Anschläge oder gar einer größeren militärischen Aktion, mit der der „Norden“ versuchen würde, die Austragung der für den „Süden“ so prestigeträchtigen Spiele zu verhindern. Schließlich wird die koreanische Halbinsel seit 1953 entlang des 38. Breitengrades von einer der . heißesten* Grenzen der Welt durchzogen, an der sich Hunderttausende von Soldaten in höchster Alarmbereitschaft gegenüberstehen, und von der es heißt, daß sie „nicht einmal ein Vogel lebend überquert“. Im Falle eines Wiederauflebens der Kampfhandlungen wäre das nur sechzig Kilometer südlich des 38. Breitengrades liegende Seoul unmittelbar bedroht. Neben der Möglichkeit erneuter Kampfhandlungen bestand die größere Gefahr terroristischer Anschläge. mit denen der „Norden“ seit Jahren Südkorea zu verunsichern sucht. Wie real diese Gefahr war, zeigte sich fast genau zwei Jahre nach der Entscheidung des Olympischen Komitees: Anfang Oktober 1983 kam es anläßlich eines Staatsbesuchs einer südkoreanischen Regierungsdelegation unter Leitung des damaligen Staatspräsidenten der Republik Korea, Chun Doo-hwan, in Birma zu einem vom nordkoreanischen Geheimdienst inszenierten Bombenanschlag auf die südkoreanische Delegation.dem 15 Mitglieder — unter ihnen Außenminister Lee Bum Suk und drei weitere Minister — zum Opfer fielen. Erheblich näher im zeitlichen Vorfeld der Olympischen Spiele erfolgte ein weiterer Anschlag, der ebenfalls dem nordkoreanischen Geheimdienst angelastet wird: ein Anschlag auf eine Boeing 707 der südkoreanischen Fluggesellschaft KAL, bei dem Ende 1987 alle 115 Insassen der Maschine ums Leben kamen.
Während die USA nach dem Flugzeug-Attentat Nordkorea auf die Liste jener Länder setzten, die den internationalen Terrorismus unterstützen und Japan gegen Pyongyang Sanktionen verhängte, kündigte der Verteidigungsminister Südkoreas Oh Ya Bok für die nächsten zwölf Monate eine erhöhte Verteidigungsbereitschaft seines Landes an und stellte gleichzeitig öffentlich fest, daß sein Land in Zukunft einen ähnlichen Zwischenfall als „Kriegserklärung“ betrachten würde. Gleichsam im Gegenzug ordnete die Regierung Nordkoreas Mitte März dieses Jahres als Reaktion auf die Manöver amerikanisch-südkoreanischer Verbände für ihre Streitkräfte „höchste Gefechtsbereitschaft“ an. Obwohl es seitdem nicht mehr zu weiteren Zwischenfällen kam, hält die Spannung weiter an. So stufte der neugewählte Präsident Südkoreas Roh Tae Woo westlichen Presseberichten zufolge auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates in Seoul die derzeitige Sicherheitslage auf der koreanischen Halbinsel als „möglicherweise die kritischste Zeit seit dem Koreakrieg“ ein und rief zu höchster Wachsamkeit gegenüber möglichen Provokationen durch Nordkorea oder „inländische und internationale Terror-Organisationen“ auf. In den folgenden Monaten häuften sich Meldungen über Truppenkonzentrationen in einem 140 Kilometer breiten Gürtel nördlich der Grenze sowie Hinweise, denen zufolge Nordkorea entlang der entmilitarisierten Zone Raketen sowjetischer Herkunft vom Typ SA-5 und Scud-B installiert habe
Obwohl angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem unberechenbaren Regime im „Norden“ die Unruhe in Seoul durchaus verständlich ist, erscheint die gegenwärtige Dramatik ein wenig überzogen. Denn gegen ernsthafte Störversuche Pyongyangs während der Olympischen Spiele spricht nicht nur, daß sich das nordkoreanische Regime damit international vollends isolieren und auch seine beiden kommunistischen Schutzmächte verärgern würde. Gegen sie spricht auch und vor allem die innere Logik der politischen Entwicklungen, die sich im regionalen und internationalen Umfeld der koreanischen Halbinsel in den letzten vier Jahrzehnten vollzogen haben.
Auf sie soll im folgenden Beitrag eingegangen werden. In ihm werden zuerst die größeren historischen Zusammenhänge skizziert, in denen Korea gesehen werden muß, sowie die Entwicklungen, die schließlich zu Beginn der fünfziger Jahre zum Korea-Krieg führten. Ein dritter Teil geht dann auf die wichtigsten Ereignisse und Prozesse ein, die seit dem Ende des Krieges die Situation in und um die koreanische Halbinsel beeinflußt haben; dabei werden die Entwicklungen innerhalb und zwischen den beiden koreanischen Staaten nur gestreift. Ein vierter Teil wird schließlich die Lage in und um Korea seit Beginn der achtziger Jahre beleuchten und mit einem kurzen Ausblick auf die mögliche weitere Entwicklung schließen.
II. Die koreanische Halbinsel im Spannungsfeld des Imperialismus
Abbildung 2
Tabelle: Streitkräftevergleich zwischen Nord-und Südkorea Quelle: The International Institute for Strategie Studies (ed.), The Military Balance 1987/88, London 1987, S. 159— 161.
Tabelle: Streitkräftevergleich zwischen Nord-und Südkorea Quelle: The International Institute for Strategie Studies (ed.), The Military Balance 1987/88, London 1987, S. 159— 161.
Es ist verständlich, daß viele Darstellungen, die sich in diesen Tagen mit der koreanischen Halbinsel befassen, mit Rückblicken auf den Korea-Krieg am Anfang der fünfziger Jahre beginnen — dennoch ist diese Perspektive problematisch. Denn sie verstellt die tieferen historischen Zusammenhänge und Kontinuitäten, in denen dieser Krieg steht und verführt dazu, ihn auf die Dimension des Ost-West-Konflikts zu reduzieren. Damit wird sie weder dem Korea-Krieg gerecht, der selbst in der Kontinuität zweier anderer Kriege gesehen werden muß, die seit der „Öffnung“ Koreas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um die koreanische Halbinsel geführt wurden; noch öffnet sie den Blick für die zentrale Rolle, die diese Halbinsel in Nordostasien seit einem Jahrhundert in der Weltpolitik spielte. Um diese Perspektive nicht zu verdecken, ist zumindest ein kurzer Rückblick auf die „Öffnung“ Koreas und auf das weitere Schicksal des Landes in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts nötig Ähnlich wie das „Reich-der-Mitte“, zu dem es seit vielen Jahrhunderten in einem Tributar-Verhältnis stand, so hatte sich auch Korea im 19. Jahrhundert in eine Isolation zurückgezogen. Ähnlich wie der große Nachbar, wenngleich ein wenig später, war jedoch auch die koreanische Halbinsel bald in die Spannungsfelder der Großmächte geraten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Ost-asien erfaßt hatten. Denn während die Macht Chinas — angesichts innerer Rebellionen und eineszunehmenden militärischen Drucks der europäischen Großmächte und der USA — allmählich zu zerfallen begann, hatte das politische Gewicht Rußlands und des aus den Meji-Reformen gestärkt hervorgegangene Japan zugenommen. Dabei war schon bald absehbar, daß das nach Süden expandierende zaristische Reich und das seine Einflußsphären nach Westen und Südwesten vorschiebende Japan in absehbarer Zeit miteinander in Konflikt geraten müßten und daß sich dieser Konflikt vor allem an den Ansprüchen auf zwei Gebiete entzünden würde: der Mandschurei und Korea. Denn beide Gebiete begannen für die anlaufende Industrialisierung Japans wie auch hinsichtlich der Ernährungs-Sicherung der wachsenden japanischen Bevölkerung eine wichtige Ergänzung darzustellen; bei Korea, das eine Art Sprungbrett von den japanischen Inseln zum asiatischen Festland bildet, kamen noch strategische Gründe hinzu. Bezeichnenderweise war es denn auch Japan, das als erste der beiden Mächte Schritte unternahm, die Selbstisolierung Koreas aufzubrechen. Zu diesem Zweck benutzte Tokyo einen eigens dazu inszenierten Schiffszwischenfall — den sogenannten Unyo-Zwischenfall — um die Aufnahme bilateraler Beziehungen zu erzwingen. Im Vertrag von Kwanghwa im Jahre 1876 anerkannte Japan Korea als eine unabhängige Nation „mit den gleichen souveränen Rechten wie Japan“ und ließ sich dafür unter anderem Zugang zu einigen koreanischen Häfen, die Einrichtung von Gesandtschaften sowie exterritoriale Rechte für die in Korea wohnhaften Japaner einräumen. Obwohl Japan die Anerkennung der Unabhängigkeit Koreas als Beweis seiner ehrenwerten Absichten ausgab, war unübersehbar, daß dies lediglich der erste Schritt war, um Korea aus seinen tributären Bindungen zum „Reich-derMitte“ zu lösen. Mit dem Vertrag von Kwanghwa hatte Korea die Bühne der internationalen Politik betreten bzw. war auf sie hinausgezerrt worden.
