I. Einleitung
Den Ausgangspunkt der polnischen Außenpolitik gegenüber Deutschland bildeten die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz von 1945. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs betrachtete die polnische Regierung das Verhältnis zu Deutschland als eine strategische Frage ihrer Außenpolitik. Sie sprach sich für die politische Einheit Deutschlands aus, die aber mit den Sicherheitsinteressen der Nachbarn Deutschlands im Einklang stehen und der Friedens-förderung in Europa untergeordnet sein sollte.
Mit der Gründung zweier deutscher Staaten im Jahre 1949 wurden indes auf deutscher Seite zwei gegensätzliche Haltungen gegenüber Polen entwikkelt. Während sich die Bundesrepublik Deutschland von den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens eindeutig distanzierte — wodurch ihr Verhältnis zu Polen belastet werden mußte —, akzeptierte die Deutsche Demokratische Republik die Potsdamer Bestimmungen u. a. mit dem Ziel, gutnachbarliche Beziehungen mit der Volksrepublik (VR) Polen aufzunehmen.
Als 1970 der Warschauer Vertrag unterzeichnet wurde, war dies der Abschluß einer Evolution in der bundesdeutschen Ostpolitik von der Ignorierung aller polnischen Initiativen zur Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen über die Politik des Gewaltverzichts bis hin zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als der Westgrenze Polens. Der War-schauer Vertrag führte dann zum Aufbau eines Normalisierungsprozesses und zur Erweiterung der gegenseitigen Zusammenarbeit auf vielen Ebenen.
II. Die Phase der Konflikte und Spannungen bis 1970/72
Die Oder-Neiße-Grenze war in den Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik das strittigste Problem. Sie spielte deshalb in den beiderseitigen Beziehungen eine zentrale Rolle. Die DDR hingegen unterzeichnete am 6. Juli 1950 in Görlitz den Vertrag mit der VR Polen über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als der Staatsgrenze zwischen Polen und Deutschland. Da die Bundesregierung territoriale Ansprüche gegenüber Polen und der DDR erhob und sich weigerte, den anderen deutschen Staat sowie alle von ihm eingegangenen Verträge und Abkommen anzuerkennen, verlagerte sich die Frage der Oder-Neiße-Grenze somit auf die Bundesrepublik.
Adenauers Politik der Nichtanerkennung stützte sich auf juristische, insbesondere verfassungsrechtliche Argumente, die letztlich jedoch „ad-hoc-Konstruktionen“ waren und „politischen Zielsetzungen dienten“ Sie beruhten im Grunde genommen auf zwei Prämissen: 1. Die Regelung der Grenzfrage sei bis zum Abschluß eines Friedensvertrages mit einem wiedervereinigten Deutschland zurückzustellen (Rückstellungsklausel).
2. Das Deutsche Reich als Völkerrechtssubjekt — mit dem die Bundesrepublik identisch sei (Alleinvertretungsanspruch) — bestehe in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 solange fort, bis eine frei gewählte gesamtdeutsche Regierung andere Grenzen anerkenne.
Diese Prämissen wurden durch zwei weitere Instrumente — Hallstein-Doktrin und das Recht auf Heimat — abgesichert. Bis 1969 bildeten die oben erwähnten politisch-juristischen Instrumente den Orientierungsrahmen der Polen-Politik der bundes-republikanischen Regierungen.
Adenauers ursprüngliches Regierungsprogramm erstrebte die Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1937 auf dem Wege der Westintegration. Auf das Potential gemeinsamer westlicher Stärke gestützt, sollte die Bundesrepublik das Gebiet der DDR und das jenseits der Oder-Neiße-21 Grenze in Besitz nehmen. Im Laufe der Verhandlungen über den Deutschlandvertrag von 1952 stellte sich jedoch heraus, daß sich die Westmächte weigerten, die Revision der Oder-Neiße-Grenze zu unterstützen Mit den Pariser Verträgen, dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO und der damit zusammenhängenden Gründung des Warschauer Pakts im Jahre 1955 scheiterte die Zielsetzung Adenauers, die Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1937 mit westlicher Unterstützung zu verwirklichen. Der Deutschlandvertrag von 1952 und vor allem die Pariser Verträge von 1954 verwiesen zugleich auf die uneingeschränkte Priorität der Westintegration vor der Wiedervereinigung. Aus „innenpolitischen Gründen“ blieb jedoch Adenauer auch nach 1955 bei seinem Wiedervereinigungsprogramm, was die Manövrierfähigkeit der bundesrepublikanischen Ost-und Deutschlandpolitik erheblich einschränkte.
Bis 1961 war die Ostpolitik der Bundesregierungen im wesentlichen durch eine weitgehende Ignorierung der mittelost-und südosteuropäischen Staaten gekennzeichnet. Dies beeinflußte auch die polnisch-bundesdeutschen Beziehungen in entscheidendem Maße. Anfang 1955 signalisierte die polnische Regierung ihre Bereitschaft, diplomatische Beziehungen ohne Vorbedingungen zur Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen Am 18. Februar 1955 verabschiedete der Staatsrat der VR Polen eine Erklärung zur Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland wodurch ein juristisches Hindernis auf dem Wege zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik beseitigt wurde. Die Bundesregierung reagierte auf den polnischen Vorschlag mit völliger Zurückhaltung; sie ging davon aus, daß die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen eine Hinnahme des europäischen Status quo bedeuten würde. Diese Überzeugung schienen auch offizielle Äußerungen mancher Bonner Regierungsmitglieder zu bestätigen Hinzu kam die Befürchtung, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Polen — im Widerspruch zur Hallstein-Doktrin — den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik beeinträchtigen und eine De-facto-Anerkennung bzw. eine internationale Aufwertung der DDR bewirken könnte. Mitte 1957 knüpfte die Bundesregierung ihre Bereitschaft zur Herstellung diplomatischer Beziehungen mit Polen an die gleichen Bedingungen, die sie schon bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion im Jahre 1955 geltend gemacht hatte
Angesichts dessen gab die polnische Regierung ihre bisherige Maxime der „Normalisierung ohne politische Vorbedingungen“ auf. Ende 1957 sprach die polnische Seite zum erstenmal davon, daß ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Aufnahme diplomatischer Beziehungen und der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze bestehe Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als polnischer Westgrenze durch die Bundesrepublik sollte von nun an eine grundsätzliche Voraussetzung für die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten sein.
Es ist hier festzustellen, daß die erklärte Bereitschaft der polnischen Seite zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik deren Anerkennung als ein Subjekt des Völkerrechts bedeutete Eventuelle diplomatische Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik hätten aber aus zwei Gründen keine Zugeständnisse irgendeiner Seite in der Frage der Oder-Neiße-Grenze impliziert:
1. Die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen zwei Staaten greift nicht automatisch der Anerkennung ihres beiderseitigen territorialen Souveränitätsbereiches vor.
2. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik hätte nicht bedeutet, daß die Bundesrepublik zugleich eine juristische Berechtigung bekommen hätte, mit Polen Grenzverträge abzuschließen, da nur die DDR als direkter Grenznachbar Polens die Berechtigung dazu besaß. Ähnlich wie der Vorschlag zur Herstellung diplomatischer Beziehungen fand auch ein vom polnischen Außenminister Adam Rapacki ausgearbeiteter und am 2. Oktober 1957 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen vorgelegter Plan zur Bildung einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa, die das Gebiet der beiden deutschen Staaten und Polens umfassen sollte, keine positive Resonanz bei der Bundesregierung. An der Spitze aller bundesrepublikanischen Vorbehalte stand die Befürchtung, daß die Verwirklichung des Rapacki-Planes zu einer Diskriminierung der Bundesrepublik im Westen führen könnte — ein Argument, das schon allein im Kontext der Bestimmungen der Pariser Verträge, die der Bundesrepublik verboten, Nuklearwaffen zu produzieren, schwer zu halten war. Ein Eingehen der Bundesregierung auf den Rapacki-Plan stand allerdings im Widerspruch dazu, daß man einige Wochen später eine Entscheidung des NATO-Ministerrats über die Ausrüstung der Bundeswehr mit nuklearen Trägerwaffen erwartete Die Ideen Rapackis sollten dann erst in den siebziger Jahren in die Tat umgesetzt werden können, so z. B. die Entspannung auf bilateraler Ebene zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland oder Verhandlungen über einen Truppenabbau in Mitteleuropa.
Neue Akzente in der Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland wurden mit der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. Juni 1961 gesetzt. Diese Entschließung forderte die Bundesregierung auf, „ohne Preisgabe lebenswichtiger deutscher Interessen zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staaten zu gelangen“ und „den weiteren Ausbau“ dieser Beziehungen „auf wirtschaftlichem, hum Juni 1961 gesetzt. Diese Entschließung forderte die Bundesregierung auf, „ohne Preisgabe lebenswichtiger deutscher Interessen zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staaten zu gelangen“ und „den weiteren Ausbau“ dieser Beziehungen „auf wirtschaftlichem, humanitärem, geistigem und kulturellem Gebiet“ an-10) zustreben. In der Polen-Politik müsse die Bundesregierung „den besonderen psychologischen Belastungen des deutsch-polnischen Verhältnisses Rechnung“ tragen, aber auch „die jeweils erforderlichen völkerrechtlichen Vorbehalte geltend“ machen 12).
Mit der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. Juni 1961 bekam die Polen-Politik der Bundesregierung einen offiziellen, amtlichen Rang. Zugleich war jene Entschließung ein Kulminationspunkt einer Mitte der fünfziger Jahre von Adenauer vorgeschlagenen Konzeption, die darauf zielte, die Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik zur VR Polen durch „Kontakte mit dem polnischen Volk“ zu erreichen. An diese Konzeption knüpfte „die Politik der Bewegung“ des neuen Bundesaußenministers Gerhard Schröder an.der die Belebung der beiderseitigen Kontakte im wirtschaftlichen. kulturellen und allgemeinmenschlichen Bereich — allerdings unterhalb der Schwelle diplomatischer Beziehungen — verlangte. Die Politik Schröders führte jedoch zu keinem entscheidenden Durchbruch. Die 1963 eingerichteten Handelsmissionen in Warschau und Köln blieben ohne irgendwelchen politischen Einfluß auf die Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen.
Dennoch traten Anfang der sechziger Jahre wichtige Änderungen in den außen-und innenpolitischen Rahmenbedingungen der bundesdeutschen Polen-Politik ein. Im internationalen System kam es aufgrund des Endes des Kalten Krieges zum Beginn der Entspannungspolitik zwischen Ost und West. Die Westmächte, vor allem die USA, aber auch Frankreich, begannen, ihre Beziehungen zu den sozialistischen Staaten zu verbessern und forderten auch die Bundesrepublik auf, die Beziehungen zu diesen Ländern zu normalisieren 13). Weitere Anstöße kamen von Seiten der FDP und der SPD sowie von einzelnen gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik, die darauf hinwiesen, daß das Wiedervereinigungskonzept der Regierung Erhard/Schröder unrealistisch sei. In zahlreichen Denkschriften und Memoranden wurde Verständnis für die polnische Position artikuliert und eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze befürwortet 14). Nachdem die polnische Regierung negativ auf die „Friedensnote“ der Bundesregierung vom 25. März 1966 reagiert und die Anerkennung der DDR de iure durch die Bundesrepublik zur zusätzlichen Vorbedingung für die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten gemacht hatte erfolgte eine Änderung in der bundesrepublikanischen Polen-Politik. Polen wurde in die Gruppe der „kontroversen“ Staaten des War-schauer Pakts eingeordnet, was zu einer weiteren Verhärtung in den beiderseitigen Beziehungen führte. Infolgedessen begann auch „die Politik der Bewegung“ allmählich den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie geriet endgültig ins Abseits, nachdem die Rede des amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson vom 7. Oktober 1966 gezeigt hatte, daß die Außenpolitik der Bundesregierung im Widerspruch zu der der Vereinigten Staaten stand Die Unvereinbarkeit der amerikanischen und der bundesdeutschen Methoden und Ziele in der Ost-politik. die die Bundesrepublik im internationalen System zu isolieren drohte, sowie die gravierenden Differenzen zwischen der CDU/CSU und der FDP in der Ost-und Deutschlandpolitik waren die wichtigsten Ursachen, die den Sturz der Regierung Erhard/Schröder einleiteten
Für die Bundesrepublik schienen daher neue Optionen und Konzeptionen in ihrer Ostpolitik unentbehrlich zu sein. In erster Linie war die FDP in der Lage, dieser Anforderung gerecht zu werden, weil sie als die kleinste politische Partei der Bundesrepublik seit langem den Ruf genoß, eine aktive und elastische Außenpolitik zu betreiben, und sich dadurch relativ leicht neuen internationalen Konstellationen anpassen konnte.
