I. Einleitung
Die Würdigung des Widerstands gegen Hitler und den nationalsozialistischen Unrechtsstaat war seit 1945 unübersehbaren Schwankungen unterworfen. Auch wenn sich die deutschen Politiker in Ost und West stets auf Widerstandsgruppen bezogen und den Anspruch erhoben haben, aus deren Zielen Orientierungen für die Gegenwart abzuleiten, so erstreckt sich die beschworene Übereinstimmung doch in der Regel jeweils nur auf Teilgruppen der deutschen Widerstandsbewegung. In der DDR wurde bis in die siebziger Jahre hinein der kommunistische „antifaschistische Widerstand“ beschworen, während in der Bundesrepublik bis weit in die sechziger Jahre vor allem die Verschwörer des 20. Juli 1944 als Widerstandskämpfer gefeiert wurden. Alle Feierlichkeiten, Würdigungen und Ehrungen konnten aber nicht die zwiespältige Haltung vieler Deutscher beeinflussen, wie sie etwa in Bevölkerungsumfragen festzustellen ist. Man lehnte lange Zeit Hitler ab, ohne deshalb schon den Widerstand zu rechtfertigen. Noch in den fünfziger Jahren hatte einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie zufolge etwa die Hälfte der Bundesbürger abgelehnt, eine Schule nach Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu benennen, der das Attentat auf Hitler mit seinem Leben bezahlt hatte. Lediglich die positive Würdigung der Geschwister Scholl und ihrer Freunde — nicht zuletzt auch Leistung der frühen Darstellung der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ durch Inge Scholl — hob sich von der verbreiteten Neigung zur Distanzierung vom Widerstand ab. In den fünfziger Jahren kam es auch immer wieder vor, daß Politiker im Rahmen von Wahlkampfauseinandersetzungen gegen politische Gegner polemisierten und sie indirekt als „Emigranten“ oder gar „Drückeberger“ apostrophierten.
Erweiterte Fassung eines Beitrags, der in der neuen Zeitschrift „Kirchliche Zeitgeschichte“ (KZG) des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, erscheinen wird und auf einen Vortrag im Religionspädagogischen Institut Loccum im Spätsommer 1987 zurückgeht.
Der deutsche Widerstand gegen Hitler und die nationalsozialistische Herrschaft hat sich, wie Erich Kosthorst 1979 zusammenfassend bemerkte, stets in einer „Verteidigungsposition“ befunden. Immer war er dem Vorwurf ausgesetzt, sich des „Verrats“ oder der „Halbherzigkeit“, wenn nicht der „Unfähigkeit“ schuldig gemacht zu haben. Nach 1945 verkörperten die Widerstandskämpfer zugleich eine wichtige Alternative zur verbreiteten „Nachfolgebereitschaft“, die Konsequenz einer inneren Gleichschaltung, einer Blindheit, vielleicht auch der partiellen inneren Übereinstimmung gewesen sein mochte und so vielfach als Ausdruck des spezifisch deutschen Untertanengeistes erschien. Sie galten als Herausforderung für die Nachlebenden, denn ihr Handeln bewies, daß „Befehl und Gehorsam“, „Terror und Furcht“ nicht alle Zeitgenossen der „gewissen zwölf Jahre“ gelähmt hatten. So verkörperten die Widerstandskämpfer ein Gegenbild, das glaubwürdig die politische Alternative zur damaligen Zeit zeichnen sollte und somit in ein neues, demokratisches Geschichtsbild gehörte.
Diese Grundlage öffentlicher historischer Besinnung ist bis heute unerschüttert, wie der „Historikerstreit“ zeigt: Wurde in den vergangenen Monaten heftig vor der deutschen Öffentlichkeit über eine Vergangenheit gestritten, die angeblich „nicht vergehen könne“ oder solle 1), so bietet die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Widerstands ein ganz anderes Bild: Regelmäßig berufen sich in der Öffentlichkeit, die sich von Thesen über die Vergleichbarkeit und Ursprünglichkeit nationalsozialistischer Gewaltverbrechen angeregt oder herausgefordert fühlt*), die Vertreter des Staates, der Parteien oder der Kirchen auf den Widerstand und erinnern an sein Vermächtnis
Im folgenden sollen die Forschungsgeschichte und auch die Frage der öffentlichen Rezeption der Widerstandsproblematik nicht diskutiert werden — dies ist an anderer Stelle ausführlich geschehen
II. Phasen des Erinnerns in den Medien der Erinnerung
Es ist bemerkenswert, daß sich bereits unmittelbar nach der Befreiung vom Nationalsozialismus erste Versuche finden, an den Widerstand anzuknüpfen und auf diese Weise eine Kontinuität des politischen Anstands über die Epochenschwelle des Jahres 1945 hinweg zu begründen. So beschwor Alexander Abusch die Widerstandskämpfer als „das Licht in der deutschen Düsternis“ und verpflichtete die Gegenwart zur Erinnerung
Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus sollte der Gegenwart zugleich auch politisch dienen, denn mit dem Bild des „anderen Deutschland“, das den bereits 1946 erschienenen Bearbeitungen der Tagebücher von Ulrich von Hassell als Titel diente, wurde auch die Möglichkeit eines neuen und deshalb gegenüber der deutschen Geschichte anderen Deutschlands in den Blick gerückt. An die Stelle der Erinnerung trat zwar nicht die Ausdeutung der Widerstandsgeschichte allein für die Legitimierung eines politischen Neubeginns; Erinnerung und gegenwartsbestimmte Deutung des Widerstands im Hinblick auf die Nachkriegszeit gingen jedoch eine enge Verbindung ein.
Dies wurde besonders deutlich durch die Verbindung zwischen dem 20. Juli 1944 und dem 17. Juni 1953, die Ernst Reuter 1953 schlägt. „Immer wieder“ müsse versucht werden, die deutsche Geschichte „neu zu begreifen“: „Wir müssen versuchen, den Bogen von der Gegenwart zu dem, was wir selber erlebt, zu dem, was wir selber getan, zu dem, was wir auch manchmal unterlassen haben, und zu dem, was aus der großen Vergangenheit unseres Volkes zu uns herüberreicht, zu spannen.“
In den fünfziger Jahren war das Bild des Widerstandes äußerst umstritten. Markanter Höhepunkt der Auseinandersetzungen wurde der Braunschweiger Remer-Prozeß
Es war ein besonderer Glücksfall, daß der damalige Braunschweiger Leiter der Staatsanwaltschaft, Fritz Bauer, diese Herausforderung annahm. Er machte sich persönlich zum Vertreter der Anklage und unterstützte auf diese Weise die Angehörigen führender Widerstandskämpfer wie Annedore Leber, Marion Gräfin Yorck von Wartenburg und vor allem den damaligen Bundesinnenminister Robert Lehr. Dabei ging es Bauer nicht allein um die Wiederherstellung der Ehre des Widerstands, sondern um die grundsätzliche und nachwirkende Befreiung des Gesamtwiderstands vom „Stigma des Verrats“. Bauer wollte einen Prozeß mit politischen Wirkungen: „Angeklagt war das NS-Regime. Indem Bauer für die Männer des 20. Juli den ihnen gebührenden Respekt einforderte, zwang er das Gericht, das NS-Regime als Unrechtsstaat zu verwerfen“
So betrachtet, war der Braunschweiger Remer-Prozeß ein Ereignis einer Koalition von Justiz und Aufklärungswillen, den insbesondere die zahlreichen hochrangigen Gutachter zu verkörpern hatten. Die Gutachten des Theologen Hans-Joachim Iwand, des Juristen Emst Wolf, des Historikers Percy Emst Schramm, des Völkerrechtlers Hans-Günther Seraphin und des katholischen Theologen Rupert Angermeier wurden wenig später veröffentlicht
Der Braunschweiger Remer-Prozeß rechtfertigte aber nicht allein den Widerstand im Umkreis des 20. Juli, sondern er unterstützte einen folgenschweren Trennungsvorgang, der in den fünfziger Jahren zu einem erheblichen Teil durch Gesetzgebung und Rechtsprechung verstärkt und nahezu abgeschlossen wurde. Denn im Zuge der Wiedergutmachungsgesetzgebung mußte auch die Entschädigung von Verfolgungsopfern, von Widerstandskämpfern und politischen Gegnern des Regimes geregelt werden. Zu einem wichtigen Medium der Widerstandsdefinition wurde somit der Gesetzestext.
