I. Einleitung
Die Philippinen sind das einzige christliche Land Asiens — 95 Prozent der 56 Millionen Filipinos sind Christen, davon 85 Prozent Katholiken. Seit Beginn der christlichen Missionierung durch die Spanier im Jahre 1565 hat sich die katholische Kirche organisatorisch im ganzen Land ausgebreitet. Während unter der dreihundertjährigen spanischen Herrschaft nach dem Vorbild im Mutterland die Einheit von Kirche und Staat bestand, verfügten die 1898 die Herrschaft übernehmenden US-Amerikaner — ebenfalls nach heimischem Vorbild — die organisatorische Trennung beider Bereiche.
In der philippinischen Verfassung von 1935 und in der — nach der völkerrechtlichen Unabhängigkeit 1946 — im Jahre 1972 erlassenen zweiten Verfassung des Landes sind entsprechende Bestimmungen enthalten. Davon weicht auch die Anfang 1987 in einer Volksabstimmung von über zwei Dritteln der Bevölkerung gebilligte neue Verfassung von 1986 nicht ab, die in Artikel III, 5 die Trennung von Kirche und Staat festschreibt.
Unter der Marcos-Herrschaft und vor allem seit 1983 — nach der Ermordung des philippinischen Oppositionspolitikers Benigno Aquino — erfolgte häufig der an die Adresse der katholischen Kirche gerichtete Vorwurf, sie mische sich unstatthaft in Angelegenheiten des Staates ein -Ein Kulminationspunkt dieser — aus der Sicht der Marcos-Regierung unzulässigen — Einmischung der katholi-Dieser Aufsatz ist ein erstes Ergebnis des von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Forschungsprojektes „Rolle und Bedeutung der katholischen Kirchefür den politisch-sozialen Wandlungsprozeß aufden Philippinen“. Er ist zugleich eine Fallstudie zu dem umfassenderen Projekt „Die internationalen Beziehungen des Hl. Stuhls“ (Leitung: Prof. Dr. Jürgen Schwarz, Universität der Bundeswehr, München). sehen Kirche in politische Angelegenheiten war die Beteiligung von Kirchenangehörigen an den Ereignissen vor, während und unmittelbar nach den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen im Februar 1986 bis zur Amtseinsetzung von Corazon Aquino als Präsidentin der Philippinen.
Ob man die Geschehnisse, durch deren Verlauf Ferdinand Marcos schließlich aus dem Amt gejagt wurde, als „Wunderrevolution“ bezeichnet, die allein wissenschaftlich-rational nicht ausreichend zu begreifen sei, oder ob man der katholischen Kirche lediglich neben anderen wichtigen Faktoren — hier sind vor allem die reformorientierten Teile des Militärs, die sich nach der Wahl von Marcos lossagten, sowie die auf Veränderungen drängenden Mitglieder der außenpolitischen Administration in den USA zu nennen — eine mitentscheidende Bedeutung zuschreibt: Fest steht, daß Angehörige der katholischen Kirche wichtige Akteure in dem politischen Prozeß waren, der schließlich zum Machtwechsel führte, so daß von verschiedenen Seiten auf den Philippinen die Frage gestellt wurde: „Is the Church meddling in Politics?“ Um auf diese Frage eine angemessene Antwort geben zu können, wird im folgenden die Haltung der katholischen Kirche — hier vor allem der Bischofskonferenz und einzelner Bischöfe — in bezug auf die vorgezogenen Neuwahlen und ihre Rolle während des nachfolgenden Machtwechsels dargestellt. Zur Erklärung dieser Haltung muß ferner die Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Staat vom Zeitpunkt der Ausrufung des Kriegsrechts im Jahre 1972 über dessen formale Aufhebung 1981 bis zum schließlichen Machtwechsel im Februar 1986 herangezogen werden. Ebenso wie andere Ortskirchen ist auch die katholische Kirche der Philippinen kein monolithisches Gebilde. Sie besteht aus vielen unterschiedlichen Gruppen: Laien, Ordensangehörigen, niederem Klerus und der Hierarchie. Diese setzen sich auf unterschiedliche Weise dafür ein, daß die philippinische Gesellschaft politisch, wirtschaftlich und sozial gerechter gestaltet wird. Gesellschaftliche Vorstellungen, die auf der unteren und mittleren Ebene der katholischen Kirche seit dem Ende des II. Vatikanischen Konzils entstanden sind, haben allmählich auch Eingang in das Denken von Angehörigen der Kirchenleitung gefunden. Daß in der folgenden Darstellung ein Schwergewicht auf die Positionen einzelner Bischöfe oder der Institution Bischofskonferenz gelegt wird, ist keine Gewichtung in dem Sinne, daß diesen allein schon dadurch mehr Bedeutung zukomme, weil sie das höchste Leitungsgremium des philippinischen Katholizismus bilden. Vielmehr ist dies nur eine Folge der Tatsache, daß der Bischofskonferenz und einzelnen Bischöfen während der Vorgänge im Zusammenhang mit dem Machtwechsel eine besondere Rolle zufiel.
II. Die philippinische Bischofskonferenz: eine in weltlich-politischen Fragen gespaltene Institution
1. Der konservativ-gemäßigte Teil der Bischofskonferenz Das höchste Repräsentationsorgan des philippinischen Katholizismus ist die Bischofskonferenz, die gegenwärtig etwas mehr als 100 Mitglieder zählt. In den siebziger Jahren, als diesem Gremium etwa 80 Bischöfe angehörten, ergab eine Untersuchung, daß von diesen gut zwei Drittel als konservativ oder gemäßigt in bezug auf weltlich-politische Fragen galten Diese Mitglieder der Bischofskonferenz vertraten im Hinblick auf Fragen der Geburtenkontrolle, der Sozialgesetzgebung, der Landreform und auch hinsichtlich möglicher Liturgiereformen Auffassungen, die es rechtfertigten, von der katholischen Kirche als eher konservativer Institution in der Gesellschaft zu sprechen.
