Am 10. April 1948, in der 84. Sitzung des Alliierten Kontrollrats, verlangte General Clay von seinem sowjetischen Kollegen Sokolovski ultimativ die verbindliche Einigung über eine gemeinsame Währungsreform in allen vier Zonen. Als dieser sich weigerte, vielmehr neue Bedenken und Bedingungen geltend machte, erklärte Clay, er sehe keinen Sinn in der Fortsetzung dieser Beratungen. Als turnusmäßiger Vorsitzender erklärte er die Sitzung für geschlossen und verließ mit seiner Delegation den Raum.
Gewiß, diese 84. Sitzung hat nie stattgefunden. Denn bereits am 20. März, drei Wochen zuvor, hatten die Sowjets unter ähnlichen Begleitumständen den Kontrollrat verlassen, als die Vertreter der Westmächte sich weigerten, die Beschlüsse der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz zur Gründung eines deutschen Weststaats zu diskutieren. Es ist aber doch keine vollständig erfundene Geschichte. Denn Clay hatte am 11. März Anweisung erhalten, die Mitarbeit an der Diskussion über eine gemeinsame Währungsreform in allen vier Zonen einzustellen und deren separate Durchführung in den Westzonen anzustreben, wenn im Kontrollrat bis zum 10. April keine Einigung zustandegekommen sein sollte. Washington und Clay wußten gleichermaßen, daß dies den „offenen Bruch“ in Deutschland bedeuten würde
Dieser Beitrag entstand mit Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk.
Wohl war der Kontrollrat seit geraumer Zeit praktisch arbeitsunfähig. Aber noch scheuten beide Seiten davor zurück, diesen als Symbol der alliierten Kooperationsfähigkeit im Nachkriegseuropa aufzukündigen. Die Dramatik der Ereignisse hat zumeist überdeckt, daß Ost wie West diesen letzten Schritt nur zögernd vollzogen, dabei offenkundig bestrebt waren, sich den Weg zurück (noch) ein wenig offen-zuhalten.
So hatte Sokolovski am 20. März erklärt, der Kontrollrat bestehe „faktisch“ nicht mehr. In den folgenden Tagen wurde dies aber von sowjetischer Seite dahingehend „erläutert“, bei einer Rückkehr zu den Potsdamer Beschlüssen sei die Fortsetzung seiner Arbeit durchaus möglich. Da die Sowjetunion tumusgemäß den Vorsitz innehatte, lud sie in den nächsten Tagen zu Sitzungen des Koordinierungskomitees, des Finanzdirektorats und des Währungsreformausschusses ein, erkannte also de jure und de facto das Fortbestehen des Kontrollrats an
Doch bei den Westmächten war das Interesse an einer Fortführung der Kontrollratstätigkeit merklich gesunken, war doch das Schicksal Deutschlands längst zu einer „Frage von Taktik und Timing“ geworden Trotz des Drängens der Briten und vor allem der Franzosen weigerte sich Clay im April, den Kontrollrat einzuberufen. Als Frankreich, das im Juni den Vorsitz führte, den Sowjets noch einmal die Chance bot, eine Sitzung zu beantragen, ließen diese die Gelegenheit ungenutzt verstreichen. Gleichwohl war es möglich, daß der Kontrollrat am 22. Juni 1948, zwei Tage nach der Währungsreform in den Westzonen und am Tage vor der Verkündung entsprechender Maßnahmen in der SBZ, im Finanzdirektorat einen letzten Anlauf zur einvernehmlichen Regelung zumindest der speziellen Berliner Währungsproblematik unternahm; die geplante Diskussion über die Aufrechterhaltung des Interzonenhandels zwischen den beiden Währungsgebieten fand jedoch bereits nicht mehr statt
Das Angebot der Westmächte, ganz Berlin in das Währungsgebiet der SBZ einzubeziehen, solange ihre Rechte im Rahmen der Kommandantur wenigstens „dem Schein nach“ gewahrt blieben, reichte der Sowjetunion nicht (mehr) Diese zögerte indes bis zum 1. Juli, um die Grundlagen der Kommandantur, die sie bereits am 16. Juni verlassen hatte, für hinfällig zu erklären. Erst jetzt hatte sie sich wohl entschieden: Mit dem Ende der Kontrollratstätigkeit seien auch die Vereinbarungen über Gesamtdeutschland und damit die Rechte der Westmächte in Berlin erloschen.
Am 3. Juli verknüpfte Sokolovski, nach Clays Bericht „keineswegs glücklich oder zuversichtlich“ über diese Eskalation erstmalig Berlin-Blockade und Deutschlandfrage insgesamt. Bis dahin hatte die Blockade offenbar nur begrenzten Zielen gegenüber Berlin gedient. So war Ende Juni die Abschottung der SBZ, die die Westmächte zur Verhinderung des Zustroms entwerteter Reichsmark aus den Westzonen zunächst als legitim akzeptiert hatten, an den Zonengrenzen gelockert worden, nicht aber auf den Zufahrtswegen nach Berlin. Erst als Frankreich und Großbritannien sich geneigt zeigten, der Sowjetunion in der Berlinfrage entgegen-zukommen, entschloß diese sich zur Ausweitung ihrer Ziele auf die „Lösung“ der Deutschlandfrage insgesamt. Aber verunsichert durch den Erfolg der Luftbrücke, zögerte sie erneut. Erst am 13. August, als die Moskauer Verhandlungen über eine Regelung der Berliner Währungsverhältnisse noch Aussicht auf Erfolg zu haben schienen, entfernte sie ihre Akten aus der Kommandantur, zog die Wachen ab und ließ ihre Fahne einholen.
Seit dem ersten Entwurf für die Organisation des alliierten Kontrollapparats in Deutschland, den die Briten der Europäischen Beratenden Kommission (EAC) am 15. Januar 1944 vorgelegt hatten 8), bestand ein „verfassungsrechtl bestand ein „verfassungsrechtlicher“ Dualismus zwi-Die Westmächte hielten trotz der Blockade gleichfalls an der Fiktion des Fortbestehens des Kontrollrats fest. Öffentlich erklärten sie zwar nur, daß ihrer Auffassung nach die Kommandantur weiterbestehe, was in der Tätigkeit der Luftsicherheitszentrale oder der Verwaltung des Spandauer Kriegsverbrechergefängnisses seinen Ausdruck fand. Intern freilich stellte jeweils am ersten eines Monats der turnusgemäß zuständige westliche Militärgouvemeur fest, daß er mangels entsprechender Anträge keine Veranlassung sehe, den Kontrollrat einzuberufen 7).
