Die internationale Verschuldungskrise schwelt weiter. Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer hat Ende 1987 mit 1 200 Mrd. US-Dollar einen neuen Höchststand erreicht. Allein in den letzten zehn Jahren erhöhte sie sich um 860 Mrd. US-Dollar, und seit 1982, dem Jahr des offenen Ausbruchs der Verschuldungskrise, um 350 Mrd. US-Dollar. Begonnen hat diese Entwicklung mit der überproportionalen Zunahme der Neuverschuldung zwischen 1973 und 1982: Die Wachstumsrate von jahresdurchschnittlich 20 % lag weit über allen anderen ökonomischen Orientierungsgrößen wie Sozialprodukt-und Export-entwicklung. Sowohl in absoluten wie relativen Größen gehören Länder Lateinamerikas zu den Haupt-schuldnern: Brasilien mit 115 und Mexiko mit 105 Mrd. US-Dollar führen das Feld der Problemschuldner an. Die fälligen Zinszahlungen sind von 15 (1977) aufjährlich 70 Mrd. US-Dollar gestiegen; der Anteil der Zinszahlungen an den Exporten (Zinsquote) Lateinamerikas liegt bei 30%. Für diese Entwicklung verantwortlich sind neben internen Faktoren in den Entwicklungsländern externe Faktoren wie die beiden Ölpreisschocks der siebziger Jahre, die weltwirtschaftliche Rezession, der Verfall der Rohstoffpreise, neuer Protektionismus sowie in astronomische Höhe gekletterte Zinsrechnungen. Ein wichtiger Einflußfaktor war zudem der internationale Bankenmarkt. Die Entwicklungsländer sind trotz vielfältiger binnen-und außenwirtschaftlicher Anstrengungen unter den gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Bedingungen überfordert, ihre Zahlungsfähigkeit und internationale Kreditwürdigkeit zurückzugewinnen. Die seit 1982 einsetzenden Umschuldungen, die eine Verlagerung der fälligen Tilgungen in die Zukunft regeln, haben nur das kurzfristige Ziel der Vermeidung eines internationalen Finanzkollaps’ erreichen lassen. Deswegen wird kein Weg daran vorbeiführen, Methoden und Instrumente des Krisenmanagements umzustellen: Die endlose Finanzierung der Zinszahlungen zahlungsunfähiger Entwicklungsländer durch die Banken ist aufzugeben, weil sie nur die Verschuldung erhöht und die Rückzahlungsfähigkeit weiter aushöhlt. Schuldenstreckung muß ersetzt bzw. ergänzt werden durch Schuldenstreichung. Nur so kann nach dem Prinzip der Einzelfallregelung eine langfristige Re-Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft gelingen. Sowohl die Banken wie die internationalen und nationalen Währungsbehörden tragen für diese Kehrtwende eine hohe Verantwortung; ohne ein Entschuldungskonzept sind neue Zerreißproben ähnlich spektakulärer Art wie 1987, als Brasilien einseitig seine Zinszahlungen begrenzte, um eine Ausbluten zu vermeiden, vorauszusehen.
I. Dimensionen der Verschuldungskrise
Ende 1987 hat die Auslandsverschuldung kapitalimportierender Entwicklungsländer mit 1194 Mrd. US-Dollar einen neuen Höchststand erreicht Seit 1977, also in den vergangenen zehn Jahren, stieg die Verschuldung um 860 Mrd. US-Dollar oder das Dreifache; seit 1982, dem offenen Ausbruch der internationalen Verschuldungskrise, immerhin noch um 350 Mrd. US-Dollar.
Abbildung 6
Tabelle 5: Kredite deutscher Banken an Entwicklungsländer (in Mrd. DM)
Quelle: Deutsche Bundesbank, Statistische Beihefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank, Reihe 3, Zahlungsbilanzstatistik, Nr. 6, Frankfurt 1988.
Tabelle 5: Kredite deutscher Banken an Entwicklungsländer (in Mrd. DM)
Quelle: Deutsche Bundesbank, Statistische Beihefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank, Reihe 3, Zahlungsbilanzstatistik, Nr. 6, Frankfurt 1988.
In welch enorme Dimension die Verschuldung der Dritten Welt hineingewachsen ist. verdeutlicht das Schaubild. Selbst wenn man gewisse Unzulänglichkeiten der Zeitreihen in Rechnung stellen muß, so lassen sich doch einige klare Ergebnisse formulieren:
— Das Verschuldungswachstum von 7 (1955) auf 74 (1970) Mrd. US-Dollar war, insgesamt gesehen, in diesem Zeitraum geradezu vernachlässigbar.
— Selbst die Zunahme auf 179 Mrd. US-Dollar (1975) brauchte noch keine besondere Beunruhigung zu erzeugen. — Dann jedoch verdreifachte sich nochmals, zwischen 1975 und 1980, die Auslandsverschuldung auf 465 Mrd. US-Dollar. Aus heutiger Sicht läßt sich sagen, daß die gewaltige Expansion der Auslands-verschuldung der Entwicklungsländer während der siebziger Jahre den Grundstein für die Verschuldungskrise der achtziger Jahre legte.
— Seit 1980 hat sich die Verschuldung nach den Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) nochmals verdoppelt. Bemerkenswert ist dabei, daß ein immer größer werdender Teil der jährlichen Neuverschuldung lediglich der Aufrechterhaltung der Zinszahlungen an die Gläubiger dient. Das Wachstum der im Ausland aufgenommenen Kredite lag jahresdurchschnittlich bei 20%; dies bedeutet, daß das Schuldenwachstum weit über dem anderer wirtschaftlicher Orientierungsgrößen (Sozialprodukt. Exporte) lag. In den achtziger Jahren wurde die Zunahme der Neuverschuldung deutlich niedriger. In den drei Jahren vor dem Beginn der Verschuldungskrise (1979 bis 1982) sank die Zuwachsrate lediglich auf 17%. Dann jedoch — mit dem Schock der Zahlungsunfähigkeit Mexikos im August 1982 — schrumpfte das Volumen neuer Kredite bis 1985 auf 5% zusammen.