Schon bald mußte Korea lernen, daß auf dieser Bühne rauhe Sitten herrschten, denen das kleine Land kaum gewachsen war. Denn schon bald folgten dem ersten Schritt Japans die nächsten — alle darauf ausgerichtet, den traditionellen Einfluß Chinas und der westlichen Mächte, die in den achtziger Jahren ebenfalls Handels-und Freundschaftsverträge mit Korea abgeschlossen hatten, zurückzudrängen und die Halbinsel fest in den eigenen Herrschaftsbereich zu integrieren. Diese Politik mußte wiederum den Widerstand des „Reich-der-Mitte" provozieren, das seine Position in Korea zu verteidigen und zu konsolidieren suchte. Die ständig eskalierende Rivalität zwischen Peking und Tokyo führte 1894 schließlich zum Krieg, der mit der Niederlage Chinas endete. Bezeichnenderweise gehörte neben der Abtretung Taiwans und der Pescadoren an Japan der Verzicht Chinas auf die Oberhoheit über Korea zu dem Preis, den das chinesische Kaiserreich im Vertrag von Shimonoseki (17. April 1895) für den verlorenen Krieg zu zahlen hatte. Damit war die erste Macht im Ringen um Korea ausgeschieden; sie sollte in das Geschehen auf der östlichen Halbinsel erst ein halbes Jahrhundert später — in dessen Verlauf sie sich selbst gegen die imperialistischen Angriffe Japans zur Wehr setzen mußte — wieder eingreifen.
Die zweite Macht, die ausschied, war zehn Jahre nach Shimonoseki Rußland. Zunächst hatte sich die Niederlage Pekings positiv für Rußland ausgewirkt. Denn in einem Bündnisvertrag hatte die chinesische Regierung — gegen Kredite und den Schutz der Liaotung-Halbinsel gegen japanische Annexionsabsichten — Petersburg das Recht eingeräumt, durch chinesisches Gebiet eine Eisenbahn zu bauen, die die transsibirische Eisenbahn mit dem Flottenstützpunkt Wladiwostok verbinden sollte. Nur kurze Zeit später verlangte allerdings Rußland selber die pachtweise Abtretung der Liaotung-Halbinsel mit den Häfen Port Arthur und Dairen, der erste sollte Kriegshafen ihrer Fernostflotte werden, der zweite Handelshafen
Mit der ostchinesischen Eisenbahn, den Häfen Port Arthur und Dairen sowie dem Bau der südmandschurischen Eisenbahn, die Port Arthur mit der ostchinesischen Eisenbahn verband, hatte Rußland nun die Infrastruktur sowie eine starke militärische Position, in deren Schutz es die wirtschaftliche Entwicklung der Mandschurei in Angriff nehmen konnte. Vielleicht hätte sich Japan mit der Einbeziehung der Mandschurei in die russische Interessensphäre abgefunden, hätte Rußland im Gegenzug die japanische Oberhoheit über Korea akzeptiert. Da Rußland jedoch inzwischen längst selbst ein Auge auf die strategisch günstig gelegene Halbinsel mit ihren wichtigen Warmwasserhäfen geworfen und 1899 den Versuch unternommen hatte, den koreanischen Hafen Masan als Flottenstützpunkt zu erwerben, war der Konflikt unvermeidlich. Bei ihm konnte sich Tokyo der Rückendeckung durch Großbritannien und die USA sicher sein, da beide Mächte die russische Expansion mit Besorgnis beobachteten und in Japan eher das kleinere Übel sahen. So war es schon im Januar 1902 zu einem gegen den russischen Expansionismus gerichteten Bündnisvertrag zwischen Japan und Großbritannien gekommen. Im Jahre 1904 brach der Krieg zwischen Rußland und Japan aus und endete mit dem Sieg Tokyos. Gleich nach Ausbruch des Kriegs hatte Tokyo die Hauptstadt Koreas, Seoul, durch japanische Truppen besetzen lassen und von Korea die Kündigung seiner Verträge mit Rußland erzwungen. Im Frieden von Portsmouth (5. September 1905) gingen die russischen Rechte auf die Liaotung-Halbinsel mit Dairen und Port Arthur auf Japan über; er bestimmte zudem den Abzug russischer und japanischer Truppen aus der Mandschurei und anerkannte Japans „überragende politische, militärische und wirtschaftliche Interessen“ in Korea. Korea wurde imgleichen Jahrjapanisches Protektorat und 1910, nach der Ermordung des japanischen Generalresidenten Hirobumi Ito, offen von Japan annektiert.
Zwischen 1910 und 1945 — also bis zur Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg — blieb Korea japanische Kolonie. Obwohl die Kolonialmacht eine Reihe wichtiger Reformen im Bildungsbereich einleitete, die Infrastruktur ausbaute, die Landwirtschaft modernisierte und im nördlichen Teil die Grundlagen zur Industrialisierung legte, dienten diese Maßnahmen lediglich dazu, den Nutzen Koreas für Japan zu steigern. Dagegen wurde die koreanische Bevölkerung aller politischen Rechte be-raubt, das Land wirtschaftlich ausgebeutet und einer brutalen Kolonialherrschaft unterworfen, die aufeine Auslöschung der alten koreanischen Kultur abzielte. Nach Ausbruch des japanisch-chinesischen Krieges (Juli 1937), vor allem aber nach dem AngriffJapans auf Pearl Harbour (Dezember 1941) verschärfte sich die Ausbeutung noch weiter; zudem wurden Zehntausende von Koreanern zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie und in den Kriegsdienst gepreßt.
III. Vorspiel zum Krieg, der Krieg und seine Folgen
Als Japan am 14. August 1945 kapitulierte, waren schon einige wichtige Entscheidungen über die Zukunft Koreas gefallen. Auf der Konferenz von Kairo (November 1943) hatten sich Roosevelt, Churchill und Chiang Kai-shek unter anderem darauf geeinigt, daß Korea „zu gegebener Zeit (in due course) frei und unabhängig“ werden solle Hinter dieser Formulierung stand die Vorstellung des amerikanischen Präsidenten, die ehemaligen Kolonialgebiete Korea und Indochina erst einmal vorübergehend einer internationalen Treuhandschaft zu unterstellen, um sie auf die spätere Unabhängigkeit vorzubereiten. Der Idee einer internationalen Treuhandschaft für Korea stimmte auf den Konferenzen in Jalta (Februar 1945) und Potsdam (Juli 1945) auch die Sowjetunion zu, die in Kairo nicht vertreten war. Im Dezember 1945 beschloß schließlich eine Außenministerkonferenz der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion zum einen eine fünfjährige Treuhandschaft dieser drei Mächte sowie Chinas über Korea und zum anderen die Errichtung einer amerikanisch-sowjetischen „Gemeinsamen Kommission“, die sich mit der Bildung einer provisorischen Regierung befassen sollte; schon zuvor im August hatten sich Washington und Moskau über die vorübergehende Teilung der Halbinsel entlang des 38. Breitengrades geeinigt.
