Der Blick wird in diesem Beitrag vorzugsweise auf die Untersuchungen zur Auseinandersetzung deutscher Antifaschisten mit dem Gegner in dessen eigenem Herrschaftsgebiet zwischen 1933 und 1945 gerichtet. Das ist insofern problematisch, als gerade die deutschen Kommunisten, deren Widerstand im Mittelpunkt der Forschungen der DDR steht, ihre Auseinandersetzung mit dem Faschismus als Teil des internationalen Klassenkampfes begriffen, so daß die Markierungen 30. Januar 1933 und 8. Mai 1945 der Kontinuität des kommunistischen Antifaschismus von der Weimarer Republik bis in die ersten Jahre nach der Befreiung ungenügend Rechnung tragen.
Gerade die Publikation von G. Benser über Adie KPD im Jahre 1945 hat dieses Kontinuitätsmoment verdeutlicht. Doch nicht nur der hier zur Verfügung stehende Raum zwingt zur Beschränkung. Die Bedingungen, die das nationalsozialistische Regime dem deutschen Widerstand aufzwang, waren von ganz eigener Art. In Deutschland existierte das geschlossenste Repressivsystem, war es am schwersten, Antifaschismus als nationale Befreiungsbewegung zur Geltung zu bringen. Das spiegelt auch die Forschungslage — und nicht nur die der DDR — wider.
Die Kontinuität des kommunistischen Widerstandes fand ihre Fortsetzung und Entsprechung in der Erforschung des Antifaschismus in der DDR; man ist versucht zu sagen, auch die diskontinuierlichen Momente im Antifaschismus der deutschen Kommunisten. vor allem was die zeitliche Abfolge betrifft, lassen sich in den Stufen der Forschung annähernd wiedererkennen. Deshalb erscheint es zweckmäßig, die Entwicklungstendenzen in der Historiographie zum Thema Antifaschismus bis in die siebziger Jahre zu skizzieren, bevor die aktuelle Forschungslage diskutiert wird.
I. Grundzüge in der Geschichtsschreibung der DDR über den antifaschistischen Widerstand von der Staatsgründung bis in die siebziger Jahre
Die Erforschung und Darstellung des Antifaschismus hatte für das Geschichtsdenken in der DDR immer eine besondere, in gewisser Hinsicht eine konstitutive Bedeutung. Das hängt ursächlich damit zusammen, daß im marxistisch-leninistischen Verständnis vom Gang der Geschichte die Rolle der Arbeiterklasse historisch begründet ist. Es war daher folgerichtig, die Gründung und Entwicklung des sozialistischen Staates auf deutschem Boden als Resultat gesetzmäßiger geschichtlicher Entwicklung zu verstehen und verständlich zu machen. Daß dabei die Auseinandersetzung mit dem Faschismus von Anfang an einen besonderen Platz einnahm und bis heute einnimmt, ergab sich zwangsläufig daraus, daß die nazistische Diktatur die Existenz Deutschlands in Frage gestellt hatte und daß die Hunderttausende, die in Deutschland unter schwersten Bedingungen sich dem Terror widersetzt hatten, die Wiederaufnahme des deutschen Volkes in den Kreis der anderen Völker legitimierten.
Die Zugehörigkeit der meisten Persönlichkeiten, die die antifaschistisch-demokratische Umwälzung vorantrieben, zur Widerstandsbewegung hat die Konturierung des Geschichtsbildes der DDR begünstigt. Aber es ging bei der Vermittlung des Zusammenhangs von Antifaschismus und Staatsentwicklung nicht um eine Art Selbstlegitimierung. Die antifaschistische Tradition wird in der DDR bis heute, worauf H. Mommsen aufmerksam machte, als „eine unentbehrliche Dimension“ des „, nationa23 len’ Selbstverständnisses erblickt“ 7) — eben weil erst diese Tradition einen Neuanfang ermöglichte, was im Bewußtsein der Bevölkerung durchaus nicht verorengegangen ist und auch in der aktuellen Politik immer wieder eine Rolle spielt.
Ein relativ frühes Resümee verwies auf die Schwerpunkte in der Erforschung und Darstellung des . Antifaschismus nach knapp 15 Jahren seit der Befreiung 5'), wie sie seitdem zwar modifiziert, auch unterschiedlich gewichtet, im ganzen aber erhalten gebheben sind Das Gedankengut des Antifaschismus wurde sofort, vor allem publizistisch. verbreitet. Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit wurden in den fünfziger Jahren in bereits größerem Umfange ver-
öffentlicht. Zu nennen sind vor allem Dokumentationen . so die Herausgabe von Reden und Schriften führender kommunistischer Funktionäre-insbesondere von W. Pieck. W. Ulbricht. E. Thälmann. F. Dahlem. W. Florin“), von Grundsatzdokumenten der Kommunisten 5) und biographischen Dokumenten. eie nicht zuletzt der Emotionalisierung des Themas dienten, etwa durch die Aufnahme letzter Zeugnisse zum Tode verurteilter Widerstands-kämpfer • Was Emotionalisierung und biographi-sehe Dokumentation betraft so nahm S. Herm ms „Die erste Reihe“ ). wo in PortraKkimen vor aEem der Widerstand von Jugendlichen dokumentarisch belegt, aber poetisch überhöht dargestellt wurde, eine Sonderstellumg ein. hatte das Euch doch außerordemtliche Wirkung auf eine sich entwickelnde äterarische Tradition, die bis heute ungebrochen erscheint. Gleichzeitig wurden vor allem in Zeitschriften Ergebnisse von Detailuntersuchungen sowie erste umfangreichere Publikationen über das Wirken der großen kommunistischen Organisationen im illegalen Widerstand veröffentlicht, so über die von A. Saefkow, F. Jacob und B. Bästlein geleitete Organisation im Berliner Raum, über die westsächsische unter Führung von G. Schumann. O. Engert und K. Kresse oder über die thüringische T. Neu-bauers und M. Posers 8).