Als Oppositionspartei konnte die FDP leichter zukunftsweisende Alternativen zur Deutschland-und Ostpolitik der CDU/CSU-SPD-Bundesregierung ausarbeiten und ihrem Bedürfnis nach Profilierung gegenüber der Großen Koalition entsprechen. Sie war dazu auch aus Existenzgründen gezwungen, weil nur eine Neuorientierung ihrer Deutschland-und Ostpolitik ihr die Chance gab, eine Koalitionsregierung mit der SPD zu bilden, insbesondere nachdem sich die Gegensätze zwischen den beiden großen Parteien seit 1968 weiter verstärkt hatten
Im Bereich der Polen-Politik gab es zwischen der FDP und der SPD längst ernsthafte kooperative Kontakte; bereits 1958 hatten sich die Bundestagsfraktionen dieser beiden Parteien für die Aufnahme 15 diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der VR Polen ausgesprochen. Die Pragmatiker und die Vertreter des radikal-liberalen Flügels in der FDP kündigten 1967 die Bereitschaft zur Akzeptierung der Oder-Neiße-Grenze an Die FDP verließ seit 1967 immer mehr die bisherige Grundlinie der bundesdeutschen Polen-Politik und suchte den Kontakt zur SPD, deren polenpolitische Reorientierung in der zweiten Jahreshälfte 1967 sichtbar geworden war. Der SPD-Bundesparteitag in Nürnberg (1968) faßte den Beschluß, „die bestehenden Grenzen in Europa, insbesondere die gegenwärtige polnische Westgrenze, zu respektieren und anzuerkennen, bis die deutschen Grenzen in einer friedensvertraglichen Regelung . . . endgültig festgelegt werden“
Auf die „Nürnberger Formel“ des SPD-Bundesparteitages bezog sich Wladyslaw Gomulkas Angebot vom 17. Mai 1969 zum Abschluß eines Staatsvertrages, in dem die Oder-Neiße-Linie als endgültige Westgrenze Polens anerkannt werden sollte Gomulkas Vorschlag wurde insofern von der Bundesregierung angenommen, als Bundesaußenminister Willy Brandt die Bereitschaft seiner Regierung zu Gesprächen über einen Gewaltverzicht unter Einschluß des Grenzproblems erklärte Diesbezügliche Verhandlungen kamen aber erst nach dem Bonner Machtwechsel von 1969 zustande.
Die Unionsparteien standen den ost-und polenpolitischen Aktivitäten der SPD sehr kritisch gegenüber. Obwohl sie anfänglich imstande waren, die Ostpolitik der Bundesregierung in die Entspannungspolitik der Johnson-Administration einzupassen. und beabsichtigten, die Beziehungen zu Polen durch die Rahmenkonzeption einer „europäischen Friedensordnung“ zu normalisieren, zogen sie sich 1969 auf die von Schröder vertretene ostpolitische Grundlinie zurück
Einen Umbruch in der bundesdeutschen Ostpolitik stellte die Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition dar. Die neugebildete Regierung Brandt/Scheel initiierte den offiziellen Notenwechsel zur Aufnahme der Verhandlungen mit Polen und setzte damit eine der Vereinbarungen der Ko-alitionsgespräche zwischen FDP und SPD in die Tat um. Hinsichtlich der Oder-Neiße-Grenze hatten SPD und FDP folgende Vereinbarung getroffen: „SPD und FDP setzen sich dafür ein, daß durch verbindliche Abkommen über Gewaltverzicht und Verzicht auf Gewaltandrohung bis zu den endgültigen friedensvertraglichen Regelungen die territoriale Integrität aller Nachbarn und die Unverletzlichkeit der Demarkationslinien, der Grenzlinie und Grenzen gewährleistet wird.“
Es ist hier festzustellen, daß sowohl in der Koalitionsvereinbarung als auch in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 die FDP gezwungen wurde, im Hinblick auf die Polen-Politik der Bundesregierung weitgehende politische Konzessionen gegenüber dem stärkeren Koalitionspartner zu machen. Denn die Koalitionsvereinbarung und die Regierungserklärung gingen in bezug auf Polen weit über die Bestimmungen der Nürnberger Wahlplattform von 1969 hinaus und basierten auf der „Nürnberger Formel“, die auf dem SPD-Bundesparteitag 1968 in Nürnberg von W. Brandt durchgesetzt worden war.
Nach Auffassung der bundesdeutschen Unterhändler sollte die Grenzformel des Nürnberger SPD-Parteitags Oktober 1969 die FDP gezwungen wurde, im Hinblick auf die Polen-Politik der Bundesregierung weitgehende politische Konzessionen gegenüber dem stärkeren Koalitionspartner zu machen. Denn die Koalitionsvereinbarung und die Regierungserklärung gingen in bezug auf Polen weit über die Bestimmungen der Nürnberger Wahlplattform von 1969 hinaus 25) und basierten auf der „Nürnberger Formel“, die auf dem SPD-Bundesparteitag 1968 in Nürnberg von W. Brandt durchgesetzt worden war.
Nach Auffassung der bundesdeutschen Unterhändler sollte die Grenzformel des Nürnberger SPD-Parteitags ihren Niederschlag in einem Gewaltverzichtsabkommen finden. Der Gewaltverzicht und nicht die Respektierung der Oder-Neiße-Grenze sollte nach dieser Konzeption zur Grundlage der Normalisierung der Beziehungen zu Polen werden. Die polnische Seite zeigte sich hingegen in ihrem Vertragsvorschlag weniger an einer Sicherung der Grenze vor einer eventuellen Bedrohung seitens der Bundesrepublik interessiert als an einer Anerkennung des endgültigen und unantastbaren Charakters der Oder-Neiße-Grenze. Wegen der Zugehörigkeit Polens zu den Warschauer-Pakt-Staaten war die politische Wirkung eines Gewaltverzichtsvertrages sehr eingeschränkt, weil die Bundesrepublik Deutschland ohnehin nicht in der Lage gewesen wäre, Gewalt anzuwenden. Die Annahme des bundesrepublikanischen Vorschlags hätte somit lediglich den polnischen Verzicht auf Gewaltanwendung gegenüber der Bundesrepublik bedeutet, was ebenfalls nur rein deklarativen Charakter gehabt hätte. Dies und die polnischen Erfahrungen mit dem deutsch-polnischen Nichtangriffspakt von 1934 erklären die polnische Abneigung gegenüber den Grenzgarantien im Rahmen eines Gewaltverzichtsvertrags. Die Entspannungsstrategie der SPD/FDP-Bundesregierung gegenüber Polen oszillierte zwischen zwei gegensätzlichen Positionen: Entweder würde die Bundesrepublik durch einen Gewaltverzicht imstande sein, eine formelle Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu vermeiden — eine Unterzeichnung eines Gewaltverzichtsabkommens schloß ja eine zukünftige Grenzänderung im beiderseitigen Einvernehmen nicht aus —, oder es würde als Ersatz für eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gelingen, die Qualität der Grenzen, zumal der deutsch-deutschen Grenze, zu verbessern, diese Grenze durchlässiger zu machen und dadurch den Zusammenhalt der deutschen Nation zu bewahren.