Das „Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfol-gung“
Die Bestimmung der „Anspruchsberechtigten“ und der Ausschlußgründe wirkte sich aber nicht allein auf den Kreis derjenigen aus, die Anspruch auf die Minderung entstandener Schäden „im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen“ hatten, sondern sie prägte auch das Bild des Widerstandskämpfers. § 1 BEG bestimmte: „Anspruch auf Entschädigung nach diesem Gesetz hat, wer in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 (Verfolgtenzeit) wegen seiner gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder in seinem beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter). Der Verfolgung wegen politischer Überzeugung wird gleichgestellt eine Verfolgung, die darauf beruhte, daß der Verfolgte auf Grund eigener Gewissensentscheidung sich unter Gefährdung seiner Person aktiv gegen die Mißachtung der Menschenwürde oder gegen die sittlich, auch durch den Krieg, nicht gerechtfertigte Vernichtung von Menschenleben eingesetzt hat.“
Diese gesetzgeberische Bestimmung des Verfolgten und des aktiven Gegners des Nationalsozialismus führte in der Folgezeit zu einer Präzisierung der Widerstandsvorstellung durch die Rechtsprechung, die damit zu einem weiteren Medium der Widerstandsdiskussion wurde und zugleich als Bestandteil der Gesellschaft den Wandel von Wertvorstellungen und Überzeugungen spiegelte. Dies führte faktisch zu einer Einengung der Vorstellungen über den Widerstand im Zusammenhang mit zeitge-
schichtlichen Erfahrungen. So definierte das Bundesverwaltungsgericht Widerstand als ein „der politischen Überzeugung des Täters entspringendes Verhalten, welches dazu bestimmt ist und, wenigstens in der Vorstellung des Täters, auch dazu geeignet war, das abgelehnte Regime als solches über den Rahmen des Einzelfalls hinaus zu beeinträchtigen.“
Bereits ein Jahr zuvor hatte der Bundesgerichtshof den „Erfolg“ als ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung des Widerstands bezeichnet und damit die auf das Gesamtsystem zielende Stoßrichtung in den Mittelpunkt der Bewertung gestellt. Das gegen den Widerstand selbst gerichtete Handeln sei nur dann „Unrecht im Rechtssinne“, „wenn die Widerstandshandlung nach ihrer Art und ihrem Gewicht wenigstens eine gewisse Aussicht bietet, in bezug auf das Übel der bestehenden Unrechtsherrschaft eine wirkliche Wende zum Besseren herbeizuführen“
Die Frage nach den „Beweggründen, Zielsetzungen und Erfolgsaussichten“ ermöglichte dabei einerseits eine differenzierte Diskussion, verstärkte andererseits aber Differenzierungsund Ausgrenzungsprozesse gegenüber dem Gesamtphänomen Widerstand, die auch im „Bundesentschädigungsgesetz“ angelegt waren. Dort hieß es (§ 1 BEG Abs. 4) nämlich: „Keinen Anspruch auf Entschädigung nach diesem Gesetz hat, 1. wer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewaltherrschaft Vorschub geleistet hat; 2. wem nach dem 8. Mai 1945 rechtskräftig die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden sind;
3. wer nach dem 8. Mai 1945 rechtskräftig zu Zuchthausstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden ist;
4. wer die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft.“
In der Auseinandersetzung über die hier genannten Ausscheidungsgründe, über Erfolgsbedingungen und schließlich über die Motive und Ziele des Widerstands entwickelte sich in der Folgezeit die zeitgeschichtliche Forschung vor allem insoweit mit, als Historiker nicht selten als Gutachter tätig wurden. Folgende Schwerpunkte der Auseinandersetzungen zeichneten sich dabei bereits auf der Grundlage der Gesetzgebungsund Rechtsprechungsprämissen ab:
— Wichtig wurde die Diskussion über das Scheitern der Weimarer Republik. Denn erst die Beantwortung dieser Frage konnte in einer öffentlich akzeptierten Weise Aufschluß über das Problem geben, wer mit dem Scheitern der Weimarer Republik auch die Konsolidierung des Nationalsozialismus ermöglicht hatte
— Schließlich warf die Bestimmung der Durchsetzungskraft des Widerstands viele Fragen auf: Zum einen im Hinblick auf die Alltagsdimensionen des Widerstands, die Hilfe für Verfolgte und die aus rassischen Gründen Diskriminierten; zum anderen im Hinblick auf die Kirchen, die sich zunächst vielfach durchaus als Partner des — von ihnen zu beeinflussenden — Systems verstanden hatten, unbeschadet ihrer Versuche, ihre kirchliche und konfessionelle Eigenständigkeit zu bewahren; zum dritten schließlich im Hinblick auf die auch nach 1945 zunächst weiterhin diskriminierten Gruppen wie Sinti und Roma. Homosexuelle, Deserteure oder auch Geisteskranke, die aus den meisten grundsätzlichen Diskussionen ausgeschlossen blieben.
