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„Neuer Realismus“ in Moskaus Afrika-Politik? | APuZ 7-8/1988 | bpb.de

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APuZ 7-8/1988 Krieg und Frieden in der Dritten Welt I. Krieg den Hütten -Friede den Palästen? Die Afrika-Politik der Reagan-Administration „Neuer Realismus“ in Moskaus Afrika-Politik? Die handels-und entwicklungspolitische Zusammenarbeit der Europäischen Gemeinschaft mit Schwarzafrika Artikel 1

„Neuer Realismus“ in Moskaus Afrika-Politik?

Winrich Kühne

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit drei Jahrzehnten ist Afrika ein wichtiges Feld sowjetischer Politik. Im Hinblick auf den Ausbau „normaler“ zwischenstaatlicher Beziehungen ist diese Politik sehr erfolgreich gewesen. Anders verhält es sich hinsichtlich der vom sowjetischen Regime postulierten globalen Ausweitung des revolutionären Marxismus-Leninismus unter sowjetischer Führung. Hier hat sich ein Wechsel zwischen Positionsgewinnen und -Verlusten als das auffälligste Grundmuster sowjetischer Afrika-Politik herausgestellt. Die Dekolonisierung Afrikas hat sich, im Gegensatz zu den Erwartungen zahlreicher Beobachter in den sechziger und siebziger Jahren, nicht geradlinig umgesetzt in eine kontinuierliche Ausweitung ideologischer Geländegewinne der Sowjetunion. In drei Jahrzehnten sowjetischer Afrika-Politik haben Entwicklungen stattgefunden, die die Bedeutung des System-Antagonismus in der Dritten Welt erheblich relativieren und seiner ideologisch überstarken Betonung einen anachronistischen Charakter geben. Die Konfrontation mit den Realitäten in den Entwicklungsländern und den insbesondere auf ökonomischem Gebiet unerwartet engen Grenzen des eigenen Systems haben östliche Wissenschaftler und Politiker dazu gezwungen, Vorgehensweise, Erfolgsaussichten und Motivationslage ihrer Politik grundlegend zu überdenken. Die aggressive, anti-imperialistische und pro-sozialistische Rhetorik und Politik der Chruschtschow-Ära sind einer weit vorsichtigeren Einschätzung gewichen, in der die Bedeutung der Entwicklungsländer für den System-Antagonismus und den Machtzuwachs des sozialistischen Lagers relativiert wird. Die Weigerung. Mozambique. Äthiopien und andere revolutionäre, anti-kapitalistisch eingestellte Regime durch eine Aufnahme in den RGW wirtschaftlich zu integrieren, demonstriert diesen Realismus ganz augenfällig. Zweifellos wäre eine enge Anbindung an den Ostblock ein entscheidender Schritt auf dem Weg gewesen, die „Korrelation der Kräfte“ zwischen Ost und West in Afrika dauerhaft zu verschieben. Der „neue Realismus“, wie er unter Gorbatschow an Boden gewonnen hat. manifestiert sich auch in Anzeichen für eine veränderte Haltung gegenüber Südafrika. Die Notwendigkeit zu Verhandlungen wird stärker betont, ohne die Unterstützung des schwarzen Widerstandes aufzugeben. Das starke kubanische und sowjetische Engagement in Angola widerspricht dieser Einschätzung nur scheinbar. Dort verteidigt die Sowjetunion ihre Glaubwürdigkeit als eine globale Militärmacht, die sie durch das militärische Engagement Südafrikas und der USA im Sinne einer „roll back“ -Politik gefährdet sieht.

I. Einleitung

Als Chruschtschow Mitte der fünfziger Jahre die Führung im Kreml übernahm, schienen ihm Kolonialgebiete in Afrika vielversprechende Ansatzpunkte für eine rasche Ausweitung des sowjetischen Einflusses zu sein. Er hoffte, daß es nach ihrer Dekolonisierung gelingen würde, sie in einer antiimperialistischen, mit dem sozialistischen Lager eng verbündeten „Zone des Friedens“ zusammenzuführen. In dieser Zone würde der Westen, so soll er vor Journalisten einmal geprahlt haben, „sein Grab finden“. Das Parteiprogramm der KPdSU von 1961 spiegelt Chruschtschows Optimismus wider. In seinem ersten Teil ist über die Befreiungsbewegungen und Entwicklungsländer nachzulesen: „Die mächtige Woge der nationalen Befreiungsrevolution fegt das Kolonialsystem hinweg und untergräbt die Pfeiler des Imperialismus.“

