Weltbank und Währungsfonds als umstrittene „Krisenmanager“ in den Nord-Süd-Beziehungen. Zur Funktionsweise und politischen Bedeutung der beiden Institutionen | APuZ 33-34/1988 | bpb.de
Weltbank und Währungsfonds als umstrittene „Krisenmanager“ in den Nord-Süd-Beziehungen. Zur Funktionsweise und politischen Bedeutung der beiden Institutionen
Rainer Tetzlaff
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Zusammenfassung
Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) sind zu den mächtigsten internationalen Organisationen der Nachkriegszeit geworden. Sie verfügen über erhebliches Expertenwissen, über Finanzressour-. cen, vor allem aber über Definitionsmacht: Bei Verschuldungskrisen von Entwicklungsländern entscheiden sie über die Akzeptanz von wirtschaftlichen Sanierungsprogrammen. Ohne ihr Gütesiegel halten sich auch private Geldgeber zurück. Gleichzeitig vergeben sie Kredite nur zu „Konditionen“, die oftmals kaum zu erfüllen sind oder am Protest der Bevölkerung scheitern. Am Beispiel Sambias wird aufgezeigt, daß zu harte IWF-Auflagen zum Abbruch des Dialogs zwischen Schuldnerland und Fonds führen kann. Die These, daß zuweilen Regime in Entwicklungsländern durch zu großzügigen Ressourcentransfer von den Industrie-zu den Entwicklungsländern von außen einen Zuwachs von „Souveränität“ erhielten, wird am Beispiel des Sudan illustriert. Ohne auswärtige Unterstützung hätte sich das verschwenderische Numeiri-Regime weniger lange im Amt halten können. IWF und Weltbank haben im Laufe ihrer Geschichte ihre Instrumentarien zur Unterstützung der Entwicklungsländer modifiziert und erweitert. Vor allem der IWF hat neue „Fazilitäten“ eingerichtet, während die Bank seit 1980 Strukturanpassungsdarlehen vergibt, vor allem an afrikanische Länder. Allerdings haben die beiden Bretton-Woods-Institutionen häufig zu wenig Sensibilität dafür gezeigt, was in Schuldnerstaaten politisch zumutbar und sozial verträglich ist. Mit den herkömmlichen Instrumenten des Krisenmanagements ist eine Lösung der Schuldenkrise nicht in Sicht. Die Konditionen müßten so umgestaltet werden, daß — wie die EKD jüngst erklärte — reformwillige Schuldnerstaaten zumindest eine faire Chance erhalten, „ihre Volkswirtschaften geordnet, ohne soziale Zerreißproben und ohne Gefahr für die demokratische Entwicklung, anzupassen“.
I. Quellen der Macht des internationalen Krisenmanagements
Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, kurz „Weltbank“ genannt, und der Internationale Währungsfonds (IWF), oft einfach „der Fonds“ tituliert, gehören seit ihrer Gründung 1944 in Bretton Woods (USA) nicht nur zu den ältesten Institutionen des Internationalen Währungssystems. sondern sie sind auch zu den mächtigsten internationalen Organisationen im Nord-Süd-Verhältnis geworden. Ihre Macht beruht auf Finanzressourcen und Expertenwissen, auf Defmitionskompetenz und Drohpotential. Das Kapital der Bank (plus Reserven) übersteigt heute die 100 Mrd. Dollar-Grenze. Jährlich nimmt sie rund 10 Mrd. Dollar neu auf den Kapitalmärkten auf. Keine andere internationale Behörde transferiert Entwicklungskredite in vergleichbarer Höhe: Im Jahr 1987 betrugen die Zusagen der Weltbank für entwicklungsrelevante Vorhaben in der Dritten Welt 17, 674 Mrd. US-Dollar. Seit ihrem Bestehen hat die Bank an die sogenannten „Less Developed Countries“ (LDCs oder „Entwicklungsländer“) „Darlehen von weit mehr als 160 Mrd. Dollar vergeben“ und zwar vor allem für Projekte der Infrastruktur (Energie-und Verkehrssektor), die den ausländischen Direktinvestitionen in Industrie und Landwirtschaft den Boden bereiteten Sie beschäftigt heute 6 500 Mitarbeiter aus über 100 Ländern; davon gehören ca. 600 zu den „höher qualifizierten“ Mitarbeitern. Keine zweite Organisation beschäftigt eine solch breit angelegte Palette von Fachleuten: „Volkswirte, Ingenieure, Städteplaner. Agronome. Statistiker. Juristen, Vermögensverwalter, Darlehenssachbearbeiter. Projektbewerter wie auch Experten auf den Gebieten Fernmeldewesen, Wasserversorgung und Abwas-serentsorgung, Verkehrswesen, Bildung, Energie, ländliche Entwicklung, Bevölkerung und Gesundheitsfürsorge.“ 3) Die Bank unterhält 40 Büros in der ganzen Welt, obwohl 95 Prozent ihrer Mitarbeiterinnen am Hauptsitz in Washington tätig sind.
Mit 151 Mitgliedsstaaten haben Bank und Fonds fast universellen Charakter (nur die UdSSR, die DDR und einige andere sozialistische Staaten sind nicht Mitglieder). Die Volksrepublik China — mit Abstand der bevölkerungsreichste Staat der Welt — ist ebenso Mitglied wie die größte Industriemacht der Welt, die USA. Was die Bretton-Woods-Institutionen allerdings von anderen internationalen Institutionen, namentlich aus der Familie der Vereinten Nationen, unterscheidet, ist ihre quasi Monopolposition im Ressourcentransfer von Nord nach Süd: Sie gewähren nicht nur Kredite, sondern sie verweigern bei Nichtbefolgung ihrer Ratschläge ihren Segen, und darin besteht ihre unvergleichliche (und von den LDCs so gefürchtete) Definitionsmacht.
Bank und Fonds definieren, ob das Programm einer Regierung zur Sanierung von Staat und Wirtschaft deren Billigung (den „stamp of approval") erhält, was die Voraussetzung dafür ist, daß auch andere Geberorganisationen sowie private Unternehmen das betreffende Land als kreditwürdig bzw. wieder unterstützungswürdig ansehen. Vor allem IWF-Kreditabkommen gelten bei internationalen Finanzgebem als Gütesiegel für eine Wirtschaftspolitik,die zwar nicht wirtschaftliche Prosperität, dafür aber die Rückzahlungsfähigkeit des Schuldnerlandes gegenüber seinen Gläubigern garantiert — was dem Fonds den Ruf eines „internationalen Finanz-polizisten“ eingebracht hat
Ein Übereinkommen mit dem IWF war und ist für Schuldnerländer die conditio sine qua non. um im nennenswerten Umfang von Erleichterungen und neuen Mittelzuflüssen profitieren zu können. Denn ohne IWF-Abkommen finden keine Umschuldungen statt, gibt es keine Strukturanpassungskredite der Weltbank (selbst bei den üblichen Projektkrediten hält sich die Schwesterorganisation des Fonds dann zurück) und keine von der Weltbank organisierten Geberkonferenzen mit entsprechenden Zusagen
Erst die Zuspitzung der Schuldenkrise in immer mehr Staaten der Dritten Welt seit Ende der siebziger Jahre hat die Voraussetzung für den enormen Bedeutungszuwachs der beiden Bretton-Woods-Institutionen geschaffen. Je deutlicher wurde, daß angesichts der Schuldenkrise in Entwicklungsländern (hinter der sich eine strukturelle Krise der Entwicklungspolitik verbirgt) die nationalstaatlichen Instrumente zur Krisenregulierung nicht mehr ausreichten, desto zwingender wurde das Bedürfnis nach einer effizienteren Krisenstrategie, d. h. einer solchen, die nationale Strukturreformen in Schuldnerstaaten mit dem Zufluß an internationalen Kapital-und Technologieressourcen verknüpfen würde.
