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Die deutsch-polnischen Beziehungen von 1945 bis in die achtziger Jahre | APuZ 11-12/1988 | bpb.de

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APuZ 11-12/1988 Die deutsch-polnischen Beziehungen von 1945 bis in die achtziger Jahre Die Beziehungen zwischen der VR Polen und der Bundesrepublik Deutschland 1949— 1987 Polen nach dem Referendum — Sackgasse oder Chancen für weitere Reformen? Polens Wirtschaft zwischen Krise und Reform Artikel 1

Die deutsch-polnischen Beziehungen von 1945 bis in die achtziger Jahre

Gotthold Rhode

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Zusammenfassung

Trotz der räumlichen und ideologischen Distanz haben Polen und die Bundesrepublik Deutschland manche Gemeinsamkeiten, u. a. die, daß sie die Tradition von Vorgängerstaaten auf verändertem Territorium fortsetzen, sich aber als etwas grundsätzlich Neues begreifen. Die Inbesitznahme ostdeutscher Provinzen, Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung, die Behandlung der verbliebenen deutschen Bevölkerungsreste, die Ansiedlung polnischer Bevölkerung, die Erinnerung an den Krieg und seine Schrecken, die Grausamkeit der deutschen Besatzungspolitik — all das steht einer „Normalisierung“ der Verhältnisse, wie sie zwischen anderen europäischen Staaten die Regel ist, im Wege — man kann nur von einer „ungewöhnlichen Normalisierung“ sprechen. Fünf Zeitabschnitte lassen sich hier unterscheiden: 1. Von der Entstehung der Volksrepublik Polen bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1944— 1949; 2. Die Jahre des „Kalten Krieges“ und der Entfremdung 1949— 1956; 3. Annäherungsversuche, Lockerungen und Rückschläge 1956— 1969; 4. „Neue Ostpolitik“, Ostverträge und Ratifizierungsdebatte 1969— 1972; 5. Intensivierung der Beziehungen auf vielen Ebenen trotz mancher ungelöster Probleme und wirtschaftlicher Krisen in Polen. Wenn auch heute von „Normalität“ im eigentlichen Sinne nicht gesprochen werden kann, so bleibt bemerkenswert, daß die wissenschaftlichen, kulturellen und menschlichen Beziehungen zwischen Polen und Deutschen trotz der historischen Belastungen gegenwärtig intensiver sind als etwa zur Zeit der Weimarer Republik. Neben dem staatlichen und — nicht sehr bedeutsamen — wirtschaftlichen Bereich spielen private, kommunale und wissenschaftliche Initiativen bei dem schwierigen Prozeß der Annäherung eine große Rolle.

Vorbemerkung

Wenn auch im folgenden die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Beziehungen zu Polen im Vordergrund stehen muß, so wäre es doch eine Einengung der Probleme, wollte man sich nur auf diesen deutschen Teilstaat beschränken. Ebenso wäre es eine Sichtverengung, wenn man sich auf das Problem der Anerkennung oder Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze der Volksrepublik Polen durch Bundesregierung und Bundestag konzentrieren und alle anderen Fragen als zweitrangig betrachten wollte, insbesondere die der Behandlung der deutschen Bevölkerung in den von polnischen Zivilbehörden seit dem Frühjahr 1945 in Besitz und in Verwaltung genommenen Gebieten. Während die Bundesrepublik Deutschland eine Vorgeschichte hat, deren Anfang in der Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 8. Mai liegt, hat die Volksrepublik Polen eine Vorgeschichte, die mit der Niederlage der polnischen Streitkräfte im September/Oktober 1939 und deren Teilkapitulationen (ohne Gesamtkapitulation) beginnt. Beiden Staaten ist manches gemeinsam: 1. Sie setzen die Tradition und die Rechtsnachfolge von Vorgängerstaaten fort, die 1939 bzw. 1945 de facto untergegangen sind. De jure hält indes die Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, am Fortbestand des Deutschen Reiches fest. Eine vergleichbare Rechtsauffassung vertritt die polnische Exilregierung bis heute in bezug auf die Republik Polen. 2. Beide Staaten betrachten sich aber auch als etwas grundsätzlich Neues, was schon in den Bezeichnungen „Bundesrepublik“ und „Volksrepublik“ ebenso zum Ausdruck kommt wie in den neuen Verfassungen. In beiden Staaten sind zugleich zahlreiche Gesetze der Vorgängerstaaten weiterhin gültig. Tradition und Neubeginn stehen somit in Polen wie auch in der Bundesrepublik in einer ständigen Auseinandersetzung. 3. Beide Staaten existieren nicht auf den gleichen Territorien wie ihre Vorgängerstaaten, die jeweils erheblich umfangreicher waren, als es ihre Nachfolger sind. Den 470 000 km 2 des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 stehen 248 700 km 2 der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlins gegenüber, den 388 000 km 2 der Republik Polen von 1939 hingegen 312 700 km , in denen die Volksrepublik Polen faktisch die volle Staatsgewalt ausübt. Von dieser Fläche gehörten 103 000 km 2, also rund ein Drittel, bis 1945 zur Freien Stadt Danzig (1 900 km 2) und zum Deutschen Reich. Der Gründung der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen gingen also Gebietsverschiebungen voraus, deren Umfang erheblich über der Größe von europäischen Mittelstaaten (Schweiz 41 300 km 2, Niederlande 41 500 km 2, Königreich Dänemark 43 000 km 2) liegt. Derartige Gebietsveränderungen sind nicht einfach nur zwischenstaatlich zu regelnde Angelegenheiten, sondern greifen tief in das gesellschaftliche, wirtschaftliche und gesamtstaatliche Leben und in das Bewußtsein der Bevölkerung ein.

Übrigens gilt dies nicht nur für den „Verlierer“, sondern auch — wenn auch vielleicht in geringerem Maße — für den „Gewinner“, wie manche polnischen inoffiziellen Veröffentlichungen gerade der letzten Jahre deutlich machen. Es ist gewiß schwer erträglich, daß Gebiete und Städte, in denen sich wesentliche Ereignisse der deutschen Geschichte — auch und gerade der deutschen Arbeiterbewegung — abgespielt haben, für Deutsche heute nicht ohne weiteres zugänglich sind und ihr früheres Gesicht weitgehend verloren haben. Es ist aber auch für einen nachdenklichen Polen nicht einfach, in einer pommerschen Stadt zu leben, in der auch bei angestrengtestem Suchen nicht die geringste Spur polnischen Lebens vor 1945 zu finden ist, von familiären Bindungen ganz zu schweigen. In einer sol3 chen „Stadt ohne Gesicht“, wie sie ein in Stettin lebender polnischer Autor genannt hat, heimisch zu werden, verlangt erhebliche psychische Anstrengungen. Das sind Dinge, die nicht mit einer leichten Handbewegung als „Nostalgie“ oder als „Heimattümelei" abgetan werden können. Sie berühren vielmehr Schichten und grundlegende Befindlichkeiten menschlicher Existenz. 4. Bei beiden Staaten ist der Neuanfang wesentlich von außen beeinflußt worden, wobei die Volksrepublik Polen den Nachteil hatte, daß sie es mit einem einzigen übermächtigen Nachbarn zu tun hatte, der gleichzeitig einer der beiden Supermächte ist. Bei der Bundesrepublik Deutschland hingegen überwog zwar der Einfluß der Vereinigten Staaten von Amerika, aber neben dem britischen und französischen Einfluß war dieser gerade in den Anfangsjahren doch nicht übermächtig. Daß beide Staaten jeweils verschiedenen Bündnissystemen angehören und die Ostgrenze der Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig die Scheidewand zweier antagonistischer Systeme ist (die bundesdeutsch-österreichische Grenze ausgenommen), ist zwar eine Binsenweisheit, an die aber doch erinnert werden muß. Erinnert werden sollte auch daran, daß beide Staaten in ihren politischen Entscheidungen nicht absolut frei sind, daß aber ebenso jegliche Aggressivität im Alleingang, die gelegentlich als potentielle Gefahr heraufbeschworen worden ist, jederzeit völlig ausgeschlossen war und ist. 5. Zu den territorialen Veränderungen im Vorfeld der Gründungen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen gehören die ebenfalls beispiellosen Dislozierungen und Umschichtungen der Bevölkerung großen Ausmaßes. Die Bundesrepublik Deutschland zählte in ihrem ersten Jahrzehnt unter ihrer Bevölkerung rund 25 Prozent Flüchtlinge und Vertriebene, die außerhalb des Bundesgebietes geboren und aufgewachsen waren. In der Volksrepublik Polen waren es hingegen 25 Millionen bzw. knapp 10% der Bevölkerung, die aus den an die Sowjetunion abgetretenen polnischen Ostgebieten stammten. Hinzu kamen mehrere Hunderttausend, die aus westlichen Ländern als „Repatrianten“ nach Polen zurückgekehrt waren. Das Einströmen polnischer Neusiedler in die Gebiete ostwärts der Oder und Neiße in den Jahren 1945 bis 1948 verminderte dort zusätzlich die Kontinuität der Bevölkerung. Die erhebliche Diskontinuität der Bevölkerung in beiden Ländern hatte sowohl politische wie wirtschaftliche Folgen, die nicht leicht quantifizierbar sind.

Alle diese Besonderheiten, denen weitere hinzugefügt werden könnten, machen deutlich, daß es sich sowohl bei der Bundesrepublik Deutschland als auch bei der Volksrepublik Polen nicht um „normale“ Staaten mit ungebrochener Tradition, im wesentlichen unverändert gebliebenen Territorien und kontinuierlicher Bevölkerung handelt. Der häufig anzutreffende Begriff einer notwendigen und immer weiter zu vervollkommenden „Normalisierung“ läßt sich deshalb auf das deutsch-polnische Verhältnis und — eingeengt — auf die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Volksrepublik Polen nur sehr bedingt anwenden. Allenfalls kann man von einer „ungewöhnlichen Normalisierung“ 2) sprechen, aber auch diese Formulierung läßt zu leicht vergessen, daß es sich um zwei Staaten handelt, deren Entwicklung außerhalb der Normalität europäischer Staatswesen liegt.

Daß schließlich die DDR nicht nur ein entscheidender Faktor in der Entwicklung und Lösung der „deutschen Frage“ ist, sondern selbst zum Komplex „deutsch-polnische Beziehungen“ gehört und auch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Polen beeinflußt, ist wiederum eine Binsenweisheit, an die aber ebenfalls erinnert werden muß. Dabei verhält es sich entgegen manchen Theorien durchaus nicht so, daß die Beziehungen zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen schon deshalb besser sein müßten, weil beide dem gleichen politischen und gesellschaftlichen System angehören und sich deshalb als „Bruderländer“ empfinden können. Gerade in besonderen Krisenzeiten der Volksrepublik Polen, z. B. 1956/57 und 1980/82, hat es sich eher umgekehrt verhalten. Folgende Fragenkomplexe spielen im beiderseitigen Verhältnis eine entscheidende Rolle:

— die Behandlung der in den Gebietenjenseits von Oder und Neiße und in den altpolnischen Gebieten am 8. Mai 1945 wohnenden deutschen Bevölkerung, ihre Ausweisung und — später — die unter dem Begriff „Familienzusammenführung“ subsumierten Ausreisemöglichkeiten;

— die Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze;

— die Herstellung diplomatischer und konsularischer Beziehungen;

— die Zahlung von Entschädigungen an polnische Kriegsopfer und die Übernahme von Verpflichtungen aus Versicherungsverhältnissen;

— die Gewährung von Krediten;

— die Herstellung und Intensivierung von Wirtschaftsbeziehungen; — die Herstellung und Intensivierung wissenschaftlicher und kultureller Beziehungen.

Von großer Bedeutung ist schließlich der große Bereich der persönlichen Beziehungen, der privaten. kommunalen und kirchlichen Initiativen zur Verständigung und „Versöhnung“. Bei der Vielfalt dieser Bemühungen ist eine systematische oder chronologische, auch nur einigermaßen erschöpfende Darstellung dieses Bereiches nicht möglich. Da aber von ihm oft wesentliche Anstöße ausgegan-gen sind und sein Anteil an der Verbesserung des „Klimas“ unübersehbar groß ist, muß er stets mit berücksichtigt werden.

I. Von der Geburtsstunde der Volksrepublik Polen bis zur Bildung der Bundesrepublik Deutschland 1944— 1949

Das Problem der Westgrenze Polens und der zwangsweisen Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den den Polen überlassenen preußischen Ostprovinzen hat seinen Ursprung nicht — wie häufig verkürzt angenommen wird — in den Abmachungen von Jalta und Potsdam 1945, sondern im Kriegsbeginn im September 1939. Der für die strategische Lage Polens ungünstige Verlauf der deutschen Ostgrenze mit den für Überflügelung und Einkreisung günstigen Ausfallpositionen in Ostpreußen und Südostschlesien ließ noch vor Kriegsbeginn, insbesondere aber nach dem unglücklichen Verlauf der Kämpfe im September 1939. in polnischen Führungskreisen den Wunsch nach Begradigung und Verkürzung der künftigen deutsch-polnischen Grenze unter Abkappung der „Balkone" Ostpreußen, Oberschlesien und Ostpommern entstehen.

