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Neue Wege zur Sicherheit in den internationalen Beziehungen | APuZ 10/1988 | bpb.de

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APuZ 10/1988 Artikel 1 Europa nach dem INF-Abkommen Neue Wege zur Sicherheit in den internationalen Beziehungen Bilanz und Perspektiven des KSZE-Prozesses

Neue Wege zur Sicherheit in den internationalen Beziehungen

Max Schmidt

/ 43 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ausgehend von der historischen Bedeutung des INF-Abkommens wird festgestellt, daß eine Etappe der Konfrontation in den Beziehungen USA—UdSSR zu Ende geht, verbunden mit der weiteren Erwärmung des politischen Klimas in Europa. Der Beitrag verbindet dies mit der Herausarbeitung der Notwendigkeit eines komplexen Herangehens an Sicherheit und Zusammenarbeit, vor allem in Europa. Als hauptsächliche Faktoren, die ein neues sicherheitspolitisches Denken und Handeln erfordern, werden die militärische und ökologische Bedrohung des Überlebens der Menschheit, die Dringlichkeit der Beseitigung der Unterentwicklung und die Beherrschung der wissenschaftlich-technischen Revolution begründet. Dies mündet in die Aussage, daß die zunehmende Abhängigkeit weitgehende Schlußfolgerungen für den Inhalt von Sicherheit und das sicherheitspolitische Verhalten von Staaten erfordert. In acht Punkten werden diese Schlußfolgerungen zusammengefaßt, die darauf hinauslaufen, von konfrontativer Sicherheit — vor allem im Ost-West-Verhältnis — zu kooperativer Sicherheit überzugehen, bei der politische und ökologische Beziehungen den militärischen Faktor schrittweise in den Hintergrund drängen. Vom Verständnis neuen Denkens und Handelns als Methodologie der Gestaltung internationaler Angelegenheiten ausgehend, werden grundlegende Gedanken eines umfassenden Systems internationaler Sicherheit dargelegt, das von sozialistischen Staaten, den objektiv neuen Bedingungen entsprechend, als Angebot friedlicher Koexistenzbeziehungen im nuklear-kosmischen Zeitalter unterbreitet wird. Wesen und Komponenten eines solchen Systems (politisch, militärisch, ökonomisch-ökologisch, humanitär) werden aufgezeigt und als Ziel die Herstellung und Wahrung von Sicherheit für alle Staaten und Völker im Sinne von gesicherten gesellschaftlichen und natürlichen Existenzbedingungen für die gesamte Menschheit begründet.

Einleitung

Der 8. Dezember 1987 war zweifelsohne ein weltpolitisch sehr bedeutsamer Tag — mit der Unterzeichnung des sowjetisch-amerikanischen Vertrages über die globale Eliminierung der landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketen beider Seiten, des ersten Abkommens über die Abrüstung von Kernwaffen.

Auch für uns in der DDR ist das Abkommen ein historischer Meilenstein auf dem Weg zu weiterer Abrüstung, zu einer sicheren und in der Perspektive kernwaffenfreien Welt. Es zeigt, daß ein solches Ziel keine Illusion ist. daß man sich aber auch über die Schwere, Kompliziertheit und Langwierigkeit des Weges dahin keine Illusionen machen darf.

Es sind zwei Klassen technisch hochentwickelter Raketen mit nuklearen Sprengköpfen zur Vernichtung vorgesehen — 2 600 landgestützte Raketen, etwa vier Prozent des nuklearen Potentials. Ihre Herstellung und Erprobung ist verboten. Vom Potential her erscheint die quantitative Seite gering, doch werden zum ersten Mal in der Geschichte der Nuklearwaffen Systeme vernichtet (auf beiden Seiten). bevor sie angewendet werden. Hoch ist der politische und psychologische Aspekt zu messen; Abrüstung ist machbar, Abrüstungserfahrungen werden gesammelt. Äußerst bedeutsam ist die Regelung der Kontrollfrage. Sie ist in ihrer Neuartigkeit, dem Umfang, der Art und Weise, der Rechte und Pflichten der Beteiligten, der Dauer, der Formen und Methoden, der territorialen Geltung, der rechtlichen — auch völkerrechtlichen — Ausgestaltung in der Geschichte präzedenzlos. Sie bestätigt: Für tatsächliche Abrüstungskontrolle muß sie so klar, genau, umfassend und sicher sein wie nur irgend möglich und nötig. Kontrolle an sich — ohne materiellen Gegenstand — ist irrelevant. Die Verifikationsregelung wird beispielgebend für weitere nukleare und konventionelle Abrüstungsschritte sein; dies ist ein wirklicher Erfolg.

Von perspektivischer Bedeutung sind die prinzipiellen Übereinkünfte von Washington — über die Erzielung eines Abkommens zur 50prozentigen Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen beider Großmächte;

— über die Schaffung einer Übereinkunft zur inhaltlichen und zeitlichen Geltung des ABM-Vertrages; — über weitere Verhandlungen zur Frage der Kernwaffenversuche;

— über die Intensivierung der Ausarbeitung einer Konvention zum Verbot und der Vernichtung der C-Waffen.

Als bedeutsam für die weitere Gestaltung der internationalen Beziehungen sind die Fortschritte im Hinblick auf die Regelung regionaler Konfliktprobleme anzusehen. Daraus ergibt sich insgesamt, daß der Washingtoner Gipfel die Möglichkeit einer prinzipiellen Verbesserung der Ost-West-Beziehungen eröffnet, deren Achse selbstverständlich die Beziehungen USA — UdSSR sind und meines Erachtens auch bleiben. Ich möchte aus meiner Sicht sagen, daß eine Etappe der Konfrontation zu Ende geht und dies zugleich auch mit der weiteren Erwärmung des europäischen Klimas, einem Klima der Spannungsminderung auf unserem Kontinent, verbunden ist. Jeder kann die Entwicklung des politischen Dialogs verfolgen (etwa der DDR gegenüber der Bundesrepublik, Frankreich. Holland, Belgien oder der Bundesrepublik gegenüber Polen, UdSSR, CSSR — um nur einige Beispiele zu nennen). Für uns ist selbstverständlich klar, daß die Aufgabe.dem Rüstungsbegrenzungs-und Abrüstungsprozeß Dynamik zu verleihen, die politische Verantwortung der Europäer und der europäischen Staaten und Regierungen in besonderer Weise anspricht. Wir sind ja nicht nur Zuschauer, sondern direkt Betroffene. Darauf wird noch weiter einzugehen sein.

Wir verengen die Ost-West-Beziehungen keineswegs auf die militärische Seite, auch wenn wir der Abrüstung höchste Priorität einräumen, weil die Bedrohung des Überlebens so groß ist. Sicherheit und Zusammenarbeit haben umfassenden Charakter. Und ein hervorstechendes Merkmal der intensivierten Diskussion um Sicherheit besteht heute gerade darin, daß sich ein komplexes Herangehen an diese Kategorie herauszubilden und durchzusetzen beginnt. Dabei geht es darum, über die traditionelle Herangehensweise hinauszukommen, nicht nur die militärischen Aspekte zu sehen, sondern auch die politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und humanitären Aspekte der Beziehungen zwischen den Staaten zu berücksichtigen.

Meines Erachtens ist ein komplexer, umfassender Ansatz für Sicherheit ein notwendiger geistiger und politischer Reflex auf die objektive Realität, auf den umfassenden Charakter der grundlegenden Sicherheitsprobleme unserer Zeit und ihren inneren Zusammenhang. Letztlich ist es die aus dem qualitativen Entwicklungsniveau und der sich beschleunigt vollziehenden Internationalisierung der modernen Produktivkräfte sich ergebende Komplexität der heutigen Welt, die ein entsprechendes Herangehen an die Kategorie Sicherheit, eben eine komplexe Sicherheitspolitik zwingend erforderlich macht.

I. Welches sind die hauptsächlichen Faktoren, die ein neues sicherheitspolitisches Denken und Handeln erfordern?

Die militärische Bedrohung des Überlebens der Menschheit Die existentielle Hauptgefahr oder die Gefahr einer Selbstvernichtung der Menschheit geht von den Kernwaffen aus. Schon den Einsatz eines kleinen Teils der heute in der Welt angehäuften nuklearen Massenvernichtungsmittel würde die menschliche Zivilisation nicht überleben. Dies ist bekannt. Hinzu kommt, daß die heutigen atomaren Streitkräfte ein hochgradiges Risiko der Selbstaktivierung (durch menschliches oder technisches Versagen) aufweisen, das sich durch die fortschreitende Computerisierung und Automatisierung des Gesamtverbundes strategischer Waffen (land-, luft-und seegestützte Kernwaffeneinsatzmittel; globale Aufklärungs-, Kommunikations-und Feuerleitsysteme u. a. m.) weiter ausprägt. Von sehr vielen und ganz unterschiedlichen, sich z. T. antagonistisch gegenüberstehenden sozialen Kräften wird die Gesamtsituation auf unserem Planeten als in wachsendem Maße unsicher, d. h.der Grad an real gegebener Sicherheit als abnehmend empfunden. Heute besteht ernster Anlaß zu einer Warnung, wie sie der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR. Erich Honecker, auf dem XI. Parteitag der SED ausgesprochen hat: „Die Situation in der Welt könnte dahin gelangen, daß sie von Vernunft und Willen der Politiker nicht mehr abhängen würde.“ 1)

Für den europäischen Kontinent geht eine vergleichbare Überlebensbedrohung auch von den konventionellen Streitkräften und Rüstungen aus: „Sogar ein . gewöhnlicher* Krieg wäre hier vernichtend. Nicht nur deshalb, weil die heutigen . gewöhnlichen* Waffen um ein vielfaches zerstörerischer sind als die im Zweiten Weltkrieg eingesetzten, sondern auch, weil es in Europa etwa 200 Kernkraftwerksblöcke und ein verzweigtes Netz großer Chemiebetriebe gibt, deren Zerstörung ein Leben auf dem Kontinent unmöglich machen würde.“

Schließlich muß auch folgendes im Auge behalten werden: Angesichts des heute bestehenden militärischen Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West ist die Gefahr einer vorsätzlichen Auslösung eines militärischen Konfliktes zwischen beiden Seiten relativ gering, aber er könnte dennoch ausbrechen — z. B. durch Übergreifen eines regionalen Krieges aus dem Bereich der „Dritten Welt“ auf unseren Kontinent. 2. Die Bedrohung durch Kriegführungsabsichten Es muß die Feststellung getroffen werden, daß die Waffen allein nur einen Teil der militärischen Überlebensbedrohung der Menschheit ausmachen. Ein anderer — nicht weniger gefährlicher — resultiert daraus, daß es nach wie vor Kräfte gibt, die sich in ihrer Strategie und Politik davon leiten lassen, daß militärische Drohung und Gewaltanwendung ein nutzbares Mittel zur Erreichung politischer Ziele bleibt und daß Krieg (mindestens in Gestalt sogenannter Konflikte geringer Intensität im Bereich der Entwicklungsländer auch in Zukunft erfolgreich geführt werden kann.

