I. Afrika und die Gründung der Europäischen Gemeinschaft
Die Geschichte, das politische, wirtschaftliche und auch das kulturelle Bild des heutigen Afrika wurden über Jahrhunderte entscheidend durch den Einfluß westeuropäischer Kolonialmächte geprägt. So besaßen noch bei der Entstehung der EWG 1957 vier der sechs Gründungsmitglieder Gebiete in Übersee. Besonders für Frankreich, das über das weitaus größte Herrschaftsgebiet in Afrika verfügte, hätte der Verlust seiner wirtschaftlichen Verbindung mit den Kolonien zu schwer tragbaren Belastungen geführt. 1957 bezog Frankreich ca. ein Viertel seiner Importe aus den Kolonien und lieferte rund ein Drittel seines • Exportes dorthin. Schätzungsweise 300 000 Arbeitsplätze hingen direkt von diesem Export ab. Ohne die Kolonien wäre die durch die Gründung der EWG notwendige, sehr kostenintensive Modernisierung der französischen Industrie noch schwieriger geworden
Die französische Regierung machte deshalb die Unterzeichnung des EWG-Vertrages von der Assoziierung seiner Kolonien und Treuhandgebiete abhängig. Dagegen hatte sich nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen. Bei der von ihr als absehbar betrachteten politischen Unabhängigkeit der assoziierten Staaten fürchtete sie u. a. Probleme im Zusammenhang mit der Hall-stein-Doktrin Auch war das deutsche Interesse an den französischen Gebieten in Afrika sehr begrenzt, bildeten doch die lateinamerikanischen und asiatischen Länder den Schwerpunkt deutschen Handels mit der Dritten Welt.
Doch wie die Bundesrepublik die Zustimmung zum freien innerdeutschen Handel konnte Frankreich die Assoziierung durchsetzen. Alle EWG-Staaten anerkannten die politische und wirtschaftliche Funktion der Assoziierungspolitik. Als Rohstoffquelle und als Absatzmarkt legten sie Wert auf die Überseegebiete, auch wenn an die Beseitigung der französischen Dominanz auf diesen Märkten nicht zu denken war. Die meisten europäischen Regierungen gingen jedoch davon aus, daß Frankreich alleine nicht in der Lage sein würde, den europäischen Einfluß langfristig in dieser Region zu erhalten, und fürchteten, daß ein Machtvakuum von den USA oder der UdSSR schnell ausgefüllt würde. ,
Das erste „Durchführungsabkommen über die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete mit der Gemeinschaft“ wurde gleichzeitig mit dem Römischen Vertrag am 25. März 1957 unterzeichnet. Für den ersten Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) wurden 581 Mill. Rechnungseinheiten bereitgestellt Von den assoziierten Gebieten in Afrika einschließlich Madagaskar (AASM) waren 15 französische Kolonien oder Treuhandgebiete Mit der EWG wurde also eine regional auf Afrika konzentrierte „Dritte Welt-Politik“ der Gemeinschaft geboren, die lange Zeit vor allem eine französische Politik mit europäischen Mitteln war, modifiziert durch deutsche Industrieinteressen und unkoordiniert begleitet von den bilateralen Politiken der anderen Mitgliedstaaten Stets jedoch blieb die Bundesrepublik bei ihrer Forderung nach einer den regionalen Strukturbedingungen entsprechenden handels-und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Rahmen eines Globalkonzeptes der Politik der EG gegenüber möglichst allen Staaten der sogenannten Dritten Welt
Auch nach der Gründung der EWG pflegten die Mitgliedstaaten selbstverständlich ihre z. T. lange gewachsenen bilateralen Beziehungen zum afrikanischen Kontinent. Afrikapolitik der EG bedeutet deshalb bis heute nationale französische, britische, deutsche, in bestimmten Regionen auch belgische und marginal portugiesische sowie italienische Außen-, Außenwirtschafts-und Entwicklungspolitik. Als einziger EG-Staat spielt Frankreich auch eine bedeutende sicherheitspolitische Rolle in Afrika
Neben den einzelnen Mitgliedstaaten entfalten so-genannte Nichtregierungsorganisationen fast aller Staaten Westeuropas eine kaum zu überschätzende entwicklungs-und wirtschaftspolitische Arbeit in Afrika. Gleichzeitig ist die europäische Afrikapolitik das Kernstück der Dritte-Welt-Politik der größten Handelsmacht der Welt — der Europäischen Gemeinschaft. Hierfür gab die EG im Durchschnitt der letzten fünf Jahre ca. 3. 5 % ihrer Mittel. 195 mehr als 3. 8 Mrd. DM aus. Dies ist zwar nur etwa die Hälfte der jährlichen bundesdeutschen Entwicklungshilfe; dennoch stehen die Ausgaben der EG für die Dritte Welt an zweiter Stelle hinter denen für die Agrarpolitik 8).
Das Verhältnis zwischen Westeuropa und den schwarzafrikanischen Staaten gründet auf diesem komplexen Netz der Beziehungen auf verschiedenen Ebenen. Diese Vielfältigkeit der Bindungen zwischen Europa und Afrika muß stets berücksichtigt. kann hier jedoch nicht detailliert dargestellt werden. Unstrittig ist. daß der Einfluß, den die westeuropäischen Staaten heute noch in Afrika haben.seit 30 Jahren wesentlich durch die Politik der EG gestützt und mitbestimmt wird. Diese Politik hat sich bis heute zu einer Zusammenarbeit mit 66 afrikanischen, karibischen und pazifischen Ländern — den sogenannten AKP-Staaten — entwickelt. Dennoch ist sie bis heute auf Afrika konzentriert — zwei Drittel der 66 AKP-Länder sind afrikanisch.
II. Die Ziele, der rechtliche Rahmen und die ersten Instrumente der Assoziierungspolitik
Artikel 131 des EWG-Vertrages nennt als Ziel der Assoziierung der überseeischen Gebiete „die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Länder und Hoheitsgebiete und die Herstellung enger Wirtschaftsbeziehungen zwischen ihnen und der gesamten Gemeinschaft“. Sie soll „den Interessen der Einwohner dieser Länder und Hoheitsgebiete dienen und ihren Wohlstand fördern, um sie der von ihnen erstrebten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung entgegenzuführen“
Dieses Ziel sollte vorrangig durch zwei unterschiedliche Methoden europäischer Dritte-Weit-und speziell Afrikapolitik erreicht werden:
— Die EG-Länder versuchten, einen möglichst freizügigen wirtschaftlichen Großraum zu schaffen. Dabei stand jedoch von Anfang an fest, daß innergemeinschaftlichen Verpflichtungen, wie z. B.der gemeinsamen Agrarpolitik, im Falle eines Interessenkonfliktes stets Vorrang eingeräumt werden sollte.