Die Tatsache, daß Bank und Fonds vor allem seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1971 — 1973 aufgrund der Schwächung des Dollars als internationaler Leit-und Reservewährung mit der Folge nunmehr flexibler Wechselkurse gegenüber dem Dollar diese Kompetenzenfülle erworben haben, ist nicht umstritten; strittig vielmehr ist die Frage, wem ihre Macht letztlich zugute kommt und ob die Instrumente ihrer Durchsetzung nicht Alternativen zulassen, die weniger soziale Härten und politische Demütigungen für die Menschen in den Schuldnerländem mit sich bringen würden: eine „Strukturanpassung mit menschlichem Gesicht“
II. Zu den Kriterien der Bewertung von IWF und Weltbank
Seit ihrer Gründung zur Aufrechterhaltung eines internationalen Währungssystems mit annähernd festen Wechselkursen (näheres dazu s. S. 38) sind die beiden Bretton-Woods-Institutionen kritisiert worden — von „rechts“ wie von „links“. Während private Geschäftsleute und eher konservativ orientierte Wirtschaftswissenschaftler vor allem gegen die Weltbank das Argument ins Feld führten, daß „Entwicklung“ doch besser den freien Markt-kräften zu überlassen sei und daß staatlich dirigierter Ressourcenfluß tunlichst zu unterbleiben habe (solche Kritiker befanden sich vor allem stets im US-amerikanischen Kongreß), so haben engagierte Verfechter für mehr Entwicklungshilfe an die Dritte Welt, für eine Neue Weltwirtschaftsordnung und für die volle Respektierung der politischen Autonomie von Entwicklungsländern die „imperialistischen“ Eingriffe der Bretton-Woods-Institutionen in die inneren Angelegenheiten der Dritten Welt kritisiert. Die nationale Souveränität von Entwicklungsländern dürfe — so lautete ein Standard-argument — durch finanz-und entwicklungspolitisehe Auflagen, hinter denen sich meist politische Neben-oder gar Hauptabsichten verstecken würden — nicht tangiert werden
Nach drei Jahrzehnten Entwicklungshilfe hat sich dieser Streit erheblich relativiert denn es hat sich gezeigt: Ein unkontrollierter Ressourcenfluß zwischen Nord und Süd verführt zum Mißbrauch knapper Güter im Interesse privilegierter Minderheiten. Das ungehemmte Anwachsen der Auslandsschulden — auch eine Folge mangelnder Sorgfaltspflicht von Gläubigern wie Schuldnern — hat die Überlebens-und Selbstverwirklichungschancen der heranwachsenden Generationen in den Schuldnerstaaten teilweise drastisch verschlechtert. Die Souveränität von Regierungen ist offensichtlich des öfteren mißbraucht worden, und die jüngsten Ereignisse auf den Philippinen (unter Präsident Marcos), in Argentinien (zur Zeit der Militärjunta, als zwischen 1980— 1983 eine 27 Mrd. Dollar-Neuverschuldung im Ausland zur Finanzierung der Kapitalflucht be-nutzt wurde) oder in Zaire (wo eine einheimische „Kleptokratie" die großen Naturreichtümer des Landes „verwirtschaftet“) — um nur einige krasse Beispiele für eine der folgenschwersten Fehlentwicklungen des internationalen Systems der Nachkriegszeit zu nennen — geben heute zu anders lautenden Fragen Anlaß:
— Haben Internationale Organisationen wie vor allem IWF und Weltbank den etablierten Diktaturen in der Dritten Welt nicht möglicherweise einen Zuwachs an „Souveränität“ (im Sinne der Ausübung von Gewalt nach innen) vermittelt, der im nationalen Bereich keine Legitimationsgrundlage besitzt?
— Sind Bank und Fonds — von keinem Machtgremium ernsthaft kontrolliert — möglicherweise zu politisch agierenden Krisenmanagern aufgestiegen, die mehr versprechen als sie halten können, und die sich deshalb dem „Verdacht der Aufgabenverfehlung“ ausgesetzt haben
III. Zu den Funktionen von Weltbank und Währungsfonds — eine kleine Institutionenkunde
Bevor auf politische Problembereiche weiter eingegangen wird, soll zunächst eine Darstellung der zentralen Aufgaben und Instrumente der beiden Schwesterorganisationen erfolgen; denn zum einen ist es oftmals schwierig, die Kompetenzbereiche der beiden Institutionen auseinanderzuhalten bzw. die wachsende Komplementarität ihrer Funktionen zu erkennen. Zum anderen bedarf es genauerer Kenntnisse der Instrumente, die Fonds und Bank in der Dritten Welt einzusetzen vermögen, um ihren politischen Handlungsspielraum für die Durchsetzung von Veränderungen abschätzen zu können.
Letzteres entscheidet über die Bedeutung dieser Institutionen als Vermittler oder Verstärker von Nord-Süd-Konflikten.