Heute, zweieinhalb Jahrzehnte später, ist von diesem Optimismus nicht mehr viel zu spüren. In dem unter Gorbatschow 1985 erarbeiteten neuen Parteiprogramm werden die Entwicklungsländer und Befreiungsbewegungen nur noch im dritten Teil behandelt. Ganz generell sind die den Antagonismus zwischen Sozialismus und Kapitalismus in der Dritten Welt betreffenden Passagen weniger aggressiv formuliert Zwar wird der Zusammenarbeit und Solidarität mit den sogenannten Ländern der sozialistischen Orientierung und den Befreiungsbewegungen nach wie vor große Bedeutung beigemessen. Dann wird aber einschränkend hinzugefügt, daß die Sowjetunion nur noch „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ den Völkern, die in diese Richtung gehen, Hilfe leisten kann. Wenige Sätze später heißt es sogar, daß die Praxis der Beziehungen zu den befreiten Staaten gezeigt hat, „daß eine reale Grundlage dafür besteht, auch mit den jungen Staaten zusammenzuarbeiten, die den kapitalistischen Weg gehen Im großen und ganzen herrscht ein defensiver Ton vor.

Der Versuch Gorbatschows, die sowjetische Dritte-Welt-Politik auf realistischere Grundlagen zu stellen. ist kein spektakulärer Bruch mit der Politik der vergangenen Jahre. Kommentare in der Presse haben das vereinzelt unterstellt. Er greift lediglich Tendenzen auf. die in der sowjetischen Politik und Fachliteratur schon seit Ende der siebziger. Anfang der achtziger Jahre zu erkennen sind Die wichtigsten von ihnen werden auf den nachfolgenden Seiten dargestellt.

II. Waffenlieferungen und Militärhilfe — das wichtigste Instrument sowjetischer Afrikahilfe

Der Export von Waffen, die Entsendung östlicher Militärberater, die Ausbildung afrikanischer Militärs in östlichen Ländern etc. sind seit langem das wichtigste Instrument sowjetischer Einflußsuche in Afrika. Die Sowjetunion ist der größte Exporteur von Waffen, vor allem von größeren Waffensystemen. in die Dritte Welt. Das Jahrbuch des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI beziffert den Anteil der Sowjetunion für 1986 mit 34 Prozent.den der USA mit 26 Prozent Ökonomische Motive spielen bei diesem Waffenexport eine wichtige Rolle. Waffen sind heute einer der wichtigsten Devisenbringer der sowjetischen Volkswirtschaft (10 bis 15 Prozent des sowjetischen Deviseneinkommens).

Die überragende Bedeutung der Waffenlieferungen in der sowjetischen Dritte-Welt-Politik wird des weiteren deutlich an der Tatsache, daß zum Beispiel 1985 der Wert östlicher Waffenlieferungen an die Dritte Welt doppelt so hoch war wie die Netto-Wirtschaftshilfe der RGW-Länder. In Afrika waren in der 1. Hälfte der achtziger Jahre die wichtigsten Abnehmer sowjetischer Waffen Libyen, Algerien, Äthiopien und Angola. Es fällt auf, daß drei dieser Länder über reiche Erdölvorkommen und damit über ein beträchtliches Deviseneinkommen verfügen, mit dessen Hilfe sie die Waffen bezahlen können. Im Falle Äthiopiens, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, werden die Schulden an die Sowjetunion aufgrund von Waffenkäufen heute auf über zwei, möglicherweise sogar auf drei bis vier Mrd. US-Dollar geschätzt. Insgesamt haben in den siebziger und achtziger Jahren weit über 20 afrikanische Länder sowjetische Waffen in mehr oder weniger großem Umfang bezogen

In früheren Jahren gingen viele westliche Beobachter der sowjetischen Politik — und möglicherweise auch die Politiker im Kreml — davon aus, daß Waffenlieferungen und Militärhilfe ein sehr effektives und zuverlässiges Instrument der Einflußnahme seien. Dementsprechend groß war in der westlichen Politik die Furcht, daß es der Sowjetunion im Laufe der Zeit gelingen könnte, durch ein Zusammenspiel von militärischer Macht und ideologischem Einfluß über weite Teile Afrikas, insbesondere das rohstoff-reiche südliche Afrika, eine hegemoniale Herrschaft nach osteuropäischem Vorbild zu errichten.