Die Skizzierung der Widerstandsforschung bis hierher scheint der oft geäußerten Kritik nichtmärristischer Historiker recht zu geben, daß in der DDR der Widerstand aus den Reihen der Arbeiter und in Sonderheit der von Kommunisten unzulässig vergrößert und einseitig herausgehoben, der aus nicht-
proletarischen Kreisen aber vernachlässigt oder herabgemindert worden sei 3. Gewiß ist nicht zu übersehen, daß die Konfrontation beider deutscher Staaten in den fünfziger und sechziger Jahren die besondere Hervorhebung der ganz eigenen Tradi-
tion begünstigte. dies jedoch auf beiden Seiten. Die Tendenz des realen Kräfteverhältnisses im Wider-
stand wurde aber in derDDR-Historiographie frühzeitig annähernd reflektiert, und es wird heute in der westdeutschen Geschichtsschreibung gar nicht mehr so häufig bestritten, daß die Kmrmsm den am meisten kontinuierlichen, wirkungsvollsten und opferreichsten Kampf geführt haben, es sei denn, man anerkennt zwar wie E Nolte den Einsam. bezweifelt aber dessen antifaschistischen Gehalt IO . Außerdem ist darauf zu verweisen., daß bereits in der frühen Widerstandsforschung vor allem Sozialdemokraten. doch auch Regimegegner bürgerlicher oder kleinbürgerlicher Herkunf und mcrticoi----umsrischer Gesinnung mehr als nur Erwähnung fanden so vor allem in den dokummentier-ten Lebensbildem. aber auch in generalisierenden Emscrämmgen. Außerdem ist zu berücksichtigen daß die Heraushebung des Arbeiterwiderstandes auch deshalb notwendig erschien, um die antifaschi-stische i—resm ’-mg wirlich als Bruch mit der unheilvollen Vergangenheit bewußtzumachen. Und nicht zu vergessen: Die wenigen Kader, die sich äa—us systematisch der Aufarbeitng der Geschichte widmen (Tran hatten gar keime andere M öglichkeit als sich auf das W esentlichste zu kon-zentrieren. Tendenziell war damit die soziale und politische Breite im Antifaschismus anvisiert, wenngleich längst nicht in der Ausgewogenheit wie heute.
Anfang der sechziger Jahre war die Möglichkeit gegeben, Kurs auf einen ersten Gesamtüberblick über die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung zu nehmen. Daß dies im Rahmen der 1966 erschienenen „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ geschah, war nach der Entwicklung der Geschichtsschreibung der DDR bis dahin folgerichtig. Obwohl die Darstellung des Widerstandskampfes in ihr — was die Wertungen betrifft — sich nicht wesentlich von früheren Abhandlungen des Themas unterschied, bedeutete nicht nur der Versuch der Gesamtschau, sondern auch die grö-ßere Berücksichtigung des sozialen und politischen Umfeldes einen deutlichen Schritt nach vorn.
Die Charakterisierung des antifaschistischen Widerstandes, wenige Jahre vor dem Erscheinen der „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ in einem Nachschlagewerk fixiert, war unter den genannten politischen und wissenschaftlichen Bedingungen konsequent: Er wurde als „Kampfbewe-gung gegen das I litlerregime und für den Sturz der faschistischen Diktatur, deren Teilnehmer aus nahezu allen Kreisen und Schichten des deutschen Volkes, vor allem aus der Arbeiterklasse kamen“, bezeichnet. Die Konstatierung der vorherrschenden proletarischen Komponente führte zur Wertung: „In seiner Zielsetzung war er Klassenkampf gegen den deutschen Imperialismus.“
II. Neue Überlegungen zur Widerstandsdefinition
Diese Sicht des Widerstandes war bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre hinein vorherrschend. Wenn sie durch den Verweis auf heterogene Klassenkräfte in sich vielleicht widersprüchlich war, so entsprach das einerseits der Realität einer im Vergleich zu früheren Erfahrungen erlebten Ausnahmesituation, der sich die meisten Gegner des Nationalsozialismus wenn nicht sofort, so doch zunehmend bewußt wurden — denken wir an die Überlegungen führender Kräfte im kommunistischen und bürgerlichen Widerstand vor und bei der Kontaktaufnahme im Vorfeld des Attentats am 20. Juli 1944. Andererseits entstand allmählich ein Mißverhältnis zwischen der klassenkämpferischen Akzentuierung in der Definition und den Ergebnissen der Widerstandsforschung der DDR im Verlauf von fast 30 Jahren Mehr und mehr wurde in dieser die soziale und politische Breite des Antifaschismus insgesamt und in einzelnen Gruppen deutlich, ohne daß dadurch die Überzeugung von der relativen Breite des Arbeiterwiderstandes im Vergleich zu dem anderer sozialer Gruppen und von der Konsequenz und Effektivität des kommunistischen Kampfes aufgegeben werden mußte. Die zahlreichen Detailforschungen vor allem auf regionaler Ebene bestätigten vielmehr diese Überzeugung.
