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Grundfragen einer ökologisch ausgerichteten Wirtschafts-und Umweltpolitik | APuZ 27/1988 | bpb.de

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APuZ 27/1988 Die normativen Voraussetzungen der Umweltpolitik. Zur Wiederannäherung von Ethik und Politik Umweltpolitik in Europa -Möglichkeiten und Grenzen Grundfragen einer ökologisch ausgerichteten Wirtschafts-und Umweltpolitik

Grundfragen einer ökologisch ausgerichteten Wirtschafts-und Umweltpolitik

Christian Leipert

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Eine ökonomische Hauptursache der Umweltkrise liegt in der unvollständigen Kostenrechnung der Unternehmen. Naturleistungen können immer noch weithin zum Nulltarif oder — gemessen an den Auswirkungen von Umweltbelastungen — zu billig in Anspruch genommen werden. Eine nachhaltige Verbesserung der Umweltqualität setzt eine Anpassung der derzeit in weiten Bereichen ökologisch ignoranten Preisstrukturen an die faktische Situation der ökologischen Knappheit voraus. Ein weiteres Kapitel befaßt sich mit den Gewinnern und Verlierern des säkulären wirtschaftlichen Wachstumsprozesses in der industrialisierten Welt. Die rapide ansteigenden ökologischen Kosten drohen die noch erreichbaren ökonomischen Erträge zu übertreffen. Realistischerweise ist auch für die Zukunft davon auszugehen, daß Privatwirtschaft. Gewerkschaften und Staat weiterhin am Wachstumsziel festhalten werden. Um so dringender ist eine Revision des Wachstumskonzeptes und eine Erweiterung des offiziellen wirtschaftspolitischen Zielkatalogs um das Ziel der Naturverträglichkeit von Produktion und Konsum. Bruttosozialprodukt und Wirtschaftswachstum reflektieren zunehmend nicht nur positiv zu bewertende wirtschaftliche Erträge, sondern zusätzliche gesamtwirtschaftliche Kosten (u. a. zur Verminderung und Kompensation von wachstumsbedingten Umweltschäden). Eine integrale Berücksichtigung von Umwelt-faktoren in allen Bereichen der Wirtschaftspolitik, die langfristig anzustreben ist, hat auch Konsequenzen für die Umweltpolitik. Die heute noch vorherrschende Entsorgungspolitik muß ersetzt werden durch eine vorsorgende, querschnittsorientierte Umweltpolitik.

Ursachen der Umweltkrise

Die heutige Umweltzerstörung und Ressourcenerschöpfung ist, ökonomisch gesprochen, letztlich das Ergebnis eines Wirtschaftsprozesses, in dem Natur weitgehend zum Nulltarif oder — was Rohstoffe und Energiequellen angeht — zu geringen Preisen in Anspruch genommen wurde. Inanspruchnahme von Leistungen der Natur nahezu zum Nulltarif, obwohl diese Leistungen schon seit langem ökonomisch knapp sind und im Zuge des umweltbelastenden Wachstumsprozesses immer knapper werden.

Von daher hätten sie schon lange mit einem Preis versehen sein müssen, um in der Wirtschaft als relevanter Kostenfaktor, mit dem man aus ökonomischen Gründen möglichst sparsam umgeht, spürbar werden zu können.

Dies alles spielt sich in einem Wirtschaftssystem ab, in dem die einzelnen Unternehmen unter Konkurrenzverhältnissen zur Minimierung ihrer Kosten gezwungen sind. Dieser Zwang zur Minimierung der einzelwirtschaftlichen Kosten bedeutet einen massiven Anreiz einerseits zur intensiven Nutzung von kostenlos oder weitgehend kostenlos verfügbaren Produktionsfaktoren — wie den Leistungen der Natur —, andererseits zur maximalen Externalisierung, also Abwälzung von Kostenelementen auf Dritte — die Gesamtgesellschaft und die Natur —, die heute und/oder in der Zukunft belastend wirksam wird. Unter diesen Bedingungen hat sich im Verlauf des säkularen wirtschaftlichen Wachstumsprozesses seit Beginn der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert und mit einer spektakulären Beschleunigung nach dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang der siebziger Jahre in allen Industriegesellschaften ein umweltbelastender Produktions-und Konsumstil herausgebildet. Er hat nach dem Überschreiten bestimmter Schwellenwerte der Belastbarkeit zu einem raschen Anstieg von ökologischen und sozialen Folgekosten des Wirtschaftsprozesses geführt.

Einzelwirtschaftliche und gesamtwirtschaftliche Rationalität (oder: einzel-und gesamtwirtschaftliches Optimum) fallen bei der Existenz von externen Effekten — und Umweltschäden sind typische Beispiele von negativen externen Effekten — auseinander. Für ein Einzelunternehmen ist es rational, kostenminimierend zu produzieren, auch wenn dadurch außerhalb des Unternehmens wachsende Umweltschäden und andere Wohlfahrtsverluste ausgelöst werden. Denn solange die kostenlose Nutzung von Leistungen der Natur nicht verboten ist, würde das Unternehmen seine Konkurrenzsituation nur verschlechtern, wenn es die Umweltbelastungen kostenträchtig, z. B. durch den Bau einer Kläranlage, vermeiden würde. Es kann nicht damit rechnen, daß andere Konkurrenten freiwillig genauso verfahren. Diese Dilemmasituation führt dazu, daß alle Unternehmen je für sich rational handeln, wenn sie ökologische und soziale Folgekosten ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit so weit wie möglich abwälzen. In der Konsequenz führt dies jedoch zu einem für die gesamte Gesellschaft irrationalen Ergebnis, da sie das Opfer der sich akkumulierenden und beschleunigt steigenden Umweltschäden und der davon ausgehenden Folgebelastungen ist. Es entsteht eine wachsende Diskrepanz zwischen den einzelwirtschaftlich getragenen und den gesamtgesellschaftlich tatsächlich entstehenden Kosten, zu denen eben auch die rasch wachsenden ökologischen und sozialen Folgekosten des Wirtschaftsprozesses gehören.

