I. Welche Krise: des Dollar oder der Dritten Welt?
Was die Schuld an der Schuldenkrise betrifft, beschuldigt jeder jeden: die Erste die Dritte Welt, ihr Kreditvertrauen mißbraucht zu haben durch Fehlplanung, Mißwirtschaft, Korruption; die Dritte die Erste Welt, die schlimme Tradition des Kolonialismus durch neue und wirksamere Methoden der finanziellen Beherrschung fortzusetzen und zu verfeinern. Parallel dazu verläuft eine Verteufelungskampagne gegen die USA. Die Industrieländer — inzwischen unisono: links wie rechts in großer Koalition von grün, rot und schwarz — beschuldigen die USA, durch ihre Schuldenpolitik der Ersten wie der Dritten Welt Ersparnisse abzujagen, die ihnen zuhause für notwendige Beschäftigungs-wie Entwicklungsinvestitionen fehlen. Die Dritte Welt fügt hinzu, daß ihr der Schuldendienst, überwiegend in US-Dollar zu erbringen, zur hauseigenen noch die ungleich schwerer wiegende und drückende importierte Krise aufgebürdet habe. Mehr noch als die Erste Welt leidet die Dritte unter dem unbarmherzigen Anpassungsdiktat an ihre über den Schulden-dienst zusätzlich ins Defizit gedrückte (negative) Zahlungsbilanz. Ist das die richtige, theoretisch einsichtige, empirisch-statistisch belegbare Sicht der Dinge?
Nichts kennzeichnet den Niedergang der politischen Ökonomie mehr als ihre pauschale Verketzerung des Schuldenmachens im Wachstums-und Entwicklungsprozeß: Als ob, wer Schulden macht — gleich viel, ob Firma, Staat oder Gesellschaft — deswegen auch eo ipso eine schlechte Politik betreibt. Ganz so, als ob , Unterlassen 1 rationaler ist oder wäre als , Unternehmen ! Frühe Wachstums-theoretiker, wie Schumpeter, müßten sich im Grabe umdrehen.
Im Zweifel steht die Schuldenkrise der Dritten Welt wie diejenige der USA eher für ein Zuviel als ein Zuwenig an Binnenaktivität und -leistung. Und ein Vorwurf, zumal an die Adresse der USA, sie hätten auf eine wenig feine Weise den anderen — sprich den Reichen aus reichen Industrie-wie armen Entwicklungsländern — das Geld aus der Tasche gezogen und weigerten sich nunmehr, es wie vereinbart zu pari zu verzinsen und zurückzuzahlen, kann nicht allzu ernst genommen werden. Die unpretentiösere, aber auch peinlichere Wahrheit ist, daß die bis zum Schwarzen Montag (19. Oktober 1987)
weltweite Flucht in den US-Dollar eigener . Einsicht 4 und gehegter Währungs-wie Anlagepräferenz entsprach: genährt und gehegt von allseits respektierten Koryphäen aus Politik wie Wissenschaft. Es waren ja gerade die . Experten 4 aus dem . Untergrund 4, der Halbwelt der bankunabhängigen oder -feindlichen Anlageberater und -gurus, die — mit wie fragwürdiger Theorie auch immer — die Gegenposition bezogen und begründeten! Beschuldigen verdeckt in aller Regel schwache Analyse. Schuld an der Schuldenkrise sind nicht in erster Linie Politiker, sondern jene Theorien, auf denen diese fußen, mit denen sich diese zu rechtfertigen pflegen. Theorien, die im Namen der Wirklichkeit (einer Wirklichkeit, die sich rasch als Illusion herausstellt) die Möglichkeit jeder — zumal der besseren — Alternative leugnen oder verketzern.
Drei Fragen zum Problemverständnis Worum geht es in der Schuldenkrise? Zunächst einmal um die richtige Diagnose und damit um die Frage nach dem Herd der Krise. Welche Krise ist eigentlich gemeint — die des Dollar oder die der Dritten Welt? Und: Wie hängen beide zusammen? Sodann zweitens: Wie kommt es, daß eine der heutigen vergleichbare Schuldenkrise von Entwicklungsländern aus der Frühzeit der heutigen Industrieländer, als diese selber noch in ihrer Entwicklungsjugend oder -adoleszenz steckten, weder bekannt noch erforscht ist? Warum hat es dergleichen niemals vor dem Ende des 20. Jahrhunderts gegeben? Drittens, und eng mit dem zweiten Punkt zusammenhängend, wieso warnen , wir‘ — die Gesamtheit der Entwicklungstheoretiker, -politiker und Experten aus der Ersten Welt — die Entwicklungsländer ebenso einhellig wie verdächtig betriebsblind vor den Geldgefahren der Inflation statt nüchtern und ohne Scheuklappen zuzugeben, daß es ohne eine Mindestversorgung mit Geld und Kredit auch keine sich selbsttragende und -finanzierende Entwicklung geben kann? Schließlich haben wir. die heute entwickelten Industrieländer, die uns mittlerweile kennzeichnende Inflationsphobie damals noch nicht gehabt, als wir uns in einem den heutigen Entwicklungsländern vergleichbaren Stadium befanden — also vor hundert, zweihundert und mehr Jahren!
Erst wenn wir zu allen drei Fragen über eine — auch theoretisch — schlüssige Antwort verfügen, steht uns ein Urteil über den wahren Grund und Hintergrund der Schuldenkrise zu, sind oder wären wir in der Lage, problemadäquate Vorschläge zu ihrer Überwindung zu machen.
Die Versuchung des Welt-Bankiers Die Schuldenkrise der USA ist der vermutlich letzte Akt der Uralt-Währungskrise oder -agonie aller bis-13 herigen Leitwährungen, gleich viel, ob sie Pfund Sterling, Holland-Gulden, spanische Dublone oder Pesete, Golddukaten Genuas oder Venedigs hießen. Jeder Weltmarkt braucht ein verläßliches Abrechnungs-und Vermögensgeld, schon um die sonst unkalkulierbare Zahl der möglichen Währungs(tausch) relationen überseh-und berechenbar zu halten. Macht man sich klar, was aus der Weltwirtschaft der Gegenwart mit ihren derzeit rund 150 dem Internationalen Währungsfonds (IWF) notifizierten Währungen würde, wenn jede — gemäß den Floatingbeschlüssen vom 19. März 1973 — ihren Wechselkurs mit jeder anderen dieser Währungen nur auf rein bilateraler und marktwirtschaftlicher Grundlage (gemäß Angebot und Nachfrage) bildete? Bei 150 Währungen ergäben sich gemäß einer schon Primanern bekannten Formel n(n — 2 nicht weniger als 11. 175 Wechselkursrelationen — ein Telefonbuch voller Währungsanschlüsse, jeden Tag neu zu drucken, da sich täglich die Nummern ändern! Ergo bedurfte es schon immer einer aus der n-Zahl der miteinander konkurrierenden Währungen herausgegriffenen Leitwährung, um aus n(n— 1): 2 n— 1 zu machen: aus 11. 175 Wechselkursen 149! Mit 149, in US-Dollar denominierten flexiblen Wechselkursen läßt sich — zumindest abrechnungstechnisch und kalkulatorisch — auch heute ganz gut leben; es ist eine Wechselkurszahl, die überblickbar ist und sich leicht in die Devisenkurstafeln und Monitorschirme der internationalen Börsen und Finanzinstitutionen ein-füttern und von diesen abrufen läßt.