In den späten fünfziger Jahren konnte der Widerstand des 20. Juli 1944 seine allgemeine Akzeptanz zumindest in der Rechtsprechung, weniger in der demoskopisch manifesten Meinung festigen. Wenn der Bundesgerichtshof unabhängig vom etwaigen Erfolg den „lebens-und entwicklungsfähigen Keim“ eines nur als möglich gedachten Erfolges zu bestimmen suchte, „durch den er selbst bei seinem etwaigen äußeren Scheitern als ein gültiges und wirksames Zeugnis für das Recht und für den in dem unterdrückten Volk noch lebendigen Willen zum Recht in die Zukunft hinaus wirkt und so jedenfalls zur Vorbereitung der schließlichen Über-windung des allgemeinen Unrechtszustandes einen entscheidenden Beitrag leistet“
Als weiteres Problem stellte sich für die deutsche Öffentlichkeit die Frage nach den „nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen“ als Gegenbild des Widerstands. Sie waren im Bundesentschädigungsgesetz bereits in den „allgemeinen Vorschriften“ eindeutig definiert worden und spiegelten in der Formulierung des § 1 Abs. 3 BEG ein wichtiges Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1952. Als der BGH im Falle eines Menschen zu urteilen hatte, der seine Mitwirkung an den Deportationen mit dem bestehenden Recht zu entschuldigen glaubte, hatten die Richter gegen die weitverbreiteten Amnestiebestrebungen bekräftigt, daß ein Kembereich des Rechts nach allgemeiner Rechtsüberzeugung von keinem Gesetz und von keiner staatlichen Macht verletzt werden dürfe. Deshalb müsse der „unantastbar“ geltende „Grundsatz menschlichen Verhaltens“ respektiert und praktiziert werden
Auf diese Weise wurde bekräftigt, daß sich die Beschränkung der staatlichen Rechtsetzungsgewalt nicht allein aus der bestehenden Rechtsordnung, sondern aus dem „jeden Gesetzgeber und Machthaber“ in gleicher Weise verpflichtenden „Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit“ ergibt, „wie er im Bewußtsein der Allgemeinheit lebt“. Damit wurde der Naturrechtsgedanke
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß in der Auseinandersetzung der fünfziger und frühen sechziger Jahre durch den Blick auf die Vergangenheit ganz unterschiedliche Deutungen und Wertungen des Widerstandsrechts möglich waren. Die Situationen vergangener und gegenwärtiger situationsabhängiger Deutungen überlagerten sich. Lebenserfahrungen des Versagens find der Konfrontation mit dem Schrecken traten neben den Willen, die Normen der westlich-liberalen Ordnung zu übernehmen und demonstrativ unter Hinweis auf historische deutsche Menschenrechtsbewegungen zu bekräftigen. Dies geschah nicht selten gegen die verbreitete Meinung innerhalb der Bevölkerung, konnte sich aber auf publizistischen Rückhalt stützen.
Das Problem, das Recht des Widerstands begrifflich zu präzisieren und gleichsam rechtlich einzuhe-gen, wurde in den fünfziger Jahren weniger durch den historischen Rückgriff als durch den zeitgenössischen Bezugsrahmen erleichtert. Denn die Existenz einer „totalitären“ DDR machte die Legitimität des Widerstands plausibel und wies die Kritiker des antinationalsozialistischen Widerstands unwiderruflich in die Schranken. Nicht zuletzt diese Erfahrungen der Mitteldeutschen mit der Wirklichkeit in der DDR führten schließlich zur allgemeinen Anerkennung eines übergesetzlichen Widerstands-rechts
feindliche Partei wegen ihrer Stoßrichtung gegen diese Grundordnung durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verboten worden war
III. Kritik des politisch vermittelten Widerstandsbildes durch wissenschaftliche Forschung
Nach der grundsätzlichen Fixierung der rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Verfolgung und des Widerstandes durch die Gesetzgebung rückte seit den fünfziger Jahren die Auseinandersetzung über die Bewertung des Widerstands mit wissenschaftlichen Kriterien in den Vordergrund. Die Diskussion wurde dabei zum einen überlagert von Versuchen, die juristische Ahndung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen auf eine klare verfahrensmäßige Grundlage zu stellen. Zum anderen waren Versuche spürbar, zugleich mit politischen Auseinandersetzungen über Verstrickung, Mitwirkung, Halbherzigkeit und Illusionen derjenigen, die dem Nationalsozialismus anfangs nicht entschlossen genug entgegengetreten waren und in der Nachkriegsdemokratie eine wichtige Stellung innerhalb des Regierungsoder zumindest des parlamentarischen Systems erlangt hatten, das Bild vom Widerstand zu prägen. Auseinandersetzungen über die Beteiligung politischer Gruppen und ihres gesellschaftlichen Umfelds an der Konsolidierung des Nationalsozialismus im Rahmen des Ermächtigungsgesetzes, des Reichskonkordats, der Nürnberger Gesetze oder der Vorbereitung der kriegerischen „Raumeroberung“ prägten viele öffentliche Debatten und mit ihnen auch das Bild derjenigen, die erst vergleichsweise spät zu Gegnern des Natio-nalsozialismus geworden waren oder eine „partielle“ Widerstandshaltung — Teilopposition und Teilkooperation — bekundet hatten.
Die Neubewertung des Exils ist eine Leistung der historischen Forschung seit den späten sechziger Jahren. So werden in der frühen Studie von Dieter Ehlers über „Technik und Moral einer Verschwörung“ noch die Möglichkeiten des Widerstands von denen des Exils unterschieden: „Passiver Widerstand“ wird neben Selbstmord und Desertion, Ämterrücktritt und Sabotage, Gehorsamsverweigerung und Streik genannt. Damit werden Kampfesweisen untersucht, die dem Exil in dieser Form nicht erschlossen waren. So ist es nicht verwunderlich, daß Emigration neben Selbstmord und Desertion als eine der untersten Stufen des Versuchs behandelt wird, den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Lapidar heißt es: „Wie der politische Selbstmord, so war auch die Emigration (und die Desertion) eine Weise des Fortgehens. Der Schock, den die plötzliehe, nicht totzuschweigende Abwesenheit eines prominenten Regimegegners in der Öffentlichkeit hervorrufen konnte, und die damit verbundene stumme Demonstration seiner Gegnerschaft machten die Emigration zu einem Politikum und damit zu einer , Methode des passiven Widerstands
Immerhin referiert Ehlers als Ansicht des Widerstands im Umkreis des 20. Juli 1944, daß „das illegale Schrifttum symbolisch und faktisch“, „aber nicht umwerfend“ wirkte: „Mit verbalen Waffen war der Koloß nicht zu stürzen.“ Die Technik des Exils war in dieser Perspektive auch später charakterisiert durch Wirkungslosigkeit auf der einen, Gefährdung der Deutschen auf der anderen Seite: Belastet mit dem Makel des „Landesverrats“, angewiesen auf die Macht des Wortes im unübersichtlichen publizistischen Blätterwald, ohne tiefen Rückhalt bei den Regierungen des Auslandes, sondern bestenfalls bei den jeweiligen Oppositionsparteien, ohne staatsrechtlichen Status und moralischen Respekt konnten sie niemals als Beweis für die „Existenz“ einer Widerstandsbewegung Anerkennung erlangen und mußten sich andererseits sogar — nach Ehlers — dem Vorwurf aussetzen, durch ihre Aktivitäten im ausländischen Rundfunk zur Gefährdung der Deutschen beigetragen zu haben, die wegen des Abhörens ausländischer Rundfunk-sender Gefahr für Leib und Leben riskierten.