Die vorgestellten absoluten Zahlen geben die Bruttoverschuldung der Entwicklungsländer im Ausland wider. Eine Statistik auf Nettobasis wäre unter bestimmten Voraussetzungen für die Zwecke einer exakten Analyse der aus der Verschuldung resultierenden Folgen sicherlich wertvoller. Kapitalexporte von einigen Ländern der Dritten Welt sind bekannt, auch Guthaben bei Banken der Industrieländer. leider jedoch nicht so vollständig, daß eine Zeitreihe mit Nettopositionen herangezogen werden könnte.
Betrachtet man die Auslandsverschuldung aller Entwicklungsländer nach ihrer regionalen Zugehörigkeit (vgl. Tab. 1), so fällt sofort die exponierte Stellung der lateinamerikanischen Länder auf. Ihr Anteil lag seit den siebziger Jahren mit rund 40% an der Spitze. Bei Ausbruch der internationalen Finanzkrise 1982 entfiel fastjederzweite US-Dollar auf diese Ländergruppe. Gut ein Viertel aller Kredite ging in die asiatischen Länder, deren Anteil in den vergangenen Jahren weitgehend unverändert blieb. Gleiches gilt übrigens für die europäischen Entwicklungsländer, die mit einer Quote von 10% (1986) an vierter Stelle liegen, sowie für die nicht-erdölexportierenden Länder des Mittleren Ostens an fünfter Position mit einem Anteil von 8%.
Die weitgehende Konstanz der regionalen Verschuldungsanteile macht bei der explosionsartigen Zunahme der Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer klar, daß es sich hier und bei der daraus folgenden Krise nicht um ein regionales, sondern um ein weltweites Charakteristikum handelt, das sich über die vergangenen 15 Jahre ziemlich einheitlich und kontinuierlich aufgebaut hat.
Hauptschuldnerländer, gemessen an der absoluten Höhe ihrer im Ausland aufgenommenen Kredite, sind, wie Tab. 2 zeigt. Staaten Lateinamerikas mit Brasilien. Mexiko und Argentinien an der Spitze. Nun ist unmittelbar einsichtig, daß solche absoluten Zahlen erst dann wirklich aussagekräftig sind, wenn sie zu anderen Größen in Beziehung gesetzt werden, beispielsweise zu denen der allgemeinen ökonomischen Leistungsfähigkeit oder dem Exportpotential eines Landes. Drei Verschuldungsindikatoren sollen daher vorgestellt werden:
1. Setzt man Auslandsverschuldung und Bruttosozialprodukt in Beziehung, so zeigt die Relation — wie in Tabelle 3 aufgeführt — auf, daß in den vergangenen zehn Jahren in allen Entwicklungsländern die Auslandsverschuldung wesentlich schneller gestiegen ist, als das Wachstum ihres aggregierten Sozialprodukts. Dem Jahr 1980 kommt dabei insofern eine besondere Rolle zu. als erst danach die fundamentalen Verschlechterungen eintraten. Während 1977 die Schulden gegenüber dem Ausland 25 % ausmachten, waren es 1987 immerhin schon 40%. Dieses Phänomen betrifft alle Länder-gruppen in mehr oder weniger gleichem Maße; trotzdem lassen sich Unterschiede feststellen: So sind die Länder des Mittleren Ostens — wie schon in den siebziger Jahren — besonders schlecht dran, gefolgt von Lateinamerika und Afrika.
2. Bezieht man die Schulden auf die Jahresexporte (Tab. 3), also auf die Fähigkeit, auf dem Weltmarkt zu verkaufen, so erhält man ein härteres Kriterium, das nicht auf die allgemeine Leistungsfähigkeit des Landes, sondern auf deren Kreditrückzahlungsfähigkeit abstellt. Hier zeigt sich, daß die Verschuldung bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre den Export von Gütern und Dienstleistungen überstieg und daß also die Exporte nicht mit den aufgenommenen Krediten Schritt halten konnten. Hier wird die schlechte Lage der lateinamerikanischen Länder besonders deutlich. Sie müßten die Exporte von mehr als drei Jahren zur Tilgung ihrer Auslandsschulden verwenden, die Staaten Asiens demgegenüber nur von einem Jahr.. 3. Mit der Schuldendienstquote, die angibt, wieviel Prozent der Jahresexporte für Tilgung und Zinsen abgezweigt werden müssen, erhalten wir eine zusätzliche Informationsgröße. Wie aus der Tabelle 4 hervorgeht, konnte wiederum keine Region den vergleichsweise günstigen Schuldendienststand von Ende der siebziger Jahre aufrechterhalten. Während 1977 15 % der Exporte für Rückzahlungen und Zinsen aufzuwenden waren, ergab sich 1986 mit 26% ein neues „Rekord-“, d. h. ein neues Belastungsniveau. Wiederum Hauptbelasteter mit weitem Abstand vor den anderen Regionen ist Lateinamerika, das fast jeden zweiten, durch Exporte erwirtschafteten Dollar an seine Auslandsgläubiger entrichten muß. Auch für den Mittleren Osten und Afrika sind die Quoten mit 35 bzw. 34% recht hoch.
