Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Ausländer als Untertan — ein Dauerzustand? | APuZ 24/1988 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 24/1988 Die Bundesrepublik Deutschland -ein unerklärtes Einwanderungsland Zurückkehren oder bleiben? Zur wirtschaftlichen Situation von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland Das schwedische Modell. Erfahrungen mit dem kommunalen Wahlrecht für Ausländer Verfassungsrechtliche Probleme des Ausländerwahlrechts Der Ausländer als Untertan — ein Dauerzustand?

Der Ausländer als Untertan — ein Dauerzustand?

Wolfgang Däubler

/ 14 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Diskussion um das Ausländerwahlrecht konzentriert sich bisher völlig auf den staatlich-politischen und juristischen Bereich. Keine Berücksichtigung findet die Tatsache, daß Einflußnahmen über Kapitalbeteiligungen und unter Umständen auch über die Rolle als Arbeitnehmer stattfinden, die von ihrer inhaltlichen Tragweite her weit über die praktischen Effekte etwa eines Kommunalwahlrechts hinausgehen. Kaum beachtet wird weiter die Tatsache, daß es mit den sogenannten Statusdeutschen eine Personengruppe gibt, die trotz fremder Staatsangehörigkeit volle politische Gleichstellung mit den deutschen Staatsbürgern genießt. Weder die Arbeiten des Parlamentarischen Rates noch der Verfassungstext geben ausreichende Auskunft darüber, ob der Gesetzgeber auch Ausländern ein Wahlrecht einräumen kann. Für ein solches Recht spricht u. a.seine anerkannte Befugnis zur Abgrenzung der Aktivbürgerschaft sowie die Öffnung der deutschen Staatsgewalt nach außen hin. Wenn im Rahmen von EG und NATO über zentrale Fragen unserer Existenz durch mehrheitlich nichtdeutsche Gremien entschieden wird, wäre es widersprüchlich, wollte man „an der Basis“ eine nationale Introvertiertheit annehmen, die auch durch den Gesetzgeber nicht überwunden werden könnte. Die Einräumung des Wahlrechts an Ausländer läßt sich auch als Zwischenstufe zwischen „Fremdheit“ und „Einbürgerung“ begreifen. Schon heute praktizierte Formen der Teilhabe an öffentlicher Gewalt — wie das Wahlrecht in Sozialversicherungsträgern oder Universitäten — belegen, daß kein „Alles-oder-nichts-Prinzip" existiert. Der Gesetzgeber sollte seine politische Gestaltungsbefugnis in der Weise nutzen, daß das Wahlrecht auf Ausländer mit gesichertem Aufenthaltsstatus (EG-Ausländer. Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung) beschränkt und zunächst auf kommunaler Ebene realisiert wird.

I. Unbestrittene und bestrittene Ausländerwahlrechte

Nehmen wir an, amerikanische oder französische Staatsbürger kaufen ein Paket Aktien von VW, Daimler-Benz oder den Farbwerken Hoechst. Unterstellen wir weiter, sie erscheinen persönlich in der Hauptversammlung oder lassen sich durch einen ausländischen Anwalt vertreten — was würde wohl geschehen, wenn ihnen der Zutritt mit dem Argument verweigert würde, deutsche Aktiengesellschaften dürften nicht fremdbestimmt werden? Man könne zwar in ferner Zukunft über ein Stimmrecht in weniger wichtigen Angelegenheiten reden, aber die Entlastung des Vorstands und die Wahl der neuen Aufsichtsratsmitglieder müsse — da den Kern der „Aktiengesellschaftlichkeit“ betreffend — den Deutschen Vorbehalten bleiben.

Jedermann weiß, daß ein solches Szenario keinen Realitätsgehalt besitzt. Wer sich in eine deutsche AG oder GmbH einkauft, hat selbstredend volles Stimmrecht — sei er nun Amerikaner, Franzose, Saudi oder Argentinier. Niemand nimmt ernsthaft daran Anstoß, daß über das Schicksal von Ford. Opel oder IBM Deutschland in Übersee entschieden werden kann

Fast genauso unproblematisch sind die Mitbestimmungsrechte ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Sie besitzen das aktive und seit 1972 auch das passive Wahlrecht zum Betriebsrat im Bund und in den meisten Ländern gilt dasselbe auch für die PersonalVertretung Als Versicherter kann der einzelne die Selbstverwaltungsorgane der Sozialversicherungsträger mitwählen freilich fehlt ihm insoweit kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die Wählbarkeit Die Koalitionsfreiheit steht auch Ausländern zu; sie bei innergewerkschaftlichen Wahlen auszuschließen oder mit geringeren Rechten auszustatten, ist bislang niemandem in den Sinn gekommen.