— Gleichzeitig bemühte sich die EG. auch durch finanzielle Unterstützung von Entwicklungsprojekten den assoziierten Staaten zu helfen. 1968 kam die Nahrungsmittelhilfe als ergänzendes Instrument hinzu. Die für diese Politik notwendigen Mittel werden außerhalb des Haushaltsplans der Gemeinschaft durch Beiträge der Mitgliedstaaten zum Europäischen Entwicklungsfonds aufgebracht.
Neben den Artikeln 131— 136 stützt sich das Assoziierungsabkommen auf die in Teil 3 des EWG-Gründungsvertrags festgelegten Prinzipien der Handelspolitik Die außenpolitische Kompetenz verblieb bis heute nach wie vor uneingeschränkt bei den EG-Mitgliedstaaten. Entsprechend schuf sich die EWG mit dem erwähnten ersten Durchführungsabkommen kein polyvalentes Instrument einer umfassenden Dritte-Weit-und Afrikapolitik. Die EWG beschränkte sich vielmehr weitgehend auf handels-und entwicklungspolitische Instrumente. die auch handfesten Interessen der EG-Staaten dienen. Durch Handelspräferenzen, reziproke Zollsenkungen und Nichtdiskriminierungsklauseln blieb vor allem der Import von Rohstoffen und tropischen Agrarprodukten aus den assoziierten Staaten fast vollständig von tarifären Hindernissen verschont. Die Gelder des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) werden zum großen Teil als Zuschüsse zur Bezahlung von Aufträgen an euro-päische Unternehmer verwendet. Die Nahrungsmittelhilfe wurde zwar 1986 endgültig von der europäischen Agrarpolitik abgekoppelt. Der Absatz von jährlich ca. 1. 3 Mio. t Getreide, 95 000 t Milchpulver und 61 000 t pflanzlichem und Butteröl ist jedoch immer noch ein wichtiger Beitrag zum Abbau zuviel produzierter Nahrungsmittel der EG
III. Vom Durchführungsabkommen des Jahres 1957 zu den Verträgen von Jaunde
Das 1957 abgeschlossene Durchführungsabkommen betraf Länder, die sich nach Meinung der meisten EWG-Staaten auf dem Wege zur Unabhängigkeit befanden. Um ihnen die Möglichkeit zu geben, nach Erlangung der Souveränität über die Erneuerung, Abänderung oder die Aufgabe der Assoziierung selber zu entscheiden, wurde die Laufzeit des Abkommens auf fünf Jahre begrenzt.
Zumindest die frankophonen afrikanischen Staaten waren sich bewußt, daß sie mit ihrer völkerrechtlichen Unabhängigkeit nach kurzer Übergangsphase noch keineswegs auch wirtschaftlich unabhängig geworden waren. Sie standen vor der Alternative, entweder die vielfältigen und engen Bindungen an ihre ehemaligen „Mutterländer“ weitgehend aufrechtzuerhalten oder aber ein nicht nur wirtschaftliches Chaos zu riskieren, Die handelspolitischen Vorteile der Assoziierung (zollfreier Export vor allem von Rohstoffen und tropischen Produkten) waren für die exportschwachen Entwicklungsländer noch weniger wichtig als die Finanzierung von Entwicklungsprojekten durch den EEF. Schließlich weckte die Kooperation mit der Gemeinschaft in den afrikanischen Staaten Hoffnungen, die einseitige Fixierung auf die ehemalige Kolonialmacht durch engere Beziehungen auch zu den übrigen EWG-Mitgliedstaaten relativieren zu können. Deshalb wünschten fast alle afrikanischen Staaten nach ihrer Unabhängigkeitserklärung eine Fortsetzung der Zusammenarbeit.
Das vom Juli 1964 bis Mai 1969 gültige erste Abkommen (Jaunde I) zwischen 17 souveränen Staaten der Assoziation Afrikanischer Staaten und Madagaskar (AASM) und den sechs Gründungsländem der EWG zeigte, daß die afrikanischen Staaten trotz ihrer gerade errungenen Unabhängigkeit bei den Verhandlungen nur eine Statistenrolle gespielt hatten Dagegen dominierte Frankreich durch seine doppelte Funktion als Vertreter eigener Interessen innerhalb der EG und als Berater der meisten afrikanischen Regierungen. Die Handels-regelungen wurden nur ein wenig — und eher zugunsten der EWG — geändert. Für die landwirtschaftlichen Produkte, die der Preisreglementierung durch die EG-Agrarpolitik unterstehen, galten weiterhin Einfuhrbeschränkungen. Die europäischen Industrieprodukte behielten eine starke Position auf dem Markt der Assoziierten — auf Kosten eines hohen Konkurrenzdrucks auf die ohnehin sehr schwache afrikanische Industrie.
Nicht zuletzt auf deutschen Wunsch hin erhielten die assoziierten Staaten lediglich die Initiative bei den Vorschlägen für die zu fördernden Projekte. Ihre Forderung nach einer gemeinsamen Verwaltung der auf 730 Mill. ECU erhöhten Mittel des EEF war jedoch nicht berücksichtigt worden
Wirklich neu am ersten Vertrag von Jaunde waren die paritätisch besetzten gemeinsamen Institutionen. Während das vorhergehende Durchführungsabkommen allein von den Organen der EWG verwaltet worden war. mußten die europäischen Staaten nun der völkerrechtlichen Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien Rechnung tragen. „Auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung“ sollten alle die Assoziation betreffenden Fragen behandelt werden. Die neuen Institutionen, deren Strukturen deutliche Ähnlichkeiten mit denen der EWG zeigten. besaßen jedoch kaum echte Entscheidungsbefugnisse. Dies galt besonders für die Parlamentarische Konferenz, die damit auch in dieser Hinsicht der parlamentarischen Versammlung der EWG glich. Mangels einklagbarer Rechte blieb das Schiedsgericht weitgehend beschäftigungslos. Der Assoziationsrat konnte keine dem Ministerrat der EWG vergleichbare Rolle spielen. Er bestand aus den Mitgliedern des Rates der EWG. Mitgliedern der EWG-Kommission und je einem Vertreter der assoziierten Länder. In seinen mindestens jährlichen Treffen sollte der Rat „im gegenseitigen Einvernehmen“ für die Vertragsparteien verbindliche Beschlüsse und Entschließungen „im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele und das einwandfreie Funktionieren der Assoziation“ fassen. Doch die EG-Staaten bestimmten die Höhe und letztlich auch die Verwendung der für die Assoziierungspolitik verwendeten Mittel. Das Jaunde-I-Abkommen verkleidete so den stark postkolonialen Charakter der Beziehungen durch die Fassade einer gleichberechtigten Zusammenarbeit, nachdem 1957 die Instrumente und die finanziellen Mittel dieser Politik . europäisiert'worden waren.