Als im Juli 1944 Bank und Fonds in Bretton Woods, einem abgelegenen Ort in New Hampshire, USA, gegründet wurden, waren ihnen von den 44 Gründungsstaaten zunächst klar definierte und voneinander getrennte Aufgaben zugedacht worden. Die unter der Hegemonie der neuen Weltmacht USA gegründeten Institutionen sollten den freien, weltweiten Handels-und Zahlungsverkehr garantieren sowie eine multilaterale Kooperation in Fragen der Entwicklungsfinanzierung und der Währungspolitik gewährleisten. In dieser liberalen, durch koloniale Barrieren nicht länger beschränkten Weltwirtschaftsordnung spiegelte sich das Interesse der USA — ihrer Tradition der „open door-policy“ verpflichtet — an weltweiter Expansion ihres Wirtschaftssystems. Zugleich jedoch verhieß die Beteiligung am Bretton-Woods-System den Mitgliedern von IWF und Weltbank faire Teilhabe an wirtschaftlichem Wachstum durch internationalen Handel
Die US-amerikanische Regierung brachte es fertig, den durch die Atlantik-Charta von 1941 beflügelten Geist der internationalen Zusammenarbeit „frei von Not und Furcht“ mit ihren eigenen Hegemonialinteressen in Einklang zu bringen. In den Statuten von Bank und Fonds wurde das Prinzip der Stimmenwägung in gemeinsamen Entscheidungsgremien verankert nach dem Motto: wer zahlt, der zählt. Abgehend vom Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten (die sich im UN-üblichen Prinzip: „jedes Land eine Stimme“ spiegelt) erhielt bei der Weltbank jedes Mitglied 250 Stimmen zuzüglich einer weiteren Stimme für jeden gezeichneten Anteil des Grundkapitals der Bank. Jeder Anteil hat einen Wert von 100 000 US-Dollar. Die Bundesrepublik Deutschland z. B., die 1952 Mitglied der beiden Institutionen wurde, hat heute 40 632 Anteile der Bank gezeichnet, was ihr ein Stimmrecht von 40 832 Stimmen oder 5, 49 Prozent aller Stimmen im Aufsichtsrat, dem 22köpfigen „Board of Directors“, verleiht
Dieses Gremium der 22 Exekutivdirektoren ist für die Führung der allgemeinen Geschäfte der Bank verantwortlich. Fünf von ihnen werden von den fünf Mitgliedern ernannt, die die meisten Kapital-anteile gemäß ihrer volkswirtschaftlichen Stärke besitzen. Derzeit sind dies die USA, Japan, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die restlichen 17 Direktoren werden von den einmal im Jahr gemeinsam tagenden „Gouverneuren“ (meist den Finanzministern) der übrigen 146 Mitgliedsstaaten gewählt. Die „Großen Fünf“ — die potentesten Industriestaaten des Westens mit der höchsten „Quote“ — verfügen in der Weltbank zusammen über 40, 9 Direktoren werden von den einmal im Jahr gemeinsam tagenden „Gouverneuren“ (meist den Finanzministern) der übrigen 146 Mitgliedsstaaten gewählt. Die „Großen Fünf“ — die potentesten Industriestaaten des Westens mit der höchsten „Quote“ — verfügen in der Weltbank zusammen über 40, 97 Prozent der Stimmen, während die große Mehrheit nur über die restlichen Anteile von 59, 03 Prozent verfügt 14). Ähnlich asymmetrisch sind die Stimm-und Machtverhältnisse beim Fonds geregelt. Mit der „Quote“ soll das weltwirtschaftliche Gewicht eines Landes gemessen werden; sie bestimmt die Höhe des einzuzahlenden Mitgliedsbeitrages, den Kreditrahmen und vor allem das Stimmrecht. In der Praxis von Fonds und Bank werden auch die umstrittenen Bereitschaftskreditabkommen (des IWF) oder die Strukturanpassungsdarlehen (der Weltbank) meist in allgemeiner Übereinstimmung verabschiedet. Daraus kann aber nicht auf einen allgemeinen Konsens über die Auflagenpolitik geschlossen werden, denn formelle Abstimmungen würden im Konfliktfall der Mehrheit der Staaten nur ihre politische Ohnmacht demonstrieren.
Satzungsgemäße Aufgabe der Weltbank ist die Förderung der Entwicklung armer Länder durch die Gewährung technischer Unterstützung und finanzieller Mittel für Vorhaben und Maßnahmen, die das wirtschaftliche Potential der Länder zur Entfaltung bringen sollen. Dafür beschafft sich die International Bank for Reconstruction and Development (IBRD) den größten Teil ihrer Mittel durch mittel-und langfristige Aufnahmen auf den privaten Kapitalmärkten der Welt. Sie gewährt Darlehen mit Laufzeiten von 12 bis 15 Jahren zu Zinssätzen, die dem Durchschnitt der Aufnahmekosten plus einer geringfügigen Prämie entsprechen. Die Zinssätze werden alle sechs Monate überprüft und entsprechend angepaßt. Seit Anfang 1987 beläuft sich der Zinssatz auf weniger als 8 Prozent. Alle Darlehen werden nur an Regierungen oder Regierungsagenturen vergeben, die die Rückzahlung garantieren können. Überhaupt sollen Darlehen nur an solche Länder gewährt werden, „denen die Bank eindeutig die Kapazität zuerkennt, die Darlehen voll und ganz zu bedienen“ 15); dies ist leider jedoch zumeist nur eine theoretische Forderung.
Den ärmsten Entwicklungsländern mit einem Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt (BSP) von unter 400 US-Dollar pro Jahr, denen für IBRD-Darlehen die Kreditwürdigkeit fehlt, hilft die 1958 gegründete „Tochter“ der Weltbank, die „International Development Association“ (IDA) mit günstigen Krediten zu Sonderkonditionen (40 bis 50 Jahre Laufzeit; zinslos; 34 Prozent Bearbeitungsgebühr, was einen Schenkungsanteil von über 80 Prozent ausmacht, gemessen an Marktbedingungen). Der IDA sind bislang 135 Staaten beigetreten. Sie erhält ihre Finanzmittel durch periodische Zuweisungen von einer Gruppe von jetzt 33 Geberländem. Im Frühjahr 1987 einigten sie sich über die achte Wiederauffüllung von IDA: bis zum 30. Juni 1990 sollen 12, 4 Milliarden Dollarzur Verfügung gestellt werden. IDAs Zielsetzungen und Prioritäten sind dieselben wie die der Weltbank im engeren Sinne, der International Bank for Reconstruction and Development 16). Die andere Weltbank-Tochter, die 1956 ins Leben gerufene „International Finance Corporation“ (IFC), fördert rentable Privatunternehmen in Entwicklungsländern.
In den ersten 20 Jahren ihres Bestehens waren ca. zwei Drittel der von der Weltbank gewährten Kredite für Projekte der Stromversorgung und des Verkehrswesens bestimmt. Davon profitierten in erster Linie Großunternehmen und ausländische Investoren. in Lateinamerika vor allem Transnationale Unternehmen. Unter der Präsidentschaft von Robert McNamara (1969— 1981) wurde die Projekthilfe sozial diversifiziert: Nach dem Vorsatz „Investment in the poor“ wurden nun auch Kredite zur Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft bereitgestellt. Die Bank war bemüht, mit ihren „armutsorientierten“ Maßnahmen, die Produktivität der arbeitsfähigen Armutsgruppen zu steigern und auch ihnen den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern — wie sauberem Wasser, Gesundheitsfürsorge, Familienplanung. Bildung und Wohnungswesen — zu erleichtern 17).