Diese Befürchtung bewahrheitete sich jedoch nicht. In der Praxis zeigte sich etwas anderes: Fast alle der mit dem sozialistischen Lager eng verbündeten Länder verließen oder lockerten dieses Bündnis nach einer gewissen Zeit wieder (Ghana. Mali, Ägypten, Sudan, Somalia, Guinea). Interessant sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Beispiele Ägypten und Somalia. Ägypten, in dem 1970 über 15 000 sowjetische Soldaten im Bereich der Luftabwehr stationiert waren, beendete 1976 einseitig den Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Alle sowjetischen Militärberater mußten das Land verlassen. Somalia kündigte seinen Freundschafts-Vertrag 1977. als die Sowjetunion nicht mehr bereit war, die mit sowjetischen Waffen geführte Besetzung des Ogaden in Äthiopien zu unterstützen und statt dessen begann, Äthiopien in großem Umfang mit Waffen zu versorgen. Trotz der starken Präsenz sowjetischer Militärberater in Somalia und der völligen Abhängigkeit von sowjetischen Waffen war es Moskau nicht gelungen, die somalische Führung von einer Invasion des Ogaden abzuhalten.

Es läßt sich jedoch nicht bestreiten, daß Waffenlieferungen gewisse Möglichkeiten zur Ausübung von Druck bieten. Die Ausgestaltung der Preis-und Zahlungsbedingungen, die Präsenz von östlichen Militärberatern in strategisch wichtigen Positionen, vor allem aber die Weigerung, Ersatzteile oder weitere Waffen zu liefern, spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. Wirksam werden diese Möglichkeiten zur Druckausübung natürlich dann, wenn zwei weitere Bedingungen erfüllt sind: Die Armee eines Landes ist mehr oder weniger vollständig mit sowjetischen Waffen ausgerüstet, und sie ist zugleich in einen andauernden internen oder externen militärischen Konflikt verwickelt.

In Afrika befinden sich Äthiopien, Angola und Mozambique seit Jahren in dieser Lage. Dennoch scheint sich auch bei ihnen ein Prozeß zu wiederholen, der — wie oben beschrieben — früher schon bei anderen Verbündeten des Ostblocks zu beobachten war: Sie beginnen ihre Bande zum Ostblock zu lockern, insbesondere Mozambique und Angola. Das ist zurückzuführen aufeine Dynamik, die lange Zeit übersehen worden ist: Kurz-und mittelfristig kann eine intensive militärische Zusammenarbeit zwar beträchtliche Möglichkeiten der Einflußnahme eröffnen, wenn das betreffende Regime/Land in einen schweren internen und/oder externen Konflikt verwickelt ist. Längerfristigjedoch kommt eine Dynamik zum Zuge, die diesen Effekt untergräbt. Der Zwang zum Kauf von Ersatzteilen und weiteren Waffen verschlingt einen Großteil der knappen Devisen und das wenige inländische Kapital. Ängola wendet in der Regel mehr als 50 Prozent seines Deviseneinkommens für Waffenkäufe auf. Die massive Verschuldung Äthiopiens von mehreren Milliarden US-Dollar spricht für sich. Die durch die Kriegsführung bedingte Zerstörung der ökonomischen und sozialen Infrastruktur des Landes ist ein weiterer wichtiger Grund dafür, daß die ökonomische Basis für die Waffenlieferungen und den sowjetischen Einfluß Schritt für Schritt untergraben wird. Die sowjetische Politik kann gegen diese Dynamik wenig unternehmen, da sie wirtschaftlich nicht annähernd über die Mittel verfügt, um sie abzufangen. Statt dessen breiten sich in der unter Krieg und wirtschaftlicher Not leidenden Bevölkerung Ressentiments und Bitterkeit gegen das enge Bündnis mit dem Ostblock und die damit einhergehende ideologische Orientierung aus. In Angola, ganz besonders aber in Äthiopien, sind diese Effekte schon seit einiger Zeit zu beobachten. Sie waren für die angolanische Regierung ein wesentlicher Grund, sich Anfang der achtziger Jahre auf die von der Reagan-Administration verfolgte Politik des „constructive engagement“ einzulassen und 1984 die von Washington vermittelte Lusaka-Vereinbarung mit Südafrika abzuschließen. Leider hat sich dieser Weg aus Gründen, die hier nicht erörtert werden können, nicht als erfolgreich erwiesen