Für die außerordentliche Verschlechterung dieses Koeffizienten, in den Exporte, Tilgungen und Zinszahlungen jeweils eines Jahres eingehen, sind teilweise auch ungünstige Tilgungsstrukturen und hinter den Erwartungen zurückgebliebene Exportentwicklungen anzuführen. Wie noch zu zeigen sein wird, spielt neben der enormen Verschlechterung der Außenhandelspreise auch die Zinsentwicklung eine maßgebliche Rolle. 1977 hatten die Entwicklungsländer 15 Mrd. US-Dollar an Zinsen zu zah5 len, 1986 bereits 70 Mrd. US-Dollar. Das bedeutet, daß 13 % aller Exporte für den Zinsendienst (Zins-quote) aufzubringen sind (1977 6 %). Die herausragende Bedeutung der Zinsentwicklung wird auch dadurch ersichtlich, daß sich allein im Jahre 1980 die Zinslast um 50% erhöhte, und seit jenem Jahr nicht mehr die Tilgungen, sondern die fälligen Zinszahlungen das größte Loch in die Devisenkasse der Entwicklungsländer reißen.
Sowohl der vorhergehende Aspekt der ungeheuer gestiegenen Zinsbelastung wie auch die Genese der Verschuldungskrise werden erst mit einem Blick auf die Gläubigerstruktur verständlich. Eine Analyse dieser Struktur, die zwischen staatlichen Kreditgebern und privaten Geschäftsbanken unterscheidet, läßt erkennen, daß in den letzten 20 Jahren die Gläubigergruppe „Geschäftsbanken“ eine herausragende Stellung angenommen hat, und zwar unter folgenden vier Hauptaspekten: — Die strukturellen Verschiebungen in der Kreditgeberstruktur stellen bereits in den siebziger Jahren den herausragenden Wandel dar. Vor der Ölpreisexplosion des Jahres 1974 war der Banken-Anteil an der Entwicklungsländer-Finanzierung mit ca. 50% noch „bescheiden“. Dann jedoch — mit dem sogenannten Dollar-Recycling und dem Aufbau einer Auslandskreditstrategie der Banken — erhöhte sich deren Bedeutung kräftig. Sie ist noch weitaus höher zu veranschlagen, als aus dem bloßen Anteil von 65 % hervorzugehen scheint. — Die zweite Besonderheit: Die Geschäftsbanken haben ihr gewachsenes Engagement nicht gleichmäßig verteilt, sondern auf einzelne Länder bzw. Kontinente wegen erwarteter unterschiedlicher Entwicklungspotentiale konzentriert. „Profitiert“ haben von dieser Kreditpolitik vor allem die relativ reichen Länder Lateinamerikas. Bei diesen Haupt-Schuldnern entfallen mehr als 70 % auf private Kredite; bei den ärmeren Entwicklungsländern Afrikas sank diese Quote stetig von 32% (1973) auf unter 20 %. Bei ihnen erhöhte sich demzufolge der Anteil staatlicher Kredite mit konzessionären, d. h. mit Zuschuß-Elementen. — Die dritte strukturelle Eigenart: Die Ausleihungen sind bei einzelnen Banken bzw. Banken einzel-B ner Länder in besonderer Weise konzentriert. Auffällig ist das herausragende Kreditengagement von Banken aus den USA. Ihre Ausleihungen gerade an die Problemländer Lateinamerikas übersteigen oftmals ein Vielfaches ihres Eigenkapitals Für die Kredite deutscher Banken (vgl. Tabelle 5) läßt sich nicht annähernd die gleiche Konzentration feststellen. So betrugen 1984 die US-Kredite an Brasilien und Mexiko das Siebenfache der Ausleihungen deutscher Banken. — Viertens wirkt sich die exponierte Stellung der Banken über die Kreditformen auch auf den Schuldendienst aus, denn den Kreditverträgen liegen in wachsendem Maße variable Zinssätze zugrunde. Sie passen sich automatisch den internationalen Zinsentwicklungen an. Das Schuldenregime vieler Entwicklungsländer war nicht nur wegen der gestiegenen Auslandsschuld, sondern vor allem wegen dieser Zinsklauseln, die die internationale Zinsexplosion zu Beginn der achtziger Jahre sofort mit vollzogen, überfordert.
II. Ursachen und Teufelskreise der Verschuldungskrise
Abbildung 2
Tabelle 1: Auslandsschulden kapitalimportierender Entwicklungsländer nach Regionen
Quelle: IMF, World Ecomomic Outlook, Washington, D. C., October 1985 und October 1986, entnommen aus: M. Holthus, Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer, Bonn 1987, S. 10.
Tabelle 1: Auslandsschulden kapitalimportierender Entwicklungsländer nach Regionen
Quelle: IMF, World Ecomomic Outlook, Washington, D. C., October 1985 und October 1986, entnommen aus: M. Holthus, Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer, Bonn 1987, S. 10.
Die Literatur zum Komplex der Ursachen der Verschuldungskrise liefert ein verwirrendes Bild — und das ist nicht verwunderlich, weil zumindest implizit mit der Benennung von Hauptgründen und nachgeordneten Ursachen Verantwortlichkeiten für Ent-stehung und Entwicklung der Verschuldungsproblematik zugeteilt werden. Dieses Spiel funktioniert nach den bekannten Regeln vom „Schwarzen Peter“ und wird perfekt beherrscht; es hilft aber kaum, verantwortliche Konzepte zur kurz-oder langfristigen Bewältigung anstehender Liquiditätsoder Verschuldungsprobleme zu präsentieren. Im folgenden sollen die Ursachen nach ihrer zeitlichen Entstehung dargestellt werden.