Eine Herausforderung für neues sicherheitspolitisches Denken und Handeln auf allen Seiten — bei den Verbündeten der USA in Westeuropa wie bei uns in den sozialistischen Staaten — stellt jene Denkschrift dar, die kürzlich von namhaften USA-Experten dem US-Präsidenten übergeben wurde, jene auf „verfeinerte Abschreckung“ zielende Studie über eine „integrierte Langzeitstrategie“. Da wird einerseits sichtbar, daß die Furcht vor dem nuklearen Holocaust infolge eines umfassenden Kernwaffenkrieges nicht mehr wegzuschieben ist. Doch führt dies nicht etwa zur Absage an den Krieg, sondern zur Suche danach, mit neuen, punktgenauen Kernwaffen, mit mobilen Streitkräften, mit der Einführung von Präzisionswaffen die Fähigkeit zurückzugewinnen, begrenzte Kriege zu führen und zu gewinnen — auch mit „rationierten atomaren Mitteln“, wie ein Kommentator in der Bundesrepublik Deutschland schrieb

Ich halte dies in einer Zeit, da alle vernünftigen Kräfte überlegen, wie ein atomares Inferno verhindert werden kann, für eine gefährliche Perversion des Denkens, die zu irrationalem Handeln führen kann. 3. Die ökologische Bedrohung des Überlebens der Menschheit Hier ist im Verlaufe des 20. Jahrhunderts ein mittel-und längerfristig nicht minder gravierendes Problem entstanden, das als solches erst seit relativ kurzer Zeit (und noch keineswegs überall in ausreichendem Maße) wahrgenommen wird — die Notwendigkeit der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen unserer Zivilisation, d. h.des Schutzes und der Regeneration unserer Umwelt.

Die primäre Gefahrenquelle, die eine Zerstörung der Umwelt im globalen Maßstab in allerkürzester Zeit herbeiführen könnte, liegt im militärischen Bereich. Eine zweite Hauptgefahrenquelle könnte in der Konsequenz allerdings die gleichen Folgen zeitigen: Sie wurzelt im Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur. Dessen Dimensionen, die weiter wachsen werden, sind mittlerweile so. daß die daraus resultierenden Belastungen der Natur im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts die der gesamten vorangegangenen Menschheitsgeschichte um das Drei-bis Vierfache übersteigen werden. Illusionen sind hier ebenso fehl am Platze wie Weltuntergangsprophezeiungen. Nicht verkannt werden darf jedoch die existentielle strategische Tragweite der entstandenen Probleme und der irreversible Charakter zahlreicher umweltschädigender Folgen zivilisatorischer Prozesse.

Das Ausmaß und die Dringlichkeit der militärischen und ökologischen Bedrohung der natürlichen und sozialen Existenzgrundlagen der menschlichen Zivilisation rechtfertigen es meiner Auffassung nach, sie als unmittelbare Überlebensprobleme und damit als existentielle Sicherheitsherausforderungen der gesamten Menschheit anzusprechen. Dazu zählen auch eine Reihe weiterer globaler Probleme. 4. Die Unterentwicklung der meisten Staaten der „Dritten Welt“ und die daraus resultierende zunehmende Verelendung der dortigen Völker Die Unterentwicklung mit ihren sozialen, ja physischen Konsequenzen — vor allem in Gestalt von Hunger — stellt für aberhundert Millionen Menschen eine permanente und für sie die akuteste Bedrohung ihres Überlebens dar. Die Verschärfung der Probleme vollzieht sich in dieser Hinsicht mit geradezu dramatischer Dynamik — gegenwärtig vor allem infolge der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer. Diese sind dadurch zu einer virulenten Quelle potentiell globaler Störfaktoren geworden, die von einer Zerrüttung der Weltwirtschaftsbeziehungen bis zu gesellschaftlichen Eruptionen und lokalen wie regionalen militärischen Konflikten reichen und zu verhängnisvollen Folgen für die ganze Welt führen können. Diese Probleme gleichen im Hinblick auf Sicherheit dem Charakter von tickenden Zeitbomben. 5. Die weitere Entwicklung und Beherrschung der wissenschaftlich-technischen Revolution Dieser Komplex hängt praktisch mit allen bisher genannten Fragen zusammen, geht aber z. T. noch darüber hinaus. Zum einen erhöht die militärische Ausnutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts die Vernichtungsgefahr für die Menschheit weiter. Hinzu kommt, daß im Zuge der wissenschaftlich-technischen Revolution eine Reihe von Technologien entstanden ist — und diese Entwicklung wird sich weiter ausprägen —, die, wenn sie außer Kontrolle geraten, ebenfalls existentielle Risiken für die Menschheit in sich bergen. Dazu zählen neben der Kernenergie die moderne Chemieindustrie ebenso wie die Gentechnologie u. a. m. Andererseits hängt der künftige soziale und zivilisatorische Fortschritt aller Staaten und Völker mehr und mehr direkt von ihrer gleichberechtigten Partizipation an den Ergebnissen der wissenschaftlich-technischen Revolution ab. Der Grad der internationalen wirtschaftlichen Arbeitsteilung vertieft sich weiter. Es hat sich objektiv ein Trend zur Entstehung von Weltproduktivkräften herausgebildet — zunächst im Rahmen der beiden Weltwirtschaftssysteme, aber bereits auch mit spürbaren Interdependenzen und Interaktionen zwischen ihnen. Der Anteil der internationalen Wirtschaftsbeziehungen (ohne Kapitalexport und -import) am Welt-13 Sozialprodukt beträgt gegenwärtig ca. 25 Prozent — mit steigender Tendenz. Im ökonomischen Bereich ist heute objektiv ein Stand erreicht, wo alle Staaten der Welt — wenn auch in sehr differenzierter Weise — von funktionierenden Außenwirtschaftsbeziehungen abhängig sind und wo für die meisten Entwicklungsländer und Industriestaaten der ungehinderte Zugang zu den Weltmärkten und die gesicherte Möglichkeit von Rohstoff-, Energie-und Nahrungsmittelbezügen auch Probleme von strategischer und sicherheitspolitischer Bedeutung sind.

Alle diese Fragen — die Überlebensprobleme der Menschheit wie die anderen globalen Herausforderungen — bündeln sich, wie der Generalsekretär des ZK der KPdSU. Michail Gorbatschow, sagt, zu einer „höchst wichtigen Realität unserer Zeit, . . Ich meine die nie dagewesene Vielfalt der Welt und die zugleich wachsende gegenseitige Abhängigkeit in ihr sowie ihre immer stärker ausgeprägte Unteilbarkeit. Sie wird geeint nicht nur durch die Internationalisierung im Wirtschaftsleben .... sondern auch durch die gleiche Gefahr eines nuklearen Todes, einer ökologischen Katastrophe sowie eines globalen Ausbruchs der Widersprüche zwischen Armut und Reichtum in ihren verschiedenen Regionen.“ Und all diese Fragen existieren, was in erheblichem Maße die eigentliche Komplexität der heutigen Weltsituation ausmacht, nicht neben-, sondern in einem unauflösbaren inneren Zusammenhang miteinander, der darin besteht, daß sie — die grundlegenden Lebensinteressen aller Staaten, Völker und Klassenkräfte in der Welt berühren bzw. gefährden;

— letztlich alle, und zwar weitgehend parallel, gelöst werden müssen, wenn die Menschheit eine gesicherte Zukunft haben soll;

— hinsichtlich einer unabdingbaren Prämisse für ihre Lösung direkt miteinander verknüpft sind. Diese Prämisse besteht in der Beendigung des Wettrüstens und im Übergang zur Abrüstung.

Es ist heute für sicherheitspolitisches Denken und Handeln unerläßlich, die Einheit der Welt und die zu ihrer Erhaltung notwendigen Erfordernisse zum vorrangigen Ausgangs-bzw. Bezugspunkt zu machen. Dies bedeutet weder Auflösung noch Negierung der existierenden und sich z. T. verschärfenden Widersprüche, einschließlich des Widerspruchs zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Doch es muß dem objektiven Sachverhalt Rechnung getragen werden, daß sich die Entwicklung der Welt nicht nur im Kampf der Gegensätze vollzieht, sondern zugleich in ihrer Einheit. Politische Verantwortung gebietet es zu verhindern, daß der Kampf der Gegensätze zum Untergang unserer in vielem ganzheitlichen Welt führt.

Dieser politischen Auffassung in sozialistischen Staaten entspricht paralleles Denken vieler Wissenschaftler, Politiker, Geschäftsleute und Staatsmänner westlicher Länder. Der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Hans-Dietrich Genscher. hat wiederholt davon gesprochen, „daß wir eine Überlebensgemeinschaft sind“ und „wirksame Strukturen kooperativer Sicherheitspolitik“ gefordert. Der Abrüstungsexperte der SPD. Egon Bahr, erklärte in einem Interview: „Die Globalität unserer Probleme nimmt zu. Sie überspringt Grenzen und Systeme. Das gilt für Umweltfragen oder Öl-Probleme ebenso wie für Aids oder Tschernobyl. Die Bewohner des globalen Dorfes müssen sich arrangieren, weil sie Partner des Überlebens werden. also des Lebens. Das ist der Kem des Neuen Denkens, das wir global brauchen.“ Schließlich sei noch der US-Außenminister Shultz zitiert, der nach der Unterzeichnung des INF-Abkommens — an Michail Gorbatschow gerichtet — erklärte: „Das nukleare Zeitalter gebietet, daß wir trotz tiefgreifender Differenzen gemeinsam handeln. Wie Sie. Herr Generalsekretär, in Ihrem Buch geschrieben haben, gibt es keine Möglichkeit, voneinander los-zukommen.“

Aus dem Gesamtkontext — den Überlebens-und anderen globalen Problemen sowie ihrem inneren Zusammenhang — ist m. E. mit Notwendigkeit die Schlußfolgerung zu ziehen, daß ein komplexes, umfassendes Herangehen an die Fragen der nationalen und internationalen Sicherheit zwingend erforderlich geworden ist. Dieser Gesamtkontext determiniert. daß Sicherheit heute militärische, politische und ökonomische Dimensionen hat und zu dem humanitären Problem schlechthin geworden ist. Auf den humanitären Aspekt ist nicht zuletzt insbesondere deshalb zu verweisen, weil alle angesprochenen Probleme nicht aus dem Nichts, sondern durch menschliche Tätigkeit — in hohem Maße durch das Gegeneinanderagieren von Staaten und sozialen Kräften — entstanden sind. Überwunden werden können sie ebenfalls nur durch menschliches Tun. das allerdings eine andere Qualität erlangen und durch allseitiges zielgerichtetes Zusammenwirken unterschiedlicher Staaten und sozialer Kräfte zur Lösung der entstandenen Probleme gekennzeichnet sein muß.

II. Welche Schlußfolgerungen sind für den Inhalt von Sicherheit und das sicherheitspolitische Verhalten von Staaten zu ziehen?