III. Moskaus Interesse an Stützpunkten in Afrika

In den siebziger Jahren wurden fast 70 Prozent des in den westlichen Industriestaaten benötigten Rohöls um das Kap der Guten Hoffnung verschifft. Für Militärstrategen war deswegen klar, daß die Sowjetunion alles tun würde, um diese Route unter Kontrolle zu bekommen, ebenso wie die Rohstoffe im südlichen Afrika Die permanente Stationierung von sowjetischen Kriegsschiffen im Indischen Ozean ab Ende der sechziger Jahre schien diese Annahme zweifelsfrei zu bestätigen. Eine weitere, geradezu dramatische Entwicklung kündigte sich Mitte der siebziger Jahre an, als bekannt wurde, daß Somalia der Sowjetunion in Berbera den Bau von militärischen Einrichtungen (Hafen und Flugplatz) erlaubt hatte, was auf die Errichtung eines permanenten sowjetischen Stützpunktes hindeutete. Die Zahl der zu diesem Zeitpunkt in Somalia stationierten östlichen Militärberater wurde auf 2 000 geschätzt, und der Wert der Waffenlieferungen lag bei über 250 Mio. US-Dollar — eine beträchtliche Summe, wenn man in Rechnung stellt, daß in diesem Land nur etwas über 3 Mio. Menschen leben. Außerdem waren von der nur 23 000 Mann zählenden Armee 2 500, vornehmlich aus dem Offizierscorps, in der Sowjetunion oder anderen Ländern des Warschauer Pakts militärisch ausgebildet worden.

Mitte der siebziger Jahre schien Somalia das klassische Beispiel für ein Land zu sein, das völlig unter die Kontrolle des Ostblocks geraten war. Das war jedoch eine vorzeitige Schlußfolgerung. Entgegen dem Willen Moskaus marschierten 1976 somalische Truppen in den Ogaden ein. um die dort lebende somalische Bevölkerung von der äthiopischen „Okkupation“ zu befreien. Ein Jahr später mußte die Sowjetunion ihre militärische Präsenz in Berbera aufgeben, nachdem Siad Barre — wie oben erwähnt — den Freundschaftsvertrag gekündigt hatte.

Wie dieses und andere Beispiele zeigen, hat die Sowjetunion in Afrika — anders als es in Presseberichten manchmal nachzulesen ist — keine durchschlagenden Erfolge bei der Errichtung von Stützpunkten erzielen können. Im Verhältnis zur Höhe der Rüstungsexporte und der Militärhilfe ist das Ergebnis eher mager Die sozialistisch orientierten Regime in Mozambique und Angola haben in ihren Staatsverfassungen ein ausdrückliches Verbot von Stützpunkten ausländischer Mächte verankern lassen. Lediglich begrenzte Nutzungs-und Reparaturmöglichkeiten stehen der sowjetischen Flotte heute in den wichtigsten Häfen dieser Länder zur Verfügung. Der Hafen Maputo in Mozambique wird heute im wesentlichen von den Südafrikanern und nicht von der Sowjetunion dominiert. Einen gewissen Ausgleich für den Verlust von Berbera in Somalia hat die sowjetische Flotte in den äthiopischen Häfen Assab und Massava gefunden. Des weiteren wurden auf den zu Äthiopien gehörenden Dahlak-Inseln im Roten Meer die wohl wichtigsten Reparaturwerkstätten und Versorgungseinrichtungen für die sowjetische Flotte im Indischen Ozean eingerichtet. In welchem Umfang die sowjetische Luftwaffe die Flughäfen Asmara und Makale benutzen kann, ist nicht ausreichend geklärt. In erster Linie dienen sie zur Unterstützung der äthiopischen Streitkräfte.