Obwohl sich im Zuge der Verwirklichung der von Marcos proklamierten „Neuen Gesellschaft“ die negativen Seiten dieser Politik — soziale Ungerechtigkeiten, ökonomische Ungleichheiten, Menschenrechtsverletzungen und anderes — zunehmend deutlicher zeigten, war die offizielle Arbeitsformel der philippinischen Bischofskonferenz bezüglich des Umgangs mit staatlichen Autoritäten „critical collaboration", wobei unter dem Kriegsrechtsregime die Betonung eindeutig im Bereich der Kooperation lag Eine Dokumentation der Verlautbarungen der philippinischen Bischofskonferenz von 1968 bis 1983 zeigt, daß sich zwischen 1972 und 1981 — dem Jahr, als das Kriegsrecht formal aufgehoben wurde — insgesamt nur fünf Stellungnahmen dieses Gremiums mit sozialen und politischen Problemen der Gesellschaft befaßten Dies ist zugleich ein Spiegelbild der Mehrheitsmeinung, daß Aufgaben zur sozialen Transformation der Gesellschaft nicht in den Fürsorgebereich der katholischen Kirche gehörten.
Dieses mehrheitlich vertretene Vor-Vatikan II-Verständnis der sozialen und weltlichen Mission der katholischen Kirche hat unter anderem auch soziostrukturelle Ursachen. Unter spanischer Herrschaft (1565— 1898), amerikanischer Oberhoheit (bis 1946) und schließlich unter den formal-demokratischen Systemen der Nachkriegszeit war die katholische Kirche eine Institution, die eng mit der ökonomischen und politischen Elite des Landes verbunden war Von dieser ist sie teilweise bis heute im Zusammenhang mit der Verwaltung und Organisation der Kirchenfinanzen abhängig. Darüber hinaus dienen viele Institutionen der katholischen Kirche, zumal die Erziehungseinrichtungen, nahezu ausschließlich der Ausbildung von Mitgliedern der politischen und ökonomischen Elite sowie der schmalen Mittelschicht des Landes. Auch die entsprechende soziale Herkunft vieler Priester und Ordensangehörigererleichtert diesen den Umgang mit Mitgliedern der Mittel-und Oberschicht und erschwert umgekehrt den Zugang zu den 70 Prozent der Bevölkerung, die an der Grenze des Existenzminimums leben. Abgesehen davon, daß die Kirche große Teile der Katholiken nur sporadisch erreicht — oftmals nur bei Taufen, Hochzeiten und ähnlichen Anlässen —, ist auch die auf den Philippinen weitverbreitete Volksfrömmigkeit — unter besonderer Betonung von Autoritätsgläubigkeit und einer extensiv betriebenen Heiligenverehrung, um nur zwei Aspekte zu nennen — dafür verantwortlich, daß die katholische Kirche eine konservative Kraft in der Gesellschaft ist.
Wie die Untersuchung von Youngblood zeigt, kam die Mehrheit der konservativen und gemäßigt eingestellten Bischöfe aus Luzon, der nördlichen Hauptinsel, und den Visayas, der mittleren Inselgruppe der Philippinen In den siebziger Jahren waren dort — im Gegensatz zu Mindanao, der südlichen Hauptinsel der Philippinen — Behinderungen kirchlicher Arbeit durch Eingriffe staatlicher Organe wie Militär und Polizei eher Einzelerscheinungen. Aufgrund der Erfahrungen in ihrem eigenen Wirkungsbereich war für diese Bischöfe daher aus ihrer Sicht nicht die Dringlichkeit gegeben, sich in weltlich-politischen Fragen zu exponieren. Hierbei kommt auch ein wichtiges Charakterisierungsmerkmal der Philippinen zum Tragen, das auf der gesellschaftlichen ebenso wie auf der kirchlichen Ebene prägend wirkt: Bedingt durch die Insellage des Landes gibt es eine regionale, ethnische, sprachliche und kulturelle Vielfalt, die das Partikulare — und gegebenenfalls Trennende — mehr betont als das Gemeinsame Diese Unterschiede, die zentrifugale Kräfte entfalten können, spielen auch bei Entscheidungsfindungen innerhalb der philippinischen Bischofskonferenz eine Rolle und können somit erklären helfen, warum die Mehrheit der Mitglieder dieses Gremiums bis zu Beginn der achtziger Jahre kaum ein offenes Ohr für die Probleme ihrer aus Mindanao stammenden Mitbrüder hatte, deren Diözesen und Prälaturen von den Machtmißbräuchen des Marcos-Regimes besonders betroffen waren. 2. Der progressive Teil der Bischofskonferenz Der konservativ-gemäßigten Mehrheit von über zwei Dritteln der philippinischen Bischöfe stand seit Beginn des Kriegsrechtsregimes eine kleine Minderheit von etwas weniger als 20 Bischöfen gegenüber, die sich eindeutig und schon kurz nach Ausrufung des Kriegsrechts regimekritisch äußerten.
Die meisten von ihnen hatten ihre Diözesen oder Prälaturen in Mindanao, das von der wirtschaftlichen und sozialen Depression und von unterschiedlichen Formen der Gewaltausübung am stärksten betroffen war. In Teilen dieser Diözesen und Prälaturen war die Entwicklung von funktionierenden, sozial aktiven christlichen Basisgemeinschaften weit fortgeschritten Anhand einer situationsbezogenen Auslegung der Bibel (Kontextualisierung) kamen die Gläubigen zu Einschätzungen ihrer Lebensumstände und der dafür verantwortlichen politischen Bedingungen, die eine verdeckte oder offene Kritik der gesellschaftlichen Zustände waren.
Wenn ihren Einsichten Taten folgten, wie zum Beispiel die Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen und von Entwicklungsprojekten, die den mehrheitlich davon Betroffenen erhebliche Nachteile bringen würden, oder wenn sie generell gesellschaftspolitische Vorstellungen vertraten, die denen von Marcos’ „Neuer Gesellschaft“ widersprachen, so waren in vielen Fällen staatliche Repressionsmaßnahmen — Einschüchterungen, Verhaftungen, Folter, Mord — die Folge Solche Über-griffe ebenso wie Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Aufstandsbekämpfung — diese richtete sich gegen die Kommunisten der Neuen Volksarmee NPA (New People’s Army) und gegen verschiedene rebellierende Moslemgruppen Mindanaos — nahmen die Oberhirten der davon betroffenen Diözesen zum Anlaß, öffentliche Anklage zu erheben und somit in Wahrnehmung einer „prophetischen Mission“ der Kirche zu handeln, wie sie es für notwendig und geboten hielten.