Auf die verschiedenen Pläne und Vorstellungen, die sowohl im Exil als auch im polnischen Untergrund hinsichtlich der deutsch-polnischen Grenze entwickelt w'urden, kann hier nicht näher eingegangen werden. Voraussetzung für ihre Verwirklichung — die auch eine zumindest teilweise Aus-siedlung der deutschen Bevölkerung einschloß — war indes ein Sieg der Westmächte und des mit ihnen verbündeten Polen ohne Hilfe der Sowjetunion, gegenüber der die Grenze vom 31. August 1939 weiterhin gültig sein sollte.

Die Sowjetunion hingegen hatte in Übereinstimmung mit dem Ribbentrop-Molotow-Vertrag in den Tagen nach dem 17. September 1939 ganz Ostpolen in Besitz genommen und hatte diesem Schritt durch die am 22. Oktober durchgeführten „Wahlen“ und die Beschlüsse der daraufhin in Lemberg und Bialystok gebildeten Parlamente vom 27. und 29. Oktober 1939 den Anschein der Freiwilligkeit und der Rechtsgültigkeit aufgrund des Selbstbestimmungsrechts gegeben. Sie war daher auch nicht bereit, in dem am 30. Juli 1941 mit der Exilregierung Sikorski in London geschlossenen Bündnisvertrag auf diesen Besitz zu verzichten. Die in § 1 des Vertrages enthaltene Formulierung, „daß die sowjetisch-deutschen Verträge des Jahres 1939 bezüglich der territorialen Veränderungen in Polen ihre Geltung verloren haben“, konnte zwar als Verzicht ausgelegt werden, mußte es aber nicht, da die Sowjetregierung sich auf die erwähnten Parlamentsbeschlüsse berufen konnte. Da die Exilregierungen Sikorski (bis 4. Juli 1943) und Mikolajczyk sich jeder Abtretung größeren Umfangs strikt widersetzten — auch nachdem Winston Churchill in der „Formel von Teheran“ umfangreiche Kompensationen für die Verluste im Osten und auch „möglicherweise an einigen Stellen einen Bevölkerungstausch“ vorgeschlagen hatte —, kam es zu keiner Regelung.

Die Entdeckung der Massengräber von Katyn bei Smolensk führte zum Abbruch der Beziehungen zur Exilregierung am 25. April 1943. Bündnispartner wurden nun die im Warschauer Untergrund gegründete kommunistische Polnische Arbeiterpartei (PPR), der von ihr am 31. Dezember 1943 ins Leben gerufene mehrparteiliche Landesnationalrat KRN und der in der Sowjetunion im Frühjahr 1943 entstandene Bund Polnischer Patrioten (ZPP). KRN und ZPP bildeten am 21. Juli 1944 in Moskau das Polnische Komitee für die Nationale Befreiung (PKWN), nach seinem späteren Sitz „Lubliner Komitee“ genannt, mit dem Sozialisten Edward Osöbka-Morawski als Vorsitzenden. Mit diesem Komitee, der Keimzelle der künftigen polnischen Regierung, schloß die Sowjetregierung am 27. Juli 1944 in Moskau einen Grenzvertrag in dem die Ostgrenze Polens den Wünschen der Sowjetunion entsprechend gezogen, die Teilung Ostpreußens und der Übergang Danzigs an Polen verabredet und zudem die Westgrenze Polens an Oder und Neiße unter ausdrücklichem Einschluß von Stettin vorgesehen wurden. Die Sowjetregierung verpflichtete sich, sich für diese Grenze „bei der Festlegung der Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen“ einzusetzen. Mit diesem Vertrag, der ein Jahr vor der Potsdamer Konferenz geschlossen wurde, war mithin die spätere Entwicklung präjudiziert, da allein die Sowjetunion in der Lage war, die in Frage stehenden Gebiete zu erobern und an die polnische Regierung zu übergeben. Ebenso machte der Vertrag vom 27. Juli 1944 deutlich, daß es sich bei der Festlegung der polnischen Westgrenze lediglich um eine Kompensation für die von Polen hinzunehmenden Verluste handeln würde. Historische oder moralisch-ethische Begründungen spielten bei den in Moskau geführten Verhandlungen gar keine Rolle. Nach Berichten von Teilnehmern an den Verhandlungen zwischen dem PKWN und der Sowjetunion war von polnischer Seite dabei noch der vergebliche Versuch gemacht worden, Lemberg bei Polen zu belassen, wofür dann Stalin im Austausch Stettin und Elbing anbot. Wenige Wochen später, am 9. und 22. September 1944, schloß das inzwischen in Lublin residierende PKWN Umsiedlungsverträge mit der Weißruthenischen, Ukrainischen und Litauischen Sowjetrepublik, in denen die Aussiedlung der verbliebenen polnischen Bevölkerung bis zum 1. Februar 1945 vereinbart wurde. Schon im Mani und 22. September 1944, schloß das inzwischen in Lublin residierende PKWN Umsiedlungsverträge 7) mit der Weißruthenischen, Ukrainischen und Litauischen Sowjetrepublik, in denen die Aussiedlung der verbliebenen polnischen Bevölkerung bis zum 1. Februar 1945 vereinbart wurde. Schon im Manifest des PKWN vom 22. Juli 1944 8) war nicht nur die Inbesitznahme Pommerns, Schlesiens und Ostpreußens angekündigt worden, sondern auch die „mit staatlicher Hilfe ermöglichte Umsiedlung mit freiem Landbesitz, vor allem in die von Deutschland revindizierten Gebiete“. Das konnte nur heißen. daß die dort vorher ansässige und landbesitzende deutsche Bevölkerung vertrieben werden mußte.

Grenzfestlegung. Gebietsübemahme und Aussiedlung sind also lange vor der Potsdamer Konferenz vertraglich bzw.deklaratorisch festgelegt worden. Diese Feststellung ist wichtig gegenüber der These, die inzwischen am 28. Juni 1945 gebildete polnische Provisorische Regierung der Nationalen Einheit habe lediglich Beschlüsse der Potsdamer Konferenz ausgeführt.

Bekanntlich enthält das Schlußkommunique der Konferenz von Jalta 9) vom 11. Februar 1945 Polen betreffend nur zwei Sätze über die künftigen Grenzen Polens: „Die drei Regierungschefs sind der Ansicht, daß die östliche Grenze Polens der Curzon-Linie folgen sollte, mit Abweichungen von fünf bis acht Kilometern in gewissen Gebieten zugunsten Polens. Sie anerkennen, daß Polen beträchtlichen Gebietszuwachs im Norden und Westen erhalten muß.“ Über den Umfang dieses Zuwachses hatte man sich in den Verhandlungen nicht einigen können, da die Unterschiede zwischen den in einem „briefing book“ vorgelegten vier amerikanischen Varianten und Februar 1945 Polen betreffend nur zwei Sätze über die künftigen Grenzen Polens: „Die drei Regierungschefs sind der Ansicht, daß die östliche Grenze Polens der Curzon-Linie folgen sollte, mit Abweichungen von fünf bis acht Kilometern in gewissen Gebieten zugunsten Polens. Sie anerkennen, daß Polen beträchtlichen Gebietszuwachs im Norden und Westen erhalten muß.“ Über den Umfang dieses Zuwachses hatte man sich in den Verhandlungen nicht einigen können, da die Unterschiede zwischen den in einem „briefing book“ vorgelegten vier amerikanischen Varianten und der von Molotow am 7. Februar vorgeschlagenen Maximallösung zu groß waren. Diese Maximal-lösung entsprach genau der Grenzlinie des Vertrags vom 27. Juli 1944, doch wurde von Stalin die Existenz dieses Vertrages verschwiegen.

Beim Studium aller Unterlagen und Auseinandersetzungen bleibt der Eindruck zurück, daß das Schicksal der von den Grenzveränderungen und Zwangsaussiedlungen 10) betroffenen Bevölkerung nur selten — und dann meist nur im britischen Unterhaus — in Betracht gezogen wurde, daß aber auch der Gedanke an Vergeltung oder Sühne für die Ausrottungspolitik gegenüber Polen und Juden nicht weiter ausgeführt wurde. Vielmehr sind es machtpolitische Erwägungen und Überlegungen über die Machbarkeit und die Zweckmäßigkeit derart großer Veränderungen von Territorium und Bevölkerung, die im Vordergrund stehen. Ethische und moralische Bedenken werden nicht geäußert, auch nicht in dem von Fachleuten und Sachkennern erstellten „briefing book“ des State Department 11).

Auch dies verdient Erwähnung, weil alle moralischen, geschichtsphilosophischen und historischen Begründungen für Grenzziehung und Ausweisungsmaßnahmen erst sehr viel später auftauchten.

In den Monaten Februar bis Juni 1945, d. h. zu einem erheblichen Teil noch vor Kriegsende, übernahmen polnische-Behörden die Verwaltung des Territoriums der Freien Stadt Danzig und weiter Teile Ostdeutschlands und setzten Enteignungsund Diskriminierungsmaßnahmen aufgrund schon vorher oder in dieser Zeit ad hoc erlassener Gesetze und Dekrete in Kraft Zudem begannen sie mit ungeregelten Aussiedlungen insbesondere in einem Streifen von 100 bis 200 km Breite östlich von Oder und Neiße und sperrten ab 1. Juni alle Flußübergänge für Flüchtlinge, die seit Januar vor den Kampfhandlungen ausgewichen waren und nun wieder an ihre Wohnorte zurückstrebten.

Bei Beginn der Konferenz von Potsdam wurden diese „wilden“ Ausweisungen gestoppt. Die Potsdamer Konferenz legte dann in Artikel IX b der „Erklärung“ bzw. VIII des „Protokolls“ folgendes fest „Die Häupter der drei Regierungen stimmen darin überein, daß bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens die früher deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der westlichen Neiße und die westliche Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teils Ostpreußens, der nicht unter die Verwaltung der UdSSR in Übereinstimmung mit den auf dieser Konferenz erzielten Vereinbarungen gestellt wird und einschließlich des Gebiets der früheren Freien Stadt Danzig unter die Verwaltung (administration, im russischen Text: upravlenie) des polnischen Staates kommen . . . sollen.“

Diese Formulierung schließt also im Gegensatz zum Vertrag vom 27. Juli 1944 Stettin nicht ein. Infolge ihrer unklaren Abfassung läßt sie zudem verschiedene Interpretationen zu, da die Formel „früher deutsche Gebiete“ mit der unmittelbar vorher gebrauchten Wendung, „daß die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll“, im Widerspruch steht. Auch bleibt strittig, was unter „endgültige Festlegung“ (final delimitation, okonatel’noe opredelenie) zu verstehen ist. Der Auffassung polnischer Völkerrechtler wie Alfons Klafkowski, es handele sich dabei nur um die Abstekkung im Gelände steht die Tatsache gegenüber, daß eine solche bei Flußgrenzen nicht nötig ist, weil doch allgemein die Flußmitte, der sogenannte Tal-weg, als Grenze gilt. Die Unklarheit wird auch dadurch nicht verringert, daß in Artikel 3 des am 16. August 1945 zwischen der Sowjetunion und Polen geschlossenen Grenzvertrages der die Abgrenzung in Ostpreußen betrifft, ausdrücklich gesagt wird, die Regelung solle „bis zur endgültigen Lösung der Territorialfragen durch eine Friedenskonferenz“ gelten.

Hingegen sind die Bestimmungen von Artikel XIII der „Erklärung“ von Potsdam (XII des Protokolls) eindeutiger, soweit sie sich auf das Verfahren der „ordnungsgemäßen Überführung deutscher Bevölkerungsteile“ beziehen. Unscharf bleiben aber auch sie, soweit sie die davon betroffene Bevölkerung meinen. Es ist nämlich im Unterschied zu Artikel IX nicht von den Deutschen in den ehemals deutschen Gebieten (formet German territories), sondern nur von den Deutschen „in Polen“ die Rede, deren „Überführung“ „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“ (orderly and human männer) erfolgen solle. Obwohl weder von der Freien Stadt Danzig noch von den preußischen Ostprovinzen die Rede ist, geht allerdings aus dem Vorausgegangenen und dem folgenden Verteilungsplan hervor, daß die Deutschen in den im Artikel IX genannten Gebieten gemeint sind.

Dafür spricht insbesondere, daß Churchill in seiner Unterhausrede vom 15. Dezember 1944 die „Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten, die Polen im Westen und Norden gewinnt“, angekündigt hatte. Auch hatten Vertreibungen von Deutschen aus Polen vor der Potsdamer Konferenz nicht stattgefunden. während Artikel XIII doch den bisherigen willkürlichen Maßnahmen ein Ende machen und geregelte an ihre Stelle setzen wollte. Schließlich sah der Aufnahme-und Verteilungsplan des Alliierten Kontrollrats vom 17. /20. November 1945 die Verteilung von 3, 5 Millionen Deutschen „aus Polen“ auf die sowjetische und britische Besatzungszone vor, und eine so große Zahl konnte eben nur aus den Ostprovinzen kommen, aber nicht aus dem polnischen Staatsgebiet von 1939. Wenn auch mithin an der Intention des Artikels XIII nicht gezweifelt werden kann, so bleibt doch bemerkenswert, wie ungenau und widersprüchlich in Potsdam formuliert worden ist.