Umfang und Struktur von Krediten an Entwicklungsländer stehen vielfach im Zusammenhang mit den jeweils gültigen „Entwicklungstheorien“. In den fünfziger und sechziger Jahren wurden zunächst überwiegend reine Entwicklungshilfekredite zur Überwindung der Unterentwicklung vergeben. In den sechziger Jahren setzte dann eine geographische Umverteilung von Investitionen und industrieller Produktion zugunsten der Entwicklungsländer ein. Banken fühlten sich aufgerufen, diesen Verlagerungsprozeß durch Direktinvestitionen mit zusätzlichen Finanzierungen zu begleiten. Als die Bedeutung von Direktinvestitionen in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bereits wieder abebbte, verselbständigte sich der Finanzierungsprozeß durch die Banken. „Mittel-und langfristigen Bank-krediten als wesentliche Finanzierungsquelle des Industrialisierungsprozesses mit Schwerpunkt in den lateinamerikanischen, südeuropäischen und ostasiatischen Schwellenländern“ wurde fortan ein gewisser Vorzug vor Entwicklungshilfekrediten und Direktinvestitionen gegeben, weil sie einfacher zu beziehen und flexibler nach den eigenen Vorstellungen der Entwicklungsländer einsetzbar waren. Mit dieser Philosophie wachsenden Kapitaltransfers ging es in die siebziger Jahre, ohne daß die aus dem damaligen Verschuldungswachstum resultierenden Schuldendienstverpflichtungen als Gefährdung dieses Entwicklungskonzeptes angesehen wurden. Die jahresdurchschnittliche Neuverschuldung der Entwicklungsländer stieg dabei von Jahrzehnt zu Jahrzehnt von 15 auf über 20%.
Mit der Ölpreispolitik der OPEC-Staaten 1973/74 trat der wichtigste externe Faktor auf. Die meisten Entwicklungsländer — zurecht als Optionsempfänger mit geringen außenwirtschaftlichen Handlungsspielräumen bezeichnet — konnten die in die Höhe geschnellten Ölrechnungen nicht durch entsprechendes Exportwachstum ausgleichen. Sie entschieden sich in ihrer Aufbauetappe nicht dafür, die terms of trade-Verluste durch Drosselung der Inlandsnachfrage aufzufangen. Vielmehr hielten sie an ihrer kreditfinanzierten Entwicklungspolitik fest und glichen die gewachsenen Leistungsbilanzdefizite durch entsprechende Kreditaufnahmen auf den internationalen Kapitalmärkten aus. Für die Zeit zwischen 1973 und 1980 läßt sich folglich die höchste durchschnittliche Kreditwachstumsrate feststellen. Die Entscheidung für eine forcierte Verschuldüng wurden den Entwicklungsländern aus vier Gründen leicht gemacht:
Erstens präsentierte sich ihnen ein neuer internationaler Bankenmarkt, der durch die Ölüberschüsse der OPEC-Staaten vor Liquidität überquoll und der nach Anlage auch in Ländern der Dritten Welt suchte.
Zweitens kam hinzu, daß die hohe Liquidität der Banken einen derartigen Anlagedruck erzeugte, daß die Zinsen kontinuierlich sanken, bis schließlich sogar negative Kapitalzinsen für die meisten Entwicklungsländer vorherrschten.
Drittens darf nicht übersehen werden, daß aufgrund des hohen Wettbewerbs zwischen den Banken den Entwicklungsländern mehr Kaufkraft zur Verfügung gestellt wurde, als dem Bankensektor durch den Recycling-Prozeß der Petro-Dollar zu-floß.
Der vierte Faktor, der den Entwicklungsländern die Verschuldung leicht machte, war die ungewohnte Geschwindigkeit, Kapital zu erhalten, und außerdem die ungewöhnlich hohen Beträge, die über die Bildung von Banken-Konsortien möglich wurden. Die verschuldungsintensive Anpassungsstrategie, von der in den siebziger Jahren zunächst immer nur deren Vorteile herausgehoberr wurden und die in der Tat den Entwicklungsländern eine wachsende weltwirtschaftliche Integration — bei allerdings ebenfalls zunehmenden Handelsbilanzdefiziten — ermöglichte, ging dann Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre ohne deutliche Übergangsformen in die bis heute anhaltende Verschuldungskrise über. Dazu trugen verschiedene, wiederum externe Faktoren bei. Ausgangspunkt waren zunächst wieder die Ölpreise. Die zweite Ölpreishausse der OPEC-Staaten erzwang erneut außenwirtschaftliche Anpassungen bei Entwicklungs-wie Industrie-ländern, die ihrerseits die Entwicklungsländer vor neue Herausforderungen stellten. Charakteristisch für diese Phase ist das Zusammenfallen mehrerer Gründe, zu denen vor allem gehören:
— Der zweite Ölpreisschock und vor allem die daraufhin in den USA verfolgte Wirtschaftspolitik mit dem scharfen Wechsel von der Zins-zur Geldmengensteuerung führten zwischen 1979 und 1983 zu einer weltwirtschaftlichen Rezession, die die ausländische Nachfrage nach Exportprodukten der Entwicklungsländer in einer Zeit sinken ließ, als diese Länder von Ausfuhrsteigerungen Entlastung zur Bezahlung der gestiegenen Ölimportrechnungen hätten erwarten können.
— Die sinkenden Exportchancen der Entwicklungsländer wurden zudem durch einen weiteren
Verfall der Rohstoffpreise verstärkt.
— Hinzu kam. daß sich in den Industrieländern im Verlauf der Rezession ein neuer Protektionismus breit machte, der die Defizite in den Handelsbilan-B zen der Länder der Dritten Welt weiter ansteigen ließ.
— Diese den Außenhandel der Entwicklungsländer begrenzenden Faktoren wirkten sich deshalb so verheerend aus, weil gleichzeitig die an die internationalen Gläubiger zu zahlenden Zinsrechnungen in astronomische Höhen kletterten. Ausgangspunkt für die scharfe Zinswende mit einer schnellen Abkehr von den negativen Realzinsen war die im Herbst 1979 in den USA einsetzende Anti-Inflationspolitik. Der repräsentative Zinssatz für 6-Monatsgelder unter Banken (LIBOR) stieg in London auf die historische Höchstmarke von 17 % im Jahre 1981. In dieser Zeit bekamen die Entwicklungsländer die negativen Folgen der bisherigen Finanzierungspraxis zu spüren. Ein Großteil der Kreditverträge enthielt nicht feste, sondern variable Zinssätze, die sich Monat für Monat nicht nur auf die neuen Kreditverträge, sondern ebenfalls auf den Gesamtbestand der Verschuldung auswirkten. Die Zinsrechnungen stiegen ständig an — bis dieser Posten zur wichtigsten Ausgabengröße in den Leistungsbilanzen der Entwicklungsländer wurde.