In Berichten über sowjetische Stützpunktaktivitäten wird häufig vergessen, daß den sowjetischen Nutzungsrechten und Einrichtungen eine weit größere Zahl westlicher gegenüber steht. Allein Frankreich hat an den östlichen Küsten Afrikas mindestens zwei vollwertige Stützpunkte für See-und Luftstreitkräfte: Djibouti und La Reunion (französisches Territorium). Darüber hinaus gibt es Einrichtungen auf der Insel La Majotte. Behelfsmäßige Nutzungsmöglichkeiten stehen außerdem für die französische Marine und Luftwaffe auf einigen kleineren. östlich von Madagaskar gelegenen Inseln zur Verfügung. Im westlichen Afrika sind für Frankreich der Hafen von Dakar und der Flughafen Cap-Vert in der Nähe von Dakar im Senegal von besonderer Bedeutung. In der Elfenbeinküste wird der Militärflughafen Port Bouet von einer französischen Militäreinheit in Betrieb gehalten, um in Krisenzeiten französische Luftstreitkräfte aufnehmen zu können. In der Zentralafrikanischen Republik ist schon vor einigen Jahren im Zusammenhang mit den Entwicklungen im Tschad der Stützpunkt Bonar wieder ausgebaut worden. Im Tschad sind französische Einheiten stationiert.

Auch die amerikanischen See-und Luftstreitkräfte haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt und erfolgreich um Nutzungsmöglichkeiten in afrikanischen Ländern bemüht. Der Hafen und Flugplatz von Berbera (Somalia) wurde erweitert, und in Kenia sollen fast 20 Mio. US-Dollar in den Hafen von Mombasa investiert worden sein. In Ägypten ist damit begonnen worden, den Flughafen von Ras Banas zur wohl wichtigsten Einsatzstelle der „rapid deployment force“ (RDF) auszubauen. In Marokko, Liberia und dem Sudan sollen ebenfalls Einrichtungen für den Einsatz der RDF zur Verfügung stehen. Im Zusammenhang mit der militärischen Unterstützung der UNITA in Angola wurde darüber hinaus kürzlich in Zaire, also im Herzen Afrikas, der frühere Militärflugplatz Kamina wieder in Betrieb genommen. Die zahlreichen Ablehnungen, die Moskau im Hinblick auf seine Stützpunktwünsche im Laufe der Jahre erfahren hat, muß die Politiker im Kreml nachdenklich gemacht haben hinsichtlich der Effektivität von Waffenlieferungen als Instrument der Einflußnahme. Eine Konsequenz, die sie daraus gezogen haben, ist die, möglichst auf Zahlung in bar und in harten Devisen zu dringen, soweit übergeordnete politische Überlegungen nicht — wie in Äthiopien — zu einem anderen Vorgehen zwingen.

IV. Wechselseitige Desillusionierung — zur Entwicklung der sowjetisch-mozambiquanischen Beziehungen

Im Sommer 1981 ist von Moskau und den osteuropäischen Ländern im Hinblick auf ihre weitere Afrikapolitik eine bedeutende Entscheidung getroffen worden: Der Antrag Mozambiques auf Vollmitgliedschaft im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wurde abgelehnt. Dem marxistischen Regime in Äthiopien erging es 1985 ähnlich. Offensichtlich haben sich Moskau und die Osteuropäer entschlossen, keine weiteren ideologischen Verbündeten in den RGW aufzunehmen. Der Kreis der dort vertretenen Entwicklungsländer soll klein bleiben. beschränkt auf die Mongolei (seit 1962). Kuba (seit 1972) und Vietnam (seit 1978). Die Aufnahme Afghanistans steht zumindest gegenwärtig nicht zur Diskussion.

Die Mitgliedschaft im RGW und die mit ihr erhoffte nachhaltige Ausweitung des Entwicklungshilfe-und Handelsvolumens seitens des Ostblocks ist also kein Ziel mehr, das von sozialistisch orientierten Regimen in Afrika in den nächsten Jahren realistischerweise angestrebt werden kann. Das hat natürlich weitreichende Konsequenzen für ihre längerfristige Orientierung im Ost-West-Verhältnis. Die FRELIMO in Mozambique handelte bereits 1982. Im August akzeptierte Maputo in einem Abkommen erstmals die bundesdeutsche Standard-Berlin-Klausel, und schon wenig später leitete Machel den Prozeß ein, der schließlich zum Nkomati-Abkommen mit Südafrika führte. Denn auch Verhandlungen mit Moskau über eine nachhaltige, dem südafrikanischen Druck gewachsene Militärhilfe führten nicht zum Erfolg. Im Herbst 1982 verkündete Maputo schließlich offiziell die Entscheidung, daß Mozambique an den Lom-III-Verhandlungen teilnehmen würde. Inzwischen ist Mozambique Mitglied von Lome, dem Weltwährungsfonds (IWF) und anderen westlich dominierten Institutionen. Im Mai 1985 schloß der RGW mit Mozambique und später mit Äthiopien und Angola wirtschaftliche Kooperationsabkommen ab. In ihrer Substanz sind sie nicht bedeutend. Zumindest symbolisch ist damit aber zum Ausdruck gebracht, daß der Ostblock diese Länder nicht völlig der wirtschaftlichen Dominanz der westlichen Industriestaaten überlassen will. Ähnliche Kooperationsverträge hat der RGW übrigens bereits in den sechziger und siebziger Jahren mit Jugoslawien, Finnland, Mexiko und dem Irak abgeschlossen.