Nun ist es aber in der ökonomischen Theorie eine völlig unbestrittene Einsicht, daß eine Marktwirtschaft nur dann gesellschaftlich optimale wirtschaftliche Ergebnisse hervorbringt, wenn die Preise, die die Allokation der Ressourcen steuern (d. h. die Aufteilung der Produktionsfaktoren auf die Produktion der von den Konsumenten gewünschten Güter und Dienstleistungen), die gesellschaftlichen Kosten reflektieren. Bei Existenz von negativen externen Effekten (von ökologischen und sozialen Folgekosten der Produktion) müßten die Preise dementsprechend nicht nur die einzelwirtschaftlich getragenen, sondern die gesamtgesellschaftlich tatsächlich entstandenen Kosten spiegeln.

Dieser Grundsatz einer ökologischen Marktwirtschaft, den man mit . richtig rechnen 4 oder mit der Forderung nach einer vollständigen Kostenrechnung des Unternehmens umschreiben könnte, ist hier bei uns, aber natürlich auch in anderen Indu29 strieländern, bisher eher Versprechen als Aufforderung zum raschen und folgerichtigen politischen Handeln geblieben. Die Wirtschaft kann die Umwelt auch heute noch in weitem Umfang kostenlos, oder, gemessen an den Auswirkungen, zu billig nutzen. Hier mit Beispielen zu beginnen, hieße die Frage aufwerfen, wo aufhören. Ich erwähne nur den Bestandsschutz bei Altanlagen im alten — nun endlich novellierten — Bundesimmissionsschutzgesetz, der einem Recht auf ungehinderte Umweltverschmutzung bis zu dem Zeitpunkt, an dem die jeweilige Anlage auseinanderfällt, gleichkommt. Zu nennen wären etwa auch die Einleitungsbescheide für Firmen entsprechend dem Wasserhaushaltsgesetz, deren umweltpolitische Brisanz der Öffentlichkeit erst nach der Sandoz-Katastrophe und nach dem Bekanntwerden einiger Einleitungsbescheide großer Chemiebetriebe am Rhein bewußt wurde. Noch schhmmer ist die Situation in den osteuropäischen Ländern, vor allem in Polen, in der Tschechoslowakei, aber auch in Teilen der DDR und der Sowjetunion. Die Frage einer unvollständigen Kostenrechnung ist also nicht notwendig wirtschaftssystemspezifisch; sie ist vielmehr im Blick auf die ökologischen Kosten des Wachstums wirtschaftssystemübergreifend. Die ökologische Ignoranz in den politischen und wirtschaftlichen Institutionen der osteuropäischen Länder scheint sogar noch ärger zu sein als in Westeuropa.

Die Wirtschaft hat noch nicht voll begriffen, daß die Natur neben Arbeit und Kapital der dritte Produktionsfaktor ist, für den im Zeitalter der ökonomischen Knappheit des nutzbaren Potentials an Naturleistungen ein Preis gezahlt werden muß — genauso wie für die Nutzung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital. Wenn immer wieder von Unternehmerseite gesagt wird, Umweltschutzinvestitionen seien unproduktive Investitionen, dann handelt es sich um einen Trugschluß. Wenn dies behauptet wird, dann wird impüzit nicht anerkannt, daß die Natur der dritte Produktionsfaktor ist, für dessen Nutzung ein Entgelt entrichtet werden muß.

Für unproduktiv hält man doch die Umweltschutz-investitionen nur deshalb, weil bisher für die Inanspruchnahme von Leistungen der Natur, also für die Verschmutzung der Umwelt, nichts bezahlt worden ist. Umweltschutzinvestitionen erhöhen also in dieser lückenhaften Rechnung nur die Produktionskosten und nicht die Gewinne. Wenn aber klar ist, daß für Naturleistungen regelmäßig (z. B. in Form von Abgaben auf Schadstoffe und Abwasser) bezahlt werden muß, dann sind Umweltschutz-aufwendungen oder der Einsatz teurer schadstoff-ärmerer Anlagen auch betriebswirtschaftlich produktiv. Sie stellen zwar einerseits Kosten dar, verhelfen jedoch andererseits gleichzeitig dazu, Kosten einzusparen, nämlich die Kosten von Naturleistungen, die jetzt nicht mehr benötigt werden.

Für eine vollständige Kostenrechnung

Richtig rechnen heißt bei einer wirtschaftlichen Aktivität, die Naturleistungen in Anspruch nimmt, nicht nur die Kalkulation der direkten Arbeits-und Kapitalkosten, die einzelwirtschaftlich bei den Unternehmen anfallen, sondern eben auch die Berücksichtigung der externen Kosten und der sogenannten Zukunftskosten (oder Nutzungskosten). Nehmen wir das Beispiel der Stromproduktion auf der Basis fossiler Energiequellen. Die bei der Verbrennung entstehenden Emissionen führen — wie wir wissen — zu Waldschäden (zu ökonomischen und ökologischen Verlusten), zu Bodenschäden, zu Schäden an privatem und öffentlichem Eigentum und zu Gesundheitsschäden. Die Strompreise sollten diese externen Kosten oder entsprechend die Kosten zur Vermeidung dieser externen Kosten enthalten. Nach ersten überschlägigen Berechnungen würde sich eine spürbare Anhebung der Strom-preise ergeben.

Der dritte Kostenbestandteil wären die Zukunfts(oder Nutzungs-) kosten. Der Abbau und anschließende Verbrauch von Ressourcen wie Erdöl oder Kohle aus begrenzten Beständen bedeutet, daß diese in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen.