Die Bundesrepublik trug zusammen mit Frankreich die Hauptlast bei der finanziellen Hilfe im Rahmen des Jaunde-I-und aller späteren AKP-Abkommen. Sie beteiligte sich mit 34. 1 % und 33. 76 % am ersten bzw. zweiten EEF. Jedoch zog Frankreich aus diesen Mitteln einen ungleich größeren Nutzen. 88% der Gelder des ersten EEF wurden in Form von Zuschüssen und Darlehen an die französischen Überseegebiete vergeben. Bis heute profitieren französische Unternehmen mehr als alle anderen aus dem EG-Raum von der Auftragsvergabe mit EEF-Geldem
Bei der Ratifizierung des Jaunde-II-Abkommens. das ab dem 1. Januar 1971 bis zum 31. Januar 1975 die Zusammenarbeit fortsetzte waren schon manch hohe Erwartungen an die Assoziierungspolitik enttäuscht worden. Trotz aller Präferenzen hatte sich der Handel mit den AASM zwischen 1958 bis 1969 nur um 13 % gesteigert. Gleichzeitig war der Warenaustausch der EG mit den nicht-assoziierten Entwicklungsländern um 17% gestiegen. Wie zur Kolonialzeit lieferten die afrikanischen Staaten hauptsächlich Rohstoffe in die Gemeinschaft. Eine signifikante Veränderung war lediglich. daß Frankreich beträchtliche Anteile des Warenverkehrs an die Bundesrepublik, Italien und die Niederlande verloren hatte
Vor diesem Hintergrund war es der Bundesrepublik gelungen, im zweiten Vertrag von Jaunde die Präferenzen für die AASM so weit zu reduzieren, daß sie den übrigen Entwicklungsländern nahezu gleichgestellt waren Mit dem System Allgemeiner Zollpräferenzen (GSP) zugunsten aller Entwicklungsländer wurde — entgegen den Wünschen der assoziierten Staaten — im Juli 1971 die Handelsposition der nicht-assoziierten Länder an die der AASM — angenähert
Mit dem Beitritt Großbritanniens zur EG ließ sich die Assoziierungspolitik weder in ihrer bisherigen regionalen Begrenzung auf Afrika noch in ihrer konzeptionellen Bestimmung besonders durch Frankreich ohne weiteres fortführen. Die Bundesrepublik erhielt britische Unterstützung für ihre Forderung nach einer globalen Entwicklungspolitik. Dies zeigte schon vor der Erweiterung der EG im Jahre 1973 Wirkung. Die Versuche, mit den ehemals britischen Gebieten Ostafrikas (Uganda, Kenia und Tansania) weiteren Staaten präferenziellen Zugang zum EG-Markt zu gewähren, zeitigten nach mehreren Anläufen 1971 — also nach Beginn der Beitrittsverhandlungen — endlich Erfolge Mit dem Protokoll 22 der Beitrittsakte wurde dann im Januar 1972 allen unabhängigen Commonwealth-Staaten in Tropisch-Afrika, in der Karibik, im Indischen und im Pazifischen Ozean eine der Position der AASM entsprechende Assoziierung mit der EG angeboten.
London trug auch seine jahrhundertealte koloniale Erfahrung und Dritte-Welt-Politik in die Gemeinschaft. Sie mußte nun mit ihren spezifischen Zielen und Interessen in den gemeinschaftlichen Abstimmungsprozeß eingebracht werden Noch stärker als vorher bestand jetzt die Gefahr, daß das Nebeneinander der Entwicklungspolitik der Gemeinschaft und der einzelnen Mitgliedstaaten zu einem unübersichtlichen Gegeneinander und zu endlosem Gerangel um die EEF-Gelder würde.
Somit war es Anfang der siebziger Jahre höchste Zeit, eine umfassende Konzeption europäischer Politik gegenüber der Dritten Welt und besonders gegenüber Afrika zu entwerfen. Ein von der EG-Kommission ausgearbeitetes Memorandum wurde von den Staats-und Regierungschefs auf dem Gipfeltreffen im Oktober 1972 jedoch auf eine sehr allgemeine Kompromißformel reduziert. Afrikaorientierte . Regionalisten'auf der einen und . Globalisten* auf der anderen Seite einigten sich, den bisherigen regionalen Ansatz zwar nicht aufzugeben, aber verstärkt einen Interessenausgleich zwischen den assoziierten afrikanischen Ländern und den übrigen Entwicklungsländern zu suchen Mit diesem Memorandum hatte die Kommission — unterstützt vom Europäischen Parlament — auch ver-sucht, ihre Verantwortlichkeiten für diesen Politikbereich zu erweitern und die finanziellen Mittel für die Kooperation zu erhöhen. Dies hätte aber zur Aushöhlung der bilateralen Entwicklungshilfe der einzelnen EG-Staaten führen können. Auf ihrer Ratstagung im Juni/Juli 1974 reagierten die für Entwicklungspolitik zuständigen Minister, indem sie einstimmig ihre Bereitschaft zur „Harmonisierung und Koordinierung“ der bilateralen Politik der Mitgliedsländer erklärten. Dies bedeutete, daß die nationalen Politiken nicht ersetzt, sondern allenfalls koordiniert und durch die Politik auf Gemeinschaftsebene ergänzt werden sollten.
IV. Die Weiterführung der europäischen Afrikapolitik im Rahmen der Lome-Vereinbarungen
Mit der Unterzeichnung der ersten Lome-Konvention am 28. Februar 1975 begann die bisher letzte Stufe des sich seit 1957 entwickelnden Prozesses, in dessen Verlauf die EG zum Haupthandelspartner, Hauptkreditgeber und damit auch zu einem der Hauptentwicklungshelfer der Dritten Welt geworden ist. Lom ist die Fortführung der Jaunde-Politik. gleichzeitig aber auch die Geburtsstunde eines bis heute in seinen Grundzügen wirksamen, weltweit einmaligen Rahmens für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit und für den Dialog zwischen Nord und Süd.