Neben der „wilden“ Vertreibung der ersten Monate und der geregelten Ausweisung der Jahre 1946/47 stand die „Verifizierung“ der Bevölkerungsteile, die nicht der Ausweisung unterliegen, sondern als „Autochthone“ im Lande verbleiben sollten. Hier wurde ein schwieriges Problem geschaffen, das in den späteren Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen eine größere Rolle spielen sollte als die Frage der Anerkennung der de facto bestehenden Grenzen. Nach der offiziellen Lesart der polnischen „Vorläufigen Regierung der Nationalen Einheit“ war die Inbesitznahme der Gebiete östlich von Oder und Neiße keine Kompensation für Gebiete im Osten (die Polen nach sowjetischer Doktrin ja zu Unrecht im Besitz gehabt hatte), auch weniger eine Wiedergutmachung für die Polen von der deutschen Besatzungsmacht zugefügten Schäden, sondern eine „Rückkehr in uralte Piastengebiete", weshalb diese offiziell auch als „wiedergewonnene Gebiete“ (Ziemie odzyskane) bezeichnet wurden.

Der Theorie dieser Rückkehr in „altpolnische Lande“ hätte es nun diametral widersprochen, wenn die gesamte Bevölkerung ausgewiesen worden wäre. In einem Memorandum der polnischen Regierung für die Potsdamer Konferenz vom 10. Juli 1945 war von zwei bis 2, 3 Millionen Menschen „polnischer Herkunft und polnisch sprechend“ die Rede, durch die das „ethnische Recht Polens auf diese Gebiete“ begründet werde.

Dieser Personenkreis sollte nun im Rahmen einer „Verifizierungsaktion“ dem polnischen Volk erhalten oder wieder zugeführt werden. Allerdings war die Zahl dieser Personen, die die polnische Volkszählung vom 14. Februar 1946 feststellte, wesentlich kleiner, nämlich 1 021 000, davon die weitaus überwiegende Mehrzahl, nämlich 852 000, in Oberschlesien, weitere 115 000 in Südostpreußen und nur 54 000 in den übrigen Gebieten. Diese „Autochthonen“, die eine Treueerklärung zum polnischen Staat abzugeben hatten, wenn sie ihr Verbleiben sicherstellen wollten, und die 1939 alle die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt hatten, gehörten später zusammen mit den Personen in Ostoberschlesien, die während des Krieges als deutsche Volkszugehörige der Volksliste 2— 4 eingestuft worden, nach 1945 aber „rehabilitiert“ worden waren. zu denjenigen, die die „Spätaussiedlung“ anstrebten.

Hier wurde also ein wesentliches deutsch-polnisches Problem geschaffen, das Anlaß zu erbitterten Polemiken geworden ist. Nicht von ungefähr betrifft es Gebiete, in denen Muttersprache und nationales Zugehörigkeitsgefühl sich nicht decken, in denen außerdem Zwei-oder Mehrsprachigkeit ebenso häufig waren wie ein starkes Regionalbewußtsein, nämlich Oberschlesien und Masuren.

Der von den nationalsozialistischen Behörden in Ostoberschlesien ausgeübte Zwang, sich aufgrund bestimmter Kriterien zum deutschen Volk zu bekennen, widersprach zweifellos moralischen und ethischen Grundsätzen. Der nach 1945 von den „Rehabilitierungs“ -und „Verifizierungs“ -Ausschüssen in umgekehrter Richtung ausgeübte Zwang kann indes nicht höher bewertet werden. Ebenso ist es ungerecht, denjenigen „Verrat am polnischen Volk“ vorzuwerfen, die eine unter Druck und Zwang zustandegekommene Treueerklärung nicht für auf alle Zeiten bindend ansehen. Die Entscheidung, ob sich eine Person der einen oder anderen Nation oder auch keiner von beiden zugehörig fühlt, kann schließlich nur von dieser selbst getroffen werden.

In den drei westlichen Besatzungszonen, die 1949 die Bundesrepublik Deutschland bildeten, war über das Schicksal der in den nunmehr polnischen Gebieten verbliebenen Deutschen wie über das der „Autochthonen“ nur wenig bekannt. Dagegen war das Problem der Unterbringung, Ernährung und Beschäftigung der Flüchtlinge und Vertriebenen ein Zentralproblem der ersten Nachkriegsjahre Bei der Volkszählung vom 29. Oktober 1946, als die Hauptausweisungswelle abgeebbt war, betrug die Anzahl der aus den preußischen Ostprovinzen stammenden Einwohner des späteren Bundesgebietes 3 281 000. Am 13. September 1950 war sie auf 4 423 000 angewachsen, wozu noch 118 000 in West-Berlin kamen. Außerdem wurden im Bundesgebiet 1950 rund 700 000 Deutsche aus Polen und aus der Freien Stadt Danzig gezählt. Die Frage des Verhältnisses zu Polen und zum polnischen Volk reduzierte sich deshalb für die sich bildenden Länder auf das Vertriebenenproblem, vor allem in den am stärksten mit ostdeutschen Vertriebenen belegten Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Das Gegenstück zum Vertriebenenproblem, die Repatriierung der polnischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter, der „displaced persons“ war dagegen eine Angelegenheit der alliierten Behörden. Sie war im wesentlichen abgeschlossen, als die Bundesrepublik Deutschland entstand. Es war verständlich, daß sich bei allen Vertriebenen — insbesondere bei denen, die neben dem vollständigen Verlust von Heimat, Stellung und Besitz in der Zeit vor der Ausweisung Diskriminierungen, Erniedrigungen und Exmittierungen erlebt hatten — keine freundlichen Gefühle für den polnischen Staat und seine Bürger entwickeln konnten und der Gedanke an die Endgültigkeit von Grenzziehung und Heimatverlust unerträglich erschien. Das Gefühl, bitteres Unrecht erlitten zu haben, konnte auch nicht durch den Hinweis auf deutsche Kriegsverbrechen und die Leiden polnischer Bürger während der deutschen Besatzung verringert werden. Jeder ehemalige Breslauer, Liegnitzer oder Kolberger konnte ja mit Recht betonen, daß er am Nationalsozialismus und seinen Untaten gegenüber Polen genauso viel oder genauso wenig schuld sei wie ein Hamburger oder ein Bamberger.

Die Rede des amerikanischen Außenministers James Byrnes in Stuttgart vom 6. September 1946 bestärkte die aufgrund des Wortlauts von Artikel IX der Potsdamer Erklärung verständliche Hoffnung auf einen Friedensvertrag, der die Oder-Neiße-Grenze revidieren könnte, wenn sich auch niemand der Illusion hingab, die Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 könnten wiederhergestellt werden. Während Zusammenschlüsse aufgrund gemeinsamer Herkunft, also landsmannschaftliche Vereinigungen, von den Besatzungsmächten zunächst verboten waren, konnten sofort nach 1945 örtliche und überregionale Zusammenschlüsse der Vertriebenen und kirchliche Hilfsausschüsse entstehen, die neben sozialen Maßnahmen gegenseitiger Hilfe auch die Erinnerung an die Heimat und deren kulturelles Leben pflegten. In Polen erregte dies den Argwohn, es werde „Revisionismus“ betrieben. Kennzeichen der ersten vier Nachkriegsjahre ist jedenfalls. daß in Polen eine durch die Kriegserlebnisse und die nationalsozialistische Besatzungs-und Ausrottungspolitik begründete undifferenzierte Deutschenfeindschaft herrschte, die keinerlei Unterschiede kannte und sich gegenüber den Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone nicht anders verhielt als gegenüber denen in den westlichen Zonen.

Bis zum 31. Dezember 1947 waren nach Angaben des Staatlichen Repatriierungsamtes in den „wiedergewonnenen Gebieten“ 4, 3 Millionen polnische Neusiedler angesiedelt worden, die deutsches Eigentum übertragen erhalten hatten und sich naturgemäß dem Gedanken einer Vorläufigkeit der Oder-Neiße-Grenze entschieden widersetzten. Von den am 1. Januar 1949 in den „wiedergewonnenen Gebieten“ festgestellten 5, 9 Millionen Einwohnern waren 1, 2 Millionen „Autochthone“ und „anerkannte Deutsche“, denen aus wirtschaftlichen Gründen das Verbleiben gestattet war, besonders im Waldenburger Bergland und im Bereich von Stolp in Pommern. Zudem zählte man 2, 4 Millionen Umsiedler aus Zentralpolen, 200 000 „Reemigranten“, insbesondere aus Frankreich und Belgien, und 2. 1 Millionen Vertriebene aus den ostpolnischen Gebieten, die im offiziellen Sprachgebrauch „Repatrianten“ genannt wurden.

Die häufig anzutreffende Meinung, die preußischen Ostprovinzen seien mehrheitlich von Siedlern aus Ostpolen besiedelt worden, trifft also nicht zu. Auch war die Bevölkerungszahl des Jahres 1939 von 8 855 000 bei weitem nicht erreicht, so daß weitere Anstrengungen zur Besiedlung in den folgenden Jahren unternommen wurden.

Kennzeichen der Haltung der Bevölkerung der späteren Bundesrepublik war dagegen eine Konzentration auf die Tagesprobleme, den Wiederaufbau und die Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone. Das Verhältnis zu Polen war eine Frage minderer Bedeutung. Das Fehlen jeder Reisemöglichkeit und die weitgehende Abschließung der Volksrepublik Polen vom Ausland machten unmittelbare Kontakte unmöglich, und eine vage Hoffnung auf Vorläufigkeit der bestehenden Grenzen war unter den Vertriebenen die Regel. Daß es auch in diesen Jahren Menschlichkeit und gegenseitige Hilfe gab, sollte dabei aber nicht vergessen werden

Als sich im Frühjahr 1949 die Bildung der Bundesrepublik Deutschland vorbereitete, standen infolge der Berlin-Blockade die ablehnende Haltung gegenüber der Sowjetunion und die Hoffnung aufweitere amerikanische Hilfe bei der Stabilisierung des Lebens in den Westzonen so weit im Vordergrund des Denkens und der politischen Auseinandersetzungen, daß das Verhältnis zu Polen ganz in den Hintergrund trat. Zudem konnten die Wahlen vom 19. Januar 1947 in Polen, die Flucht des bisherigen Stellvertretenden Ministerpräsidenten Stanislaw Mikolajczyk in den Westen, der erzwungene Rücktritt des nationalkommunistischen Ersten Parteisekretärs Wladyslaw Gomulka am 3. September 1948 und andere entsprechende Ereignisse den politischen Beobachter nur in der Ansicht bestärken, daß Polen so sehr unter sowjetischem Einfluß stehe, daß direkte Verhandlungen völlig zwecklos seien. Die völlige Beziehungslosigkeit der folgenden Periode zwischen Polen und den Deutschen im Westen war also durch die Entwicklung der Jahre 1947— 1949 vorprogrammiert.

II. Die Jahre des Stalinismus und des „Kalten Krieges“ 1949— 1956

Da Bundeskanzler Konrad Adenauer von Anfang an bestrebt war, die Bundesrepublik fest in das westliche Staatensystem zu integrieren, und zudem die schwierige Aussöhnung mit Frankreich als ein wesentliches Ziel bundesdeutscher Außenpolitik betrachtete, blieb für die Herstellung von Beziehungen zu Polen in seinem politischen Denken und Handeln gar kein Raum. Umgekehrt erregten Marshallplan-Hilfe, die Konstituierung der Bundesrepublik und die Bildung einer von bürgerlichen, z. T. als „rechts“ eingestuften Parteien (CDU, CSU, FDP, DP) getragenen Regierung in Warschau großen Argwohn. Schon die Bildung der Bundesrepublik wurde als ein Akt betrachtet, der zü den Potsdamer Beschlüssen im Widerspruch stehe. Die Regierung Cyrankiewicz richtete daher am 5. Oktober 1949 an die Vereinigten Staaten und an Großbritannien eine scharfe Protestnote mit der Überschrift: „in Fragen der Mißachtung der Potsdamer Beschlüsse in Zusammenhang mit der Bildung eines westdeutschen Staates“ Diesem wurde das Recht der Vertretung Deutschlands abgesprochen. und konsequent wurde der neue deutsche Staat: „Deutsche Bundesrepublik“ (Niemiecka Republika Federalna — NRF) genannt.