Ohne die eigene Verhandlungsposition detailliert darzulegen, verfolgte die Bundesregierung ein Konzept, das die Aussicht bot, „ein weiteres Auseinanderleben der Deutschen zu verhindern und den Status Berlin“ zu sichern. Das Kernstück dieser Entspannungsstrategie „sollte ein Rahmenvertrag zwischen den beiden Teilen Deutschlands sein, der ihr Verhältnis untereinander“ und gegenüber anderen Ländern regeln „und bis zur Wiedervereinigung juristisch nicht mehr revisionsbedürftig“ sein sollte 26). Ein taktischer Bestandteil dieser Strategie sollte eine begriffliche und interpretationsbezogene Zweideutigkeit der Vertragstexte sein, um gegensätzliche Vertragsauslegungen von vornherein möglich zu machen 27). In ihrer Substanz zielte diese Entspannungsstrategie auch darauf ab, die Ostpolitik zu einem Mittel der Deutschlandpolitik zu machen und dadurch die deutschen Interessen maximal abzusichern 28). Nur auf dem Hintergrund guter und konstruktiver Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion sowie den anderen osteuropäischen Staaten war ein besseres Verhältnis zur DDR denkbar, das Erleichterungen für die Menschen bringen konnte.
Die Unterschiede in den Standpunkten der Bundesregierung und der VR Polen belasteten die bilateralen Gespräche so sehr, daß die Gefahr einer erneuten Abkühlung in den beiderseitigen Beziehungen bestand. Angesichts dieser Situation kam es auf einer vertraulichen Sitzung im Bundeskanzleramt am 14. April 1970 zur Annahme einer neuen Grenzformel, die eine Annäherung an den polnischen Standpunkt darstellte. Diese Grenzformel ging sowohl über die Bestimmungen in der Nürnberger Wahlplattform der FDP als auch über die in der „Nürnberger Formel“ der SPD weit hinaus
Während der vierten Runde der deutsch-polnischen Gespräche einigten sich die beiden Seiten auf einen Text für die Grenzformel, nach der die Oder-Neiße-Grenze die Westgrenze Polens „ist bzw. bildet“ Die endgültige Gestalt dieser Formel wurde bei den bundesdeutsch-sowjetischen Verhandlungen in Moskau im „Bahr-Papier“ (die Oder-Neiße-Grenze „bildet“ die Westgrenze der VR Polen) und in der letzten Phase der polnisch-bundesdeutschen Gespräche in Warschau festgelegt. Im Laufe der letzteren, die von den Außenministern der beiden Länder, Walter Scheel und Stefan Jdrychowski, geleitet wurden, haben Walter Scheel und Ernst Achenbach die Formulierung „festgelegte Grenze“, die im Art. I der von Georg Ferdinand Duckwitz ausgehandelten Vorlage ent-halten war, insofern in Frage gestellt, als sie der Meinung waren, daß es sich bei der Oder-Neiße-Grenze nicht um eine im Potsdamer Abkommen festgelegte Grenze handele Sie versuchten daher die in der Vertragsvorlage enthaltene Bezugnahme auf das Potsdamer Abkommen zu streichen. Da die polnische Delegation damit nicht einverstanden war, vereinbarten beide Seiten eine Kompromißlösung. Nicht zuletzt dem Einfluß Scheels auf die Vertragsverhandlungen mit der polnischen Delegation ist es zuzuschreiben, daß diese akzeptiert hatte, über die humanitäre Problematik zu verhandeln. Am 18. November 1970 wurde polnischerseits eine einseitige „Information der Regierung der Volksrepublik Polen“ veröffentlicht, die die Frage der Ausreise aus Polen in die Bundesrepublik im Rahmen der Familienzusammenführung regelte. Nach langwierigen Verhandlungen kam es schließlich am 18. November 1970 zur Paraphierung und am 7. Dezember 1970 zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages durch die Vertreter beider Regierungen
III. Die Phase der Normalisierung nach 1970/72
Die polnische Seite setzte sich folgende Punkte zum Ziel des Normalisierungsprozesses: 1. die Anerkennung der territorialen Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges durch die Bundesrepublik. im besonderen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze; 2. die Lösung der kontroversen offenen humanitären Fragen zwischen den beiden Staaten, insbesondere der Frage der Wiedergutmachung für die polnischen Opfer der NS-Gewaltherrschäft; 3. eine Abwehr der Folgen der Verfassungspraxis und der Doktrin der Bundesrepublik, die Einordnung der völkerrechtlichen Bestimmungen des Warschauer Vertrages in das Verfassungsrecht zugunsten der einseitigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen;
4. die Entwicklung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf allen Ebenen, vor allem aber im Wirtschaftsbereich;
5. die Beschleunigung des Normalisierungsvorgangs in den Gesellschaften der beiden Staaten, einschließlich der Veränderung des Bewußtseinszustandes der Bundesbürger in bezug auf die Anerkennung der Folgen des Zweiten Weltkrieges. Zu den wichtigsten Normalisierungszielen der Bundesregierung gehörten:
1. die Achtung der territorialen Integrität aller europäischer Staaten und die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen, einschließlich der Oder-Neiße-Grenze; 2. die Lösung des Problems der Ausreise Deutsch-stämmiger aus Polen in die Bundesrepublik sowie die Regelung sozialrechtlicher Fragen zwischen den beiden Ländern; 3. die Sicherung der „deutschen Rechtspositionen“, d. h. die Offenhaltung der deutschen Frage;
4.der Abbau des Vergangenheitsballastes und die Verbesserung des „Deutschlandbildes“ in der polnischen Gesellschaft;
5. die Intensivierung der Kultur-und Wirtschaftsbeziehungen. Aus den unterschiedlichen Zielen und Motiven beider Regierungen ergaben sich zwei verschiedene Tendenzen, die maßgeblich auf den Normalisierungsvorgangeinwirkten: 1. eine Kooperationstendenz, die einen aktivierenden Einfluß auf die Gesamtheit der Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik ausübte; 2. eine Konfrontationstendenz, die eine Bremserrolle spielte und den Normalisierungsprozeß belastete. Überwogen die Konfrontationselemente auf fast allen Ebenen der bilateralen Zusammenarbeit, so war im multilateralen Bereich eine steigende Neigung beider Seiten zur Kooperation bemerkbar. Die Entwicklung der beiderseitigen Beziehungen blieb dabei stets von den internationalen Rahmenbedingungen abhängig. Dies wurde vor allem deutlich, als es Anfang der achtziger Jahre zu einer erheblichen Verschlechterung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen kam. Die politische Gesamtlage wirkte spürbar auf die Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik. Die Haltung der Bundesregierung Schmidt/Genscher gegenüber der Verhängung des Kriegs-rechtes in der VR Polen stabilisierte sich schließlich auf einem Niveau der begrenzten wirtschaftlichen Zusammenarbeit: Die Bundesregierung schloß sich, wenn auch nur zum Teil, den wirtschaftlichen und politischen Sanktionen an, die von den westlichen Staaten verhängt wurden.