Dieses spektakuläre, aber unrühmliche Ende des Kontrollrats konnte kaum überraschen. Nachdem mit Marshallplan und Kominform-Gründung die Vorentscheidungen gefallen waren, stand seit Mitte 1947 an der Nahtstelle zwischen den entstehenden Blöcken offenkundig eine „Flurbereinigung“ an: in Italien, der Tschechoslowakei und Deutschland. Als die endgültige „Klärung“ dieser nur scheinbar noch offenen Fragen in kurzer Abfolge im Krisenjahr 1948 erzwungen wurde, erreichte der Kalte Krieg seinen ersten dramatischen Höhepunkt. Einer derartigen Belastung konnte die fragile Konstruktion des Kontrollrats, in der die Sollbruchstellen von Beginn an zu erkennen gewesen waren, nicht gewachsen sein. Wie sollte im Zeichen der Blockbildung ausgerechnet in Deutschland eine Zwischenlösung möglich sein, die mit Wahrung der Wirtschaftseinheit qua Währungsreform die Rückkehr zur politischen Einheit offengelassen hätte, wenn am 1. März 1948 mit dem amerikanischen (bald: westlichen) Handelsembargo gegenüber dem sowjetischen Herrschaftsbereich nach der politischen auch die wirtschaftliche Teilung Europas manifest wurde, deren Verfestigung durch Militärbündnisse wenig später erfolgen sollte?
I, Alliierte Deutschlandpläne und die Entstehung des Kontrollrats 1944/45
sehen Kontrollrat und Zonenkommandeuren bzw. mit anderen Worten: ein Dualismus zwischen politischer Einheit Deutschlands und Einheitlichkeit der Politik in Deutschland.
Den ersten britischen Vorstellungen fehlten noch Tiefenschärfe und Präzision im Detail, da die deutsche Frage dem primären Ziel, der Wahrung des britischen Weltmachtstatus, untergeordnet blieb: Deutschland sollte nicht nur Objekt alliierter Besatzungsherrschaft, sondern vor allem Klammer und Garant der gesamteuropäischen Nachkriegskooperation sein. Die Briten legten daher vorrangig Wert auf die Errichtung einer Europäischen Kommission der Vereinten Nationen, innerhalb derer ein besonderes „Steuerungskomitee“ der Großmächte, der spätere Rat der Außenminister, die eigentlichen Entscheidungen über eine (durch Veto garantierte) gemeinsame, einheitliche Besatzungs-und Rekonstruktionspolitik für ganz Europa fällen würde. Als regionales Unterorgan sollte — nach einer kurz zu bemessenden Übergangszeit der militärischen Besatzungsverwaltung — in Deutschland (wie in den anderen besiegten Staaten: Österreich, Ungarn, Italien, Bulgarien und Rumänien) eine zivile Hoch-kommission fungieren. Nur in dieser militärischen Übergangsphase, so lautete die vage Formulierung, sollte den Zonenbefehlshabern, „die als ein Gremium (body) zusammensitzen“, eben als Kontrollrat, die oberste Gewalt gemeinsam übertragen werden. Doch waren schon jetzt Vorbehalte gegenüber einer zu weitreichenden Selbstbindung erkennbar, indem durch Vetorecht und Notstandsklausel im Falle eines Dissenses die zonale Autonomie gewahrt blieb.
Demgegenüber waren die USA und die Sowjetunion sehr viel stärker an konkreten Regelungen für die Zeit der deutlich länger angesetzten militärischen Besatzungsphase in Deutschland interessiert. In ihrem Gegenentwurf vom 27. Januar 1944 befürworteten die USA ein stark dezentralisiertes „zonales Verwaltungssystem“, in dem die alliierten Zonenverwaltungen ihre Eigenständigkeit bewahren sollten — mit Ausnahme Berlins, für das ein gemeinsames Regime, die spätere Kommandantur, vorgesehen war. Der Kontrollrat sollte die Tätigkeit der Zonenverwaltungen lediglich „koordinieren“ und nur die Regierungs-bzw. Wirtschaftsbereiche zentral überwachen, „die nach der Entscheidung der Besatzungsbehörden weiterhin auf einer nationalen Ebene arbeiten“. Hier spielten Dismemberment-bzw. extreme Föderalisierungs-Ideen eine einflußreiche Rolle. Nicht minder aber hatten die Erfahrungen mit der Militärregierung in Italien den Entschluß der amerikanischen Stabschefs gefördert, in Deutschland auf einer möglichst uneingeschränkten Handlungsfreiheit in der eigenen Zone zu bestehen.
Die Sowjetunion griff in ihrem Vorschlag vom 26. August 1944 auf die amerikanische Vorlage zurück, deren Dezentralisierungstendenzen sie noch zugunsten der Zonenkommandeure auszuweiten suchte. Sie wollte dem Kontrollrat alliierte Unter-organe völlig verweigern, mit Ausnahme des neu eingeführten Koordinierungskomitees, das die Beschlüsse des Kontrollrats ausführen und die deutsche(n) Verwaltungsbehörde(n) überwachen sollte. Offenkundig ging es der Sowjetunion bereits jetzt mehr um die Gewährleistung der Einheitlichkeit (uniformity) der „wichtigsten“ alliierten Maßnahmen in den verschiedenen Zonen, weniger um die Einheit (unity) Deutschlands unter alliierter Verwaltung und Kontrolle.
Da die USA dieses sowjetische Papier als „vielversprechend“ begrüßten, konnte die EAC in nur vier Sitzungen zwischen dem und 20. September 1944 Einigung über den Kontrollapparat erzielen 11). Die Briten mußten auf ihre „große“ zivile Lösung verzichten, konnten aber die „embryonale“ Hochkommission in Gestalt der Politischen Berater retten. Die Sowjets akzeptierten unter offenkundigem Zögern den von den USA geforderten alliierten Verwaltungsunterbau in Gestalt der zwölf Direktorate sowie der (unumstrittenen) Kommandantur für Berlin. Das Einstimmigkeitsprinzip stieß ohnehin nirgends auf Widerstand. Am 12. November 1944 wurde das Protokoll über die Kontrolleinrichtungen unterzeichnet, das von den Regierungschefs in Yalta gebilligt und von den Franzosen am 1. Mai 1945 unterzeichnet wurde.