Die Gleichheit endet mit einem Male, wenn es um den politischen Bereich geht. Wer als Ausländer seit zehn oder 20 Jahren in derselben deutschen Gemeinde lebt, kann deshalb noch nicht einmal an der Kommunalwahl teilnehmen. Auch wenn der Gemeinderat wesentliche Teile seiner Lebensbedingungen gestaltet — Ausländer an der Wahlurne scheinen den Kern deutscher Staatlichkeit in Frage zu stellen. § 12 Bundeswahlgesetz erklärt „alle Deutschen“ für wahlberechtigt, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, z. B. mindestens 18 Jahre alt sind. § 21 Abs. 1 Satz 2 Bundeswahlgesetz sorgt dafür, daß ausländische Parteimitglieder nicht etwa Einfluß auf die Aufstellung eines Wahlvorschlages nehmen: Zur Mitgliederversammlung, die den Kandidaten unmittelbar oder mittelbar benennt, zählen nur Personen, die das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag besitzen. Entsprechende Beschränkungen des Wahlrechts finden sich in den Ländern und Gemeinden.

Weshalb dieser evidente Unterschied? An der inhaltlichen Tragweite der zu treffenden Entscheidungen kann es schwerlich liegen; die Politik einzelner Großunternehmen kann für die Entwicklung einer ganzen Region ungleich wichtiger sein als zahlreiche Gemeinderatsbeschlüsse. Auch spielt es offenbar keine Rolle, daß ausländische Investoren und im Einzelfall auch ausländische Arbeitskräfte Entscheidungsgremien majorisieren können, während dies vermutlich in keiner einzigen Gemeinde der Bundesrepublik, erst recht in keinem Bundesland möglich wäre. Die politische Gewalt besitzt kraft Tradition eine besondere Dignität, sie ist kein Sub-, eher ein Super-System der Gesellschaft. Dies zu diskutieren, ist hier nicht der Ort. Nach verbreiteter Auffassung geht auch das Grundgesetz von dieser „Besonderung“ des Politischen aus.

II. Ausländer als Statusdeutsche

Die Beschränkung des politischen Wahlrechts auf Deutsche ist weniger „introvertiert“ als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. § 12 Bundeswahlgesetz spricht nämlich nicht von Deutschen schlechthin. sondern von „Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes“. Dort findet sich eine Definition: Deutscher ist. wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt „als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat“. Neben den deutschen Staatsangehörigen ist also eine zweite Gruppe erfaßt, die eine ausländische (oder keine) Staatsangehörigkeit besitzt. Einbezogen sind dabei nicht nur „Volksdeutsche“, die sich in ihrer früheren Heimat zum deutschen Volkstum bekannt haben sondern auch ihre nicht volksdeutschen Eh Bundeswahlgesetz spricht nämlich nicht von Deutschen schlechthin. sondern von „Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes“. Dort findet sich eine Definition: Deutscher ist. wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt „als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat“. Neben den deutschen Staatsangehörigen ist also eine zweite Gruppe erfaßt, die eine ausländische (oder keine) Staatsangehörigkeit besitzt. Einbezogen sind dabei nicht nur „Volksdeutsche“, die sich in ihrer früheren Heimat zum deutschen Volkstum bekannt haben 6), sondern auch ihre nicht volksdeutschen Ehegatten und Abkömmlinge. Die Bindung an die Bundesrepublik kann daher im Einzelfall eine sehr schwache sein; auch wer kein Wort Deutsch versteht, ist ggfs. Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG.

Die Gruppe dieser sogenannten Statusdeutschen ist nicht gezwungen, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Nach dem Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 7) hängt die Einbürgerung von einem Antrag des einzelnen ab; sie kann nur unter Hinweis auf Tatsachen abgelehnt werden, „die die Annahme rechtfertigen, daß (der Antragsteller) die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik oder eines deutschen Landes gefährdet“; in diesem — vermutlich sehr seltenen — Fall geht der Status als Deutscher verloren 8).