Äußere bzw. nationale Sicherheit von Staaten (und ihrer Bevölkerung) könnte man im allgemeinsten Sinne als einen Zustand ungefährdeter physischer, politischer, ökonomischer und kultureller Existenz und Entwicklung, d. h. als Freiheit von Bedrohungen — seien sie militärischer oder anderer Art — durch andere Staaten, als Freiheit zur Eigenentwicklung gemäß den den Gesellschaften innewohnenden Gesetzmäßigkeiten und auf der Basis des freien Selbstbestimmungsrechts der Völker definieren; Sicherheitspolitik demzufolge als Gesamtheit der strategischen und taktischen Grundsätze. Instrumente und Handlungen staatlicher Politik, die darauf gerichtet sind, einen solchen Zustand zu erreichen. Doch sei hier bereits vermerkt, daß diese Definition eine Reihe neuer Fragen und Probleme noch nicht erfaßt, die sich aus den Bedingungen des nuklear-kosmischen Zeitalters und der Notwendigkeit zur Lösung der globalen Probleme der Menschheit ergeben. Außerdem ist Sicherheit bis heute einer der umstrittensten Begriffe. Es ist sehr schwierig, in den internationalen Beziehungen konsensfähige und politisch handhabbare Auffassungen über Sicherheit zu erreichen.

Dem traditionellen, über Jahrhunderte praktizierten Herangehen an die Frage der Sicherheit lag und liegt nämlich ein Verständnis zugrunde, das einen derartigen Konsens sehr erschwert oder sogar ausschließt: Nach diesem Verständnis wurde Sicherheit in starkem Maße als überwiegend militärisches Problem (noch heute wird der Begriff der militärischen Sicherheit schlechthin verwendet) und demzufolge als Schutz vor der anderen Seite und als Fähigkeit zu deren Abwehr, vor allem im Falle eines militärischen Konflikts, verstanden. Dies könnte man als einseitige, konfrontative oder antagonistische Sicherheit bezeichnen. Die darauf fußende Sicherheitspolitik hat sich aus heutiger Sicht weitestgehend darauf beschränkt. Bedrohungen unter Kontrolle zu halten, und zwar im militärischen Bereich vor allem durch den Aufbau von Gegen-drohungen. Eine Folge davon war. daß die bisher angewendeten Mittel der Friedenssicherung zwar die nukleare Katastrophe verhindern konnten, zugleich aber das Bedrohungspotential immer weiter anwuchs. Ansätze zu einer Beseitigung gerade von militärischen Bedrohungen hat es vor allem von Seiten der sozialistischen Staaten immer wieder gegeben. Sie beginnen erst in jüngster Zeit substantiell zum Tragen zu kommen, da sich beide Seiten zu Kompromissen bereitfinden, wie das INF-Abkommen zeigt.

Es gibt noch eine zweite prinzipielle Schwierigkeit, auf die die Suche nach einem — auch zwischen Ost und West — konsensfähigen Sicherheitsbegriff stößt. Theoretisch läßt sich der Begriff Sicherheit zwar weitgehend objektivieren, d. h. in seinem Inhalt. Die Konsequenzen einer rein militärischen Betrachtung von Sicherheit sind vielfältig: permanentes zwischenstaatliches Mißtrauen, gegenseitiges militärisches Sich-Belauern. dauernde Anstöße zu neuen Rüstungen, nur begrenzte Spielräume für Zusammenarbeit usw. Ein Hinausgehen über das traditionelle Sicherheitsverständnis, vor allem ein sicherheitspolitischer Übergang vom Unter-Kontrolle-Halten von Bedrohungen zu deren Beseitigung, erscheint auf dieser Grundlage unmöglich.

Genau dies ist aber heute unabdingbar geworden, denn das traditionelle Sicherheitsverständnis hatte seine Berechtigung im Ost-West-Verhältnis nur solange, wie — eine darauf fußende Sicherheitspolitik die angestrebten Ziele (Schutz vor äußerer Bedrohung, Gewährleistung der Freiheit zur Eigenentwicklung) auch im Falle extremer Gefährdung, d. h. im Krieg, erreichen konnte und — es zugleich keine existentiellen Sicherheitsrisiken gab, die sich nicht aus der sozialökonomischen und politischen Gegnerschaft zur anderen Seite ergaben.

Mit dem Auftreten gattungsgefährdender Überlebensprobleme und einer Reihe weiterer globaler Fragen sind diese beiden Prämissen jedoch grundlegend verändert worden. Unter den Bedingungen der Existenz gewaltiger Bestände an nuklearen Massenvernichtungsmitteln in Ost und West besteht für den Fall eines militärischen Konflikts für keine Seite mehr die Möglichkeit zum Schutz bzw. zur Wiederherstellung der Sicherheit. Dem Sicherheitsproblem ist damit auf traditionelle Weise nicht mehr beizukommen. Zum anderen sind beide Seiten heute mit neuen existentiellen Risiken konfrontiert, die weder ursächlich aus dem Ost-West-Konflikt resultieren noch über diesen gelöst werden können.

Aus diesem objektiven Sachstand sind eine Reihe von grundlegenden Schlußfolgerungen für das Herangehen an das Problem der Sicherheit zu ziehen, denen eine Sicherheitspolitik, die unter den heutigen Bedingungen diesen Namen verdient, Rechnung tragen sollte. Daher verstehen sich die folgen-15 den Gedanken als Beitrag zur sicherheitspolitischen Diskussion:

Erstens: Zu konstatieren ist ein prinzipiell veränderter Zusammenhang von Sicherheit und Frieden — beide bedingen sich heute auf eine neue Art und Weise. Sicherheit ist nur noch im Frieden möglich, weil militärische Konflikte die Gefahr vollständiger physischer Vernichtung, d. h.des irreversiblen totalen Sicherheitsverlustes, in sich bergen. C. F. von Weizsäcker hat in einem sehr komplexen Sinne recht, wenn er vermerkt: „Der Weltfriede wird zur Überlebensbedingung der Menschheit in einer technischen Zivilisation.“

Frieden andererseits — das ist die zweite Seite dieser Medaille — wird dauerhaft nur zu erhalten sein, wenn alle Seiten über gleiche Sicherheit verfügen. Es geht dabei in diesem Kontext nicht um Frieden schlechthin. Man muß die klare Feststellung treffen. daß der heutige bewaffnete Frieden zwischen Ost und West, der in seinem Wesen entscheidend durch ein extrem hohes, durch das fortgesetzte Wettrüsten mit zunehmender Instabilität behaftetes Niveau der militärischen Konfrontation gekennzeichnet ist.den Anforderungen an dauerhafte und zukünftige Sicherheitsgewährleistung nicht mehr gerecht werden kann, vielmehr beiden Seiten lediglich ein gleiches Maß an Unsicherheit beschert. Tatsächliche Sicherheit wird demgegenüber nur durch Kursnahme auf einen entmilitarisierten Frieden zu erreichen sein.

Zweitens: Die heute objektiv bestehende, sich weiter vertiefende gegenseitige Abhängigkeit der Staaten und Völker der Welt in den Fragen des Über-lebens bedingt, daß einerseits Sicherheit auf der Basis des traditionellen Herangehens — d. h. einseitige, konfrontative Sicherheit — nicht mehr zu erlangen ist und daß andererseits kein Staat, auch der mächtigste nicht und ebenso keine Staaten-gruppe, mehr in der Lage ist. Sicherheit auf sich allein gestellt zu erringen. Das gilt für die militärischen Aspekte der Sicherheit ebenso wie für die ökologischen, für die mit modernen Technologien zusammenhängenden Sicherheitserfordernisse und für zahlreiche weitere Probleme. Die zwingend sich daraus ergebende Schlußfolgerung lautet: Die wachsende gegenseitige Abhängigkeit der Staaten fordert die Gewährleistung ihrer gemeinsamen Sicherheit. die exakte Anerkennung der unbestreitbaren Tatsache, daß die Bedingung für die Sicherheit eines Staates die Sicherheit der anderen ist. Die Frage lautet schon nicht mehr, ob eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West möglich ist — worüber oft noch heftig debattiert und was von nicht wenigen verantwortlichen Politikern im Westen nach wie vor bestritten wird. Diese Sicherheitspartnerschaft ist objektiv notwendig, seit beide Seiten vor der Alternative stehen: gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen.

Die Frage lautet, ob dies begriffen und politisch adäquat umgesetzt wird. Die DDR und die anderen sozialistischen Staaten haben eine grundsätzliche Schlußfolgerung daraus gezogen. So erklärte Erich Honecker bereits vor einigen Jahren: „Wir teilen .. . die Auffassung, daß die Idee der Friedens-partnerschaft, der Sicherheitspartnerschaft von außerordentlich großer Bedeutung“ ist. Ähnlich haben Arbeitsgruppen von PVAP und SPD gemeinsame Sicherheit und Sicherheitspartnerschaft als möglich und notwendig definiert. Das Umsetzen dieser Erkenntnis kann dabei unseres Erachtens nur bedeuten, alle Bestrebungen aufzugeben. Sicherheit konfrontativ erlangen zu wollen, und nach Wegen kooperativer Sicherheitsgewährleistung zwischen Ost und West zu suchen. „Sicherheit durch Zusammenarbeit“, auf diese zutreffende Verkürzung brachte es der italienische Außenminister Giulio Andreotti bei der Eröffnung des Wiener KSZE-Nachfolgetreffens Die grundlegende Formel kann dabei nur lauten: Sicherheit durch systemübergreifende Abrüstung und allseitige Zusammenarbeit zur Lösung der Überlebensprobleme der Menschheit und der anderen Sicherheitsfragen. Mit ihrem Abrüstungsprogramm für Nuklearwaffen. für die Beseitigung der C-Waffen, für drastische Reduzierung der konventionellen Waffen und Streitkräfte und für die Verhinderung der Weltraummilitarisierung sowie für ein umfassendes internationales Sicherheitssystem — worauf noch einzugehen sein wird — haben die sozialistischen Staaten in den letzten zwei Jahren aus dem neuen Herangehen die Schlüsse gezogen. Diese Angebote tragen dem Sachverhalt Rechnung, daß im Verhältnis zwischen Ost und West der potentielle militärische Gegner objektiv zu einem unerläßlichen Partner im Ringen um die Lösung der Überlebensprobleme der Menschheit, um Frieden und Sicherheit geworden ist und als solcher auch begriffen und in seiner Verantwortung für das Schicksal unserer Zivilisation konstruktiv angesprochen werden muß.

Drittens: Dies leitet zu der Fragestellung über, in welchem Verhältnis Sicherheit und Systemauseinandersetzung heute stehen. Diese Auseinandersetzung als zentrale Achse der internationalen Beziehungen unserer Epoche wurzelt objektiv im Anta-gonismus zwischen Kapitalismus und Sozialismus, und sie verschwindet nicht, weil sich die Rahmenbedingungen der Sicherheit der Staaten und Völker verändert haben. Doch während die Antipoden in der Systemauseinandersetzung bisher Sicherheit voreinander und im wesentlichen durch Kampf gegeneinander gesucht haben, besteht heute die Notwendigkeit. Sicherheit miteinander durch Zusammenarbeit im Wettbewerb zu suchen. Zum neuen Sicherheitsdenken gehört die Erkenntnis, daß der Wettbewerb und der Wettstreit der beiden Systeme zu einer engeren Kooperation bei der Lösung der gesamtmenschlichen Probleme führen muß, daß die Unterschiede zwischen den beiden Gesellschaftssystemen im nuklearkosmischen Zeitalterdas Zusammenwirken nicht nur nicht ausschließen, sondern dieses sogar zu einer unerläßlichen Voraussetzung machen.