Doch waren mit diesem Kompromiß über die organisatorische Gliederung keineswegs die eigentlichen politischen Probleme gelöst, nämlich welche Funktionen der Kontrollrat selbst wahrnehmen, wie sein Verhältnis zu den deutschen Behörden (sofern solche bei Kriegsende bestanden) gestaltet, wie vor allem die Zuständigkeiten zwischen Kontrollrat und Zonenkommandeuren verteilt werden sollten. Schon in den Beratungen der EAC vom September 1944 war deutlich geworden, daß sich hinter den differierenden Vorstellungen über den Organisationsaufbau erhebliche Meinungsunterschiede über die Kompetenzen des Kontrollrats verbargen. * Nach Auffassung der Sowjetunion sollte die höchste Autorität den Oberkommandierenden zukommen, und zwar ausdrücklich „jedem in seiner Besatzungszone“. Da die autonome Herrschaft in der eigenen Zone für sie die „Souveränität“ (supremacy) des Zonenbefehlshabers begründete, war sie erst nach Verabschiedung des Zonenprotokolls in der EAC am 12. September 1944 zu Verhandlungen über die Kontrollbehörde bereit, so wie sie 1945 der Konstituierung des Kontrollrats erst zustimmte, nachdem Briten und Amerikaner sich aus ihrer Zone zurückgezogen hatten. Beschlüsse des Kontrollrats, die ohnehin dem Veto unterlagen, sollten vom Zonen-kommandeur kraft eigener Entscheidung nach den jeweiligen „Bedürfnissen“ ausgeführt werden. „Die eigentlichen Kontrollelemente“ — so die sowjetische Auffassung — „würden die Besatzungstruppen in jeder der drei Zonen sein. Dies sei primär. Die zentralen Behörden, die wir durch koordiniertes Handeln vom Zentrum her steuern müßten, seien sekundär. Jeder Oberbefehlshaber würde für die Zustände in seiner Zone der eigenen Regierung verantwortlich sein und nicht den drei Regierungen gemeinsam.“
Nach dieser Interpretation war der Kontrollrat kein souveränes Gremium, sondern nur die Summe der souveränen Zonenkommandeure, deren Souveränität durch gemeinsame Beschlüsse nur insoweit eingeschränkt werden konnte, als diese sich selbst zu binden bereit waren. Demnach stand der Kontrollrat von Beginn an in der Gefahr, kein alliiertes Regierungsorgan, sondern lediglich ein Koordinierungsgremium zu werden. Dies schlug sich im Abkommen über den Kontrollapparat in Deutschland vom November 1944 sowie im Potsdamer Abkommen nieder. Danach wurde „die höchste Gewalt in Deutschland durch die Oberbefehlshaber . . . nach den Anweisungen ihrer jeweiligen Regierungen ausgeübt .... von jedem in seiner Besatzungszone, und auch gemeinsam, in Fragen, die Deutschland als Ganzes betreffen, in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Kontrollrates“ — mit dem Ziel, „soweit dies durchführbar ist“, die „Einheitlichkeit“ der Maßnahmen in den jeweiligen Zonen zu gewährleisten 14).
Zweifellos hatte die Sowjetunion hier einen Erfolg von erheblicher Tragweite errungen. Aber wenn die Westmächte dies akzeptierten, so geschah es in voller Kenntnis der Bedeutung einer derartigen Regelung. Vor allem aufgrund der Forderungen ihrer jeweiligen Militärs, die auf eine „freie Hand“ in ihrer Zone nicht verzichten wollten, richteten sich die Westmächte seit Ende 1944 auf eine erste Phase weitgehend separater Zonenverwaltung ein, der der Übergang zur gemeinsamen zentralen Verwaltung erst „später“ folgen würde. Insofern war auch die Konzeption der Anglo-Amerikaner von Beginn an bewußt dualistisch angelegt. Sie wollten dem Zonenkommandeur aber nur eine weitreichende Autonomie zubilligen, die „Souveränität“ sollte eindeutig beim Kontrollrat liegen. Konflikte über die „verfassungsrechtliche“ Stellung des Kontrollrates schienen den USA indes als akademisch, solange der Zonenbefehlshaber in Personalunion Mitglied dieses Gremiums war. Im Gegenteil: Da sie frühzeitig eine stark divergierende Besatzungspraxis in der britischen und sowjetischen Zone erwarteten, erschien ihnen der Dualismus als geeignetes Mittel, mögliche Konflikte zu mildern und zugleich die Dezentralisierung der innerdeutschen Machtstrukturen einzuleiten
Als nach Yalta die Differenzen zwischen den Alliierten aufbrachen, waren es vor allem die USA, die das Einstimmigkeitsprinzip dahingehend umzudefinieren suchten, daß sie ausdrücklich für den Fall der Beschlußunfähigkeit des Kontrollrates das uneingeschränkte Recht des Zonenbefehlshabers verankert sehen wollten, in seiner Zone frei zu handeln und sich mit seinen Kollegen direkt auf bilateraler Ebene zu verständigen. Während die Sowjets dazu „betont“ schwiegen, lehnten selbst die Franzosen diesen Vorstoß entschieden ab: „Der amerikanische Entwurf ... ist eine Einladung zu Spaltung und einseitigem Vorgehen.“ Die Briten weigerten sich, die Handlungsunfähigkeit offiziell zu protokollieren, obwohl sie intern diesen Fall als immer wahrscheinlicher diskutierten: Um angesichts des zu erwartenden Fehlens einer deutschen Zentralgewalt bei Kriegsende ein „de facto dismemberment" zu verhindern, hielten sie an der Regierung Dönitz (um die sich auch die Sowjets bemühten!) als letzter Klammer fest Wenngleich das Potsdamer Abkommen schließlich an der oben zitierten Fassung festhielt, war doch nach den vorangegangenen Diskussionen in der EAC vorauszusehen, daß die unterschiedlichen Interpretationen dieser Formel zu erheblichen Abweichungen in ihrer praktischen Umsetzung führen würden.
Trotz aller Vorsätze der Westmächte, in Potsdam mit der Sowjetunion zu tragfähigen gesamtdeutschen Regelungen zu kommen, bewirkten die Konflikte über Grenzen. Reparationen und Export-Import-Plan sehr bald die Rückkehr zum zonalen Ansatz, vor allem nachdem die Sowjetunion mit der einseitigen Zulassung von Parteien und Gewerkschaften am 10. Juni und der Errichtung zonaler Zentralverwaltungen am 27. Juli noch vor dem Ende der Konferenz ihre Auffassung von zonaler Autonomie und Einheitlichkeit der Maßnahmen in Deutschland demonstriert hatte. In Potsdam stellten die Westmächte endgültig ihre „zentralistischeren“ Konzeptionen für die Besatzungsverwaltung zurück und betonten nunmehr den faktischen, nicht den „verfassungsrechtlichen“ Primat der Zonen als provisorische Regelung für eine zeitlich nicht mehr definierte Übergangsphase. Demgegenüber betonte nun die Sowjetunion, die dies als Annäherung an ihre bisherige Position an sich hätte begrüßen müssen, stärker das zentralistische Element, indem sie am 30. /31. Juli die Errichtung deutscher Zen-Mitder Absetzung der Regierung Dönitz am 23. Mai und der alliierten Erklärung vom 5. Juni 1945 hatte sich nicht nur die Befürchtung der Westmächte bestätigt, daß es bei Kriegsende keine funktionsfähige deutsche Zentralinstanz geben werde, sondern die Alliierten hatten selbst die Verpflichtung zur direkten Verwaltung Deutschlands übernommen. Dies präjudizierte den Neuaufbau aus zonalen Ansätzen heraus und machte die Wiedererrichtung einer deutschen Zentralinstanz von der Vereinbarkeit der politischen Ziele der Siegermächte abhängig. Politische Einheit(lichkeit) konnte unter diesen Voraussetzungen aufzwei Wegen gewährleistet werden, wie sie das Potsdamer Abkommen vorgezeichnet hatte: zum einen „von oben“ durch die Errichtung deutscher Zentralverwaltungen (auch wenn diese nur für Wirtschaftsfragen zuständig sein sollten), zum anderen „von unten“ durch die gesamtdeutsche Zulassung von Parteien und Gewerkschaften.