Sie sind endgültig verbraucht. In den Preisen müßte eine Art von Abschreibung auf den schrumpfenden Bestand — ähnlich der Abschreibung auf das im Produktionsprozeß verschüssene Produktivkapital in den Kostenkalkulationen der Unternehmen — enthalten sein, aus der der Aufbau einer neuen Energiebasis finanziert wird, die dann zur Verfügung steht, wenn die begrenzten Bestände aufgebraucht sind. Da der einzelne Grubenbesitzer oder Besitzer einer Ölquelle diese langfristigen Konsequenzen im allgemeinen nicht bedenkt, muß hier der Staat eingreifen. Dies könnte beispielsweise durch eine Energie-und Rohstoffsteuer erfolgen. Derartige Vorschläge werden auch im poütischen Raum schon diskutiert. Die SPD will ihr „Arbeitund Umwelt“ -Programm im wesentlichen mit einer zusätzlichen Energiesteuer finanzieren. Es gibt ferner Vorschläge, eine Energie-und Rohstoffsteuer mit einer Entlastung bei den Personalzusatzkosten zu verknüpfen

Eine vierte Kostenkategorie könnte ein Erwartungswert von zusätzlichen Kosten aufgrund unerwarteter katastrophaler Entwicklungen sein („disaster costs“). Die Berücksichtigung eines derartigen Erwartungswertes entspräche einer Orientierung am Vorsorge-oder Vorsichtsprinzip. Das Verursacherprinzip als Kostenanlastungsprinzip reicht in ökologischen Zusammenhängen nicht aus. Es ist retrospektiv und kann nur die bekannten Verursacher-Schadensbeziehungen berücksichtigen. Unser Wissen über schon akute wie auch potentielle Schadenswirkungen eines umweltbelastenden Wirtschaftens istjedoch beschränkt. Folglich müssen wir unsere umweltbezogenen Entscheidungen in Unsicherheit treffen — aufgrund des begrenzten Erkenntnisstandes der Wissenschaft und aufgrund langfristiger, noch nicht offenkundig gewordener Schadensentwicklungen. Obwohl wir oft Belastbarkeitsgrenzen nicht kennen, haben wir ein Erfahrungswissen, wie schleichende Belastungsprozesse plötzlich in rasch zunehmende Schadensprozesse umschlagen können. Das Wissen um unser Nichtwissen rechtfertigt die Festlegung einer Vorsichtsmarge, einer kritischen Zone. Das Ringen verschiedener Positionen auch in der Wissenschaft um Sicherheitsspielräume zeigt sich in der Diskussion über die Festlegung bzw. Änderung der Höhe von Grenzwerten bei neuen Stoffen.

Gewinner und Verlierer des wirtschaftlichen Wachstums

Das Wachstum der Wirtschaft, der Einkommen und des Lebensstandards in den Industrieländern ist wesentlich bedingt durch die sich im Verlaufe der Industrialisierung immer mehr beschleunigende Ausbeutung nicht erneuerbarer, nur in begrenzten Mengen vorhandener Rohstoffe und Energiequellen. Dies hat zu einer massiven Belastung und partiellen Zerstörung von Umwelt und Natur geführt, deren Kosten und Lasten wir erst jetzt zu tragen beginnen.

Man muß es sich klar vor Augen führen: Zwischen dem heutigen Wohlstand in den Industrieländern und den Belastungs-und Zerstörungsprozessen in der Natur besteht ein direkter und enger Zusammenhang. Denn dieser Wohlstand konnte nur erzeugt werden, weil die Industriegesellschaft von dem Ressourcennutzungsmuster aller früheren Kulturen abwich, die im wesentlichen von der Nutzung und dem Verbrauch erneuerbarer oder nichterschöpflicher Quellen lebten. (Auch dort wurden natürlich Ressourcen übernutzt, wie z. B. Wälder, die abgeholzt wurden; aber diese Fälle blieben immer lokal begrenzt.) Der Übergang zum Industrie-zeitalter stellt damit eine Zäsur in der Geschichte des Menschen dar. Der Mensch begab sich in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zunehmend aus seiner Abhängigkeit von den zeitlichen (= langsamen)

Rhythmen ökologischer Systeme.

Der Verbrauch der in Jahrmillionen akkumulierten Bestände an mineralischen Rohstoffen und fossilen Energiequellen ermöglichte im Verein mit der systematischen Nutzung von Wissenschaft und Technik ein von natürlichen Zyklen weithin unabhängi-ges, nunmehr ökonomisch-kulturell determiniertes Wachstum der Produktion, das in seiner Dynamik historisch ohne Vergleich ist. Gleichzeitig ist aber dieser Prozeß des beschleunigten Verbrauchs von nicht-erneuerbaren Naturressourcen die Hauptursache für die Vergiftung, Übernutzung oder Zerstörung der vorhandenen Ressourcen Luft, Wasser, Boden, Wald, generell der Flora und Fauna, der Atmosphäre sowie ganzer Ökosysteme. Heute steht die Gefährdung dieser Ressourcen im Zentrum der besorgten Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit — handle es sich um die Ausbreitung der Wüsten, das Voranschreiten der Erosion, die Zerstörung der Regenwälder, die Belastung und das Sterben der Wälder in der nördlichen Hemisphäre oder die Gefahren für die Atmosphäre und den Ozonschild.