Die Rechtsstellung dieser Ausländergruppe ist immer mehr an die der deutschen Staatsangehörigen angepaßt worden. Während die politischen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, seit Gründung der Bundesrepublik eingeräumt wurden, dauerte es bis 1961. ehe dieser Personenkreis im bürgerlichen und im Verfahrensrecht den „eigentlichen Deutschen“ gleichgestellt war 9). Auch im völkerrechtlichen Verhältnis zu anderen Staaten scheint eine Gleichstellung nicht generell und ausnahmslos durchsetzbar zu sein 10). Der wichtigste Unterschied findet sich schließlich im Grundgesetz selbst: Art. 16 Abs. 1 verbietet lediglich den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit, nicht jedoch den der Anerkennung als Statusdeutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG 11). Die Bindung an das deutsche Staats-volk wird deshalb zu Recht als „prekär“ bezeichnet 12). Um so bemerkenswerter ist die volle Einräumung aller politischen Rechte und damit des Status einer Art „Erster-Klasse-Ausländer“ durch das geltende Recht. Die herkömmliche Vorstellung, Ausländer hätten kein (politisches) Wahlrecht, läßt sich in dieser Allgemeinheit jedenfalls nicht halten

III. Das „deutsche Volk“ als ausschließlicher Träger von Staatsgewalt?

1. Die These der herrschenden Meinung Nach der noch immer dominierenden Auffassung in der juristischen Literatur hat der Gesetzgeber nicht die Möglichkeit, Ausländem ein Wahlrecht zu den Volksvertretungen in Bund, Ländern und Gemeinden einzuräumen Die Bundesrepublik stehe in der Tradition der nationalstaatlichen Verfassungs-entwicklung Wenn Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG bestimme, alle Staatsgewalt gehe „vom Volke“ aus, so sei damit die Gesamtheit der Deutschen gemeint. Demokratische Herrschaftszuständigkeit könne nur durch die personelle Dauerbeziehung der Staatsangehörigkeit, nicht durch die „fluktuierende Gebietszugehörigkeit“ erlangt werden Nur der Deutsche sei der Staatsgewalt der Bundesrepublik unentrinnbar unterworfen; Ausländer könnten sich ihr durch Rückwanderung in ihr Heimatland entziehen. Auch für die kommunale Ebene gelte nichts anderes, da Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG bestimme, das „Volk“ müsse dort eine Vertretung haben. Diese A Abs. 2 Satz 1 GG bestimme, alle Staatsgewalt gehe „vom Volke“ aus, so sei damit die Gesamtheit der Deutschen gemeint. Demokratische Herrschaftszuständigkeit könne nur durch die personelle Dauerbeziehung der Staatsangehörigkeit, nicht durch die „fluktuierende Gebietszugehörigkeit“ erlangt werden 16). Nur der Deutsche sei der Staatsgewalt der Bundesrepublik unentrinnbar unterworfen; Ausländer könnten sich ihr durch Rückwanderung in ihr Heimatland entziehen. Auch für die kommunale Ebene gelte nichts anderes, da Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG bestimme, das „Volk“ müsse dort eine Vertretung haben. Diese Auffassung verdient Widerspruch. 2. Entstehungsgeschichte und Wortlaut des Grundgesetzes Die Arbeiten des Parlamentarischen Rates sind für das hier zu entscheidende Problem recht unergiebig. Da es zwar ein „Flüchtlingsproblem“ (dem man mit Art. 116 Abs. 1 GG zu Leibe rückte), aber kein „Ausländerproblem“ gab, bestand für eine Vertiefung kein Anlaß. Daß das „Volk“ die Deutschen umfaßte, war eine Selbstverständlichkeit 17), desgleichen die Tatsache, daß Ausländer nicht wählen konnten 18). Offen blieb damit, ob der Gesetzgeber an diesem Zustand etwas ändern darf 19).