Als die Weltwirtschaft Anfang der achtziger Jahre in den Sog der Rezession geriet, erweiterte die Bank ihre Darlehnspalette um Darlehen für soge-nannte Struktur-und Sektoranpassung. Solche Darlehen fördern Programme (heute bereits 25 Prozent der gesamten Weltbankdarlehen), die darauf abzielen, Wirtschafts-und Finanzkrisen durch Wirtschaftsreformen („Strukturanpassung“) und eine marktgerechte Änderung der Prioritäten im Investitionsbereich abzuwenden.
IV. Der Funktionswandel des Währungsfonds und die wachsende Komplementarität der Aufgaben von Fonds und Bank
Im Vergleich zur Weltbankgruppe (IBRD + IDA + IFC) ist der Internationale Währungsfonds (IWF) mit ca. 1 700 Mitarbeitern — überwiegend Volkswirte und Finanzexperten — klein. Er ist die zentrale Institution zur Überwachung des Weltwährungssystems; er erstrebt die Förderung stabiler Währungen und geordneter Währungsbeziehungen unter Mitgliedern.
In seiner über 40jährigen Geschichte hat der IWF zwei Phasen durchlebt. In den ersten 30 Jahren, bis 1973, überwachte er das System fester Wechselkurse, die an den Wert des Goldes gebunden waren; er gewährte kurzfristige Finanzhilfe an Entwicklungs-wie an Industrieländer, die dringend Devisen benötigten, um die Parität ihrer Währung aufrechtzuerhalten oder sich veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen.
Mit der Einführung flexibler Wechselkurse 1973 entstand eine Übergangsphase der Turbulenzen und Verhandlungen, die 1978 mit der Änderung des ursprünglichen Übereinkommens beendet werden konnte. Dadurch hat der Fonds drei Aufgaben übertragen bekommen Erstens verlangt der Fonds von seinen Mitgliedern weiterhin den ungehinderten Austausch ihrer Währungen. (Bis 1987 haben 62 Mitglieder der vollen Konvertierbarkeit ihrer Landeswährung zugestimmt). Zweitens spielt jetzt der Fonds erstmalig eine wichtige Rolle bei der periodischen Überwachung der Wirtschaftspolitik seiner Mitgliedsländer, die die Wechselkurse beeinflußt. Daraus folgt ein permanenter Beratungsdialog zwischen Fonds und Mitgliedsregierungen über Risiken und Gefahren der praktizierten Wirtschafts-und Finanzpolitik. Drittens gewährt der Fonds Mitgliedsstaaten mit angeblich nur „vorübergehenden“ Zahlungsbilanzschwierigkeiten kurz-und mittelfristige Finanzhilfe. Dieses geschieht üblicherweise durch die Bereitstellung konvertierbarer Devisen zur Aufstockung der schwindenden Devisenreserven des betroffenen Mitgliedslandes. Verknüpft ist diese Hilfe mit Konditionen: Von der Regierung wird vorab die Zusage erwartet, daß sie die nationale Wirtschaftspolitik korrigiert, die von den Fondsexperten in der Regel für die entstandenen Zahlungsbilanzprobleme verantwortlich gemacht wird (Standardvorwürfe: „Übernachfrage“
als Ursache der Inflation; Überbewertung der nationalen Währung als Ursache der negativen Handelsbilanz)
Bank und Fonds sind also in Bretton Woods als unterschiedliche Institutionen mit autonomen Funktionen geschaffen worden: Während die Weltbank mit der Stimulierung langfristiger Entwicklungsprojekte beauftragt wurde, die die Staaten der Dritten Welt in das internationale Weltwirtschaftssystem integrieren sollten, erhielt der Währungsfonds die Aufgabe, die kurzfristige ökonomische Stabilisierung der Zahlungsbilanzen seiner Mitglieder ins Werk zu setzen. Erst als sich diese Arbeitsteilung angesichts der Schuldenkrise der Dritten Welt als anachronistisch und teilweise kontraproduktiv erwiesen hatte (die klassische Stabilisierungstherapie des Fonds führte zur wirtschaftlichen Rezession, was Entwicklungsinvestitionen behinderte), wurde die Zusammenarbeit zwischen ihnen intensiviert. 1972 ist mit dieser Zielsetzung ein „Gemeinsamer Entwicklungsausschuß von Weltbank und IWF“ gegründet worden. Dieser sogenannte „Zwanziger Ausschuß“ hat zur Aufgabe, einen umfassenden Reformplan in der Folge der Erdölkrise und dem Zusammenbruch des Wechselkurssystems zu erarbeiten. Aber erst seit Mitte der achtziger Jahre arbeiten beide Institutionen im Rahmen der soge-nannten verstärkten Schuldenstrategie bei der Lösung der Frage enger zusammen, wie Entwicklungsländern bei der Planung wachstumsorientierter Anpassungsprogramme geholfen werden könne und wie die dafür erforderlichen Mittel zu beschaffen seien. Der Fonds zieht nun die Weltbankexperten oft in Fragen zu Rate, in denen diese über eine besondere Sachkenntnis verfügen, etwa bei der Beurteilung der Effizienz von Investitionsprogrammen der öffentlichen Hand, der Leistungsfähigkeit öffentlicher Unternehmen, der Preisgestaltung im Energie-und Transportsektor, in Fragen der Einfuhrliberalisierung sowie der Zollreform.
Diese koordinierte Strategie hat die Definitionsmacht der Bretton-Woods-Institutionen zweifellos erhöht und bei überschuldeten Entwicklungsländern den Alptraum einer „doppelten Konditionalität“ entstehen lassen Demnach wäre Kredithilfe von einer der beiden Institutionen nur dann zu erhalten, wenn die Anpassungsforderungen beider erfüllt wurden. In jüngster Zeit ist tatsächlich zu beobachten gewesen, daß die entwicklungspolitisch bestimmte Räson der Weltbank den IWF offenbar zur Aufgabe seiner lange Zeit aufrechterhaltenen Schutzbehauptung veranlassen konnte, er (der sei nicht für „Entwicklung“ zuständig, son-dem lediglich für die Stabilisierung von Zahlungsbi-Fonds)