Aber schon in Potsdam war erkennbar geworden, daß die deutschen Zentralverwaltungen nicht Grundlage und Klammer alliierter Kooperation tralverwaltungen forderte. Sie tat dies aber erst, nachdem mit Byrnes’ Reparationsformel der zonale Ansatz festgeschrieben worden war, der ihren Forderungen in diesem Bereich nicht gerecht wurde.
Dieser Umschlag der jeweiligen Positionen war kein ad hoc gefundener Kompromiß zur Rettung der Potsdamer Konferenz, sondern geschah aus wohlkalkuliertem Interesse, war konsequentes Ergebnis eines mehrmonatigen Erfahrungs-, Diskussions-und Entscheidungsprozesses. Angesichts der seit Anfang 1945 in Europa entstandenen Konfliktpotentiale entsprach diese Lösung den westlichen Perspektiven in Europa ebenso wie den sowjetischen, indem sie — wenngleich als unaufgelösten Widerspruch — den gesamtdeutschen Vorbehalt als mögliches Instrument zur Verhinderung konkurrierender Transformationsbestrebungen ebenso geltend machte wie den Anspruch auf zonale Besitzstandswahrung als Voraussetzung eigener Neuordnungsmaßnahmen. Es blieb dem Kontrollrat überlassen, zu versuchen, ob und wie der Dualismus zwischen den Zonen und der Zentrale auf einen arbeitsfähigen Nenner zu bringen war.
II. Das Scheitern der politischen Einheit 1945/46
sein würden, sondern bestenfalls das Ergebnis eines kaum mehr absehbaren künftigen Konsenses.
Die These, die Errichtung deutscher Zentralverwaltungen (und ebenso die frühzeitige Zulassung gesamtdeutsch organisierter Parteien und Gewerkschaften) sei an der französischen Blockadepolitik im Kontrollrat gescheitert ist nur bedingt richtig. Zum einen waren die anglo-amerikanischen Vorschläge mit den sowjetischen kaum vereinbar. Zum anderen waren die Franzosen, besonders nach dem Rücktritt de Gaulles im Januar 1946, ernsthaft um pragmatische Ersatzlösungen bemüht, die bezeichnenderweise von den anderen Alliierten z. T. mit fadenscheinigen Gründen zurückgewiesen wurden.
Frankreichs Veto gegen die Zentralverwaltungen (sowie gesamtdeutsche Gewerkschaften und Parteien) diente eingestandenermaßen dem Zweck, seine deutschlandpolitischen Ziele nachträglich, d. h. nach und gegen Potsdam, durchzusetzen: Die Ruhr, das Rheinland und die Saar sollten — unter Berufung auf das sowjetische Vorgehen im Osten — vom Reich abgetrennt werden. Zugleich galt es, mit der Verzögerung zentralistischer Ansätze den baldigen Wiederaufstieg Deutschlands zu verhindern, um auf dessen Kosten einen wirtschafts-und sicherheitspolitischen Vorsprung zu gewinnen. Nach anfänglicher, gleichwohl zögerlicher Kooperation stellten die Franzosen am 1. Oktober 1945 ihre Mitarbeit in diesen Fragen ein. Sie ließen sich jedoch, indem sie einen Beobachterstatus beibehielten und Verhandlungen der anderen Mächte im Kontrollrat duldeten, eine Hintertür offen.
Trotz massiver Pressionen seitens der USA nahm die französische Regierung es in Kauf, daß sie der Sowjetunion die Chance bot, sich hinter ihrem Veto zu „verstecken“. Diese Obstruktionspolitik wurde ihr durch die heimliche Unterstützung der Briten erleichtert, die kaum noch Hoffnung hatten, mit Hilfe von Zentralverwaltungen auf die Entwicklung in der SBZ Einfluß nehmen zu können. Aus übergeordneten Rücksichten suchten diese den Ausgleich mit den Franzosen und waren insofern bereit, ihnen durch Verzögerung im Kontrollrat großzügig Bedenkzeit einzuräumen. Zwar erachteten die Briten aus Gründen der praktischen Besatzungspolitik und ihrer Kosten derartige Zentralverwaltungen für vorteilhaft, aber angesichts wachsender Distanz zur Sowjetunion waren sie sich keineswegs sicher, ob sie den Preis dafür — die Einschränkung ihrer zonalen Autonomie — wirklich zahlen wollten
Die Politik der USA in dieser Frage war widersprüchlich. Vehement drängten sie, d. h. in erster Linie Clay, auf die Errichtung der in Potsdam beschlossenen Zentralverwaltungen sowie auf die einheitliche Zulassung von Parteien und Gewerkschaften. Neben der Hoffnung auf Entlastung von den Aufgaben und Kosten der Besatzungsverwaltung war ihr Hauptmotiv, durch Vier-Mächte-Regelungen eine Sonderentwicklung der SBZ zu verhindern. Noch vor der Vereinigung von SPD und KPD zur SED sollten „Prinzipien“ der innerparteilichen Demokratie festgelegt werden, später ebenso für die Gewerkschaften ein Betriebsrätegesetz würde „weiterem einseitigen Vorgehen in der so-wjetischen Zone zuvorkommen“ mit Hilfe von Zentralverwaltungen wäre die „exklusive sowjetische Kontrolle über eines der größten und wichtigsten deutschen Gebiete nieder(zu) reißen“
Wenn diese Absichten letztlich scheiterten, so lag dies keineswegs nur an der französischen Obstruktion. Es war gerade Clay, der, um Druck auf die anderen Mächte auszuüben, frühzeitig Ersatzlösungen außerhalb des Kontrollrates vorschlug bzw. Ersatzlösungen innerhalb desselben verhinderte. Durch sein ultimatives Drängen sollte Clay als einer der ersten die Einheit im Kontrollrat in Frage stellen, an der er im Frühjahr 1948 als einer der letzten festhielt. Sein Vorschlag, trizonale Zentralverwaltungen ohne Frankreich zu errichten, war erfolgt, noch bevor die Franzosen am 1. Oktober 1945 endgültig ihr Veto eingelegt hatten. Schon am 20. und am 30. August hatte Clay offiziell eine trizonale Regelung für Im-und Exporte ohne die Sowjetunion und am 20. September für die deutschen Auslandsguthaben ohne Großbritannien vorgeschlagen Und noch ehe die Sowjets diese Trizonen-Lösung im Kontrollrat abgelehnt hatten, bot Clay seinem Kollegen Robertson am 13. November erstmals die Gründung einer britisch-amerikanischen Bizone an Begründet hatte Clay dies mit der betonten Rückkehr zu der amerikanischen Position vom Frühjahr 1945 — die von allen drei anderen Mächten nie offiziell gebilligt worden war — daß im Falle der Beschlußunfähigkeit des Kontrollrates jeder Zonenbefehlshaber seine völlige Handlungsfreiheit zurückgewinne und zu bilateralen Arrangements mit seinen Kollegen berechtigt sei. Diese Politik mochte durch die Sorge um die Viermächtekooperation im Kontrollrat motiviert sein; sie reduzierte diesen aber, indem sie den institutioneilen Einigungszwang aushöhlte, in entscheidenden Punkten auf eine bloße Koordinierungsfunktion, die Clay seit dem Juni 1945 als zu verhindernde Fehlentwicklung erachtet hatte, da mit der Einheit Deutschlands auch die Einheit der Kriegs-allianz zerbrechen werde.