Nachdem Großbritannien im Zweiten Weltkrieg seinen einstigen Status als pazifische Großmacht verloren hatte, Japan nach seiner totalen Niederlage vorerst von der weltpolitischen Bühne abgetreten war und China durch den allmählich sich entwickelnden Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalisten gelähmt und auf sich selbst bezogen war, lag das zukünftige Schicksal Koreas weitgehend in den Händen der USA und der Sowjetunion, den eigentlichen Siegern des Zweiten Weltkriegs. Während die USA der koreanischen Halbinsel in ihrer Sicherheitspolitik jedoch zunächst nur einen untergeordneten Platz einräumten und der amerikanische Außenminister Acheson selbst noch im Januar 1950 die amerikanischen Sicherheitsgarantien in der asiatisch-pazifischen Region auf eine Linie beschränkte, die sich von Japan über die Ryukyu-Inseln und die Philippinen bis nach Neuseeland hinzog und damit außer Taiwan und Indo
China auch Korea ausgrenzte war sich Stalin von Anfang an der geostrategischen Bedeutung Koreas bewußt und auch bestrebt, die Halbinsel in die sowjetische Einflußsphäre einzubeziehen.
In dieser Absicht wurde Stalin von zwei Entwicklungen in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre bestärkt: Zum einen von dem Zerfall der Anti-Hitler-Koalition und dem Ausbruch des Ost-West-Konflikts, und zum anderen von der Niederlage der national-chinesischen Regierung, mit der Stalin noch im Herbst 1945 einen Freundschaftspakt abgeschlossen hatte, und der Machtergreifung der chinesischen Kommunisten unter Führung von Mao Tse-tung im Oktober 1949. Beide Entwicklungen erhöhten aus sowjetischer Sicht die strategische Bedeutung der koreanischen Halbinsel — einerseits gegenüber den USA. die angesichts des schnell eskalierenden Ost-West-Konflikts auch im asiatisch-pazifischen Bereich nun ihr Sicherheitssystem auszubauen begannen und dabei den einstigen Gegner Japan einbezogen; andererseits gegenüber den chinesischen Kommunisten. Denn wenn sich Mao Tsetung auch für eine Politik der „einseitigen Anlehnung“ an die Sowjetunion entschieden hatte, so dürfte sich Stalin doch der tiefgreifenden Differenzen bewußt gewesen sein, die die beiden kommunistischen Parteien trennten. Sollte er sich jedoch über das Selbstbewußtsein der siegreichen chinesischen Kommunisten und ihrer nationalistischen Ziele Illusionen hingegeben haben, so holten ihn die im Winter 1949 anlaufenden Verhandlungen mit Mao über einen Freundschafts-und Bündnisvertrag schnell auf den Boden der Realität zurück: Denn Mao beharrte nicht nur auf dem Abbau der sowjetischen Sonderrechte in Port Arthur und Dairen, sondern traf auch erste Anstalten, um den sowjetischen Einfluß in der Mandschurei zurückzudrängen. Angesichts eines immer selbstbewußter auftretenden China und des bevorstehenden Verlustes der beiden Hafenstädte auf der einen Seite und eines in das amerikanische Sicherheitssystem integrierten Japan auf der anderen war die koreanische Halbinsel für die Sowjetunion von kaum zu überschätzender Bedeutung. Es lag somit sowohl in der Logik der aktuellen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg wie auch in der Tradition der russi- sehen Expansionspolitik bis zum verlorenen Krieg gegen Japan von 1904/5, daß Stalin versuchen würde, Korea ganz oder wenigstens teilweise unter seine Kontrolle zu bringen.
Vor diesem größeren internationalen Hintergrund war absehbar, daß die Chancen Koreas, nach einer kurzen Treuhandzeit endlich in die Unabhängigkeit entlassen zu werden, schlecht standen; die weitere Entwicklung bestätigte diesen Befund. Denn schon bald kam die Arbeit der amerikanisch-sowjetischen „Gemeinsamen Kommission“ zum Erliegen, so daß sich im Herbst 1947 die amerikanische Regierung dazu entschloß, das Problem den Vereinten Nationen vorzulegen, die sich im November 1947 der Korea-Frage annahmen und eine internationale Kommission bildeten, unter deren Aufsicht im Frühjahr 1948 in beiden Teilen Koreas freie Wahlen für eine koreanische Nationalversammlung durchgeführt werden sollten. Da Stalin jedoch, in Erwartung eines für Moskau negativ verlaufenden Wahl-ausgangs, die Zuständigkeit der Vereinten Nationen nicht anerkannte und infolgedessen auch der UN-Kommission den Zugang zu Nordkorea verweigerte, kam es im „Norden“ und „Süden“ zu getrennten Wahlen. Während die aus den von der UN beaufsichtigten Wahlen im „Süden“ hervorgegangene Nationalversammlung im Juli 1948 eine Verfassung verabschiedete und im August 1948 die „Republik Korea“ proklamierte (mit Dr. Syngman Rhee als Präsidenten), rief der im „Norden“ aus den Wahlen siegreich hervorgegangene Kim Il-sung im September die „Volksrepublik Korea“ aus 6a). Damit war die Teilung der Halbinsel in zwei einander feindlich gegenüberstehende Staaten besiegelt; schon im Dezember 1948 hatten die sowjetischen Truppen den „Norden“ verlassen, und im Mai 1949 hatten auch die USA ihre Verbände aus Südkorea abgezogen.
Der Entspannungszustand war nur von kurzer Dauer; am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Verbände die Grenze mit dem Ziel einer gewaltsamen Wiedervereinigung der Halbinsel unter kommunistischer Herrschaft. Der Kriegsverlauf, auf den hier nicht weiter eingegangen werden muß verlief überaus wechselhaft: Nachdem die nordkoreanischen Truppen in kurzer Zeit Seoul erobert und den größten Teil der Halbinsel in ihre Gewalt gebracht hatten, gelang es den unter dem Kommando des amerikanischen Oberbefehlshabers für den Fernen Osten, General MacArthur, stehenden UN-Streitkräften, sie bis an die chinesische Grenze zurückzuwerfen, in der Absicht, die im Oktober 1950 von der UN-Generalversammlung geforderte Wiedervereinigung Koreas zu realisie-ren. Daß dieses Ziel scheiterte, war im wesentlichen die Folge des Eingreifens starker chinesischer Freiwilligenverbände, die Ende November 1950 nach mehreren Warnungen der chinesischen Regierung die zum Yalu vorrückenden UN-Verbände angriffen Aus Sorge, damit einen Krieg mit den USA zu provozieren, hatte die Sowjetunion die Entsendung eigener Truppen unterlassen und sich auf materielle und diplomatische Hilfe Nordkoreas beschränkt.
Nachdem sich die Front wieder am 38. Breitengrad stabilisiert hatte, kam es nach schwierigen Verhandlungen in Panmunjon am 27. Juli 1953 zur Unterzeichnung eines Waffentillstandsabkommens dessen Unterzeichnung die südkoreanische Regierung jedoch ablehnte. Bis heute zählt die durch den Frontverlauf markierte Waffenstillstandsgrenze zu einer der am stärksten befestigten und „heißesten“ Grenzen der Welt.