V. Bereitschaftskredite und Fazilitäten: betrieb der IWF eine „Finanzpolitik der , großen Kelle “?
Laut einer eher bescheiden klingenden Selbstdarstellung des Fonds vom Jahr 1987 seien die vom Fonds erzielten Erfolge schwer zu messen, „da ein Großteil seiner Bemühungen darauf abzielt, finanzielle Krisen abzuwenden oder ihre Verschärfung zu verhindern“ Aus der Sicht seiner konservativen Kritiker ist der Fonds freilich etwas anderes — nämlich Hauptinitiator für die fatale Politik, Haushaltsdefizite und Zahlungsbilanzlücken in Entwicklungsländern mit Krediten finanzieren zu wollen, statt von vornherein auf sofortige ausgleichswirksame Maßnahmen der Anpassung (ohne Kredithilfe) zu setzen. So hat kürzlich Alfred Schüller die Existenzberechtigung des IWF mit den Argumenten in Frage gestellt: „Steigende Budgetdefizite, Inflationsraten und Zahlungsbilanzdefizite wurden (seit den siebziger Jahren, R. T.) ziemlich sorglos in Kauf genommen. Auf der Grundlage dieser Ideologie (der „großen Kelle“, R. T.) wurde in Übereinstimmung mit entsprechenden Empfehlungen der UNO und leicht manipulierbaren makro-ökonomischen Berechnungen von Finanzierungslücken, für deren Schließung die entwickelten Industrieländer des Westens haftbar gemacht wurden, eine bedeutende Beschleunigung des Wachstums-tempos der Länder der Dritten Welt angestrebt . . . Das mit beachtlichem Erfolg praktizierte Postulat „Anpassung vor Finanzierung“ wurde in den sechziger und verstärkt in den siebziger Jahren in einem Maße aufgeweicht und schließlich umgekehrt, daß der Anteil der Kredite mit harten Konditionen an der gesamten Liquiditätsversorgung des Fonds bis 1975 weit unter 20 Prozent zurückging. Dies war die Konsequenz der damals vorherrschenden Auffassung: Je großzügiger die Finanzierung, desto größer ist die Aussicht auf eine langfristig erfolgreiche Anpassung an die Erfordernisse des Zahlungsbilanzausgleichs. Demzufolge wurden die allgemeinen Quoten erhöht und vielfältige neue Kreditfazilitäten mit reichlich euphemistischen Überschriften geschaffen. Der Fonds begnügte sich mehr und mehr mit Anpassungsankündigungen der Schuldnerländer . . ,“ Fatal habe sich schließlich die Tatsache ausgewirkt, daß sich offenbar auch der private Bankensektor in den siebziger Jahren von der Schuldnerfreundlichkeit des Fonds habe beeinflussen lassen.
Wie noch am Beispiel des hoch verschuldeten Sudan aufgezeigt werden soll, sind diese Vorwürfe ernst zu nehmen, führen sie doch hin zu der zentralen Frage nach den Schuldigen (oder Mitschuldigen) der gegenwärtigen Entwicklungs-und Schuldenkrise der Dritten Welt, ohne deren Beantwortung die Suche nach einer — wenn schon kaum fairen, so doch erträglichen — Lösung der Probleme nicht zu erwarten ist. Zuvor jedoch soll ein Über-blick über die „Fazilitäten“ des Fonds die begrenzte Flexibilität dieser Institution des internationalen Krisenmanagements gegenüber stets neuen Herausforderungen der krisengeschüttelten Weltwirtschäft dokumentieren.
Zur Finanzierung vorübergehender Zahlungsbilanzdefizite räumt der IWF seinen Mitgliedern Ziehungsmöglichkeiten(„Fazilitäten“) ein Ökonomisch betrachtet, handelt es sich dabei um Kredite, rechtlich-technisch dagegen um den Kauf („Ziehung“) benötigter Fremdwährungen gegen die eigene Währung. Die Vergabe des Geldes knüpft der Fonds jedoch an Auflagen, die „Konditionalität", die von unverbindlichen Empfehlungen bis zu strikten Regelungen reichen und deren Nichteinhaltung mit Auszahlungsstop geahndet wird.
Nur die Reservetranche (25 Prozent der Quote) ist auflagenfrei, da es sich dabei um vom Land selbst erbrachte Finanzierungsleistungen handelt. Die Erste Kredittranche (weitere 25 Prozent der Quote) ist mit schwachen Auflagen verbunden, während die Oberen Kredittranchen (weitere 75 Prozent) nur in Verbindung mit einem strikten Stabilisierungsprogramm als sogenannte Bereitschaftskredite vergeben werden. Mit einem zwei-bis dreijährigen Stabilisierungsprogramm ist die 1975 eingeführte Erweiterte Faszilität (bis zu 140 Prozent der Quote) verknüpft; in ihr kommt die Einsicht des Fonds zum Ausdruck, daß die traditionellen einjährigen Programme zu kurzfristig angelegt sind, um die Strukturprobleme der Schuldnerstaaten lösen zu können
Ende der siebziger Jahre reagierte der IWF auf den zweiten Ölpreisschock und die zunehmenden Liquiditätsprobleme der Dritten Welt mit der Schaffung der Zusätzlichen Finanzierungsfazilität (140 Pro- zent der Quote), die von 1979 bis 1982 galt und mit strikter Konditionalität verbundene Kredite der Oberen Kredittranchen oder der Erweiterten Fazilität aufstockte. 1982 trat die Politik des Erweiterten Zugangs (zu IWF-Finanzmitteln) an ihre Stelle. Als 1986 die Länder, die davon Gebrauch gemacht hatten, mit der Rückzahlung der IWF-Kredite beginnen mußten, stellte sich ein neues Problem: Da sie ihre Möglichkeiten für Kreditaufnahmen beim Fonds weitgehend ausgeschöpft hatten, kam es umgekehrt zu einem Nettotransfer an den IWF. Die Länder Afrikas z. B. zahlten im Jahr 1986 1, 84 Mrd. Dollar an den Fonds zurück, konnten aber nur 970 Mio. Dollar an Zuflüssen verbuchen. Daraufhin kreierte der Fonds ein neues Kreditfenster: die Strukturanpassungsfazilität (SAF). Solche Kredite werden nur vergeben, wenn sich eine Regierung auf ein mindestens dreijähriges Anpassungsprogramm einläßt; sie sind wesentlich günstiger als die bis dahin üblichen IWF-Fazilitäten (mit 6, 6 Prozent Zinskosten und 3— 5 Jahren Rückzahlungsfrist); sie haben eine zehnjährige Laufzeit mit 0, 5 Prozent Zinsen. Nachdem es dem Geschäftsführenden Direktor des IWF, Michel Camdessus, Ende 1987 gelungen war. die SAF von 4. 2 Mrd. Dollar auf 11. 4 Mrd. Dollar aufzustocken, konnte der Kreditplafond der nun „Erweiterte Strukturanpassungsfazilität“ (ESAF) genannten Einrichtung auf 250 Prozent der Quote erhöht werden