Das Wachstum der Realeinkommen wäre gewiß geringer gewesen, wenn von vornherein Umweltgesichtspunkte berücksichtigt worden wären. Wirtschaft und Gesellschaft haben eine Anleihe bei der Umwelt genommen, ohne sofort mit der Rückzahlung zu beginnen. Dies hat zur Konsequenz, daß heute und in der näheren Zukunft höhere Anteile des Realeinkommens für Umweltzwecke abgezweigt werden müssen, weil neben den neuen Lasten auch noch die Alt-Lasten, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgetürmt worden sind, abgebaut werden müssen. Man denke nur an den sorglosen Umgang mit Giftmüll, für dessen „Beseitigung“ jahrzehntelang keine oder nur vernachlässigbare Beträge bezahlt worden sind. Wir wissen heute, wie teuer eine einigermaßen vertretbare Bewältigung des Sondermüllproblems ist. Der weiter anschwellende Berg giftigen Sondermülls unserer Wirtschaft wird heute für eine der zentralen noch ungelösten umweltpolitischen Herausforderungen unserer Industriegesellschaft gehalten.

Der Stellenwert des Wirtschaftswachstums für die großen gesellschaftlichen Kräfte

Von dem permanenten Wachstum der Produktion und der Realeinkommen in den vergangenen Jahrzehnten haben wesentlich die drei großen Kräfte in unserer Gesellschaft profitiert: die Unternehmen, die Arbeitnehmer und der Staat.

Der enorme Anstieg des wirtschaftlichen Wohlstandes in den Industrieländern ist durch die Maximierung der Arbeits-und Kapitalproduktivität erreicht worden — also durch die Maximierung der Produktion pro Arbeitskraft bzw. pro Einheit eingesetzten Kapitals. Nicht gesehen wurde, womit dieser historisch einzigartige wirtschaftliche Fortschritt erkauft wurde: Dem permanenten Anstieg der Arbeits-und Kapitalproduktivität ging eine gleichfalls permanente Verschlechterung der Rohstoff-, Energie-und Umweltproduktivität parallel. Schwerpunkt einer ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik der Zukunft sollte daher eine wesentliche Steigerung der Ressourcen-und Umweltproduktivität sein. Erreichbar ist diese jedoch nur mittels einer realen Verteuerung dieses knappsten Faktors — sei es direkt in Form höherer Preise für Rohstoffe und Energiequellen oder in Form von (kostensteigernden) Standards und Abgaben auf Schadstoffe und Abwasser. Anfänge sind gemacht: Die Energieproduktivität ist in den letzten 14 Jahren wesentlich gestiegen. Stieg das Bruttosozialprodukt zwischen 1973 und 1987 um 29 Prozent, so veränderte sich der gesamte Primärenergieeinsatz nur marginal um 2 Prozent.

Auf der Verliererseite stehen freilich nicht nur Natur und Umwelt, sondern auch und vor allem die zukünftig lebenden Generationen, denen durch die Umweltzerstörung und den Ressourcenraubbau Lebenschancen beschnitten werden. Als weiterer Verlierer dieses Prozesses der Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstandes in den Industrieländern muß auch die Dritte Welt bezeichnet werden. Das Wachstum der Wirtschaft und der Einkommen wäre gewiß geringer gewesen, wenn die Industrieländer nicht seit Beginn der industriellen Revolution einen unbehinderten Zugriff auf billige Rohstoffe, Energiequellen, Arbeitskräfte und die Verschmutzungskapazität der Umwelt in den dortigen Ländern gehabt hätten. 1. Die Privatwirtschaft Alle drei Akteure — Unternehmen, Gewerkschaften und Staat — werden vermutlich auch in Zukunft aufeine wachsende Wirtschaft setzen. Für die Wirtschaft und die Unternehmen ist dabei davon auszugehen, daß eine ökonomische Wachstums-orientierungder gewinnorientierten Marktwirtschaft immanent ist. Es gibt einzel-und gesamtwirtschaftliche Mechanismen in einer Marktwirtschaft, die auf so etwas wie einen Wachstumszwang hinauslaufen. Eine Konstellation von Privateigentum an den Produktionsmitteln, Gewinnmaximierungsziel, nationaler und internationaler Konkurrenz und permanentem technischem Wandel, wie wir sie auch in den gemischtwirtschaftlichen Systemen der westlichen Industrieländer vorfinden, birgt starke Anreize für Unternehmenswachstum und hat meist auch ein gesamtwirtschaftliches Wachstum der Produktion zur Folge. Stagnation bedeutet hier in der Regel schon Krise; dies deshalb, weil Stagnation aufgrund der permanenten Produktivitätssteigerung durch technischen Fortschritt den Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge hat.

Das Streben nach Wachstum in den Unternehmen muß nun nicht heißen, daß wir auf immer auch ein gesamtwirtschaftliches Wachstum, und gar noch ein hohes haben. Wenn die Forderung nach mehr Arbeitszeitverkürzung, mehr Arbeitsplatzteilung, generell nach mehr Arbeitszeitflexibilität und Zeit-souveränität weiter zunimmt, kann ein privatwirtschaftliches System, eingebunden in den Weltmarkt, durchaus mit sinkendem oder stagnierendem Sozialprodukt einhergehen. 2. Die Gewerkschaften Die Gewerkschaften setzen weiter aufeinen Anstieg der Realeinkommen. Ein großer Teil ihrer Mitglieder (einschließlich der Arbeitslosen) verfügt über so geringe Realeinkommen, daß die Notwendigkeit einer Anhebung dieser unteren Einkommen einsichtig ist. Die Gewerkschaften wissen jedoch auch, daß eine Wachstumspolitik heute nicht mehr in der Lage ist, Vollbeschäftigung wiederherzustellen, wie das nach der ersten Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik im Jahre 1967 noch der Fall war.