Diese kleine, für politische und soziale Probleme offene Minderheit beschränkte sich nicht nur auf das Anprangem von Menschenrechtsverletzungen. Vielmehr begriffen sie diese als Symptome einer von Grund auf ungerechten Gesellschaft, die weitreichender sozialer, politischer und wirtschaftlicher Transformationen bedürfe. So favorisierten sie unter anderem eine Landreform, die dem Ziel dienen sollte, die Situation der mehrheitlich im ländlichen Raum unterhalb oder knapp an der Grenze des Existenzminimums lebenden Bevölkerung spürbar zu verbessern. Obwohl es eines der Ziele des Kriegsrechtsregimes von Marcos war, eine effektive Land-reform durchzuführen, und ansatzweise auch einige Maßnahmen dazu ergriffen wurden, so muß dieser Versuch doch generell als gescheitert betrachtet werden Dagegen nahm unter der Marcos-Herrschaft die Verarmung der Bevölkerung immer mehr zu.
Um diesen Zustand des Landes als den zentralen Grundaussagen und -zielen des christlichen Glaubens widersprechend einzuschätzen, konnten sich die philippinischen Bischöfe auf Verlautbarungen der Weltkirche ebenso wie auf Lehrschreiben der eigenen Ortskirche berufen. Neben den entsprechenden Aussagen des II. Vatikanischen Konzils seien hier beispielhaft die Ergebnisse der Römischen Bischofssynode „Gerechtigkeit in der Welt“ (1971), der Hirtenbrief der philippinischen Bischöfe „On Evangelization and Development“ (1973) sowie der Entwurf eines Hirtenbriefes „Man, Our Way“ genannt Ein zentraler Aspekt dieser Dokumente war die vorrangige Sorge für die Armen („preferential Option for the poor“), die jedoch nicht in bloß karitativem Sinne gemeint war. So kommt in „Man, Our Way“ deutlich zum Ausdruck, daß es um die Veränderung ungerechter sozialer Strukturen geht.
In diesem Sinne galt die Gründung von christlichen Basisgemeinschaften als ein Weg, um die Anliegen der Armen ernst zu nehmen, sie zur Selbstverantwortung zu erziehen — keine leichte Aufgabe in einer paternalistisch strukturierten Gesellschaft wie der der Philippinen — und sie schließlich mit der selbständigen Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen zu betrauen. Je mehr diese Gemeinschaften in der Lage waren, sich zur Durchsetzung ihrer Interessen effektiv zu organisieren und sie damit in Gegensatz zum Regime gerieten, um so häufiger waren sie staatlichen Repressionsmaßnahmen ausgesetzt. Aufgrund dieser Erfahrungen fand bei immer mehr Kirchenmitgliedern die Auffassung Anklang, daß der einzige Weg zur Beseitigung der Marcos-Herrschaft der bewaffnete Kampf sei. Somit war die Grundposition der katholischen Kirche, die — von ganz bestimmten, zu definierenden Ausnahmesituationen abgesehen — Gewalt als Mittel zur Erreichung gesellschaftlichen Wandels ablehnt, unter Fortdauer der Marcos-Herrschaft bei gleichzeitig zunehmender Verelendung weiter Teile der Bevölkerung immer weniger glaubwürdig und überzeugend zu vermitteln.
III. Sonderfall: Die „christliche Linke“
Ende der sechziger Jahre entstand auf den Philippinen eine linke, marxistische Untergrundbewegung, die in den siebziger Jahren und bis zur Gegenwart ständig zunahm. Ihr bewaffneter Arm, die Neue Volksarmee (NPA), ist etwa 25 000 Mann stark Die Volksfrontbewegung Nationaldemokratische Front (NDF), die mehrere linke Oppositionsgruppen vereinigt, umfaßt unter anderem die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) und die Christen für die Nationale Befreiung (CNL) Die CNL setzt sich aus Priestern, Nonnen und Seminaristen zusammen und dürfte etwa 1 000 Personen umfassen, wie ein Vergleich der von unterschiedlichen Kreisen genannten Zahlen ergibt
Je länger die Marcos-Herrschaft andauerte, unter deren unsozialer und menschenverachtender Politik immer größere Teile der Bevölkerung zu leiden hatten, um so mehr sozial engagierte Christen unterstützten entweder den bewaffneten Untergrund oder sympathisierten zumindest mit seinen Kämpfern. Viele Veröffentlichungen, Pressedarstellungen und auch Äußerungen Betroffener in den Provinzen lassen die Einschätzung plausibel erscheinen, daß die NPA in der breiten Bevölkerung des Landes ein besseres Image hat als die verschiedenen „Ordnungs“ organe des Staates: Militär, Polizei und zahlreiche paramilitärische Gruppen Marodierende Soldaten wurden und werden auf den Philippinen mehr gefürchtet als Mitglieder der NPA, obwohl auch diese durchaus Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf nehmen und Verräter, Informanten und andere „schädliche Elemente“ hinrichten.
Dieses positive Image der Untergrundkämpfer hat verschiedene Ursachen. Sie gelten als diszipliniert und leben einfach und entbehrungsreich wie die Mehrheit der Landbevölkerung. Darüber hinaus sind sie bereit, ihr Leben für die Sache, an die sie glauben, zu opfern: Wenn sie sterben, werden sie zu Märtyrern, was für Filipinos ein sehr hoher Wert ist. Dies gilt auch für Priester, Nonnen und andere Kirchenangehörige, die sich der NPA angeschlossen haben: Die Tatsache, daß sie bereit sind, ihr Leben einzusetzen, wiegt für viele Filipinos mehr als eventuelle Zweifel, ob die Wahl des bewaffneten Kampfes als Methode zur Erreichung gesellschaftlichen Wandels für Angehörige des Klerus angemessen sei.
Abgesehen von denjenigen, die den letzten Schritt getan und sich dem bewaffneten Untergrund angeschlossen hatten, war es für die Kirchenhierarchie ein besorgniserregendes Phänomen, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil des Klerus und weite Teile der Laien mit den Zielen der linken, marxistischen Oppositionsbewegung sympathisierten. Angesichts der generellen Gefährdung von sozial aktiven Kirchenmitgliedern wurde dieses Problem jedoch unter der Marcos-Herrschaft, zumindest öffentlich, kaum angesprochen. Im Gegenteil war es immer häufiger notwendig, Kirchenmitglieder vor dem Kommunismusvorwurf seitens des Marcos-Regimes in Schutz zu nehmen. Denn es gab und gibt kaum ein Land, in dem der Kommunismusvorwurf wähl-und konturloser zur Diffamierung Oppositioneller gebraucht wurde und wird als auf den Philippinen. Angesichts der Verfolgung Andersdenkender sahen es die Bischöfe daher als notwendig an, deren berechtigte Interessen zu unterstreichen, was in dem Hirtenbrief „Dialogue for Peace“ aus dem Jahre 1983 zum Ausdruck kommt Hier äußerten die Bischöfe öffentlich ihr Verständnis für diejenigen, die angesichts des verzweifelten Zustands der philippinischen Gesellschaft zu gewaltsamen Veränderungsmöglichkeiten Zuflucht suchten, ohne jedoch die Wahl dieses Wegs als solche gutzuheißen. Vielmehr wurde auch hier noch einmal deutlich betont, daß der für Christen angemessene Weg zur Erreichung gesellschaftlichen Wandels der gewaltlose sei. Mit Nachdruck forderten sie jedoch die Wahrung der Menschenrechte all derer, die in Konflikt mit Vertretern der Zivil-und Militärmacht des Marcos-Regimes gerieten.