Die geringe wirtschaftliche Leistungskraft ist seit langem die Achillesferse der sowjetischen Dritte-Welt-Politik. Den Führern revolutionärer, mit Moskau mehr oder weniger eng verbündeter Entwicklungsländer wie Ägypten, Algerien, Guinea und Mali wurde schon in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zu verstehen gegeben, daß sie nicht damit rechnen könnten, ihre Bedürfnisse an Kapitalien, Ausrüstungen und technischer Hilfe bei den sozialistischen Staaten befriedigt zu bekommen. Der explizite Verzicht darauf, ideologische Verbündete in das östliche Wirtschaftssystem zu integrieren, hat jedoch noch viel weiterreichendere Folgen. Es ist der Verzicht, diese Länder in eine hegemoniale Ordnung nach osteuropäischem oder kubanischem Vorbild einzubinden. Denn die Ablehnung der Mitgliedschaft ist nicht lediglich ein formaler Akt, sondern zugleich auch eine grundlegende Prioritätenentscheidung über die Verteilung der dem sozialistischen Lager für ideologisch und strategisch wichtige Ziele zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die gewaltigen Unterschiede in den Entwicklungshilfezuwendungen an Kuba und Vietnam einerseits und Äthiopien und Mozambique andererseits zeigen das ganz deutlich. Die Hilfe an Kuba seit 1976 wird auf über 25 Mrd. US-Dollar geschätzt (Preissubventionen eingerechnet), Äthiopien dagegen hat von Osteuropa und der UdSSR zusammen in diesen Jahren insgesamt nur ca. 400 Mio. US-Dollar Wirtschaftshilfe ausgezahlt bekommen. Mozambique wurden 250 Mio. zugesagt, von denen jedoch nur ein geringer Teil tatsächlich zur Auszahlung kam

V. Ernüchterung über die Erfolgsaussichten des orthodoxen Sozialismus

Die Gründe für die Ablehnung der Mitgliedschaft Mozambiques und Äthiopiens im RGW liegen natürlich in den damit verbundenen zusätzlichen Belastungen und in integrationspolitischen Schwierigkeiten. Beides wurde gerade von osteuropäischen Regierungen mit großem Nachdruck ins Feld geführt und ließ ideologisch-expansive Überlegungen, die für eine Aufnahme gesprochen hätten, nicht mehr zum Zuge kommen. Kenner der östlichen Afrika-und Dritte-Welt-Politik kann das nicht wundem. Denn schon seit längerem ist unter östlichen Experten und Politikern eine Ernüchterung über die Entwicklung des Sozialismus in Afrika zu beobachten. Dieser Prozeß setzte bereits Mitte bis Ende der sechziger Jahre nach dem Sturz Nkrumahs in Ghana ein. Durch die plötzlichen Positionsgewinne in Mozambique. Angola und Äthiopien Mitte der siebziger Jahre wurde er unterbrochen. Nicht alle, jedoch der größere Teil der sowjetischen Autoren, setzten große Hoffnungen auf die Gründung der marxistisch-leninistischen Avantgarde-Parteien. wie sie in Mozambique 1977 und in Angola 1978 erfolgte.