Deshalb verfolgen sie eine Politik der Arbeitszeit-verkürzung, auch in der laufenden Tarifrunde. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang die aktuelle Diskussion über den Lafontaine-Vorschlag, daß Arbeitszeitverkürzung bei Beschäftigten mit Einkommen über DM 5 000 brutto nicht mit vollem Lohnausgleich gekoppelt sein sollte. Meines Erachtens geht dieser Vorschlag in die richtige Richtung, da er sozial differenziert. Umweltschutz, allgemeiner: die Umorientierung der Wirtschaft auf das Ziel der Naturverträglichkeit hin hat seinen ökonomischen wie einkommenspolitischen Preis. Naturverträglichkeit von Produktion und Konsum und die Einkommens-und Komfort-vorteile der heutigen naturdegradierenden Produktions-und Konsumweise sind nicht gleichzeitig zu haben. Die Mehrkosten von zusätzlichen Investitionen in eine naturverträgliche Wirtschaftsentwicklung. Wie werden diese Kosten auf Lohn-und Gewinnbezieher, auf Arbeitnehmer und Selbständige, auf die Bezieher niedriger und hoher Einkommen verteilt? Hier gilt es Lösungen zu ersinnen, die umweltpolitisch effizient, wirtschaftspolitisch akzeptabel sowie sozial-und gesellschaftspolitisch zufriedenstellend sind. Wichtig ist, das Bewußtsein dafür zu stärken, daß für gewisse Abstriche am Realeinkommen und am Konsum ja Relevantes gewonnen wird: eine höhere Umwelt-und Lebensqualität, die — folgt man Umfrageergebnissen der letzten Jahre — in der Wertung der Bevölkerung immer wichtiger wird. 3. Der Staat Das Erreichen eines möglichst hohen Wirtschaftswachstums — das bekanntlich mit der Zuwachsrate des realen Bruttosozialprodukts (BSP) gemessen wird — ist gerade seit dem Ende des jahrzehntelangen Nachkriegsbooms Mitte der siebziger Jahre zu einem überragenden Ziel der westlichen Industrieländer geworden. Graf Lambsdorff hat einmal den Stellenwert des Wirtschaftswachstums für die Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik der Bundesregierung so beschrieben: „Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts.“ Und tatsächlich: Kontinuierliches und möglichst hohes Wirtschaftswachstumist der wirtschaftspolitische Hebel, über den die Arbeitslosigkeit abgebaut und Vollbeschäftigung wieder erreicht werden soll. Er verhindert, daß Sozialstaat und Rentenversicherung zusammenbrechen, macht zusätzliche Mittelanforderungen der Entwicklungs-und der Umweltpolitik leichter, konfliktfreier finanzierbar, entschärft Verteilungskonflikte entschärft und soll — nicht zuletzt — das Versprechen auf eine Steigerung des Lebenstandards einlösbar machen. Nur wenige Politiker kritisierten bisher die damit verbundene Auslieferung des Staates und seiner Politik an die Voraussetzung eines permanenten und möglichst hohen Wirtschaftswachstums. Kurt Biedenkopf gehört zu diesen Ausnahmen. Er hat erst kürzlich wieder in einem Memorandum zur Wirtschaftspolitik dafür geworben, wachstumsunabhängige Lösungswege für die dringenden gesellschaftlichen Probleme wie die Arbeitslosigkeit und die langfristige Sicherung des sozialen Netzes (einschließlich der Renten) zu finden

Es wäre nun politisch unklug, Wachstum per se abzulehnen. Eine Stagnation der Produktion oder selbst ein Schrumpfen der Produktion bringt ökologisch wenig, wenn nicht gleichzeitig die umweltbelastenden Produktions-und Konsumstrukturen geändert werden. Nullwachstum war nie ein Ziel der Wachstumskritiker und der Umweltbewegung. Wachstum in bestimmten Bereichen ist durchaus erwünscht und sogar notwendig. Wachstum ist nötig zum Aufbau umweltfreundlicher und ressourcenschonender Produktions-, Konsum-, Technologie-und Siedlungsstrukturen. Wir brauchen ferner ein starkes Wachstum im Umweltwissen, in der Entwicklung umweltfreundlicherTechnologien, bei umweltrelevanten Qualifikationen und Ausbildungsgängen, bei der Erfindung sozialer Innovationen, die helfen, die institutionellen Barrieren auf dem Weg zu einer naturverträglichen Wirtschaft aus dem Weg zu räumen. Aber es muß eben auch viel schrumpfen: Produktionsprozesse, die stark umweltbelastend sind und verschwenderisch mit Energie und Rohstoffen umgehen, ebenso wie umweltbelastende Produkte, Technologien und Nutzungsstrukturen im Verkehr, im Energiewesen, in der Landwirtschaft etc.

Grundlegend kritisiert werden muß freilich eine einseitige, undifferenzierte und globale Wachstumspolitik, die ihren Erfolg an einer möglichst hohen Wachstumsrate des BSP mißt — eine Politik also der Maximierung einer rein ökonomischen Größe ohne Beachtung der Folgen für Lebensqualität und Ökologie. Nichts anderes steht m. E.der Verwirklichungeiner präventiven Umweltpolitik so entgegen wie das weiterhin gesellschaftsprägende quantitative und undifferenzierte Wachstumskonzept und die dahinter stehenden Politikprioritäten.