Nur: Die Herren der n. ten Währung — heute die USA, gestern Länder wie England, Holland, Spanien oder Welthandelsrepubliken wie Genua, Venedig usw. — bringt der Weltwährungsservice stets in die nämliche Versuchung: Da die Welt(wirtschaft) ihr Weltgeld höher bewertet, als es an sich (real, aufgrund seiner Kaufkraft) wert ist, kann man ein wenig mehr davon anbieten, um diese Mehr-oder Übernachfrage zufriedenzustellen und gleichzeitig den Überkurs der eigenen Währung gegenüber den fremden zu drücken (schließlich verfügt man ebenfalls über eine Export-und Binnenproduktionslobby!). Das Weltzentralbankiersland gibt, wie jeder normale Bankier, soviele Geldscheine. -Schuldverschreibungen und Gutschriften auf seine Bank (= sein Land) aus, wie Fremde (Ausländer) bei ihm als Ersparnis anzulegen wünschen — warum auch nicht! Es ist ja schließlich der Wunsch und Wille dieser Ausländer, ihr Geldvermögen in Weltgeld statt in ihrem eigenen — oft zurecht als gefährdet eingestuften — Landesgeld zu halten.
Und so kommt der Anlagegewohnheiten es wegen des Auslands dazu, daß die Politiker eines Leitwährungslandes mit der Stärke ihres Landes die Stärke ihrer Währung und mit der Stärke ihrer Währung die Stärke ihres Landes überschätzen — ein verhängnisvoller Zirkelschluß, dem schon viele Imperien in alter wie in neuer Zeit zum Opfer gefallen sind. Denn irgendwann einmal wachen auch des Weltzentralbankiers gutmütigste und gutgläubigste Kunden auf: Sie entdecken, daß sie einem Geldvermögensverwalter aufgesessen sind, der über die Fähigkeit verfügt, ihr Vermögen legal (aber nicht legitim) zu entwerten — sei es durch Inflation, sei es durch Devalvation (Währungsabwertung) oder gar beides. Und, was die Sache nicht besser macht: bemerken sie es und handeln sie, indem sie ihr Geld aus der Leitwährung zurückziehen, dann führen sie die Entwertung ihrer Geldvermögen sogar selber herbei, wie ein Hypochonder, der aus Angst vor dem Tode Selbstmord begeht. Dafür gibt es Beispiele, die sich nicht nur aus den Jahren 1985 bis 1988 mit dem US-Dollar belegen lassen, sondern auch aus den dreißiger Jahren mit dem Pfund Ster-Ung, den Jahren nach 1750 mit dem Holland-Gulden und den Jahren nach 1620 mit der spanischen Dublone.
Was also steckt hinter der US-Schuldenkrise? Ein Fehlverhalten der USA und ihrer seit Anfang der achtziger Jahre amtierenden Administration und der von ihr praktizierten Reaganomics? Oder eine Fehlkonstruktion im Weltwährungssystem, das die Funktion der (n. ten) Leitwährung einem — notgedrungen egoistischen’ und dem „demokratisehen 1 Primat seiner Binnenpolitik unterworfenen — Land zuschreibt statt einer autonomen Weltzentralbank, einer unpolitischen Bundesbank auf Weltebene? 1)
Der US-Dollar:
Ein monetärer König ohne Nachfolger?
Daß der US-Dollar der Gegenwart, genauer: der Zeit seit dem Schwarzen Montag des 19. Oktober 1987, noch immer die Funktion einer Leitwährung ausübt (wiewohl in dieser Stellung von der Weltanlegergemeinde längst gekündigt; denn wie anders läßt sich die Übernahme der US-Leistungsbilanzdefizitfinanzierung durch die an der US-Dollarkurs-stabilisierung interessierten Industrieländer-Zentralbanken erklären?) verdankt er lediglich seiner bis heute ungeklärten Nachfolge. Weder die nach den USA stärksten Industrieländer Japan oder die Bundesrepublik Deutschland sind am Dollarerbe interessiert, noch sind (Noch) Inhaber der Funktion und mögliche Nachfolger bereit, den entscheidenden Schritt in eine neue Qualität der Weltwährungsentwicklung zu wagen und eine der bereits entwickelten sowohl de-nationalen wie de-kommerzialisierten , Kunstwährungen 4 wie etwa die Sonderziehungsrechte (SZR) des IWF oder die Europäische Rechnungs-und Währungseinheit ECU zum US-Dollarnachfolger oder auch nur -kronprinzen zu bestellen
Es gehört nicht allzu viel Phantasie dazu, vorauszusagen. daß, solange der Schwebezustand mit dem US-Dollar als „hinkender Leitwährung 1 anhält (warum nicht auf Jahre, Jahrzehnte?), auch keine Lösung der US-Schuldenkrise in Sicht ist. Denn weder den USA noch den übrigen Industrie-und Entwicklungsländern ist eine Verschärfung jener Stabilitätskrise zuzumuten, die das Ergebnis des von schlechten Theoretikern, aber aufrechten Geldvermögensbeschützem geforderten Defizit-und Schuldenabbaus der USA wäre. Noch kann von einer „Selbsteinsicht’ der USA und ihrer künftigen Administration gesprochen werden, wenn deren Alternative lautet, entweder den Kurs der . Prosperität auf Pump’ fortzusetzen oder aber ein vom Ausland (oder richtiger: von Teilen der ausländischen Öffentlichkeit) erwartetes „Stabilitätsopfer’ in Gestalt reduzierten Wirtschaftswachstums und einer künftig wieder höheren Arbeitslosigkeit zu erbringen. Die USA sind und bleiben in der glücklichen Lage einer von allen am Welt-Konjunkturzug angekoppelten Waggons (= Volkswirtschaften) benötigten Welt-Konjunkturlokomotive, die sich ein Großteil ihres Kreditkraftstoffes von außen beschaffen kann — entweder aus freiwilliger Kapital-hilfe der privaten internationalen Geldanleger oder aus der erzwungenen Unterstützung der am Wert-und Kursverfall des US-Dollar nicht interessierten öffentlichen Zentralbanken, die im angeblich höheren Beschäftigungsinteresse ihrer Länder die ihnen anvertrauten Währungsreserven lieber in windigen US-Dollars anlegen als in abwertungsfesten SZR! Wieso also ein Ende der Dollarmisere?