Die Kooperation im Rahmen des ersten Lome-Vertrages wurde 1979 durch ein zweites Abkommen (Lome II) weitergeführt. Es hatte wiederum eine auf fünf Jahre begrenzte Laufzeit (1. März 1980— 28. Februar 1985). Auch beim dritten Lom-Abkommen, das am 8. Dezember 1984 unterzeichnet wurde, bestanden die AKP-Staaten entgegen den europäischen Wünschen auf eine begrenzte Laufzeit (1. März 1985— 28. Februar 1990), um den Vertragsinhalt neu verhandeln zu können 1. Die Grundstrukturen der Lome-Politik In den Verhandlungen gelang es den AKP-Staaten, einen Katalog gemeinsamer Forderungen an die EG-Staaten vorzulegen. Dies war angesichts der Heterogenität der AKP-Gruppe eher überraschend: 18 der schwarzafrikanischen Staaten gehörten 1974 zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Einige waren Kleinstaaten fast ohne Entwicklungs-und Industrialisierungskapazitäten, während Nigeria mit 73 Mill. Einwohnern zu den volkreichsten und von seinen natürlichen Ressourcen her zu den entwicklungsfähigsten Staaten Afrikas zählt Die Entwicklungsländer forderten die Erhöhung der Mittel des EEF und den freien Zugang zum EG-Markt für alle Erzeugnisse ohne Gegenpräferenzen. Vor allem aber forderten sie gegenüber den EG-Staaten und im Rahmen der UN die Neuordnung der Produktions-, Austausch-und Verteilungsmechanismen der Weltwirtschaft.
Mit dem Ölschock 1973 und der nachfolgenden Krise der westlichen Wirtschaften hatte sich das Verhältnis zwischen Industrie-und Entwicklungsländern verändert. Die Entwicklungsländer waren sich der Wirksamkeit eines selbstbewußten und koordinierten Auftretens gegenüber den Industrienationen bewußter geworden. Die Industrienationen hatten ihre Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus der Dritten Welt schmerzhaft zu spüren bekommen. Dies führte bei den Verhandlungen zum ersten Lome-Vertrag zu einer weitgehend kooperations-und kompromißbereiten Haltung der EG-Staaten. So verzichteten sie in der am 28. Februar 1975 unterzeichneten und Anfang 1976 in Kraft getretenen sogenannten Lome-I-Konvention auf Gegenpräferenzen Dafür akzeptierten die AKP-Staaten das Prinzip der Meistbegünstigung, das heißt für Importe dieser Staaten aus Drittländern dürfen keine günstigeren Regelungen vereinbart werden als für die Waren aus der EG. Ca. 94 % der gegenwärtigen Exportprodukte der AKP-Staaten erhielten freien Zugang zum EG-Markt. Die Produkte des europäischen Agrarmarktes (vor allem Rindfleisch. Getreide und Zitrusfrüchte) blieben jedoch weitgehend vor billigen Importen geschützt. so daß die AKP-Staaten erst gar keine Chance für die Steigerung des Exports dieser Produkte in die EG erhielten. Die Gemeinschaft behielt sich darüber hinaus mit einer Schutzklausel das Recht vor.den freien Zugang nach eigenem Ermessen dann einzuschränken, wenn dadurch die Wirtschaft eines Mitgliedslandes beeinträchtigt wird. Sie wurde zwar noch nie angewandt, aber als Drohmittel benutzt, um von einigen AKP-Ländern sogenannte „Selbstbeschränkungsabkommen“ für den Export in die EG zu erzwingen.
Widerwillig einigten sich beide Seiten auf das eigentliche Neue an Lome I. einem System zur Stabilisierung der Exporterlöse (STABEX) Die Organe, der AKP-EG-Ministerrat, der vom Botschafterausschuß unterstützt wird, und die Beratende Versammlung, entsprachen dem bekannten Muster der Jaunde-Verträge. Der Gemeinsame Ministerrat bestehend aus den Mitgliedern des Rates der EG, Vertretern der Kommission und je einem Mitglied der Regierungen der AKP-Staaten, bestimmt die Leitlinien der durchzuführenden Maßnahmen. Der Botschafterausschuß soll u. a. die Verwirklichung der vom Ministerrat festgelegten Ziele prüfen und die Arbeit aller Ausschüsse, Arbeitsgruppen und sonstiger Gremien überwachen. Die Beratende Versammlung setzt sich paritätisch aus Mitgliedern des EG-Parlaments und Vertretern der AKP-Staaten (meist die Parlamentspräsidenten und jeweils ein Diplomat) zusammen. Sie traten in der Regel als Sprachrohr ihrerjeweiligen Regierungen auf, was die parlamentarische Qualität der Arbeit in diesem Gremium deutlich einschränkte. Die Versammlung traf sich mindestens einmal im Jahr. Sie nahm den Tätigkeitsbericht des Ministerrates entgegen, konnte „beratende Ad-hoc-Ausschüsse zur Durchführung der von ihr festgelegten besonderen Arbeiten einsetzen“ und Empfehlungen verabschieden. In der Laufzeit des Lome-II-Vertrages wurde ihre Arbeit vorbereitet und gestrafft durch den sogenannten Paritätischen Ausschuß. Mit Lome III, wurde die Beratende Versammlung in Paritätische Versammlung umbenannt, womit die gleichberechtigte Zusammenarbeit unterstrichen wurde. 2. Die Ergebnisse und Folgen der Lome-Politik Der erste Lom-Vertrag eröffnete denjenigen Staaten des afrikanischen, karibischen und pazifischen Raumes eine Beitrittsmöglichkeit, die entweder ehemaliges Überseegebiet eines EG-Landes sind oder eine den AKP-Staaten vergleichbare Wirtschafts-und Produktionsstruktur haben. Dadurch erhöhte sich die Zahl der an der Kooperation beteiligten Dritte-Welt-Staaten von 46 im Jahre 1975 auf bis heute 66. davon zwei Drittel in Afrika. Somit bilden die Lom-Verträge den wichtigsten Rahmen für die internationale Kooperation der Mehrheit der afrikanischen Staaten. Das gesamte Afrika südlich der Sahara mit Ausnahme der Südafrikanischen Republik und Namibia wurde als einheitlicherWirtschaftsraum mit der EG verbunden. Dies sagt jedoch kaum etwas über die Qualität der Zusammenarbeit und ihre Ergebnisse aus. a) Handelskooperation Durch den freien Zugang ihrer Industrieerzeugnisse und der Nahrungsmittel, die nicht der Reglementierung durch die europäische Agrarpolitik unterliegen, erhofften sich die AKP-Länder erhöhte Exportchancen, eine Verbesserung ihrer Zahlungsbilanz und ihrer Konkurrenzsituation gegenüber den anderen Entwicklungsländern.
Tatsächlich stiegen die AKP-Exporte in die EG wesentlich stärker als in die Nicht-EG-Staaten; ihr Wert erhöhte sich zwischen 1975 und 1986 um 141 % auf 19, 57 Mrd. ECU. Allein von den afrikanischen Staaten kaufte die Gemeinschaft Güter im Wert von 17. 85 Mrd. ECU -16, 5 % mehr als 1981. Doch 1986 machte der Import aus nur 4 AKP-Staaten (Elfenbeinküste. Nigeria, Kamerun und Zaire) ca. die Hälfte der gesamten EG-Importe aus den AKP-Staaten aus. 30 % der Exporte der EG in die AKP gingen in diese Länder. Dies macht deutlich, daß die schwächsten AKP-Staaten von den angebotenen Zollfreiheiten kaum profitieren können.