Was das für hochverschuldete Länder bedeuten kann, soll das Beispiel Ghana illustrieren, das wegen seiner rigorosen Spar-und Anpassungspolitik zum Musterschüler der Bretton-Woods-lnstitutionen geworden ist Obwohl unter Präsident Jerry Rawlings alle Forderungen von IWF und Weltbank seit 1983 heroisch befolgt worden waren, kam das Land aus der Schuldenklemme nicht heraus: Die steigenden Rückzahlungen an IWF und Weltbank konnten durch (nur geringe) Exportzuwächse nicht finanziert werden, zumal „fresh money“ der privaten Investoren aus dem Ausland zunächst ausblieb. Erst als mit der ESAF die Kredithöhe von 180 Mio. Dollar auf bis zu 780 Mio. Dollar mehr als vervierfacht worden war, wuchsen für Ghana die Aussichten, die „schier unerfüllbaren Rückzahlungsverpflichtungen an den IWF in den nächsten Jahren . . . vergleichsweise günstig“ zu refinanzieren
Bis zum 31. Januar 1988 hatten 17 afrikanische Länder mit dem IWF die relativ zinsgünstigen Strukturanpassungsdarlehen abgeschlossen. Von den 60 Staaten, die nach dem Verzicht der VR China und Indiens berechtigt sind, SAF-Kredite zu beantragen, liegen 34 in Afrika (ausgeschlossen sind Länder mit „mittleren Einkommen“ wie Nigeria, Elfenbeinküste und Simbabwe sowie Länder mit Zahlungsrückständen gegenüber dem IWF wie Liberia, der Sudan, Sierra Leone, Somalia und Sambia. Diese sind „ineligible" geworden — für weitere Kredite „unwürdig“). Aber angesichts einer Auslandsverschuldung Afrikas südlich der Sahara von ca. 125 Mrd. Dollar und einem jährlichen Schuldendienst von ca. 5 Mrd. Dollar ist die durch IWF-Strukturanpassungsabkommen zur Verfügung gestellte Summe von insgesamt 806, 772 Mio. Sondererziehungsrechten (SZR) gering
VI. Eine fehlgeleitete Stabilisierung: das Beispiel Sudan
Der pauschale Vorwurf, der IWF habe Kredite „mit der großen Kelle“ ausgeteilt, ist so nicht aufrechtzuerhalten. Im Vergleich zu seiner Definitionsmacht sind seine realen Transfers eher gering und für die konkrete Stabilisierung von Zahlungsbilanzen unbedeutend. Dennoch hat es zahlreiche Fälle gegeben, bei denen die indirekten Auswirkungen seiner Kredit-und Beratungspolitik zu einer Überschuldung von Entwicklungsländern geführt oder doch erheblich dazu beigetragen haben. Am Beispiel des Sudan, der heute mit mehr als 10 Mrd. US-Dollar im Ausland verschuldet ist, kann die Mitschuld des IWF (und im geringen Umfang auch der Weltbank und der anderen „großzügigen“ Geberstaaten wie die Bundesrepublik und die USA) aufgezeigt werden
Unter dem militärischen Diktator Numeiri sollte der Sudan in den siebziger Jahren zum „Brotkorb“ für die arabische Welt werden. Die Regierung setzte bedenkenlos, animiert durch in großem Umfang in Aussicht gestellte Petro-Dollars der arabi-sehen Bruderstaaten, auf kapital-und technologie-intensive Großprojekte bei der Entwicklung der Infrastruktur und dem Aufbau einer importsubstituierenden Industrie. Im Jahr 1978 wurde der IWF zum ersten Mal zur Finanzierung eines Zahlungsbilanzdefizits (es betrug 472 Mio. Dollar oder ca. 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) in Anspruch genommen. In den nächsten fünf Jahren folgten mehrere Umschuldungen des Landes durch den „Pariser Club“, und der IWF gab gutwillig immer aufs neue Bereitschaftskredite
Im Jahr 1979 gewährte der IWF dem Sudan unter der Erweiterten Fonds-Fazilität einen Kredit von 200 Mio. Sonderziehungsrechten. Ein Jahr später, im November 1980 — die öffentliche Auslands-schuld war in nur zwei Jahren von ca. 2 Mrd. auf 4 Mrd. Dollar gestiegen —, konnte die Regierung einen „Nachschlag“ von 227 Mio. Sonderziehungsrechten erhalten; außerdem wurden fällige Tilgungen und Zinszahlungen an die Pariser-Club-Mitglieder ausgesetzt. Während eines Zeitraumes von einem Jahr kam die Regierung ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Gläubigern nicht nach, was vorübergehend zur Einstellung von Auszahlungen zugesagter IWF-Kredite führte. Doch der Regierung gelang es, sich von anderer Seite Kredite zu besorgen; Ende 1982 waren die Auslandsschulden auf 7 Mrd. Dollar gestiegen. Für 1983 wurde mit einer Zahlungsbilanzlücke von 1 Mrd. Dollar gerechnet, was die Gläubigerstaaten zur Bildung eines Gemeinsamen Kontroll-Ausschusses („Joint Monitoring Committee“) für den Sudan unter Leitung von IWF und Weltbank veranlaßte. Frühere Schulden wurden zu ungewöhnlich günstigen Bedingungen umgeschuldet (10 Freijahre, 20 Jahre Rückzahlungsfrist); neue Bereitschaftskreditabkommen mit dem IWF wurden 1983/84 verhandelt, obwohl seit 1978 die Regierung in Khartoum nicht ein einziges verabredungsgemäß eingehalten hatte.
1984 hatte der Sudan außer offenen Verpflichtungen in Höhe von 1 Mrd. Dollar gegenüber seinen Gläubigem, was rechnerisch 150 Prozent seiner erwarteten Exporteinnahmen entsprach, auch noch 18 Mio. US-Dollar Rückstände gegenüber dem IWF. Hätte nicht die US-Regierung aus Mitteln der bilateralen Hilfe dieses 18 Millionen-Dollar-Loch gestopft und diesen Betrag dem IWF via Khartoum überwiesen, so hätte der Fonds damals schon alle weiteren Verhandlungen mit dem „ineligible" (kreditunwürdig) gewordenen Land abbrechen müssen, wie es seine Satzung vorschreibt.