Für die Dritte Welt bleibt der Dollar hart Leider hat die anhaltende Schwindsucht des US-Dollars noch nicht einmal den Vorteil, daß sie die erdrückende Schuldendienst-und Transferbelastung der Dritten Welt erleichtert. Denn im Gegensatz zur Aufweichung des US-Dollars gegenüber den Hartwährungen einzelner — nicht aller — Industrieländer bleibt der US-Dollar gegenüber den abwertungsbedrohten Weichwährungen der Schuldenländer der Dritten Welt hart! Denn Länder, die dazu verurteilt sind, weit über ihre laufenden Deviseneinnahmen aus (Brutto) Exporterlösen eigene Währung an den weltweiten und exterritorialen Offshore-Finanzmärkten gegen US-Dollar anzubieten. um die nötige Fremdwährungsliquidität für ihren Schuldendienst zu erwerben, können gegenüber der zentralen Gläubigerwährung — dem US-Dollar — nur schwach bis schwächer tendieren, aber kaum jemals fest. Die Schuldendienstknechtschaft der Dritten Welt geht also unberührt von der Krise des US-Dollars weiter. Und es stellt sich die Frage, wie lange die Dritte Welt mit der Zwangs-abführung ihres ohnehin geringen inländischen Spar-und Kapitalbildungsaufkommens an irgendwelche Gläubigerbanken und anonyme Finanzierungssyndikate und -karteile überhaupt noch leben kann. Der Zusammenbruch der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung dieser Länder ist angesichts des Massenelends und der objektiven Unmöglichkeit selbst effizienter und inkorrupter Regierungen, dem entgegen zu wirken, nur noch eine Frage des Datums! Dann aber hätte auch der letzte und potenteste Gläubiger der Drittweltstaaten das Recht auf sein in diesen Ländern angelegtes Kredit-vermögen verwirkt
II. Underbanking und Kreditabhängigkeit der Dritten Welt
Was die seit über einem Jahrzehnt schwelende Schuldenkrise der Entwicklungsländer betrifft, so sind ihre Fakten und Folgen erforschter als ihre Ursachen. Das gilt vornehmlich für ihre , letzte 4 Ursache, obwohl sie offen zutage liegt: das Nicht-vorhandensein eines leistungsfähigen und dynamischen inländischen Geld-und Kreditsektors. Denn anders als die heutigen Industrieländer — die Entwicklungsländer von gestern und vorgestern — sind die Entwicklungsländer von heute nicht over-, sondern underbanked.
Kreditschwäche: Ein Organisations-, kein Kapitaldefizit Woher wir das wissen? Erstens aus dem Augenschein. Wer immer in Ländern der Dritten Welt gelebt und gearbeitet hat, weiß, daß es ein im modernen Sinn vernetztes und einen nationalen Geld-und Kreditkreislauf konstituierendes Bankwesen in keinem, nicht einmal in den relativ entwickeltsten Ländern dieses Typs gibt: weder in Lateinamerika, geschweige denn in Afrika oder Asien. Banken existieren punktuell in den Hauptstädten und Wirtschaftszentren, aber sie stützen sich weder auf ein über das ganze Land verteiltes Filialnetz von Geld-annahme-, Spar-und Depositenkassen, noch auf einen zentral von der Notenbank beaufsichtigtenund regulierten Geld-und Kreditmarkt. Börsen als Primär-wie Sekundärmärkte geregelter Wertpapieremission wie Kapitalwertermittlung existieren, wenn überhaupt, nur in embryonaler Form und Funktion Den Augenschein bestätigt zweitens die Statistik: In 24 von der Weltbank untersuchten Entwicklungsländern machte der Anteil ausländischer Bankkredite an der inländischen Kreditversorgung bis 1972 47 % aus. Bis 1982 stieg er dann auf über 56 % aller im Inland valutierenden Kredite! Er dürfte inzwischen bei zwei Dritteln aller im Inland aufgenommenen Kredite liegen. Dabei reicht die Streuung im Extremfall von 18 % (Jugoslawien) bis 81 % (Elfenbeinküste) und liegt im Fall aller überdurchschnittlich entwickelten Schwellenländer — wie nicht anders zu erwarten — überdurchschnittlich hoch. So stieg der Anteil des Auslandsbanking an der inländischen Kreditversorgung im Untersuchungszeitraum in Argentinien von 33 auf 53 %, in Brasilien von 44 auf 77 %, in Chile von 44 auf 77 %, in Mexico allein zwischen 1979 und 1980 von 52 auf 70 %
Und die — leider — auf der Hand liegende Folge? Dieselbe Weltbank, die zwar vorbildliche statistische Arbeit leistet, aber sich bis heute weigert, die aus dem Befund zu ziehenden kreditpolitischen Schlußfolgerungen zum Gegenstand ihrer Empfehlungen, Beratungen und Aktivitäten zu machen, bringt sie auf den Punkt, wenn sie feststellt, daß in 17 von ihr untersuchten Entwicklungsländern der mittleren (Pro-Kopf) Einkommenskategorie die nationale Ersparnis und Kapitalbildung von 5 bis 7 % des Bruttosozialprodukts gerade ausreichten, um die jährlich fälligen Schulden-und Transferverpflichtungen abzudecken Was auch immer an Spar-, und Investitons-und Entwicklungspotential aus Inlandsquellen anfiel, wurde gebraucht, um die Gläubiger zufriedenzustellen. Null Prozent verfügbar für die nationale Entwicklungsanstrengung! Die Frage lautet daher: Worauf geht diese bis zur finanziellen Handlungsunfähigkeit eskalierende Kreditschwäche der Dritten Welt zurück? Denn soviel ist und sollte deutlich sein: Gäbe es diese interne Kreditschwäche der meisten und sogar der führenden Entwicklungsländer nicht, dann gäbe es weder den noch immer anhaltenden Kreditimport dieser Länder aus dem Fremdwährungs-und -kreditbereich der Offshoremärkte, noch die aus der Akkumulation dieser Kreditimporte sich . ausrechnende 4 Schuldenkrise, die gewissermaßen eine Funktion der Zeit dieser sich noch immer weiter verschärfenden Kreditabhängigkeit ist.
Europas Banken sind älter als die Industrie Sowohl unsere eigene Entwicklungsgeschichte wie -theorie geben uns eine Antwort auf diese akute Frage. Denn die Industrieländer Westeuropas starteten den Prozeß ihrer sich schon bald selbst tragenden und finanzierenden Entwicklung nicht mit einer industriellen, sondern finanziellen Revolution: In den heutigen Industrieländern sind die Banken älter als Fabrik. Fließband und moderne Massenproduktion. Nicht erst Fernand Braudel hat in seiner monumentalen „Sozialgeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts“ auf die frühe Geburt eines gemeinsamen Finanzmarktes in Europa noch vor dem „Herbst des Mittelalters“ hingewiesen: Bereits im 12. und 13. Jahrhundert schlossen die Finanzmessen der Champagne (in Orten wie Reims. Troyes, Auxerre) die regional getrennten Wirtschaftszentren Oberitaliens (Lombardei) und der Niederlande zu beiden Seiten des Ärmelkanals (Holland/England) zusammen. Dank der Geldabrechnung und Kreditfinanzierung bewegten sich nicht nur die Güter rascher und weiträumiger; die Nachfrage des jeweils anderen Marktes stimulierte Produktion und Absatz weit über das lokal und regional absetzbare hinaus. Wie Braudel zeigt, wurden aus periodischen Finanzmessen feste und regelmäßig tätige Institutionen: die Lombardstraßen im Norden und Nordwesten Europas (Antwerpen, Amsterdam, London) wurden zum Nukleus der späteren Börsen; im Süden in den Handels-und Finanzierungszentren der Lombarden selber (in Venedig, Genua, Piacenca, Florenz) etablierten sich in den Handelskontoren der Nordländer (Fondaci) deren Wechselstuben und Finanzkontore.