Als am 6. November 1949 der Marschall und sowjetische Staatsbürger Konstantin Rokossowskij zum polnischen Verteidigungsminister ernannt und einige Monate später auch in das Politbüro der PZPR kooptiert wurde, schien Polen völlig eindeutig in den Status eines sowjetischen Satelliten abgesunken zu sein, mit dem unmittelbare Kontakte kaum nützlich sein konnten. Die Bezeichnung Polens als „Satellitenstaat“, deren Verwendung Bundeskanzler Adenauer oft vorgeworfen wurde, war dabei durchaus nicht seine Erfindung. Sie war vielmehr im politischen Schrifttum der Zeit — auch in den USA — durchaus gebräuchlich. Übrigens unterschied sich die Haltung der oppositionellen SPD damals in bezug auf die „Ostpolitik“ nicht wesentlich von der der Bundesregierung. Schließlich stammte ihr Vorsitzender. Kurt Schumacher, aus Kulm in Westpreußen, hatte also, anders als Adenauer, eine persönliche Bindung an den Osten. Zudem war Schumacher schärfster Gegner der Vereinigung von Sozialisten und Kommunisten, wie sie in Polen unter starkem Druck auf die Sozialisten am 15. Dezember 1948 vollzogen worden war

Während die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland einerseits und die weitgehende Anbindung Polens an die Sowjetunion andererseits eine klare Konfrontationslinie entstehen ließ, die indes mehr ideologisch und polnischerseits auch mehr antiwestlich als national begründet war, bewirkte die Entstehung der DDR am 7. Oktober 1949 in Polen — zumindest offiziell — einen entschiedenen Wandel in der allgemeinen Einstellung zu den Deutschen. Das galt wenigstens für die noch im Lande verbliebenen „anerkannten“ Deutschen, deren Zahl bei der Volkszählung am 3. Dezember 1950 in den vier Wojewodschaften Stettin, Köslin, Grünberg und Breslau noch mit 160 000 angegeben wurde (davon 84 400 in der Wojewodschaft Breslau) Für die Wojewodschaften Oppeln, Allen-stein und Danzig lassen sich hingegen wegen der dort bestehenden Tendenz, alle noch vorhandenen Deutschen pauschal zu „Autochthonen“ zu erklären, keine sicheren Angaben machen.

Diese „anerkannten“ Deutschen wurden schon Anfang 1949 polnischen Arbeitern in Bezahlung und Verpflegung gleichgestellt, Anfang September 1950 wurden im Waldenburger Bergland mehrere deutsche Schulen eröffnet, die Abhaltung deutscher evangelischer Gottesdienste wurde stillschweigend genehmigt, und ab Juli 1951 erschien in Breslau und Köslin eine deutschsprachige Wochenzeitung, die „Arbeiterstimme“. Deutsche Laienspiel-und Gesangsgruppen durften gebildet werden, und die Tendenz war offenkundig, diese Deutschen, die für das Wirtschaftsleben wichtig waren, zum Bleiben zu veranlassen.

Während sich also die Lage etwas freundlicher gestaltete, lief fast gleichzeitig die zwischen dem Internationalen Roten Kreuz und dem Polnischen Roten Kreuz am 3. März 1950 vereinbarte Familienzusammenführung. die „Operation Link“, an. In gut einem Jahr, bis zum Frühjahr 1951, konnten im Rahmen dieser „Operation“ 45 000 Angehörige von „Restfamilien“ zu ihren Angehörigen in das Bundesgebiet ausreisen. Etwa 30 000— 40 000 Personen reisten in der gleichen Zeit in die DDR aus. Danach wurden allerdings praktisch keine Ausreisegenehmigungen mehr erteilt, die Deutschen wurden vielmehr zum Bleiben und zum intensiven Arbeitseinsatz aufgefordert.

International weit bedeutsamer als diese Entwicklungen war indes, daß Otto Grotewohl, Ministerpräsident der DDR, schon in seiner ersten Regierungserklärung vom 12. Oktober 1949 die Oder-Neiße-Grenze eine „Friedensgrenze“ nannte und keinen Zweifel daran ließ, daß nun deren formelle Anerkennung möglich sei. Zwar hatte Grotewohl am 9. März 1947 in Frankfurt noch erklärt, daß die SED gegen diese Grenze sei. und am 13. März 1947 hatte sich Wilhelm Pieck in München im gleichen Sinne geäußert aber nunmehr galt das Wort von der „Friedensgrenze“, und am 6. Juli 1950 wurde in der durch die Lausitzer Neiße geteilten Stadt Görlitz ein Abkommen über die gemeinsame Grenze geschlossen, die als „in Potsdam festgelegt und bestehend“ deklariert wurde, allerdings mit dem auch in Potsdam auftauchenden Fehler, daß Stettin nicht als zu Polen gehörig genannt wurde Am 6. Juni war diesem Vertrag bereits eine Deklaration betreffend „die unantastbare Friedens-und Freundschaftsgrenze an der Oder und der Lausitzer Neiße“ vorausgegangen Für die verbliebenen Deutschen hatte das Abkommen den Vorteil, daß es nun eine Botschaft der DDR in Warschau gab, von der sie sich Konsularpässe ausstellen lassen konnten, wovon allerdings nur wenige Personen Gebrauch machten.

In der Bundesrepublik stießen Deklaration und Grenzvertrag auf nahezu einmütige Kritik und daß die Kommunisten sich für beides aussprachen, konnte diese Kritik nur verstärken. Vermehrte Besorgnisse erregte es zudem in Polen, daß sich in der Bundesrepublik nach der Aufhebung des Koalitionsverbots die ostdeutschen Landsmannschaften organisierten, sich eine eigene Presse schufen und alljährliche große Treffen veranstalteten. Die Landsmannschaften, als „revisionistisch und revanchistisch“ eingestuft, wurden zum Objekt sehr heftiger Polemiken der polnischen Presse, und das Auftreten von Regierungsmitgliedern auf den Treffen der Landsmannschaften wurde mit schärfster Kritik bedacht.

Indessen hatten die Vorsitzenden aller Landsmannschaften und der Landesverbände der vertriebenen Deutschen am 5. August 1950 in Stuttgart auf einer Großkundgebung die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ unterzeichnet, deren Punkte 1 und 2 lauteten: „Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.“ Diese eindeutige Erklärung war allerdings nicht imstande, Mißtrauen und Befürchtungen in Polen zu zerstreuen. Schon der Begriff „Vertriebene“ wurde heftig kritisiert, zumal in der DDR nur von „Umsiedlern“ gesprochen werden durfte.

Eine entsprechende Bestimmung galt in Polen, wo auch jegliche Art von Zusammenschlüssen der über zwei Millionen aus den polnischen Ostgebieten zwangsweise umgesiedelten Polen strengstens verboten war. Ihre offizielle Bezeichnung als „Repatrianten“ war dabei ebenso wahrheitswidrig wie der Begriff „Repatriierung“ für die Ausweisung der Deutschen aus ihrer schlesischen oder pommerschen Heimat. Immerhin war es dem Lemberger „Ossolineum“, einer Kombination von wissenschaftlicher Einrichtung und Verlagshaus, möglich, seine Arbeit in Breslau fortzusetzen. Die neuen polnischen Universitäten Breslau und Thorn führten die Traditionen der Universitäten Lemberg und Wilna fort, was zwar nicht laut proklamiert, aber auch nicht verschwiegen wurde.

Während es aufgrund der Parallelität menschlichen Schicksals in gewissen Kreisen der polnischen Bevölkerung somit durchaus Verständnis für die deutschen Landsmannschaften gab, war doch auch Empörung darüber spürbar, daß Angehörige des Volkes, dessen Regierung den Krieg begonnen hatte und das von vielen Polen in seiner Gesamtheit als schuldig und strafwürdig betrachtet wurde, sich frei äußern durften, während den Polen unter dem harten Druck des Stalin-Bierut-Systems jede freie Meinungsäußerung untersagt war. Diese Stimmungslagen lassen sich natürlich nicht so präzise belegen wie Vertragstexte und Pressekampagnen, sondern sind nur aus Äußerungen verschiedener Art er-schließbar.

Zum „Bild vom Nachbarn“ gehörte in Polen das Schreckgespenst des bundesdeutschen „Revanchismus“, der die polnische Westgrenze bedrohe, deren einziger sicherer Garant die Sowjetunion sei. Deshalb — so die Schlußfolgerung — sichere allein die feste Bindung an die Sowjetunion den Bestand Polens in seinen neuen Grenzen. Daß diese ihrerseits 1951 die polnisch-sowjetische Grenze veränderte, weil sie in einem Gebiet am oberen Bug mit der historisch bedeutsamen Stadt Betz ein abbauwürdiges Kohlevorkommen und zwei Bahnlinien in Besitz zu nehmen wünschte — wofür sie ein allerdings gleich großes, aber wirtschaftlich wenig wertvolles Gebiet abgab —, zeigte erneut die starke Abhängigkeit der polnischen von der sowjetischen Außenpolitik.

Zusätzliche polnische Besorgnisse und Befürchtungen bewirkte die Tatsache, daß sich die Vertriebenen nicht nur auf sozialer und landsmannschaftlichkultureller Basis organisierten, sondern sich 1950 im „Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) eine Partei schufen, die vor allem in den „Flüchtlingsländern" Schleswig-Holstein und Niedersachsen erhebliche Erfolge erzielte und bei der Wahl zum Zweiten Deutschen Bundestag am 6. September 1953 27 Mandate gewann. Der BHE trat in die zweite Koalitionsregierung Adenauer vom 20. Oktober 1953 ein und stellte in ihr zwei Minister.

Da gleichzeitig die KPD mit nur 2, 2 Prozent der Stimmen an der Fünfprozentklausel gescheitert war, konnte von einem „Rechtsruck“ gesprochen werden, was die polnische Presse auch mit entsprechenden Ausschmückungen tat.

Auf diese Weise entstand aus den Begriffen Adenauer. BHE und Europäische Verteidigungsgemeinschaft EVG, die von den drei westlichen Außenministern am 19. September 1950 vereinbart worden war. ein „Bedrohungssyndrom“, in das auch der Vatikan wegen seines Festhaltens am Fortbestand der alten Bistumsgrenzen einbezogen wurde. Die Bundesrepublik hatte dabei in der Propaganda gegen die „Achse Wallstreet-Vatikan“ die Funktion eines besonderen Bedrohungsfaktors. Eine Basis für entsprechende Vorstellungen und propagandistische Äußerungen bildete der Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952, in dem nicht nur die Integration der Bundesrepublik in den Westen mit dem Ziel der Wiedervereinigung eines Deutschland mit freiheitlich demokratischer Verfassung festgelegt, sondern auch erneut bekräftigt wurde, daß die Bestimmung der Grenzen bis zu einer „friedensvertraglichen Regelung“ aufgeschoben werden solle (Art. 7).

Daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) durch die Ablehnung der französischen Nationalversammlung vom 30. August 1954 nicht zustandekam, konnte in Polen beruhigend wirken, aber das Inkrafttreten der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 und die damit erfolgte Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO vollendete die Blockbildung. Zwar erklärte das Präsidium des Obersten Sowjet am 25. Januar 1955 für die Sowjetunion den Kriegszustand mit Deutschland für beendet; die damit verbundene Absicht, die Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem zumindest abzubremsen, wurde jedoch nicht erreicht. Der entsprechende Beschluß des Staatsrats der Volksrepublik Polen vom 18. Februar 1955, daß auch für Polen der Kriegszustand mit Deutschland beendet sei und nun friedliche Beziehungen zu ganz Deutschland eingeleitet werden könnten, war offensichtlich so sehr im Einklang mit der sowjetischen Außenpolitik erfolgt, daß er in Bonn keine größere Beachtung fand.

Das Bestreben der neuen sowjetischen Führung unter Chruschtschow und Bulganin, die Rolle der Bündnispartner aufzuwerten und die Unterzeichnung des mehrseitigen „Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe“ am 14. Mai 1955 in Warschau stattfmden zu lassen, konnte zwar das Selbstbewußtsein der polnischen Politiker stärken, trug aber auch dazu bei, daß die Volksrepublik Polen weiterhin als getreuer Verfechter sowjetischer Politik angesehen wurde.

Da es in diesem Zeitraum keinerlei Beziehungen gab, konnten auch Fragen der Entschädigungen oder Kredite gar nicht behandelt werden. Der Reiseverkehr, der über die Polnische Militärmission abgewickelt werden mußte, war auf ein Minimum beschränkt. Ausreisen von Deutschen waren praktisch völlig unterbunden. Nach dem Auslaufen der „Operation Link“ kamen in den Jahren 1952 bis 1955 lediglich 1 863 Spätaussiedler aus dem polnischen Machtbereich in die Bundesrepublik.

Trotz dieser „Beziehungslosigkeit“ wuchs in der Bundesrepublik das Interesse an Polen und an den Polen, besonders, als sich seit 1954 eine schrittweise Lockerung des stalinistischen Systems bemerkbar machte. Die von Werner Markert gegründete Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung, die die Herausgabe eines großen Handbuches „Polen“ vorbereitete, nahm Kontakt mit polnischen Historikern in der Emigration auf und veranstaltete vom 13. bis 16. Oktober 1956 in Tübingen ein erstes deutsch-polnisches Historikertreffen, wobei die polnische Teilnehmergruppe von dem Diplomaten und Historiker Titus Komarnicki (London) geleitet wurde. Alle polnischen Teilnehmer kamen aus der Emigration. Die dabei festzustellende Atmosphäre der Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung machte deutlich, daß im Bereich der Wissenschaft ein Dialog bereits im Gange war.

Im gleichen Jahr 1956 eröffnete der Oldenburger Oberstudienrat Enno Meyer mit seinen 47 „Thesen über die Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen im Geschichtsunterricht“, die alsbald auch im „Internationalen Jahrbuch für den Geschichtsunterricht“ gedruckt wurden, eine intensive Diskussion. an der sich auch polnische Historiker in der Emigration und in Polen selbst beteiligten. Die von Georg Eckert, dem Leiter des Braunschweiger Schulbuch-Instituts, vorangetriebenen Bemühungen, die Diskussion auf einer gemeinsamen deutsch-polnischen Konferenz fortzusetzen, waren allerdings zu jenem Zeitpunkt noch nicht von Erfolg gekrönt.