Der Wortlaut der Verfassung spricht eher für ein hohes Maß an Offenheit. Während in Art. 20 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG nur von „Volk“ die Rede ist, sprechen die Präambel und die Schlußbestimmung des Art. 146 vom „deutschen Volk“. Dies läßt sich unschwer damit erklären, daß es dort um die verfassunggebende Gewalt geht, die in der Tat auf Deutsche beschränkt ist, während eine vergleichbare Festlegung bei dem von dieser eingesetzten „Träger der Staatsgewalt“ nicht vorgenommen wurde. Auch das Bekenntnis des „Deutschen Volkes“ zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten in Art. 1 Abs. 2 GG sagt nichts über den demokratischen Souverän 20), und dasselbe gilt für die Formulierung des vom Bundespräsidenten zu schwörenden Amtseides nach Art. 56 GG. Schließlich läßt auch die Tatsache, daß Art. 20 Abs. 4 GG das Widerstandsrecht „allen Deutschen“ einräumt, keine Rückschlüsse zu — immerhin bleibt denkbar, daß der Gesetzgeber auch Ausländer einbezieht. Nur wenn ein solcher Akt verboten wäre, könnte man der Verfassung eine Exklusivitätsentscheidung zugunsten einer von Deutschen abgeleiteten Hoheitsgewalt (die auch nur von diesen verteidigt werden kann) entnehmen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bringt nicht mehr Aufschluß. Unmittelbar einschlägige Aussagen sind nicht vorhanden 3. Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers Fehlt es somit an einer eindeutigen Vorgabe durch Text und Entstehungsgeschichte, so spricht alles dafür, daß der Gesetzgeber freie Hand hat.

— Grundrechte, die auf Deutsche beschränkt sind, können unbestrittenermaßen auf Ausländer erstreckt werden. Dies ist etwa für das Versammlungsrecht (und damit für ein eminent politisches Recht) geschehen.

— Der Gesetzgeber besitzt einen nicht unerheblichen Spielraum bei der Bestimmung derjenigen Deutschen, denen das aktive Wahlrecht zukommt. Zwar bekennt sich Art. 38 Abs. 1 GG zum Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, doch schließt dies selbstverständlich nicht aus, daß ein Mindestalter festgelegt wird. Ob dieses bei 21 oder bei 18 Jahren liegt, hat erhebliche praktische Bedeutung; niemand hat je behauptet, die bis in die siebzigerJahre hinein vom Wahlrecht ausgeschlossenen Achtzehn-, Neunzehn-und Zwanzigjährigen seien unerträglicher Fremdbestimmung unterworfen gewesen. Ähnlich verhält es sich mit den Ausländsdeutschen, die erst seit 1985 in erweitertem Umfang (aber keineswegs generell) mitwählen können Schließlich wird es ohne größeren Protest hingenommen, daß Nichtseßhafte vom Wahlrecht ausgenommen sind. Steht dem Gesetzgeber das Recht zu, den Kreis der Aktivbürgerschaft enger oder weiter zu definieren, so erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, ihm auch eine Erweiterung über den Kreis der Deutschen hinaus zu gestatten.

— Das Grundgesetz hat die nationalstaatliche Tradition nicht unverändert übernommen. Dies zeigt zum einen die Existenz der Statusdeutschen nach Art. 116 Abs. 1 GG. Zum anderen wird dies an der Öffnung zu zwischenstaatlichen Einrichtungen in Art. 24 Abs. 1 und 2 GG deutlich. Der auf gesetzlicher Grundlage vollzogene Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften und zur NATO hat es mit sich gebrach Abs. 1 und 2 GG deutlich. Der auf gesetzlicher Grundlage vollzogene Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften und zur NATO hat es mit sich gebracht, daß zentrale Fragen unserer nationalen Existenz von Deutschen bestenfalls noch mit-entschieden werden. Die Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit kann aber nicht bedeuten, daß man diese nur auf Regierungsebene praktizieren dürfe; auch eine „Öffnung von unten her“ ist insbesondere dann unausweichlich, wenn man einer mittlerweile zwölf Staaten umfassenden Wirtschaftsgemeinschaft angehört, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu ihren Grundfreiheiten rechnet 23). Wenn von Ausländem dominierte Gremien über das Schicksal unserer Landwirtschaft entscheiden und Bußgelder gegen deutsche Unternehmen verhängen dürfen — ist es dann nicht ein eigenartig anmutender Anachronismus, wenn man die ausländische Wohnbevölkerung nicht über Bebauungspläne und Schwimmbäder mitentscheiden läßt? 4. Legitime Interessen Ausländem das aktive wie das passive Wahlrecht einzuräumen, kann sich auf eine Reihe weiterer Erwägungen stützen, die zumindest rechtspolitische Bedeutung besitzen.