Neben diesen externen Faktoren, die zur Verschuldungskrise führten, sind interne Faktoren nicht minder wichtig. Objektive externe Erschütterungen gingen oftmals, jedoch nicht immer einher mit wirtschaftspolitischem Fehlverhalten in den Entwicklungsländern selbst. So wird angeprangert, daß importiertes Kapital in zweifelhafte Industrieprojekte geflossen ist, oder es schlichtweg konsumiert und nicht zum Aufbau besserer Wirtschaftsstrukturen verwendet wurde. Auch Rüstungsausgaben sollen mit ausländischem Fremdkapital finanziert worden sein. Über diese Beispiele hinaus wird der staatlichen Haushaltspolitik vieler Empfängerländer ein zu großzügiges Ausgabengebahren, eine zu lockere Geldpolitik und eine falsche Wechselkurspolitik vorgehalten, die ihrerseits Fehlleitung von Ressourcen, galoppierende Inflation und eine Verschlechterung der Leistungsbilanzen zur Folge hatten. Aus den wachsenden wirtschaftspolitischen, vor allem außenwirtschaftlichen Widersprüchen resultierte schließlich eine unglaublich umfangreiche Kapitalflucht. die in manchen Jahren zuweilen die Hälfte der entsprechenden Kapitalimporte der Entwicklungsländer ausmachte
Wirtschaftspolitische Eigenarten in den Ländern der Dritten Welt und das kombinierte Auftreten externer Schock-Faktoren über mehrere Jahre stellten seit 1980 ein explosives Gemisch für den Ausbruch einer weltweiten Verschuldungskrise dar. Faktisch ist diese Krise spätestens seit dieser Zeit existent; daß sie sich knapp drei weitere Jahre „unerkannt“ weiter entwickeln konnte und die Explosion erst im Sommer 1982 mit der offen erklärten Zahlungsunfähigkeit Mexicos eintrat, hängt größtenteils mit der Verfassung des internationalen Bankenmarktes zusammen.
Zunächst gilt es einmal festzuhalten, daß die international agierenden Banken für die Entwicklungsländer bis 1982 eine immer größere Bedeutung erlangten; daß sie beispielsweise bis zu 70 % der Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite der Entwicklungsländer übernahmen. Es stellt sich daher die Frage, ob die Banken als Hauptakteure die schon vor 1982 bestehende Überschuldung vieler Entwicklungsländer nicht erkannt haben oder ob sie sich nur nicht aus den Fesseln des international vernetzten Bankensystems und aus seiner auf Expansion setzenden Philosophie befreien konnten.
Warum die internationalen Großbanken, insbesondere die US-Banken, ihre Expansionspolitik der siebziger Jahre bis 1982 fortsetzten, liegt an einem vielschichtigen Komplex von Gründen: Sie verdienten alle exzellent und wollten es weiter tun. Ihr Verhalten wurde durch die Konkurrenz, die ebenfalls an ihrer Kreditvergabepolitik festhielt bzw. sie sogar ausbaute, sowie durch die eigene gute Liquiditätslage, nicht jedoch durch Rentabilitätsüberlegungen geprägt. Kreditwürdigkeitsprüfungen wurden nur vereinzelt vorgenommen; dort, wo sie von den Stabsabteilungen vorgenommen wurden, wurden diese Analysen mit dem Hinweis auf den internationalen Wettbewerb vielfach als Ärgernis abgetan. Manche Banken mögen auch an öffentliche Hilfen bei plötzlichen Schieflagen geglaubt haben Jede Bank hatte sicherlich ihre besondere Interessenlage — gemeinsam ist allen, daß sie insgesamt immer mehr Kredite an Entwicklungsländer vergeben „mußten“, obgleich sich deren Überschuldung abzeichnete bzw. sie sogar — wie im Falle Polens — bekannt war. Dazu zwangen zwei Gründe: Erstens hätten die Entwicklungsländer ohne diese Neukredite die fälligen Zinsen an die Banken viel früher nicht zahlen können. Hinzu kam, daß die Banken Anfang der achtziger Jahre immer noch fürchteten, aufgrund der scharfen Konkurrenz Marktanteile im Auslandskreditgeschäft mit Ländern der Dritten Welt zu verlieren.
Im Ergebnis läßt sich sagen, daß zu lange zu viele Kredite vergeben wurden, und daß die Banken das Ruder zu spät zu heftig herumwarfen. Dieses Phänomen war 1981 bereits hinsichtlich Polen zu beobachten, ebenso der sogenannte Domino-Effekt, der besagt, daß sich Zahlungsunfähigkeit von Land zu Land überträgt und daß deswegen aufgrund der Illiquidität eines Hauptschuldners auch Kapitalströme für die Nachbarländer unterbrochen werden oder sogar in Kapitalrückzugsaktionen umschlagen. Einige Zahlen machen diese „Ruder-Politik“ deutlich: Während zwischen 1980 und 1982 Ausleihungen von jeweils 40 Mrd. US-Dollar neue Rekord-marken kennzeichneten, erhielten die Hauptschuldnerländer 1983 nur noch 11 und 1984 nur-mehr 5 Mrd. US-Dollar. 1985 war es dann soweit und die Schuldnerländer wurden ihrerseits zu Kapitalexporteuren Die Deutsche Bundesbank stellt für dieses Phänomen, das seit 1985 fortbesteht und das die schon beschriebenen Deformationen eher verschärfte, denn abbaute, fest: „Der in dieser Entwicklung zum Ausdruck kommende Rückzug der internationalen Banken aus dem Kreditgeschäft erscheint insofern verständlich, als etliche Institute — vor allem in den USA, aber auch in all den anderen Industrieländern — gegenüber bestimmten Schuldnerländem Risiken eingegangen waren, die in keinem vertretbaren Verhältnis zu ihren gesamten Aktivitäten und insbesondere zu ihrer Eigenkapitalbasis standen
III. Der Ausbruch der internationalen Zahlungskrise
Abbildung 3
Tabelle 2: Auslandsverschuldung ausgewählter Länder (in Mrd. US-Dollar)
Quelle: The World Bank. World Debt Tables. Extemal Debt of Developing Countries. Washington. D. C.. Jan. 1988; für Polen: OECD, Financial Market Trends, Paris, mehrere Ausgaben.