Der Anteil der AKP-Exporte am Import der Gemeinschaft aus allen Entwicklungsländern nahm zwischen 1975 und 1986 nur sehr mäßig um 2. 14% zu — und dies trotz des Anwachsens der Zahl der AKP-Staaten von 44 auf 66! Der Anteil der EG-Exporte in den AKP-Raum am gesamten europäischen Export in die Entwicklungsländer sank sogar zwischen 1975 und 1986 von 18. 42% auf 14. 91%. Die 1976 noch mit 600 Mill. ECU positive Bilanz des Handels der AKP-Staaten mit der Gemeinschaft erreichte bis 1982 ein Defizit von 478 Mill. ECU. Erst danach drosselten die AKP-Staaten ihre Importe und erreichten 1986 wieder einen Überschuß von über 3. 5 Mrd. ECU.
Bedingt besonders durch fallende Rohstoffpreise verschärfte sich die Verschuldungssituation während der bisherigen Laufzeit der Lom-Verträge: 1975 waren alle AKP-Staaten mit ca. 17 Mrd. US-Dollar, 1986 allein Nigeria mit 22. 5 und die Elfenbeinküste mit 6. 9 Mrd. US-Dollar verschuldet Keinem der AKP-Staaten gelang während der Laufzeit von Lome I. II und III ein wirklich bedeutsamer Entwicklungssprung. Das Pro-Kopf-Einkommen zahlreicher afrikanischer AKP-Staaten ist vielmehr gesunken, das heißt weite Teile der Bevölkerung dieser Staaten sind noch mehr verarmt Diese enttäuschenden Ergebnisse zeigen, daß die Hilfe durch die zollfreie Handelskooperation nicht zuletzt wegen fallender Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt, struktureller Wettbewerbsschwächen vieler afrikanischer AKP-Staaten, aber auch handels-und wirtschaftspolitischer Fehler in einer Reihe dieser Staaten begrenzt ist. Die EG sollte vor allem weiter helfen, die Produktionsmöglichkeiten in den AKP-Ländern und ihre Absatzchancen auch in Drittländer zu fördern. Im intensiveren Dialog sollte gemeinsam nach Wegen gesucht werden, die industrielle Wettbewerbssituation dieser Staaten zu verbessern. Gleichzeitig muß die EG die Auswirkungen der eigenen Agrarpolitik auf den Agrarexport der Entwicklungsländer kritisch überdenken. Die vereinbarten Protokolle über Sonderregelungen u. a. für den Import von Rindfleisch und Zucker sind eine begrenzte Hilfe für die AKP-Staaten Auf der anderen Seite wird der Agrarexport der AKP-Staaten in Drittländer teilweise schwer von den Folgen der subventionierten Nahrungsmittelexporte der EG betroffen. b) Stabilisierung der Exporteinkünfte (STABEX) und SYSMIN Größte Hoffnungen verbanden die AKP-Länder mit den Fonds zur Stabilisierung der Exporterlöse bestimmter Rohstoffe, die sie jedoch nie als adäquaten Ersatz für die geforderte „Neue Weltwirtschaftsordnung“ betrachteten. Weiterhin erstrebten sie eine möglichst umfassende Garantie ihrer Deviseneinkünfte aus dem Rohstoffexport. Aus europäischer Sicht ist es dagegen Ziel des Systems, heftigen Auswirkungen von Erlösschwankungen beim Export der für das Entwicklungsland wichtigsten Erzeugnisse entgegenzuwirken. Deshalb setzten die EG-Staaten durch, daß die in Form von Zuschüssen oder günstigen Krediten gezahlten STABEX-Erstattungen für Erlösrückgänge beim Export nur bei starken Einbrüchen der Preise („Preisfaktor“) eines Gutes möglich sind, dessen Anteil am Gesamtexporterlös des AKP-Staates mindestens 6% (Lome III; bei Lome II noch 6, 5%) seiner Gesamtexporterlöse ausmacht („Mengenfaktor“).
Die EG-Staaten ließen es jedoch zu, daß die Liste der durch das 1975 vereinbarte STABEX-System unterstützten Agrarrohstoffe immer länger und die Zahl der Empfängerländer immer größer wurde: 1975 galt es für zwölf Produktgruppen und 46 Länder. Im Jahre 1981 wurden bereits 44 Positionen und 61 Länder berücksichtigt. Durch den Lom-II-Vertrag wurde STABEX sogar um ein Hilfssystem für nicht selbst verschuldete Schwierigkeiten (etwa starker Rückgang der Exporterlöse durch Verfall des Weltmarktpreises) von Bergbauindustrien (SYSMIN) in AKP-Staaten erweitert. Dafür stellte die Gemeinschaft 282 Mill, und im Lom-III-Vertrag 415 Mill. ECU bereit.
In den Jahren 1977— 1979 verzeichneten die AKP-Staaten eine relativ gute Ertragslage. Dies änderte sich 1980 durch ungünstige Klimabedingungen in der Sahel-Zone, Ernteausfälle bei Kaffee, vor allem aber durch den Rückgang der Nachfrage und das Sinken der Rohstoffpreise. Da die Höhe der STA-BEX-Gelder jährlich auf der Grundlage der Exporterlöse in vier vorhergehenden Referenzjahren festgesetzt wird, führte dies ab 1980 zu einer finanziellen Überforderung des Garantiefonds. Zur Deckung aller Ansprüche wären STABEX-Mittel in Höhe von 261 Mill. ECU erforderlich gewesen. Tatsächlich konnten nur 138 Mill. ECU, d. h. 53% ausgezahlt werden 1981 betrug die Quote nur annähernd 42%.
Die Situation verbesserte sich ab 1985. Die Gründe waren, daß im Lome-III-Vertrag die Transferleistungen für die gesamte Laufzeit auf 925 Mill. ECU erhöht wurden. Vor allem aber sanken aufgrund der mageren Referenzjahre die Ansprüche. 1986 konnten deshalb alle Anträge von 16 Ländern in Höhe von 149. 4 Mill. DM gedeckt werden. 99. 4% dieser Gelder erhielten afrikanische Staaten
Für 1987 werden jedoch wieder Ansprüche erwartet. die die bereitgestellten Mittel übersteigen. Dennoch wünschen die Entwicklungsländer nach wie vor eine umfassende Exporterlös-oder Einkommensgarantie. Dafür müßten im nächsten EEF die Mittel für die Garantiefonds erhöht werden, wodurch angesichts kaum zu erwartender drastischer Steigerungen der Gesamthöhe der EEF-Gelder die Entwicklungshilfe in andere Bereiche finanziell ausgehöhlt würde.