Demokratie ist ihrem Grundgedanken nach Betroffenenpartizipation. Nur weil jeder die — und sei es noch so theoretische — Chance hat, auf den „Allgemeinwillen“ einzuwirken, ist Herrschaft hinnehmbar, die bis weit in den persönlichen Bereich hineinwirken kann. Wer die Möglichkeit zur Mitwirkung nicht besitzt, bleibt im Status des Untertanen; er ist aus der demokratischen Gesellschaft ausgegrenzt. Ausländer, die längere Zeit in der Bundesrepublik wohnen, sind von den Entscheidungen der deutschen Staatsgewalt aber nicht weniger betroffen als deutsche Staatsbürger. Auch das Argument der „Unentrinnbarkeit“ sticht nicht: Deutsche können das Staatsgebiet der Bundesrepublik gleichfalls verlassen; auch Ausländer können in die Situation kommen, daß sie von ihrem Heimatstaat zurückgewiesen werden und so auch rechtlich keine Alternative zum Leben in der Bundesrepublik besteht 24).

Ausländische Mitbürger erbringen in gleicher Weise wie Inländer ihren Beitrag zum Bruttosozialprodukt, zahlen Steuern und Abgaben usw. Zwar ist das Wahlrecht nicht an die Nützlichkeit der individuellen Existenz für die Allgemeinheit geknüpft, da dies einem Rückfall in den Ständestaat gleichkommen würde. Dennoch ist nicht einzusehen, warum man ins gegenteilige Extrem verfallen und selbst solche Personen vom Wahlrecht ausnehmen soll, die sichtbare Beiträge zum Allgemeinwohl erbringen. Schließlich betrifft die Diskussion um das Ausländerwahlrecht in wachsendem Umfang auch Personen. die in der Bundesrepublik aufgewachsen oder sogar geboren sind. Wenngleich der Hinweis vielleicht nicht allenthalben Freude auszulösen vermag — wenn es überhaupt so etwas wie ein Recht auf Heimat gibt, dann in dem Sinne, daß man als Gleichberechtigter in einer Umwelt leben darf, mit deren Verhaltensmustern, Gebräuchen und Wert-haltungen man vertraut ist, kurz: wo man sich zu Hause fühlt. Für die Vertriebenen war dies der deutsche Osten, für die hier aufgewachsenen Ausländer ist es die Bundesrepublik. Politisch brisant wird diese These erst dann, wenn man das Recht auf Heimat wie ein besonderes persönliches Kennzeichen behandelt, das sich nie ändert und das sich auf Kinder und Kindeskinder vererbt Davon kann jedoch nicht die Rede sein: Es geht allein um die Gleichberechtigung derjenigen, die hier leben und weiter hier leben wollen.

IV. Einräumung des Wahlrechts als „kleine Einbürgerung“

Auch wenn man die hier skizzierte Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ablehnt, wenn man ihm nicht das Recht gewähren will, die Grenzen des „Staatsvolks“ verbindlich abzustecken, bleibt ein zweiter juristisch gangbarer Weg.

Der Kreis der „Deutschen“ im Sinne des Grundgesetzes ist ersichtlich kein konstanter. Auch die nicht von Art. 116 Abs. 1 GG erfaßten ausländischen Staatsangehörigen haben prinzipiell die Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen und so auch alle politischen Rechte zu erlangen. Das geltende Verfassungsrecht enthält nun keine Vorgabe derart, daß die Einbeziehung von Ausländern in das politische System der Bundesrepublik nur über den Formal-akt der „Totaleinbürgerung“ erfolgen müsse. Möglich sind vielmehr auch Zwischenstufen, die nur eine mehr oder weniger große Annäherung an die Rechtsstellung eines deutschen Staatsbürgers bringen. Daß es keineswegs die Alles-oder-Nichts-Altemative „politische Rechtlosigkeit“ und „volle Gleichstellung“ gibt, wird schon am Beispiel des Statusdeutschen sowie daran deutlich, daß ein so wichtiges politisches Mitwirkungsrecht wie die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG auch Ausländem zusteht und der Gesetzgeber diesen auch das Versammlungsrecht eingeräumt hat.