Intern war die Tatsache, daß immer mehr Christen bereit waren, Aktionsgemeinschaft mit einer von der CPP gelenkten Bewegung wie der NDF zu suchen, für die Kirchenhierarchie Anlaß zu erheblicher Sorge. Schließlich ist ein handlungsleitendes Element in der kommunistischen Ideologie der Atheismus, so daß hier ein fundamentaler Gegensatz zu einer Institution gegeben ist, deren schiere Existenzberechtigung sich aus deren Hauptaufgabe der Verkündigung des Wortes Gottes ergibt. Diese Besorgnisse aufgrund der ideologischen Schulung der CPP/NDF waren nicht unbegründet. In vielen Teilen der Philippinen ist unter anderem aufgrund des großen Priestermangels eine weitverbreitete und sogar zunehmende Unkenntnis religiöser Inhalte festzustellen, so daß es für die Verbreitung atheistischen Gedankenguts durchaus fruchtbaren Boden gibt.
Wenn auf den Philippinen auch viele religiöse Inhalte eher an der Oberfläche bleiben, so wird doch die Gesellschaft insgesamt durch eine überwiegend christlich geprägte Kultur bestimmt. Diesen Faktor muß auch die CPP/NDF bei ihrer Arbeit berücksichtigen; zwar gilt die offizielle Amtskirche als reaktionär, aber gleichzeitig wird von der Partei die Tatsache akzeptiert, daß die katholische Kirche eine zu mächtige Institution in der Gesellschaft ist, als daß man deren Existenz ignorieren könne. Folglich gelte es, sich deren Ressourcen möglichst weitgehend zunutze zu machen Interne Berichte der katholischen Kirche zeigen, daß dies der NDF bis zu einem gewissen Grad gelungen ist. Vor allem in bestimmten Ordensgemeinschaften gibt es Nonnen und Mönche, die als NDF-Sympathisanten Zellen bilden. Da es unklar ist, wem sie im Konfliktfall gehorchen würden — ihrer Kirche oder der Bewegung —, war damit die Frage nach der „doppelten Loyalität“ der betroffenen Kleriker gestellt
In bezug auf Ordensangehörige, die sich zu den Zielen der NDF bekannten, stellte sich auch das Problem einer möglichen Instrumentalisierung. Da die kommunistische Partei die führende Kraft innerhalb der NDF ist, war es häufig so, daß die der NDF nahestehenden Ordensangehörigen von der Partei geplante Aktionen durchführten, ohne daß ihnen dieses selbst bekannt war. Da die damit verbundenen Zielsetzungen — vor allem Schwächung und schließlich Beseitigung der Marcos-Herrschaft — oftmals auch von den anderen Ordensangehörigen gutgeheißen wurden, war der Ratschlag an die betroffenen Nonnen oder Mönche nicht, von ihren Taten abzulassen; wohl aber galt es, sie auf die mögliche Instrumentalisierung aufmerksam zu machen, so daß sie im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung handelten
Auch die Frage, welche Rolle die katholische Kirche in einer „Volksdemokratie“, in der die CPP mit großer Wahrscheinlichkeit die bestimmende Kraft sein würde, zugewiesen bekäme, ist bislang unbeantwortet geblieben. Die vagen Formulierungen der NDF, daß die „legitimen“ Interessen der Kirche gewahrt würden, werden dahingehend qualifiziert, daß „die Legitimität nach den Maßgaben des nationaldemokratischen Programms bestimmt wird“ Das Ziel der nationaldemokratischen Revolution ist die Errichtung einer „Volksdemokratie“, „which is led by the working dass through its party . . .“ Angesichts von Erfahrungen in Ländern der Region wie Vietnam und Kambodscha sind Befürchtungen nicht von der Hand zu weisen, daß auch auf den Philippinen unter einem kommunistischen Regime die katholische Kirche nur dann ungehindert ihre Aufgaben würde wahrnehmen können, solange dieses nicht mit den Parteiinteressen kollidiert.
Doch nicht nur innerhalb einzelner Orden führten Auseinandersetzungen über ideologische Fragen zu Spaltung und Mißtrauen. Auch bezogen auf die Diözesan-und Gemeindeebene war ähnliches zu beobachten. So bestätigten die befragten Bischöfe in einer Untersuchung aus dem Jahre 1984 „The Pastoral Priorities of the Philippine Bishops“, daß Uneinigkeit in ideologischen Fragen ein Problem sei und mancherorts die Kommunikation erschwere, obwohl diese nach wie vor möglich sei. Vor allem die Bischöfe Mindanaos, in deren Diözesen die politischen und sozialen Spannungen am größten waren, bestätigten diesen Tatbestand und das darans resultierende Mißtrauen, das sich negativ auf die pastorale Arbeit auswirke Somit waren viele kirchliche Gemeinden von dem Spannungszustand der philippinischen Gesellschaft unmittelbar betroffen. Ein wichtiges Interesse der katholischen Kirche, als integrierende und ausgleichende Kraft nach innen und außen wirken zu können, schien mehr und mehr in Frage gestellt. Neben der grundsätzlichen Sorge über die zunehmende Gewalt und den trostlosen Zustand des Landes trug hier die Gefährdung dieses institutioneilen Interesses mit dazu bei, daß immer mehr Mitglieder aus allen Bereichen der katholischen Kirche in Gegnerschaft zum Marcos-Regime gerieten.