Tabelle 2: Auslandsverschuldung ausgewählter Länder (in Mrd. US-Dollar)
Quelle: The World Bank. World Debt Tables. Extemal Debt of Developing Countries. Washington. D. C.. Jan. 1988; für Polen: OECD, Financial Market Trends, Paris, mehrere Ausgaben.
Nach den weltwirtschaftlichen Umbrüchen und den strukturellen Anpassungsschwächen bzw. Anpassungsunmöglichkeiten stellte sich 1982 auf den internationalen Kapitalmärkten eine allgemeine Vertrauenskrise ein. Sie wurde ausgelöst durch das Schuldenmoratorium Mexikos, dem schon die Zahlungsunfähigkeit Polens und die Finanzprobleme Argentiniens (Falkland) vorausgegangen waren. Als nach dem Ölexportland Mexiko mit Brasilien ein weiterer Großschuldner seinen internationalen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte und diesem dann Länder wie Bolivien, Chile, Ekuador, Uruguay, Peru. Nigeria, Jugoslawien, Venezuela und die Philippinen folgten. konnte ein internationaler Finanzkollaps nicht mehr ausgeschlossen werden. Die Annahme eines Zusammenbruchs der internationalen Finanzbeziehungen gründete sich nicht nur auf die Höhe der Auslandsverpflichtungen der Hauptschuldner, sondern gleichfalls auf die ungewöhnliche Konzentration der Ausleihungen bei US-Banken und die aufgrund starker internationaler Kreditverflechtung bestehende Gefahr der Kettenreaktion, die davon ausgeht, daß eine illiquid gewordene Bank die andere in einen Krisenstrudel hineinzieht.
Für die 1982 einsetzende Zuspitzung der schlagartig gesunkenen Zahlungsfähigkeit vieler Entwicklungsländer lassen sich mehrere Belege anführen: 1983 konnten 21 Länder ihren Schuldendienstverpflichtungen nicht nachkommen (1980 drei, 1976 ein Land), und umgeschuldet werden mußten Fälligkeiten in Höhe von 46 Mrd. US-Dollar. Davon entfielen 35 Mrd. US-Dollar auf Tilgungsverpflichtungen bei privaten Banken und 11 Mrd. US-Dollar auf staatliche Gläubiger. Die Banken mußten allein für Mexiko 19 Mrd. US-Dollar umschulden und diese allgemeine Entwicklung ging — wie zu zeigen ist — weiter.
In den Prozeß zur Vermeidung eines Finanzkoilaps griffen neben den privaten und staatlichen Gläubigern auch Regierungen, Zentralbanken und internationale Finanzorganisationen wie IWF, Weltbank und Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ein. 1982 spielte gerade die BIZ als Krisenmanager, Koordinator und Geldgeber eine überaus wichtige Rolle. Als etliche Länder immer mehr in Zahlungsverzug gerieten, ihre Währungsreserven gering waren und Banken ihre freiwillige Kreditvergabe Zug um Zug einschränkten, sprang die BIZ mit sogenannten Bridging Credits (1982: 9 Mrd. US-Dollar) ein. um einen allgemeinen Zusammenbruch zu vermeiden und den Gläubigern Zeit für angemessene eigene Reaktionen zu ermöglichen. Trotz zurückgehender Summen dieser Bridging Credits seit 1982 blieb die Funktion der BIZ als internationaler Finanz-Feuerwehr erhalten.
IV. Internationales Krisenmanagement
Abbildung 4
Tabelle 3: Auslandsschulden kapitalimportierender Entwicklungsländerim Vergleich zu Bruttosozialprodukt und Exporten
Quelle: IMF, World Economic Outlook, Washington, D. C., Oktober 1985 und Oktober 1986. 1984 1985 1986
Tabelle 3: Auslandsschulden kapitalimportierender Entwicklungsländerim Vergleich zu Bruttosozialprodukt und Exporten
Quelle: IMF, World Economic Outlook, Washington, D. C., Oktober 1985 und Oktober 1986. 1984 1985 1986
Das Hauptinstrument für das 1982 einsetzende Krisenmanagement waren die sogenannten Umschuldungen, unter denen Kreditverträge zwischen (einer Gruppe von) Gläubigem und einem Schuldner zu verstehen sind. Diese Technik, mit der die fälligen Tilgungen des Schuldners einfach in die Zukunft verlagert werden (Schuldenstreckung), reduzierte die Crash-Gefahr, weil der Schuldner seine knappen Devisen auf die Zahlung der fälligen Zinsen konzentrieren konnte und die Gläubiger diese Forderungen nicht sofort als uneinbringlich abschreiben mußten.
Mit den Umschuldungen konnte die zunächst notwendige Atempause gefunden werden, um über das Phänomen der Verschuldungskrise und seine Bewältigung nachdenken zu können. Die privaten Gläubiger (Banken) sowie die staatlichen Gläubiger, die im sogenannten Pariser Club organisiert sind, verhandeln mit den Schuldnern über die anstehenden Umschuldungen jeweils separat. Die Umschuldungspraxis hat sich im Laufe der Zeit geändert, mehrere Umschuldungsphasen lassen sich unterscheiden. Obgleich die Vielfalt der Umschuldungstypen zugenommen hat, kamen nichtsdestoweniger immer deutlichere Zweifel an der Richtigkeit dieser Umschuldungsstrategie auf.