Dieser Widerspruch wurde auch in einzelnen Publikationen deutlich, so in der Überblicksdarstellung für den Zeitraum von 1933 bis 1939 von K. Mam-mach. In ihr ist die Feststellung zu lesen: „Der antifaschistische Widerstandskampf war seinem Wesen nach Klassenkampf zwischen der Arbeiterklasse sowie anderen Werktätigen und dem Monopolkapital“ aber der Autor verweist dann selbst auf Momente, die zeigen, wie problematisch diese Einschätzung ist, und im Buch werden die unterschiedlichen Zielvorstellungen sowie Motivationen unter den Gegnern des NS-Regimes hervorgehoben — diese wurden in der DDR immer in ihrer Interdependenz gesehen, was die Forschungskonzeptionen nachhaltig bestimmte; dies begünstigte und bedingte am Ende der siebziger und zu Anlang der achtziger Jahre neue Überlegungen zur Widerstandsdefinition. Der 1980 erschienene Band „Fa-schismusforschung" die bis dahin wohl wichtigste Veröffentlichung zum Thema, kennzeichnete mit seinem Untertitel das Bestreben nach einer Positionsbestimmung. Der in diesem Sammelband von Mammach verfaßte Beitrag zum antifaschistischen Widerstand der KPD war zwar eher ein Bericht über die Forschungsresultate als eine Problematisierung der Thematik, deutete aber eine größere Offenheit hinsichtlich der Definierung des Antifaschismus an.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich ein großes Kollektiv von Wissenschaftlern vor allem aus der Akademie der Wissenschaften, dem Militärgeschichtlichen Institut und dem Institut für Marxismus-Leninismus mitten in der Arbeit an der sechsbändigen „Geschichte Deutschlands im zweiten Weltkrieg“ Die Arbeit an diesem Projekt förderte nachhaltig Diskussionen, die der Kompliziertheit der Geschichte Deutschlands und vor allem des deutschen Volkes während der faschistischen Diktatur besser als zuvor Rechnung trugen. Unübersehbar waren Einflüsse des Entspannungsprozesses der siebziger Jahre in Europa, die Hemmschwellen, auch gegenüber anderen wissenschaftlichen Positionen, abbauen halfen. Das ermöglichte auch eine bessere Einordnung der deutschen Widerstandsbewegung in den internationalen Kampf gegen den Faschismus.
Am intensivsten wurden die Diskussionen um den Widerstandsbegriff 1984 geführt. Auf einem internationalen Kolloquium, an dem auch namhafte Forscher aus der Bundesrepublik teilnahmen, verwies W. Wimmer darauf, daß die Kommunisten am flexibelsten und kooperationsbereitesten gehandelt und damit die Chance zu sozial nicht begrenzten Bündnissen eröffnet haben. So konnte es sogar zur Zusammenarbeit von Kommunisten und Antikommunisten kommen, wenn als das gemeinsam Verbindende der Antifaschismus des anderen anerkannt wurde. Daher bezeichnete Wimmer den antifaschistischen Widerstand auch nicht als direkten Ausdruck des Klassenkampfes, aber als einen Kampf, der sich objektiv gegen die Verwurzelung des Faschismus in der bürgerlichen Gesellschaft gerichtet habe. Diese Position fand auf dem Kolloquium weitgehend Zustimmung
Die Selliner Diskussion hat Forschungen und Debatten zum Thema Widerstand bis heute maßgeb-lich beeinflußt. Zwar ist seitdem der Gegenstand nur selten definitorisch behandelt worden doch zeigen die Bewertungen des antifaschistischen Widerstandes in wichtigen Publikationen die ungebrochene Wirkung der Erörterungen von 1984. In der jüngsten repräsentativen Publikation zur deutschen Geschichte durch DDR-Historiker verweist O. Grochlev vor allem auf den Humanismus, der das Profil des sozial weitgefächerten deutschen Widerstandes bestimmte. „Seinem sozialen Inhalt nach war er zunächst eine Abwehr der vom Faschismus für Frieden und Demokratie, für sozialen Fortschritt und Humanität ausgehenden Gefahren . . . Die deutsche Widerstandsbewegung war die den Bedingungen der faschistischen Diktatur entsprechende Form der politischen Auseinandersetzung zwischen den Kräften der extremen imperialistischen Reaktion auf der einen und denen der Demokratie, der Humanität und des Friedens auf der anderen Seite.“
Die modifizierte Charakteristik der deutschen Widerstandsbewegung als Ganzes äußerte sich nicht zuletzt in einer differenzierteren, positiveren Bewertung der bürgerlichen Regimegegner und namentlich der Verschwörung, die zum 20. Juli 1944 führte. Es hat in der DDR-Geschichtsschreibung nie ein pauschal negatives Urteil über die Verschwörer gegeben; der Gruppe um Stauffenberg und dem Kreisauer Kreis waren Patriotismus und weitgehend progressives Denken attestiert worden, wobei K. Finker mit seinen vielgelesenen Büchern über Stauffenberg und die Kreisauer besondere Akzente setzte. Es schien jedoch unmöglich, die Verschwörung insgesamt dem antifaschistischen Widerstand zuzuordnen. Dies aber geschah anläßlich des 40. Jahrestages des Attentats auf Hitler mit der Begründung, daß die Beteiligten den Mut gehabt hätten, sich gegen den Faschismus und die ihn tragenden oder begünstigenden imperialistischen Kreise zu stellen Diese Wertung führte nicht zu einer Verwischung der Interessengegensätze zwi-sehen den Gruppen innerhalb der Verschwörung, im Gegenteil. In den Bänden 5 und 6 der „Geschichte Deutschlands im zweiten Weltkrieg“, wo die Vorbereitungen des Putsches und dieser selbst bemerkenswert viel Platz eingeräumt erhielten, wurde differenzierter als früher Verbindendes wie Trennendes zwischen den Gruppen und innerhalb dieser herausgearbeitet. Damit wurde die Voraussetzung geschaffen, die konservativ-bürgerliche Opposition gegen den Faschismus noch stärker unter entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten zu erfassen, was insbesondere für den Kreis um Beck und Goerdeler und für Widersprüche in ihm weiteren Aufschluß geben sollte.