Europas erster Gemeinsamer Markt — der Geldmarkt Und kein Theoretiker und Politiker stellte infrage, daß es der Geld-und Kreditmarkt war — und nur er —, der Europas Waren-, Handels-und Arbeitsmärkte zusammenbrachte, ausweitete, integrierte. Die Innovationen der Bankiers: doppelte Buchführung und Kreditschöpfung, ferner die Kunst, aus einem weder fälschungs-noch raubsicheren Hartgeld ein handliches und vertrauenswürdiges , Giral’geld zu machen, das sich sowohl an den Namen wie an die Order des Berechtigten binden Heß (die Antwort der Wirtschaft auf den monetären Raub-und Betrugsstaat der Zeit) ermöglichten mit dem kreditwirtschaftlichen Fortschritt den Siegeszug des industriellen Kapitalismus. Nicht nur erwies sich das neue Kreditgeld der Banken dem alten staatlichen Münzgeld verkehrstechnisch überlegen; das Surrogat war auch billiger herzustellen und risikoloser zu gebrauchen als das Original.
Mit der neuen Geld-und Kreditschöpfungstechnik hatte man eine schier unerschöpfliche Finanzierungsquelle entdeckt und erschlossen, noch dazu im eigenen Land und frei von jeder gewaltsamen Res-sourcenaneignung und -ausbeutung nach dem unsäglichen Muster der spanischen Kolonisation und Ausplünderung Lateinamerikas. A propos Spanien: Dieser nicht nur politisch-militärische, sondern auch monetäre Hegemon der beginnenden Neuzeit, der, anders als das arme Europa jenseits seiner Grenzen, keinen Mangel an monetären Rohstoffen (Gold, Silber und anderen Münzmetallen), kannte, versäumte mit seinem Hartgeldreichtum — den Karls V. und später Philipps II. Landsknechte in fast ganz Europa unter die Leute brachten — nicht nur den Anschluß an das moderne Banking, sondern damit zugleich an die mit Macht einsetzende Industrialisierung; ein Rückschlag, unter dem das Land noch heute leidet. Wie ein modernes OPEC-Land unterließ es Spanien, das die Neue Welt entdeckt und zu seinem , billigen Jakob’ gemacht hatte, rechtzeitig Geldvermögen — wenn auch geraubtes — in reale (und soziale) Zukunftsinvestitionen umzuwandeln. Montezumas und Athahualpas späte und lange fortwirkende Rache? Die sich ausweitende und vernetzende Geld-, Kredit-und Bankwirtschaft im Europa östlich der Pyrenäen und westlich der Weichsel hat jedoch nicht nur das objektive Bild der Ökonomie verändert, sondern auch ihr subjektives: das Bild, das sich die Theoretiker (in ihren Annahmen und Modellen) von ihr machten — eben im Einklang mit den Realitäten. Die letzte Ökonomenschule, die sich noch ernstlich sorgte, der Entwicklungsprozeß von Gesellschaft und Wirtschaft könne am Finanzierungsengpaß scheitern, war die der Merkantilisten des 15. bis frühen 18. Jahrhunderts. Von daher resultierte ihr Eintreten für eine aktive, Geld ins Land schwemmende Leistungsbilanz und „landespolizeyliehe“ Gesetze gegen den Zinswucher — denn knappes Geld und hoher Zins, so erkannten sie richtig, verhinderten so manches nützliche und wohlstandsfördemde Projekt.
Mit der Verbesserung der finanziellen Infrastruktur und der wachsenden Chance, daß gute, sich . rechnende 4 Projekte ohne allzu große Seltenheit und Mühe auch einen sie finanzierenden Bankier fanden, begann das merkantilistische Welt-und Wirtschaftsbild blaß und diffus zu werden. Der sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts vollziehende Paradigmenwechsel in der ökonomischen Wissenschaft vom Merkantilismus zur Klassik, eine bis heute nach-und fortwirkende , Wende 4 in politischer Axiomatik und Weitsicht, spiegelt weniger den Sieg eines neuen Gedankens wieder oder eine Widerlegung merkantilistischer Irrtümer — etwa jenen, Geld mit Reichtum zu verwechseln — als die ebenso real wie total veränderte Situation. Aus Kreditmangel war Überversorgung geworden, und folglich hieß das neue — klassische — Trauma nicht mehr wie zu Zeiten des Merkantilismus Deflation, sondern Inflation. Eine noch arme Gesellschaft der kaum vorhandenen nicht-unternehmerischen Geld-vermögen kann sehr wohl mit der Inflation leben: ihre Inflations, steuern‘ an den Staat und dynamische Kreditschuldner (Investoren) halten sich in Grenzen. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn man — zumindest in den tonangebenden Ober-schichten — zu einigem Geldreichtum gelangt ist. Dann droht mit der Inflation die Enteignung der mühsam erarbeiteten Geldvermögen. Der Sparer, ein neues Faktum und Machtfaktor, setzt sich zur Wehr!
Die ökonomische Klassik verwechselte Geld mit Inflation Die klassische, von Forschern wie Locke, Hume und Smith als antimerkantilistische Revolution begründete Ökonomik spiegelt nicht nur die neue europäische Grundausstattung mit finanzieller Infrastruktur wieder — und was für einer reichen und effizienten! Sie begründet auch ein ganz neues, aber entsprechend den Rahmen-und Problembedingungen der Zeit verkürztes Geldverständnis: Geld ist seit Locke nicht mehr der merkantilistische Kraftstrom und -Stoff, der die Mühlen des Entwicklungsfortschritts treibt, sondern eine Rechengröße und Maßeinheit, eine Art monetäre Hefe, einzig und allein dafür gut (oder eigentlich schlecht!), nominell die Preise in die Höhe zu treiben. Und nur ein Narr, Spieler oder Spekulant könne aus den nachgewiesenen Inflationswirkungen der Geld-und Kreditvervielfachung den Schluß ziehen, daß vom Geld-und Kreditangebot . reale 4 Produktions-und Beschäftigungsmengeneffekte ausgehen. Gleichviel, ob Hume, Smith und später Ricardo oder J. ST. Mill: Die ökonomische Klassik, wie scharfsinnig differenziert und realistisch im einzelnen — in der Hypothese von der „Entwicklungsneutralität des Geldes“ ist man sich nicht nur einig, sondern bleibt man unerbittlich! Zwar schwärmt Smith noch verdächtig merkantilistisch vom Geld als „dem großen Schwungrad des Wirtschaftskreislaufs“, läßt aber keinen Zweifel daran, daß das Rad nur etwas bewegt, was real bereits geschaffen worden ist: die Produktion zwecks Konsum, die Ersparnis zwecks Investition usw. Ricardo schwächt die aktivische Metapher vom „Rad“ zur passiven des „Geldschleiers“ ab, den man durchschauen oder herzhaft wegziehen müsse, um das reale Geschehen der Wirtschaft zu erkennen. Mill faßt zusammen und rundet ab: Es gäbe „in Wirtschaft wie Gesellschaft kein unwichtigeres Ding als das Geld“ „Geldschleier 44 oder Entwicklungsmotor?