Der Koreakrieg hatte nicht nur die koreanische Halbinsel verwüstet, riesige Flüchtlingsströme ausgelöst und der Zivilbevölkerung unermeßliches Leid gebracht, sondern auch im internationalen Umfeld schwere Erschütterungen hervorgerufen, die wiederum zu tiefgreifenden Veränderungen der politischen Gemengelagen in Ostasien führten: 1. Die USA hatten die erst Anfang 1950 verkündete Acheson-Doktrin ad acta gelegt und eine Politik eingeleitet, die ein weiteres Vordringen des Kommunismus in Asien unterbinden sollte. Zu ihren wichtigsten Elementen gehörte das militärische Eingreifen der USA auf der koreanischen Halbinsel, die Entsendung der siebten amerikanischen Flotte in die Straße von Taiwan und die Abschirmung der dorthin geflohenen national-chinesischen Regierung gegen einen drohenden Angriff vom Festland sowie die Unterstützung Frankreichs durch Militärhilfe gegen die Vietminh in Indochina Diese Politik wurde in den Jahren nach dem Krieg durch den Aufbau eines weit verzweigten bi-und multilateralen Bündnissystems im asiatisch-pazifischen Bereich vertieft. Zu diesem gehörte auch ein Sicherheitspakt (8. August 1953) mit der Regierung in Seoul, der den USA das Recht zur Stationierung von Streitkräften in Südkorea einräumte, sowie ein weiteres Abkommen (17. No- vember 1954), das die Truppen Südkoreas dem Oberkommando der UN-Streitkräfte unterstellte. 2. Einen strategischen Rückschlag in doppelter Hinsicht hatte die Sowjetunion hinnehmen müssen: Zum einen infolge der Ausweitung der amerikanischen containment-Politik auf die asiatisch-pazifische Region, insbesondere durch den verstärkten Wiederaufbau des in das amerikanische Sicherheitssystem einbezogenen Japans; zum anderen auf Grund der Tatsache, daß sich die Hoffnungen auf die Ausweitung der Kontrolle über die gesamte koreanische Halbinsel nicht nur nicht erfüllt hatten, sondern daß es Kim Il-sung im Verlaufe des Krieges sogar gelungen war, sich in eine unabhängigere Position gegenüber Moskau zu lavieren. Der einzige Pluspunkt von Gewicht war, daß sich Peking durch sein militärisches Eingreifen international isoliert hatte, daß es damit auch die Chance eines Arrangements mit Washington verspielt hatte und in stärkere strategische Abhängigkeit zu Moskau geraten war. Dagegen hatte die chinesische Führung durch die militärischen Erfolge in Korea weiter an Selbstbewußtsein gewonnen und ihre Reputation im sozialistischen Lager erhöht — insbesondere in den Augen von Kim Il-sung, dessen Regime ohne das Eingreifen der chinesischen Verbände politisch nicht überlebt hätte.
3. Den weitreichendsten Einfluß hatte das Geschehen in Korea wohl auf die VR China, die durch ihr Eingreifen in eine Konfrontation zu den USA geraten war, was nicht nur zur politischen Isolierung Pekings durch die westlichen Staaten führte — und damit zu einer stärkeren Abhängigkeit von Moskau —, sondern auch zum Aufbau und zur diplomatischen Aufwertung einer Alternative in Form der nach Taiwan geflüchteten chinesische National-regierung, deren Existenz Washington im Dezember 1954 durch einen Bündnisvertrag absicherte. Positiv zu Buche schlugen lediglich die verbesserten Beziehungen zu Pyongyang, was sich nach Ausbruch des sino-sowjetischen Krieges als wichtig erweisen sollte.
IV. Die Fronten entspannen sich
Während sich im ersten Jahrzehnt nach Beendigung des Korea-Krieges die Bemühungen beider koreanischer Teilstaaten auf den Wiederaufbau und die Modernisierung des Landes konzentrierten — wobei sich auf Seiten Südkoreas insbesondere die USA durch umfangreiche Wirtschaftshilfe engagierten, während Nordkorea von der UdSSR und den anderen Staaten des COMECON Unterstützung erhielt —, begann sich die militärische Lage auf der Halbinsel vorsichtig zu entspannen. Dazu trug sowohl der Abzug der chinesischen Verbände in den Jahren bis 1958 bei, wie auch die anhaltende militärische Präsenz der USA im „Süden“ — denn beide stabilisierten das militärische Gleichgewicht auf der Halbinsel und verminderten damit die Gefahr eines erneut ausbrechenden militärischen Konfliktes. Beruhigend wirkte aber auch der Verzicht der nach dem Sturz Syngman Rhees im Frühjahr 1960 an die Macht gekommenen neuen südkoreanischen Regierung auf eine gewaltsame Wiedervereinigung der Halbinsel.
Doch auch im internationalen Umfeld war in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre ein Prozeß in Gang gekommen, der sich mittelfristig auf die Situation in und um Korea eher entspannend auswirken sollte: die von Nikita Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 eingeleitete Politik der „friedlichen Koexistenz“ gegenüber dem Westen sowie die Annäherung der Sowjetunion an die jungen Staaten Asiens und Afrikas. Diese Politik Moskaus war für Nordkorea in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Zum einen, als die durch sie ausgelösten Divergenzen bald zum Konflikt und nach dem Herbst 1963 zum endgültigen Bruch zwischen den beiden kommunistischen Großmächten führten, was die Position des nun von Peking und Moskau umworbenen Kim Il-sung weiter festigte, ihn gleichzeitig jedoch zu einem komplizierten Lavieren zwischen ihnen zwang. Symptomatisch für diese Situation, aber auch für die geschickte Politik Kims, waren die fast zur gleichen Zeit geschlossenen Freundschafts-und Beistandsverträge mit der UdSSR (6. Juli 1961) und der VR China Juli 1961) 11). Zum anderen, weil Chruschtschows Suche nach einem Ausgleich mit den USA für Nordkorea mit der Gefahr verbunden war, daß sich Moskau der von Kim angestrebten Wiedervereinigung verschließen und die Existenz bzw.friedliche Koexistenz zweier koreanischer Staaten akzeptieren könnte.
Angesichts dieser divergierenden Interessenlagen der beiden Staaten war es kaum überraschend, daß die Beziehungen zwischen Pyongyang und Moskau Anfang der sechziger Jahre Symptome einer Abkühlung und Entfremdung zeigten und daß Nordkorea Chruschtschows Handhabung der KubaKrise und die sowjetische Haltung im indisch-chinesischen Krieg kritisierte und offene Sympathien für die militante Politik Pekings zum Ausdruck brachte.
Abkühlung gegenüber Moskau und Annäherung an chinesische Positionen wurden auch auf wirtschaft-lichem Gebiet deutlich. So wuchs angesichts des Abzugs aller sowjetischen Experten aus China im Sommer 1960 und zunehmender wirtschaftlicher Pressionsversuche Chruschtschows auch auf Nordkorea, Kims Interesse an wirtschaftlicher Autonomie. In der von ihm konzipierten Politik der chuch'e fand seine Sorge um die Wahrung der Unabhängigkeit ihren konzentrierten ideologischen Ausdruck Andererseits führte der sich allmählich intensivierende Krieg in Indochina, insbesondere die amerikanischen Luftangriffe auf nordvietnamesische Städte, Kim Il-sung bald die Grenzen dieses Unabhängigkeitsstrebens und die Wichtigkeit guter Beziehungen zu Moskau vor Augen. Insofern stieß das Bemühen der Nachfolger Chruschtschows, der im Oktober 1964 gestürzt worden war, um eine Verbesserung der Beziehungen zu Pyongyang auf volle Zustimmung. Bezeichnenderweise nahm der nord-koreanische Premier im November 1964 an den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Oktober-Revolution in Moskau teil — ein Besuch, der schon im Februar 1965 vom sowjetischen Premier Kossygin in Pyongyang erwidert wurde