Heute ist die Skepsis größer denn je. Selbst R. A. Uljanowskij. lange Zeit stellvertretender Leiter der für die Entwicklungsländerpolitik wichtigen Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU, stellte 1984 resignierend fest: „Die Tatsache, daß eine Partei sich selbst als marxistisch-leninistisch und die von ihr durchgeführte Revolution als eine sozialistische erklärt, bedeutet nicht notwendigerweise, daß der von ihr gewählte Weg erfolgreich ist.“ Es ist klar, daß in östlichen Schriften Kritik an dem von der Sowjetunion für die Entwicklungsländer postulierten Weg der „nicht-kapitalistischen Entwicklung mit sozialistischer Orientierung“ nur vorsichtig und indirekt geäußert wird. Desto bedeutsamer ist es. wenn ein führender sowjetischer Dritte-Welt-Experte. A. Kiwa. 1984 feststellt: „Eines der Probleme, das sich nachhaltig am Horizont der Entwicklungsländer abzeichnet, ist die Schwierigkeit. ein funktionierendes sozio-ökonomisches Modell für sozialistisch orientierte Entwicklungsländer zu entwickeln." Diese Aussage überrascht. Denn Kiwa und die meisten anderen östlichen Autoren sind in den zurückliegenden Jahren nicht müde geworden zu behaupten, daß der Marxismus-Leninismus mit dem „nicht-kapitalistischen Entwicklungsweg“ und den zu ihm erarbeiteten Vorstellungen über genau ein solches, allen anderen überlegenes Modell verfügt. Der Satz stellt also in typisch östlicher Verklausulierung das Eingeständnis dar. daß das Modell der „nicht-kapitalistischen Entwicklung“ gescheitert, zumindest jedoch in eine schwere Krise geraten ist.

Natürlich wäre es naiv zu erwarten, daß sowjetische Politiker und Experten öffentlich das Scheitern des orthodoxen Sozialismus, also des Marxismus-Leninismus. erklären. Dazu ist er sowohl institutionell als auch im Denken viel zu tief verankert und ein-geschliffen. Gorbatschow hat dementsprechend wiederholt betont, daß seine Reformen nicht auf Beseitigung, sondern Transformation des Sozialismus abzielen. Sowjetische Ideologen und Experten haben einen anderen Weg gefunden, mit der zunehmenden Diskrepanz zwischen den „realen“ Problemen des Sozialismus und seinen hochgesteckten Zielen, insbesondere mit der These, daß sein Sieg letztlich unaufhaltsam sei. umzugehen: Die Zeitspanne. die es noch dauern wird, bis er sich in den Entwicklungsländern durchsetzt, wird länger anstatt kürzer. In einem kürzlich erschienenen Artikel hat der bekannte sowjetische Dritte-Welt-Experte, Georgij Mirskij, dieses Problem verhältnismäßig offen angesprochen: „A sober assessment of the present-day Situation shows, we ought to admit that today there is less evidence than a quarter of a Century ago that the newly-independent States are abandoning the capitalist road of development and shifting to the non-capitalist course.“ In ihrer Kritik an dem früheren Umgang mit den Problemen Afrikas werden jedoch nur wenige so weit gehen wie der sowjetische Journalist Boris Asoyan, der in einem Artikel in der Literatumaja Gazeta kürzlich kritisierte, daß die sowjetische Berichterstattung über Afrika zu sehr von „verdrehten Vorstellungen“ und „bürokratischen Platituden“ beherrscht gewesen sei. Zu Asoyans Ehre muß man feststellen, daß er in einem Beitrag über Südafrika in der „Neuen Zeit“ versucht hat.seinen eigenen Maßstäben gerecht zu werden. Die sogenannte Reformpolitik Bothas wird zwar kritisch unter die Lupe genommen. Asoyan tut das aber unter Verzicht auf die sonst üblichen ideologischen Gemeinplätze und Rundum-Schläge Insgesamt gibt es inzwischen ein recht weites Spektrum von Meinungen in der sowjetischen Entwicklungsländerliteratur — orthodoxe. die alte ideologische Fahne hochhaltende ebenso wie solche, die für westliche Leser überraschend weitgehen in ihrem Bemühen, alten ideologischen Ballast über Bord zu werfen.

VI. Das Scheitern marxistisch-leninistischer Vorstellungen im Agrarbereich

Das Scheitern orthodoxer marxistisch-leninistischer Entwicklungsvorstellungen ist das wohl größte Problem sowjetischer Einflußsuche in Afrika und anderen Teilen der Dritten Welt. Die meisten Afrikaner sind desillusioniert. Das gilt vor allem im Hinblick auf das Versagen staatskollektivistischer Modelle im ländlichen Bereich, insbesondere des sowjetischen Staatsfarmenmodells. Die Krise der dominierenden Rolle des Staates, genauer der zentralistischer Staats-und Parteibürokratien als „Motor der Entwicklung“, ist zwar keineswegs auf die sozialistisch orientierten Länder Afrikas beschränkt, sie trifft diese jedoch in ihrem ideologischen Selbstverständnis weit stärker als die nicht sozialistisch orientierten.