Viertens: Das traditionelle Sicherheitsverständnis betrachtete Sicherheit primär als nationales Problem bzw. als national (entweder autark oder im Bündnis mit gleichgesinnten Staaten) lösbares Problem. Die Frage nach der internationalen Sicherheit wurde demgegenüber in der Regel als abgeleitete, letztlich untergeordnete Problematik aufgefaßt und behandelt. Auch hier ist ein fundamentaler Wandel eingetreten. Konnte man früher die Auffassung vertreten, internationale Sicherheit (regional oder global) herrsche dann, wenn alle Staaten über nationale Sicherheit verfügen, so würde ein derartiges Herangehen heute übersehen, daß die grundlegenden Sicherheitsprobleme — jene, die mit den Über-lebensfragen der Menschheit verbunden sind — national nicht mehr lösbar sind, auch nicht im Verbund mit gleichgesinnten Staaten. Unter den gegenwärtigen Bedingungen wird nationale Sicherheit in Frage gestellt, wenn sie sich nicht in den Rahmen der internationalen Sicherheit einpaßt.

Fünftens: Im traditionellen Herangehen an die Fragen der Sicherheit wurde und wird der militärische Faktor als Hauptinstrument, ja als das entscheidende Mittel schlechthin zur Gewährleistung von Sicherheit betrachtet. Dies vermag der militärische Faktor in Zukunft nicht mehr zu leisten, was sich allein daraus ergibt, daß er im Falle eines militärischen Ost-West-Konfliktes keiner Seite mehr eine Handhabe zur Wiederherstellung ihrer Sicherheit geben, daß sein Einsatz vielmehr zur Zerstörung all dessen führen würde, was mit seinem Einsatz geschützt werden soll.

Die militärische Paralysierung von Waffenpotentialen der einen Seite durch quantitativ oder optionsadäquate Potentiale der anderen Seite hebt die bestehenden Bedrohungen selbst unter den Bedingungen eines annähernden militärischen Gleichgewichts nicht auf. sondern vergrößert sie im Falle von Rüstungseskalation letztlich sogar. Durch die Blockierung immenser Mittel, die der Lösung anderer globaler Fragen entzogen werden, verschärfen sich darüber hinaus Sicherheitsprobleme auf nicht-militärischen Gebieten. Da ein einseitiger Ausstieg aus diesem Mechanismus nicht möglich ist — er würde angesichts des Systemantagonismus zwischen Ost und West einer Selbstaufgabe gleichkommen —. ist infolgedessen eine gemeinsame Entmilitarisierung der Sicherheitspolitik zwingend erforderlich geworden. Sicherheit hat heute beiderseitige Abrüstung, einen auf diese Weise zu erreichenden Abbau offensivfähiger Militärpotentiale und den Verzicht auf militärstrategische Grundsätze, die nicht strikt defensiv orientiert sind, zur Voraussetzung! Da allseitige und vollständige Abrüstung jedoch weder rasch noch in wenigen Schritten zu erreichen sein wird, stellt sich die Frage, ob es ein realistisches Etappenziel auf dem Wege dorthin gibt und welche Prioritäten dabei zu setzen sind. Meiner Auffassung nach lassen sich beide Aspekte dieser Frage beantworten. wenn man von der Zielstellung ausgeht, daß Abrüstung primär das Problem der militärischen Bedrohung des Überlebens der Menschheit zu lösen und damit den entscheidenden Beitrag zur Überleitung des heutigen vorrangig konfrontativen Systems der internationalen Beziehungen in einen Zustand gemeinsamer Sicherheit zu leisten hat. Von diesem Ausgangspunkt her erscheint es als eine effektive, konsensfähige Orientierung, anzustreben. die Militärpotentiale in Ost und West auf ein Maß vernünftiger Hinlänglichkeit zu begrenzen, das die Möglichkeit ausschließen müßte, sie als Angriffspotentiale. als Mittel zur militärischen Aggression zu nutzen Der Leitgedanke muß dabei sein, daß die Eliminierung der Massenvernichtungsmittel keinesfalls eine Rückkehr zur Vergangenheit bringen darf, nämlich zur Führbarkeit konventioneller Kriege.

Um dies erreichen zu können, ist es notwendig, ein unter bürgerlichen Politikern und Militärs weit verbreitetes. aber den heutigen Bedingungen nicht mehr entsprechendes Verhältnis zu nuklearen Massenvernichtungsmitteln zu überwinden. Während von vielen politischen Kräften des Westens nukleare Abschreckung zunehmend in Frage gestellt wird, sind auf der Wehrkundetagung in München 1988. wo im übrigen diese Ablehnung auch artikuliert wurde, die „wachsende Nuklearallergie“ des Westens durch den gegenwärtigen NATO-Oberbefehlshaber Calvin beklagt und im Verein mit dem US-Verteidigungsminister Carlucci die Modernisie-rung von Nuklearwaffen für unverzichtbar erklärt worden; übrigens im Widerspruch zu Auffassungen einer Reihe von Politikern der Bundesrepublik Deutschland

Sechstes: Das bisher Gesagte führt zu der — wenn auch nicht neuen, so doch in völlig neuen Dimensionen sich ergebenden — Schlußfolgerung, daß Sicherheit, da militärisch dauerhaft nicht zu erreichen, in erster Linie als ein politisches Problem zu betrachten ist. das vorrangig mit kooperativen politischen Mitteln, vor allem durch Dialog, Verhandlungen und Vereinbarungen, gelöst werden muß. Auf diese Weise wäre im Ost-West-Verhältnis zugleich zu einer gegenseitigen rationaleren Wahrnehmung des Gegenübers, zu einem besseren Verständnis seiner Interessen, Motive und Ziele zu gelangen. Eine solche Wahrnehmung schafft zwar die bestehenden Konflikte nicht aus der Welt, ist aber eine Grundbedingung für ihre zivilisierte — und das muß zuerst heißen: für eine die Zivilisation nicht gefährdende — Austragung derselben. Das gilt insbesondere in Krisensituationen, wo erfahrungsgemäß die Gefahr von Fehlwahmehmungen, Mißinterpretationen des Vorgehens der anderen Seite und letztlich auch irrationalen Handelns unter dem Druck der Ereignisse ansteigt.

Der Hauptansatzpunkt für ein politisches Herangehen an die Fragen der Sicherheit muß dabei ein doppelter sein, nämlich einerseits dafür Sorge zu tragen, daß die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt aus den internationalen Beziehungen verbannt wird und daß andererseits die qualitative Weiterentwicklung der vorhandenen Militär-potentiale unterbunden und sie in ihrem quantitativen Umfang sukzessive reduziert werden. Beide Aspekte beziehen sich zwar in erster Linie, aber keineswegs ausschließlich auf die Systemauseinandersetzung. Die heutige Interdependenz der Staaten und Völker der Erde bedingt, daß auch regionale Konflikte die Möglichkeit des Hinüberwachsens in einen thermonuklearen Weltkrieg in sich bergen. Es muß allein von daher Kurs auf einen globalen gewaltfreien Zustand der internationalen Beziehungen genommen werden. Ein vorrangiges Problem besteht in diesem Zusammenhang darin, politische Lösungen für die in der Welt vorhandenen Krisen-und Konfliktherde, ob im Nahen Osten, in Mittelamerika. Südwestasien oder Indochina. zu suchen, die als potentielle Quellen für neue Kriege beseitigt werden müssen. Das würde zugleich erheblich zur Verbesserung der Sicherheit der an diesen Konflikten direkt beteiligten Staaten beitragen.

Siebentens: Generell erforderlich ist es. das Problem der Sicherheit in seiner ganzen heute gegebenen Komplexität und Breite zu erfassen und anzugehen. da es anders nicht mehr lösbar ist. Sicherheitspolitik muß heute alle Kembereiche zwischenstaatlicher Beziehungen, d. h. sowohl deren militärische. politische, ökonomische, ökologische und humanitäre Seite berücksichtigen, weil all diese Teilbereiche nicht isoliert voneinander, sondern im Gegenteil in einem engen dialektischen Wechsel-verhältnis miteinander verflochten bestehen. Die Vernachlässigung dieses Wechselverhältnisses muß sich früher oder später negativ auf die Sicherheit insgesamt auswirken. Gerade auf dem europäischen Kontinent gibt es dafür Erfahrungswerte, wenn man nur an die Phase der Ost-West-Entspannung der siebziger Jahre denkt. Als seinerzeit die politische Entspannung relativ große Fortschritte machte und sich so die politische Sicherheitslage erheblich verbesserte, die militärische Entspannung demgegenüber aber keine adäquaten Fortschritte machte, geriet schließlich der Gesamtprozeß ins Stocken, erwies sich partiell als reversibel und nahm schweren Schaden.

Zugleich jedoch darf bei aller gestiegenen Bedeutung nichtmilitärischer Aspekte von Sicherheit nicht übersehen werden, daß dem militärischen Bereich insofern unverändert eine Schlüsselrolle zukommt, als von dort einerseits die grundsätzliche Sicherheitsgefährdung in der heutigen Welt ausgeht und andererseits, wenn die damit zusammenhängenden Probleme nicht gelöst werden, insbesondere keine Durchbrüche zur Abrüstung erzielt werden. andere kardinale Sicherheitsprobleme ebenfalls kaum lösbar sein werden.

Achtens: Notwendig erscheint es mir ebenfalls, sich mit der Frage zu beschäftigen, was unter der in der internationalen Diskussion häufig verwendeten Formel „Anerkennung der legitimen Sicherheitsinteressen“ der jeweils anderen Seite konkret zu fassen ist. In einer Welt souveräner Nationalstaaten ist dies zunächst einmal eine Angelegenheit jedes Landes selbst, seine Sicherheitsinteressen zu definieren — dies kann man sich nicht gegenseitig vorschreiben — . aber auf eine Art und Weise, daß sie für die andere Seite als legitim anerkennbar sind. Ganz allgemein erscheint es als legitim, daß Staaten und ihre Völker frei von militärischer Bedrohung von außen leben, sich nach von einer Bevölkerungsmehrheit akzeptierten Wertesystemen entwickeln, auf der Basis souveräner Entscheidungen Bündnis-beziehungen mit anderen Staaten eingehen und Integrationsgruppierungen bilden und nicht politisch, ökonomisch oder ideologisch bzw. psychologisch unter Druck gesetzt werden wollen. Das steckt in etwa den Rahmen dessen ab, was jede Seite bereit sein müßte, der anderen als legitime Sicherheitsinteressen zuzubilligen.