Mittlerweile werden 48 Produkte im STABEX-System berücksichtigt. Dies sind praktisch alle wichtigen agrarischen Exportgüter. Es hat sich gezeigt, daß STABEX Auswirkungen konjunktureller Preisschwächen auf dem Weltmarkt lindem kann. Keineswegs kann und soll es jedoch notwendige Strukturanpassungen verhindern. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit, das System zu verbessern, statt die Förderliste um weniger wichtige Exportprodukte zu verlängern oder weitere Länder als antragsberechtigt anzuerkennen. Dazu könnten auch regelmäßige wirtschaftliche Konsultationen zwischen EG-und AKP-Vertretern unter Einschluß erfahrener Fachleute aus der Wirtschaft beitragen, um so die langfristige Dispositionskompetenz zu erhöhen und wirtschaftliche Fehlentscheidungen soweit wie möglich zu verringern Ein Ziel muß es auch sein, bei der Ermittlung des Transferbetrages den Gesamtexport sowie den Entwicklungsstand des einzelnen Empfängerlandes zu berücksichtigen. c) Finanzielle und technische Zusammenarbeit Wegen ihrer schwachen Exportmöglichkeiten können zahlreiche AKP-Staaten nur einen begrenzten Nutzen aus der Handelskooperation, dem STA-BEX-und dem SYMIN-System ziehen. Deshalb ist für sie der weitaus größere Teil der EEF-Mittel, der nicht zur Finanzierung dieser Systeme dient, sondern für Entwicklungsprojekte zur Verfügung gestellt wird, von wesentlich höherer Bedeutung.
Die Höhe der nach sehr unterschiedlichen Methoden und Modalitäten (Zuschüsse. Darlehen. Risikokapital. Kredite der Europäischen Investitionsbank) verteilten finanziellen Hilfe aus der EG hat sich seit dem ersten Fonds 1957 mehr als verzehnfacht und erreichte bei Lome-III 8 500 Mill. ECU. Die europäischen Staaten sind zweifellos der größte Entwicklungshelfer auf dem afrikanischen Kontinent. Doch gemessen am Bevölkerungswachstum und unter Berücksichtigung der Inflationsrate schrumpfen die Pro-Kopf-Hilfe und die reale Zuwachsrate des EEF auf sehr bescheidene Größen. Deshalb überrascht es nicht, daß die Entwicklungsländer beständig eine spürbare Anhebung der Hilfe fordern.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders problematisch. daß die schon bereitgestellten Mittel teilweise nur sehr zäh abfließen Die AKP-Länder machen dafür u. a. das komplizierte Antragsverfahren. die schleppende Entscheidungsfindung und nicht zuletzt die so gern behauptete Trägheit der Brüsseler Bürokratie verantwortlich. Von EG-Seite werden dagegen vor allem Mängel in vielen Projektanträgen, teilweise schlampige, unfähige und/oder korrupte Verwaltungen sowie eine zermürbend langsame Projektdurchführung in den Entwicklungsländern beklagt. Sicherlich liegt die Wahrheit in der Mitte. Fest steht nur. daß die Abflußgeschwindigkeit ohne Effizienz-und Kontrollverluste erhöht und bisherige, nur partiell erfolgreiche Anstrengungen gemeinsam verstärkt werden müssen.
d) Landwirtschaftliche Zusammenarbeit und Nahrungsmittelhilfe Mehr als 50% des Sozialproduktes der afrikanischen Länder werden im Agrarsektor erwirtschaftet. in dem ca. 80 % der Gesamtbevölkerung arbeiten. Dennoch drängten die AKP-Regierungen lange Zeit besonders stark auf Hilfen zur Industrialisierung, während die EG größeren Wert auf die Stärkung der ländlichen Gesellschaftsstruktur legte. Ab dem Lome-II-Vertrag wurde dem mehr entsprochen. Die zu diesem Zweck bereitgestellten Mittel des 5. EEF wurden gegenüber dem 4. EEF (Lome I) um nahezu ein Drittel von 702 auf 933. 7 Mill. ECU erhöht. Bei Lome III wurde endlich der ländlichen Entwicklung höchste Priorität eingeräumt. 80— 90% der Lome III-Gelder sollen für die ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung bereitgestellt werden Insgesamt erhielten die AKP-Staaten südlich der Sahara zwischen 1974 und 1986 allein Nahrungsmittelhilfen im Werte von ca. 2 Mrd. ECU Dennoch konnte diese Hilfe die Verschärfung des Hungerproblems in Afrika nicht verhindern.
Es gibt keine kurzfristigen Alternativen zur Nahrungsmittelhilfe im Katastrophenfall. Aber nur ca. 30 % der Nahrungsmittel aus der EG wurden bisher bei akuten Notlagen verteilt. Zu Recht wird daher an den restlichen 70% heftige Kritik geübt. Sie ersparten den Entwicklungsländern zwar Devisen für kommerzielle Agrareinfuhren. In den Entwicklungsländern ist allerdings häufig zu beobachten, daß die Nahrungsmittel oft nicht den Weg zu den hungernden Bevölkerungsschichten finden. Nicht selten wirkt sich die Nahrungsmittelhilfe negativ auf die örtliche Agrarstruktur, auf Eßgewohnheiten und die Motivation der Bauern aus. Schließlich dient sie oft dazu, die Folgen einer verfehlten Agrarpolitik der Empfängerländer zu mildem. Sinnvoller ist eine verstärkte technische und finanzielle Hilfe zum Aufbau eines funktionsfähigen Agrarsektors, der langfristig zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung der Entwicklungsländer führt. e) Industrielle Zusammenarbeit Lange Zeit hatten auf Wunsch der AKP-Staaten Hilfen zur Industrialisierung Vorrang in der praktischen Entwicklungspolitik Durchschnittlich wurden in den letzten Jahren ca. 25 Mill. ECU vergeben — dennoch nur ein Tropfen auf den buchstäblich heißen Steinen Afrikas. Ein Schlüsselfaktor für die Industrialisierung ist der ungehinderte Zugang von verarbeiteten Erzeugnissen zum EG-Markt. Die Partner der EG verweisen immer wieder auf die sogenannte „Schutzklausel“ und die „Ursprungsregeln“ in den Verträgen, die den Zugang dieser Waren angeblich wirkungsvoll verhindern Im Lome-II-Vertrag wurden jedoch 99, 3 % der Ausfuhren der AKP-Staaten von allen Zöllen, Abgaben und mengenmäßigen Beschränkungen befreit und die Anwendungsmöglichkeiten der Schutzklausel weiter eingeengt Dennoch ging zwischen 1973 und 1980 das Wachstum der Industrieproduktion der Länder südlich der Sahara auf 5 % zurück; von 1980 bis 1985 schrumpfte die verarbeitende Industrie dieser Region sogar. Zu den Gründen gehören neben einer unzulänglichen Infrastruktur und dem Mangel an qualifiziertem Personal auch eine teilweise völlig verfehlte Wirtschaftspolitik einiger afrikanischer Staaten Mit den knappen Devisen wurde eine ineffiziente verarbeitende Industrie aufgebaut, die nur geringe Leistungen in Form von Arbeitsplätzen und Produktion erbrachte.