Diese aus ihrer Zeit und ihrem Milieu verständliche, wenn auch alles andere als vollständige Geld-sicht der Klassik hat die Neoklassik nicht nur übernommen; sie hat sie zum Credo erhoben. Nur: Was den Industrieländern als angewandte Geldtheorie und Kreditpolitik nicht mehr geschadet hat, weil sie diese ja erst praktizierten, als ihr eigener institutioneller Geld-und Kreditapparat bereits weitgehend etabliert und in seiner Funktion als Finanzier des Entwicklungsprozesses ebenso erprobt wie gesi-chert war — diese Theorie und Politik mußte sich in der geld-, kredit-und bankwirtschaftlich unterentwickelten Dritten Welt als buchstäblich tötliche „Entwicklungsfalle“ auswirken. Underbanked, wie sie antrat, konnte sie durch Übernahme und Befolgung westlicher Geld-und Entwicklungstheorien aus der klassischen Spätphase unserer eigenen Industrialisierung (die nach und nicht vor dem westeuropäisch-nordamerikanischen take-off geschaffen worden waren) nur im Finanzdebakel enden. Je erfolgreicher sich die Dritte Welt industrialisierte, desto größer wurde naturgemäß ihr Eigenkreditund -finanzierungsbedarf und damit das konzeptionelle Loch, wie dieses notwendige „Eigenkapital der Entwicklung“ aufzubringen und bereitzustellen wäre. Sicher ist inzwischen nur, wie dies nicht erfolgen sollte: nämlich nicht über das grenzen-und uferlose Hereinpumpen von Auslandskrediten, noch dazu auf der Basis kurzfristiger „roll-over" -Zinsen und einer Verschuldung in fremder statt in eigener Währung. Denn Kredite wie Zigaretten, Mineralöl oder ganze Fabrikkomplexe zu importieren, kann immer nur darin enden, daß man die finanzielle Abhängigkeit des Inlands vom Ausland vergrößert und verewigt. Erstens, weil der Schulden-und Transferdienst steigt, und dies in aller Regel progressiv; zweitens, weil das überlegene Auslands-und Offshorebanking mit seiner ruinösen Kredit-und Konditionenkonkurrenz dem schwachen Inlandsbanking kaum noch eine Chance zur Selbstentwicklung läßt.
Was als „Hilfe zur Selbsthilfe“ gedacht ist, erweist sich als ungewollte Kindstötung: Das Wunschkind einer möglichst weitgehenden Eigenfinanzierung der Entwicklung kommt so jedenfalls weder zur Welt, noch zu Kräften. „Schuld’ daran aber ist in erster Linie eine seit Jahrzehnten mißverstandene, die Rolle des Geldes im Entwicklungsprozeß ausblendende (neoklassische) Entwicklungstheorie.
III. Defizite der Entwicklungstheorie
Gibt es überhaupt so etwas wie eine monetäre oder richtiger: kreditäre Entwicklungstheorie? Sie ist in nuce in der Keynes’schen Geld-und Einkommens-theorie enthalten, jener makroökonomischen Theorie-Innovation, die, in der Großen Depression der dreißiger Jahre geboren, selbst von denen, die noch heute auf sie schwören, als eine Erklärung kurzfristiger Konjunktur-und Arbeitsmarkt-schwankungen gedeutet wird. Tatsächlich aber zielt der Keynes’sche Geldansatz (Geld = „Bindeglied zwischen Gegenwart und Zukunft“ auf eine sowohl langfristige wie dynamische Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Denn Geld (primär nicht monetäres Metermaß, sondern Geldvermögensspeicher und für den einzelnen Sparer ein quasi individualisiertes Stück Volksvermögen) stellt nur die liquideste und insoweit teuerste (weil ertragloseste) Form der Vermögenshaltung dar. Der Geld-sparer, der seine Zukunftssicherung (Geldvermögenshaltung) verbilligen will — frei von monetären Speicherkosten und entgangenen Zins-oder Kapitalerträgen — wird sein Geldvermögen „arbeiten lassen“: es in Kreditform gegen Zins oder in Eigenkapital-bzw. Beteiligungsform gegen Gewinnanteil ausleihen oder anlegen. Das aber heißt, in der GeldWirtschaft findet eine ständige Transformation von (ersparter) Liquidität in (geschuldete) Kredite oder in Direktbeteiligungen (via Aktien usw.) statt. Der Sparer kann seine Zukunft nur dadurch einigermaßen sicher gestalten und berechnen, daß er sich zum Kreditlieferanten oder mitbeteiligten (Teil-) Unternehmer macht.
Der keynesianische Wachstums-und Entwicklungsansatz Eine sich zur Kreditwirtschaft erweiternde Geldwirtschaft trennt somit stets die Funktionen (und weitgehend auch Personen) von Sparer und Investor. Lediglich im Fall des in Aktien sparenden Publikums bleibt eine gewisse, freilich mehr symbolische und auf das Risiko bezogene Personenidentität zwischen Sparer und Investor erhalten. Was aber sowohl akademische wie politische Keynesianer in ihrer Mehrheit übersehen: In dieser Trennung der Sparer-von der Investorfunktion liegt nicht nur der Erklärungsansatz für das kurzfristige Phänomen der Konjunktur-und Arbeitsmarkt-schwankungen, sondern auch für die Bildung des langfristigen Entwicklungspotentials und seiner Verwertung Denn in dem Umfang, indem Geld-vermögen illiquidisiert', d. h. in die Kreditfinanzierung möglicher Investitionen umgesetzt wird, . öffnet* sich die Gesellschaft einem Prozeß innerer Dynamik.