In den Jahren 1972 bis 1974 kam es zur Unterzeichnung einiger bilateraler Vereinbarungen die den Warschauer Vertrag als Grundlage der Normalisierung ergänzten und sich auf von Interessenkollisionen freie Bereiche der Zusammenarbeit bezo-gen. Ein Kompromiß in den kontroversen, hauptsächlich humanitären Fragen wurde hingegen erst in einem Prozeß mühsamer Annäherung erreicht. Die polnische Regierung stellte das Entschädigungsproblem für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, und zwar sowohl für die KZ-Insassen als auch für die Zwangsarbeiter des Dritten Reiches, in den Vordergrund. Sie legte auch großen Wert auf die Verwirklichung der im Art. III des Warschauer Vertrages enthaltenen Bestimmungen, die weitere Schritte zur Normalisierung und Entwicklung der beiderseitigen Beziehungen forderten
Nach Ansicht der SPD/FDP-Bundesregierung stellte die Familienzusammenführung die wichtigste Angelegenheit dar, die einer weiteren Regulierung bedurfte. Die Meinungsunterschiede in diesen für beide Seiten grundsätzlichen Fragen brachten in den Jahren 1973 bis 1974 den Normalisierungsprozeß ins Stocken. Nach dem Regierungswechsel in Bonn (1974) kam es indes zu langwierigen Verhandlungen zwischen dem polnischen Botschafter in der Bundesrepublik, Waclaw Pitkowski, und dem Staatssekretär im AA, Walter Gehlhoff, als deren Ergebnis eine ganze Reihe von Vereinbarungen und Abmachungen zwischen beiden Staaten vorbereitet wurde: das Abkommen über Renten-und Unfallversicherung, die Vereinbarung über die pauschale Abgeltung von Rentenansprüchen, die Vereinbarung über die Gewährung eines nicht liefergebundenen Finanzkredites und das Ausreise-protokoll
Sowohl die Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975 als auch die weiteren Abmachungen im Wirtschaftsund Kulturbereich in den darauffolgenden Jahren, die während der Besuche Edward Giereks in Bonn (1976) und Helmut Schmidts in Warschau (1977) unterschrieben wurden bildeten mit den vorher abgeschlossenen Verträgen bzw. Übereinkommen eine umfangreiche, wenn auch unvollständige formell-rechtliche Basis für den Normalisierungsprozeß.
IV. Erfolge des Normalisierungsprozesses
Zu den wichtigsten Erfolgen des Normalisierungsprozesses im rechtlichen Bereich gehörte zweifellos sein formell-rechtlicher Rahmen. Auf manchen Gebieten wurden auch Regulationsformen ange-wandt, die es weder in den Beziehungen Polens mit anderen westlichen Staaten noch im Verhältnis der Bundesrepublik zu übrigen sozialistischen Ländern gab bzw. gibt (Abkommen über die Renten und Sozialversicherung; Städtepartnerschafts-Vereinbarungen; Foren für Politiker, Wirtschaftler, Wissenschaftler und Publizisten der beiden Länder; Foren für Jugendliche). Dies ist vornehmlich auf den eigenartigen Charakter des polnisch-bundesdeutschen Verhältnisses zurückzuführen und vor allem auf die Notwendigkeit, die Last der historischen Hypotheken zu überwinden. Zudem wurde im Politik-, Wirtschafts-und Kulturbereich ein weites Netz von Konsultationen, Konferenzen und Dialogen auf Partei-und Parlamentsebene geknüpft und die Zusammenarbeit zwischen gesellschaftlichen Institutionen intensiviert. Eines der bedeutendsten Ergebnisse der Polen-Politik der sozialliberalen Regierungskoalition war aber wohl die Lösung des Oder-Neiße-Konflikts. Sie zog „einen Schlußstrich unter den territorialen Revisionismus“ der bis dahin eine feste Größe in der bundesdeutschen Politik gegenüber Polen gewesen war. Dies trug zur Verringerung der zwischenstaatlichen Spannungen bei und bot die Gelegenheit, eine praktische Kooperation — in erster Linie im Wirtschaftsbereich — in Gang zu setzen.
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit war in besonderer Weise ein stabilisierender Faktor im Normalisierungsprozeß, zumal die Gemeinsamkeit der Interessen zwischen der VR Polen und der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet am größten war. Folgende Faktoren wirkten zusammen und schufen die Rahmenbedingungen der gegenseitigen Zusammenarbeit im Wirtschaftsbereich: die geographische Lage, die Traditionen polnisch-deutscher Handelskontakte, die Armut der Bundesrepublik an Rohstoffen, ihr Interesse an Exporten nach Polen sowie der Wunsch Polens nach moderner Technologie, Kreditierung des laufenden Imports und einer bestimmten Kontingentierung der polnischen Waren.
Bis zum Ende der sechziger Jahre beschränkten sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik zumeist auf den Warenaustausch In den siebziger Jahren wurde eine neue Phase in den polnisch-bundesdeutschen Wirtschaftsbeziehungen erreicht; sie erfuhren eine Ausweitung und beträchtliche Erleichterungen. Dies kam durch folgende Maßnahmen der Bundesrepublik zum Ausdruck: 1. durch eine gewisse Liberalisierung der Zugangsbeschränkungen für den bundesdeutschen Markt, 2. durch eine Einführung von Bürgschaften der Bundesregierung für Geldtransaktionen und wirtschaftliche Großprojekte und 3. durch die Gewährung von Finanz-und Investitionskrediten. 1979 umfaßte die Liberalisierung der Ein-fuhren aus Polen folgende Wirtschaftszweige: Bergbau (ohne Steinkohlenbergbau), flüssige Brennstoffe, Kunststoffe, Maschinenbau, Kraftfahrzeuge, Elektronik, Präzisionsmechanik und Optik
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre trat eine Änderung im Kreditverkehr der beiden Staaten ein. Die Bundesregierung begann, die Gewinnung und die Verarbeitung der polnischen Rohstoffvorräte (Kohle, Kupfer, Vanadium, Titan. Ilmenit, Magneteisenerz usw.) zu finanzieren. Es wurde eine verstärkte Kooperation bei ihrer Erschließung und Verarbeitung beschlossen. Allerdings wurden einige dieser Vorhaben nur zum Teil in die Tat umgesetzt, so z. B. ein Projekt zur Vergasung von Kohle
In den siebziger Jahren ist die Bundesrepublik zum größten westlichen Gläubiger Polens geworden. Ende der siebziger Jahre betrug die Verschuldung Polens in der Bundesrepublik ca.sechs Milliarden Dollar. Die Gesamtverschuldung Polens betrug 21 Milliarden Dollar. 1980 erreichten die beiden Länder den bisher höchsten Warenaustausch. Der polnische Import aus der Bundesrepublik war 1980 6. 87mal höher als 1970 und 13, 4mal höher als 1963. Der polnische Export in die Bundesrepublik war 1980 5, 84mal höher als 1970 und 13, Imai höher als 1963. Im Im-und Export des polnischen Außenhandels stand die Bundesrepublik 1980 an zweiter Stelle hinter der Sowjetunion. Zugleich nahm die VR Polen im Import des bundesdeutschen Außenhandels den 27. Platz und im Export den 24. Platz ein Eine grundsätzliche Bilanzierung der Umsätze auf der Basis ihres Wachstums ist aber nur schwer durch die Entwicklung des einfachen traditionellen Warenaustausches zu erreichen. Sie erfordert vielmehr die Schaffung dauerhafter Wirtschaftsverbindungen in Gestalt höherer Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit wie: industrielle Kooperation, wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit sowie Produktions-und Absatztätigkeit auf dritten Märkten.