IV. Der Machtwechsel
Im August 1983 wurde der philippinische Oppositionspolitiker Benigno Aquino bei seiner Rückkehr aus US-amerikanischem Exil auf dem Internationalen Flughafen Manila erschossen. Obwohl die genaue Klärung der Tat bis heute andauert, wurde in der Öffentlichkeit der Marcos-Regierung eine Mitschuld, zumindest aber ein Mitwissen an dem Attentat zugeschrieben. Seit diesem Zeitpunkt erhöhten sich die Proteste gegen die Marcos-Herrschaft — nun auch verstärkt aus den Reihen der bürgerlichen Mittelschicht und Teilen der schmalen Elite des Landes — in zunehmendem Maße Ein unaufhaltsam scheinender wirtschaftlicher Niedergang des Landes, die wachsende bewaffnete Untergrundbewegung in vielen Regionen, Forderungen nach gesellschaftlichen Reformen seitens des amerikanischen Verbündeten: In einer innen-wie außenpolitisch außerordentlich unter Druck gesetzten Lage verkündete Marcos am 3. November 1985, daß am 7. Februar 1986 Präsidentschaftsneuwahlen stattfinden sollten, obwohl seine reguläre Amtszeit erst im Juni 1987 abgelaufen wäre.
Ob auf diesem Wege ein Machtwechsel würde stattfinden können, war angesichts früherer Erfahrungen von unkorrekten Wahlen unklar. Nachdem sich Teile der gemäßigten Opposition zur Teilnahme an der Wahl entschlossen hatten — bei den Parlamentswahlen 1984 hatte ein Teil dieser Opposition angesichts der Beschränkungen durch das autoritäre Regime noch für einen Wahlboykott optiert —, bedeutete die Bestimmung eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten der Opposition einen wichtigen Schritt, denn diese war in sehr viele miteinander rivalisierende Gruppen gespalten. Dem Erzbischof von Manila, Kardinal Sin. kam die Aufgabe zu, den Führer der UNIDO, den ehemaligen Senator Salvador Laurel, davon zu überzeugen, daß Corazon Aquino, die Witwe des ermordeten Oppositionspolitikers, die Kandidatin sei, durch deren Namen und Symbolkraft die Siegeschancen der Opposition gesteigert würden. Nach vermutlich schwierigen Auseinandersetzungen mit Kardinal Sin willigte Laurel schließlich ein, Aquinos Kandidatur als Präsidentschaftskandidatin zu akzeptieren und sich selbst mit der Vizepräsidentschaft zu begnügen
Kardinal Sin, einzelne Bischöfe und die Bischofskonferenz wandten sich Ende 1985 und Anfang 1986 mehrere Male an die Gläubigen, um sie aufdie Bedeutung der bevorstehenden Wahlen aufmerksam zu machen. Die Empfehlungen der Bischöfe waren im wesentlichen folgende:
— an der Wahl teilzunehmen;
— Personen zu wählen, die bestimmte christliche Wertvorstellungen verträten, wobei nicht schwer zu erkennen war, daß Marcos damit nicht gemeint sein konnte;
— auf Anzeichen von Wahlbetrug, -fälschereien und Bestechung zu achten und sich nicht davon beeinflussen zu lassen
In einem Hirtenbrief „A Call to Conscience“ ging Kardinal Sin besonders auf den weitverbreiteten Stimmenkauf ein. Die Tatsache in Rechnung stellend, daß aufgrund der großen Armut der Mehrzahl seiner Landsleute diese leicht zu bestechen waren, gab er ihnen folgenden Rat: „Wenn Dir ein Kandidat Geld anbietet, nimm es nicht . .. wenn Du Geld genommen hast, erwächst daraus keine Pflicht, diesen Kandidaten zu wählen. Ein unmoralischer Vertrag ist nicht gültig.“ Mehrere Male appellierten die Bischöfe an Betroffene, alles zu tun, damit der Wahlvorgang korrekt verlaufe, wobei sie insbesondere NAMFREL ihre Unterstützung zusagten. Dies war eine wesentlich von katholischen Laien getragene Bewegung, die die Stimm-, abgabe überwachen und eine rasche Stimmauszählung durchführen wollte, um mögliche Manipulationen zu verhindern.
Nach den Wahlen am 7. Februar trat die Bischofskonferenz zusammen, um über den Verlauf der Wahlen und ihre Haltung dazu zu beraten. Anhand von Berichten aus den Regionen Luzons, der Visayas und Mindanaos, einer generellen Einschätzung des Vorsitzenden von NAMFREL, Jose Concepcion, Stellungnahmen von Vertretern der Ordensoberen (AMRSP) und schließlich der Anhörung einer Gruppe von Moraltheologen kamen die Bischöfe überein, eine Erklärung zu veröffentlichen, in der sie vor allem den beispiellosen Wahl-betrug anprangerten Eine so amtierende oder zur Macht gelangende Regierung sei moralisch illegitim und könne nicht die Loyalität der Bürger beanspruchen. Zu dieser schwerwiegenden Beurteilung kamen die Bischöfe, da nach den ihnen vorliegenden Berichten die Verhinderung der Stimmabgabe für viele Wähler, weitverbreiteter Stimmen-kauf, die Fälschung abgegebener Stimmen und schließlich schon im Vorfeld der Wahlen Einschüchterung, Terror und Mord an der Tagesordnung gewesen seien. Die Empfehlung an die Gläubigen war, auf alle Fälle nicht untätig zu bleiben und das durch derart unkorrekte Wahlen zustande gekommene Ergebnis nicht hinzunehmen
Es war zu diesem Zeitpunkt klar, daß das mehrheitlich aus Mitgliedern der Marcos-Partei bestehende Parlament diesen zum Wahlsieger erklären würde, da die staatliche Wahlkommission Comelec aufgrund ihrer Auszählungen Marcos und Vizepräsident Tolentino als Sieger sah, während NAMFREL Aquino und Laurel mehr Stimmen zusprach. Da die Bischöfe einen gewaltsamen Aufstand, um das Unrecht zu korrigieren, als unchristlich ablehnten, empfahlen sie „the way of nonviolent struggle for justice", wobei die Gläubigen in ihren jeweiligen Gemeinschaften — gegebenenfalls zusammen mit ihren Oberhirten — entscheiden sollten, was zu tun sei
Am 15. Februar, einen Tag nach der Veröffentlichung des die Wahl kritisierenden Hirtenbriefs, wurden Marcos und Vizepräsident Tolentino eilig vom Parlament zu Siegern erklärt. Am 16. Februar veranstaltete Frau Aquino mit ihren Anhängern hingegen eine große Siegesfeier im Luneta-Park, in deren Verlauf der Hirtenbrief verlesen wurde. Hier wurde auch näher erläutert, was mit den Maßnahmen des zivilen Ungehorsams gemeint war. Frau Aquino empfahl den Boykott von Unternehmen, die Marcos und seinen wenigen Günstlingen (cronies) gehörten: Banken, Zeitungsverlage, Lebensmittelunternehmen und andere; der Aufruf wurde von vielen — vor allem im Großraum Manila — befolgt.