Unternehmer ohne oder mit geringem Eigenkapital, aber mit guten Ideen und Projekten sowie dem notwendigen Schuß Wagemut und Selbstvertrauen können sich mit Hilfe des vom Sparer bereitgestellten Kredit-Kapitals diejenigen Ressourcen sichern, die derselbe Sparer als Nicht-Konsument freigesetzt hat. Die Gesellschaft überwindet dank der Kreditfinanzierung ihre Immobilität durch das (feu- dalistische) Besitzstandsmonopol ihrer beati possidenti; sie öffnet sich ihren dynamischen und innovativen Aufsteigern. Man sieht: Die Keynes’sche kreditäre Entwicklungsphilosophie und -theorie schürft tiefer als die Schumpetersche mit ihrem Unternehmer-Übermenschen. Bevor dieser überhaupt agieren kann, muß erst einmal die gesellschaftliche Bühne für seinen Auftritt errichtet werden: Der Sparer muß sein Geldvermögen der organisierten und institutionalisierten Kreditwirtschaft anvertrauen. Ohne diese läuft der Prozeß der permanenten Transformation von Liquidität in den Kredit und vom Kredit in die Sachkapitalbildung (Investitionen) nicht.
Es ist also die von Keynes — dem Original, weniger den Epigonen — herausgearbeitete Austauschbarkeit von Geld, Geldvermögen (Liquidität), Kredit-verschuldung und realer Investition, die Chancen wie Grenzen des realen Entwicklungsprozesses erkennen läßt. Geld und Geldvermögen als Quelle künftiger Einnahmen verändern eben nicht nur als beliebig vermehrbare Recheneinheit die Preise, wie die Klassiker zu erkennen vermeinten und ihnen die Neoklassiker, dogmatisch fixiert, abnehmen. Geld wie Geldvermögen sind stets auch einkommens-wirksam, weswegen sich ihr Marktwert auch niemals nur . real 4 errechnen läßt: als Gegenwert eines gegen Geld erhältlichen Güterpakets, sondern stets auch nominal": als auf heute abgezinster Gegenwartswert der per Kreditvertrag vereinbarten oder aus anderweitiger Geldanlage erwarteten Zukunftseinnahmen
Vier monetäre Entwicklungseffekte Ein so vom Geldsparer und nicht vom Kredit-schuldner (Investor) ausgehender Selbstfinanzierungsprozeß autochthoner gesellschaftlicher Entwicklung produziert fast eigengesetzlich seine Impulse: Erstens einen Akkumulationseffekt; denn für die Zukunftssicherung von immer mehr zu Geldeinkommen und -vermögen gelangenden Sparern gibt es — anders als in der durch physische Speicherkapazitäten beengten naturalen Vorrats-wirtschaft — keine Grenzen. Dazu kommt, zweitens, ein marktwirtschaftlicher Selektionseffekt; denn wenn Sparer und Investor rechnen müssen — der Sparer, wieviel er für die zeitliche Aufgabe seiner Liquidität verlangen muß, der Investor, wie-viel er für die zeitliche Inanspruchnahme seines Kredits bezahlen kann —, kommen nur die Projekte zum Zuge, die ihren Zins, genauer: ihren Kreditzins und nicht ein statistisches Konstrukt namens , Realzins 4 verdienen. Die Geld-und Kreditwirt13 schäft entwickelt also ihre eigene, marktwirtschaftliche Investitionslenkung über den . nominalen 4 Kreditzins und nicht über einen wie auch immer definierten Realzins oder gar einen politischen und zentralen Gosplan!
Drittens steckt in dem Selektionseffekt ein gar nicht hoch genug zu veranschlagender Produktivitätsund Wachstumseffekt. Investitionen, die außer dem Kreditzins auch noch einen (residualen) Unternehmergewinn verdienen müssen, können das nur, indem sie ihren Beitrag zu Mehreinkommen und Mehrbeschäftigung leisten, d. h. jenen , Multiplikator 4 auslösen und in Gang halten, der den Entwicklungsprozeß mit der Zeit zu einem sich selbst tragenden und finanzierenden macht. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Keynes’schen Theorie, der, wie gesagt, nicht nur kurzfristige, zyklische Bedeutung hat, sondern langfristige, weil jede Neu-investition Umfang und Kapazität des bereits vorhandenen Kapitalstocks ausweitet.
Schließlich spielt, viertens, langfristig auch der Kultureffekt der Monetarisierung von Kapitalbildung und -Verwertung eine sowohl säkulare wie säkularisierende Rolle. Wo und wann immer sich Geld-und Kreditsysteme entwickeln, bilden sich Usancen, Konventionen, Regeln. Kredit, Recht und Rechnen verdichten sich zu gesellschaftlichen Normen und Verhaltensweisen: Nicht zufällig behandeln Babylons älteste Gesetzestafeln Gläubigerrechte und Schuldnerpflichten und belegen seine ältesten Tontäfelchen und Keilschriftenfunde Abrechnungen für gelieferte Ware, Forderungen auf noch zu erbringende Leistungen. Die Kreditwirtschaft, etabliert und zum Durchbruch gelangt, hat die Gesellschaft nachhaltiger verändert als Religion und Revolution.
Die monetäre Instabilität .. .
Aber diesen vier positiven Entwicklungseffekten steht, fünftens, ein allgegenwärtig lauernder, zeitloser Instabilitätsfaktor entgegen: Die Geld-und Kreditwirtschaft ist „inhärent instabil 44 (W. Eucken). Der Grund dafür liegt in der ungewissen Zukunftseinschätzung der am Kreditmarkt zusammenkommenden Partner. Sparer wie Investoren kalkulieren in ihren Zinsvorstellungen jeweils ihre höchst subjektive Zukunftseinschätzung und -bewertung ein. Da sich beide Parteien nicht an der aktuellen Zins-höhe, sondern an der jeweiligen Zinserwartung orientieren, kommt unweigerlich, namentlich in Krisenzeiten, ein oft sogar irrational übersteigertes Vorsichts-bzw. Spekulationsmotiv ins Spiel: Sparer, die trotz hoher, sie vor inflatorischer Entwertung schützender Zinsen mit weiteren Zinssteigerungen rechnen, werden trotz objektiv ausreichender Sparzinsen als Kreditlieferanten streiken. Investoren, die trotz niedriger, sie in ihrem Investitionskalkül bestätigender Zinsen mit weiteren Zinssenkungen rechnen, werden trotz objektiv niedriger Kreditfinanzierungskosten als Fortschrittspioniere und Arbeitgeber sich verweigern. Weil das Abwarten des jeweils richtigen Moments zum Spiel und seinen Regeln gehört, kommt es in geld-, kredit-und marktwirtschaftlich verfaßten Systemen — speziell den ausgereiften — immer wieder zu Kredit-und Zinskrisen, die den Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung unterbrechen und die zu Stagnation. Massenarbeitslosigkeit und Wertvernichtung führen statt zu Wertschöpfung. ... und was daraus folgt Die Frage ist nicht, ob man mit diesen Krisen leben muß. sondern wie man sie abkürzt und im Idealfall ganz vermeidet, indem man durch Stabilisierung der Erwartungen den auslösenden Faktor klein hält oder gänzlich eliminiert. Nur: Über diesem für moderne, kreditwirtschaftlich ausgereifte Industrieländer zentralen und wieder einmal hoch-aktuellen Anliegen darf nicht verdrängt werden, daß Entwicklungsländer ohne geeigneten und effizienten Kreditmarkt und -apparat völlig außerstande sind, den Teufelskreis ihrer Armut, Rückständigkeit und Kreditabhängigkeit vom Ausland zu durchbrechen, wenn sie nicht ein eigenes Kreditwesen und Inlandsbanking aufbauen. Andernfalls würden sie nicht nur freiwillig und ohne jeden Sinn auf die vier langfristigen, quasi-automatischen und positiven Entwicklungseffekte ä la Keynes verzichten, sondern überdies noch ihren übersteigerten Anteil an der „inhärenten Instabilität“ unseres industriestaatlichen Kreditwirtschaftssystems übernehmen: seine Miesen ohne jedes kompensierende Plus!