Die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Polen und der Bundesrepublik ist in ihren Auswirkungen nicht so leicht meßbar wie die im Politik-und Wirtschaftsbereich, und doch ist die Änderung auf der Ebene der zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontakte der beiden Staaten bemerkenswert. Ei-nerseits übertraf nämlich die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit Polen die mit einigen anderen sozialistischen Ländern. Andererseits stellte sich die Bundesrepublik Deutschland an die Spitze der westlichen Staaten. zu denen Polen besonders intensive Kulturbeziehungen pflegt.
Mit dem Abschluß des Warschauer Vertrages und des Kulturabkommens vom 11. Juni 1976 wurde die formelle Grundlage für die gegenseitige Zusammenarbeit in Kultur und Wissenschaft geschaffen. Die ersten Kontakte auf diesem Gebiet hatte man bereits in den fünfziger und sechziger Jahren geknüpft Nach 1970 entwickelte sich der Kulturaustausch vornehmlich in den Bereichen Literatur, Theater. Film, bildende Kunst, Musik, Wissenschaft, Städtepartnerschaft und Sport Unter dem Patronat der UNESCO wurde zudem seit 1972 die gemeinsame polnisch-bundesdeutsche Schulbuchkommission tätig. Nach langjährigen Diskussionen wurden die „Gemeinsamen Schulbuchempfehlungen“ ausgearbeitet, die der Revision der Schulbücher galten. Sie könnten zu Einstellungsänderungen in der Bevölkerung, zumal bei der jüngeren Generation, führen und dadurch einen Beitrag zur Verständigung und Normalisierung leisten.
Wesentlich für die Normalisierung der polnisch-bundesdeutschen Beziehungen war auch die Tätigkeit verschiedener deutsch-polnischer Gesellschaften die sich um den Abbau nationaler Klischees und um die Förderung der kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern bemühten. Der Prozeß der Bewußtseinsänderung wurde zudem auch durch die evangelischen und katholischen Kirchen gefördert. Hier sind in erster Linie die Aktivitäten der Evangelischen Kirche in Deutschland zu nennen, denen politischer Realismus, guter Wille und ständige Bereitschaft zugrunde lag. mit dem Polnischen Ökumenischen Rat und anderen gesellschaftlichen Organisationen in Polen zusammenzuarbeiten.
Die dynamische Entwicklung der zwischenmenschlichen Kontakte spiegelte sich insbesondere im zunehmenden Reiseverkehr zwischen Polen und der Bundesrepublik, wobei der Besucherstrom aus Polen fast doppelt so hoch war wie der in der umgekehrten Richtung Während 1970 etwa 45 000 Personen aus Polen in die Bundesrepublik reisten, waren es 1980 etwa 300 000 und 1981 über 450 000. 1982 gab es einen Tiefstand im Reiseverkehr, als nur etwa 130 000 Personen aus Polen in die Bundesrepublik reisten. Von 1983 an war wieder ein Anstieg zu verzeichnen: 1983 kamen etwa 200 000 Personen aus Polen in die Bundesrepublik. 1985 waren es über 350 000 und 1986 über 400 000 Aus der Bundesrepublik nach Polen reisten im Jahre 1970 ca. 36 000 und 1980 etwa 350 000 Personen
Im humanitären Bereich entwickelten sich die Familienzusammenführung und die Frage der Entschädigung für die polnischen Bürger, die während der NS-Gewaltherrschaft in den Konzentrationsund Zwangsarbeitslagem gelitten hatten, zu einem konfliktreichen Problem in den beiderseitigen Beziehungen. Aufgrund von Abmachungen, die 1955/56 zwischen dem polnischen und dem deutschen Roten Kreuz vereinbart worden waren, waren zwischen 1955 und 1970 bereits etwa 325 000 Personen in die Bundesrepublik übergesiedelt Während die bundesdeutsche Seite die Familienzusammenführung im Warschauer Vertrag bestätigen lassen wollte, lehnten die polnischen Unterhändler dies ab, weil eine Ausreise der polnischen Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit eine innere Angelegenheit Polens sei und ausschließlich von polnischer Seite genehmigt werden könne. Deshalb erreichte die bundesdeutsche Delegation von der polnischen Seite lediglich eine einseitige Bereitschaftserklärung in Form einer „Information“ zur Familienzusammenführung. Aufgrund dieser „Information“ konnten in den Jahren 1971 bis 1975 etwa 60 000 Personen ausreisen
Nach langwierigen Verhandlungen über Renten-, Unfallversicherungs-, Kredit-und Aussiedlerfragen erklärte die polnische Regierung im „Protokoll vom 9. Oktober 1975“, in den nächsten vier Jahren etwa 120 000 bis 125 000 Personen ausreisen zu lassen. Am 8. März 1976 erhielt die Bundesregierung von der Regierung der VR Polen zusätzlich eine schriftliche Zusicherung, daß auch nach Ablauf der im Ausreise-Protokoll vorgesehenen Frist von vier Jahren „keine zeitliche Einschränkungen für die Einreichung und möglichst zügige Bearbeitung der Anträge von Personen vorgesehen wird, die die in der Information genannten Kriterien erfüllen“ -Diese Offenhaltungsklausel war ein Zeichen des guten Willens und zeugte von der Bereitschaft der polnischen Regierung, die humanitären Fragen in den Beziehungen zur Bundesrepublik zu normalisieren. In den darauffolgenden Jahren 1976 bis 1980 sind etwa 130 000 Personen aus Polen in die Bundesrepublik übergesiedelt Polen ist hier in vollem Umfang seinen Verpflichtungen nachgekommen, obwohl die Ausreisen ökonomische, soziale und nicht zuletzt auch politisch-psychologische Konsequenzen mit sich bringen mußten
V. Probleme des Normalisierungsprozesses
Die rechtlich-politischen Aspekte des Normalisierungsprozesses zeigten am deutlichsten Grenzen der Zusammenarbeit zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland auf. Es handelte sich dabei vor allem um Diskrepanzen in den Standpunkten der beiden Regierungen, die aus unterschiedlichen Einschätzungen der territorialen, demographischen und politischen Folgen des Zweiten Weltkrieges resultierten.