Daß in den Diskussionen zum Widerstandsbegriff und zur Bewertung des 20. Juli 1944 unter Historikern und weit darüber hinaus unterschiedliche Standpunkte geäußert wurden, ergibt sich aus der Natur der Gegenstände. Der Verfasser erlebte es selbst, wie Leipziger Antifaschisten, ehemalige Kommunisten und Sozialdemokraten, betroffen auf einige Wertungen vor allem in der Tagespresse reagierten und dennoch — bewundernswert genug! — Verständnis für eine teilweise neue Sicht zeigten. Sie hatten, als Goerdeler in seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister mit den Nazis der Messestadt noch kooperierte, bereits mutig Widerstand geleistet.
Die empirische Forschung zeigt immer wieder, daß es bei einem großen Teil der zu untersuchenden „Fälle“ schwerfällt, zu unterscheiden, ob sie zum Widerstand zu rechnen sind oder nicht. Die marxistisch-leninistischen Historiker der DDR lehnen dennoch einhellig den Terminus „Resistenz“ ab. Er mag z. B. eine schwer zu definierende Haltung zwischen Widerstand und Anpassung recht gut wiedergeben, mindert aber durch die Verwischung der Grenzen, die eine solche „Resistenz“ vom tatsächlichen Widerstand trennen, diesen in seiner Bedeutung. Der antifaschistische Widerstand fand unter historisch einzigartigen Rahmenbedingungen statt, weshalb auch seine Einordnung in ein allgemeines Widerstandsrecht problematisch erscheint. Der Versuch, den Begriff Widerstand (und zwar unter den konkreten faschistischen Bedingungen) aus sachlichen oder stilistischen Gründen durch andere zu ersetzen, bedeutet letztlich ein Ausweichen. W. Markov, der sich durch seine Forschungen zur Französischen Revolution international großes Ansehen erwarb, griff indirekt in die Diskussion zum Widerstandsbegriff ein, indem er schrieb: „Wenn jemand seinen Kopf bewußt hinhielt, zählte das mehr als die schönste linke Ideologie hinter dem Ofen“ (Hervorhebung von mir, W. B.). Risikobereitschaft, erwachsen aus einer mindestens partiell bewußten Gegnerschaft zum Faschismus, worauf auch in Sellin als notwendiges Kriterium für Antifaschismus aufmerksam gemacht wurde sollte deshalb ein unverzichtbarer Maßstab für den Widerstand sein.
III. Resultate und Problemfelder der aktuellen Forschung
Auch in den achtziger Jahren waren die Aktivitäten der Kommunisten in Deutschland das dominierende Thema der Widerstandsforschung. Auf einen Nenner gebracht, ging es (und geht es noch) um eine annähernde Gesamtschau, wobei wichtige Beiträge zu Detailproblemen — im Vergleich zu vorher teils ergänzend, teils Lücken füllend — und Überblicksdarstellungen erbracht wurden. Von den letzteren ist vor allem H. Kühnrichs Taschenbuch zu nennen. Auch Mammachs „Widerstand 1939— Überblicks 1934“ die Fortsetzung seines über die Jahre 1933 bis 1939 (von 1974), ist faktisch hierzu zu rechnen; zwar ist der Autor um die Darstellung des Gesamtwiderstandes bemüht, doch hat in allen Abschnitten der kommunistische faktisch die Spitzenstellung; zu ihm wird der nichtkommu-nistische weitgehend nur in Beziehung gesetzt. Den Charakter eines Überblicks in Fortsetzungen haben die Abhandlungen über die KPD in der „Geschichte Deutschlands im zweiten Weltkrieg“. Diese Publikationen bauen auf Einzeluntersuchungen auf, die teils aus den siebziger und weiter zurückliegenden Jahren stammen, teils zeitlich annähernd parallel liefen. Sie treffen Aussagen zur Entwicklung der Programmatik und Strategie der KPD-Führung, geben Einblick in die Organisation sowohl der Gesamtpartei wie der einzelnen Gruppen, berichten — und das nimmt den größten Raum ein — über die Aktivitäten im Widerstand und widmen auch der Analyse der Formen sowie der Mittel große Aufmerksamkeit. Für die Komplexität sprechen auch die Einbeziehung des Exils, des sowjetischen und nichtsowjetischen, und die sehr breite Darstellung des regionalen Widerstandes. Die Darstellungen zur Programmatik und Strategie basieren überwiegend auf früheren Erkenntnissen, enthalten aber bisher unbekannte Vorstellungen der illegalen Führungskader in Deutschland 1943/44 sowohl zur Selbstverständigung über die Lage als auch zur Perspektive nach der Befreiung Diese konzeptionellen Gedanken entstanden auf Grund der schwierigen Bedingungen, die keine systematische, kontinuierliche Verbindung mit der Parteiführung im sowjetischen Exil zuließen, von dieser relativ unabhängig. Sie weisen aber mit den Orientierungen des Zentralkomitees der KPD und des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ ein solches Maß von Übereinstimmung auf, daß von einer größeren Distanzierung der Illegalen in Berlin und Leipzig, wie H. Weber sie annimmt keine Rede sein kann.