Den eigentlichen Anlaß zum schließlichen Sturz von Marcos gab die Militärrevolte unter Führung von Verteidigungsminister Enrile und Generalstabschef Ramos vom 22. bis 26. Februar 1986. Nachdem ein von diesen beiden Militärs und einer Reformbewegung innerhalb der Armee (RAM) geplanter Putsch bekannt geworden war und sie eine Verhaftung durch Marcos-loyale Truppen zu befürchten hatten, kündigten sie Marcos die Treue auf, nachdem sie sich zuvor in Camp Aguinaldo, dem. Hauptquartier der philippinischen Streitkräfte, verschanzt hatten. Radio Veritas, der kircheneigene Sender, meldete die Nachricht von der Rebellion und sofort begaben sich Tausende in Manila zu dem Militärcamp. Am gleichen Abend rief Kardinal Sin über Radio Veritas die Bevölkerung dazu auf, zum Schutz der eingeschlossenen Militärs und ihrer Truppen zum Camp Aguinaldo zu kommen. Diesem Aufruf folgten Hunderttausende und angesichts der großen Menschenmenge war es für die Marcos-loyalen Truppen unmöglich, zu den Rebellen vorzudringen und den Aufstand zu beenden, was angesichts der zahlenmäßigen Unterlegenheit der Rebellen sonst leicht durchführbar gewesen wäre. Die Gläubigen traten den heranrückenden Truppen mit religiösen Symbolen entgegen und versuchten, sie so von ihren friedlichen Absichten zu überzeugen.
Das eigentlich Ungewöhnliche der Situation lag darin, daß hier Gläubige zum Schutz von Militärs mobilisiert werden konnten. Das Militär wird traditionellerweise in politisch und sozial bewußten Kirchenkreisen kritisch betrachtet oder gar abgelehnt. Schließlich waren es Soldaten — und Enrile und Ramos waren ihre höchsten Repräsentanten —, die für viele der in der Marcos-Zeit begangenen Menschenrechtsverletzungen und andere Machtmißbräuche verantwortlich waren. Beeindruckt von den Massen Demonstrierender liefen immer mehr Marcos-loyale Einheiten zu den Rebellen über, so daß Marcos schon nach drei Tagen aufgab, widerwillig das von den Amerikanern angebotene Exil akzeptierte und am 25. Februar schließlich das Land verließ. Am gleichen Tag wurde Frau Aquino als Präsidentin der Philippinen vereidigt und so das von den Bischöfen in ihrer Erklärung nach der Wahl genannte Ziel, den vom Volk in den Wahlen zum Ausdruck gebrachten Willen zu respektieren, erreicht
V. Der Standpunkt des Vatikans
Das weltweit positive Echo auf die Ablösung von Marcos durch Frau Aquino darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch kritische Stimmen im Hinblick auf die Rolle gab, die die katholische Kirche in diesem politischen Prozeß spielte. Anhand dessen, was einer der Hauptbeteiligten am Machtwechsel, Bischof Claver, als „Römische Vorbehalte“ beschrieben hat, wird deutlich, welche Gefahren die Römische Kurie im Zusammenhang mit der Haltung der philippinischen Ortskirche zu sehen glaubte
Vor allem auf die Entscheidungsfindung der philippinischen Bischöfe, die zur Veröffentlichung des Hirtenbriefs nach der Wahl führte, versuchte die Römische Kurie — durch Kardinalstaatssekretär Casaroli und den Apostolischen Nuntius Torpigliani — Einfluß zu nehmen Bischof Claver und Bischof Bacani, der Vorsitzende des Komitees für Öffentlichkeitsarbeit der philippinischen Bischofskonferenz, berichten von zwei brieflichen Stellungnahmen, die jeweils am 13. und 14. Februar vor Beginn der Beratungen der Bischöfe verlesen wurden, und die die Besorgnisse des Papstes angesichts der philippinischen Situation zum Ausdruck brachten. Am 13. Februar lautete die Empfehlung, einen Standpunkt zu formulieren, den alle Bischöfe mittragen könnten. Im Hinblick auf Handlungsanweisungen sollten die Bischöfe bedenken, welche Ge-fahren dem Land drohten In einem Brief an die Vollversammlung der philippinischen Bischöfe im Juli 1986 präzisierte Papst Johannes Paul II. nochmals seine Einstellung und betonte, daß er die politischen Geschehnisse im Februar 1986 aufmerksam und sogar mit Furcht verfolgt habe. Es sei nur dem tiefen christlichen Glauben der Filipinos zu verdanken, daß der befürchtete Rückgriff auf Gewalt während der spannungsreichen Tage ausgeblieben sei Der zweite Briefvon Kardinalstaatssekretär Casaroli enthielt die Empfehlung, keine Erklärung zu veröffentlichen, bevor nicht das Parlament den Sieger der Wahl verkündet habe. „Da jedermann wußte, wie das abhängige Parlament handeln würde, lief dies auf eine Aufforderung an die CBCP hinaus, zu schweigen, bis Präsident Marcos zum rechtmäßig gewählten Staatsoberhaupt erklärt worden sei.“
In Kenntnis dieser päpstlichen Vorbehalte und trotz der Tatsache, daß auch der Apostolische Nuntius, Erzbischof Torpigliani, massive Einwände gegen das geplante Vorgehen zum Ausdruck gebracht hatte, veröffentlichten die Bischöfe ihre Erklärung nach der Wahl — ohne Zweifel die schlagkräftigste Stellungnahme in der gesamten Kirchengeschichte der Philippinen. Da das Verhalten der philippinischen Kirchenhierarchie — die in der Regel für ihre Fügsamkeit gegenüber römischen Weisungen bekannt ist — sowohl untypisch als auch präzedenzlos war, gab es einige Bischöfe, „die in der Erklärung der CBCP eine implizite Unabhängigkeitserklärung von Rom“ sahen