Dennoch führt die praktische Politik von Staaten gerade beim konkreten Verfolgen dieser genannten Interessen häufig zu internationalen Spannungen und Konflikten. Daher erscheint es sinnvoll, nach Kriterien zu suchen, die als zusätzlicher Maßstab dafür gelten können, ob ein erklärtes Sicherheitsinteresse legitim ist oder nicht. Solche Kriterien können nur aus der heutigen Weltsituation, ihren inhärenten Zusammenhängen und Erfordernissen abgeleitet werden. Meines Erachtens müßten Sicherheitsinteressen. um als legitim eingestuft zu werden. u. a. folgenden Anforderungen gerecht werden: Sie müßten — von den in der Welt gegebenen politischen, sozialen und territorialen Realitäten ausgehen und den interdependenten Charakter der Welt in Rechnung stellen, d. h. sie dürften nicht auf Kosten anderer Staaten, zu Lasten von deren Sicherheit gehen und Staaten und Völker nicht in ein konfrontatives Verhältnis zueinander bringen; — gezielt darauf angelegt sein, die Überlebensprobleme der Menschheit und deren andere globale Fragen zu lösen, den Frieden und die Welt gemeinsam zu gestalten;

— ausschließlich mit friedlichen Mitteln und zugleich unter Ausschluß konfrontativer Mittel (wie z. B. Ultimaten) durchsetzbar sein und — schließlich dem komplexen Charakter, den die Sicherheitsfrage nun einmal angenommen hat, Rechnung tragen.

Insgesamt geht es dabei darum, ein realistisches, politisch handhabbares Verständnis der eigenen Sicherheitsinteressen zu entwickeln. Mit Vorstellungen. daß eigene Sicherheit erst möglich sein wird, wenn das andere System verschwunden oder beseitigt ist. ist kein Vorwärtskommen möglich — ganz abgesehen davon, daß ein derartiges Herangehen völlig ahistorisch ist. Schließlich war die Welt, bevor der Sozialismus in staatlich organisierter Form existierte, alles andere als eine sichere Welt!

III, Umfassende Sicherheit und friedliche Koexistenz

Die sozialistischen Staaten stellen sich den objektiv neuen Bedingungen für internationale Sicherheit. Für die DDR erklärte der Generalsekretär der SED, Erich Honecker: „Entweder kommt das politische Denken in Einklang mit den Erfordernissen derZeit oder die Zivilisation und das Leben auf der Erde selbst können erlöschen.“

Wir verstehen in diesem Sinne neues Denken und Handeln als eine „Methodologie der Gestaltung internationaler Angelegenheiten“ Dies hat folgerichtig zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Schaffung eines umfassenden Systems der internationalen Sicherheit geführt, die als erweiterter Kodex friedlicher Koexistenzbeziehungen unterbreitet worden sind, die auf komplexe Weise die Überlebenserfordernisse der Menschheit und die anderen globalen Probleme in sich aufgenommen haben, die wichtige Lehren aus der Vergangenheit berücksich-tigen, die die grundlegenden Sicherheitsbelange der anderen Seite ebenso zum Ausgangspunkt haben wie die eigenen und die nicht zuletzt Ideen und Vorschläge anderer Staaten aufgegriffen haben. Ohne daß der Prozeß ihrer Erarbeitung bereits abgeschlossen wäre, soll im folgenden auf einige ihrer grundlegenden Gedanken eingegangen werden.

Das Ziel der Vorschläge besteht in der Herstellung und Wahrung von Sicherheit für alle Staaten und Völker im Sinne von gesicherten gesellschaftlichen und natürlichen Existenz-und Entwicklungsbedingungen für die gesamte Menschheit. Das ist heute die Grundvoraussetzung dafür, daß alle Staaten und Völker über die Freiheit zur Eigenentwicklung verfügen, d. h. sich nach den ihren Gesellschaften innewohnenden Gesetzmäßigkeiten auf der Basis des freien Selbstbestimmungsrechts der Völker entwickeln und entfalten können.

Dabei geht es um Friedenserhaltung durch Friedens-gestaltung, d. h. um weit mehr als nur um die Abwesenheit von Krieg, weil dies zwar die Schlüsselfrage von Sicherheit bleibt, aber allein zu deren Konstituierung nicht mehr ausreicht. Es geht in wachsendem Maße um die Gestaltung eines aktiven Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Staaten, Völker und Klassenkräfte in der Welt mit dem Ziel, die globalen Menschheitsprobleme gemeinsam zu lösen, weil sie von keiner Seite allein lösbar sind, d. h. es geht um die gemeinsame Organisation des Überlebens und damit des Lebens unserer Zivilisation. Das Mittel, das die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft vorschlagen, um Sicherheit für alle Seiten und in allen relevanten Bereichen (militärisch, politisch, ökonomisch, ökologisch, humanitär) zu erreichen, könnte ein umfassendes System des Friedens und der internationalen Sicherheit sein. Sicherlich ist dies kein über Nacht zu erreichender Zustand. aber ein erstrebenswertes Ziel, für dessen Erreichung sich jede wissenschaftliche und politische Anstrengung lohnt. 1. Auf militärischem Gebiet geht es dabei in erster Linie darum, vom heute de facto gegebenen Zustand gegenseitiger, vor allem nuklear abgestützter Abschreckung schrittweise zu einem Zustand gemeinsamer Sicherheit zu gelangen — durch einen Entwicklungsprozeß, der vom Stopp des Wettrüstens über Rüstungsbegrenzung und Abrüstung bis zu vertrauens-und sicherheitsbildenden Maßnahmen und nicht zuletzt bis zu Veränderungen der heutigen Militärstrategien und militärischen Strukturen auf beiden Seiten reicht. Das ist das Leitmotiv aller Vorschläge der Staaten des Warschauer Vertrages zur militärischen Entspannung in den letzten zwei Jahren.

Zweifellos ist die Abschreckung heute ein reales Phänomen der internationalen Beziehungen. Doch der entscheidende Mangel aller auf der Philosophie der Abschreckung basierenden politisch-militärischen Konzepte zur Sicherheitsgewährleistung besteht darin, daß sie — wie auch ihre Befürworter einräumen — scheitern können und daß dies im Nuklearzeitalter mit hoher Wahrscheinlichkeit die atomare Selbstvernichtung der Menschheit zur Folge haben würde. Abschreckung ist eine auf der Schürung von Angst beruhende Doktrin, doch Angst ist kein guter Ratgeber in den internationalen Beziehungen; heute nicht und zukünftig noch viel weniger. Sie ist eine sehr unsichere Basis für Stabilität und Sicherheit; sie ist lediglich geeignet, gegenseitige Unsicherheit zu produzieren. Abschreckung kann versagen, nicht nur im Falle irrationalen Handelns, sondern auch durch technisches und menschliches Versagen. Abschreckung ist keine grundsätzliche Absage an den Krieg, sie läuft auf die Verewigung von Nuklearwaffen hinaus. Abschreckung impliziert zu ihrer Aufrechterhaltung das ständige Wettrüsten und ist damit keine Philosophie der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, sondern ihr Gegenteil.

Es ist eine geistige und politische Herausforderung, nach Überwindung dieser Doktrin zu streben. Dies ist nicht einfach und sicher auch nur über Zwischenschritte und einen langen Prozeß zu erreichen. Dabei ist auch die Möglichkeit einzukalkulieren, für eine Übergangszeit mit einer Minimalabschreckung zu leben, also ein bestimmtes, sicher weit unter einem Zehntel der heutigen Potentiale liegendes Minimum an Kernwaffen in kontrollierter Weise zu besitzen. Es ist durchaus vorstellbar, daß sich unter solchen Bedingungen sehr schnell die Auffassung durchsetzen kann, die Kernwaffen endgültig zu beseitigen. Doch auch dies schließt ein.den heute in vielen Köpfen noch festgefügten Rahmen der Abschreckungsphilosophie zu verlassen. Dies bedarf meines Erachtens einer grundlegenden — doppelten — geistigen Voraussetzung, nämlich — davon auszugehen, daß die Welt ein einheitliches Ganzes ist. auch wenn sich in ihr unterschiedliche, ja gegensätzliche politische und soziale Systeme etabliert haben, und — sich von vorgefaßten Urteilen zu lösen und „keinen Staat und kein Volk als . Feind'“ zu betrachten, wie die Militärdoktrin der Warschauer Vertrags-staaten es für die sozialistische Seite expressis verbis auf ihrer Berliner Tagung 1987 bekundete.

Die Alternative zum heutigen Abschreckungssystem liegt meines Erachtens darin, an Stelle der Risikogemeinschaft, die wir heute darstellen, ein Sicherheitsgleichgewicht zu etablieren — auf immer niedrigerem Niveau der militärischen Kräfte, bis beiderseitige Angriffsfähigkeit materiell ausgeschlossen ist;

— frei von nuklearen und anderen Massenvernichtungsmitteln, von Weltraumwaffen und von konventionellen Waffen großer Zerstörungskraft;

— frei von destabilisierenden bzw. Mißtrauen erzeugenden Rüstungstechnologien (solchen mit extrem kurzer Vorwarnzeit, mit einem hohen Automatisierungsgrad oder mit besonderen Schwierigkeiten hinsichtlich Verifikation) und — unter permanenter, umfassender gemeinsamer Kontrolle sowohl hinsichtlich von Abrüstungsmaßnahmen als auch der verbleibenden Potentiale, der militärischen Entwicklungs-. Test-und Produktionsstätten. 2, Ein solcher Prozeß hat zweifellos spezifische Aspekte in Europa, wo sich in Gestalt der beiden Militärkoalitionen die global höchsten Konzentrationen kombinierten atomar-chemisch-konventionellen militärischen Vernichtungspotentials gegenüberstehen. Diese Potentiale tragen in der Praxis nach wie vor dynamischen Charakter, d. h. es laufen ständig Modernisierungsprozesse, die in einigen Fällen noch mehr Waffen, in jedem Falljedoch militärisch effizientere Waffen bedeuten. Die militärischen Kräfte von NATO und War-schauer Vertrag sind jedoch unter rationalen Gesichtspunkten nicht mehr gegeneinander einsetzbar. weil dies zur Vernichtung beider Seiten führen würde. Dies ist nicht allein der Vernichtungskraft heutiger oder künftiger konventioneller Waffen geschuldet. sondern vor allem einem weiteren, bis in die jüngste Zeit hinein weitgehend ignorierten Sachverhalt. Dieser resultiert aus der ökonomisch-technologisch-soziologischen Struktur moderner Industriegesellschaften. Allein in Europa gibt es — wie gesagt — etwa 200 Kernkraftwerksblöcke und weitere kerntechnische Anlagen, deren Sicherheitssysteme auf vielfältige Störfälle hin angelegt sind, nicht jedoch auf den Kriegsfall. Hinzu kommt ein weitgefächertes Netz großer chemischer Produktionsstätten. Tschernobyl und die Sandoz-Affäre im Jahre 1986 haben, wenn man die damaligen Erfahrungen unter militärischen Aspekten sieht, deutlich gemacht, daß aus einem modernen Industriestaat schon in einem konventionellen Krieg eine atomar und chemisch verseuchte Wüste werden könnte. Darüber hinaus sind die heutigen Industriegesellschaften hochempfindliche Organismen, deren Funktionieren bzw. Überleben bereits bei mittel-oder gar längerfristigem Ausfall eines Teils ihrer Elektroenergie-, Wasser-und Fernwärmeversorgung oder ihres Verkehrs-bzw. Kommunikationssystems. um nur einige Schlüsselbegriffe zu nennen, auf dem Spiel stände. Dafür würde jeweils die Zerstörung relativ weniger zentraler Einrichtungen genügen.