In die gleiche Zeit fielen die ersten Auswirkungen wesentlicher Gesetze, die das Schicksal der Vertriebenen in der Bundesrepublik erleichterten und den Weg zu ihrer Eingliederung in die Gesamtbevölke-, rung wiesen: Das Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 1953 regelte die rechtliche Gleichstellung, erließ materielle Eingliederungsvorschriften und verpflichtete in § 96 Bund und Länder, „das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen, des gesamten deutschen Volkes und des Auslands zu erhalten“. Die damit als legitim und unterstützungswürdig angesehenen Bemühungen, Geschichte und Kultur der Vertreibungsgebiete weiter zu pflegen, traten einerseits bewußten Verfälschungen der geschichtlichen Entwicklung der Ostprovinzen entgegen, weckten aber andererseits auch Verständnis für den polnischen Nachbarn und erinnerten an Gemeinsamkeiten.

Das Bundesversorgungsgesetz vom 20. Dezember 1950 und das Fremdrentengesetz vom 7. August 1953 regelten die aufgrund von Versicherungen und Arbeitsverhältnissen in der früheren Heimat entstandenen Rechtsansprüche, so daß ausgesprochene Notlagen der ersten Nachkriegsjahre allmählich zur Ausnahme wurden, wenn auch von Wohlstand noch keine Rede sein konnte. Vor allem aber begann mit dem Lastenausgleichsgesetz vom 14. August 1952 und seinen zahlreichen Ergänzungen und Folgegesetzen eine umfangreiche und im wesentlichen erfolgreiche Aktion des wenigstens teilweisen Ausgleichs für die durch den Verlust von Heimat, Besitz und Arbeitsstelle erlittenen Schäden. Daß die deutschen Vertriebenen sich nicht — wie etwa die Palästinaflüchtlinge — der Hoffnungslosigkeit und Radikalisierung überließen sondern beim Wiederaufbau der Bundesrepublik tatkräftig beteiligten und nicht zuletzt damit ihr Selbstbewußtsein wiedergewannen, ist eine entscheidende Tatsache in der Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland Ohne diese in den fünfziger Jahren geschaffene Basis eines allgemeinen Wohlstandes wäre jede Politik der Verständigung und der „Normalisierung“ unmöglich gewesen. Der Vergleich mit Palästina und der PLO macht die Größe dieser Leistung bei sehr viel größeren Zahlen von Betroffenen und des Verlustes von materiellem wie immateriellem Besitz besonders deutlich.

Zusammenfassend läßt sich über diesen Zeitraum sagen, daß die Bitterkeit der ersten Nachkriegsjahre ebenso geringer geworden war wie eine Hoffnung auf Rückkehr und entscheidende Veränderung der Grenzen, daß aber jede direkte, mit Grenzanerkennungen verbundene Aufnahme von Beziehungen bei allen Parteien, die Kommunisten ausgenommen, als indiskutabel erschien. Die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion nach Adenauers Moskaureise im September 1955 gab deshalb auch nicht den Anstoß zu Überlegungen über analoge Beziehungen zu Polen.

III. Annäherungen und wechselnde Bemühungen um Verständigung in der Ära Gomulka bis zum Ende der Großen Koalition in der Bundesrepublik Deutschland 1956— 1969

Der 20. Parteikongreß der KPdSU im Februar 1956. bei dem Chruschtschow Stalin schärfer kritisierte, als es vorher manche Stalingegner getan hatten, der alsbald mit Hilfe sowjetischer Truppen niedergeschlagene Aufstand in Posen vom 28. Juni 1956, die Beteiligung von mehr als einer Million polnischer Gläubiger an einer Wallfahrt zur Mutter Gottes von Czenstochau und schließlich die Rückkehr des entmachteten, verfemten früheren Ersten Parteisekretärs Wladyslaw Gomulka an die Spitze der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei am 20. Oktober 1956 bedeuteten den Beginn einer* neuen Periode in der Entwicklung Osteuropas und in den Ost-West-Beziehungen. Die Bezeichnung „Frühling im Oktober“ kennzeichnet die Aufbruchstimmung. die allerdings durch die brutale Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn im November 1956 erheblich gedämpft wurde.

Die Hoffnungen auf eine „Liberalisierung“ verkannten freilich die Tatsache, daß Gomulka ein Mehrparteiensystem keinesfalls zulassen würde. Seine selbstbewußte Haltung gegenüber der Sowjetunion, von der er im Abkommen vom 25. März 1957 die Ausreise von über 200 000 polnischen Staatsbürgern von 1939 erreichte, und seine pragmatische Haltung gegenüber der katholischen Kirche berechtigten zu der Hoffnung, daß sich die Haltung auch gegenüber den Deutschen wesentlich ändern und die Volksrepublik Polen die Bundesrepublik positiver beurteilen würde.

Die erste Hoffnung erfüllte sich in zweifacher Hinsicht, wobei die Aktionen allerdings nicht in Einklang miteinander standen. Von den beiden Möglichkeiten, die Deutschen durch weitere Erleichterungen der Lebensbedingungen zum Bleiben zu veranlassen oder ihnen die Ausreise zu erleichtern, wurden beide gewählt. Einerseits durfte am 14. April 1957 eine „Deutsche Sozialkulturelle Gesellschaft“ gegründet werden Andererseits wurden die Anträge auf Ausreise durch Vermittlung des Deutschen Roten Kreuzes großzügig bewilligt, so daß in den Jahren 1956 nahezu 16 000, 1957 98 290 und 1958 117 500 Personen in die Bundesrepublik ausreisen durften, in wenig mehr als zwei Jahren also 231 514 Personen. Nach diesen Höhepunkten wurden die Genehmigungen seltener erteilt, so daß sich beim DRK ein „Stau“ von nicht bewilligten Anträgen bildete.

Die Gesamtsumme der Ausreisen in den Jahren 1959 bis 1969 belief sich auf 126 870, also im Jahresdurchschnitt auf rund 11 500. Insgesamt sind in der „Ära Gomulka“ (ohne das Krisenjahr 1970) 358 384 Personen in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist. Auf die sich dabei ergebenden Konflikte und Schwierigkeiten kann hier nicht eingegangen werden.

Festzuhalten bleibt, daß die verhältnismäßig großzügige Handhabung der Ausreisebewilligungen die Zahl der „anerkannten Deutschen“ (außerhalb Oberschlesiens und Südostpreußens, wo es diese offiziell nicht gab) entscheidend verringerte. So waren unter den über 230 000 Aussiedlern der Jahre 1956— 1958 rund 57 000 Personen aus Niederschlesien, vor allem aus dem Waldenburger Bergland, wo ihnen sogar eine Oberschule (ein „allgemeinbildendes Lyzeum“) und zwei bergmännische Berufsschulen zugestanden worden waren. Dadurch verloren die deutschen Grundschulen in Schlesien und Pommern, deren es im Schuljahr 1955/56 125 mit 6 386 Schülern gegeben hatte schnell ihre Schüler.

Die deutschsprachige polnische Zeitung „Arbeiterstimme“, die seit dem 1. Juli 1955 sogar täglich erschien und Anfang 1957 eine Auflage von fast 37 000 Exemplaren hatte, hatte in Pommern und Schlesien ein immer kleiner werdendes Lesepublikum zu verzeichnen. Für Oberschlesien aber, wo es keine „anerkannten Deutschen“, sondern nur „Autochthone“ geben durfte, war diese Zeitung nicht gedacht. So wurde sie Ende April 1958 eingestellt. An ihre Stelle trat ein Wochenblatt „Woche in Polen“, das aber nur bis zum 25. Dezember 1958 erschien. Die Zahl der deutschen Grundschulen ging in den Jahren der großen Ausreisewellen rasch zurück, 1959/60 waren es noch fünf mit 148 Schülern danach gibt es keine Angaben mehr. Ebenso reduzierte sich das zeitweilig sehr rege Gemeindeleben der evangelischen Restgemeinden, der „Kirche ohne Pastoren“, durch die Abwanderung auf ein Minimum; die von der Evangelisch-Augsburgischen Kirche 1956 gebildete „Kommission für die nichtpolnischen Gemeinden“ wurde am 1. Januar 1961 aufgelöst.

Diese relativ kurze Periode eines geduldeten und sogar geförderten kulturellen Lebens der in Niederschlesien und Pommern zurückgebliebenen Deutschen war 1959/60 beendet. Nach Oberschlesien und Südostpreußen hatte sich dieses Leben nicht ausdehnen dürfen. Hier bestand nur die Möglichkeit der Ausreise, die dort seit 1958 so intensiv genutzt wurde, daß Arbeitskräftemangel befürchtet werden mußte.

Seither liegt in der Beschränkung des kulturellen Lebens eigentlich das Hauptproblem der verbliebenen Deutschen. Diese möchten zu einem Teil gar nicht die Ausreise, sondern die Anerkennung als nationale Minderheit und die Möglichkeit eines eigenen kulturellen Lebens mit Pflege der deutschen Sprache, einer eigenen Zeitschrift, eigenen Vereinen. Die polnischen Behörden streiten ihrerseits die Existenz einer solchen deutschen Minderheit ab und verweigern dementsprechend die Genehmigung jeder Organisation.

Allerdings wurde die Existenz einer solchen Minderheit nicht abgestritten, als es um die Regelung der Ausreisebewilligungen in großer Zahl ging, wie das 1970 und 1975/76 der Fall war. Auch wurde — was ebenfalls der Logik entbehrt — nicht die benachbarte DDR, sondern die Bundesrepublik Deutschland als Zielland der Ausreisewilligen betrachtet. Die Probleme werden noch dadurch vergrößert, daß die Volksrepublik Polen — anders als die Sowjetunion oder Ungarn — keinerlei Angaben über die Zahl der im Lande lebenden Deutschen macht. Durch diese Praxis werden wiederum Spekulationen in der Bundesrepublik Deutschland angeregt. die zu zweifellos weit überhöhten Zahlenangaben von einer Million und mehr Deutschen in Polen führen.

Es wäre gewiß einfacher und würde Polemiken und Spekulationen ersparen, wenn sich die Volksrepublik Polen nach dem Vorbild der Sowjetunion zu einer Nationalitätenstatistik bereit finden könnte, die sowohl das nationale Bekenntnis als auch die Muttersprache angäbe. Es wäre dann für alle Verhandlungen eine solide Basis gegeben. Die mögliche Befürchtung, aus einer solchen nationalen Minderheit könnte sich eine Irredenta-Bewegung entwickeln, ist, wie die Beispiele Ungarns und der Sowjetunion zeigen, zweifellos unbegründet.

Ein weiteres Zeichen für die Entspannung der Atmosphäre war die Erleichterung von Reisen in beide Richtungen, vor allem in den ersten Jahren der „Ära Gomulka“ 1956/59. Sowohl Einzelreisen als auch Gruppenreisen von Bundesbürgern wurden in diesen Jahren von der Polnischen Militärmission ohne größere Schwierigkeiten bewilligt, und es erschienen zahlreiche Berichte über „Besuche in der alten Heimat“, die meist auch das freundliche Verhalten der nunmehrigen polnischen Bewohner der besuchten Orte betonten. Umgekehrt konnten polnische Wissenschaftler deutsche Universitäten besuchen. Seit 1959 konnten junge polnische Wissenschaftler, die von einem deutschen Kollegen betreut wurden, auch das Humboldt-Stipendium in Anspruch nehmen, ohne daß dafür eine Gegenleistungverlangt wurde. In den 25 Jahren von 1959 bis 1983 waren auf diese Weise 557 jüngere polnische Wissenschaftler für ein knappes Jahr zu Forschungsarbeiten in der Bundesrepublik Deutschland Die Volksrepublik Polen steht damit an einer der ersten Stellen im Austausch von Wissenschaftlern, nur von den USA, Japan und Indien übertroffen, aber weit vor allen anderen Ländern des Ostblocks. Dies ist indes nur ein Beispiel für die wissenschaftlichen Kontakte seit 1957/59, wobei daran zu erinnern ist, daß es zur Zeit der Weimarer Republik etwas auch nur entfernt Vergleichbares nicht gegeben hat.