Neben dem Vietnam-Krieg waren es vor allem zwei Ereignisse, die sich förderlich auf die weitere Zusammenarbeit der beiden Staaten auswirkten: Die im Herbst 1965 in China ausbrechende Kulturrevolution, die die politische und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit Pekings zunehmend beeinträchtigte, sowie der am 22. Juni 1965 unterzeichnete Grundlagenvertrag zwischen Seoul und Tokyo und die in seiner Folge sich nun rasch vertiefende Zusammenarbeit der beiden Staaten, insbesondere auf wirtschaftlichem Sektor, deren stimulierende Auswirkungen auf die Wirtschaft Südkoreas Pyongyang zunehmend irritierten
Eine ähnliche Wirkung wie der sino-sowjetische Konflikt, der zu Beginn der sechziger Jahre — bei allen Turbulenzen, die er in der sozialistischen Welt und in den Beziehungen zwischen Nordkorea und den beiden kommunistischen Großmächte auslöste — in seiner Gesamtbilanz zur Stabilisierung der Situation auf der koreanischen Halbinsel beigetragen hatte, insofern er das Risiko eines erneuten Krieges durch den „Norden“ verringerte, hatten zu Beginn der siebziger Jahre zwei andere Entwicklungen: Eine von ihnen war die zwischen Moskau und Washington anlaufende Entspannungspolitik in Europa; die andere war eine bald nach dem Abbruch der Kulturrevolution sich anbahnende Annäherung zwischen Peking und Washington, die im China-Besuch Präsident Nixons und der Unterzeichnung des Shanghaier Kommuniques (Februar 1972) schnell einen ersten Höhepunkt erreichte
Statt ein Scheitern dieses aus globalstrategischen Interessen eingeleiteten Entspannungsprozesses mit dem Westen wegen der Korea-Frage zu riskieren, hatten beide kommunistischen Mächte eherein vitales Interesse daran, ihren Verbündeten in Pyongyang von einer gewaltsamen Veränderung des Status quo abzuhalten. Aus diesem Grunde, aber auch um einen Seitenwechsel Pyongyangs im weiterbestehenden Konflikt zwischen ihnen zu verhindern, mußten Peking wie Moskau einerseits jeden Anschein des Verrats nordkoreanischer Interessen vermeiden, andererseits jedoch alles tun, um Kim Il-sung von seinen aggressiven Aktivitäten gegenüber Südkorea abzubringen. So bemühte sich Peking verstärkt um die Verbesserung der Beziehungen zu Nordkorea, lehnte in diesem Sinne — aber auch mit Blick auf die eigene Situation — jede „Zwei-Korea-Politik“ ab und stellte sich auch hinter die Forderung Pyongyangs nach Abzug der amerikanischen Truppen aus Südkorea — ohne allerdings auf einen sofortigen Abzug zu insistieren. Offenbar war sich die chinesische Führung durchaus der Risiken bewußt, die ein solcher Schritt für die Stabilität auf der koreanischen Halbinsel mit sich bringen würde. Ablehnend reagierte auch Peking, als sich Kim Il-sung bei seinem Besuch in China im Frühjahr 1975, angesichts der Siege der kommunistischen Bewegungen in Indochina, für eine aggressivere Politik auch in Korea aussprach. Das Verhalten Moskaus war sogar noch zurückhaltender. So hatte die sowjetische Führung im Frühjahr 1975 auf Besuchsabsichten Kims eher kühl reagiert und eine Verschiebung angeregt. Zudem gab es Anzeichen dafür, daß der Kreml die Lösung, die man in Europa hinsichtlich der Koexistenz der beiden deutschen Staaten gefunden hatte, auch als ein mögliches Modell für die koreanische Halbinsel betrachtete. Auch in dieser Zeit war Moskau ansonsten der wichtigste Handelspartner des „Nordens“ und leistete den größten Anteil der Wirtschaftsund Militärhilfe.
Stabilisierende Effekte gingen in den siebziger Jahren jedoch nicht nur vom internationalen Umfeld aus, sondern wurden von ihm auch auf indirektem Wege auf der koreanischen Halbinsel selbst induziert. Beunruhigt über die Wiederannäherung zwischen Peking und Washington und besorgt über die Möglichkeit von Absprachen der Großmächte über die koreanische Frage, war es auf hoher Ebene zwischen Nord-und Südkorea zu Geheimkontakten gekommen. Deren Ergebnisse wurden am 4. Juli 1972 in einem „Gemeinsamen Kommunique“ gleichzeitig in Pyongyang wie in Seoul veröffentEcht; sie Hefen im Kem darauf hinaus, die Einigung „durch unabhängige koreanische Bemühungen“ unter Verzicht auf Gewalt zu erreichen. Um diesen Prozeß einzuleiten, waren unter anderem Austauschprogramme vorgesehen, die Gründung eines Süd-Nord-Koordinierungsausschusses sowie die Installierung eines „heißen Drahtes“ zwischen den beiden Hauptstädten Angesichts des weiterbestehenden tiefen Mißtrauens zwischen Nord und Süd blieb diese Erklärung jedoch ohne praktische Folgen und im Jahre 1981 wurden die Verhandlungen von Nordkorea endgültig abgebrochen — offiziell mit der Begründung, mit der Regierung des nach der Ermordung des südkoreanischen Staats-präsidenten Park Chung-hee (am 26. Oktober 1979) nach blutigen Unruhen an die Macht gekommenen Generals Chun Doo-hwan nicht verhandeln zu wollen, in Wirklichkeit aber wohl in Erwartung seines baldigen Sturzes.
Als Konsequenz der veränderten Großwetterlage — aber auch der Entwicklungen zwischen den beiden deutschen Staaten — war auch eine Erklärung der südkoreanischen Regierung zu werten, die im Juli 1973 ihre Bereitschaft zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zu kommunistischen Staaten zum Ausdruck brachte, sofern diese ihre „feindseligen Aktivitäten einstellten, die Souveränität der Republik Korea anerkannten und die Unterstützung Nordkoreas beendeten“ Wenn dieses Angebot, das ein vorsichtiges Abrücken Seouls von dem bis dahin praktizierten Alleinvertretungsanspruch darstellte, in Peking und Moskau auch keine grundlegende politische Wende ihrer Korea-Politik auslöste, so verhallte es doch auch nicht ungehört.
Vielmehr trug es dazu bei, daß es in den kommenden Jahren zu einer wachsenden Zahl von kulturellen und wirtschaftlichen Kontakten auf niedriger Ebene zwischen Südkorea und der Sowjetunion kam.
Eine zunehmende Auflockerung der starren Fronten signalisierte schließlich auch der Vorschlag des amerikanischen Außenministers Henry Kissinger im Herbst 1975 zu einer Viererkonferenz der am Korea-Krieg beteiligten Staaten, die eine vorläufige Zulassung der beiden Regierungen zu den Vereinten Nationen, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Nordkoreas zu den USA und Japan sowie Südkoreas zu den beiden kommunistischen Schutz-mächten des Nordens, der VR China und der UdSSR, vorsah Mit einer solchen „kreuzweisen Anerkennung“ (cross-recognition) wollte Kissinger offenbar die strukturellen Voraussetzungen für die Einleitung eines mehrspurigen Dialogs über die koreanische Frage schaffen. Da solche Schritte jedoch die Spaltung Koreas international zu verfestigen drohten, war ihre Ablehnung durch Nordkorea vorprogrammiert. Dem Ziel weiterer Entspannung diente schließlich auch der Beschluß Präsident Carters vom 9. März 1977, die in Südkorea stationierten 33 000 Mann amerikanischer Truppen in den folgenden Jahren bis auf einige Restkontingente zurückzuziehen; ein Beschluß, der allerdings im Sommer 1979 auf Druck des amerikanischen Kongresses und auf schwere Bedenken Japans hin ausgesetzt und von Präsident Reagan später gänzlich aufgehoben wurde.
Wenn diese und eine Reihe anderer Initiativen letztlich auch ohne konkrete Ergebnisse blieben, so zeigen sie im Rückblick doch, daß in den siebziger Jahren beträchtliche Bewegung in die Fronten auf und um die koreanische Halbinsel gekommen war und die Korea-Frage — trotz anhaltender konfligierender Interessenlagen der Großmächte und tiefgreifender Widersprüche zwischen den beiden koreanischen Staaten — erheblich von der Explosivität verloren hatte, die sie zu Beginn der fünfziger Jahre besessen hatte.