Dies nicht in Rechnung zu stellen, ist irrational und letzten Endes selbstmörderisch. Allein aus diesem Grunde ist die Auffassung, wie sie in letzter Zeit wieder häufiger zu hören ist (im Zusammenhang mit dem INF-Vertrag), . , die völlige Denuklearisierung würde Westeuropa dem ungehinderten Einsatz der vollen konventionellen Übermacht des Warschauer Paktes ausliefern“ einfach falsch. Aus dem bisher bereits erreichten Niveau der Entwicklung der modernen Produktiv-kräfte gibt es in Europa kein Zurück mehr zur Vergangenheit — in die Ära der Führbarkeit und Gewinnbarkeit konventioneller Kriege! Daraus ergibt sich, daß es seit langem objektive systemübergreifende gemeinsame Sicherheitsinteressen der sozialistischen und kapitalistischen Staaten in Europa bzw. generell im Rahmen der Ost-West-Beziehungen gibt, deren hauptsächlichstes Friedenserhaltung durch Abrüstung ist. Das Niveau der militärischen Konfrontation in Europa muß verringert werden. Dies ist zu einer conditio sine qua non für die Bewahrung der natürlichen und sozialen Existenz-bedingungen der menschlichen Zivilisation geworden. „Sicherheit in Europa“, da ist dem früheren SIPRI-Direktor Frank Blackaby zuzustimmen, „kann es nur dann geben.. . . wenn die militärischen Mittel für die Beziehungen zwischen den Staaten Westund Osteuropas keine maßgebende Rolle mehr spielen. Dies muß das Ziel aller sein, die das Wesen der Sicherheit richtig verstehen.“ Dies gilt, so möchte ich lediglich ergänzen, auch für das Ost-West-Verhältnis insgesamt.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die DDR die Weiterführung des Abrüstungsprozesses auch im taktisch-nuklearen und konventionellen Bereich mit solcher Konsequenz anstrebt. Vor kurzem sagte der Staatsratsvorsitzende der DDR, Erich Honecker, bei seinem Besuch in Frankreich: „Vielleicht rückt jetzt die konventionelle Abrüstung sogar in den Vordergrund der europäischen Sicherheit.“ Wir lassen uns also im Eintreten für konventionelle Abrüstung in Europa von niemandem übertreffen. Dies sei ausdrücklich festgestellt, weil immer wieder das Argument zu hören ist. mit der Beseitigung der Nuklearwaffen wollten wir die angebliche konventionelle Überlegenheit der WVO instrumentierbar machen, wäre die konventionelle Führbarkeit von Kriegen für uns wieder denkbar.

Für die DDR ist es dabei auch ein Credo, in den Beziehungen zur Bundesrepublik die friedens-und sicherheitspolitischen Fragen in den Mittelpunkt zu stellen. Dies hat nicht zuletzt dazu geführt, daß beide deutsche Staaten ihren Beitrag leisteten, damit das INF-Abkommen zur Unterschriftsreife gebracht wurde und im Gemeinsamen Kommunique über den Staatsbesuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik zahlreiche übereinstimmende Punkte zu Abrüstungsfragen fixiert werden konnten. Im Dezember 1987 hat die DDR mit einem Brief E. Honeckers an Bundeskanzler H. Kohl erneut die Initiative ergriffen, die Dinge in Bewegung zu bringen. Zwei Fragen sind besonders hervorzuheben: Erstens die Bemühungen der DDR für ein weiteres Voranschreiten bei der Reduzierung nuklearer Kurzstreckenwaffen unter 500 km Reichweite und zweitens ihre Vorstellungen für konkrete konventionelle Abrüstung vom Atlantik bis zum Ural. 18 Die taktischen Nuklearwaffen unter 500 km Reichweite berühren die Sicherheitsinteressen der DDR wie die der Bundesrepublik im gleichen Maße. Daraus ergibt sich für die DDR dreierlei:

— Wir setzen uns in unserem Bündnis dafür ein. diese Nuklearwaffen nach Möglichkeit nicht zu modernisieren, um einerseits den INF-Vertrag zu festigen und andererseits dadurch den Weg zur Abrüstung dieser Systeme freizumachen. Natürlich hängt dies — entsprechend dem Grundsatz der gleichen Sicherheit beider Seiten — davon ab, was sich auf der NATO-Seite. vor allem in der Bundesrepublik, vollzieht. Deshalb brachte Erich Honecker im Brief an Helmut Kohl zum Ausdruck, daß ein Modernisierungsverzicht auch der Bundesrepublik Schritte zur Beseitigung von Asymmetrien bei diesen Systemen durch Abrüstung bis hin zur NullLösung ermöglichen würde. Es geht also um Abrüstung von Asymmetrien und auch um ein durchaus denkbares schrittweises Vorgehen. — Wir setzen uns dafür ein, die taktischen Atomwaffen in Europa im Komplex mit den Streitkräften und konventionellen Rüstungen zu reduzieren, denn allein durch die „dual capacity“ -Systeme gibt es eine enge Verschränkung. Doch ist die DDR hier — wie alle WVO-Staaten — offen undflexibel auch für andere Ideen und Lösungsansätze, wenn diese dem Ziel weiterer nuklearer Reduzierung und der Sicherheit in Europa dienen. Darauf zielt auch der Kompromißvorschlag der WVO-Staaten bei den Gesprächen der 23 in Wien zur Formulierung des Mandats für die konventionellen Abrüstungsverhandlungen. — Wir sehen den von Olof Palme inszenierten, durch SPD und SED aufgegriffenen und von der DDR und CSSR angebotenen Vorschlag für einen kernwaffenfreien Korridor in Mitteleuropa als ein wichtiges Verbindungsstück zwischen INF-Abkommen und zukünftigen Lösungen für die Reduzierung taktischer Nuklearwaffen sowie der konventionellen Rüstungen und Streitkräfte.

Was die konventionelle Abrüstung betrifft, so sind — ausgehend von einem Mandat für solche Verhandlungen, das in Wien bald zustande kommen sollte, sowie einer KVAE II — verschiedene Wege denkbar, auf denen gleichzeitig vorgegangen werden könnte und die nicht alternativ, sondern komplementär zu verfolgen wären.

Das Hauptziel sollte darin bestehen, die heutigen Militärpotentiale auf beiden Seiten in Europa so umzugestalten, daß Risiken für einen Kriegsausbruch und Bedrohungen minimiert werden — und zwar gegenseitig, nach objektiven Kriterien und nicht zuletzt subjektiv wahrnehmbar. Dies hat quantitative, qualitative, regionale und militärisch-konzeptionelleAspekte. Wichtige Gesichtspunkte bestehen meiner Auffassung nach in folgendem:

Quantitativ:

— Notwendig ist ein absoluter Abbau in den gegebenen Streitkräftestärken und Waffenarsenalen, dessen Höhe im einzelnen zu vereinbaren wäre. Die Länder des Warschauer Vertrages haben dazu schon 1986 einen Vorschlag (Budapester Appell) unterbreitet, bei dessen Realisierung es zunächst möglich wäre, in Europa bis Anfang der neunziger Jahre ca. 1 Mio Mann Land-und Luftstreitkräfte zu reduzieren. Um einen erneuten Daten-Marathon zu vermeiden, sollten nach dem Beispiel des geplanten START-Vertrages Höchstgrenzen vereinbart, gleichzeitig sollte auf beiden Seiten (wie bei INF) mit der Reduzierung begonnen werden (auch wenn sie asymmetrisch erfolgt) und das Erreichen und Einhalten der fixierten Grenzen kontrolliert werden. — Unstrittig ist, daß es in militärischen Teilbereichen eine ganze Reihe von historisch entstandenen Asymmetrien — man könnte auch sagen partiellen Über-und Unterlegenheiten — auf beiden Seiten gibt, sowohl bei Waffensystemen und Truppenstärken als auch in der regionalen Verteilung der Kräfte. Wenn der Ausstieg aus dem Wettrüsten erfolgen soll, muß das bisher gängige Prinzip, Asymmetrien durch Nachrüstung beim Zurückgebliebenen auszugleichen, konsequent dahin gehend umgekehrt werden, daß jener, der vorn liegt, entsprechend reduziert und dies kontrolliert wird.

Qualitativ:

— Schwerpunktmäßig müßten solche Waffensysteme reduziert werden, die als besonders offensiv-fähig gelten. Dazu zählen u. a. Panzer, taktische Fliegerkräfte, motorisierte Schützenverbände, Luftlande-und amphibische Truppen sowie Artillerie. Es muß dabei darum gehen, ein Niveau zu erreichen. „auf dem jede Seite bei Gewährleistung der eigenen Verteidigung über keine Mittel für einen Überraschungsangriffauf die andere Seite sowie für Angriffsoperationen überhaupt verfügt“ 20).

— Perspektivisch ebenso wichtig ist es. die Kanäle für technologisch neuartige konventionelle Rüstungen zu verschließen, damit der Abbau traditioneller Systeme nicht durch das Auftauchen neuer unterlaufen. ja konterkariert wird und das Wettrüsten weitergeht. Zum Teil befinden sich derartige Waffen bereits in der Einführung — mit einem qualita-tiven Sprung wird für die neunziger Jahre gerechnet. „Präventive Rüstungsverhinderung“ könnte hier das Stichwort lauten.

Regional:

— Es wären spezielle Maßnahmen angebracht, um die Gefahr von Überraschungsangriffen zu vermindern. z. B. Maßnahmen „zum beiderseitigen Abzug der gefährlichsten Offensivwaffen aus dem unmittelbaren Berührungsraum beider Militärbündnisse als auch zur Verringerung der Konzentration der Streitkräfte und Rüstungen in diesem Raum auf einen vereinbarten minimalen Stand“ -Es geht also um die Schaffung von Zonen und Bereichen mit verdünnter Rüstung und Streitkräften, einschließlich der logistischen Infrastruktur. Ganz zweifellos würden damit die sogenannten Vorwarnzeiten um das Vielfache vergrößert.

— Zu regionalen Maßnahmen, die die Sicherheit festigen, zählen selbstverständlich auch kemwaffen-, chemiewaffen-und von anderen Waffenarten freie Zonen in verschiedenen europäischen Gebieten, wo die Militärblöcke aneinanderstoßen; auch im Bereich Nordeuropas und des Balkans oder auch an den Flanken beider Bündnisse mit den Seegebieten und Häfen. Es erscheint angebracht, diese Fragen nicht nur bi-und multilateral zwischen den Beteiligten, sondern unter Einschluß der beiden Bündnissysteme zu verhandeln.