Die Bemerkungen von Ehlers rufen heute wahrscheinlich Erstaunen hervor. Dennoch sind weitere seiner Schlußfolgerungen bemerkenswert, weil sie bis heute die Exilforschung herausfordern, die Bedeutung des Kampfes aus dem Exil für die Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes realistisch einzuschätzen. Wenn man Ehlers These teilt, daß jeder Emigrant mit seinem persönlichen und „historischen Dilemma“ konfrontiert war, „manchmal als nützlich, meist als lästig empfunden und empfangen, immer aber als entmachtet und abhängig vom Wohlwollen des Gastlandes angesehen zu werden“, so wird die Tatsache plausibel, daß die deutschen Exilpolitiker im wesentlichen „derart zu einem Schattendasein“ verpflichtet worden waren, daß sie in den Plänen des spät aufbrechenden Widerstandes von nationalliberal, liberal-oder nationalkonservativ gesinnten Kreisen kein Faktor werden konnten:
Die Regierungspläne der Militäropposition stützten sich ebensowenig auf von außen kommende, zurückkehrende Exilpolitiker wie die späteren Überlegungen zur Bildung von Ministerlisten
Im moralischen Urteil des „Widerstands gegen den Nationalsozialismus“ von innen war also das Verdikt über die Emigranten relativ klar formuliert und entwickelte sich nach 1945 zu einer schweren Hypothek. Dabei drängt sich allerdings der Eindruck auf, als wenn die mehrfach konstatierte Tatsache einer tiefen Entfremdung zwischen innerem Widerstand und Exil vor allem die Konkurrenz um Macht und Einfluß nach 1945 spiegelte, weniger aber die unmittelbaren und zeitursprünglicheren Überlegungen nach 1933. Denn nichts verweist darauf, daß der Grenzübertritt der erste Schritt eines „bequemeren Weges“ gewesen war. Dieses Urteil, das sich meiner Quellenkenntnis nach allein auf das Urteil der überlebenden Regimegegner stützen konnte und insofern einen Gutteil Selbstrechtfertigung spiegelte, lautete: „(Der Emigrant) hatte gut reden. Er reagierte außerhalb der Machtzone Hitlers und seiner Gestapo. Darum galt für die Verschwörer des 20. Juli die Emigration als bequemerer Weg, solange für den, der die Flucht erwog, noch keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben bestand. Besser , Talleyrandsche Methoden* anwenden, seine wahre Gesinnung also tarnen, sich demütigen lassen und ein Doppelspiel treiben, aber heimlich Widerstand leisten, statt zu emigrieren — so lautete selten einmütig die Auffassung der Verschwörer des 20. Juli“, die sich überdies ihre „deutliche, patriotische Distanz zu den Alliierten zugute hielten“ und aus der zunächst vielfach beklagten „Not“ einer „Distanz auf Gegenseitigkeit“ eine Tugend zu machen schienen
Entscheidende Impulse gingen von der modernen Exilforschung aus, die ihre Forschungs-, Deutungsund Bewertungsperspektiven aus dem „Innenblick“ entwickelte. Sie erstreckte sich sowohl auf Lebenslagen und Verarbeitungsformen als auch auf die minutiöse Rekonstruktion von innerorganisatorischen Diskussionen, Auseinandersetzungen und Organisationsversuchen. Sie hat auf diese Weise zunehmend das Gespür für die politische Dimension, die „technische Spezifik“, aber auch die Differenzierung von Zielvorstellungen im zeitlichen Prozeß geweckt. Mit den verbreiteten Sammelbänden über „Widerstand und Exil“ scheint mir grundsätzlich der Blick für die Verflechtung von „Widerstand von innen“ und „von außen“ gelungen und unstrittig geworden zu sein
Anfang der sechziger Jahre setzte überdies eine inhaltliche Neuakzentuierung ein. die Folge einer politischen Bewertung des Widerstands von Kirchen, von Vertretern des „Bürgertums“ und von Oppositionsparteien war. Zunehmend wirkte sich auch die Auseinandersetzung mit der Widerstands-forschung in der Geschichtsschreibung der DDR aus. Sie führte zu einer Prüfung mancher Thesen und Befunde und damit auch zu einer Relativierung der Positionen, die sich in den fünfziger Jahren während der Diskussion über den kommunistischen Widerstand eingestellt hatten. Von signalartiger Bedeutung waren dabei die Akzente, die Hermann Graml, Hans Mommsen und andere setzten; sie lenkten den Blick auf die Zielvorstellungen des Widerstands im Umkreis von Goerdeler, von Hassell, Popitz, von der Schulenburg, ansatzweise auch von Beck, der erst Jahre später von Klaus-Jürgen Müller kritisch gewertet wurde. Unumstritten blieben in den sechziger Jahren vor allem die Mitglieder der „Weißen Rose“, denen sehr früh durch Inge Scholl ein publizistisches Denkmal gesetzt worden war, und der „Kreisauer Kreis“, dessen innere Geschichte, aber auch seine Staats-, Wirtschafts-und Rechtsvorstellungen Ger van Roon profund beleuchtet hatte
Von folgenschwerer Wirkung blieben hingegen die Neubewertungen der Verfassungs-, Gesellschafts-und Politikvorstellungen des bürgerlichen Widerstandes einschließlich der militärischen Widerstandsgruppen. Die linksliberale Publizistik nahm die Neuakzentuierung des „nationalkonservativen“ Widerstands auf, der nun nicht mehr in die Kontinuität der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern autoritärer Staatsvorstellungen gerückt schien. Gleichzeitig setzte eine Intensivierung der Erforschung regionaler Widerstandsgeschichte ein, die nahezu unvermeidlich auch den Widerstand aus der Arbeiterbewegung, aus den Gewerkschaften und lokalen Oppositionsgruppen stärker akzentuierte und vielfach überhaupt erst wieder die Erinnerung an einzelne Gegner des Nationalsozialismus im regionalen und örtlichen Umfeld weckte
Die starke politische Bewertung des Widerstands drückte sich zunehmend in einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dessen „Vermächtnis“ aus. und dies nicht nur anläßlich des Gedenkens an den Jahrestag des 20. Juli 1944 auf Veranstaltungen in Berlin und Bonn, sondern auch im Zusammenhang mit den verschiedenen Gedenktagen der deutschen Zeitgeschichte und der Widerstandshistorie. Die zentralen Gedenkveranstaltungen und die grundlegenden Stellungnahmen anläßlich der wichtigen „runden“ Gedenktage sollen hier nicht resümiert oder kritisiert werden. Denn unabhängig von den inhaltlichen Diskussionen findet sich in ihnen vor allem die Bemühung um die moralische und ethische Substanz unter gegenwartsorientierter Perspektive.