Ein erheblicher Gewinn aus diesen neueren und neuesten Veröffentlichungen besteht in dem Zuwachs an Wissen und Erkenntnissen über Widerstandshandlungen in der Endphase des Krieges. Die bedeutsamste Studie für diesen Zeitabschnitt legten H. Meyer und K. Pech vor Längere Zeit herrschte auch in der marxistischen Geschichtswissenschaft die Auffassung vor, nach der Zerschlagung der großen Gruppen im Sommer 1944 seien die antifaschistischen Aktivitäten in Deutschland abgeflaut. Das Bild sieht jetzt jedoch etwas anders aus. Zwar gelang es danach kaum noch, größere Organisationen aufzubauen aber in nicht wenigen Gegenden nahm die Zahl derjenigen, die sich dem Faschismus und der Zerstörung widersetzten, sogar zu. Es gab dabei gewiß auch das Bestreben, sich zu entziehen, zu retten (aber war Fahnenflucht nicht auch Widerstand, sogar ein effektiver?), doch es wuchs bei nicht gar so wenigen — auch bei Nicht-kommunisten — die Risikobereitschaft, vor allem als die Fronten heranrückten, Kampfhandlungen und Zerstörungen zu verhindern, sich auf Maßnahmen nach der Befreiung vorzubereiten sowie auf die Sicherung der Versorgung mit dem Nötigsten und auf schnelle Schritte zur politischen Umgestaltung.
Es wäre zu einfach, ja ungerecht, hierin nur eine Flucht nach vorn bei denen zu sehen, die sich bis dahin herausgehalten hatten oder gar ein Rädchen im Machtgetriebe gewesen waren. Das Risiko war angesichts der drakonischen Strafmaßnahmen gegen „Defätisten“ außerordentlich groß, wie jeder wußte. Opportunisten versuchten nicht aufzufallen, Mitschuldige unterzutauchen. Wer sich in diesen Wochen engagierte, hielt bewußt den Kopf hin.
Hier werden Defizite in der Erforschung der Motivation für Verhaltensweisen während der Diktatur überhaupt deutlich. Warum Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen sich dem Faschismus entgegenstemmten, ist im allgemeinen und zumeist auch für den einzelnen bekannt. Aber für die, die abseits standen oder schwankten, dann doch zum Widerstand stießen (oder sich aus diesem zurückzogen), gibt es zwar häufig Erklärungen, aber es fehlt — trotz der vielen regionalen Untersuchungen — ausreichendes empirisches Material, und es gibt wohl noch nicht genug theoretische Vorleistungen, um dem Phänomen im ganzen auf die Spur zu kommen.
In der Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Widerstand rechnet G. van Roon die „propagandistischen Aktivitäten“ zu letzterem -Schon von der Semantik her möchte man hier Zweifel anmelden, denn zur gewaltsamen Aktion — nach van Roon der Ausdruck aktiven Widerstands — gehört zumeist vorbereitend oder begleitend die Propaganda; ein Umsturzversuch ist ohne diese im Vorfeld kaum denkbar. Die verbreitetsten Formen antifaschistischen Widerstandes, sicher nicht nur des kommunistischen, waren das Verbreiten von Flugblättern, Zeitungen u. a. sowie die mündliche Aufklärung, was nicht zuletzt damit zusammenhing, daß gerade der deutsche Faschismus die Erfolge bei der Gewinnung oder Desorientierung von Menschen zu einem großen Teil seiner Propaganda verdankte. In nahezu allen Publikationen zum antifaschistischen Kampf wurde immer auf diese Form des Widerstandes eingegangen; es ist aber ein besonderes Verdienst von M. Pikarski und G. Übel, in einer eigenständigen Untersuchung eine Darstellung zur Flugblattpropaganda, der eine große Zahl meist faksimilierter Beispiele hinzugefügt wurde, vorgelegt zu haben Die Analyse der illegalen Presse von J. Stroech hat ähnliche Bedeutung und ist zudem ein wertvolles bibliographisches Hilfsmittel
Über die antifaschistischen Aktivitäten im Exil gibt die „Geschichte Deutschlands im zweiten Weltkrieg“ den besten Überblick, wobei das Bemühen um annähernde Vollständigkeit, die Emigrantengruppen auf den verschiedenen Kontinenten zu erfassen, Beachtung verdient. Spezielle Arbeiten gaben hierfür Vorleistungen, so für Frankreich und Lateinamerika die Untersuchungen von K. Pech bzw. W. Kießling in denen die Zusammenarbeit der deutschen Exilanten mit den Antifaschisten der Gastländer sowie die Kooperation und Auseinandersetzung von Kommunisten und anderen deutschen Emigranten dargestellt werden. Von den Arbeiten über die deutschen Antifaschisten in der Sowjetunion verdient die Dissertation G. Dieseners über das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ (NKFD) auch deshalb besondere Erwähnung, weil sie über das eigentliche Thema hinaus z. B. weitere Aufschlüsse über die organisatorische Entwicklung und über das Verhältnis von KPD und dem Bund Deutscher Offiziere gibt, so daß für eine Gesamtdarstellung des NKFD wichtige Vorarbeiten erbracht wurden.