In der ersten Stufe der Umschuldungspolitik der Jahre 1982/83 erwuchsen die Umschuldungsbedingungen der Schock-Reaktion der Banken auf die Zahlungskrise. Die jeweiligen Fälligkeiten, meistens die eines Jahres, wurden auf einen Zeitraum von bis zu acht Jahren gestreckt. Der Zinsaufschlag (Spread) erreichte mit 2 bis 2, 25 Prozentpunkten über LIBOR Rekordhöhen und Strafzins-Charakter. Außerdem hatten die Schuldner saftige Umschuldungsgebühren zu entrichten.
/Kurzfristiges Krisenmanagement herrschte ebenfalls in der Phase 2 (1984/85) vor. Für die zahlungsunfähigen Länder wurden lediglich die Zinsaufschläge und Gebühren langsam reduziert, die Umschuldungszeiten verlängert und man begann, die Fälligkeiten gleich mehrerer Jahre (Multi Year Rescheduling Agreement — MYRA) neu zu gestalten.
Der Schritt von der kurzfristigen Krisenbewältigung zur langfristigen Schuldenkonsolidierung begann dann in der Phase 3 1986/87 bei Mexiko mit einer Umschuldungszeit von 20 Jahren, sehr niedrigem Zinsaufschlag, Fortfall der Gebühren und erstmalig der Gewährung von an Referenzgrößen (Ölpreis bzw. Wachstumsrate des Sozialprodukts) gekoppelten Neu-Krediten (fresh money). Durch diesen „bahnbrechenden“ Modus, der „Wachstumsfazilitäten“, Schuldendiensterleichterungen, eine modifizierte Auflagenpolitik des IWF, Strukturkredite der Weltbank und Garantien für die Geschäftsbanken enthält, sollte den Entwicklungsländern ein allmähliches Herauswachsen aus der Zahlungsunfähigkeit ermöglicht werden.
Auf der jetzigen, bislang letzten Stufe der Umschuldungspolitik wird der Wechsel von der „Schuldenstreckung mit Schuldendiensterleichterungen“ zum „Schuldenerlaß durch Schuldenumwandlung“ versucht. Dieses Konzept des Schuldenmanagements trägt der Einschätzung Rechnung, daß trotz vielfältiger Umschuldungsbemühungen ein wirklicher Durchbruch in der Verschuldungskrise nur durch den Abbau der Auslandsschulden möglich wird. Lösungsansätze dieser Art werden mehr und mehr erprobt, beispielsweise durch Schuldenumwandlung und den Rückkaufvon Schulden mit Abschlag, wie er auf den sogenannten Sekundärmärkten gilt.
Bei der Schuldenumwandlung in Inlandswährung wird eine Auslandsschuld in eine auf die Inlandswährung des Schuldnerlandes lautende Obligation bzw. in eine Untemehmensbeteiligung getauscht. Der Umfang solcher Schuldenkonversion betrug 1987 4 Mrd. US-Dollar, seit 1984 8 Mrd. US-Dollar; Chile konnte auf diese Weise sogar 26 % seiner Bankenschulden tilgen
Das Modell „Schuldenerlaß durch Schuldenumwandlung“ entspricht dem neuen Mexican Debt Plan Im Frühjahr 1988 gelang diesem Land eine ansehnliche Rückkaufsoperation: Durch den Einsatz von 2, 7 Mrd. US-Dollar Devisenreserven konnten Bankschulden von rd. 4 Mrd. US-Dollar zurückgekauft werden. Diese Schuldentausch-und Schuldentilgungsaktion war möglich durch einen Forderungsverzicht der Banken im Umfang von 23 bis 37% (Abschlagsquote) auf den ausstehenden nominalen Kreditbetrag.
Die zweite wichtige Stabilisierungskomponente bezieht sich nicht auf die Schuldner-, sondern auf die Gläubigerseite. Durch Veränderung verschiedener Bausteine der Banksysteme einzelner wichtiger Gläubigerstaaten wurde nach langem Zögern endlich ein Prozeß in Gang gesetzt, der die aus der Verschuldungskrise resultierenden Herausforderungen aufzufangen trachtete. Die offizielle Unterstützung einflußreicher Gläubigerstaaten wie USA, Japan und Großbritannien beispielsweise durch besondere Abschreibungs-bzw. Rückstellungsregeln für zweifelhafte Forderungen bei den Geschäftsbanken war eine elementare Vorbedingung zur praktischen Umsetzung dieses neuen Schuldensanierungs-Versuches. Gleichzeitig stellten diese Maßnahmen auf der Gläubigerseite eine bedeutsame Ergänzung zur Verbesserung der Struktur der Bankbilanzen durch Kapitalaufstockung und dosierte Abschreibungen dar.
Noch kann angesichts der kurzen Erfahrungszeit mit solchen Operationen nicht von einem tragfähigen Konzept überzeugender Lösungsansätze gesprochen werden, denn dafür sind noch zu viele andere Unsicherheitsfaktoren im Spiel. Gleichwohl wird immer deutlicher, daß das Krisenmanagement der Gläubigerländer nicht mehr an Modellen zur Schuldenreduzierung der Entwicklungsländer vorbeikommt. *
Quelle: IMF, World Economic Outlook, Washington, D. C., Oktober 1985 und Oktober 1986, entnommen aus: M. Holthus, Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer. Bonn 1987, S. 14.
Quelle: IMF, World Economic Outlook, Washington, D. C., Oktober 1985 und Oktober 1986, entnommen aus: M. Holthus, Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer. Bonn 1987, S. 14.