Zuweilen deuteten sich in einzelnen Reden Forschungsperspektiven an, etwa wenn Gustav Heinemann Fiete Schulze als Vertreter des kommunistischen Arbeiterwiderstands hervorhob
Ganz entscheidend wirkte sich aber die Politisierung des Widerstandsbegriffs durch Kontroversen zwischen einzelnen Gruppen und staatlichen Instistutionen aus. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Diskussion Mitte der fünfziger Jahre unter dem Eindruck des studentischen Protestes in Göttingen
Auseinandersetzung über die Wiederbewaffnung. Sie zeitigte zugleich Gegenreaktionen, die auf eine besondere Akzentuierung des militärischen Widerstands hinausliefen und schließlich in die widerstandsgeschichtlich geprägte Traditionsdiskussion der Bundeswehr mündeten
Eine Neuauflage der Widerstandserörterungen im Umfeld des 17. Juni 1953 brachte die Errichtung der Mauer durch die DDR-Führung, nicht zuletzt aber auch die Erfahrung mit dem Schießbefehl an den Absperr-und Grenzanlagen. Wie weit kann der Gehorsamsanspruch des Staates gehen?, fragten sich viele Deutsche, nicht zuletzt, nachdem schließlich sogar ein Volkspolizist geflüchtet war, der einen anderen Flüchtling erschossen hatte. Die Auseinandersetzungen über die rechtliche Bindung des Schießbefehls hatte nicht nur einen gegenwartsbezogenen, sondern auch einen historischen Hintergrund: Seit 1958 fanden in der Bundesrepublik zunehmend Strafermittlungen gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher ihr Ende in vielbeachteten Prozessen, die immer auch die Frage nach der Folgebereitschaft der Bevölkerung stellten und Anpassung mit dem Widerstehen und dem Widerstand anderer konfrontierten, die sich nicht gefügt hatten. Den Höhepunkt einer politischen und politisierten Widerstandsdiskussion stellten die häufig auf den Straßen ausgetragenen Kontroversen über die Notstandsgesetzgebung dar, die schließlich auch das Widerstandsrecht in das Grundgesetz einfügten
Die wissenschaftlichen Konsequenzen dieser Diskussionen liegen auf der Hand: Die Auseinander-Setzung über Kriegsdienstverweigerung und Schießbefehl stellte die Frage nach den individuellen Grenzen von Befehl und Gehorsam, nach der „Zivilcourage“ (d. h. nach einem alten, u. a. intensiv von Dietrich Bonhoeffer diskutierten, aber erst in den frühen sechziger Jahren von John F. Kennedy erneut propagierten Begriff) sowie die nach der Gewissensbindung. Die Auseinandersetzungen über die nationalsozialistischen Strafverfahren, die in der Mitte der sechziger Jahre in die große Verjährungsdebatte von 1965 mündeten und ihre Fortsetzung 1969 und 1979 fanden
Die wissenschaftliche Forschung hatte diese gruppen-, organisations-und parteiorientierte Ausweitung der Interessen weitgehend aufgenommen und unterstützte so die Herausbildung eines Widerstandsbildes, welches sich nun gleichsam aus einer Summierung zu ergeben schien. Insbesondere in der regionalen Widerstandsgeschichte zeigte sich dieser Wunsch zur historischen Summenbildung in zahlreichen Lokal-und landesgeschichtlichen Studien, die den Blick vor allem auf Kleinformen des Widerstands lenkten und damit die alltagsgeschichtliche Dimension erschließen halfen
In den siebziger Jahren setzte somit eine neue Phase politischer Diskussion ein, die in der Gewissensentscheidung einen wichtigen Bezugspunkt setzen wollte. Dies hatte mit der Diskussion über Strafrechtsreformen begonnen. Die Aufhebung der Strafbarkeit von „Homosexualität“, die Ausweitung der Kriegsdienstverweigerung und die Erleichterung der Anerkennungsverfahren, die Diskussion über die Aufnahme von Asylanten im Zusammenhang mit den Entwicklungen in Nigeria, Bangladesh und schließlich Vietnam (Boat People), aber auch über die Schrecken in Lateinamerika nach dem Sturz von Allende, in Mittelamerika und schließlich in Argentinien, die Auseinandersetzungen über Havemann, Sacharow und die Dissidenten im Ostblock veränderten den Zugang zu Dimensionen der Widerständigkeit in einem ganz entscheidenden Maße und stellten darüber hinaus die Frage nach Verfolgung und Widerstand im Dritten Reich. Denn die Geschichte dieser Verfolgungen, vor allem von Homosexuellen
Geschichtswissenschaftliche Forschung rechtfertigt sich im Zuge dieser Entwicklungen vielfach nicht mehr allein durch ihr Kritikpotential, sondern durch eine Art Servicefunktion, die durch eine Differenzierung und Bewertung ganz unterschiedlicher Widerstandsdimensionen und Widerstandsleistungen noch an Durchschlagskraft gewinnen soll. Rezeptions-und Realgeschichte verschwimmen, die Kritik an bisher politisch hauptsächlich akzeptierten Widerstandsbewegungen nimmt zu und richtet sich dabei vor allem gegen die Betonung des kirchlichen Widerstands, der natürlich von der Bewertung der Kirchen nicht zu trennen ist, sowie gegen die Heraushebung des bürgerlich-militärischen Widerstandes, als dessen intellektueller Kopf auf der einen Seite der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler, auf der anderen Seite General Beck gilt.
Diese Kritik an der gleichsam als „etabliert“ unterstellten Widerstandsgeschichte fand einen beachtlichen Resonanzboden in der Publizistik, aber auch in der pädagogischen Diskussion. Sie reflektierte so den inzwischen auch demoskopisch manifestierten Wunsch, Vergangenheit „vergehen zu lassen“, wie im Zusammenhang des Historikerstreits formuliert wurde, d. h. nicht mehr die Koordinaten derzeitiger politischer Legitimation aus zeitgeschichtlichen Erfahrungen plausibel zu machen.
Die Geschichte des Widerstands diente andererseits im Zusammenhang dieser Entwicklung aber zusehends als „Steinbruch“, aus dem politische Debatten ihre illustrierenden Beispiele beziehen. Dies zeigte sich bei den Auseinandersetzungen um die Kernenergie, die neue Konfliktformen hervorbrachten: Blockaden, Boykotts, Demonstrationen, schließlich Verweigerungsaufrufe. Überraschend ist, daß diese Protestformen sich immer wieder durch historische Argumentation plausibel zu machen versuchten. So wurde der Volkszählungsboykott nicht zuletzt durch den Hinweis auf die Bevöl-kerungsund Berufszählung von 1939 gerechtfertigt
Die gelenkte Politisierung der Gesellschaft im Dritten Reich, ihre Durchstaatlichung, soll die Proklamation politischer Autonomie in der Gegenwart gleichsam als Kontrastfolie legitimieren, die sich in den Lebensstil-und Umwelt-, in den Zukunftsund Gegenwartskritikdebatten im Zuge einer konstruierten oder nur stillschweigend unterstellten Analogie greifen läßt.