Defekte des dominierenden Wachstumskonzeptes aus ökologischer Sicht

Das dominierende Wachstumskonzept der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) hat aus ökologischer Sicht zwei grundlegende Defekte: Es erfaßt nicht die ökologischen Folgekosten des wirtschaftlichen Expansionsprozesses. Diese umwelt-spezifischen Kosten des Wachstumsprozesses bleiben ausgeblendet, da im Sozialprodukt ausschließlich die durch Marktpreise bewerteten Produktions-ergebnisse erfaßt werden. Eine weitere Verzerrung der volkswirtschaftlichen Leistungsmessung ergibt sich dadurch, daß Sozialprodukt und jährliches Wirtschaftswachstum in zunehmendem Maße auch durch „Leistungen“ steigen, die tatsächlich aber keine zusätzlichen Erträge des Wirtschaftens, sondern eher zusätzliche gesamtwirtschaftliche Kosten von Produktion und Konsum darstellen. Das heißt: Das Sozialprodukt steigt auch deshalb, weil keine Rücksicht auf die mit Wachstumsprozeß einhergehenden Umweltschäden und Naturverluste genommen wird; und das Sozialprodukt steigt ein weiteres Mal, wenn die Umweltschäden repariert werden und nunmehr Umweltschutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, um noch schlimmere Umweltschäden in der Zukunft zu verhindern. Was besagen substantiell überhaupt noch solche Wachstumsindikatoren — die wie kein anderes Maß die heutige Wirtschaftspolitik beeinflussen — in einer Zeit kumulierender Naturzerstörung und wachsender schadens-und nachteilskompensierender Aktivitäten? Die einseitige Orientierung der heute das wirtschaftspolitische Denken weltweit prägenden VGR ist besonders problematisch, wenn im Zeitalter der Umweltkrise eine Situation eintritt, in der wachsender Erfolg in der VGR Substanzverlust in der Natur heißt. Wenn hingegen die Naturverluste, die durch eine kurzfristige, Gegenwartskosten minimierende Wirtschaftspolitik in Kauf genommen werden, in der VGR vom Nettosozialprodukt abgezogen werden würden, wäre eine umweit-und naturschädigende Wirtschaftspolitik vielleicht nicht mehr so leicht durchsetzbar. Dies würde wahrscheinlich schon dann gelten, wenn regelmäßig Alternativ-rechnungen unter Berücksichtigung der Naturverluste und der kompensatorischen Ausgaben der Schadensregulierung in die wirtschaftspolitische Debatte eingeführt würden.

Zur Größenordnung der kompensatorischen Ausgaben der Schadensbekämpfung und der Nachteilsregulierung

Ich habe in einem mehrjährigen Projekt den Versuch unternommen, für die Bundesrepublik Deutschland den Anteil der kompensatorischen Ausgaben am BSP zu ermitteln, und zwar für die Periode 1970 bis 1985 Unter kompensatorischen Ausgaben verstehe ich dabei jene Ausgaben zur Verteidigung bzw. Wiederherstellung von Umwelt-qualitäten und anderen Dimensionen menschlicher Wohlfahrt, die wachstumsbedingt zerstört worden oder verloren gegangen sind. In meine Berechnungen gehen Kategorien aus sechs Bereichen ein: Umwelt, Verkehr, Wohnen, innere Sicherheit, Gesundheit und Arbeit, wie z. B.: — die Umweltschutzausgaben von Industrie und Staat, die einer weiteren Verschlimmerung der Umweltsituation vorbeugen sollen; — die Kosten zur Kompensation und Reparatur von Umweltschäden und ihren negativen Folgen wie — vermehrte Reparaturen und Emeuerungsarbeiten an Häusern, Materialien, Produktionsanlagen und Infrastruktureinrichtungen; * — vermehrter Kultivierungsaufwand und ausgedehnte Kalkungsaktionen aufgrund des Waldsterbens; — Aufbereitungskosten von Wasserwerken aufgrund von Oberflächen-und Grundwasserverunreinigung; — Folgekosten von Verkehrsunfällen sowie von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie — wachsende staatliche und private Ausgaben zur Bekämpfung ständig wachsender Kriminalität.

Danach belief sich der Anteil der Reparaturkosten — umfassender: der kompensatorischen (oder defensiven) Ausgaben am BSP — im Jahre 1985 auf mindestens 10 Prozent. 1970 lag dieser Anteil nach meinen Berechnungen erst bei ca. 5 Prozent. Die defensiven Kosten sind in dieser Zeit nahezu viermal so schnell gewachsen wie das BSP als Ganzes. Während die gesellschaftliche Defensivkostenlast um rd. 150 Prozent zunahm, stieg das BSP nur um knapp 40 Prozent.

Welche Lehre ergibt sich daraus? Das BSP überschätzt im Zeitablauf zunehmend den echten wirtschaftlichen Wohlstand, das tatsächliche wohlstandsschaffende Neuprodukt. Diese Aussage gilt schon bei alleiniger Berücksichtigung der Ausgaben und Kosten zur Regulierung von wirtschaftsbedingten Schäden und Verschlechterungen. Aber diese sind häufig nur die Spitze eines Eisberges von ökologischen und sozialen Folgekosten der Industriegesellschaft oder — wie man auch sagen könnte — Spätindikatoren derartiger Folgekostenentwicklungen. Gegenreaktionen der Gesellschaft auf Problementwicklungen, die zu kompensatorischen Ausgaben führen, kommen, wenn überhaupt, meist erst dann in Gang, wenn massive Schädigungen schon eingetreten sind. Würde man auch diese Natur-und Lebensqualitätsverluste in eine derartige Nettorechnung einbeziehen, dann würde sichtbar, daß das BSP den Nettonutzen der gegenwärtigen Produktion noch viel gravierender überschätzt. Verallgemeinernd kann konstatiert werden, daß sich die wirtschaftspolitische Debatte auch heute noch weitgehend ohne Berücksichtigung der Ökologiedimension vollzieht. Umweltaspekte sind nicht voll integriert. Werden sie überhaupt erwähnt, dann als Fachpolitik am Schluß von Berichten — sei es beim Jahreswirtschaftsbericht oder beim Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung —, aber nicht als QuerschnittspoMük, die die gesamte Wirtschaftspolitik durchdringen müßte.

Im Hauptteil der Berichte wird kein Bezug auf die voraussichtlichen Wirkungen der Wirtschaftspolitik auf die Natur genommen Nicht einbezogen werden beispielsweise Auswirkungen einer Energiepolitik, deren zentrales Ziel ein reichliches Angebot zu international konkurrenzfähigen Preisen ist, auf die Natur Konsequenzen einer Nichtanlastung der externen Kosten für Umwelt und Gesellschaft sowie die generellen Folgen einer solchen Politik für die Natur.