Zieht man nach sechs Jahren Umschuldungspraxis Bilanz, so kommt man nicht umhin festzustellen, daß die Verschuldungslage vieler Entwicklungsländer nach wie vor prekär geblieben ist. Das kurzfristige Umschuldungsziel der Vermeidung eines weltweiten Finanzkollaps konnte zwar erreicht werden; die Methoden des bisherigen Krisenmanagements stoßen jedoch nicht bis ins Zentrum der Verschuldungsproblematik vor und lassen deshalb kein Erreichen des langfristigen Ziels — nämlich die Wiederherstellung der internationalen Kreditwürdigkeit zumindest der Hauptschuldnerländer — erkennen.
Neben dieser „monetären“ Komponente ist zu beachten, daß sich die außenwirtschaftliche Position der Entwicklungsländer in der Weltwirtschaft seit 1982 nicht entscheidend verbessert hat. Mit der außergewöhnlichen Verbesserung ihrer Leistungsbilanzen zwischen 1982 und 1985 zeigten diese Länder ihre Bereitschaft zur außenwirtschaftlichen Sanierung; aber diese Anpassung konnte nicht dauerhaft durchgehalten werden. Die politische und ökonomische Verfassung vieler Länder der Dritten Welt bleibt mit wieder gestiegenen Inflationsraten, abnehmenden Investitionen und geringerem Wachstum labil; ihre wirtschaftliche Sanierung steht noch an, gelöst zu werden. Sie konnte bisher nicht gelingen, weil die aufgezeigten strukturellen Ursachen weitgehend fortbestehen, weil eine harte außen-wirtschaftlich orientierte Austeritätspolitik politisch nicht durchsetzbar ist und vielfach Demokratisierung vor Schuldendienst rangiert. Weil ihre Kreditwürdigkeit weiterhin angeschlagen ist, ziehen sich die Banken am liebsten aus dem Geschäft zurück und können nur über politischen Einfluß, insbesondere des IWF, zu „künstlicher“, d. h. unfreiwilliger Kreditvergabe bewegt werden. Neben der Überschätzung der Anpassungsfähigkeiten der Entwicklungsländer und der Kooperationsbereitschaft der Banken ist ferner zu erwähnen, daß dem IWF Mängel in seinen Konzepten vorgehalten werden und daß die zentralen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen viel zu optimistisch beurteilt wurden
Versuche zur Politisierung der Verschuldungskrise hat es mit der Gründung der sogenannten Cartagena-Gruppe gegeben, in der sich 1984 zwölf lateinamerikanische Länder zusammengefunden haben, aber mit geringem Erfolg: Erstens weil die Groß-schuldner Brasilien. Mexiko und Venezuela sich von einer gemeinsamen Schuldenkartell-Strategie nichts versprachen, und zweitens, weil der Baker-Plan (benannt nach dem US-Finanzminister) 1985 neue Mittel an 15 hochverschuldete Länder versprach Dieser Plan, der unrealistischerweise von einer 100%igen Tilgungsmöglichkeit der Schulden der Entwicklungsländer ausging und nur teilweise realisiert wurde, hat nicht zur Überwindung der Krise beigetragen und ist überholt; er hat lediglich die Brüchigkeit des Schuldenmanagements verdeckt, sie jedoch nicht beseitigt.
Perus waghalsige Zahlungsverweigerung im Jahre 1985 war, für sich genommen, keine ernsthafte Herausforderung für seine Gläubiger. Doch wenn Schuldendienstbegrenzung ansteckend wirkt bzw. Großschuldner Zahlungsverweigerungen aussprechen, um nicht auszubluten, sieht die Sache anders aus; so war es ein Warnsignal, als Brasilien Anfang 1987 eine Notbremsung machte und ein einseitiges Zinsmoratorium verfügte sowie außerdem noch den IWF als Umschuldungskoordinator ablehnte.
Eine neue Zuspitzung der Verschuldungskrise stand damit ins Haus. Neue Zerreißproben ähnlich spektakulärer Art können wieder bei einem einzelnen Land oder generell für alle Schuldner auftreten — beispielsweise, wenn die Zinsen vom jetzt relativ niedrigen Niveau wieder deutlich steigen und mithin ebenfalls die Schuldendienstbelastungen für alle Entwicklungsländer zunehmen.
Nach der Zuspitzung mit Brasilien Anfang 1987 tendiert die Lage zwischen den Banken und den Regierungen der Entwicklungsländer dazu, „einer mehr konstruktiven Haltung zu weichen“ Dieser atmosphärische Trend kann nicht verdecken, daß die Verschuldungskrise nicht gelöst ist, unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen die nächste Zerreißprobe vorprogrammiert ist und es deshalb gilt, ein neues Fundament zu schaffen.
Die endlose Finanzierung der Zinszahlungen zahlungsunfähiger Entwicklungsländer ist aufzugeben, weil sie nur die Verschuldung erhöht und die Schuldendienstkraft der Länder der Dritten Welt weiter schwächt. Demgegenüber sollten die finanzielle Belastbarkeit der Schuldner und ihre Schuldendienstverpflichtungen in Einklang gebracht werden. Nach dem Prinzip der Einzelfallregelung wäre ein mehrstufiges Programm zum partiellen Schuldenerlaß zu entwickeln. Die Voraussetzungen dafür sind — auch in den USA — mehr und mehr erfüllt.
Klaus Schröder, Dr. rer. pol., geb. 1943; wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsinstituts für internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Arbeitsschwerpunkte: Wirtschaft der Sowjetunion und Osteuropas, insbesondere Ost-West-und internationale Finanz-beziehungen. Veröffentlichungen u. a. : Die Kooperationspolitik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Ländern des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, Berlin 1979; Die Kredit-und Verschuldungspolitik der Sowjetunion gegenüber dem Westen, Baden-Baden 1987.
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