Visionäre Bedeutung haben diese Auseinandersetzungen in den Gerechtigkeitsund Friedensdiskussionen erhalten. Dabei geht es um Überlebensbedingungen der Menschheit, weniger — sieht man von der Menschenrechtsdiskussion ab — um die Sicherung individueller menschlicher Existenz. Die Aktionen der Widerständigkeit werden durch die Pflicht, für die Sicherung der menschlichen Gattung, der nachkommenden Generationen, gerechtfertigt. Das bedeutet, daß die Verweigerung der Widerständigkeit kontrastiert wird mit der unterstellten Hinnahme des „Menschheitsverbrechens“, des „Verbrechens an der Menschheit“, in der Terminologie von Karl Jaspers also mit einem Völkermord
Zeigte bereits die Auseinandersetzung über das Bundesentschädigungsgesetz und die Wiederbe-waffnung der Bundesrepublik Deutschland, daß die Öffentlichkeit die Lösung von Gegenwartskonflikten im Medium historischer Diskussion und öffentlicher Erinnerung anstrebte, so galt dies auch für die grundlegenden Konflikte der sechziger und siebziger Jahre. Wissenschaftler nahmen dabei nicht selten als politische Menschen mit Grundanschauungen und Überzeugungen Stellung. Wie der Streit über Kriegsziele im Ersten Weltkrieg, über die Auflösung der Weimarer Republik oder die Konsolidierung der nationalsozialistischen Herrschaft, schließlich die Schulddiskussionen nach 1945 oder über die Bedeutung moralisch hervorgehobener Institutionen wie der Kirchen oder besonders im Mittelpunkt des Interesses stehender Einzelpersönlichkeiten zeigt, bekennen sich auch Historiker zu der politischen Funktion ihres Faches oder ihrer fachlichen Interessen. Manche der Kontroversen um „Geschichtspolitik“ sind vor allem durch Historiker verschärft worden. Dies gilt nicht nur für Museumspläne, sondern auch für die Gesamtbewertung des Widerstandes.
Die wissenschaftliche Erforschung des Widerstands in den sechziger und siebziger Jahren reagierte auf öffentliche Kritik und politische Herausforderungen und konnte dabei sowohl die Felder der Aufmerksamkeit ausweiten als auch Korrekturen vornehmen, die im Umsetzungsverfahren öffentlicher Rezeption allerdings nicht selten einen besonderen Verlauf nahmen. Gleichwohl hat sich die politisch erklärbare Diskussion über die Dimensionen des Widerstands, über gruppenspezifische und konfessionelle Bezüge insofern positiv ausgewirkt, als neue Gegenstandsbereiche erschlossen worden sind. Restriktiv und einengend waren aber politische Wertvorstellungen oder sogar politisierte Um-akzentuierungen, weil sie den angemessenen Blick auf vergangene Wirklichkeiten des Widerstands erschwerten und zuweilen sogar verstellten
In diesem Zusammenhang ist auf eine bedenkliche und in der Sache unangemessene Verengung des Widerstandsverständnisses im Zusammenhang mit dem „Historikerstreit“ hinzuweisen. In seiner Studie über den „europäischen Bürgerkrieg“ regt Ernst Nolte an, Versuche der Kommunisten, ihre Organisation in der Illegalität aufrechtzuerhalten, nicht als „Widerstand“ zu bewerten. Er fordert statt dessen, „eine Spur anfänglicher Zustimmung“ und damit einen „späteren Wandel der Einstellung“ als „Begriffsmerkmal“ des Widerstandes zu akzeptieren . Dies steht nicht nur im Gegensatz zur Definition des Bundesentschädigungsgesetzes, sondern tendiert dazu, die „geborenen Gegner“ der Nationalsozialisten, die niemals der Gefahr einer auch nur partiellen Zustimmung und Nachfolgebereitschaft erlagen, aus dem Kontext der Widerstands-geschichte auszugrenzen.
IV. Offene Fragen und Probleme gegenwärtiger Widerstandsforschung
Die Herausforderung, die eigengewichtige und eigenwertige Geschichte des Widerstands gerade nicht primär in die politischen Kontroversen und Bewertungen, aber auch in politisch bedingte Um-bewertungen einzuordnen, richtet sich nicht nur an die Politiker und Publizisten, sondern vor allem an die Historiker. Sie können sich zwar niemals freimachen von der grundlegenden Prämisse, daß „Geschichte darzustellen“ immer auch heißt, „Erfahrungen zu beschreiben“ — sie müssen aber die Ambibzw. Polyvalenz dieser Prämisse erkennen und umsetzen. Denn damit sind zum einen die Erfahrungen des fragenden Wissenschaftlers, zum anderen die der Gruppen und Institutionen gemeint, die seine Fragestellung beeinflussen. Hinzu kommt die aus der Kontroverse um die angemessene Deutung entwickelte Perspektive, die in sich wieder das Ergebnis anderer oder gar konkurrierender Lebensund Gruppenerfahrungen ist und nicht selten die ganze Last der Nachkriegszeit trägt. Erst vor diesem Hintergrund erschließen sich die hermeneutisch zu entschlüsselnden Prämissen, die auf die geschichtliche Persönlichkeit und ihre jeweiligen Wertvorstellungen oder Gruppenbindungen verweisen. Aus diesem unübersichtlichen Geflecht, welches nicht zuletzt durch das bereits beschriebene innerwissenschaftliche und öffentliche Deutungsund Meinungsklima kompliziert und vielfältig gebrochen wird, entstehen neue Deutungen, Kontroversen, Diskussionen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die wissenschaftliche Erforschung des Widerstands unterschiedlich umstrittene Felder, die hier nur knapp skizziert werden können. Besonders umstritten ist die Darstellung und die Bewertung des Verhaltens von Kirchen und Geistlichen. Dabei zeigt sich, daß auf die zu untersuchenden zeitgeschichtlichen Erfahrungen immer auch das Wissen um den Ausgang der vergangenen Zeit-geschichte, das die Nachgeborenen haben, einwirkt
Das Leben an der Grenze, zwischen Schuld und Selbstbehauptung, zwischen Freiheit und Immoralität, zwischen Bequemlichkeit und Mut, zwischen Alltagssorgen und Mitmenschlichkeit, Egoismus und Nächstenliebe, zwischen Profilierung und Solidarität, zwischen Lauheit und Konsequenz des Bekenntnisses, das sich bis zum Martyrium steigern konnte, prägte aber die Erfahrungen vieler Deutscher ebenso wie politische Illusionen, die in der jeweiligen Zeit verbreitet waren und erst heute aus dem Rückblick heraus fremdartig erscheinen.
Der Historiker muß in Übereinstimmung mit seinem hermeneutischen Anliegen die Zeitdistanzen überwinden und die komplexe Motivation für Widerstand, aber auch die Vielfalt der Ziele wahmeh-
N men und im Rahmen der zeitspezifisch gegebenen Möglichkeiten interpretieren oder bewerten
Eine besondere Problematik ergibt sich aus dem legitimatorischen Bezug mancher Forschungen und Darstellungen. Vergangenes Verhalten soll nicht nur allein verstanden, sondern gerechtfertigt werden. Dabei geraten nicht selten die in der Zeit gegebenen Alternativen aus dem Blick. So zeigen insbesondere innergruppenspezifische Kontroversen oder politische Konflikte, daß diese Alternativen vorhanden waren und aus freier Willensentscheidung oder aus den Restriktionen von Sozialisation und Tradition verworfen wurden. Auch die Entscheidung gegen Alternativen kann im hermeneutischen Zugriff verdeutlicht und plausibel gemacht werden. Zur hermeneutisch geprägten Ausdeutung vergangener Lebenssituationen gehört auch, daß mögliche Parallelisierungen zur aktuellen Gegenwart problematisiert werden, um den legitimatori-sehen Rückund Selbstbezug mancher widerstands-geschichtlicher Fragestellung zu begrenzen oder zumindest zu kontrollieren.