Während die Weltbank und der Weltwährungsfonds in vielen Fällen den Entwicklungsländern detaillierte wirtschaftspolitische Bedingungen stellt, ging die EG davon aus. daß „die AKP-Staaten . . . als gleichberechtigte Partner . . .selbst die Verantwortung für ihr wirtschaftliches Schicksal haben und am besten wissen müssen, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen“ Dieser wirtschaftspolitische Neutralismus der Kommission trug mit dazu bei, in den EG-Ländem die Sympathie für die bilaterale Entwicklungshilfe zu stärken. Mittlerweile hat sich jedoch das Verhalten der Kommission geändert. Im Rahmen der Verteilung der Lome-III-Mittel auf die von den Entwicklungsländern beantragten Projekte wurden mit den einzelnen Empfängerländern Überlegungen darüber angestellt, durch welche wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und Eigenleistungen des Empfängerlandes der Erfolg der zu fördernden Programme am besten unterstützt werden kann. Fragen, wie z. B.der Schutz europäischer Investitionen oder ein intensivierter Technologietransfer, der nicht dem Prestige des Empfängerlandes dient, sondern seinen spezifischen Strukturbedingungen angepaßt ist, müssen jedoch weiter diskutiert werden. f) „Politikdialog“ und die Zusammenarbeit in den Institutionen Mehr Geld — dies ist eine der am häufigsten geäußerten afrikanischen Forderungen an Europa. Sie ist teilweise gerechtfertigt. Immerhin erfüllen bis heute nur drei EG-Staaten die Forderung der UNO an die reichen Länder der Welt, 0, 7% ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben. Dies sind Frankreich (0, 78%). Dänemark (0. 83%) und die Niederlande (0, 97%). Die bun-desdeutsche Quote liegt dagegen bei nur 0, 46% Angesichts eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist die Bereitschaft, auf die finanziellen Forderungen der AKP-Seite einzugehen, in den letzten Jahren eher noch geringer geworden.
Die westeuropäischen Staaten legen mehr Gewicht auf den effizienten Einsatz und die bessere Kontrolle der Verwendung der knappen Mittel. Deutlicher als früher wird die Steigerung der Eigenanstrengungen der AKP-Länder gefordert. In diesem Zusammenhang steht auch der Wunsch der EG nach einem verstärkten Dialog mit den Entwicklungsländern über den richtigen Weg zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation.
Lange Zeit gab es gegen diesen sogenannten „Politikdialog“.der besser Entwicklungsdialog genannt würde, von Seiten der AKP-Staaten heftigen Widerstand. Auch heute noch kommt es besonders bei Treffen der Paritätischen Versammlung vor. daß einige Vertreter afrikanischer Staaten diesen Dialog als „kolonialistischen Einmischungsversuch“ der EG mißverstehen. Im Vergleich zu solcher Polemik verliefen die erwähnten Gespräche zwischen der Kommission und den einzelnen AKP-Staaten bei der Programmierung der Lome-III-Gelder jedoch in sachlichem Tone.
Immer wieder betonte die EG. einen anderen Weg als die Weltbank gehen und keinesfalls den Entwicklungsländern die Entscheidung über die einzuschlagende Strategie vorschreiben zu wollen. Es geht bei diesem Entwicklungsdialog darum, gemeinsam konzeptionelle Grunddeterminanten einer erfolgversprechenden Entwicklungspolitik zu diskutieren. Über das bisher Erreichte hinaus müssen jedoch u. a. adäquate Währungs-und unverzerrte Faktorpreis-Relationen gesucht, ein der Situation des Landes angemessenes Verhältnis zwischen kapital-und arbeitsintensiven Industrien angestrebt werden. Ebenso muß eine sinnvolle Balance zwischen industrieller und ländlicher Entwicklung, zwischen der Produktion von landwirtschaftlichen Exportgütern und Nahrungsmitteln zur Versorgung der eigenen Bevölkerung, zwischen Ernährungsmöglichkeiten und Bevölkerungswachstum gefunden werden. Schließlich muß über die wirtschaftspolitische Rolle staatlicher Verwaltungen und die Bedeutung kleiner und mittlerer Privatunternehmen gesprochen werden.
Ein solcher Dialog ist kein Gegensatz zum Prinzip der gleichberechtigten und partnerschaftlichen Kooperation. Dennoch wird er noch lange Zeit politisch und psychologisch schwierig bleiben. Gut 20 Jahre nach der Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Staaten ist die Erinnerung an den europäischen Kolonialismus noch frisch und verständlicherweise die Gefahr groß, hinter dem Wunsch nach einem Gespräch über diese sensiblen Themen Einmischungsversuche zu vermuten. Hier hat die kolonialistisch unbelastete Bundesrepublik Deutschland besondere Aufgaben.
Die institutionellen Organe AKP—EG haben sich allenfalls teilweise als geeignete Foren für diesen Dialog erwiesen. Vor allem die Paritätische Versammlung ist mehr ein Ort heftiger Angriffe auf die EG als ein Ort sachlicher Diskussionen um die Lösung der zahlreichen Probleme geworden. Regelmäßig klagen die AKP-Vertreter über eine zu geringe Hilfe aus der EG und verurteilen die Politik einzelner europäischer Staaten gegenüber Südafrika. Dabei werden sie vom linken Spektrum der EG-Parlamentarier unterstützt. Auf diesen Druck hin und im . Gegenzug'zu einer Menschenrechtsklausel dokumentierte die EG gegen heftigen inneren Widerstand vertraglich ihre „Entschlossenheit. sich wirkungsvoll für die Abschaffung der Apartheid“ einzusetzen Dies wird nun von AKP-Seite . eingeklagt'. Vor allem vom CDU-Bundestagsabgeordneten Hornhues angeregte Versuche der EG. auch mit Hilfe der Lome-Organe vorsichtig einen Dialog zwischen Vertretern Schwarz-afrikas und der Südafrikanischen Regierung anzuregen, wurden jedoch bisher von AKP-Vertretern — und mit Unterstützung der Mitglieder der kommunistischen und der Regenbogen-Fraktion des Europäischen Parlaments — abgelehnt Nie führten jedoch die z. T. recht polemischen Anklagen zu einer Reduzierung der Hilfsleistungen. Die fruchtlosen Diskussionen über Südafrika sind allerdings geeignet, nicht nur den Zusammenhalt der EG-Seite zu schädigen, sondern von den wirklichen Problemen abzulenken und das Klima der Zusammenarbeit zu belasten.