IV. IWF und Weltbank „an die Front“
Durch die Keynes’sche Geldbrille gesehen, wird nicht nur klarer, was in Wahrheit hinter der Schuldenkrise der Drittwelt-Staaten steht: ein unterentwickeltes und insuffizientes Inlandsgeld-, -kredit-und -bankwesen, sondern auch warum drei Dekaden mühevoller und teurer Entwicklungszusammenarbeit kein Sisyphusmythos geworden sind. Man hat mit Überaufwand an nominellem Kapital-oder Kreditimport — jedenfalls gemessen am realen. durch Sachgüterimporte abgesteckten Bedarf — einen geradezu Myrdalschen Prozeß der sich selbst verstärkenden Verschlimmerung der Lage (cumulative circular causation) in Gang gesetzt Weil der scheinbar konditionengünstigere Auslandskredit den auf höhere Inlandskonditionen fixierten Inlandskredit verdrängt, konnte sich kein effizientes Inlandsbanking bilden. Weil es an diesem fehlt, gibt es auch keinen institutionell begründeten und geführten Widerstand gegen den Kredit-import und seine Folgen: Schuldenkrise. Transferüberbelastung sowie importierte und durch IWF-Auflagen verschärfte Depression.
Kapitalhilfe: Verdrängungswettbewerb gegen das Inlandsbanking Es gab keinen Auf-und Ausbau jener geld-und kreditwirtschaftlichen E-Werke und Kraftstationen, mit deren Hilfe und mit deren Netz das national und real vorhandene Entwicklungspotential hätte mobilisiert werden können. Mangels Banken und leistungsfähiger Kreditmärkte fand weder die Transformation der Gesellschaft von einer stationär-traditionellen in eine durchgängig moderne und dynamische statt; dieser Prozeß blieb auf einige wenige, noch dazu weltmarktabhängige Fortschrittsinseln beschränkt. Es kam auch nicht zu jenem quasi-automatischen Prozeß sich selbst tragenden und finanzierenden Binnenwachstums, der seit über einem Jahrhundert für alle sogenannten Industrieländer charakterisch und eine kaum noch reflektierte Selbstverständlichkeit ist.
Bloße Behauptung? Die Beweise der Kontraproduktivität klassisch-neoklassisch inspirierter Entwicklungspolitik und -Zusammenarbeit liegen auf der Hand bzw. auf dem Tisch. Jeder Vergleich der aufgenommenen und inzwischen geschuldeten Auslandskredite mit.den gleichzeitigen Realimporten seit Mitte der Entwicklungsländer etwa der siebziger Jahre beweist, daß es einen — lediglich von Entwicklungsland zu Entwicklungsland differierenden — globalen Überhang der nominellen über die realen Kapitalimporte für alle Entwicklungsländer zusammen gegeben hat. Sein völlig überflüssiger Gegenposten: einmal die aus dem Ankauf der im Inland nicht benötigten Fremdwährungen (in erster Linie US-Dollar) durch Zentral-und Geschäftsbanken resultierenden inneren (und insoweit importierten) Inflationstendenzen, zum anderen die aus diesem Devisenpotential finanzierte Kapitalflucht (wiederum in erster Linie in den US-Dollar).
Fragt man nach den Verantwortlichen dieser Kreditüberdeckung. müssen sich amtliche Kapitalhilfe und kommerzielle Kreditgewährung gleichermaßen schuldig bekennen. Für beide Finanzierungssy-B steme steht der Grundsatz, daß aus Auslandskrediten nur reale Auslandsbezüge (Sachgüterimporte) zu finanzieren seien, nur auf dem Papier. Der Bankgrundsatz der vollen Durchfinanzierung der Projekte — unter Einschluß der in Inlandswährung anfallenden Investitionskosten — dominiert, „weil auf Inlandsbanken kein Verlaß ist“. Weltbank und IWF als Verhinderer dieses Übergewichts mikroökonomischer vor makroökonomischen Finanzierungsgrundsätzen fielen schon deswegen aus, weil sie sich an dieser Politik entweder selbst beteiligten oder aus anderweitigen Gründen (Verschleierung der Zahlungsunfähigkeit vieler Schuldenländer) an ihr interessiert waren.
Es fehlt nicht an Sparkapital in der Dritten Welt Jeder Vergleich der internen Spar-und Kreditschöpfungskapazität der heute überschuldeten Drittwelt-Länder mit der aus der Zentralbankstatistik bekannten Kreditaktivität des organisierten Bankenapparates (Jahres-Kreditvolumen) ergibt, daß allenfalls Bruchteile dieser möglichen und inflationsfreien Kreditproduktionsreserve effektiv genutzt werden; der überwiegende Teil, in aller Regel zwischen 60 und 80 %, liegt brach, und das seit Dekaden! Daraus folgt, daß die Dritte Welt nicht über ihren kreditwirtschaftlichen Möglichkeiten lebt, sondern weit ihnen mangels — man unter kann es nicht oft genug wiederholen — eines leistungsfähigen Inlandsgeld-und -kreditwesens.
Woher kommt denn dann, so lautet ein naheliegender Einwand, die grassierende Hyperinflation der meisten, wenn auch nicht aller Entwicklungsländer? Eine Quelle dieser nur bedingt hausgemachten Inflation haben wir bereits lokalisiert: die über den realen und durch Güterimporte gedeckten Devisen-bedarf hinausgehende importierte Kreditinflation 1 der zu reichlichen Auslandskreditgewährung.
Die andere Quelle der eher institutioneilen als strukturellen Entwicklungsländer-Inflation ergibt sich — als indirekte Folge des Bankinstitutionendefizits — aus dem ungenügenden Funktionieren der jeweiligen Zentralbanken. Denn eine Zentralbank, die nicht als Bank der Banken fungieren kann, weil es diese noch nicht gibt, degeneriert zwangsläufig zur Hausbank des Staates, dessen — meist horrende Budgetdefizite — sie direkt oder indirekt finanziert.