Dies führt dazu, daß wir die Eigenwertigkeit von Urteils-und Interpretationskriterien erkennen. Autoritäre oder ständische Wertvorstellungen bedeuteten in der Weimarer Zeit anderes als heute, so schwer und kaum vermittelbar manche dieser vergangenen Positionen etwa in politisch-pädagogischer Perspektive heute auch erscheinen mögen
Die Rezeption der Widerstandsdiskussion nach 1945 zeigt, daß durchaus wichtige und fruchtbare Perzeptionen möglich sind. Dabei ist insbesondere zu prüfen, inwieweit Fragestellungen und Bewertungen aktuelle Gegenwartsinteressen spiegeln
Illustrieren läßt sich diese Tendenz anhand der Auseinandersetzungen über die Bedeutung des kommunistischen Widerstands, an der Darstellung der Widerstandsorganisationen von Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen („Rote Kapelle“), an der Würdigung des Exils und des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ /Bund deutscher Offiziere, aber auch an den Diskussionen über die Haltung der Kirchen vor 1933, beim Abschluß des „Reichskonkordats“ vom Juli 1933 und angesichts der sich zuspitzenden „Judenfrage“.
So steht die entscheidende Frage der fünfziger Jahre, von Golo Mann anläßlich des Erscheinens von Gerhard Ritters monumentaler Biographie über Carl Friedrich Goerdeler gestellt, weiterhin im Raum und verpflichtet uns unverändert zum Versuch, den verschiedenen Dimensionen und Richtungen widerständigen Verhaltens Verständnis zu zollen und so auch eine größere Gerechtigkeit des historischen Urteils zu ermöglichen: „Muß es immer noch sein, daß man Partei nimmt zwischen den Widerstandsgruppen, einer von ihnen voll gerecht wird, einer anderen weniger oder gar nicht?“
In diesem Zusammenhang ist besonderer Wert auf begriffliche Klärung zu legen, die gestattet, Entwicklungsphasen widerständigen Verhaltens in gradueller und zeitlicher Differenzierung zu betrachten
In der zeitgeschichtlichen Forschung sind seit der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft verschiedene Widerstandsdefinitionen vorgeschlagen und am historischen Befund überprüft worden. Für Rudolf Pechei war der Kampf gegen Hitler eine „Menschheitsangelegenheit“
Zielte Pechei deutlich auf die deutschen Leser, so wandte sich Hans Rothfels zunächst an die alliierte Öffentlichkeit. In seiner Würdigung der „deutschen Opposition“ gegen Hitler begriff er den Widerstand als Umkehr, bei der „die Rangordnung der Werte sich zurechtrückte und ethisch-religiöse Postulate an Stelle politisch-säkularisierter wieder an die oberste Stelle traten“
Im späteren Verlauf seiner Arbeit erweiterte und veränderte Rothfels seine bis heute gültige Darstellung; dabei blieb er der Gewohnheit treu, die „entscheidende Aktion“ des 20. Juli 1944, die „ihrem Ziele nahekam“, von Verhaltensweisen des Muts und Opferwillens, der Kritik und des Martyriums zu unterscheiden. Dennoch bewahrte er sich das Bewußtsein, daß Verfolgung und Widerstand nicht in Deckung zu bringen waren. Verfolgung erschien ihm als Kollektivschicksal, Widerstand als Verhaltensweise aus der Vereinzelung und individuellen Verantwortung heraus.
Indem Rothfels das Gespür für die Vielfalt von Verhaltensweisen weckte — von der „geistigen Prostitution“ über die Propagierung einer „Anarchie der Werte“ bis hin zu den vielfältigen Formen der „Nichtgleichschaltung“ —, ermöglichte er einerseits das Gespür für die Vielfalt von Lebensweisen und Existenzformen in einer totalitären Diktatur, andererseits aber die Präzisierung des Widerstands-begriffs selbst durch historische Beschreibung. In diesem Sinn schrieb er, selbst derjenige könne nicht ohne weiteres zum Widerstand gerechnet werden, der „wegen gelegentlicher Äußerungen der Kritik oder der Empörung als , volkszersetzendes 4 oder defaitistisches Element dem Todesurteil verfiel“
Ein breites Verhaltensspektrum steht auch am Beginn der Überlegungen von Konrad Repgen. Sie wollen die unterschiedlichen Verhaltensmöglichkeiten als Steigerung von der Nonkonformität bis zum Umsturz beschreiben. Widerstand kann sich punktuell entzünden und sich über eine partielle Dimension bis zum generellen Loyalitätsentzug steigern. In der Tat, die auf den völligen Umsturz des Regimes drängt, werden die politischen Konsequenzen eines Widerstandes sichtbar, der sich zunächst aus dem Glauben heraus motivierte und rechtfertigte und sich aus Beharrung und Verweigerung bis zum offenen Protest und zur Unterstützung des Anschlages auf das Leben des Diktators entwikkelte. Ein gravierendes analytisches Problem, welches die zeitgeschichtliche Forschung außerordentlich stark beschäftigte und schließlich auch die Bewertung des Widerstands bestimmte, stellt die Abgrenzung von Kooperation und prinzipiell motiviertem Widerstand dar. Unbeschadet grundsätzlicher Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung hält es Repgen durchaus für denkbar — und befindet sich dabei in Übereinstimmung mit der Verhaltensweise von Menschen in einem totalitären Staat —, daß sich Katholiken in Bereichen, die „weltanschaulich und sittlich neutral waren“, zur partiellen Kooperation mit den Trägem des Unrechtssystems bereit-fanden. In noch entscheidenderem Maße galt dies für Funktionseliten, die nicht nur mit dem NS-System partiell zu kooperieren hatten, sondern im Rahmen des NS-Staates Aufgaben übernehmen mußten und deshalb die Ordnung des Unrechtsstaates indirekt stabilisierten. Verwaltungsbeamte wie Goerdeler, Diplomaten wie von Hassell, Militärs wie Beck waren immer auch Teil und Produkt des Systems, das sie ursprünglich durchaus gewollt hatten und innerlich überwinden mußten, ehe sie zur Tat kamen