Bedingt durch das große Interesse, das der polnische „Frühling im Oktober“ mit seinen Begleit-und Folgeerscheinungen in der deutschen Öffentlichkeit hervorrief, erschienen zahlreiche Veröffentlichungen über Polen, seine Kultur, seine Kirche und seine Geschichte, deren vollständige Erfassung und Kategorisierung zum Thema einer eigenen größeren Untersuchung werden sollte. Die seit Januar 1959 in Berlin erscheinende Monatsschrift „Begegnung“. alsbald in „West-östliche Begegnung“ und seit 1962 in „Europäische Begegnung“ umbenannt hatte zunächst den Untertitel „Deutschpolnische Kulturprobleme“ und war bemüht, Verständnis für Polen zu erwecken. An dieser Zeitschrift sowie auch an vergleichbaren anderen Unternehmungen wie den „Barsinghausener Gesprächen“ waren Deutsche aus Polen maßgeblich beteiligt. die über polnische Sprachkenntnisse und über Geschichtskenntnisse verfügten. Für sie war der Gedanke einer Rückkehr in die Heimat absolut ausgeschlossen, so daß sie sich unbefangen der Verbreitung sachlicher Kenntnisse über Polen widmen konnten nach dem Motto: „Nur aus Kenntnis wächst Verständnis.“

Eine ähnliche Funktion wie die genannten Initiativen hatten die vom Verfasser zusammen mit dem aus Lodz stammenden Amerika-Polen Professor Jerzy Hauptmann seit dem Herbst 1964 veranstalteten internationalen, aber vorzugsweise deutsch-polnischen „Lindenfelser Gespräche“ bei denen die deutsche und die polnische Sprache völlig gleichberechtigt nebeneinander standen. Alle diese und zahlreiche andere vergleichbare Unternehmungen, die Verständigung und Brückenschlag zum Ziel hatten, klammerten allerdings die Frage einer formellen Anerkennung der polnischen Westgrenze an Oder und Neiße bewußt aus. Sie befanden sich dabei im Einklang mit den großen Parteien, deren führende Vertreter auch in den frühen sechziger Jahren jede formelle Anerkennung dieser Grenze ablehnten

Zur gleichen Zeit wie diese Bemühungen, bei denen bewußt Memoranden und Appelle an die Öffentlichkeit vermieden wurden, waren Bestrebungen verschiedener Kreise im Gange, die die bedingungslose formelle Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze forderten. An erster Stelle ist hier das „Tübinger Memorandum der acht“ vom November 1961 zu nennen, in der die bedingungslose Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Voraussetzung einer „Versöhnung“ mit Polen genannt wurde

Weit mehr Aufsehen erregte die von der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche Deutschlands unter Vorsitz von Professor Ludwig Raiser. einem der „Tübinger acht“, erarbeitete und im Oktober 1965 veröffentlichte Denkschrift „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“, in der die Anerkennung zwar nicht expressis verbis, aber in etwas verklausulierter Form doch deutlich verlangt wurde. Die Denkschrift rief erbitterte Diskussionen hervor, vor allem, weil mit ihr politische Forderungen nicht rational-politisch, sondern ethisch-theologisch begründet wurden. Es ist unmöglich, auf diese leidenschaftliche Diskussion hier näher einzugehen, die für längere Zeit die Öffentlichkeit in zwei Lager spaltete.

Weitaus versöhnlicher wirkte der fast gleichzeitig, während des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom, geführte Schriftwechsel der polnischen und deutschen katholischen Bischöfe vom 19. November und 5. Dezember 1965 In ihrem Schreiben baten die polnischen Bischöfe um Verständnis für die Lage des polnischen Volkes. Der Satz: „In diesem allchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ fand ebenso wie die Antwort der deutschen Bischöfe erleichterte Zustimmung in der Bundesrepublik, rief aber auch energische Proteste von Partei und Regierung in Polen hervor.

Während die Frage des Verhältnisses zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland in diesen Jahrzehnten breit diskutiert wurde und Kontroversen auslöste, wurden Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern eher in der Stille aufgenommen und fortentwickelt. Einen entscheidenden Schritt bildete hier die am 7. März 1963 im Rahmen der von Außenminister Schröder begonnenen „Politik der Bewegung“ erfolgte Unterzeichnung eines „Protokolls über Wirtschaftsaustausch und Seeschiffahrt“, dessen Bestimmungen bis Ende 1970 gültig blieben. Eine besondere Konsequenz war die alsbald folgende Errichtung von Handelsmissionen in Warschau und Köln.

Der 1950 begonnene, sich zunächst in sehr bescheidenen Grenzen bewegende Handelsverkehr wurde nun nicht unerheblich gesteigert, blieb aber insgesamt im Rahmen des Handelsverkehrs der Bundesrepublik recht gering. Zwar wurden die Einfuhren Polens aus der Bundesrepublik von 304 Millionen DM im Jahr 1960 auf 658 Millionen DM im Jahr 1970 gesteigert, die Ausfuhr in die Bundesrepublik nahm im gleichen Zeitraum von 320 auf 740 Millionen DM zu. Aber bezogen auf den gesamten Außenhandel der Bundesrepublik waren das geringfügige Summen, nämlich 0, 63 bzw. 0, 53 Prozent der Ausfuhren und 0, 75 bzw. 0, 68 Prozent der Einfuhren, d. h.der ohnehin niedrige Anteil war in den sechziger Jahren sogar noch niedriger geworden. Von einem lukrativen „Ostgeschäft“ konnte keine Rede sein.

Für Polen allerdings stellte sich das Bild anders dar. Hier betrug der bundesrepublikanische Anteil am Export 1960 5, 2 Prozent und 1970 5, 1 Prozent, der Anteil am Import entsprechend 4, 5 und 4, 0 Prozent. Die Bundesrepublik stand damit auf Platz 5 bzw. 4 der Handelspartner Polens, während Polen auf Platz 22 bzw. 24 der bundesrepublikanischen Handelspartner rangierte. Das Interesse an Intensivierung und Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen lag also deutlich auf Seiten der Volksrepublik Polen.

Der Zeitabschnitt zwischen 1956 und 1969 ist also durch viel Bewegung, Hoffnungen auf Verbesserung, Enttäuschungen, aber grundsätzlich doch durch eine politische Klimaverbesserung charakterisiert.

IV. Die neue Ostpolitik der Regierung Brandt

In der Phase der Entspannungs-und Koexistenzpolitik der sechziger Jahre hatten die Bundesregierungen Erhard und Kiesinger eine „konsequente und wirksame Friedenspolitik“ betrieben, „durch die politische Spannungen beseitigt und das Wettrüsten eingedämmt werden“ sollten (Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966). In bezug auf die Länder des Warschauer Pakts waren die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien am 31. Januar 1967 und die Wiederaufnahme der 1957 abgebrochenen Beziehungen zu Jugoslawien am 3. Februar 1968 Konsequenzen dieses Strebens, ebenso die Bereitschaft zum Austausch von Gewaltverzichtserklärungen. Unbestreitbar traten aber auch Klimaverschlechterungen auf, so die „Märzereignisse“ in Polen im Jahre 1968, aufgrund derer 12 000 Juden noch im gleichen Jahr das Land verließen, und — noch gravierender — der Einmarsch der Streitkräfte von fünf Staaten des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei am 20. /21. August 1968. Dessenungeachtet verfolgte die Regierung Brandt/Scheel die auf dem Nürnberger Parteitag der SPD im März 1968 beschlossene neue Politik nicht nur des Gewaltverzichts — worüber es keinerlei Kontroversen gab — . sondern auch der Anerkennung der territorialen Veränderungen und somit der polnischen Westgrenze an Oder und Neiße.

Das Verhandlungsangebot des Ersten Sekretärs der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei. Wladyslaw Gomulka vom 17. Mai 1969 wurde somit aufgegriffen. Auf die in den Monaten Oktober 1969 bis Mai 1972 mit großer Leidenschaft geführte Debatte um die „neue Ostpolitik“ kann hier nicht eingegangen werden, sie könnte nur durch eine mehrbändige Dokumentation illustriert werden.

Eine Wegmarkierung bedeutete es. daß in der Regierung Brandt/Scheel das bisherige Ministerium für gesamtdeutsche Fragen in „für innerdeutsche Beziehungen“ umbenannt und das Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte nach zwanzigjähriger Existenz aufgelöst wurde. Kennzeichnend für die neue Ostpolitik war auch, daß die Bundesregierung vor dem Vertrag mit der Volksrepublik Polen am 12. August 1970 einen Normalisierungsvertrag mit der Sowjetunion schloß. In diesem wurde nicht nur die beiderseitige Verpflichtung angesprochen, „die territoriale Integrität aller Staaten in Europa zu achten“, sondern es wurde auch ausdrücklich festgehalten, daß die Unverletzlichkeit der Grenzen aller Staaten in Europa auch für „die Oder-Neiße-Linie, die die Westgrenze der Republik Polen bildet“, gelten sollte.

Diese ausdrückliche Garantie einer Grenze zwischen zwei anderen Staaten, die beide nicht Vertragspartner waren, war zumindest ungewöhnlich und konnte als stillschweigende Anerkennung der sowjetischen Vorherrschaft auch über Polen angesehen werden.

Der mit der Regierung der Volksrepublik Polen am 7. Dezember 1970 in Warschau geschlossene Vertrag „über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen“ ist in dem wichtigen Artikel I über die „westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen“ so formuliert, daß er verschiedene Auslegungen zuläßt. Zudem ist festzuhalten, daß die in den Vertragstext aufgenommene „Potsdamer“ Grenzbeschreibung „unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang“ den wirklichen Grenzverlauf nicht wiedergibt.der ja Stettin — entsprechend dem Vertrag vom 27. Juli 1944 und einem Notenwechsel vom 7. Septemberbzw. 25. September 1945 — in vollem Umfang einschloß. Auch ist zwar der Terminus „Anerkennung“ vermieden worden, doch wird Art. 1, 1 in Polen als Anerkennung aufgefaßt. Insbesondere aber steht Art. III. 1, demzufolge die Vertragspartner „gegeneinander keinerlei Gebiets-ansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben werden“, nicht im Einklang mit der seit 1970 bestehenden und durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 und 7. Juli 1975 bekräftigten Auffassung, daß das Deutsche Reich in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 fortbesteht.

Eindeutigen und zukunftsweisenden Charakter haben dagegen die Bestimmungen von Artikel 3 des Warschauer Vertrages über die Erweiterung der Zusammenarbeit auf mehreren Gebieten.

Bei den Vertragsverhandlungen spielte auch das Schicksal der in Polen verbliebenen Deutschen und die Möglichkeit ihrer Ausreise eine Rolle, zumal die Ausreisebewilligungen seit 1968 zurückgegangen waren und 1970 einen Tiefstand von 5 624 erreicht hatten, wie es ihn seit 1956 nicht gegeben hatte. Zu diesem Problem gab es nur eine „Information der Regierung der Volksrepublik Polen“ die keinen Bestandteil des Vertrages bildete. sich aber in Punkt 5 auf diesen bezog. Zunächst wurde, die wirklichen Zahlen etwas überhöhend. festgestellt, daß zwischen 1955 und 1969 etwa 400 000 Menschen ausgereist seien. Die Regierung Polens könne allerdings nicht damit einverstanden sein, daß ihre „positive Haltung“ von „Personen polnischer Nationalität“ zur Emigration ausgenützt würde. Sie sei jedoch bereit, „Personen, die aufgrund ihrer unbestreitbaren deutschen Volkszugehörigkeit in einen der beiden deutschen Staaten auszureisen wünschen“, die Ausreise zu gestatten. Es könne sich dabei aber — entgegen den vom Deutschen Roten Kreuz genannten Zahlen von über 200 000 Anträgen — nur um „einige zehntausende Personen“ handeln, auf die die Kriterien zu-träfen. Auch diese Formulierungen enthielten Unklarheiten. Zunächst war eigenartig, daß auch die Ausreise in die DDR erwähnt wurde, die doch gar nicht Vertragspartner war. Man konnte daraus sogar eine — sicher nicht beabsichtigte — Anerkennung des bundesdeutschen Alleinvertretungsanspruches herauslesen. Vor allem mußte der Begriff „unbestreitbar deutsche Volkszugehörigkeit“ zu willkürlichen und kontroversen Auslegungen führen, so lange nicht die anzuwendenden Kriterien genannt wurden. Da nun in Oberschlesien der Gebrauch der deutschen Sprache verboten war, in vielen Fällen auch Änderungen der Vornamen erfolgt waren, war es relativ leicht, einem jungen Menschen, der sich aufgrund seiner Herkunft als Deutscher fühlte, die deutsche Sprache aber gar nicht beherrschte, die „Volkszugehörigkeit“ zu bestreiten. Leider ist eine polnische Fassung der „Information“ im Unterschied zum Vertragstext nie veröffentlicht worden so daß nicht nachgeprüft werden kann, wie dort „unbestreitbar deutsche Volkszugehörigkeit“ formuliert ist.

Während das Echo auf den Warschauer Vertrag in der Bundesrepublik je nach Parteizugehörigkeit und persönlicher Betroffenheit zwischen vorbehaltloser Zustimmung und scharfer Ablehnung schwankte und die schon während der Verhandlungen und der Paraphierung geführte Auseinandersetzung sich verschärft fortsetzte, war das Echo in Polen eindeutig positiv, wobei vor allem der Kniefall des Bundeskanzlers Brandt vor dem War-schauer Ghetto-Denkmal uneingeschränkte Anerkennung fand.

Allerdings trat in Polen der Vertragsabschluß alsbald vor den stürmischen innenpolitischen Veränderungen völlig in den Hintergrund. Die fünf Tage nach der Vertragsunterzeichnung verkündeten erheblichen Preiserhöhungen führten zu Streiks und Demonstrationen in den Küstenstädten, die mit Schüssen in die Menge beantwortet wurden. Gomulka wurde am 20. Dezember 1970 „krankheitshalber“ zum Rücktritt gezwungen und durch den „Pragmatiker“ Edward Gierek ersetzt. Unmittelbar danach wurde auch Ministerpräsident Jzef Cyrankiewicz abgelöst. An seine Stelle trat Piotr Jaroszewicz. Die Hoffnung, durch den außenpolitischen Erfolg innenpolitische Stabilität zu erreichen, hatte sich für die Equipe Gomulka/Cyrankiewicz nicht erfüllt. Für das Verhältnis zur Bundesrepublik hatte der Wechsel eine zweifache Konsequenz: Gierek war weniger dogmatisch und hatte keine Ressentiments; außerdem glaubte er, seine Aufbaupolitik nur mit großzügigen Krediten aus dem Westen verwirklichen zu können, die Gomulka stets abgelehnt hatte.