Die Nagelprobe für eine unter Umweltgesichtspunkten angemessene Wirtschaftspolitik ist also, ob die Umweltfaktoren integral berücksichtigt werden. Dies setzt aber entsprechende Informationsund Bewertungsinstrumente voraus. Die ökonomischen Bilanzen, Haushaltspläne und Rechnungslegungssysteme besitzen noch kein ökologisches Komplement. AufUnternehmensebene ist die Diskussion über eine ökologische Buchhaltung versandet. Erst jetzt sind zaghafte Ansätze in Richtung auf die Entwicklung einer Öko-Bilanz und eine umweltorientierte Untemehmenspolitik sichtbar

Auch auf städtischer Ebene gibt es bisher keine Instrumente für eine systematische ökologische Bewertung kommunaler Haushaltspläne. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ist in der Bundesrepublik gerade eben mit einer umweltorientierten Weiterentwicklung der VGR begonnen worden. Das Statistische Bundesamt arbeitet an ersten Bausteinen für ein sogenanntes Umweltsatellitensystem, das neben einer sektorübergreifenden Erfassung aller Umweltschutzausgaben auch physische Indikatoren — wie z. B. Emissionsdaten —, möglichst abgestimmt auf die Nomenklaturen und Klassifikationen der VGR, enthalten soll

Die Wirtschaftspolitik muß auch gesetzlich auf das Ziel der Naturverträglichkeit verpflichtet werden

Eine Wende der Wirtschaftspolitik in Richtung Naturverträglichkeit setzt praktisch eine Revision bzw. Erweiterung des klassischen wirtschaftspolitischen Zielkatalogs, so wie er im Stabilitäts-und Wachstumsgesetz niedergelegt ist, voraus. Der Wirtschaftspolitik sollte auch gesetzlich vorgeschrieben sein, daß die von ihr vorgenommenen Maßnahmen neben den ökonomischen Zielen auch den Zielen der Wiederherstellung und der Sicherung einer befriedigenden Umweltqualität (die politisch zu definieren wäre) und dem Aufbau rohStoff-und energiesparender sowie gesundheitsverträglicher Produktions-und Konsumstrukturen verpflichtet sind. Dies bedeutet in der konkreten Durchführung vor allem die Durchforstung aller die Produktion und den Konsum betreffenden Gesetze auf die Frage hin, inwieweit sie mit dem Ziel der Natur-und Gesundheitsverträglichkeit konform sind oder nicht. Das Ziel eines angemessenen und stetigen Wachstums sollte fallen gelassen werden.

Mindestens zwei Fraktionen im Bundestag — die SPD und die GRÜNEN — sind von der Notwendigkeit einer Novellierung des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes überzeugt. In der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht von Anfang März haben sie die Initiative für eine ökologische Qualifizierung dieses Gesetzes ergriffen

Zielperspektive einer erwünschten Zukunftsentwicklung ist eine Wirtschaft, die von den Natur-grundlagen und von den Auswirkungen menschli-chen Wirtschaftens auf die Natur her dauerhaft möglich ist — eine Wirtschaft, die die ökologischen Systeme dauerhaft nicht überfordert. Ziel ist also eine (ökologisch) nachhaltige Wirtschaft. Nachhaltigkeit heißt Nutzung erneuerbarer Quellen auf eine Weise, die ihre Regenerierbarkeit und damit ungeschmälerte zukünftige Nutzbarkeit nicht beeinträchtigt. In der Realität — vor allem in der Dritten Welt — haben wir leider immer noch eine komplett gegenläufige Entwicklung.

Eine wesentliche Restriktion einer ökologischen Politik ist es, daß es keine ökologische Kreislauf-wirtschaft gibt, m. a. W.: vollkommenes Recycling ist unmöglich. Ein großer Teil der Energie und der Materie, der umgewandelt und genutzt worden ist, steht endgültig nicht mehr für menschliche Zwecke zur Verfügung. Deshalb ist die Vermeidung oder Reduzierung von Abfällen besser als Recycling. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit des Energiesparens und der Schonung erschöpflicher Ressourcen. nachhaltigkeit heißt auch , daß eine Minimierung von nicht oder nur ganz langfristig abbaubaren Schadstoffen angestrebt werden sollte.

Persistente Stoffe reichern sich im Boden, imGrundwasser, in Pflanzen, Tieren, im Menschen und in den höheren Luftschichten an — mit den daraus resultierenden kurz-und langfristigen negativen Wirkungen auf Ökologie und Mensch.

Instrumentelle Umsetzung

Von entscheidender Bedeutung für das Gehngen einer Abstimmung von ökonomischen mit ökologischen Zielen ist der Aufbau eines staatlich gesetzten ökologischen Rahmens, der dafür sorgt, daß die heute herrschenden Preisstrukturen, die weitgehend noch der Ära der Inanspruchnahme von Leistungen der Natur zum Nulltarif entstammen, Schritt für Schritt angepaßt werden an die neue Situation der ökologischen Knappheit. Neben dem traditionellen Instrument der Umweltpolitik, den Auflagen, die zu Kostensteigerungen bei umwelt-belastenden Produktionsprozessen und Produkten führen, stehen hierfür das Abgabeninstrument (soweit Schadstoffe weiter toleriert werden) und die Steuerpolitik zur Verfügung. Steuerpolitische Ansatzpunkte könnten Produktsteuer in Höhe der ökologischen und sozialen Folgekosten und/oder Rohstoff-und Energiesteuern sein, bei denen an schon vorhandenen speziellen Verbrauchssteuern wie der Mineralöl-und Tabaksteuer angeknüpft werden könnte.