V. Entwicklungen inden achtziger Jahren
Gegen Ende der siebziger Jahre waren auf die Beziehungen zwischen Peking und Pyongyang erneut dunkle Schatten gefallen. Ursache dafür war der neue Kurs, den die Nachfolger Maos innen-wie außenpolitisch eingeschlagen hatten. Außenpolitisch beunruhigte Nordkorea vor allem die stärkere Hinwendung Pekings zu jenen beiden Mächten, die Kim Il-sung als seine Hauptgegner betrachtete: Japan und die USA. So war es im August 1978 zu einem Friedens-und Freundschaftsvertrag zwischen Peking und Tokyo gekommen, und nur wenige Wochen später, im November, hatten sich unter dem Eindruck der Vorgänge im Iran und in Indochina Peking und Washington über die Normalisierung ihrer Beziehungen verständigt. Es war jedoch nicht nur die Möglichkeit einer strategischen Allianz dieser beiden Mächte, die Pyongyang beunruhigte — eine Möglichkeit, die durch Andeutungen Teng Hsiao-p’ings vor und während seiner spektakulären USA-Reise Anfang 1979 wuchs. Auch der nach dem dritten Plenum des XI. ZK der KPCh Ende Dezember 1978 vollzogene innenpolitische Kurswechsel mit seiner Kritik an Kulturrevolution und dem Prinzip „Klassenkampf als Haupt-kettenglied“ sowie der Aufgabe des self-relianceGrundsatzes und der Einleitung einer stark an Eigenverantwortung und Privatinitiative orientierten Wirtschaftspolitik mußte Kim Il-sung irritieren. Hinzu kamen zwei Punkte, die ihn persönlich betrafen: die dezidierte Abkehr der Nachfolger Maos vom Personenkult sowie ihr Unbehagen über Pläne des nordkoreanischen Premiers, seinen Sohn Kim Jong-il als Nachfolger aufzubauen.
Im Bewußtsein dieser die Beziehungen zu Nordkorea belastenden Aspekte ihrer Politik, statteten die wichtigsten Spitzenpolitiker Chinas gleich in den ersten Jahren ihrer Amtszeit Nordkorea Besuche ab und unternahmen alles, um den Nachbarn politisch und militärisch zu unterstützen und die Zusammenarbeit mit ihm zu verbessern. Dennoch konnten sie eine erneute Annäherung zwischen der Sowjetunion und Nordkorea nicht verhindern. Diese wurde zudem durch den Klimasturz in den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen gefördert, zu dem es nach der Dislozierung sowjetischer SS20-Raketen in Europa, der Förderung der vietnamesischen Expansion in Indochina, dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, aber auch dem gewaltigen Ausbau der sowjetischen PazifikFlotte während der siebziger Jahre gekommen war Denn die daraufhin sich intensivierenden strategischen Beziehungen zwischen Washington, Peking und Tokyo stellten wiederum die Sowjetunion im asiatisch-pazifischen Bereich vor erhebliche Sicherheitsprobleme und erhöhten für sie die strategische Bedeutung Nordkoreas.
Das Werben Moskaus um Pyongyang stieß bei Kim Il-sung jedoch nicht nur deshalb auf offene Ohren, weil sich die Zwangslage der sowjetischen Führung zum eigenen Vorteil ausnutzen ließ; hinzu kam, daß sich auch die eigene sicherheitspolitische Situation verschlechtert hatte. Ursache dafür waren vor allem zwei Entwicklungen, die sich in der ersten Hälfte der achtziger Jahre vertieften: Zum einen die sich verdichtende wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Washington, Tokyo und Seoul seit Antritt der Reagan-Administration. So erhöhte sich nicht nur der Druck Washingtons auf Japan, sich militärisch stärker für die Sicherheit der Region zu engagieren — die neue amerikanische Administration ließ auch keinen Zweifel darüber aufkommen, daß sie nicht mehr beabsichtigte, die amerikanischen Verbände von der koreanischen Halbinsel abzuziehen, sondern im Gegenteil auf verstärkte militärische Kooperation mit Seoul setzte. Die andere Entwicklung war ein rapider wirtschaftlicher Aufschwung in Südkorea, das den „Norden“ schon in den siebziger Jahren wirtschaftlich überholt hatte und seinen Vorsprung auch in den achtziger Jahren ständig weiter ausbaute. So betrug das Bruttosozialprodukt Südkoreas 1984 83, 2 Mrd. US-Dollar, während das des „Nordens“ noch unterhalb der 40 Mrd. US-Dollar-Grenze lag Abgesehen von dem steigenden regionalen und internationalen Prestige, das sein phänomenaler wirtschaftlicher Aufstieg Seoul einbrachte, hatte die gewachsene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des „Südens“ erhebliche Auswirkungen auf seine militärische Schlagkraft. So gelang es der südkoreanischen Regierung zunehmend, die numerische Überlegenheit des „Nordens“ durch eine Modernisierung der eigenen Streitkräfte zu kompensieren. Um in diesem Wettlauf nicht endgültig ins Hintertreffen zu geraten, blieb Pyongyang nichts anderes übrig, als einerseits eine grundlegende Veränderung der eigenen Wirtschaftspolitik in Erwägung zu ziehen sowie andererseits in Moskau und Peking sich um verstärkte Wirtschafts-und Militärhilfe zu bemühen. Offenkundig erfolgte die entscheidende Weichen-stellung zu einer verstärkten sowjetisch-nordkorea-nischen Kooperation während des Moskaubesuches Kim Il-sungs im Mai 1984 — dem ersten seit 18 Jahren und zwei Monate nach dem Führungswechsel im Kreml. Denn bald häuften sich die Besuche hochrangiger sowjetischer Delegationen in Pyongyang, die zum Abschluß wichtiger Verträge sowie zur Lieferung modernster sowjetischer Waffen führten, darunter T-72-Panzer, neueste Kampfhubschrauber, SAM-3-Raketen, MIG-23-Flugzeuge. Nach japanischen Presseberichten hat Nordkorea inzwischen auch Flugzeuge sowjetischer Bauart vom Typ MIG-29 sowie einige Sukoi-FU-25-Flugzeuge stationiert
Zu den Gegenleistungen Nordkoreas gehörte nicht nur die Unterstützung der sowjetischen Politik, darunter des Vorschlags von Gorbatschow zu einer internationalen Konferenz über Fragen der Sicherheit in Asien sondern auch Benutzungsrechte sowjetischer Schiffe in einigen nordkoreanischen Häfen sowie die Gewährung von Überflug-und Landerechten für sowjetische Flugzeuge, die für die Sowjetunion von erheblicher strategischer Bedeutung sind.
Wenn diese Annäherung zwischen Moskau und Pyongyang keine nach außen hin sichtbare Trübung des chinesisch-nordkoreanischen Verhältnisses hervorrief, so zeigt dies zum einen das relativ hohe Niveau, auf dem sich die Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten nach den Besuchen Chao Tzu-yang (im Dezember 1981), Teng Hsiao-p’ings und Hu Yao-bangs (im April 1982), nach den Gegenbesuchen Kim Il-sungs (im September 1982) und eines Geheimbesuchs Kim Chong-ils (im Juni 1983) sowie einem Treffen zwischen Hu Yao-bang und Kim Il-sung sowie Kim Chong-il in der nordkoreanischen Stadt Sinuiju (im Mai 1985) stabilisiert hatten. Ein weiterer Grund dafür dürften die Veränderungen im internationalen strategischen Dreieck sein: So hatten sich Mitte der achtziger Jahre nicht nur die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen erheblich verbessert, noch wichtiger war, daß es im Verlauf der auf dem zwölften Parteikongreß der KPCh offiziell proklamierten Politik der „Unabhängigkeit“ auch zu einer unübersehbaren Annäherung zwischen Moskau und Peking gekommen war Sofern der neue sowjetische Parteisekretär Michail Gorbatschow diesen Prozeß weiter vertiefen wollte — und darauf deutete und deutet vieles hin —, dürfte er zu den drei bestehenden, von Peking reklamierten „Hindernissen“, die einer völligen Normalisierung des sino-sowjetischen Verhältnisses bislang im Wege standen (Afghanistan, Kambodscha und Verminderung der Truppen an der sinosowjetischen Grenze), nicht mit Korea ein weiteres hinzufügen.