Anders als Teile des State Departments wollte Clay nicht erkennen, daß die französische Deutsch-landpolitik ihre Ansprüche immer weiter zurück-nahm und pragmatische Lösungsvorschläge suchte, gleichwohl aus innenpolitischen Rücksichten eine spektakuläre Neuorientierung (noch) nicht anzubieten wagte. Vor allem die französische Kontrollratsgruppe drängte auf Zugeständnisse, da die eigene Zone nicht ohne Nachteile von dem übrigen Deutschland abzukoppeln war; eine starre Verweigerungspolitik vermochte zwar manches zu verhindern, konnte aber keine positiven Erfolge bewirken. Frankreich schlug daher zwei alternative Strategien vor: Einmal war es bereit, Kontrollratsgesetzen zuzustimmen, sofern diese „zunächst“ nur in den anderen drei Zonen in Kraft gesetzt würden; damit bliebe die Einheitlichkeit der Maßnahmen gewährleistet und wäre der Weg für einen späteren Beitritt der französischen Zone offengehalten. Eine derartige Lösung lehnten die USA im Oktober 1945 z. B. in der Gewerkschaftsfrage ab, um sie dann doch — zu spät — in der Direktive Nr. 31 vom April 1946 zu akzeptieren Weiterhin griffen die Franzosen erst zögernd, dann aber — gedrängt von den Briten — am 1. März 1946 eine andere, ursprünglich von den USA vorgetragene Ersatzlösung auf, nämlich anstelle der deutschen Zentralverwaltungen alliierte „Bureaus“ mit deutschem Personal einzurichten. Obwohl Teile der amerikanischen Kontrollratsgruppe und des State Departments bereit waren, dieses französische Angebot aufzugreifen, war es Clay persönlich, der diesen Vorschlag im August 1946 mit dem Argument zunichte machte, er komme ein halbes Jahr zu spät! Es könne ihm jetzt nur noch die Funktion zukommen, die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Einheitsbekenntnisse auf die Probe zu stellen
Aber eben diesen Test hat Clay mit seinem taktisch wenig klugen Veto der Sowjetunion selbst erspart. Dabei war es bereits im Herbst 1945 offenkundig gewesen, daß die Sowjets, wenn in Fragen minderer Bedeutung ein französisches Veto nicht erfolgte immer wieder Gründe fanden, ihre Zustimmung zu verweigern. Unter keinen Umständen wollte die Sowjetunion deutschen Zentralverwaltungen oder alliierten Bureaus das Recht zugestehen, in ihre Zone hineinzuregieren; sie war lediglich bereit, diesen gesamtdeutsche Planungs-und Koordinierungsaufgaben zuzubilligen. Daß sie aus ihrer Interessenlage heraus gar nicht anders handeln konnte, bestätigte sich eindrucksvoll, als Ende März 1946 im Wirtschaftsdirektorat ein Drei-Mächte-Papier (ohne Frankreich) zur Errichtung einer Zentralverwaltung für Industrie vorlag, die die Ausführung des Industrieniveau-und Reparationsplanes übernehmen sollte. Deren baldige Einsetzung schien so bedrohlich konkret, daß Ulbricht eine Beeinträchtigung der unmittelbar bevorstehenden Sozialisierung in der SBZ befürchtete. Eng mit diesen Transformationsmaßnahmen verbunden war die sowjetische Reparationspolitik, die im Frühjahr 1946 von der radikalen De-Industrialisierung durch Demontage auf die Entnahme aus der laufenden Produktion mit Hilfe der sogenannten Sowjet-Aktiengesellschaften umgestellt wurde. Um den Zugriff der Zentralverwaltung auf diese SAGs zu verhindern, zog die Sowjetunion am 2. August das Papier des Wirtschaftsdirektorats zurück, eben weil die Zentralverwaltung als „eine Agentur oder Organ des Kontrollrats“ konzipiert sei
Dieser Rückzug war nicht nur ein taktisches Manöver, bei dem die inzwischen erfolgte Ankündigung der britisch-amerikanischen Bizonengründung ebenso eine Rolle gespielt haben mag wie innersowjetische Auseinandersetzungen, in deren Verlauf buchstäblich über Nacht die Reparationspolitik der Sowjetischen Militäradministration entzogen und Moskau direkt unterstellt wurde Es handelte sich um eine grundsätzliche Neuorientierung der sowjetischen Deutschlandpolitik, die auf das Frühjahr 1946 zu datieren ist. Bereits Anfang Mai, also unmittelbar nach Gründung der SED, kündigte bei den Beratungen über ein Parteiengesetz bemerkenswerterweise die Sowjetunion den erreichten Kompromiß auf, obwohl der Entwurf in allen Teilen auf ihren Vorschlägen beruhte Erstmals forderte sie die Aufhebung des Zonenvorbehaltes, den sie sonst so energisch verteidigte. Offenkundig wollte sie der Ausbreitung der SED in die Westzonen den Weg freiräumen, so wie sie sich beharrlich um die überzonale Vereinigung der Gewerkschaften bemühte. Das heißt, die Sowjetunion suchte, bei gleichzeitiger Konsolidierung ihrer Position in der SBZ, über Parteien und Gewerkschaften die gesamtdeutsche Initiative.
Doch ohne Widersprüche war diese sowjetische Politik keineswegs. Offensive und defensive Elemente waren eng verwoben. Spätestens seit Clays Demontagestopp Ende April/Anfang Mai war der Industrieniveauplan vom März 1946, auf eine kurze Besatzungszeit mit radikalem Reparationstransfer berechnet, gegenstandslos geworden. Wenn die Sowjetunion aber auf ihrem Reparationsanspruch von zehn Mrd. Dollar beharrte, den die Westmächte auf der Pariser Außenniinisterkonferenz endgültig ablehnten, den sie daher nur aus der laufenden Produktion ihrer eigenen, bereits stark demontierten Zone befriedigen konnte, dann mußte sie sich auf eine lang andauernde Besatzungszeit einrichten. Es war für sie daher offenkundig ein erheblicher Schock, als die USA zwar eine kontrollierte Entwaffnung Deutschlands für 25 bzw. 40 Jahre anboten, dies aber mit dem Vorschlag eines Friedensvertrages verknüpften, obwohl bislang in den Westzonen nach sowjetischer Interpretation weder die Grundlagen von Militarismus und Nazismus beseitigt noch die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ernsthaft in Angriff genommen worden waren In seiner berühmten Rede vom 10. Juli reagierte Molotov lediglich auf die angloamerikanischen Forderungen nach einem Friedensvertrag und deutscher Selbstregierung, unternahm aber selber keineswegs einen „überraschenden“ Vorstoß, wenn er einen in der Substanz mageren Stufenplan für eine „Reihe von Jahren“ entwikkelte, in dem die deutschen Zentralverwaltungen nur der allererste Schritt zur Bildung einer deutschen Regierung sein sollten. Erst wenn diese sich in der Erfüllung der (Reparations-) Verpflichtungen „bewährt“ habe, sei an den Abschluß eines Friedensvertrages zu denken
Aus diesem Dilemma kam die Sowjetunion nicht mehr heraus: daß sie einerseits die Lockerung des Zonenvorbehalts fordern mußte, um SED und FDGB eine gesamtdeutsche Basis als Voraussetzung (in ihrem Sinne kontrollierbarer) deutscher Zentralverwaltungen zu schaffen, andererseits aber aus reparations-und transformationspolitischen Gründen den Zonenvorbehalt gegenüber dem Zugriff solcher Zentralverwaltungen unbedingt aufrechterhalten mußte. Sie wurde deutschlandpolitisch unbeweglich, provozierte durch ihren Rückzug im Kontrollrat und ihre hilflose Obstruktion auf der Pariser Außenministerkonferenz gerade erst die deutschlandpolitische Neuorientierung der Westmächte, die sie hatte verhindern wollen und die keinesfalls in ihrem Interesse liegen konnte.