Für die VR Polen war insbesondere irritierend, daß man auf Seiten der Bundesrepublik weiterhin die Ansicht vertrat, das Potsdamer Abkommen sei als „res inter alios acta“ für die Bundesrepublik nicht verbindlich, und behauptete, das Deutsche Reich bestehe in den Grenzen von 1937 als Völkerrechtssubjekt weiter fort Der Rechtsspruch des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1975, in dem der Fortbestand des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 bekräftigt wurde, kam nach polnischer Auffassung einer Infragestellung der Oder-Neiße-Grenze als polnischer Westgrenze gleich. Zudem war der Warschauer Vertrag durch eine Gemeinsame Erklärung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 insofern entkräftet worden, als diese Erklärung eine Klausel enthielt, die die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zum Abschluß eines Friedensvertrages mit einem wiedervereinigten Deutschland zurückstellte
Was die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland anbelangt, so wurde die restriktive Deutung des Art. 25 des Grundgesetzes, demzufolge die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, in bezug auf Polen durchbrochen Die Rechtsposition der Bundesrepublik wurde den völkerrechtlichen Vertragsnormen lediglich insofern angepaßt, als dies deutschlandpolitische Interessen nicht berührte. Mit dieser Haltung wurde der Normalisierung eine Hürde in den Weg gestellt, zumal auf polnischer Seite sofort die Assoziation ausgelöst wurde, daß der Wunsch nach Grenzrevisionen bestehe. Zudem ließ die Position der Bundesrepublik viele strittige Fragen, vor allem auf dem Gebiet des Rechts, offen, in erster Linie z. B. das Problem der Staatsangehörigkeit, die Schulbuchproblematik, die Frage des Geltungsbereichs des Grundgesetzes und der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland und das Problem der Vermögensrechte der Aussiedler Die Normalisierung der Beziehungen zwischen der VR Polen und der Bundesrepublik Deutschland konnte bislang nicht über die bundesdeutschen Rechtspositionen hinaus weiterentwickelt werden.
Wenn auch in den wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder eine relativ tiefgreifende positive Wandlung eingetreten war, so gab es doch auch hier spezifische Schwierigkeiten. Trotz ständiger Zuwachsraten im Warenaustausch in den siebziger Jahren wurden die bestehenden Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Ein Problem auf der polnischen Seite war die nicht hinreichende Spezialisierung der Exportproduktion, eine viel zu geringe Reaktionsfähigkeit der polnischen Hersteller auf die Wandlungen des bundesdeutschen Marktes und mangelnde Voraussetzungen für eine optimale Verkaufsförderung der polnischen Waren im Westen. Die Bundesrepublik hingegen bestand aufgewissen Beschränkungen in bezug auf einige polnische Waren, die in die Bundesrepublik ausgeführt werden sollten. Zwar handelte es sich dabei um eine kleine Gruppe, nämlich um sechs Prozent etwa aller Positionen in der Handelsstatistik, für Polen waren das aber etwa 25 Prozent des Anteils am Exportwert auf dem bundesdeutschen Markt.
Neuralgische Punkte in den gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen waren:
1. die unausgeglichene Handelsstruktur;
2. die industrielle Kooperation, auf die man anfänglich viele Hoffnungen setzte, die aber weiterhin zu wünschen übrigläßt;
3. die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, der es weiter an einem formell-rechtlichen Rahmen fehlt;
4. die Zusammenarbeit polnischer und bundesdeutscher Firmen auf Drittmärkten, obwohl gewisse Erfolge in diesem Bereich bereits erreicht wurden.
Im polnischen Export in die Bundesrepublik hatten landwirtschaftliche Produkte, Halbwaren und Rohstoffe einen im Verhältnis zum Gesamtexport zu hohen Anteil. Industrielle Fertigwaren bildeten dagegen den größten Teil des gesamten bundesdeut-sehen Exports nach Polen Die bundesdeutschen Firmen gaben meistens der einfachen Kooperationszusammenarbeit den Vorzug, indem sie nur auf eine Erweiterung der Absatzmärkte abzielten. Dies führte dazu, daß es an günstigen Kreditbedingungen ebenso fehlte wie an Versicherungen, die Realisierungsbedingungen nicht zu verschlechtern Auf der polnischen Seite wären vor allem viel zu geringer Unternehmungsgeist und mangelnder Schwung der diesbezüglichen Firmen zu verzeichnen. Ein Haupthindernis bei der Entwicklung der Zusammenarbeit auf Drittmärkten war eine Abneigung der Bundesrepublik gegen eine Kreditierung dieser polnischen Lieferungen. Die Einwände gegen die Qualität polnischer Lieferungen spielten auch eine bestimmte Rolle. Nichtsdestoweniger machte der Anteil dieser Lieferungen und Dienstleistungen am polnischen Gesamtexport in die Bundesrepublik 1980 etwa 1, 4 Prozent aus.
In den achtziger Jahren kam es zur beträchtlichen Senkung der polnisch-bundesdeutschen Umsätze. Der Exportwert in die Bundesrepublik ist in den Jahren 1981 bis 1982 um etwa 34 Prozent und der Importwert aus der Bundesrepublik um etwa 44 Prozent im Verhältnis zu 1980 gefallen Die Hauptursache dieser drastischen Senkung des Importwertes waren die finanziellen Schwierigkeiten Polens. Eine Rolle spielte dabei indes auch die Blockierung fast aller Polen zugesprochenen Kredite durch die Bundesrepublik. Im Bereich der industriellen Kooperation sind viele polnisch-bundesdeutsche Kontakte abgebrochen. Obwohl gewisse positive Ergebnisse in der Zusammenarbeit auf den Märkten dritter Länder erreicht wurden fällt die bisherige Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen in den achtziger Jahren besonders schmal aus. Auch im Kulturbereich sind gewisse widersprüchliche Tendenzen zu beobachten. Nachdem die beiden Staaten 1976 ein Kulturabkommen abgeschlossen hatten, konnten sie sich aufdie unentbehrlichen jährlichen Realisierungsprogramme nicht einigen. Eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die das Abkommen bietet, wurden bisher nicht voll genutzt. Ein Hinderungsgrund für die Bundesregierung war die Einbeziehung bzw. Nichteinbeziehung West-Berlins. Es fehlt der kulturellen Zusammenarbeit eine bestimmte Regelmäßigkeit und eine weitere Entfaltung.