Nach Artikel V des Warschauer Vertrages trat dieser erst nach der Ratifikation in Kraft, für die die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages erforderlich war. Diese war aber nicht ohne weiteres gegeben, da sich auch einzelne Abgeordnete der SPD gegen den Vertrag aussprachen. Außerdem wollte die Bundesregierung mit der Ratifizierungsdebatte die Diskussion über das Viermächte-Abkommen über Berlin verbinden, das am 3. September 1971 paraphiert wurde, das aber die Sowjetregierung erst dann zu unterzeichnen bereit war, wenn der Bundestag die „Ostverträge“ ratifiziert hatte.

Wegen dieses Junktims lag zwischen der Unterzeichnung und der ersten Bundestagsdebatte im Februar 1972 ein ungewöhnlich langer Zeitraum sehr ausführlicher, kontroverser Auseinandersetzungen. Die neue polnische Regierung Jaroszewicz lieferte den Befürwortern insofern ein Argument, als sie schon im Jahre 1971 die Ausreisepraxis großzügig handhabte und 25 241 Personen ausreisen ließ.

Auch in einem anderen Bereich wurde die Ratifizierung nicht abgewartet, nämlich in dem der bisher vergeblich angestrebten Schulbuchkonferenzen Aufgrund von Absprachen der polnischen und der deutschen UNESCO-Kommission fanden die ersten beiden Konferenzen vom 22. bis 26. Februar in Warschau und vom 10. bis 17. April 1972 in Braunschweig statt — mit dem Erfolg, daß 24 Empfehlungen zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen und sieben zur Geographie verabschiedet wurden.

Nachdem am 3. September 1971 die Viermächte-Vereinbarungen über die Berlin-Regelung von den Botschaftern paraphiert worden waren wurden die Ostverträge dem Bundestag zur ersten Beratung vorgelegt, die am 23., 24. und 25. Februar 1972 stattfand und mit Schärfe, aber sachlich geführt wurde. Vor der zweiten Beratung hatte die Regierungskoalition ihre Mehrheit von 254 zu 242 Abgeordneten verloren und die CDU hatte zudem am 23. April im Landtag von Baden-Württemberg die absolute Mehrheit gewonnen. Daher wagten Rainer Barzel und die CDU am 27. April 1972 das konstruktive Mißtrauensvotum, für das allerdings nur 247 statt der erforderlichen 249 Stimmen abgegeben wurden. Als am folgenden Tag aber auch die Regierungsparteien bei der Beratung des Kanzler-Etats keine Mehrheit erhielten, so daß die Gefahr einer Abstimmungsniederlage bei der Ratifizierungsabstimmung bestand, wurde zwischen den Fraktionen am 10. Mai 1972 eine gemeinsame Entschließung ausgearbeitet, in der festgestellt wurde, daß „die Verträge eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland nicht vorwegnehmen und keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen schaffen“. Diese Entschließung wurde am 17. Mai 1972 mit 491 von 496 Stimmen angenommen, der Vertrag mit Polen wurde mit 248 von 496 Stimmen bei 231 Enthaltungen der CDU/CSU und 17 Nein-Stimmen ratifiziert (ohne die Berliner Abgeordneten). Vertrag und Entschließung stehen somit in unmittelbarem Zusammenhang, ohne daß letztere aber auch für Polen verbindlich ist.

Der von Unklarheiten nicht freie Text des War-schauer Vertrages, die gemeinsame Entschließung, das denkbar knappe Abstimmungsergebnis, die oben erwähnten Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1973 und 1975 — sie alle machen deutlich, daß es sich nicht eigentlich um normale Beziehungen, sondern um ein kompliziertes, labiles Gebilde handelt, dessen Erhaltung viel guten Willen von beiden Seiten erfordert. In mancher Hinsicht sind aber die Begleiterscheinungen bedeutsamer als die juristischen Formulierungen.

V. Von der „Normalisierung“ zur spontanen Hilfe für Polen in den achtziger Jahren

Der begrenzte Rahmen dieser Übersicht erlaubt es nicht, die anderthalb Jahrzehnte seit dem Mai 1972 in der gebotenen Ausführlichkeit und Genauigkeit zu behandeln. Es kann nur auf einige von vielen Komplexen hingewiesen werden.

Dabei ist insbesondere zu erwähnen, daß ungeachtet vieler Vorwürfe, die einige polnische PresseOrgane und Gruppierungen, zu denen leider auch der erste polnische Botschafter in der Bundesrepublik Waclaw Pitkowski gehört, gegen die Bundesrepublik und ihren Rechtsstandpunkt erheben, zu keinem anderen Land des Warschauer Paktes so intensive wissenschaftliche, kulturelle und allgemein menschliche Beziehungen bestehen wie zur Volksrepublik Polen, auch wenn wegen immer wieder in Erscheinung tretender bürokratischer und anderer Schwierigkeiten Ermüdungserscheinungen auftreten. Für diese können nur einige Beispiele gebracht werden, die dem Verfasser als Mitglied des Präsidiums der Gemeinsamen Schulbuchkommission und als Vizepräsident des Deutschen Polen-Instituts besonders gut bekannt sind. Zunächst aber geht es um einige der eingangs gekennzeichneten Probleme.

Ausreisemöglichkeiten: Hier stellte sich schon 1973 heraus, daß die Erteilung von Genehmigungen sehr zurückhaltend erfolgte, so daß auf 13 476 im Jahr 1972 im Jahr darauf nur noch 8 902 Ausreisen erfolgten, 1974 sogar nur 7 825. d. h. die Zahlen der Jahre vor dem Warschauer Vertrag wurden erheblich unter-statt überschritten. Abhilfe schuf hier ein nach Vorverhandlungen in Helsinki am 9. Oktober 1975 in Warschau unterzeichnetes Protokoll demzufolge in den folgenden vier Jahren 120 000 bis 125 000 Personen die Ausreisegenehmigung erhalten sollten und danach kein Stopp eintreten sollte. Tatsächlich sind in den Jahren 1976 bis 1980 124 966 Personen ausgereist, 1981/82 weitere 81 000, davon viele allerdings mit Touristenvisum. Die in der „Information“ von 1970 genannte Zahl von „einigen Zehntausenden“ ist also um ein Vielfaches überschritten worden, und seither geht die Bewegung, allerdings mit vielen Hemmnissen, ständig weiter. Nach wie vor weigert sich aber die polnische Regierung, den sich als Deutsche fühlenden Personen irgendwelche kulturellen Rechte zuzubilligen

Das Protokoll vom 9. Oktober stand in engem Zusammenhang mit zwei am gleichen Tag unterzeichneten Abkommen über Renten-und Unfallversicherung und über die Gewährung eines Finanzkredits. Zur Abgeltung der Ansprüche aus Alters-und Unfallversicherungen von Personen in Polen zahlte die Bundesrepublik eine Pauschale von 1, 3 Milliarden DM an die polnische Regierung. Außerdem gewährte sie der Polnischen Handelsbank einen in drei Raten zu zahlenden Finanzkredit in Höhe von einer Milliarde DM, rückzahlbar in 20 Jahren, zum Zinssatz von 2, 5 Prozent. Diese Finanzhilfen, zu denen noch bundesdeutsche Bankkredite von mindestens sechs Milliarden DM kamen, bedeuteten zweifellos bedeutende Hilfen für die in der Ära Gierek besonders optimistisch gestimmte polnische Volkswirtschaft, steigerte allerdings auch die hemmungslose Investitions-und Konsumpolitik die in die große Krise der Jahre 1980/81 führte.

Erst vier Jahre nach der Ratifizierung des War-schauer Vertrages wurde am 11. Juni 1976 von den Außenministern Genscher und Olszowski auch ein Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit unterzeichnet, das zum Teil festlegte, was bereits Usus war, zum Teil Dinge postulierte, die an sich erstrebenswert, aber wegen der Kulturhoheit der Länder vom Bund nicht leicht zu verwirklichen waren. Wichtiger als solche Abkommen, denen oft nur ein deklamatorischer Wert zukommt, sind zweifellos praktische Verbindungen, die es in weit größerer Zahl gibt, als allgemein angenommen wird. So bemüht sich das im März 1980 gegründete Deutsche Polen-Institut in Darmstadt darum, polnische Literatur durch Übersetzungen ins Deutsche bekannt zu machen. Die Buchreihe „Polnische Bibliothek“ umfaßt bereits 25 Bände. So bemüht sich das 1979 von Wilfried Schlau ins Leben gerufene „Mainzer Modell“, inzwischen „Mainzer Polonicum", alljährlich 30 bis 40 Hörer die polnische Sprache lernen zu lassen, u. a. mit Hilfe eines längeren Aufenthalts in Krakau. So haben die deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen seit 1972 schon zwanzigmal, jeweils abwechselnd in der Bundesrepublik und in Polen, stattgefunden. Über die XL bis XIX. Konferenz (1977— 1986) liegen ausführliche Berichte vor. vom Georg-Eckert-Institut in Braunschweig herausgegeben, sechs davon auch in polnischer Sprache. So haben außerdem seit 1978 in Freiburg, Thorn und Mainz deutsch-polnische Historiker-Konferenzen stattgefunden, die vierte ist für September 1988 in Warschau geplant.

Eine kaum überschaubare weitere Fülle von Kontakten ist in einer vom Deutschen Polen-Institut herausgegebenen Übersicht aufgezählt. Daß deutsche wissenschaftliche Zeitschriften Beiträge polnischer Autoren veröffentlichen, gehört mittlerweile zu den Alltäglichkeiten. Schließlich sollte nicht ganz vergessen werden, daß in den Jahren 1982 und 1983, nach Ausrufung des Kriegszustandes in der Volksrepublik Polen am 13. Dezember 1981, ein Strom von Paketen und Hilfsgütern nach Polen floß, und zwar nicht nur von karitativen und kirchlichen Stellen, sondern spontan von Einzelpersonen, wobei die Bundespost durch Gewährung von Portofreiheit einen schätzenswerten Beitrag leistete. Diese Hilfeleistungen lassen sich statistisch kaum erfassen. Es gibt aber keinen Zweifel daran, daß derartige persönliche Hilfeleistungen, aus denen auch viele persönliche Verbindungen entstehen, mehr zur Verständigung beitragen als Deklarationen und Memoranden.

Ohne Zweifel kann bei aller „Normalisierung“ nicht von normalen Verhältnissen zwischen der Volksrepublik und der Bundesrepublik gesprochen werden — man denke nur an die Post-und Telefonverbindungen und die langen Wartezeiten, um ein Visum zu erhalten. Auch können viele Engherzigkeiten. z. B. beim Gebrauch polnischer Ortsnamen statt der vertrauten deutschen, oder die Verweigerung von Gottesdiensten in deutscher Sprache nicht eben als „vertrauensbildend“ betrachtet werden. Angesichts des ungeheuren Gewichts der nicht wegzudiskutierenden Vergangenheit ist es aber bemerkenswert, daß das Polenbild in der Bundesrepublik Deutschland zweifellos sehr viel positiver ist als zu Zeiten der Weimarer Republik. Daß umgekehrt sich auch in Polen Wandlungsprozesse vollziehen, zeigt neben der Broschüre von J. J. Lipski ein 1987 in Posen erschienenes polnisches Sammelwerk: Deutsche — Polen — Zehn Jahrhunderte Nachbarschaft.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Aus der großen Fülle der Literatur seien hier nur einige größere Werke genannt, wobei auf die Nennung polnischsprachiger Werke verzichtet wird: W. W. Kulski, Germany and Poland. From War to peaceful Relations, Syracuse 1976; Das deutsch-polnische Konfliktverhältnis seit dem Zweiten Weltkrieg. Multidisziplinäre Studien über konfliktfördernde und konfliktmindernde Faktoren in den internationalen Beziehungen, hrsg. von C. C. Schweitzer und H. Feger, Boppard 1975; Wie Polen und Deutsche einander sehen. Beiträge aus beiden Ländern, hrsg. von H. -A. Jacobsen und M. Tomala. Düsseldorf 1973; Ungewöhnliche Normalisierung. Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Polen, hrsg. von W. Plum, Bonn 1984; Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen bis zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki 1975). XIX.deutsch-polnische Schulbuch-konferenz der Historiker vom 20. bis 25. Mai 1986 in Saarbrücken (Bd. 22/X der Schriftenreihe des Georg Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung), Red. W. Jacobmeyer, Braunschweig 1987.

  2. Diesen Titel hat W. Plum seinem im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Sammelband mit gutem Grund gegeben.

  3. Siehe dazu vor allem: W. Wagner. Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie in den diplomatischen Verhandlungen während des Zweiten Weltkrieges, Stuttgart 1953; Quellen zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie in den diplomatischen Verhandlungen während des Zweiten Weltkrieges, hrsg. von G. Rhode und W. Wagner. Stuttgart 19592; G. Bluhm. Die Oder-Neiße-Linie in der deutschen Außenpolitik. Freiburg 1963; H. G. Lehmann. Der Oder-Neiße-Konflikt. München 1979.