Militärisch-konzeptionell:

— Die Militärdoktrinen. -Strategien, operativen Konzepte, Ausbildungsrichtlinien usw. beider Militärkoalitionen sollten primär an den Erfordernissen der Kriegsverhütung (statt — wie bisher — der Kriegführung für den Fall eines Konfliktausbruchs) orientiert werden. All dies müßte zwischen NATO und Warschauer Vertrag direkt konsultiert und abgestimmt werden, um das mit den Jahren angewachsene gegenseitige Mißtrauen abzubauen und zu gewährleisten, daß die militärischen Konzeptionen beider Blöcke nicht nur deklaratorisch defensiv angelegt sind, sondern auch strikt defensiv umgesetzt werden.

— Das System der vertrauens-und sicherheitsbildenden Maßnahmen, die im Stockholmer Dokument vereinbart wurden und ihre ersten Bewährungsproben — u. a. bei verschiedenen Manövern 1987, einschließlich der Verdachtskontrollen — inzwischen bestanden haben, müßte gefestigt und weiter ausgebaut werden, u. a. durch Lösung von Fragen, die bei der KVAE offengeblieben sind.

Mehr Transparenz kommt beiden Seiten zugute, baut Mißtrauen ab.

— Darüber hinaus erscheint es notwendig, in sehr viel stärkerem Maße als in der Vergangenheit militärische Sachkenntnis, und das heißt zuerst: die Sachkenntnis der Militärs, zur Lösung der mit den militärischen Aspekten einer Überwindung des heutigen Abschreckungssystems verbundenen Fragen heranzuziehen und einzusetzen, und zwar ebenfalls blockübergreifend. Das Angebot zu direkter Kontaktaufnahme zwischen NATO und War-schauer Vertrag auch auf militärischer Ebene von Seiten der sozialistischen Länder liegt seit Dezember 1986 vor.

— Nicht zuletzt muß man sich darüber im klaren sein, daß all diese Schritte und Maßnahmen, d. h., daß ein Prozeß der Schaffung nichtangriffsfähiger Militärpotentiale und -Strukturen in Ost und West in Europa genaueste und strengste Verifikation der Realisierung aller Vereinbarungen zur Bedingung hat.

3.Auf politischem Gebiet besteht die Zielsetzung darin, vom heutigen konfrontativen Sicherheitsgefüge in der Welt zu einer kooperativen Sicherheitsgestaltung überzugehen, geprägt von einer bewußten und konsequenten Durchsetzung des Primats der Politik gegenüber dem militärischen Sektor — in der Erkenntnis, daß die Gewährleistung der Sicherheit immer mehr den Charakter einer politischen Aufgabe annimmt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das grundsätzliche Herangehen der sozialistischen Staaten, für alle grundsätzlichen Probleme in den internationalen Beziehungen gemeinsame politische Lösungen zu suchen, nicht nur im Ost-West-Verhältnis, sondern global bzw. in allen Regionen der Erde.

Letztlich geht es um die Herbeiführung eines Zustandes, in dem die friedliche Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung universelles Prinzip der internationalen Beziehungen ist. Das grundsätzliche Herangehen der sozialistischen Staaten an Konzeption und Politik der friedlichen Koexistenz wird heute primär davon geprägt, daß einerseits infolge des Aufkommens von Überlebensbedrohungen und anderen globalen Problemen für die ganze Menschheit, die zum Teil in ursächlichem Zusammenhang mit dem Ost-West-Konflikt stehen, zum Teil aber auch darüber hinausgehen. und andererseits angesichts der riesigen positiven Möglichkeiten konstruktiver Zusammenarbeit bei der Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts (Weltraum, Kernfusion, Ozeane u. a.) ein friedliches Verhältnis von Kapitalismus und Sozialismus nicht mehr eine von verschiedenen möglichen Formen ihrer Beziehungen zueinander. sondern — unter rationalen Gesichtspunkten — die einzig mögliche Form des Zusammenlebens von Staaten verschiedener Gesellschaftsordnungen ist.

Friedliche Koexistenz ist die Rahmenbedingung für die Austragung des friedlichen Wettbewerbs der unterschiedlichen Systeme, und sie ist zugleich für beide Seiten die Voraussetzung für ihre Existenz und ihre jeweilige Eigenentwicklung. Dies ist gemeint, wenn wir formulieren: Sie ist zum kategorischen Imperativ des Friedens in unserer Zeit geworden. Friedliche Koexistenz ändert nichts am Unterschied der Gesellschaftsordnungen, an ihren verschiedenartigen Wirtschaftsstrukturen. Staatsformen und Ideologien. Sie schaltet jedoch den Krieg als Mittel der Politik aus. ermöglicht Zusammenarbeit für den Frieden und den normalen, friedlichen Wettstreit auf wirtschaftlichem und geistig-kulturellem Gebiet. Hier bestehen objektiv keine Wahlmöglichkeiten mehr.

Die Verhältnisse in der Welt sind inzwischen so. daß Kräfte von ganz unterschiedlichen weltanschaulichen und politischen Grundlagen aus zu genau dieser Schlußfolgerung kommen, daß sich also reale Möglichkeiten für einen Konsens zwischen beiden Seiten zur Frage der Sicherheit in ihren gegenseitigen Beziehungen eröffnen. Nachdrücklich zu unterstützen ist folgende Auffassung, hier vom später ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme geäußert, der zu den entschiedenen Bahnbrechern entsprechender Veränderungen im Sicherheitsdenken im bürgerlichen Lager zählt: „Internationale Sicherheit muß von der Verpflichtung zu gemeinsamem Überleben getragen sein, nicht von der Androhung gegenseitiger Vernichtung.“

Friedliche Koexistenz in ihrer heutigen Dimension erfaßt den Verzicht auf Krieg gekoppelt mit Abrüstung und das Streben nach umfassender Zusammenarbeit zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung als gleichrangige, gleichermaßen unabdingbare Zielstellungen. Zwar war das Element der Zusammenarbeit, die Bereitschaftserklärung des Sozialismus dazu, in der Politik friedlicher Koexistenz von jeher enthalten, aber es hat einen strategischen Bedeutungswandel dadurch erlangt. daß Zusammenarbeit — neben dem Verzicht auf Krieg — zu einer Bedingung für das Überleben der Menschheit und für den Fortschritt der Zivilisation sowie für gegenseitig vorteilhaften Nutzen in beiden Gesellschaftsordnungen geworden ist. Keine Seite vermag die entstandenen Probleme mehr allein zu lösen. Es geht letztlich um einen neuen Typ friedlicher Koexistenz. Bisher war sie in ihrer konkreten Erscheinungsform in den internationalen Beziehungen — dann, wenn sie bestand (was ja keineswegs immer der Fall war) — von Nichtkrieg bei gleichzeitig vorherrschender Konfrontation und zum Teil scharfen Spannungen zwischen Ost und West geprägt. Nur teilweise bzw. temporär gab es Ansätze einer systemübergreifenden Zusammenarbeit. Das könnte man. etwas vergröbert. als passive friedliche Koexistenz bezeichnen. Doch wird ein derartiger Zustand den heutigen Erfordernissen in der Welt nur noch unzureichend gerecht. Notwendig ist ein aktiver Prozeß friedlicher Koexistenzbeziehungen mit den Merkmalen dauerhafter Gewaltfreiheit und umfassender Zusammenarbeit. Gefordert ist ein Übergang von konfrontativer zu kooperativer Koexistenz.

Für die Durchsetzung des Primats der Politik bei der Schaffung und Gewährleistung von Sicherheit gewinnt die Institution des politischen Dialogs unter den heutigen Bedingungen, da die Menschheit nur gemeinsam ihr Überleben sichern und ihr zukünftiges Leben gestalten kann, mehr und mehr an Gewicht. Man kann mit Fug und Recht sagen, daß heute der politische Dialog zwischen staatlichen, politischen und gesellschaftlichen Repräsentanten, insbesondere der politischen Führer von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftssysteme, ein unabdingbarer Bestandteil friedlicher Koexistenz geworden ist. Dabei geht es um einen kontinuierlichen. nicht konjunkturellen Erwägungen und Schwankungen unterworfenen, ergebnisorientierten Dialog. Seine Kriterien sind u. a.

— die Ausrichtung auf die brennenden Fragen unserer Zeit, auf Friedenssicherung durch Abrüstung; — die offene Darlegung der eigenen Positionen und Motive außenpolitischen Handelns;

— die Information des Partners über die eigenen Ziele und Absichten;

— das gegenseitige Zuhören und die Suche nach Klarheit über die jeweiligen Positionen und das Ausräumen von Mißverständnissen;

— die Respektierung der legitimen Interessen der beteiligten Seiten;

— die Suche nach parallelen und übereinstimmenden Interessen und die Fähigkeit zum Kompromiß; — die Schaffung und Entwicklung von Vertrauen und Berechenbarkeit.

Politischer Dialog, so verstanden, trägt zur Gesundung der internationalen Lage bei. schafft die Grundlage für die Lösung zwischenstaatlicher Probleme; er beugt dem Aufbrechen von politischen Krisen vor bzw. trägt dazu bei. Zuspitzungen zu vermeiden und Krisen zu überwinden, wenn sie ausbrechen sollten. In diesem Sinne hat die DDR, haben ihre Partei-und Staatsführung in den letzten Jahren viel dazu beigetragen, dem politischen Dialog auf internationaler Ebene einen neuen Stellenwert zu verleihen.

4. Auf wirtschaftlichem Gebiet lassen sich die grundlegenden Sicherheitsherausforderungen und die sich aus ihnen ergebenden Erfordernisse zu der Zielstellung subsumieren, perspektivisch zu einer Weltwirtschaft der friedlichen Koexistenz zu gelangen. Diese hätte wesentliche ökonomische Rahmenbedingungen für die Bewältigung der Überlebens-und anderen globalen Probleme der Menschheit zu liefern und gegenüber der heutigen Weltwirtschaft vorrangig folgendes zu leisten:

— Ein regional wie global im notwendigen Maße komplexes Herangehen an die Fragen des Schutzes und der Regeneration der natürlichen Umwelt. Dabei ist nicht mehr zu übersehen, daß „wirksamer Umweltschutz“, wie E. Honecker hervorhob.

„heute nur durch internationale Kooperation und Zusammenarbeit möglich (ist)“ — Eine solche Veränderung der Austauschbeziehungen zwischen den Industriestaaten (vor allem den kapitalistischen) und den Entwicklungsländern, daß deren wirtschaftliche Entwicklung zur Grundlage der Lösung ihrer sozialen Probleme werden kann. Das Hauptdefizit an wirtschaftlicher Sicherheit, das für aberhundert Millionen Menschen zu einer akuten, permanenten Überlebensbedrohung führt, liegt heute in der „Dritten Welt“. — Die Weiterführung der wissenschaftlich-technischen Revolution auf eine Art und Weise, die bestehende Probleme nicht verschärft (bzw. immer neue schafft), sondern zu deren Lösung beiträgt — sei es durch moderne Kontrollverfahren für internationale Vereinbarungen über Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, sei es durch Entwicklung und Einsatz moderner Umwelttechnologien bzw. durch spürbar erweiterte Zugänge der Entwicklungsländer zu den Ergebnissen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.