Fast alle genannten Darstellungen enthalten Kapitel oder Passagen zum sozialdemokratischen Widerstand respektive zur Geschichte der SPD von 1933 bis 1945, die Spezialarbeiten zur Kommunistischen Partei überwiegend unter dem Gesichtspunkt der Zusammenarbeit von Kommunisten und Sozialdemokraten vor allem in Deutschland. Mit der „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie 1917 bis 1945“ liegt die erste marxistisch-leninistische Gesamtdarstellung der SPD in diesem Zeitraum vor, in der auch die Rolle der SOPADE und der Sozialistischen Arbeiter-Internationale (SAI) ausführlicher behandelt wird. Spezialstudien zur SAI legten P. Kircheisen und A. Wörner vor. Der sozialdemokratische Widerstand erhält insgesamt hohe Wertschätzung. Daß immer wieder auf seine Zersplitterung und damit auf seine dadurch bedingte Schwäche im Vergleich zum kommunistischen hingewiesen wird, spiegelt weitgehend die Realität wider. Die Auseinandersetzung mit dem Antikommunismus leitender Exilgremien, die überwiegend das flexible Entgegenkommen der KPD ungeprüft zurückwiesen, spielt in den Darstellungen eine wichtige Rolle, wobei jedoch — und das zunehmend — nicht nur innerhalb der reformistischen Führungskräfte differenziert, sondern auch das sozialdemokratische Exil insgesamt nach seiner Fähigkeit als antifaschistisches und Friedenspotential befragt wird.
Daß es die Kommunisten wegen der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Arbeiterparteien in der Weimarer Republik, aber mehr noch wegen der Vorgänge in der Sowjetunion in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre und insbesondere nach dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffs-
Vertrages schwer hatten, die Brücke zu sozialdemo-kratischen Politikern zu finden, wird betont, aber auch, daß diese in den genannten Ereignissen willkommene Vorwände sahen, sich zu entziehen. Dennoch werden solche die Zusammenarbeit der Antifaschisten unterschiedlichen politischen Standortes behindernden Probleme noch genauer zu analysieren sein.
Auf ein Problem des Widerstandes von Sozialdemokraten und Angehörigen anderer reformistischer Organisationen sei noch hingewiesen: Wenn in den Untersuchungen zum kommunistischen Widerstand so häufig auf Sozialdemokraten, Gewerkschafter usw. Bezug genommen wird, so verbirgt sich dahinter das Problem, daß diese sich oft einzeln oder in Gruppen, lose oder fester, kommunistischen Organisationen anschlossen, Unterstützung durch deren Kurierdienste und andere Hilfe erhielten. Das heißt, es ist oft schwer, sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstand zu unterscheiden was noch stärker zu beachten sein wird.
Während in der nichtmarxistischen Geschichtsschreibung die Verschwörung des 20. Juli häufig dem militärischen Widerstand zugeordnet wird, ordnet die marxistische Historiographie letzteren ebenso konsequenterweise nach politischen und sozialen Gesichtspunkten ein wie sie erstere als bürgerlich oder großbürgerlich charakterisiert. Der Antifaschismus von Angehörigen des Bürgertums und des Adels sowie der Mittelschichten findet wesentlich unter zwei Gesichtspunkten Beachtung: unter dem Blickwinkel kommunistischer Volksfrontpolitik und — zunehmend — als genuine Kraft. Neue Veröffentlichungen zur Volksfront-strategie der Kommunisten bestätigen die Kontinuitätslinie zu diesem Thema. Trotz nicht bestrittener diskontinuierlicher Momente war ja auch etwa seit Mitte der zwanziger Jahre die Bündnispolitik der KPD gegenüber nichtproletarischen Kräften ein Faktor von Bedeutung und weit weniger Schwankungen ausgesetzt als das Verhältnis zur SPD. In den Bündnissen von Kommunisten und Antifaschisten aus nichtproletarischen Kreisen waren beide Seiten Gebende und Nehmende, wie die Forschung vielfach belegt. Aber es ist im Grunde noch eine höchstens am Rande behandelte Frage, wieviel auch Theoretisch-Programmatisches aus bürgerlich-kleinbürgerlichen Kreisen in kommunistische Konzepte eingegangen ist.