  4. Immer noch grundlegend und unentbehrlich: Dokumentation der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße. Bd. 1, 1— 3. bearb. v. Th. Schieder, o. O. 1953/54 (unveränderter Nachdruck München 1984). Eine Übersicht gibt der Vf. in dem in Anm. 1 genannten Sammelwerk des G. Eckert-Instituts, S. 109— 134. Dort auch weitere Literaturangaben.

  5. Nach Pravda vom 31. Juli 1941. Text mit Übersetzung in: Quellen zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie (Anm. 3), Nr. 17, S. 26 f.

  6. Wortlaut in: Dokumente und Materialien zur Geschichte der polnisch-sowjetischen Beziehungen (polnisch). Bd. VIII, Januar 1944-Dezember 1945, Nr. 76. Warschau 1974, S. 158f. - Zur vorausgegangenen und folgenden Entwicklung in Polen siehe G. Rhode, Polen von der Wiederherstellung der Unabhängigkeit bis zur Ära der Volksrepublik 1918- 1970, in: Handbuch der europäischen Geschichte, hrsg. von Th. Schieder, Bd. 7, Stuttgart 1979, S. 978- 1061, vor allem S. 1040 ff.

  7. In: Dokumente (Anm. 6). Bd. VIII, Nr. 122, S. 221— 227.

  8. Verlauf und Schlußkommuniqu 6 in: Foreign Relations of the U. S. The Conference at Malta and Yalta 1945. Dept. of State Publication 6199, Washington 1955; das Kommunique ebd., S. 980.

  9. In: Foreign Realations (Anm. 9), S. 188— 234. Dort auch eine Karte mit den vier Lösungen A—D.

  10. Diese sind in deutscher Übersetzung Übersichtlich zusammengestellt in: Dokumentation der Vertreibung (Anm. 4), Bd. I. 3.

  11. Die offiziellen Texte zunächst im Amtsblatt des Alliierten Kontrollrates. Ergänzungsblatt Nr. 1, Berlin 1946. Sehr häufige Nachdrucke u. a. in: Potsdam 1945. Dokumente zur Politik der „Großen Drei“, hrsg. von E. Deuerlein, 1963.

  12. A. Klafkowski, Die Rechtsgrundlagen der Oder-Neiße-Grenze aufgrund der Abmachungen von Jalta und Potsdam, Poznan 1947. Vgl. auch M. Lachs, Die Westgrenze Polens. Recht — Tatsachen — Logik der Geschichte. Warschau 1967.

  13. In: United Nations Treaty Series, Bd. 10, Nr. 61, S. 194-198; Dokumente (Anm. 6), Bd. VIII, Nr. 314, 1974. S. 580 f.; deutsch in: Quellen zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie (Anm. 3), Nr. 162, S. 310ff.

  14. Dokumente (Anm. 6), Nr. 295, S. 513— 521. Eine deutsche oder englische Übersetzung dieses Memorandums liegt noch nicht vor.

  15. Vgl. dazu eingehend Th. Stoll. Die Rechtsstellung der deutschen Staatsangehörigen in den polnisch verwalteten Gebieten. Zur Integration der sogenannten Autochthonen in die polnische Nation. Frankfurt 1968. Mit Anführung der polnischen Gesetze und Dekrete. Siehe auch G. Geilke. Die Lösung der „Deutschen Frage“ im Lichte polnischer Gesetze, Hamburg 1954.

  16. Umfassend dazu das Sammelwerk: Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluß auf Gesellschaft. Wirtschaft. Politik und Geistesleben, hrsg. von Eugen Lemberg und Friedrich Edding. 3 Bde, Kiel 1959. Neuerdings: Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, hrsg. von R. Schulze. D. von d. Brelie-Lewin, H. Grebing, Hildesheim 1987.

  17. Dazu: W. Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter zum heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945— 1951, Göttingen 1985.

  18. Zur polnischen Siedlungsproblematik der Jahre 1945— 1955 vgl. Hans Joachim von Koerber, Die Bevölkerung der deutschen Ostgebiete unter polnischer Verwaltung. Eine Untersuchung der Bevölkerungsvorgänge und Probleme seit 1945. Berlin 1958.

  19. Vgl. dazu Dokumentation: Deutsch-polnische Begegnungen 1945— 1958. Eine Berichtsammlung, hrsg. vom Göttinger Arbeitskreis, Würzburg 1960.

  20. Seine schon im folgenden Jahr 1948 gleichzeitig in Großbritannien und in USA erschienenen, stellenweise etwas ausgeschmückten Erinnerungen: „The Rape of Poland“ bzw. „The Pattern of Soviel domination“ waren nicht dazu geeignet, irgendwelche Sympathien für die neuen Machthaber zu erwecken.

  21. Zbiör dokumentöw (Dokumentensammlung). Nr. 10, 1949. S. 839. Vgl. auch M. Tomala (Anm. 1), S. 18. 35.

  22. Vgl. u. a. L. Eising. Die Polenpolitik der SPD bis zum Warschauer Vertrag, Bonn 1981.

  23. Rocznik Statystacny (Statistisches Jahrbuch) 1957. S. 32 f. — Dort wird allerdings nicht von Deutschen gesprochen. sondern von Personen, die im August 1939 bereits dort wohnhaft waren. Da es aber in den genannten Gebieten 1939 keine Polen gab, können alle 1939 dort Wohnhaften als Deutsche angesehen werden.

  24. Diese und andere Äußerungen gesammelt in: Zeittafel der Vorgeschichte und des Ablaufs der Vertreibung sowie der Unterbringung und Eingliederung der Vertriebenen und Bibliographie zum Vertriebenenproblem. hrsg. vom Bundesministerium für Vertriebene, Bonn 1959, S. 37, 43.

  25. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. I. S. 349; B. Meissner. Das Ostpakt-System. Dokumentensammlung. Frankfurt 1955. S. 78.

  26. DDR (Anm. 27), Bd. I, S. 332, 334, 129; B. Meissner (Anm. 27), S. 76f.

  27. In der 68. Sitzung des Ersten Deutschen Bundestages vom 13. Juni 1950 gab Alterspräsident Lobe (SPD) im Namen aller Fraktionen mit Ausnahme der Kommunisten und mit Zustimmung der Bundesregierung eine Erklärung zur Vereinbarung vom 6. Juni über die „Friedensgrenze“ ab. Darin hieß es: „Das Gebiet (östlich der Oder und Neiße) bleibt ein Teil Deutschlands. Niemand hat das Recht, aus eigener Machtvollkommenheit Land und Leute preiszugeben oder eine Politik des Verzichts zu betreiben. Die Regelung dieser wie aller Grenzfragen Deutschlands, der östlichen wie der westlichen, kann nur durch einen Friedensvertrag erfolgen." Diese Erklärung wurde vom ganzen Haus mit Ausnahme der Kommunisten stürmisch begrüßt. Siehe Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode, 68. Sitzung, S. 2457-2459.

  28. Häufig gedruckt. Das Bundesministerium für Vertriebene gab noch 1950 eine Broschüre mit dem Text und allen Unterschriften in 19 Sprachen heraus.

  29. Vertrag zwischen der UdSSR und der Republik Polen (damals noch nicht „Volksrepublik“) vom 15. Februar 1951 mit Grenzbeschreibung und Protokoll in: Dokumente (Anm. 6), Bd. 10, 1982, Nr. 71 f„ S. 108-112. Deutsche Wiedergabe bei B. Meissner. Das Ostpakt-System, Frankfurt 1955. S. 53f.; siehe auch G. Rhode, Polnisch-sowjetischer Gebietstausch, in: Zeitschrift für Geopolitik, (1951) 22. S. 443 f.

  30. Zbiör Dokumentöw, Nr. 1, 1955. S. 297.

  31. Genaue Zahlenangaben über die Aussiedler seit 1951 u. a. bei G. Reichling. Die deutschen Vertriebenen in Zahlen. Teil I: Umsiedler. Verschleppte. Vertriebene. Aussiedler. 1940-1985. Bonn 1986. S. 42.

  32. Osteuropa-Handbuch: Polen, hrsg. von W. Markert, Köln-Graz 1959.

  33. Internationales Jahrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 5. Braunschweig 1956. In Bd. 7 (1958) befinden sich außer einer erweiterten Fassung Meyers auch die Übersetzungen der kritischen Stimmen aus Polen und aus der Emigration.

  34. Die Vertriebenen in Westdeutschland, (Anm. 18); vgl. auch die regelmäßigen Übersichten und Berichte des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Siehe auch: Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, Bonn 1982.

  35. Eingehend dazu Bernhard Grund. Das kulturelle Leben der Deutschen in Niederschlesien unter polnischer Verwaltung 1947— 1958, Bonn—Berlin 1967.

  36. Rocznik Statystyczny 1956, S. 316. Tabelle 17. Alle anderen Nationalitäten zusammen hatten zur gleichen Zeit 103 Grundschulen.

  37. Rocznik Statystyczny 1960, S. 335, Tabelle 21.

  38. Jahresbericht der Alexander von-Humboldt-Stiftung 1986. Bonn 1987, S. 128.

  39. Begegnung. Deutschland und sein Nachbar im Osten. Deutsch-polnische Kulturprobleme; ab Heft 2: West-östliche Begegnung. Deutschland und seine Nachbarn im Osten. Kulturprobleme, Jugendfragen; ab 1962 Europäische Begegnung.

  40. Das dritte Gespräch vom 21. bis 23. November 1958 hatte das Thema: „Deutsch-polnische Nachbarschaft als Problem und Aufgabe.“

  41. Siehe den Bericht des Verf. in: Ungewöhnliche Normalisierung (Anm. 1), S. 99— 106.

  42. Dazu L. Eising (Anm. 24) und Äußerungen des Parteivorsitzenden E. Ollenhauer über die Unrechtmäßigkeit der Oder-Neiße-Grenze, in: FAZ vom 9. Februar 1957.

  43. Dazu J. K. Hoensch. Initiativen gesellschaftlicher Gruppierungen in der Bundesrepublik Deutschland bei der Ausgestaltung der deutsch-polnischen Beziehungen, in: Die Beziehungen (Anm. 1). S. 55— 72.

  44. Deutsch-polnischer Dialog. Briefe der polnischen und deutschen Bischöfe und internationale Stellungnahmen, Bonn 1967.

  45. Siehe E. Cziomer. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutsch-

  46. Bulletin des Presse-und Informationsamtes, Nr. 109 vom 17. August 1970.

  47. Bulletin (Anm. 48) 1970, Nr. 171. S. 1815. Sonderausgabe. Dort auch die Ansprachen bei der Unterzeichnung und Wiedergabe zahlreicher früherer Äußerungen.

  48. Dokumente (Anm. 6). Bd. VIII. Nr. 327 vom 7. September 1945. S. 614. und Nr. 329, vom 25. September 1945, S. 616.

  49. Wortlaut in Bulletin (Anm. 49), Nr. 171. S. 1817.

  50. Darauf weist der polnische Diplomat W. Kulski, Germany and Poland. From War to Peaceful Relations (Anm. 1), S. 189, ausdrücklich hin.

  51. Das einschlägige Schrifttum umfaßt inzwischen eine kleine Bibliothek. Siehe vor allem: W. Jacobmeyer. Die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen in der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland. Dokumentation, Braunschweig 1979, und den Beitrag von W. Mertineit in: Ungewöhnliche Normalisierung (Anm. 1). S. 209-218.

  52. Siehe den Sonderdruck: Die Berlin-Regelung, hrsg. vom Gesamtdeutschen Institut. Bonn 1972. Neuaufl. 1975.

  53. Siehe die Wiedergabe der Verhandlungen des Deutschen Bundestages. 6. Wahlperiode, 171. — 173. Sitzung unter dem Titel: Erste Beratung der Ostverträge im Deutschen Bundestag am 23., 24. und 25. Februar 1972, hrsg. vom Presse-und Informationsamt der Bundesregierung.

  54. Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung 1972, Nr. 72.

  55. Seine 1985 nur auf polnisch erschienenen Memoiren .. Meine Mission am Rhein“ sind voller Anschuldigungen gegen nahezu alle deutschen Politiker einschließlich W. Brandt.

  56. Bulletin des Presse-und Informationsamtes vom 11. März 1976, S. 252-254.

  57. Siehe den ausführlichen Bericht eines Betroffenen: E. Vogelgesang, in: FAZ vom 18. Januar 1988.

  58. Der damalige stellvertretende Außenminister Romuald Spasonski schildert in seinem Buch: Abschied von Warschau, Bergisch-Gladbach 1986. S. 496 ff.. mit welchem Leichtsinn in der Planungskommission des Ministerrats viele Millionen Dollar für Fabriken verplant wurden, die eigentlich niemand brauchte.

  59. Bulletin des Presse-und Informationsamtes vom 12. Juni 1976.

  60. Bundesrepublik Deutschland - Volksrepublik Polen. Kulturelle Zusammenarbeit. Ein Bericht von W. Lipscher. Darmstadt 1982. Über weitere Aktivitäten berichtet das Sammelwerk: Ungewöhnliche Normalisierung (Anm. 1).

  61. J. J. Lipski. Zwei Vaterländer - zwei Patriotismen. Einführung von G. Rhode, in: Kontinent. 22 (1982).

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