Der Aufbau eines ökologischen Ordnungsrahmens, der heute nur rudimentär vorhanden ist, sollte dazu genutzt werden, die Umweltpolitik — die heute immer noch vom Vorherrschen der Entsorgungskonzeption gekennzeichnet wird — stärker aufeine Vorsorgepolitik umzustellen. Denn: Aus den Zielen einer Vermeidung bzw. Reduzierung von Abfällen, dem Aufbau einer Energiebasis, die das Energieeinsparpotential mobilisiert, der Schaffung rohstoff-und energiesparender Produktions-und Konsumstrukturen zwecks Schonung der Ressourcen-basis und der Minimierung von nicht oder nur ganz langfristig abbaubaren Schadstoffen ergibt sich eine

Priorität der Präventiven Umweltpolitik und damit eine entsprechende strategische Nachordnung resp. Hilfsfunktion der Entsorgungspolitik.

Das bloße Anhängen von Reinigungs-, Rückhalteund Umwandlungsanlagen an den weiter umwelt-verschmutzenden Produktionsprozeß — das ist das Prinzip der heute noch vorherrschenden nachsorgenden und medienorientierten Umweltpolitik — ist auf die Dauer keine tragfähige ökologische und ökonomische Lösung. So können etwa nicht oder nur ganz langfristig abbaubare Schadstoffe — wie bestimmte Schwermetalle und bestimmte organische Verbindungen — von den Reinigungsanlagen nicht oder nur begrenzt zurückgehalten werden. Medienorientierte Entsorgungspolitik führt immer nur zur Problemverlagerung, zu einer begrenzten, nie zu einer endgültigen Lösung.

Der Abfallsektor wird immer mehr zum Auffangbecken einer zu kurz greifenden Politik der Luftreinhaltung und der Abwasserreinigung. Wachsende Mengen von zurückgehaltenen Stoffen und Filterstäuben sowie von giftigem Klärschlamm müssen von der Abfallwirtschaft neben den ohnehin noch wachsenden Müll-und Sondermüllbergen entsorgt werden. Dabei stößt sie immer mehr an Grenzen. Der noch verfügbare Deponieraum ist bei Anhalten der heutigen Trends bald ausgeschöpft. Der Bau von Müllverbrennungs-, ganz zu schweigen von Sondermüllverbrennungs-Anlagen, ist praktisch kaum mehr durchsetzbar.

Auch im Hinblick auf den Energie-und Rohstoff-verbrauch greift die Entsorgungspolitik zu kurz. Sie impliziert eine Verlängerung des Produktionsapparates, also mehr Verbrauch von Rohstoffen und Energie. Der mit dem Bau und dem laufenden Be-B trieb der Entsorgungsanlagen verbundene Rohstoff-und Energieverbrauch führt jedoch zu neuen Umweltbelastungen. Der Entsorgungssektor entlastet also nur relativ, nicht absolut.

Präventive Umweltpolitik zielt auf die Verminderung von Rohstoff-und Energieeinsatz. Jede Rohstoff-und Energieeinheit, die nicht verbraucht wird, belastet auch nicht die Umwelt und muß dann auch nicht rohstoff-und energieaufwendig entsorgt werden. Präventive Umweltpolitik verordnet der Industriegesellschaft eine Schlankheits-und Entschlackungskur. Ziel sind intelligente, rohstoff-und energiesparende und damit auch schadstoffarme Produktions-und Konsumstrukturen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. H. C. Binswanger/H. Frisch/H. G. Nutzinger u. a., Arbeit ohne Umweltzerstörung. Strategien einer neuen Wirtschaftspolitik, Frankfurt 1983, S. 268 ff.

  2. Vgl. K. H. Biedenkopf, Zu Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Bonn 1988, vervielfältigtes Ms.

  3. Vg!.den die Ergebnisse zusammenfassenden Bericht: C. Leipert, Folgekosten des Wirtschaftsprozesses und Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Zur Identifikation von steigenden kompensatorischen Ausgaben in der Sozialprodukt-rechnung, IIUG rep 87— 22, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Berlin 1987. Eine kürzere Fassung dieser Arbeit ist in zwei Heften der Zeitschrift „Verbrauchererziehung und wirtschaftliche Bildung“, (1987) 4 und (1988) 1, zu finden.

  4. Dies gilt auch wiederum für das neueste Jahresgutachten 1987/88 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Stuttgart-Mainz 1987) und für den jüngsten Jahreswirtschaftsbericht 1988 der Bundesregierung.

  5. Vgl. R. Pfriem (Hrsg.), Ökologische Untemehmenspolitik, Frankfurt-New York 1986; G. Winter, Das umweltbewußte Unternehmen. Ein Handbuch der Betriebsökologie mit 22 Check-Listen für die Praxis, München 1987.

  6. Vgl. C. Stahmer, Umweltberichterstattung im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistische Umweltberichterstattung, Stuttgart—Mainz 1987, S. 120— 127.

  7. Vgl. Das Parlament, Nr. 11— 12 vom 11. /18. März 1988.

Weitere Inhalte

Christian Leipert, Dr. rer. pol., geb. 1944; Studium der Volkswirtschaftslehre und der Soziologie an der Universität Hamburg und der Freien Universität Berlin; gegenwärtig tätig am Forschungsschwerpunkt Technik, Arbeit, Umwelt des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Veröffentlichungen u. a.: gemeinsam mit R. Steppacher Hrsg, von K. W. Kapp, Für eine ökosoziale Ökonomie, Frankfurt 1987; Sozialproduktkritik, Nettowohlfahrtsmessung und umweltbezogene Rechnungslegung, in: Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht, 9 (1986); Sozialkosten in der Industriegesellschaft, in: M. Opielka (Hrsg.), Die ökosoziale Frage. Entwürfe zum Sozialstaat, Frankfurt 1985.