Wie der sozialdemokratische wird der bürgerlich-kleinbürgerliche Widerstand in den Überblickswerken gesondert aufgeführt. Es erschien aber auch eine Reihe von Publikationen speziell zu diesem Problem. Die Spitzenstellung nimmt der Band „Deutsche Demokraten“ ein, der mit seinem großen zeitlichen Bogen darauf aufmerksam macht, daß es im deutschen Bürgertum und Kleinbürgertum, vor allem unter Intellektuellen, auch eine demokratische Kontinuität gegeben hat. Dieses Thema gewinnt immer mehr an Bedeutung, wofür neben wissenschaftlichen auch politische Motive bestimmend sind. Die aktuelle Notwendigkeit und Möglichkeit, sozial und politisch heterogene Bündnisse zu schließen, verweist zwangsläufig auf die Suche nach historischen Vorbildern (oder auch „Lehrstücken“ im Negativen!), wofür sich der Zeitraum zwischen 1917/18 und 1945 regelrecht aufdrängt. Noch sind monographische Schriften wie die K. von Brücks recht selten, was Ausdruck bestimmter Defizite in der Erforschung der Geschichte der Bourgeoisie und der Mittelschichten als soziale Körper in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist. Die historisch notwendige Konzentration auf die Imperialismusforschung bedingte bei den begrenzten Kapazitäten Lücken, die aber in den nächsten Jahren teilweise geschlossen werden können, z. B. durch Untersuchungen zur sozialen Lage und politischen Haltung der städtischen und ländlichen Mittelschichten, so daß genauere Aussagen zu deren Verhältnis gegenüber dem Faschismus in der Weimarer Republik und unter der nazistischen Herrschaft möglich sein werden. Tradition hat die Erforschung des christlichen Widerstandes, wobei die marxistischen Historiker — da ja der Terminus „kirchlicher Widerstand“ zu-mindest umstritten ist — nicht die Kirchen als Institutionen, sondern das Eintreten einzelner Christen oder Gruppen für den Humanismus zum Gegenstand ihrer Arbeit machen, wofür eine von K. Drobisch und G. Fischer besorgte Dokumentation jüngstes Zeugnis gibt. Von den Kirchenhistorikern hat K. Meier mit seinem dreibändigen Werk über den Kirchenkampf die herausragende Arbeit dazu vorgelegt. Meier griff mehrfach in die Diskussion um die Frage ein, ob die Auseinandersetzung der Bekennenden Kirche mit der faschistischen Kir-
chenpolitik und mit dem Hitler-Staat als Widerstand zu werten sei, und bezeichnete dabei den Kirchenkampf als „objektiven Störfaktor im Gefüge des NS-Staates“
Ein großer Teil der Forschungen zum Thema „Antifaschismus“ ist Ergebnis regionalgeschichtlicher Untersuchungen, weshalb für diese hier einige spezielle Bemerkungen gemacht werden. Daß die Regionalforschung für unseren Gegenstand eine besondere Aufgabe und Chance besitzt, ergibt sich schon daraus, daß der reale Widerstand überwiegend nur von kleinen Gruppen, d. h. meist auch nur in kleinen geographischen Räumen geleistet werden konnte, was Konsequenzen für die Forschungsmethoden hat. Hauptträger und -anreger für die Erforschung der antifaschistischen Aktivitäten in der Region sind die Kommissionen zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei den Bezirks-und Kreisleitungen der SED Die von den Kommissionen initiierte Arbeit, die auch vom Spezialisten kaum noch zu überschauen ist — geleistet von professionellen und sehr vielen „Hobbyhistorikern" —, hat in den achtziger Jahren eine neue Stufe durch die Inangriffnahme und zum Teil Fertigstellung von Bezirksgeschichten der revolutionären Arbeiterbewegung erreicht. Für die Jahre 1933 bis 1945 ist darin die Parteigeschichte wesentlich die Geschichte des kommunistischen Widerstandes unter Berücksichtigung der Leistungen von Nichtkommunisten. Bisher erschienen die Geschichtsdarstellungen der Parteibezirke Halle-Merseburg Gera Leipzig-Westsachsen und Berlin sowie eine spezielle Untersuchung über Faschismus und Widerstand in Mecklenburg. Diese Arbeiten sind Ausdruck ernsthafter Beschäftigung vieler Genannter und Ungenannter mit der Geschichte der engeren Heimat und gleichzeitig für die Traditionspflege geschrieben; politische Verantwortung durch die Geschichte soll im vertrauten Umfeld unmittelbar nachvollziehbar werden. Es ist daher bedauerlich, daß von dem spezifisch Regionalen, wie es Geographie, Bevölkerungs-und Wirtschaftsstruktur sowie die Geschichte über einen langen Zeitraum beeinflußt und auch mental geprägt haben, verhältnismäßig wenig eingebracht worden ist. Es scheint fast, als scheuten sich die meisten der mit diesem Zeitabschnitt befaßten Regionalhistoriker, von ihrem räumlich kleinen Feld aus zu größeren Fragen vorzustoßen. Eine solche Frage ist aber, inwieweit die Region Ausmaß und Intensität sowie Formen des Widerstandes geprägt hat.
Gerade in der regionalen Geschichtsschreibung zum Widerstand, aber nicht nur dort, werden zunehmend Methoden der Alltagsforschung angewendet — so problematisch, zumal für die Widerstandsbewegung, der Begriff ist, weil der „Alltag“ fast noch schwerer als der Widerstand definierbar ist und der sogenannte kleine Mann, den die Alltagsforschung zumeist ins Visier nimmt, die Haupt-last des Widerstandes und damit Ungewöhnliches trug und ertrug. Einige der wichtigsten Methoden der Alltagsforschung — das Beachten der Details des täglichen Lebens, der sozialen Mikrobeziehungen, die systematische Einbeziehung individueller Quellen, sei es durch Befragung oder die Nutzung schriftlicher Erinnerungen — erweisen sich besonders für die Untersuchungen als zweckmäßig, die Orte des permanenten Ausnahmezustandes, sowohl im Vergleich zur Zeit der Weimarer Republik wie zum faschistischen Alltag, erfassen: Zuchthäuser und Konzentrationslager. In den neueren Arbeiten über Haftbedingungen und Widerstand in den Zuchthäusern Brandenburg-Görden Luckau und Waldheim sowie im KZ Buchenwald wird ausführlicher als in früheren Darstellungen der Alltag in der Haft beschrieben.