Damit hatte die Sowjetunion den „letzten Test“ nicht bestanden, denn die Westmächte konnten diesen zwiespältigen, ja zweideutigen Attentismus weder nachvollziehen noch weiterhin akzeptieren. Schon während des ersten Abschnitts der Pariser Außenministerkonferenz (April/Mai 1946) hatten sich in den anglo-amerikanischen Kontrollratsgruppen wie Außenministerien unabhängig voneinander, aber übereinstimmend die Kräfte durchzusetzen begonnen, die in der zweiten Konferenzphase (Juni/Juli) die Sowjets in der Deutschlandfrage vor die Entscheidung zu stellen gedachten Diese Strategie aber — so hieß es ausdrücklich im Foreign Office — „sollte nicht dahin zielen, einen endgültigen Bruch zwischen östlichem und westlichem Deutschland“ zu provozieren; doch, darin stimmten Bevin und Acheson fast wörtlich überein, „wenn ein solcher Bruch eintreten sollte, dann muß die Verantwortung dafür eindeutig bei den Russen und nicht bei uns liegen“ Gleichwohl zögerten Bevin und Byrnes trotz des Drängens ihrer Berater bis zuletzt, ehe sie mit der Zustimmung zur Bizone bzw. mit der Stuttgarter Rede de facto das Ende der politischen Einheit Deutschlands einzugestehen bereit waren. Sie taten diesen Schritt erst, als sie zu der subjektiv zweifellos ehrlichen Überzeugung gelangt waren, daß ihnen keine andere Wahl mehr offenstand. Denn — so Bevin — er „würde die Sache nicht schlimmer machen, als sie gegenwärtig ist“, er könnte im Gegenteil vielleicht sogar geeignet sein, einen „heilsamen Effekt auf die Russen“ auszuüben Alle vier Mächte hatten im Sommer 1946 ihre Deutschlandpolitik einer Revision unterzogen. Die Pariser Außenministerkonferenz bedeutete in der Geschichte des Kontrollrats insofern den zentralen Einschnitt, als mit ihr der Versuch gescheitert war, die Wirtschaftseinheit über die politische Einheit sozusagen „von oben“ herzustellen bzw. zu wahren. Das Ziel wurde jetzt bescheidener definiert, nämlich zur Befriedigung der besatzungspolitischen Bedürfnisse wie der reparationspolitischen Interessen die Wirtschaftseinheit Deutschlands zu erhalten und zu nutzen. Für diesen pragmatischen Zweck hatte der Kontrollrat gemäß der amerikanischen Interpretation einen prinzipiell arbeitsfähigen Konsens entwickelt, indem er Arrangements der Militärgouvemeure im Rahmen des Kontrollrates, also eine Summe von bilateralen Teillösungen, ermöglichte.
In diesem Sinne zog z. B. die Sowjetunion nach dem Scheitern der Pariser Konferenz ganz nüchtern den Schluß, daß ihre ursprüngliche Formel: „Nur (eine) einheitliche Zentralregierung sichert die Wirtschaftseinheit“ hinfällig geworden war. Jetzt galt es, zunächst die „wirtschaftliche Wiedervereinigung“ anzusteuern, und erst in einer zweiten Phase bestand die bereits vage Möglichkeit, „daß aus der sich anbahnenden wirtschaftlichen Einheit die politische Einheit Deutschlands hervorgeht“ Offenkundig war die Sowjetunion zu ähnlichen Schlußfolgerungen wie die Anglo-Amerikaner gekommen, daß in der Trennung von wirtschaftlicher und politischer Einheit sich die Widersprüche zwischen langfristigen deutschlandpolitischen Zielen und unmittelbaren besatzungspolitischen Zwängen irgendwie überbrücken ließen. Dieser neuerliche Dualismus — von zonaler politischer Autonomie und gesamtdeutscher wirtschaftlicher Option — ließ in den Zonen unterschiedliche Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen zu, wurde aber zugleich der traditionellen Verflechtung der deutschen Wirtschaft, dem beschränkten Zugang zu den Weltmärkten und dem Willen zur Reduzierung der Besatzungskosten gerecht. Mit der Verhinderung der politischen Einheit hatten Frankreich und die Sowjetunion ihr Ziel erreicht, und es waren nicht zufällig gerade sie, die nun am lautesten auf die Herstellung der Wirtschaftseinheit im Kontrollrat drängten.
III. Die Hoffnung auf die Wirtschaftseinheit 1946— 1948
Es wird zumeist übersehen, daß der Kontrollrat im Hinblick auf die Realisierung der im Potsdamer Abkommen geforderten Wirtschaftseinheit zunächst eine durchaus positive Bilanz vorweisen konnte. Der spektakulärste Erfolg war zweifellos der „Plan für Reparationen und das Industrieniveau im Nachkriegsdeutschland“ vom März 1946. Es sollte sich aber erweisen, daß seine Grundlage, die Orientierung an den Kriegszielen, seine Erfolgschancen in der Besatzungspraxis drastisch reduzierte. Seine Bestimmungen (ökonomische Abrüstung Deutschlands einerseits und Rekonstruktion der Sieger andererseits durch Demontage und Reparationen; Bestrafung Deutschlands durch De-In-dustrialisierung; Kontrolle durch Entautarkisierung. De-Kartellisierung und/oder Sozialisierung) waren ein politischer Kompromiß, im Endstadium der Verhandlungen in einer Art „international poker game“ zustandegekommen, der wirtschaftlich teils unstimmig, teils auch unsinnig war angesichts der gewandelten deutschland-und reparationspolitischen Ziele der Sieger.