Ein zweiter Problemkreis von großem Gewicht war die Verwirklichung der Schulbuchempfehlungen von 1976. Die Bemühungen der sozialliberalen Koalition sowohl aufder Bundes-als auch aufder Landesebene konnten nicht verhindern, daß CDU und CSU imstande waren, die meisten ihrer entspannungskritischen Vorstellungen in den am 12. Februar 1981 von der Kultusministerkonferenz beschlossenen „Grundsätzen für die Darstellung Deutschlands in Schulbüchern und kartographischen Werken für den Schulunterricht“ zu verankern. Ungeachtet aller nach wie vor diesbezüglich bestehenden innenpolitischen Schwierigkeiten ist festzustellen, daß sowohl die Vertragstreue gegenüber der VR Polen als auch die Bemühungen um eine einheitliche Darstellung deutscher Grenzen zur Folge haben müssen, daß diese Frage nicht ungeregelt bleibt. Sie ist nicht nur für die polnisch-bundesdeutschen Beziehungen, sondern auch für die Bundesrepublik selbst von Wichtigkeit.
Ein dritter Problembereich betrifft die Jugendkontakte. Wenn die Regierungen Polens und der Bundesrepublik auch dem Jugendaustausch eine große Bedeutung zuschrieben, so gingen sie hier von gegensätzlichen Realisierungskonzeptionen aus. Die polnische Seite bestand darauf, die Jugendkontakte und den Normalisierungsprozeß aufeinander abzustimmen. Sie machte die Intensivierung beiderseitiger Jugendkontakte von der Verwirklichung der Schulbuchempfehlungen abhängig. Die bundesdeutsche Seite wollte dagegen dem Jugendaustausch — analog dem deutsch-französischen Muster — einen „unabhängigen“, von den Grundfragen losgelösten Charakter geben. Die Meinungsunterschiede zwischen den beiden Regierungen in diesen Fragen belasteten das polnisch-bundesdeutsche Verhältnis nicht in dem Maße, daß die Gefahr eines Stops des Normalisierungsprozesses bestand. Man kann aber durchaus der Auffassung sein, daß die oben erwähnten Schulbuchempfehlungen einen Beitrag zur friedensfreundlichen Erziehung der Jugend leisten und einen Ausgangspunkt der erweiterten Jugendkontakte sein könnten.
Wie die Frage der Familienzusammenführung von der Bundesregierung als eine Legitimation der Glaubwürdigkeit ihrer Ostpolitik bzw. Polen-Politik gegenüber der bundesdeutschen Öffentlichkeit betrachtet wurde, so spielte die Wiedergutmachungsfrage für die Opfer der NS-Terrorherrschaft eine wesentliche Rolle bei der moralischen Legitimation der Bundesrepublik gegenüber der internationalen öffentlichen Meinung. Der Standpunkt der Bundesregierung gegenüber den Kriegsentschädigungen war von Anfang an durch Ambivalenz gekennzeichnet. Einerseits weigerte sie sich — mit Rücksicht auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953 —, die Reparationen für die NS-Verbrechen militärischer Art zu bezahlen Andererseits schloß sie in den Jahren 1952 bis 1964 mit Israel und zwölf weiteren europäischen Staaten Vereinbarungen ab, die Ansprüche dieser Länder auf individuelle Wiedergutmachung der NS-Opfer regelten. In bezug auf Polen und andere sozialistische Staaten kapselte die Bundesregierung aber die individuelle Wiedergutmachung durch die bundesrepublikanische Rechtsordnung ein Die polnische Regierung betrachtete hingegen die Entschädigung, die die Bundesregierung bis 1972 in Höhe von 140 Millionen DM für die polnischen Opfer der pseudomedizinischen Versuche der Nationalsozialisten geleistet hatte, als einen ersten Schritt auf dem Wege, die Wiedergutmachungsfrage zukünftig zu regeln Von polnischem Standpunkt aus wurde daher die Frage der individuellen Wiedergutmachung für das NS-Unrecht an Verfolgten zum bedeutenden Normalisierungsdefizit auf humanitärer Ebene.
VI. Schlußfolgerungen
Mit der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages im Jahre 1970 wurde der Konflikt um die Oder-Neiße-Grenze geregelt. Dies bedeutete aber kei-nesfalls. daß alle Streitfragen beseitigt wurden. Eine gewisse Instabilität und bestimmte destruktive Folgen brachte der Normativismus der bundesrepublikanischen Seite in die polnisch-bundesdeutschen Beziehungen nach 1970 ein. Er beinhaltete eine Verwischung der Unterschiede zwischen dem bestehenden und dem postulierten Recht. Man versuchte damit, den Warschauer Vertrag vom Standpunkt seiner Übereinstimmung mit den deutsch-B landpolitischen Zielen der Bundesregierung auszulegen und als ein modus vivendi in den beiderseitigen Beziehungen zu betrachten. Diese deutschland-politische Funktion der bundesdeutschen Polen-Politik erschwerte den Normalisierungsprozeß vornehmlich in seinem rechtlich-politischen Bereich. Dies sollte aber nicht den Eindruck erwecken, daß das polnisch-bundesdeutsche Verhältnis nach 1970 ausschließlich nach negativen Kriterien zu messen wäre. Als ein positives Zeichen der Entwicklung der beiderseitigen Beziehungen nach 1970 ist die Pacta-sunt-servanda-Politik fast aller politischen Kräfte in der Bundesrepublik zu sehen. Die Unterzeichnung des Warschauer Vertrages ermöglichte es auch, daß die beiden Länder viele neue Verträge und Vereinbarungen abschließen konnten, die die wirtschaftliche, kulturelle und politische Zusammenarbeit erweiterten. Die Zusammenarbeit im Wirtschafts-und Kulturbereich wurde zum Katalysator des Normalisierungsprozesses, wodurch auch die weitere Zusammenarbeit der europäischen Länder gefördert werden konnte.
Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der VR Polen und der Bundesrepublik Deutschland war bis etwa 1976/77 einer der dynamischsten Akzente der europäischen Entspannungspolitik. In den letzten Jahren war das polnisch-bundesdeutsche Verhältnis allerdings durch eine erneute Abkühlung gekennzeichnet, die stärker war als die Klimaverschlechterungen, die ansonsten in den Beziehungen zwischen Ost und West zu beobachten waren. Der Besuch, den Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher der VR Polen Mitte Januar 1988 abgestattet hat, scheint nun eine neue Öffnung in den beiderseitigen Beziehungen zu bedeuten. Infolge dieses Besuches wurde nämlich ein günstiges politisches Klima geschaffen, das es erleichtern sollte, neue Abmachungen zu treffen und das bisherige Normalisierungsdefizit zu verkleinern.