Leider ist dieses nicht geschehen! Anstatt sich um eine Gesundung der maroden Staatsfinanzen zu kümmern, was vor allem eine Überprüfung der Funktionsfähigkeit von mehr als 200 staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen — die Hauptursache der internen Staatsverschuldung und Inflationsentwicklung — hätte führen müssen, provozierte das „revolutionäre Mai-Regime“ von Präsident Numeiri einen Bürgerkrieg gegen die nicht-muslimischen Südsudanesen, der schließlich das Numeiri-Regime im April 1985 zu Fall brachte Aber noch 1984 ermöglichte ein weiterer 25-Millionen US-Dollar-Kredit an den IWF zur Begleichung der inzwischen auf 25 Mio. Dollar erhöhten Zahlungsrückstände des Sudan an den Fonds, getarnt als „kommerzieller Überbrückungskredit“, den Abschluß eines Bereitschaftskreditabkommens 1984/85 mit der Regierung, das allerdings sofort zur Zurückzahlung des kommerziellen Überbrückungskredits an die USA instrumentalisiert wurde. „Durch dieses Meisterwerk an finanzieller Gaukelei hatte es die US-Regierung, trotz der Weigerung aller anderen bilateralen Geber für eine weitere Zusammenarbeit, fertiggebracht, für das Numeiri-Regime zu bürgen.“
Zweifellos haben hier die US-Regierung sowie die von ihnen stark politisch unter Druck gesetzten Bretton-Woods-Institutionen andere Ziele verfolgt, als die Produktivkräfte des Landes zu fördern und das Land finanziell zu stabilisieren. Es ging vielmehr um die politische Stabilisierung eines Regimes, das als einziges der Arabischen Liga die Camp-David-Politik Ägyptens unterstützte und das aus Sicht der Vereinigten Staaten als pro-westlicher Nachbar zu den sozialistischen Staaten Libyen und Äthiopien als von großer geopolitischer Bedeutung im Nahen Osten eingeschätzt wurde
Für die sudanesische Bevölkerung hatte diese Politik jedoch fatale Folgen: Für lange Zeit mit einer unerträglichen Auslandsverschuldung und einer fehlentwickelten Volkswirtschaft konfrontiert, sind die Perspektiven für eine Gesundung deprimierend. Auch die Aussichten der 1986 durch freie Wahlen an die Macht gelangten Regierung unter Premierminister Sadiq el Mahdi, sein Regime durch demokratische Mittel und entwicklungspolitische Erfolge zu legitimieren, sind äußerst gering; das Land ist unregierbar geworden.
VII. Mangelnde Sensibilität des IWF gegenüber dem sozial und politisch Zumutbaren: das Beispiel Sambia
Es liegt an dem widersprüchlichen Auftrag der Bretton-Woods-Institutionen — nämlich auch dort zwei Herren dienen zu müssen, wenn es zwischen diesen echte Interessenkonflikte gibt —, daß die Regierungen in „debt distressed countries“ (von Schulden bedrängten Ländern) eine eher ambivalente Haltung zu den „Schamanen des internationalen Kapitals“ einnehmen. Einerseits erwarten sie massive Hilfe in der Not, andererseits fürchten sie die Konditionalität solcher Hilfe, d. h. die oftmals zu sozialen Härten führenden Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn Regierungen in einem heruntergewirtschafteten Land im westlichen Ausland wieder kreditwürdig werden wollen „Adjustment“ — Strukturanpassung — ist zum Inbegriff des politischen Interessenkonflikts zwischen Gläubigern und Schuldnern geworden. Während erstere von der schwer abweisbaren Volksweisheit ausgehen, „man muß sich nach der Decke strecken“ oder „wer über seine Verhältnisse gelebt hat, der muß den Gürtel enger schnallen“, weisen die Machthaber in den überschuldeten Staaten auf die externen Krisenfaktoren jenseits ihrer Beeinflußbarkeit hin.
Hier hat es den Bretton-Woods-Institutionen oftmals an Einfühlungsvermögen gefehlt. Seit Beginn der Verschuldungskrise haben mehr und mehr Regierungen die Notwendigkeit von drastischen Austeritätsprogrammen und nationalen Strukturreformen eingesehen und erste Schritte zu deren Realisierung versucht (obwohl es auch Fälle gegeben hat, in denen Regierungen nur Lippenbekenntnisse ablegten, um dann weiterzumachen wie vorher — z. B. das Mobutu-Regime in Zaire), aber sie stießen bald an die Grenze des sozial und politisch Zumutbaren für die eigene Bevölkerung. Von not-leidenden sozialen Klassen am Rande des Existenzminimums kann selbst eine anpassungswillige, zu drastischem Sparkurs entschlossene Regierung nur begrenzte Spar-und Verzichtopfer verlangen, weil ab einer bestimmten Grenze materiell nichts mehr an abschöpfbarem Mehrprodukt (Steuern oder Abgaben) zu holen sein wird. Zum anderen sind Regierungen auf ein Minimum an Legitimation ihrer Herrschaft angewiesen, so daß bei zu drastischen Eingriffen in die Einkommensverhältnisse konflikt-fähiger Gruppen — wiez. B.der Industriearbeiter, der städtischen Intelligenz, der Handwerker und Kaufleute, aber auch der von der staatlichen Subventionspolitik lebenden städtischen Armutsgruppen — politische Proteste zu erwarten sind.
Nach diesem Muster hat sich die Beziehung zwischen Sambia, der einst hoffnungsvollen Kupferökonomie im südlichen Afrika, und dem IWF entwickelt. Obwohl hier die Regierung von Staatspräsident Kenneth Kaunda seit den Wirtschaftsreformen von 1983 — 1987 alles versuchte, was in ihrer Macht stand, wollte die von Bank und Fonds geforderte „Anpassung“ nicht gelingen. Im Gegenteil, der Versuch der finanziellen Stabilisierung verlief auf Kosten des wirtschaftlichen Wachstums und der politischen Stabilität Hauptursache dafür, daß Sambia in die Fallstricke der Verschuldung geriet, war der Sturz der Kupferpreise in den siebziger Jahren, der zu einem chronischen Devisenmangel und zu steigender Auslandsverschuldung führte. Der drastische Preissturz pro Tonne Kupfer im Jahr 1975 stellte die Regierung vor enorme soziale Probleme: wie konnten die Einkommenseinbußen vor allem der städtischen Bevölkerung des „Kupfergürtels“, des Ruhrgebiets des Landes, kompensiert werden?
Als 1983 die Zahlungsrückstände an auswärtige Gläubiger schon bei 1 Mrd. US-Dollar standen und der jährliche Schuldendienst von 8 Prozent der Exporteinnahmen im Jahr 1974 auf 52 Prozent der Exporteinnahmen 1983 emporgeschnellt war, begann die Regierung in Lusaka den Empfehlungen von Bank und Fonds weitgehend zu folgen und harte Reformen einzuführen: 1984 wurde die nationale Währung um 60 Prozent abgewertet; im öffentlichen Sektor wurde ein Beschäftigungsstop verhängt; die Subventionen von Konsumgütern wurden verringert; soziale Investitionen wurden vertagt. Dafür erhielt Sambia von den Gläubigem Umschuldungshilfen und sogenannte Rehabilitations-Kredite zur Ankurbelung der Exportwirtschaft, die diversifiziert werden sollte. Aber wie soll diversifiziert werden, wenn alle Schuldner das Gleiche versuchen?