Hinzu kommt, daß Ausländer bereits nach geltendem Recht an hoheitlicher Gewalt partizipieren: Das Wahlrecht nach § 50 Sozialgesetzbuch IV ist hier ebenso zu nennen wie das aktive Wahlrecht in den Handwerkskammern und die volle Gleichstellung in Universitäten Ausländer können als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt betraut sein, selbst die Ernennung zum Beamten ist möglich, wenn für die Gewinnung der betreffenden Person ein „dringendes dienstliches Bedürfnis“ besteht Niemand kann dem Gesetzgeber verbieten, weitere Zwischenstufen zu schaffen, etwa bestimmten Ausländern eine Art Staatsangehörigkeit mit rein innerstaatlicher Wirkung zuzusprechen oder die Staatsangehörigkeit zwar unverändert zu lassen, Ausländern jedoch unter bestimmten Bedingungen politische Mitwirkungsrechte einzuräumen. Möglich ist in diesem Rahmen etwa auch eine Gleichstellung mit den Statusdeutschen.

Zwischenlösungen dieser Art können allen Beteiligten unangenehme Alternativen ersparen. Anders als bei der Einbürgerung geht es nicht um eine absolut definitive, wegen Art. 16 Abs. 1 GG praktisch nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidung. Auch gibt es keinen Zwang, das Wahlrecht gleich auf allen Ebenen einzuführen; man ist so in der Lage, z. B. auf kommunaler Ebene Erfahrungen zu sammeln und auf der so gewonnenen Grundlage dann weitere Schritte zu tun. Vom einzelnen Ausländer her gesehen, besteht kein Zwang, sich definitiv und für alle Zeiten für die Bundesrepublik zu entscheiden und das Band zum Heimatstaat zu zerschneiden — er kann Türke, Italiener oder Skandinavier bleiben, solange er dies für richtig hält.

V. Ausgestaltung im einzelnen

Macht man einmal den Schritt zum Ausländerwahlrecht. ist eine Abstimmung mit dem aufenthalts-rechtlichen Status unabdingbar. Andernfalls wäre die Möglichkeit nicht völlig auszuschließen, daß Aufenthaltserlaubnisse zum Gegenstand parteipolitischen Kalküls würden. Wahlrecht und ungesicherter Status vertragen sich nicht. Auf der anderen Seite zeigt aber schon die nicht völlig stabile Situation des Statusdeutschen, daß keine absolute Festigkeit Voraussetzung ist. Bei EG-Staatsangehörigen könnte man daher wie bei Deutschen einen mindestens drei Monate dauernden Aufenthalt im Inland ausreichen lassen. Bei anderen Ausländern käme eine Anknüpfung an das Vorliegen einer Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Ausländergesetz in Betracht, was einem Mindestaufenthalt von fünf Jahren entspricht. Die Differenzierung zwischen beiden Gruppen ist ebensowenig sachwidrig, wie es andere Privilegien des EG-Ausländers sind.

Gesetzesänderungen sollten schrittweise vollzogen werden. Die geringsten Vorbehalte dürften gegen ein Kommunalwahlrecht für Ausländer bestehen. Auf dieser Stufe zu beginnen, hätte den Vorzug, daß sich juristische Querschüsse vermutlich in Grenzen halten würden: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat entschieden, daß Ausländern das Kommunalwahlrecht eingeräumt werden darf Ausländische Erfahrungen wurden gerade auch auf dieser Ebene gemacht — die Tatsache, daß in den Niederlanden oder in Schweden dabei kein Chaos ausbrach, sollte Skeptikern auch hierzulande zu denken geben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Mitte der siebziger Jahre gab es eine schnell vorübergehende „Überfremdungsdiskussion“, als sich Iran für Krupp und Kuwait für Daimler-Benz interessierten. Zu den dabei auftauchenden Rechtsfragen siehe Peter Behrens. Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht. 40 (1976), S. 233 ff.

  2. §§ 7, 8 Betriebsverfassungsgesetz.

  3. §§ 13, 14 Bundespersonalvertretungsgesetz.

  4. § 50 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV.

  5. § 51 Abs. 1 Ziffer 3 Sozialgesetzbuch IV verlangt das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag.

  6. Zugrunde gelegt wird dabei die in § 6 Bundesvertriebenengesetz enthaltene Umschreibung, die besagt: „Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat. sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung. Sprache. Erziehung. Kultur bestätigt wird.“

  7. R. Grawert (Anm. 11). Rn. 29. Statusdeutsche unterliegen allerdings nach § 1 Wehrpflichtgesetz der deutschen Wehrpflicht.