Kirchenintern „rechtfertigten“ die philippinischen Bischöfe ihr Vorgehen mit dem Hinweis auf entsprechende Passagen des Apostolischen Schreibens Papst Paul VI. „Octogesima Adveniens“ (1971), die ausführen, daß jede Ortskirche mit ihren Glaubensgemeinschaften die Aufgabe habe, die spezifische politische Situation ihres Landes zu analysieren, und mit Hilfe der Soziallehre der katholischen Kirche zu eigenen Beurteilungen und Handlungsanweisungen zu kommen. Bischof Bacani urteilt demgemäß, daß dem Vatikan die notwendigen Informationen zu einer angemessenen Urteilsfindung gefehlt haben. Und Bischof Clavers Kommentar zu den Empfehlungen des Vatikans lautete: „Als aber die Nation ihre tiefste Krise seit Jahren durchmachte und die Kirche durch ihre Bischöfe versuchte, mit dem Volk zu gehen und es im wahrsten Sinne des Wortes . pastoral zu begleiten', stieß das Handeln des Vatikans auf wenig Sympathie.“
Die aus der Sicht vieler Mitglieder der philippinischen Ortskirche als enttäuschend eingeschätzte Haltung des Vatikans resultierte aus verschiedenen Überlegungen. So stellte sich zum einen die Frage, was aus der katholischen Kirche geworden wäre, wenn Marcos als Sieger aus den politischen Wirrnissen hervorgegangen wäre. Da dieses verhindert wurde, klingt die Begründung Bischof Bacanis, es sei manchmal geboten, daß die Kirche abschätzbare Risiken und sogar Fehlschläge in Kauf nehme, wenn dieses der Preis des Einstehens für Gerechtigkeit sei, nur im Nachhinein plausibel Denn daß sich die philippinischen Bischöfe in der Tat „weit vorgewagt“ haben, dürfte unbestritten sein
Zum anderen wurden die vatikanischen Einwände aus Sorge um die Einheit der Kirche formuliert. In diesem Sinne ermahnte der Papst die Bischöfe in seinem Schreiben vom 13. Februar, einen einheitlichen, von allen geteilten Standpunkt zu formulieren. Auch nach dem Machtwechsel erinnerte er die Bischöfe an ihre Aufgabe, Einheit, Verständigung und Versöhnung zu fördern und die während der jüngsten politischen Ereignisse entstandenen Spaltungen mit Entschiedenheit zu überwinden. Viele Bischöfe, die auf die Ablösung von Marcos drängten, hatten durchaus das Ziel der Wiederherstellung der Einheit der Kirche im Auge. Schließlich zog die anhaltende Unrechtsherrschaft von Marcos immer mehr engagierte Katholiken auf die Seite der politisch extremen Linken, „die keinen anderen Weg zur Rettung der Nation als den des bewaffneten Kampfes sah und als Heilmittel verschrieb“ Davon besaß auch der Papst Kenntnis; anläßlich eines Besuches philippinischer Bischöfe in Rom im Jahre 1985 warnte er diese vor der Gefahr einer Spaltung der Kirche, die das Ergebnis einer ideologischen, nicht vom Evangelium inspirierten Auffassung lokaler Probleme sei. Fundamentale Verpflichtung der Bischöfe sei es, die Einheit der Kirche Christi zu stärken und zu verteidigen Auch wenn die Ablösung von Marcos durch eine Regierung, die mehr Hoffnung auf Reformwillen bot, von vielen als ein erster Schritt zur Überwindung ideologischer Polarisierungen — auch innerhalb der katholischen Kirche — gesehen wurde: Im Vatikan stieß das von den philippinischen Bischöfen während der Februarereignisse schließlich gewählte Handeln auf wenig Gegenliebe.
VI. Die katholische Kirche unter der Regierung Aquino
Eine Folge der mitentscheidenden Rolle der katholischen Kirche beim Machtwechsel war, daß sie als mächtige und einflußreiche Institution unter der neuen Regierung gilt. Obwohl viele ihrer Mitglieder ihr gestiegenes Ansehen in der Öffentlichkeit begrüßten, sahen sie doch auch damit verbundene Gefahren, denn es steht nicht im Einklang mit dem kirchlichen Auftrag, eine „Cory Church“ zu werden. Um ihre Kritikfähigkeit in bezug auf Menschenrechtsverletzungen und soziale Ungerechtigkeiten auch unter der neuen Regierung nicht einzubüßen, umschrieb die Bischofskonferenz schon bald ihre Arbeitsbeziehungen mit dieser als „constructive, critical collaboration" Für die notwendige Aufbauarbeit nach der langen, zerstörerischen Marcos-Herrschaft sagte die Kirche ihre Unterstützung zu — unter gleichzeitiger Vorbehaltung des Rechts, Mißstände, wie unter der Marcos-Herrschaft auch, jederzeit anzuprangern.
Dabei kam es der Kirchenhierarchie darauf an, daß — nachdem während der Februarereignisse Mitglieder des Klerus so nachhaltig im Mittelpunkt der politischen Geschehnisse gestanden hatten — in Zukunft die Rolle der Laien bei der Gestaltung des politisch-sozialen Lebens wieder stärker betont werden sollte. Priester sollten wieder — ganz im Einklang mit den römischen Vorstellungen — mehr die Rolle von Ratgebern und Moderatoren im Hintergrund und weniger die von Hauptakteuren auf der politischen Bühne spielen
Auch wenn in den vier Tagen des Februars, die die Vertreibung von Marcos zur Folge hatten, Angehörige aller Schichten des Volkes auf den Straßen zu finden waren, so ist doch unbestreitbar, daß diese Bewegung hauptsächlich von Vertretern der städtischen Mittelschicht, unzufriedenen Geschäftsleuten und Teilen der traditionellen politischen Elite, die unter Marcos entmachtet worden waren, getragen wurde. Bestimmte Gruppen der als „yellow stream“ bezeichneten bürgerlichen Opposition gegen Marcos hatten vor allem ein Ziel, nämlich das ökonomische und politische System, das unter Marcos außer Kontrolle geraten war, wieder in Gang zu bringen Dabei blieben deren Reformvorstellungen weit hinter denjenigen der Bischöfe zurück. Für diese war das entscheidende Ziel, daß sich die Februarereignisse nicht nur als ein Elitenaustausch herausstellen. Diese Auffassung verdeutlichend, formulierte Kardinal Sin daher die langfristige Aufgabe, einem friedlichen politischen Wechsel eine echte soziale Transformation folgen zu lassen Dieser Absicht entsprechend war die Kirche bereit, der neuen Regierung zunächst bei der Konsolidierung und sodann bei der Verwirklichung notwendiger sozialökonomischer Reformvorhaben Unterstützung zukommen zu lassen.