Gerade Sowjets und Franzosen, die auf besonders radikale Maßnahmen gedrängt hatten, stellten nach Abschluß der „Beute-Phase“ ihre Demontagepolitik noch während der Beratungen des Plans auf eine Entnahme der Reparationen aus laufender Produktion um, mußten also an dem Erhalt der Kapazitäten in Deutschland interessiert sein. Die Sowjetunion wählte den Weg der SAGs. Frankreich ermunterte bereits im Januar 1946 die Briten, bei ihrer Forderung nach einem hohen Produktionsniveau hart zu bleiben Großbritannien, das die hohen Besatzungskosten nicht zu tragen bereit war, spielte bis zuletzt mit dem Gedanken, den ganzen Plan durch sein Veto zu verhindern, um eine Ge-samtrevision von Potsdam zu erzwingen Den USA ging es in erster Linie um den Kompromiß als solchen, als Beweis für die Kooperationsfähigkeit der Alliierten, weniger um die Durchsetzung Morgenthauscher Vorstellungen. Obwohl alle Mächte immer mehr von der Grundidee des Planes abrückten, ließ der Kompromiß anfangs eine Einigung über das Demontage-und Reparationsprogramm bis in konkrete Details hinein zu. Zunächst verhinderten aber französische Forderungen nach Restitutionen (d. h. nach Rückgabe der von den Deutschen requirierten Maschinen usw.), dann Clays Reparationsstopp die gemeinsame Durchführung im Kontrollrat. Alle diesbezüglichen Maßnahmen, mit Ausnahme der bis 1948 gelieferten „VorabReparationen“, blieben fortan in das Ermessen der zonalen Besatzungsverwaltungen gestellt.
Letztlich scheiterte aber die Wirtschaftseinheit an den Problemen, die bereits in Potsdam eine Einigung verhindert hatten, nämlich an der Frage, ob die Reparationen oder die Exporte Vorrang genießen sollten (First-Charge-Principle). Während die Anglo-Amerikaner darauf beharrten, die Finanzierungslücke bei den Importen durch Dollareinnahmen auf dem Weltmarkt möglichst gering zu halten, plädierten Franzosen und Sowjets für Konsumverzicht auf dem Binnenmarkt, d. h. für mehr Hunger für die Deutschen. Solange die Differenzen über Reparationspolitik, Exportpriorität und Bewirtschaftungsmaßnahmen die Zonen zu handelspolitischen Inseln machten, war nur ein kontingentierter Interzonenhandel für den kontrollierten Austausch der produktionsstrategisch wichtigsten Güter möglich. Briten und Amerikaner führten zunächst ihre „Pooling“ -Arrangements aus der Zeit vor Potsdam informell weiter, ergänzt durch bilaterale Erleichterungen im Interzonenhandel, so daß man schon Ende 1945 eine „informelle Bizone“ erkennen konnte. Aber paradoxerweise konnten gerade sie einen liberaleren Interzonenaustausch nicht akzeptieren, wollten sie nicht infolge der unkontrollierten Reparationsentnahme der beiden anderen Besatzungsmächte deren Selbstbedienung indirekt finanzieren. Es waren nicht zufällig gerade die Sowjets, die im Kontrollrat immer wieder die Initiative zur Intensivierung des Interzonenhandels ergriffen: erstmals im Februar 1946, begleitet von der Wiedereröffnung der Leipziger Messe, und dann wieder im August 1946 als gezielte Antwort auf das Scheitern der Pariser Außenministerkonferenz. Immerhin kam es im Herbst 1946 zu einem regelrechten Handelsvertragssystem zwischen den vier Zonen, das sehr rasch zu einer bedeutenden Ausdehnung des Handelsvolumens führte, aber eben doch nur ein bescheidener Ersatz für die fehlende Wirtschaftseinheit sein konnte.
Ausgenommen von diesen bilateralen Interzonen-abkommen blieben Eisen, Stahl, Kohle und Strom, die vom Kontrollrat monatlich den vier Zonen zugeteilt wurden Zwar war der Verteilungsschlüssel stets umstritten, aber da es sich um Globalkontingente ohne exakte Gegenwertberechnung handelte, war dies doch ein bemerkenswertes Phänomen deutscher Wirtschaftseinheit. Es ist dies noch nicht hinreichend erforscht, aber es scheint, daß die Gründung der Bizone gerade in diesem Bereich erhebliche Beschränkungen nach sich zog. Seit Ende Juli 1946 begannen die Briten — mit demselben Argument wie auf der Pariser Konferenz, nämlich ihre Zone sich möglichst selbst versorgen zu lassen — diesen Konsens aufzukündigen. Gleichzeitig verlangten sie, um die Franzosen regelrecht in die Bizone hineinzuzwingen, die Begleichung des Handelsbilanzdefizits zwischen den jeweiligen Zonen in Dollar; und sie konnten dies, wenngleich unter Abstrichen, mit Hilfe der USA im Frühsommer 1947 durchsetzen. Diese Forderung nahmen die Sowjets zum Anlaß für ihre ersten massiven Angriffe auf die Bizone im Kontrollrat, konnten aber nicht verhindern, daß die Briten im März 1947 witterungsbedingte Lieferschwierigkeiten der SBZ nach einmaliger Warnung mit der Einstellung aller Eisen-und Stahllieferungen in die Ostzone beantworteten
Mit diesen Maßnahmen war, wie die Sowjets nicht ohne Grund monierten, der Dollar als eine Art Zweitwährung neben der immer wertloser werdenden Reichsmark eingeführt worden, zumindest in den Westzonen. Die Währungseinheit war damit zu einer prekären Klammer der Wirtschaftseinheit geworden. Lange war der Kontrollrat auch hier in der Lage gewesen, sich mit einer Fülle von Ersatzmaßnahmen zu behelfen. Die einheitliche Festlegung von Preisen und Löhnen gehörte dazu ebenso wie die gemeinsame Steuerpolitik, der allein 19 der insgesamt 62 Kontrollratsgesetze gewidmet waren. Zwar war die Sowjetunion in ihrer Zone nicht auf diese Mittel zur Verhinderung einer Inflation angewiesen, da sie alle Banken geschlossen und alle Konten gesperrt hatte, doch war auch sie (wie Frankreich) an einer extrem hohen Steuerquote in-teressiert, um damit Reparationen und Besatzungskosten über die öffentlichen Haushalte finanzieren zu können.