Ausgangs-bzw. Ansatzpunkt für eine Weltwirtschaft der friedlichen Koexistenz müßten meines Erachtens qualitativ verstärkte Bemühungen sein, die Hauptkonfliktfelder in der heutigen Weltwirtschaft zu entschärfen, weil so zugleich dem Stellenwert Rechnung getragen werden könnte, den wirtschaftliche Sicherheit im Gesamtspektrum der Sicherheit von Staaten und Völkern hat. Allein dadurch, daß die Wirtschaft die entscheidende materielle Grundlage für das individuelle und gesellschaftliche Leben der Menschen ist und praktisch alle Staaten seit langem in mehr oder weniger hohem Maße außenwirtschaftsabhängig (ob nun vom Im-oder Export von Rohstoffen, Lebensmitteln oder Industriewaren) und damit ökonomisch verwundbar sind, ist wirtschaftliche Sicherheit ein erstrangiges Problem.

Darüber hinaus können weltwirtschaftliche Entwicklungen zu internationalen Krisensituationen führen. Beispiele dafür liefern die „Ölkrise“ der siebziger Jahre und die „Verschuldungskrise“ der Entwicklungsländer in den achtziger Jahren. Beide Krisen machen im übrigen besonders augenfällig zwei Wesensmerkmale der Sicherheitsfragen in unserer heutigen Welt deutlich: Einmal die Interdependenz sämtlicher Teilaspekte von Sicherheit und zum zweiten die Notwendigkeit, zu sämtlichen Teilaspekten von Sicherheit einen primärpolitischen Zugang zu finden. Die „Verschuldungskrise“ der Entwicklungsländer, die sich im wesentlichen in der Höhe ihrer Gesamtverschuldung bei westlichen Ländern und Banken (ca. eine Billion Dollar) und der Absorbierung eines immer größeren Teils ihrer Exporterlöse für den Schuldendienst (bei einzelnen Ländern bereits bis zu 60 Prozent) manifestiert, ist zwar eine wirtschaftliche Krise, aber sie ist mit wirtschaftlichen Mitteln allein nicht zu lösen, weil die Schulden unter keinerlei denkbaren Bedingungen jemals rückzahlbar sind, andererseits die Entwicklungsländer aber sukzessive daran zugrundegehen. Hier sind politische Grundsatzentscheidungen gefordert! 5. Auf humanitärem Gebiet besteht die erklärte Zielsetzung der sozialistischen Staaten (und zugleich ihr Angebot zu einem Zusammenwirken an alle anderen Länder) darin, „das Recht des Menschen auf Leben und Arbeit in Frieden und Freiheit und die vollständige Verwirklichung der politischen, zivilen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte in ihrer Gesamtheit und wechselseitigen Bedingtheit unter Achtung der Souveränität der Staaten zu gewährleisten“

Humanitäre Zusammenarbeit kann bedeutende Potenzen für die Erhaltung des Friedens und die Stabilisierung der Sicherheit freisetzen, indem sie zu einem politischen Klima zwischen Ost und West beiträgt — vor allem zum Aufbau von mehr Vertrauen —, das notwendige Rahmenbedingung und Stimulans zugleich für die Lösung der Fragen in allen Teilbereichen der Sicherheit ist.

Darüber hinaus ist der humanitäre Bereich ein Gebiet, wo positive (wie auch negative) Entwicklungen für die Menschen besonders spürbar sind und dem allein von daher nicht geringere Aufmerksamkeit gebührt als den anderen Bereichen. Auch in der Menschenrechtsfrage sehe ich kein Hindernis für eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten, wenn man zur Richtschnur nimmt, daß das Ziel nur darin bestehen kann, alle Menschenrechte zu verwirklichen. „Wir machen keinen Unterschied zwischen mehr oder weniger wichtigen Rechten. Politische, bürgerliche, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Rechte sind gleichermaßen bedeutsam. Grundlage für die Verwirklichung der Menschenrechte ist jedoch der Frieden“, erklärte Erich Honecker in einem Gespräch mit einer niederländischen Zeitung In diesem Sinne hat auch die UdSSR dem Wiener KSZE-Treffen vorgeschlagen. in das zu beschließende Dokument die Einberufung einer Menschenrechtskonferenz der KSZE-Staaten in Moskau aufzunehmen, auf der über alle humanitären Aspekte von Sicherheit, einschließlich der Menschenrechte, beraten werden soll.

Kontraproduktiv sind allerdings hier, wie in allen anderen Teilbereichen von Sicherheit, jeglicher Ausschließlichkeitsanspruch einer Seite und schon gar Versuche, die Menschenrechtsfrage in einen Hebel zur Diffamierung, ja letztlichen Beseitigung des Systemgegners umzufunktionieren. Gleichzeitig muß meines Erachtens berücksichtigt werden, daß auch die Menschenrechte keineswegs etwas Statisches, keinerlei Veränderungen Unterworfenes sind. Wenn der Mensch sich in einer dynamischen. sich wandelnden Umwelt mit neuen Herausforderungen im Hinblick auf seine Existenz konfrontiert sieht, muß dies Auswirkungen auf den Inhalt bzw. Charakter der direkt und unmittelbar auf den Menschen bezogenen Rechte haben.

IV. Ausblick

Diese Überlegungen und Vorschläge zielen auf die Herstellung von Sicherheit durch Entmilitarisierung des Ost-West-Konflikts auf dem Wege weltweiter Kriegsverhütung und Beseitigung der Kriegsursachen bzw.der Mittel zur Kriegsführung und durch gleichzeitige umfassende systemübergreifende Zusammenarbeit zur Lösung der anderen globalen Menschheitsfragen, d, h. sie rücken gezielt die Überlebensprobleme der heutigen Welt in den Mittelpunkt der Politik.

Die Vorstellungen der sozialistischen Staaten sind komplex angelegt, ohne einseitige inhaltliche oder zeitliche Prioritätensetzung; sie berücksichtigen, daß gemeinsame Sicherheit in der Welt auf der Grundlage eines umfassenden Sicherheitssystems nur zu erreichen sein wird bei grundlegenden Lösungen in allen Teilbereichen.

Die sozialistischen Länder gehen dabei von den objektiven gemeinsamen Sicherheitsinteressen aller Staaten. Völker und Klassenkräfte in der Welt aus, entwickeln eine sehr weitgehende Kompromißbereitschaft und stellen Trennendes und Gegensätzliches in den zwischenstaatlichen Beziehungen im Interesse von Verhandlungen und Übereinkünften zurück. Sie gehen davon aus. daß es in der heutigen Welt prinzipiell keine zwischenstaatlichen Probleme gibt, die nicht — den politischen Willen vorausgesetzt — auf dem Wege des Dialogs und von Verträgen zu lösen wären.

Völlig unzweifelhaft ist dabei aber auch, was Erich Honecker unlängst auf einem internationalen Friedensseminar der Jugend in Berlin hervorhob: „Eine Welt gemeinsamer Sicherheit kann es nur durch gemeinsame Verantwortung geben.“ Wenn eine Seite diese Verantwortung nicht begreift, nicht wahrnimmt oder sich ihr vorsätzlich entzieht, wird es keine Lösung der in dieser Arbeit angesprochenen Überlebens-und anderen globalen Probleme geben, weder im einzelnen Falle und schon gar nicht in ihrem wechselseitigen Zusammenhang, und auch keine auf gemeinsamer Sicherheit gegründete Zukunft der Menschheit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bericht des ZK der SED an den XI. Parteitag der SED. Berichterstatter: Gen. Erich Honecker. Berlin 1986. S. 11; siehe dazu ausführlicher: M. Schmidt/W. Schwarz. Frieden und Sicherheit im nuklear-kosmischen Zeitalter (I). in: IPW-Berichte. (1986) 9. insbesondere S. 3ff.

  2. Rede M. Gorbatschows in Prag, in: Neues Deutschland vom 11. /12. April 1987.

  3. Dazu ausführlich: J. Hippler. Krieg im Frieden. Amerikanische Strategien für die Dritte Welt: Counterinsurgency and Low-Intensity Warfare. Köln 1986. insbes. S. 34 ff.

  4. M. Kremp, in: Die Welt vom 14. Januar 1988.

  5. IPW-Berechnung nach Angaben des World Economic Outlook und UNO-Daten über das Weltsozialprodukt.

  6. Neues Deutschland vom 17. Februar 1987.

  7. Vgl. z. B. Neue Bonner Depesche. 1/1988.

  8. Interview in: Stern (1987) 15. S. 152.

  9. Neues Deutschland vom 10. Dezember 1987.

  10. C. F. v. Weizsäcker, Die Zeit drängt. München-Wien 1986. S. 45.

  11. Neues Deutschland vom 14. März 1983.

  12. Europa-Archiv. (1987) 5. S. D 128.

  13. Vgl. dazu: V. Petrowski. Sicherheit über Abrüstung, in: MEMO. (1987) 1. S. 3 ff.

  14. Vgl. Meldungen und Kommentare in: „Die Welt“; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ u. a. vom 8. — 12 2 1988.

  15. Eröffnungsworte Erich Honeckers vor den Teilnehmern des internationalen Schriftstellergesprächs 1987 „Berlin — ein Ort für den Frieden“, in: Neues Deutschland vom 8. Mai 1987.

  16. Rede M. Gorbatschows vor den Teilnehmern des internationalen Friedensforums in Moskau, in: Neues Deutschland vom 17. Februar 1987. Zu Grundzügen des neuen Denkens siehe: M. Schmidt/W. Schwarz. Frieden und Sicherheit int nuklear-kosmischen Zeitalter (Anm. 1). S. 7ff.

  17. F. U. Fack. Sicherheit auf Sand gebaut, in: Frankfurter Allgemeine vom 10. März 1987.

  18. F. Blackaby. Entmilitarisierung politischer Beziehungen. in: „Perspektiven europäischer Sicherheitspolitik, Reihe Transnational“, Nr. 25. Bonn 1986, S. 29.

  19. Neues Deutschland vom 9. /10. Januar 1988.

  20. Kommunique der Berliner Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses der Warschauer Vertragsstaaten, in: Neues Deutschland vom 30. /31. Mai 1987.

  21. Der Palme-Bericht. Berlin (West) 1982. S. 12.

  22. Neues Deutschland vom 25. Juni 1986.

  23. Zu Begriff und Inhalt ökonomischer Sicherheit siehe: Standpunkt der DDR zur Ausarbeitung eines Konzepts der

  24. Erklärung des Komitees der Außenminister der Staaten des Warschauer Vertrages, in: Neues Deutschland vom 26. März 1987 (Hervorhebung d. V.).

  25. Neues Deutschland vom 3. Juni 1987.

  26. Neues Deutschland vom 23. April 1987.

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