Die Zentralbank ist in der Keynes’schen Geldlehre nicht nur der Versorger jeder Volkswirtschaft mit „letzter“ Liquidität (oder Geld), sondern zugleich der Garant für die Liquidität der über das Banken
System vermittelten Kreditforderungen. Sie stellt sicher, daß die Kreditforderungen jederzeit, wenn auch unter Kursschwankungen (Abzinsungsrisiken) durch Verkäufe über Banken wieder in Geld zurückverwandelt werden können. Die Zentralbanken in den Entwicklungsländern verlieren jeden kreditwirtschaftlichen Rückhalt und Sinn, wenn es keine illiquidisierten Geldvermögensansprüche (Kredite) in liquide zurückzuverwandeln gilt. Ergo verkümmern solche Institute zur Notendruckerei im Staatauftrag, wie in absolutistischer, feudalistischer oder König-Midas-Zeit! Der Beweis, daß das so ist, steht zwischen den oben zitierten Zahlen der Weltbank zur Kreditversorgung in der Dritten Welt: Was nicht von Auslandsbanken an Finanzierungsmitteln bereitgestellt wird, kommt nicht aus sparerfinanzierten, sondern aus staats-und notenbankfinanzierten Inlandskrediten — was nicht dasselbe ist
Was folgt aus dem Befund? Erstens, daß die Schuldenkrise der USA eine andere — monetäre — Lösung verlangt als das Schuldenproblem der Dritten Welt. Im Fall der USA sind Reformen des Welt-währungssystems angesagt, die Wahl einer neuen Leitwährung, für die als Kandidaten (seit langem!) SZR sowie hilfs-und erprobungsweise ECU bereitstehen. Ein IWF-Beistandskredit in SZR an die USA würde nicht nur eine Stabilisierung des US-Dollars ohne US-und Weltwirtschaftsrezession ermöglichen, sondern den Übergang vom Dollar-zum SZR-Standard einleiten.
Davon ist, zweitens, zu trennen die Entschuldung der Dritten Welt. Sie verlangt, schon um die , ewige Wiederkehr'des alten Schuldendesasters zu vermeiden, eine interne Lösung: den forcierten, aber systematischen Auf-und Ausbau eines ebenso dynamischen wie effizienten Inlandsbanking, notfalls hinter Kreditschutzmauern: einer Kontrolle des Kreditimports und der allzu freien und einseitig kommerziell ausgerichteten Geschäftsfreiheit des Auslandsbanking in diesen Ländern. Friedrich Lists Gedanke eines Schutzzolls für junge Industrien gilt eben auch für junge Kreditsysteme.
Aufbau eines autochthonen Bankwesens Wenn es eine Abweichung vom westlichen Modell und Prozedere gibt, dann allenfalls eine juristische: das in der Dritten Welt zu entwickelnde autochthone Inlandsbanking muß kein privates sein! Öffentlich-rechtliche Sparkassensysteme und -Statuten wie Genossenschaftsaktivitäten bilden angesichts der Probleme und des Milieus der Dritten Welt die vermutlich brauchbarere und situationsgerechtere Alternative. Natürlich kann und sollte die westliche Entwicklungszusammenarbeit dabei hel- fen, aber mehr durch Rat und Tat als durch Geld. Denn letzteres ist, wie gezeigt, in der Dritten Welt reichlicher vorhanden und zu mobilisieren als sich so manche Schulweisheit träumen läßt.
Diese längst überfällige Langfriststrategie verlangt zwecks binnen-wie außenwirtschaftlicher Absicherung eine radikale (wenn auch nicht 100 %ige) Entschuldung der Dritten Welt. Und hier sind Gläubigerbanken wie amtliche Kapitalhilfe gleichermaßen gefragt wie gefordert. Denn das Argumentieren mit dem Billionen-US-Dollar-Schuldenberg darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Abtragung dieser hypertrophen Transferhypothek ein Buchhalter-und kein Bankerproblem darstellt. Ein großer (wenn auch unbekannter) Betrag der den Banken geschuldeten Summen ist bereits — bankintern — abgeschrieben und insoweit finanziert. Der Restbetrag der noch nicht (zulasten der Bankkunden und des Fiskus) abgeschriebenen Kreditforderungen auf und an die Dritte Welt ist nur deswegen Jaul', weil sich noch kein Garant und Drittfinanzier dieser bad risks gefunden hat. Angenommen, die vereinigte Kapitalhilfe der westlichen Welt über-nähme ab sofort und für die nächsten zehn Jahre die Transfergarantie und -tilgung dieser noch ausstehenden Kredite mit befreiender Wirkung für die Dritte Welt — was würde dann aus den eingefrorenen Bankkrediten gegenüber der Dritten Welt? Eine interessante und hoch-liquide Forderung auf westliche Entwicklungshilfebudgets, eine indirekte Staatsanleihe auf gute westliche Industrieländer!
Schuldenliquidierung Man muß nur Eins (Schuldenerlaß für bereits abgeschriebene Bankforderungen) und Eins (Übernahme des Restschuldendienstes durch die offizielle Kapitalhilfe im Rahmen eines 10-Jahres-Entschuldungsprogrammes) zusammenzählen, und das Billionenproblem unbedienbarer Entwicklungsländerschulden wäre aus der Welt(wirtschaft). Die internationale banking community die fürjeden Dollar abgeschriebener und dem Schuldner erlassener Forderungen einen weiteren Dollar über die , sichere" Entwicklungshilfe statt über den . unsicheren'Schuldner verzinst und rückerstattet bekäme, führe mit dieser globalen, aber radikalen Schnittlösung besser als mit ihren ebenso komplizierten wie untauglichen debt-equity-swap-Abkommen von Land zu Land und Fall zu Fall. Ein Weltagent und -buchhalter wie die Weltbank würde das Gesamtprogramm erfassen, überwachen, abwickeln, ohne neue Leute oder Computer bemühen zu müssen.
Sogar ein . Zweiter Marshallplan 1 für die Dritte Welt ließe sich in das Programm einbauen. Da die Entschuldung nur die Transferlasten und -obligen erfaßt, nicht aber den inneren Schuldendienst der Projektträger und Programmexekutoren gegenüber ihrer eigenen Regierung bzw.der in ihrem Auftrage tätigen Entwicklungs-und Zentralbanken, liefe auf deren Konten ja der Gegenwert der erlassenen Auslandsschulden in einheimischer Währung auf. So wie vor 40 Jahren die Gegenwertkonten der Kreditanstalt für Wiederaufbau den institutionellen Nukleus des späteren deutschen Kapitalmarktes abgaben. so könnten auch die nicht vom Schuldenerlaß erfaßten neuen Gegenwerte in der Dritten Welt das Startkapital für das zu entwickelnde Inlandsbanking bereitstellen und verstärken.
So einfach ist oder wäre es. eine Schuldenkatastrophe in ein finanzielles Aufbau-und Entwicklungsprogramm zu transformieren. Das einzige, was man braucht, wäre ein theoretisch, historisch und politisch schlüssiges Konzept von der Rolle des Geldes und der Kreditwirtschaft im Entwicklungsprozeß plus seiner Umsetzung durch die Politik von IWF und Weltbank, den Geschäftsführern der Weltentwicklung. Freilich eines, das diese Manager ihren , Aktionären'erst noch klar machen müßten — aber dafür sind sie ja da.