Die wichtigste Aufgabe, die sich dabei der neuen Regierung stellt, ist die Durchführung einer effektiven Landreform — Prüfstein für die echte Reformbereitschaft einerjeden philippinischen Regierung. Die philippinische Bischofskonferenz formulierte ihre Position in dem Hirtenbrief „Thirsting for Justice“ vom Juli 1987, in dem sie sich für eine umfassende Agrarreform aussprach, die vor allem den 70 Prozent der Bevölkerung zugute kommen müsse, die an der Grenze des Existenzminimums leben. Und bezogen auf die Institution der katholischen Kirche heißt es dort, daß diese für sich keine Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen werde
Obwohl auf den Philippinen kaum etwas so sehr Gegenstand wilder Spekulationen ist wie die Größenordnung kirchlichen Landbesitzes, ist bei vielen unbestritten, daß die Einbeziehung von Kirchen-land in jedwede zu treffende Legislativentscheidung der katholischen Kirche durchaus von Nutzen sein kann. Denn je mehr diese selbst dazu bereit ist, eigene Besitztümer bei einer gerechteren Verteilung der Güter des Landes zur Disposition zu stellen — und die Bischöfe sollten hier aufgrund ihres Hirtenbriefes beim Wort genommen werden —, um so glaubwürdiger kann sie ihre Vorstellungen von einer ökonomisch ausgewogenen und sozial gerecht gestalteten Gesellschaft auf den Philippinen vertreten.
VII. Ausblick
Da die katholische Kirche weder von ihrem Selbstverständnis her noch aufgrund ihrer Tradition natürlicherweise zu den Institutionen gezählt wird, die Haupttriebfedern bei Regierungsumstürzen sind, war es eine von Kardinal Sin nach dem Machtwechsel gerne wahrgenommene Aufgabe, vor allem im Ausland zu interpretieren, wie das Verhalten der Kirchenhierarchie in den Februartagen 1986 einzuschätzen sei. So führte er vor einem Publikum in Italien aus, daß die politischen Aktionen der Kirche mehr oder weniger aufgezwungen worden seien. Sie seien das Ergebnis einer sich rapide zuspitzenden Krisensituation gewesen, aus der sich als Ausweg nur totalitäre Systeme linker oder rechter Prägung anzubieten schienen In dieser Situation hätten sich die Bischöfe durch mutiges, aber auch risiko-reiches Vorgehen zur Unterstützung einer aus ihrer Sicht politisch gemäßigten und als Kraft der Mitte einzuschätzenden Alternative entschieden.
Nach mehr als zweijähriger Amtszeit hat sich die Regierung Aquino als Mitte-Rechts-orientiert herausgestellt. Entscheidende Maßnahmen zur Reduzierung der krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich, zur Wiederbelebung der Wirtschaft und zur Eindämmung der kommunistischen Aufstandsbewegung stehen entweder noch aus oder — wie im Falle der Landreform — zur Entscheidung an. So lange sich in den fundamentalen Problembereichen des Landes Lösungsansätze, vor allem auch im ländlichen Raum, als unwirksam erweisen, wird sich auch die katholische Kirche weiterhin mit den Hauptstreitpunkten — so wie sie sich unter der Marcos-Herrschaft verschärft herausgebildet haben — in ihren eigenen Reihen auseinandersetzen müssen.
So ist anzunehmen, daß die große Mehrheit der Kirchenhierarchie auch weiterhin die jetzige konservativ-gemäßigte Regierung unterstützen und wie bisher versuchen wird, von ihr als wichtig für die politisch-soziale Ordnung erachteten Werten zum Durchbruch zu verhelfen. Diejenigen Christen, die sich dem Untergrund angeschlossen haben oder ihn als Sympathisanten unterstützen, werden sich, je länger vor Ort spürbare Verbesserungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich ausbleiben, in der Beibehaltung ihrer Position bestärkt fühlen. Eine dritte Gruppe schließlich wird — orientiert am Vorgehen im Februar 1986 — ihre dort erprobten Ansätze ausbauen und unter Nutzung der gesetzlich gegebenen Möglichkeiten und gegebenenfalls durch Ausübung gewaltlosen Drucks Schritt für Schritt ihre Interessen, und hier vor allem die der mehrheitlich armen Bevölkerung durchzusetzen versuchen.
Als Modell politisch-sozialen Handelns dienen dabei christliche Basisgemeinschaften, die sich aufgrund einer situationsbezogenen Auslegung der Bibel neben lebendigen Glaubensgemeinschaften auch zu effektiven, im gesellschaftlichen Bereich handelnden Einheiten entwickelt haben. Obwohl die Unterstützung und der ständige Ausbau dieser christlichen Basisgemeinschaften eine der pastoralen Prioritäten der philippinischen Bischöfe ist — wie die oben erwähnte Untersuchung ergeben hat —, so sind diese doch, was deren Verbreitung und Bedeutung — auf die ganze Nation bezogen — angeht, eine Minderheitenbewegung Ihre Hauptzielsetzungen, die im politisch-sozialen Bereich aufdas gewaltlose Erreichen wirksamer struktureller Veränderungen gerichtet sind, wollen sie zum einen gegen beharrende Kräfte in der Regierung Aquino und zum anderen gegen den — vielen nach wie vor verlockend erscheinenden — Weg des bewaffneten Widerstands, wie er vom kommunistischen Untergrund praktiziert wird, durchsetzen.
Für die Anhänger dieses gewaltlosen Wegs gesellschaftlichen Wandels gilt auch unter der Regierung Aquino, was noch unter der Marcos-Herrschaft als Prognose hinsichtlich der langfristigen politisch-sozialen Bedeutung der katholischen Kirche formuliert worden war: „Wenn die Entwicklung der christlichen Basisgemeinschaften Unterdrückungsversuche seitens des Militärs und Infiltration durch die Kommunisten übersteht, so ist durchaus denkbar, daß die Unterstützung dieser Gemeinschaften durch die Kirche langfristig nachhaltigeren Einfluß auf die politische Landschaft der Philippinen haben wird als jede denkbare Anzahl von Hirtenbriefen.“