Viel ist seit den sechziger Jahren über die angeblich rückwärtsgewandten Ziele des Widerstandes geschrieben worden. Abgesehen davon, daß es die einheitliche und verbindliche Vorstellung des Widerstands angesichts der vielen Strömungen und Traditionen, die sich in den Individuen des Widerstands verkörperten, gar nicht geben konnte, übersieht diese Interpretation die nicht aufzulösende Zeitverhaftung jeglichen politischen Denkens. Diese Beschränkung könnte jedes Denken der Vergangenheit als nicht zeitgemäß diffamieren und an der Meßlatte unserer Demokratie messen. Unbestritten ist, daß die ständischen und zum Teil antiparlamentarischen Alternativen, die beispielsweise Goerdeler formuliert hatte, ebensowenig unmittelbar zu realisieren waren wie die Vorstellungen sozialistischer Widerstandskämpfer, den Faschismus durch eine soziale Strukturreform von Staat und Gesellschaft endgültig überwinden zu können. Das Verdikt der Zeitverhaftung gilt im strengen Sinn für jede Strömung und Richtung des Widerstands. Entscheidend für die Zukunft und den Zusammenhalt der deutschen Opposition sollte allerdings das Handlungsprinzip des Widerstands werden: das geschändete Recht wiederherzustellen, in streng rechtlich gebundener Weise Verantwortung zu fordern und das Unrecht zu sühnen, den Menschen als Menschen in sein Recht zu setzen und die mensch-liche Würde zur Richtschnur staatlichen Handelns zu machen. Auch der Krieg sollte künftig als Mittel der Politik zwischen Nationalstaaten ausscheiden. Nicht zuletzt gewinnt der heutige Leser von Vorträgen und Denkschriften den Eindruck, erst der Widerstand habe die Restriktionen des Nationalitäten-prinzips überwunden. Zwar starb Stauffenberg wie viele andere im Bewußtsein, für Deutschland den Tod erleiden zu müssen. Deutschland stand hier jedoch für Maßstäbe politischer Moral, für die Demonstration von Anstand und Zivilität, für die Bekräftigung eines wertgeprägten Menschenbildes, für die Glaubwürdigkeit eines anderen Deutschland. Gerade Stauffenberg verkörperte durch seine Beziehungen zu allen wichtigen Widerstandsgruppen, die sich nach 1942 dem Umsturz und der Neukonzipierung einer Nachkriegsordnung widmeten, den politischen Konsens, der sich in der Auseinandersetzung mit dem Widerstand nach 1945 erst allmählich herausbildete und eine verfassungsbezogene, wertgeprägte und zielorientierte Widerstandsdiskussion ermöglichte. Die Vielfalt der Widerstandsgruppen verdeutlicht den Anspruch der Pluralität, Toleranz, Nächstenliebe und Solidarität, welchen Fritz Bauer in seinem klassischen Aufsatz über die historische Dimensionierung des Widerstandsrechts betont hat
Die Einigung der Gruppen und Richtungen erfolgte zunächst in den Zielbestimmungen, anschließend in der Tat. Die Nationalsozialisten . respektierten 1 diese Gemeinsamkeit, indem sie alle Anhänger der deutschen Opposition in gleicher Weise verfolgten und gleichermaßen bestraften. Sie unterschieden nicht nach Haltungen der Dissidenz und Resistenz, der Nonkonformität und Verweigerung, des Umsturz-und Attentatswillens. Der gemeinsame Nenner der Strafgründe war vielmehr der Vorwurf, sich den „Kopf des Führers zerbrochen zu haben“, wie Freisler den Mitgliedern des Kreisauer Kreises vorwarf. Damit wird deutlich, daß der NS-Staat nicht nur die Auflehnung ahnden, sondern das Selbstbewußtsein derjenigen zerstören wollte, die versuchten, Konturen einer Neuordnung zu skizzieren. Die Anstrengung der nationalsozialistischen Unterdrückungsorgane richtete sich gegen die Zukunftsgewißheit der Widerstandsbewegung und ihre Integrität. Ausdruck dieser Integrität war die Standhaftigkeit, mit der viele der nach dem 20. Juli 1944 Verhafteten und Verfolgten die Untaten der deutschen Führung und ihrer Handlanger geißelten und ihre Bestrafung verlangten. Die Unsicherheit der Nationalsozialisten wurde noch größer, als sie erkannten, daß es dem Widerstand nicht um Vergeltung, sondern um Sühne und Wiedergutmachung, um eine Übernahme der Schuld durch Bestrafung der Schuldigen ging. Sie verstanden den Anspruch Bonhoeffers, die Widerstandsbewegung dürfe nicht die Menschenverachtung ihrer Gegner praktizieren
Der Herrschaftsanspruch der NS-Führung wurde aber vor allem dadurch beschränkt, daß die Widerstandsbewegung einen eigenen Zukunftsanspruch erhob, demonstrierte und schließlich durchsetzte. Ihre Anhänger überwanden die Angst, die sie, wie jeder Mensch, angesichts des Todes empfanden, indem sie über ihren Todestag hinausschauten und sich eine Nachkriegsordnung vorstellten, die eine scharfe Alternative zum NS-Staat war. In diesem Sinne beschwor Dietrich Bonhoeffer die Zukunft, als er den Optimismus als die Grundtriebkraft des Widerstandes bezeichnete, als eine „Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner läßt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt“
Es war die Tragik des Widerstands, daß er sich nicht auf das Volk in seiner Breite stützen konnte. Nach dem Attentat flog Hitler, der nahezu unverletzt geblieben war, eine neue Welle der Sympathie zu, wie alle „Meldungen aus dem Reich“ belegten. Viele Widerstandskämpfer waren Jahre hindurch niemals irre geworden an ihrer Aufgabe, ihren Weg zu Ende gehen zu müssen, wie Julius Leber bereits 1933 geschrieben hatte. Sie lebten mit dem qualvollen Bewußtsein, „die Letzten zu sein“, wie Albrecht Haushofer in seinem Sonett „Das Erbe“ geschrieben hatte. Sie klagten sich vielfach auch im Bewußtsein ihres Versagens und ihrer Schuld selbst an, denn sie hatten große Teile der Ordnung, die sie überwanden und bekämpften, ursprünglich häufig „miterdacht, mitermöglicht und mitverwirklicht“ (R. von Voss). Dieses Gefühl des gemeinsamen Versagens und der gemeinsamen Schuld war Voraussetzung einer neuen Gemeinsamkeit, die im Kem einen Bezugspunkt hatte: „Die Majestät des Rechts“ in der Zukunft zu sichern. Dieses Bewußtsein gilt es, auch in gegenwärtigen und zukünftigen Widerstandsdiskussionen nicht preiszugeben.
Dies ist die Lehre des Widerstands: „Nur einem bestimmten, sich auf verpflichtende Ziele selbst festlegenden Staat — eben einem Staat in einer bestimmten Staatsform — kann Treue, Gehorsam, vielleicht auch Liebe gegeben werden“ (W. Hennis). Staat in diesem Sinne ist Ausdruck einer Lebensform — nicht einer Unterordnung; er ist nicht Gestalt einer bloßen, leeren Form, sondern die Struktur einer Ordnung, die sich zur Moral der Toleranz, des Pluralismus und der Nächstenhebe als dem letzten und verpflichtenden „Grund von Politik“ (R. von Weizsäcker) bekennt. Erst in diesem Sinne ist Staat niemals Selbstzweck und Eigenwert, sondern Mittel zur Sicherung einer Lebensordnung, die über Staat, Nation und Gesellschaft hinaus dem Individuum dient. Hier spiegelt sich das vielleicht wichtigste Vermächtnis des Widerstands gegen Hitler.