Eine gewisse Zurückhaltung im Vergleich zu einigen westeuropäischen Ländern und zur Bundesrepublik, Alltagsgeschichte im Faschismus auf der Grundlage von Befragungen zu schreiben, hat verständliche Ursachen in Problemen, auf die u. a. auch L. Niethammer aufmerksam machte. Es ist vor allem die Sorge, daß geschichtliche Zusammenhänge verdunkelt oder zerrissen werden könnten, der Faschismus aus der zeitlichen Distanz weniger barbarisch erscheint und der Widerstand dadurch herabgemindert wird. Dennoch sollte die Befragung von Zeitzeugen, die bekanntlich schon am Anfang der Erforschung des Widerstandes in der DDR eine große Rolle spielte und deren archivierte Resultate auch für die weitere Forschung eine unersetzbare Quelle sein werden, wachsende Bedeutung erlangen. Noch ist die Gelegenheit relativ günstig, Zeitgenossen zu befragen und bisher Geschriebenes mit den Interviewprotokollen in Beziehung zu setzen. Die Arbeit von S. Jacobeit über die Lebenslage der Bäuerinnen hat z. B. weitere Untersuchungen angeregt, deren Ergebnisse sukzessive veröffentlicht werden.
In dieser Bilanzierung der Forschungen in der DDR zum antifaschistischen Widerstand ging es um die Ergebnisse der geschichtswissenschaftlichen Arbeit. Andere Disziplinen, so vor allem die Philosophie und die Kunstwissenschaft, namentlich die Literaturgeschichte, gaben unverzichtbare Anstöße. In der Memoirenliteratur — schwer in ein Genre einzuordnen — geschah dies vor allem durch die Erinnerungen von F. Dahlem und E. Honek-ker Bedeutsam war die Neuherausgabe der Auseinandersetzung H. Günthers mit der Ideologie des Nationalsozialismus aus dem Jahre 1935 Die erstmalige Ausgabe von bisher nicht gedruckten Manuskripten P. Zechs aus dessen Nachlaß, insbesondere seines Romans „Deutschland, dein Tänzer ist der Tod“ waren literaturgeschichtliche Ereignisse, nicht nur für eine erheblich modifizierte Sicht auf die Biographie Zechs. Zeugnisse über Schriftsteller in ihrer Auseinandersetzung mit dem Faschismus in den ersten Monaten seiner Herrschaft und schließlich W. Brekles Buch über die antifaschistischen Schriftsteller in Deutschland während der Hitlerdiktatur, in dem der Autor mit seinen Erörterungen über das Problem der „inneren Emigration“ auch die Diskussionen zum Widerstandsbegriff bereichert, haben Persönlichkeiten des antifaschistischen Widerstandes erneut ins Blickfeld gerückt, die mit ihren Werken bis heute auch im Sinne des Antifaschismus wirken. Die Diktion in der wissenschaftlichen Literatur ist wohl notwendigerweise immer sachlicher geworden. Antifaschismus ohne Emotion ist aber kaum denkbar, soll er wirksam bleiben. Die Kunst der Zeit und über diese Zeit hat hier eine kaum überschätzbare Funktion.
IV. Ausblick
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der antifaschistische Widerstand seinen herausgehobenen Platz in den historischen Forschungen der DDR behalten wird. Auch die wachsende zeitliche Distanz wird nicht eine Beschäftigung sine ira et Studio mit ihm bewirken. Der mit ihm Befaßte bleibt un-verändert in einem politisch-moralischen und politischen Auftrag, wobei die aktuelle Politik Modifizierungen begünstigen kann, wie es der Zusammenhang von Entspannungspolitik und differenzierterer Sicht des Widerstandes gezeigt hat. Dies ist keine auf die DDR beschränkte Erscheinung, wie der Historikerstreit in der Bundesrepublik Deutschland, der nach H. -U. Wehler hauptsächlich „ein durch und durch politischer Kampf um das Selbstverständnis der Bundesrepublik, um das politische Bewußtsein ihrer Bürger“ ist, veranschaulicht.
Die jetzige Konzeption und die angedeuteten, in ihr angelegten Tendenzen dürften sich für die Forschung auf längere Zeit als tragfähig erweisen. In der Deutschen Demokratischen Republik hat sich ein Geschichtsdenken mit hohen Ansprüchen entwickelt, das sich groben Konturierungen verschließt. Es wird darm gehen, den Widerstand umfassend und in seinen Widersprüchen in seiner schweren Zeit verständlich und möglichst nachvollziehbar zu machen. Je vielschichtiger die GeSchichtsforschung wird, um so geringer scheint die Chance zu sein, Vollständigkeit zu erreichen. Die politische Bedeutung des Widerstandes, seine Singularität legen jedoch den Forschem die Verpflichtung auf, die Vollständigkeit anzustreben. Die seit 1984 vom Zentralen Parteiarchiv der SED ausgehenden Bestrebungen, „alle Personen und Sachverhalte des deutschen Widerstandskampfes“ zu erfassen, führten bis Ende 1987 zur Ermittlung von über 350 000 Namen. Das schwierigste wird sein, die Schicksale dieser Personen in einem widersprüchlichen Bedingungsgefüge und auch als individuelle Schicksale zu erfassen. Die Thälmann-Biographie stellte einen Versuch dar, individuelle und Parteientwicklung zu verknüpfen. Die stärkere Beschäftigung mit der Wirtschafts-, Sozial-und auch Kulturgeschichte, nicht zuletzt der Aufschwung in der regionalen Forschung könnten noch besser genutzt werden, um den Widerstand als individuelle Handlung und als das Zeitgemäße in der Geschichte des deutschen Volkes zu erfahren.