Die Stabilisierung im strategischen Dreieck zwischen Peking, Moskau und Washington trug somit auch wieder zur Stabilisierung der koreanischen Halbinsel bei; keine der drei Mächte kann derzeit daran interessiert sein, Aktivitäten zu unterstützen, die den Status quo verändern und damit ihre Beziehungen zu den anderen beiden Mächten belasten könnten. Das galt — und gilt — besonders für die Führungen in Peking und Moskau, die beide für diepolitische und wirtschaftliche Umgestaltung ihrer Länder ein friedliches regionales und internationales Umfeld benötigen. Das schließt zwar nicht ihre weitere Rivalität um Positionsgewinne in Nordkorea aus, doch dürfte ihnen dabei bewußt sein, daß angesichts der strategischen Bedeutung Nordkoreas für beide Mächte die vitalen Sicherheitsinteressen des jeweils anderen respektiert werden müssen. Das gleiche gilt im übrigen auch für die Sicherheitsinteressen der USA und Japans in Südkorea. Eine Gefährdung Südkoreas durch den „Norden“ würde beide Mächte auf den Plan rufen und dazu veranlassen, ihre Sicherheitsgarantien für Seoul zu unterstreichen; insbesondere würde sich der amerikanische Druck auf Tokyo zur Erhöhung seines Verteidigungshaushaltes erneut verstärken, woran weder Peking noch Moskau interessiert sind. Eine Verringerung der Kriegsgefahr auf der koreanischen Halbinsel erhöht andererseits die Chancen für die von Peking und Moskau gewünschte Verminderung der amerikanischen Militärpräsenz in Südkorea.
Es war vor allem Peking, das sich in den vergangenen Jahren besonders um eine Stabilisierung der Situation in Korea bemühte. Dies zeigte sich zum einen in Initiativen, die den Zweck verfolgten, Pyongyang aus seiner selbstgewählten Isolierung herauszuführen — sowohl durch Impulse zu einer Intensivierung des innerkoreanischen Dialogs über eine friedliche Wiedervereinigung, wie auch durch die Vermittlung von stärkeren Kontakten Nordkoreas mit den USA und Japan. Letztere hätten den für China wichtigen Nebeneffekt, daß eine stärkere wirtschaftliche Öffnung Nordkoreas gegenüber den westlichen Staaten seine Abhängigkeit von Moskau und dem COMECON vermindern würde
Noch wichtiger für die Stabilität — wenngleich auch mit mehr Risiko für China behaftet — war zum anderen die Bereitschaft der chinesischen Führung, auf das Werben Seouls einzugehen Während Peking in den siebziger Jahren die Annäherungsversuche Südkoreas noch barsch zurückgewiesen hatte, begannen die Kontakte zu Beginn der achtziger Jahre allmählich zuzunehmen. Nach der Entführung eines chinesischen Passagierflugzeugs nach Seoul im März 1983 kam es nach über 30 Jahren sogar zu ersten offiziellen Kontakten. Dabei konnte nicht nur eine Einigung über den Entführungsfall selbst erzielt werden, im gemeinsamen Kommunique wurden auch erstmals die offiziellen Staatsbezeichnungen aufgeführt. Eine ähnlich glatte Beilegung erfuhr im März 1985 eine Torpedoboot-Affäre. Parallel dazu verdichteten sich in der Zwischenzeit die kulturellen Kontakte der beiden Länder, und nachdem die Volksrepublik China 1986 eine eigene Mannschaft zu den Asien-Spielen in Seoul geschickt hatte, stellte es kaum noch eine Überraschung dar, daß sie auch eine chinesische Mannschaft für die Olympischen Spiele im September 1988 anmeldete.
Die wichtigsten Fortschritte vollzogen sich allerdings auf dem wirtschaftlichen Sektor. So erhöhte sich das Volumen des bislang noch inoffiziell und über Drittländer abgewickelten Handels zwischen Südkorea und China von nur 20 Mio. US-Dollar im Jahre 1979 auf circa 3 Mrd. US-Dollar im Jahre 1987. Daß Südkorea mit einer weiteren Steigerung rechnet, zeigt die Absicht des neugewählten Präsidenten Roh Tae-woo, die in der südlichen Cholla-Region liegenden Häfen Mokpo und Kunsan zu Zentren für den China-Handel auszubauen Andererseits erteilte die chinesische Führung — auch mit Rücksicht auf Pyongyang — dem Wunsch des neuen südkoreanischen Präsidenten zu einem Besuch Chinas und zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Seoul und Peking eine deutliche Absage. Offenbar ist die Zeit dazu noch nicht reif.
Während es angesichts nordkoreanischer Zugeständnisse an Moskau auf den ersten Blick so aussieht, als habe Peking gegenüber Moskau in Nordkorea ein wenig an Boden verloren, zeigt eine etwas genauere Betrachtung das Gegenteil. So kann die chinesische Führung Nordkorea durch die neugewonnenen Optionen im „Süden“ notfalls unter Druck setzen; andererseits ist sie aber auch in der Lage, im „Süden“ der Halbinsel Ängste abzubauen und auf diese Weise Widerstände gegen eine Verminderung der amerikanischen Truppen allmählich zu beseitigen. Sofern sich das chinesische Verhältnis zu Seoul weiter verbessert, könnte Peking sogar als Garantiemacht für eine Friedenslösung akzeptiert werden. Ähnlich wie Peking gegenüber Seoul, so bemühte sich auch Washington gegenüber Pyongyang in den achtziger Jahren um eine Verbesserung der seit nunmehr fast drei Jahrzehnten eingefrorenen Beziehungen — allerdings mit erheblich geringerem Erfolg. Die jüngste und zugleich auch weitestgehende Initiative dazu startete der amerikanische Außenminister George Shultz bei seinem China-Besuch im März 1987, wobei es ihm gelang, sich die Vermittlerdienste der chinesischen Führung, dieKim Il-sung gerade zu einem Gegenbesuch erwartete, zu sichern.
Das Angebot, das Shultz unterbreiten ließ, enthielt unter anderem eine Lockerung des Handelsboykotts gegenüber Nordkorea, vertrauensbildende Maßnahmen entlang der entmilitarisierten Zone, Modifikationen bei den jährlich stattfindenden gemeinsamen Manövern amerikanischer und südkoreanischer Truppen, die Ausstellung von Besuchs-visa an Nordkoreaner sowie die Beendigung des amerikanischen Widerstands gegen die Teilnahme Nordkoreas an verschiedenen internationalen Organisationen Allerdings knüpfte der amerikanische Außenminister eine Verbesserung der Beziehungen an die Erfüllung zweier Voraussetzungen: an die Teilnahme Pyongyangs bei den Olympischen Spielen sowie an die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Süd-und Nordkorea. Als Geste des guten Willens hatte Washington seinen Diplomaten die Erlaubnis erteilt, auf Kontaktversuche Nordkoreas einzugehen.
Wenn die amerikanische Initiative schließlich scheiterte, so lag dies zum einen an den schwachen Reaktionen, die aus Pyongyang auf dieses Angebot kamen, zum anderen aber und vor allem an dem Anschlag auf die südkoreanische Verkehrsmaschine. Der Erfolg der Initiative hätte erheblich zur Entspannung der Situation in Korea beitragen können; ihr Scheitern führte hingegen zu einer erneuten Verhärtung des Verhältnisses Nordkoreas zu Washington wie auch zu Tokyo, das Kim vor dem KAL-Zwischenfall ebenfalls Avancen gemacht hatte, nun aber ebenfalls wieder auf eine harte Linie einschwenkte.
Während die Bemühungen der USA um die Einleitung eines Dialogs mit dem Norden scheiterten, verlief ihre Politik im Süden durchaus erfolgreich. Denn hier war es nicht zuletzt dem Druck der amerikanischen Administration zu verdanken, daß das Militär nicht erneut gewaltsam in den politischen Prozeß eingriff, sondern daß sowohl die Präsidentschaftswahlen im Dezember 1987 wie auch die Parlamentswahlen im April 1988 relativ fair verliefen. Obwohl sich der Demokratisierungsprozeß in Südkorea angesichts des Ausgangs der Parlamentswahlen noch keineswegs in festen Bahnen bewegt, sondern noch zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt ist, haben sich seit diesem Frühjahr die Chancen erheblich verbessert, daß es nach der wirtschaftlichen nun auch allmählich zu einer politischen Stabilisierung Südkoreas kommt und die Zeit militärischer Machtübernahmen endgültig der Vergangenheit angehört. Und wenn sich mit der Demokratisierung auch nicht notwendigerweise die Chancen für eine schnelle Wiedervereinigung verbessert haben, so hat sie doch mit Sicherheit die Hoffnungen in Pyongyang gedämpft, unter Ausnutzung innerer Konflikte im Süden die Halbinsel gewaltsam unter kommunistischen Vorzeichen einigen zu können. Paradoxerweise hatte gerade die rasante wirtschaftliche Entwicklung in Südkorea das Risiko eines solchen Versuches wieder erhöht. Denn mit zunehmendem wirtschaftlichen Abstand und der damit wachsenden militärischen Disparitäten schwinden die Chancen Nordkoreas, aus einem erneuten militärischen Konflikt siegreich hervorzugehen. Damit bleibt aber nur die Alternative, die Hoffnung auf eine militärische Lösung ganz fallen zu lassen oder sie in Angriff zu nehmen, solange sich die wirtschaftlichen und militärischen Gleichgewichte noch nicht gänzlich zugunsten des Südens verschoben haben.