Ob man nun diese Form der Währungseinheit als Notgemeinschaft oder Komplizenschaft der Alliierten bezeichnen will — in jedem Fall blieb sie Ersatz für den fehlenden Konsens in der Substanz. Denn bei der Währungsreform ging es nicht allein um den bloßen Währungsschnitt und seine technische Durchführung, wie die von den USA in den Vordergrund geschobene Frage des Banknotendrucks suggerieren mag Das entscheidende Hindernis war, daß alle Mächte die Währungsreform als „Paketlösung" verstanden, mit der strukturelle Vorentscheidungen über die Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung getroffen werden sollten. Gleichwohl war die Währungsreform zunächst kein Ost-West-Problem. Im Gegenteil: Anfangs stimmten die USA, vertreten durch die „Morgenthau boys", und die Sowjetunion in den Grundzielen durchaus überein: Zerschlagung der Großbanken und Versicherungen, Dezentralisierung des Zentralbanksystems sowie völlige Streichung der (vornehmlich aus der Kriegsfinanzierung entstandenen) Staatsverschuldung. Großbritannien, darin erstaunlicherweise von Frankreich unterstützt, plädierte dagegen für die Beibehaltung des alten zentralistischen Universalbanksystems, weil es die Kontrolle ebenso erleichtert hätte wie die Wirtschaftslenkung im Falle einer Sozialisierung. Während Briten und Amerikaner sich im Prinzip über einen Lastenausgleich einig waren, plädierten erstere nicht für einen Währungsschnitt, sondern für eine „kontrollierte“ Inflation durch Anhebung der Preise und radikale Besteuerung über einen Zeitraum von zwei Jahren
Da selbst zwischen den Westmächten bis zum August 1947 in den prinzipiellen wie den technischen Fragen keine Einigung erzielt werden konnte, bot sich in der Frage des Banknotendrucks die willkommene Chance, einen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen. Doch auch hier standen die USA bis zum Sommer 1947 allein gegen ihre Verbündeten. Die Briten warfen ihnen gar „Verzögerungstaktik“ und „Obstruktion“ vor. Wie die Franzosen erblickten sie in dem sowjetischen Wunsch, das neue Geld auch in Leipzig zu drucken, keinen Hinderungsgrund, da — was die Sowjetunion nie in Frage stellte — Druck und Papierherstellung unter Viermächtekontrolle stehen würden. Gleichwohl konnten sich die Briten das unnachgiebige Beharren der Sowjets auf dem Druckort Leipzig nicht erklären, zumal diese jede inhaltliche Begründung verweigerten. Das eigentliche Motiv, so spekulierten sie, schien die Furcht zu sein, Besatzungskosten und Reparationen nicht mehr finanzieren zu können, eine zu geringe Erstausstattung (wie in Österreich) zu erhalten, vor allem aber die „Freiheit in Budget-fragen“ in ihrer Zone einzubüßen.
Ähnliche Bedenken bzw. Bedingungen machten 1949 auch die Franzosen geltend, ehe sie sich der Währungsreform in den Westzonen anschlossen Aber während Frankreich mit dem Ziel der Rückkehr zu einer privatkapitalistischen Marktwirtschaft konform ging, mußte die Sowjetunion jegliche Regelung — wie z. B. eine zwar föderalisierte, aber gesamtdeutsche Zentralbank — ablehnen, die ihre besatzungs-und transformationspolitischen Ziele in der SBZ beeinträchtigen würde. Insofern waren ihre weitreichenden Kompromißangebote, sofern sie ernst gemeint waren, wertlos, da sie nicht (mehr) über die Handlungsfreiheit verfügte, ihr klassisches Dilemma dieser Jahre zu überwinden: aus nationalem wirtschaftlichen Interesse die Einheit Deutschlands fordern zu müssen, deren Verwirklichung sie im Hinblick auf das Schicksal ihrer Zone (und ihrer sicherheitspolitischen Position in Osteuropa) nur fürchten konnte.
Auf der anderen Seite sah sich Clay zu erheblichen Zugeständnissen an Briten und Franzosen gezwungen, um aus der Isolation im Kontrollrat herauszukommen, ventilierte aber auch die Möglichkeit, durch Konzessionen in der Reparationsfrage doch noch mit den Sowjets zu einem Arrangement zu gelangen. Wenn Frankreich und Großbritannien schließlich ihre Haltung gegenüber einer separaten westzonalen Währungsreform binnen weniger Wochen änderten, so war dies kaum auf amerikanische Pression zurückzuführen oder gar auf das eben jetzt auftauchende, aber haltlose Gerücht, die Sowjetunion plane eine separate Währungsreform. Es hatte sich vielmehr die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß die Wirtschaftseinheit nicht von der Frage der Wirtschaftsordnung zu trennen war. „Man muß sich fragen“ — so schrieb im August 1947 der Politische Berater der französischen Kontrollratsgruppe, Tarbe de Saint-Hardouin, an Außenminister Bidault — „wie es unter diesen Umständen möglich sein soll, eine deutsche Wirtschaftseinheit herzu-stellen, wenn die beiden Hälften Deutschlands sich in praktisch inkompatible Wirtschaftssysteme einordnen. Man ist gezwungen, festzustellen, daß diese Einheit nicht einfach begründet werden kann durch gegenseitiges Übereinkommen (consentement mutuel) und aufgrund von Zugeständnissen im Detail, sondern nur durch eine regelrechte Rückeroberung (vritable reconquete), die, wenn nicht durch Gewalt, so doch durch einen sehr massiven Druck zu erreichen wäre. Das bedeutet aber, daß sie bei dem gegenwärtigen Zustand des Gleichgewichts der Kräfte als nicht realisierbar erscheint“ — bzw., wie die USA bald formulieren sollten, als nicht mehr wünschbar Da der Erfolg des Marshallplans nicht zuletzt von dem eigenen Beitrag Westdeutschlands abhängen würde, waren die USA schon im Herbst 1947 bereit, als Preis den zu erwartenden Versuch der Sowjetunion in Kauf zu nehmen, die Westmächte aus Berlin zu vertreiben Sehenden Auges gingen die Westmächte also in diese Krise, die voraussichtlich das Ende des Kontrollrats mit sich bringen würde — und damit die (wie sie glaubten: nur vorübergehende) Teilung Deutschlands.
Die Geschichte des Kontrollrats hat die frühen britischen Befürchtungen bestätigt, daß zwar mit Hilfe einer bestehenden deutschen Zentralinstanz die Erhaltung der deutschen Einheit möglich, deren Wiederherstellung ohne eine derartige Klammer aber kaum wahrscheinlich sein werde. Wohl hat der Kontrollrat erfolgreich „Regierungs“ -Funktionen ausüben können, doch nur soweit dies mit den besatzungs-und reparationspolitischen Bedürfnissen aller Mächte und dem Vorbehalt zonaler Autonomie vereinbar war. Selbst gemeinsame Beschlüsse trugen nur den Charakter von Empfehlungen. Bei genauerer Betrachtung läßt sich die These vertreten, daß sogar die legislativen Erfolge nur das politische Scheitern kaschierten: Angesichts der strukturell unvereinbaren Ausgangspositionen erwies sich der Kontrollrat nur zu einer Politik der Ersatz-lösungen fähig; Interzonenhandel trat an die Stelle der Wirtschaftseinheit, Fiskalpolitik mußte die Währungsreform ersetzen usw. Auch ohne die französische Obstruktionspolitik 1945/46 ist nicht zu erkennen, wie der Kontrollrat aus sich heraus diese strukturelle Differenz hätte überwinden können.
Durch seine bloße Existenz dürfte er jedoch als retardierendes Element im Prozeß der Teilung Deutschlands gewirkt haben; er war der Ort, an dem die Sieger offenkundig bis zuletzt bemüht waren. sich durch die ständig bescheidenere Definition des möglichen gemeinsamen Nenners den Rückweg zur Einheit offenzuhalten. Das war nicht viel, aber es ist doch genug, um die Geschichte des Kontrollrats nicht nur als eine Abfolge von Obstruktion und Niederlage zu begreifen.