  8. Selbst in juristischen Abhandlungen zum Ausländerwahlrecht wird dieser Tatbestand bisweilen übersehen — so wenn es etwa bei Helmut Quaritsch. Staatsangehörigkeit und Wahlrecht, in: Die öffentliche Verwaltung. (1983) 2. heißt, die Wahlgesetze setzten für das aktive und passive Wahlrecht „ausdrücklich die deutsche Staatsangehörigkeit“ voraus.

  9. Paradigmatisch etwa Josef Isensee. Die staatsrechtliche Stellung der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer. (1974) 32, S. 91 ff.; H. Quaritsch (Anm. 13).

  10. Gunther Schwerdtfeger, Welche rechtlichen Vorkehrungen empfehlen sich, um die Rechtsstellung von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland angemessen zu gestalten? Gutachten A. Verhandlungen des 53. Deutschen Juristentages. Bd. I. München 1980. S. A 107.

  11. J. Isensee (Anm. 14), S. 92. auch zum Folgenden.

  12. Gemeint sind die Deutschen als ethnische Gruppe — siehe Dietmar Breer. Die Mitwirkung von Ausländern an der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland durch Gewährung des Wahlrechts, insbesondere des Kommunalwahlrechts, Berlin 1982, S. 56.

  13. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 6. 84, 91; 8, 51. 69; 14, 121, 132 betonen die Gleichbewertung aller „Staatsbürger“ im Wahlrecht; BVerfGE 44. 125. 143 spricht vom gleichen staatsbürgerlichen Status aller Deutschen als einer Konsequenz der Tatsache. daß der Staat vom ganzen Volk getragen ist; in BVerfGE 5, 2, 6 ist widersprüchlich davon die Rede, der Bundestag sei „Repräsentationsorgan der im Geltungsbereich des Grundgesetzes lebenden Bevölkerung“, das aktive Wahlrecht sei demgemäß auf die Deutschen beschränkt, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes seßhaft seien.

  14. Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. März 1985. BGBl I. S. 521.

  15. M. Zuleeg (Anm. 23). S. 16.

  16. Dazu Christian Graf von Krockow. Vom Recht und Unrecht auf Heimat, in: Gewerkschaftliche Monatshefte. (1988). S. 222 ff.

  17. § 90 Handwerksordnung.

  18. Überblick bei Klaus Stern. Staatsrecht, Heidelberg-New York 19842. S. 274.

  19. §§ 7 Abs. 2 Bundesbeamtengesetz. 4 Abs. 2 Satz 1 Beamtenrechtsrahmengesetz. Anders nur bei Richtern: Nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Deutsches Richtergesetz ist die Ernennung eines Nicht-Deutschen unheilbar nichtig.

  20. So der Vorschlag von Gerhard Hoffmann, Die „kleine Einbürgerung“, in: Gedächtnisschrift Wolfgang Martens, Berlin 1987, S. 85 ff.

  21. Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Urteil vom 6. November 1984. in: Entscheidungen zum Ausländerrecht. Bd III. Stichwort: Wahlrecht 361 Nr. 2.

  22. Harald Bammel/Faruk en (Red.), Kommunales Wahlrecht und politische Partizipation für Ausländer am Beispiel ausgewählter europäischer Länder. Bonn 1986; Helmut Ritt-stieg, Wahlrecht für Ausländer, Königstein/Ts. 1981. S. 22ff.

Weitere Inhalte

Wolfgang Däubler, Dr. jur., geb. 1939; seit 1971 Professor für Arbeitsrecht, Handels-und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen; Lehraufträge an der Sozialakademie Dortmund sowie an der Akademie der Arbeit in Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: Das Arbeitsrecht. Ein Leitfaden für Arbeitnehmer, Bd. 1, Reinbek 19868, Bd. 2, Reinbek 19864; Zur rechtlichen und sozialen Stellung der Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland, in: Demokratie und Recht, (1974); Privatisierung als Rechtsproblem, Neuwied 1980; Stationierung und Grundgesetz, Reinbek 19833; Gläserne Belegschaften? Datenschutz für Arbeiter, Angestellte und Beamte, Köln 1987; Haftung für gefährliche Technologien, Heidelberg 1988.