Der AKP-EWG-Ministerrat erbte die kraftlosen Strukturen des Assoziationsrates des Jaunde-Abkommens. Nur zäh und mehr gegen Widerstreben entwickelt sich hier ein intensivierter entwicklungspolitischer Dialog. Allerdings begannen 1986 zahlreiche Länder Afrikas — wie z. B. Nigeria. Ghana. Mauritius, Senegal und Togo — wirtschaftspolitische Reformen, die durch die schlechten Erfahrungen der Vergangenheit initiiert wurden, aber von der EG im kreativen gemeinsamen Gespräch begleitet werden können
V. Forderungen an die Zukunft
Es ist nicht verwunderlich, daß vor allem von afrikanischer Seite die Ergebnisse der Lome-Kooperation im Vergleich zu den Ausgangserwartungen aus dem Jahre 1975 eher skeptisch bewertet werden. „Lom ist zum Symbol internationaler Kooperation geworden“, erklärte z. B.der damalige Präsident des AKP-Ministerrates, Rabbie L. Namaliu. bei Unterzeichnung von Lom III, „es ist praktisch der einzige Leuchtturm in einem unsicheren Meer. Doch ist Lome zugleich auch das Grab vieler enttäuschter Hoffnungen.“
Aber auch auf Seiten der europäischen Staaten gibt es zahlreiche Unzufriedenheiten über die Ergebnisse dieser Politik. Dabei wird häufig vergessen, daß sich angesichts der riesigen Probleme der Entwicklungsländer Fortschritte nur langsam einstellen können. Auch das Verhältnis zwischen Afrika und Europa ist ein langsamer gegenseitiger Lem-und Anpassungsprozeß. Resignation und Ungeduld wären völlig falsch.
Dies gilt auch hinsichtlich der im Herbst dieses Jahres beginnenden Verhandlungen über einen neuen Lome-Vertrag. Die Gemeinschaft wird ihr Interesse vorrangig auf die Gestaltung und Festigung des politischen Dialogs sowie auf die Wahrung der Menschenrechte konzentrieren. Die AKP-Seite wird vor allem den Ausbau der . klassischen'Lome-Instrumente (noch freieren Zugang zum EG-Markt. mehr Geld für den EEF) verlangen. Doch Veränderungen des Bestehenden und neue Impulse für die Zukunft sind notwendig. Zunächst darf der europäische Wille zu einer gemeinsamen Politik gegenüber Afrika und anderen Teilen der Dritten Welt nicht erlahmen. Die AKP-Politik und speziell die Beziehungen zu den afrikanischen Staaten sind auch die Nagelprobe auf den Mut und die Kraft zu einem weltweiten Engagement und zu einer weltpolitischen Rolle Westeuropas. Als stärkste Handelsmacht der Welt ist die EG zu einer solchen Rolle verpflichtet. Die Kraft dazu können die westeuropäischen Staaten jedoch nur gemeinsam gewinnen.
Die Afrikapolitik der EG ist in erster Linie gemeinsame Außenhandels-und Entwicklungspolitik der westeuropäischen Staaten im Rahmen der AKP-Kooperation. Sie muß ergänzt werden um eine gemeinsame Außen-und auch Sicherheitspolitik Westeuropas gegenüber Afrika. Dies war bisher nicht möglich, weil der Wille zu einer solchen gemeinsamen Politik zu schwach war. Die EG-Staaten dürfen jedoch nicht länger ihre sicherheitspolitische Verantwortung in Afrika auf Paris abschieben und über das französische Engagement häufig auch noch in der Öffentlichkeit die Nase rümpfen. Nur wenn sich dies ändert, kann Europa langfristig ein starker Partner Afrikas bleiben. Gelingt dies nicht, wird Europa in Afrika in den Schatten der Supermächte gedrängt werden.
Bisher war die europäische Afrikapolitik keinesfalls ein Paradebeispiel gelungener Integration. Selbst in ihrer handels-und entwicklungspolitischen Begrenztheit fehlt ihr bisher die gemeinsame Konzeption. Die Initiativen von Kommission und Europäischem Parlament, eine wirklich kohärente Entwicklungspolitik zu entwerfen, sind auch Teil des Versuchs.den Einfluß des Rates und damit der Nationalstaaten auf die gesamte EG-Politik zurückzudrängen. Diese Bemühungen blieben bisher in den Ansätzen stecken.
Solange die EG nicht zu einer wirklich gemeinsamen Außenpolitik gefunden hat. kann es nicht das Ziel sein, die nationalen Entwicklungshilfepolitiken auszutrocknen und die EG zur alleinigen europäischen Entwicklungshilfeorganisation zu machen. „Anstreben sollte die Gemeinschaft statt dessen die Kombination der jeweils besten entwicklungspolitischen Ansätze der Mitgliedstaaten.“ Dazu muß jedoch die Koordination zwischen den EG-Staaten entschieden verbessert werden. Für die Entwicklungszusammenarbeit in vielen Bereichen, in denen die EG eindeutige Kompetenzen besitzt oder nur gemeinschaftliche Leistungen sinnvoll sind, müssen die Haushaltsmittel der Gemeinschaft erhöht werden. Dies gilt beispielsweise für die Handels-und Wirtschaftsbeziehungen zu Afrika und anderen Regionen, für eine weltweite Umweltpolitik oder für den politischen Dialog über Probleme, die die Interessen mehrerer Mitgliedstaaten berühren. Erleichtert würde dies durch die Bereitschaft der Kommission, ihre bis heute auf mehrere Generaldirektionen verteilten entwicklungspolitischen Kompetenzen auf eine Generaldirektion zu konzentrieren.
Die Ziele der gemeinsamen Entwicklungskooperation und die Kompetenzen der europäischen Institutionen in diesem Bereich sollten endlich in einem eigenen Kapitel im EWG-Vertrag festgeschrieben werden. Gleichzeitig sollten die Mittel für den Europäischen Entwicklungsfonds nicht mehr — wie bisher — direkt von den Mitgliedstaaten an den EEF überwiesen, sondern budgetiert, d. h. als Teil des Haushalts der EG definiert und damit der Kontrolle durch das Europäische Parlament unterstellt werden.
Eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten Aufgaben für die Zukunft ist die Abstimmung der entwicklungspolitischen Afrikapolitik mit anderen Politikbereichen der Gemeinschaft. Auswirkungen der Handels-und Agrarpolitik der EG dürfen nicht weiterhin das große entwicklungspolitische Engagement der Gemeinschaft konterkarieren.