Als diese Reformen ohne den erwünschten Erfolg für die Verbesserung der Zahlungsbilanz blieben, entschloß sich die Regierung trotz wachsender sozialer Proteste von Arbeitern und Studenten im Oktober 1985 zu noch weitergehenderen Sparmaßnahmen und Anpassungsleistungen. Nachdem auf Anraten des IWF ein System der Auktionierung von US-Dollars eingeführt worden war (an bestimmten Tagen wurden knappe Dollars meistbietend versteigert), verschlechterte sich der Wechselkurs von 2, 2 Kwacha pro Dollar auf 14 Kwacha pro Dollar im Dezember 1986. Daraufhin kam es erstmalig in der Geschichte des Landes zu einem militanten Protest gegen das Regierungsprogramm; im Kupfergürtel mußten die Sicherheitskräfte gewaltsam einen „Brotaufstand“ niederknüppeln. Mehrere Demonstranten, die die Verteuerung der Grundnahrungsmittel um bis zu 100 Prozent nicht hinnehmen wollten, verloren ihr Leben. Vor allem die Verdoppelung der Preise für das Volksnahrungsmittel Mais — Folge des vom IWF gewünschten Abbaus der öffentlichen Preissubventionen — trieb die bislang geduldig leidende Bevölkerung auf die Barrikaden. Dennoch hielt die Regierung an ihrer Austeritätspolitik fest — dazu von der im Dezember 1986 in Paris tagenden Konsultativ-Gruppe der Gläubiger unter Leitung von Weltbank und IWF unmißverständlich aufgefordert.
Erst als im April 1987 Sicherheitsoffiziere aus dem Kupfergürtel den Präsidenten wissen ließen, daß die Bevölkerung eine weitere Verteuerung der Lebenshaltungskosten nicht hinnehmen würde, entschied sich das Regime für ihr eigenes politisches Überleben: Am 1. Mai 1987 erklärte Präsident Kaunda alle Verhandlungen mit dem IWF für beendet; Preiskontrollen wurden wieder eingeführt; ein fester (überbewerteter) Wechselkurs von 8 Kwacha pro Dollar wurde verordnet; IWF und Weltbank wurde als unmenschliche Monster verhöhnt.
Seitdem versucht sich das Kaunda-Regime, abgeschnitten von der finanziellen und technischen Unterstützung durch die westliche Gebergemeinschaft — die das Verdammungsurteil des IWF („ineligible"!) befolgt — aus eigener Kraft über Wasser zu halten. Auch ohne IWF-konforme Anpassung ist die soziale Lage der Menschen deprimierend; lange Schlangen vor den staatlichen Maisläden kennzeichnen im Sommer 1988 die Situation in der sambischen Hauptstadt.
VIII. Ausblick: „Bewältigung der Schuldenkrise — Prüfstein der Nord-Süd-Beziehungen“
Die sambische Tragödie der versuchten, trotz aller sozialer Opfer letztlich aber erfolglosen Strukturanpassung macht eines deutlich: Auch noch so ökonomisch vernünftig erscheinende Strukturanpassungsmaßnahmen stoßen auf politische Grenzen der Durchsetzbarkeit wie auf soziale Grenzen der Akzeptanz. Werden diese nicht von den Institutionen des internationalen Schuldenmanagements beachtet — wozu der politische Dialog zwischen Gläubigern und Schuldnern auf eine breitere soziale Basis gestellt werden müßte (Einbeziehung von Gewerkschaften, Bauernverbänden, Industrieverbänden, Umweltschutzorganisationen etc.) —, so versagen auch die mächtigen Bretton-Woods-Institutionen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Von Schuldner-staaten sozial harte und politisch heikle Reformen. Opfer und Anstrengungen zu erwarten, ist nur dann gerechtfertigt, wenn das internationale System der interdependent gewordenen Staatenwelt die Gewähr dafür bietet, daß erfolgreiche Anpassung zu akzeptablen Kosten möglich ist. In einer Zeit, in der in UN-Kreisen „ein Recht auf Entwicklung“ (als Bestandteil der dritten Generation von Menschenrechten) diskutiert wird, können nicht Interessen der Kapitalverwertung und der Schuldentilgung das letzte Wort haben
Seit Beginn der siebziger Jahre fordert die Dritte Welt eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Noch bevor die Verschuldungskrise in Lateinamerika und Afrika als politische Bedrohung des kooperativen Nord-Süd-Verhältnisses in Erscheinung getreten war, forderten ihre Diplomaten und Wirtschaftswissenschaftler eine Ablösung bzw. Modifizierung des Bretton-Woods-Systems mit seinen primär monetären und währungspolitischen Grundsätzen, von dem sie sich enttäuscht abwandten. Die Verheißung auf Wohlstand für alle Handelsnationen hatte getrogen. Große Teile der Dritten Welt wurden immer ärmer; hatte nicht Weltbankpräsident Robert McNamara selbst von 700 Mio. in „absoluter Armut“ lebender Menschen gesprochen, an denen alle Wachstumsfortschritte und Entwicklungsbemühungen spurlos vorbeigegangen seien? Die UN-Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten von Staaten, im Jahr 1974 mehrheitlich gegen die Stimmen der OECD-Länder durchgesetzt. hält fest an der alten Idee der „einen Welt“, die durch freien Handel und solidarische Zusammenarbeit den zivilisatorischen Fortschritt für alle bringen soll. Gefordert werden jedoch Hilfen für die schwächeren Mitglieder, ferner nicht-reziproke Handelspräferenzen für Entwicklungsländer und einen freizügigen Ressourcen-und Technologie-transfer zu Sonderkonditionen für die Least Developed Countries (LLDCs, die ärmsten der Entwicklungsländer). Bekanntlich ist die Dritte Welt mit diesem vagen Gegenentwurf für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung vorerst gescheitert. Bemerkenswert aber ist die Tatsache, daß die funktionale Notwendigkeit von Bank und Fonds niemals in Frage gestellt worden ist, wenn auch die demütigenden Praktiken letzterer Institution oftmals an den Pranger gestellt worden sind.
Die Bretton-Woods-Institutionen haben in der Vergangenheit, wie gezeigt wurde, manche Korrekturen an ihrer Politik vorgenommen und neue Finanzierungsinstrumente geschaffen, aber sie erwiesen sich als unzureichend oder als unzumutbar. Die Konditionen für auch sozial und ökologisch akzeptable Unterstützungsmaßnahmen durch Bank und Fonds müssen so umgestaltet werden, daß reform-willige Schuldnerstaaten zumindest eine faire Chance erhalten, „ihre Volkswirtschaften geordnet, ohne soziale Zerreißproben und ohne Gefahr für die demokratische Entwicklung anzupassen“ Vielleicht ist diese Forderung eine politische Illusion, aber eine Alternative ist nicht in Sicht.
Rainer Tetzlaff, Dr. phil., geb. 1940; Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg; Schwerpunkte in Lehre und Forschung: internationale Entwicklungspolitik, Politik von Weltbank und Währungsfonds, politische und sozio-ökonomische Entwicklung Afrikas, Menschenrechte. Veröffentlichungen u. a.: Die Weltbank: Machtinstrument der USA oder Hilfe für Entwicklungsländer?, München-London 1980; (Mitautor) Im Teufelskreis der Verschuldung. Der IWF und die Dritte Welt, Hamburg 19852; (Hrsg. zus. mit R. Nestvogel) Afrika und der Deutsche Kolonialismus, Hamburg 1987.
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