Wenn die Wahrscheinlichkeit, daß Kim Il-sung sich auf ein größeres militärisches Unternehmen einläßt, gering ist, so ist dies vor allem eine Folge der oben dargestellten internationalen und regionalen Rahmenbedingungen: Er weiß, daß er damit gegen die Interessen aller vier regionalen Großmächte verstoßen würde und kann nicht ausschließen, daß ihr Interesse an der Vermeidung eines militärischen Konflikts auf der koreanischen Halbinsel so groß ist, daß sie sich über seinen Kopf hinweg einigen. Doch es gibt noch einen anderen Grund, der Kim Il-sung von einem unkalkulierbaren Abenteuer abhalten dürfte und der für ihn aus persönlichen Gründen ein noch größeres Gewicht besitzt: der nordkoreanische Staatschef bereitet seit einigen Jahren seine politische Nachfolge durch seinen Sohn Kim Chong-il vor. Und wenn es ihm auch gelungen zu sein scheint. Widerstände im eigenen Lande zu brechen und Bedenken in Moskau und Peking auszuräumen, so kann er doch nicht sicher sein, ob innere Kräfte oder die beiden übermächtigen Nachbarn nicht eine günstige Situation dazu nutzen, ihnen genehmere Kandidaten durchzusetzen. Nichts aber würde ihnen eine bessere Chance dazu geben, als ein militärischer Konflikt, den Kim Il-sung nicht ohne ihre Rückendeckung oder gar Hilfe durchstehen könnte und in dessen Verlauf das Auftreten von Instabilitäten unvermeidbar wäre. Der nordkoreanische Präsident ist zwar ein Spieler, aber seine Politik während der vergangenen vier Jahrzehnte hat auch gezeigt, daß er ein guter Spieler ist, der Gefahren rechtzeitig wittert und unkalkulierbaren Risiken möglichst aus dem Wege geht. Wenig spricht deshalb dafür, daß er sich aus freien Stücken in eine Situation begeben wird, in der er wenig zu gewinnen hat, aber alles verlieren könnte.
In der Logik dieser Argumentation hätte freilich auch gelegen, daß Kim Il-sung die zahlreichen im Vorfeld der Olympischen Spiele sich anbietenden Möglichkeiten zu einer außenpolitischen Öffnung aufgegriffen hätte. Wenn er dennoch bislang darauf verzichtete — und weder das Angebot zu einer ge15 meinsamen Ausrichtung der Spiele annahm, noch auf die Initiativen der USA und Japans positiv reagierte, noch auf die Grundsatzerklärung einging, in der der südkoreanische Präsident Roh Tae-woo noch im Juli 1988 ein umfassendes Bündel von Maßnahmen zur Zusammenarbeit und Aussöhnung anbot — so kann dies zweierlei bedeuten: Entweder. daß Kim Il-sung grundsätzlich gegen eine solche Öffnung ist, weil er von ihr negative politische und ideologische Auswirkungen für das von ihm geschaffene System und Regime befürchtet. In diesem Fall unterschätzt er möglicherweise die Gefahren, die sich — insbesondere in einer Zeit, in der nach der VR China auch die Sowjetunion auf einen Reformkurs einschwenkt — aus einer Beibehaltung der bestehenden Abkapselung ergeben.
Die andere Möglichkeit wäre, daß Kim Il-sung zwar die Notwendigkeit einer internationalen Öffnung und eines Dialogs mit Südkorea sieht, daß erjedoch die Umstände, unter denen beides vonstatten geht, weitgehend selbst bestimmen möchte. Für eine solche Deutung sprechen einige jüngste Initiativen Pyongyangs: So schlug Nordkorea — in Erwiderung eines Appells der südkoreanischen Nationalver. Sammlung in Pyongyang, den Boykott der Olympischen Spiele zu beenden und sich mit einer eigenen Mannschaft an ihnen zu beteiligen — eine gemeinsame Parlamentarierkonferenz vor, die noch im August, also vor Beginn der Olympischen Spiele, in Pyongyang zusammentreten und Verhandlungen über eine Verbesserung der Beziehungen und den Abschluß eines Nichtangriffspakts beginnen sollte.
Dieser Vorschlag wurde inzwischen von der südkoreanischen Nationalversammlung angenommen und die Aufnahme von Vorgesprächen in Panmanjohn vorgeschlagen
Fast zur gleichen Zeit bot der Vorsitzende der nord-koreanischen Volksversammlung in einem Brief an die Vorsitzenden des amerikanischen Repräsentantenhauses und des Senats Gespräche über die Ablösung des Waffenstillstandsabkommens von 1953 durch einen Friedensvertrag an
Ob es sich bei diesen Initiativen lediglich um taktische Manöver handelt, mit denen Nordkorea sein ramponiertes Image in der Weltöffentlichkeit aufpolieren will, oder ob sie die Wende zu einer neuen Politik einleiten, werden vielleicht schon die nächsten Monate zeigen.
Sieht man einmal von den Unsicherheitsfaktoren ab. die die innere Entwicklung der beiden koreanischen Staaten noch immer in sich birgt — wobei die kritischen Punkte eindeutig in Nordkorea liegen — so spricht mehr für die These, daß sich die Situation auf der koreanischen Halbinsel, ungeachtet vorübergehender Rückschläge, im letzten Jahrzehnt dieses Jahrtausends weiter stabilisieren wird als für ihr Gegenteil. Die gleiche Prognose läßt sich für das regionale Umfeld wagen, sofern sich in der Sowjetunion Michael Gorbatschow mit seiner Reformpolitik durchsetzen kann und in der VR China die Modernisierer auch nach dem Abtreten Teng Hsiao-p’ings weiter am Ruder bleiben, wofür auf dem 13. Parteikongreß der KPCh wichtige Voraussetzungen geschaffen wurden. Denn in diesem Fall bleiben nicht nur die Weichen weiter auf eine sinosowjetische Annäherung gestellt — was sich entspannend auf die Konfliktfelder Korea und Indochina auswirken wird —, auch die Beziehungen der beiden großen kommunistischen Mächte zu den USA würden sich weiter stabilisieren Trotz dieser günstigen Tendenzen dürfte es jedoch kaum gelingen, die koreanische Teilung zu überwinden; wahrscheinlicher ist ein Annäherungsprozeß nach deutschem Vorbild, was allerdings im Vergleich zur Situation der vergangenen vier Jahrzehnte ein beträchtlicher Fortschritt wäre, den man der leidgeprüften koreanischen Nation nur wünschen kann.
Peter J. Opitz, Dr. phil., geb. 1937; Professor für Politische Wissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München; Studium der Politischen Wissenschaft, Sinologie, Philosophie; Research Fellow an der University of California/Berkeley. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Weltprobleme, München 19822; (Hrsg. zus. mit Gregor Sebba) The Philosophy of Order. Essays on History, Consciousness and Politics, Stuttgart 1981; (Hrsg.) Die Dritte Welt in der Krise, München 19842; (Hrsg. zus. mit Volker Rittberger) Forum der Welt. 40 Jahre Vereinte Nationen, München/Bonn 1986; (Hrsg. zus. mit Mir A. Ferdowsi) Macht und Ohnmacht der Vereinten Nationen. Zur Rolle der Weltorganisation in Drittwelt-Konflikten, München 1987; Das Weltflüchtlingsproblem. Ursachen und Wirkungen, München 1988.
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