In Ländern wie Mozambique. Angola. Äthiopien. VR Kongo. VR Benin etc. geht das Scheitern der bisherigen Entwicklungsvorstellungen an die Substanz der Legitimität der dort herrschenden politischen Systeme und ihrer Ideologie. Denn in allen diesen Ländern leben ca. 80 Prozent der Bevölkerung, die davon direkt betroffen sind, auf dem Lande. Es ist daher nicht überraschend, daß die meisten ideologischen Verbündeten Moskaus in Afrika, mit Ausnahme Äthiopiens, seit Ende der siebziger. Anfang der achtziger Jahre mehr oder weniger kräftige Kurskorrekturen im Hinblick auf ihre künftige interne und externe ideologische Orientierung vorgenommen haben.

Einen Höhepunkt dieses Trends bildete ohne Zweifel der IV. Parteitag der FRELIMO 1983. auf dem die auf dem III. Parteitag (1977) beschlossene programmatisch enge Anlehnung an den Ostblock zwar nicht offiziell widerrufen, wohl aber in der Substanz in Frage gestellt wurde. Der Tatsache, daß sich Staatsfarmen und staatskollektivistische Ansätze als teure Fehler erwiesen haben, wurde Rechnung getragen. Die Bedeutung des Kleinbauerntums für die Steigerung der landwirtschaftlichen Produkte und die Notwendigkeit zur Dezentralisierung und Deregulierung des Wirtschaftslebens ganz allgemein wurden, in Abwendung von den Beschlüssen des III. Parteitages (1977), zu offiziellen Leitlinien erklärt. Deren Umsetzung in die Praxis geht allerdings nur zäh voran. Die prekäre Sicherheitslage in verschiedenen Teilen des Landes ist dafür ein Grund. Im Dezember 1986 schließlich einigte sich die Führung in Maputo mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf ein Programm, „which amounts to a complete turnaround in conventional socialist economics“

In Angola betonte 1984 der Finanzminister der MPLA-Regierung ebenfalls die wichtige Rolle der Kleinbetriebe. Auf dem II. Parteitag der MPLA 1985 wurden entsprechende Änderungen der Agrarpolitik beschlossen. Es wurde begönnen. Staatsfarmen zu reprivatisieren. Im Herbst 1987 hat Angola sich um die Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank, der IDA (International Development Association) und der IFC (International Finance Corporation) beworben. Alle diese Einrichtungen werden von den westlichen Industriestaaten dominiert. Die MPLA-Regierung in Luanda vollzieht also ganz ähnliche Reformschritte wie die FRELIMO in Maputo. Die starke kubanische und sowjetische Militärpräsenz scheint dafür kein Hindernis zu sein.

In Äthiopien ist die Lage anders Mengistu und seine Mitstreiter brauchen, wie bereits angedeutet wurde, offensichtlich noch Zeit, um zu begreifen, daß Hungerkatastrophen nicht lediglich Folge von Dürre, kriegerischen Handlungen etc., sondern auch eines falschen, ideologisch einseitig festgelegten Wirtschaftskonzepts sind. Der im September 1984 verabschiedete Zehnjahresplan sieht eine Fortsetzung und Intensivierung der Kollektivierung vor. Das Gebiet der Staatsfarmen soll verdoppelt und mindestens 53 Prozent der ländlichen Betriebe sollen bis 1994 in Kooperativen zusammengefaßt werden, obwohl die Bauern sich dagegen mit Händen und Füßen wehren. Dieser Plan ist an sehr orthodoxen Vorstellungen des Marxismus-Leninismus orientiert. Ob sowjetische Berater an seinem Zustandekommen maßgeblich beteiligt waren, ist unklar. Dagegen sprechen die Berichte westlicher Diplomaten, in denen hervorgehoben wird, daß die sowjetischen Agrarberater auf eine Stärkung des Kleinbauerntums drängen. Das klingt plausibel. Denn schon 1982 hatte A. P. Butenko zur Agrarproblematik in sozialistisch orientierten Ländern in höchst unorthodoxer Weise festgestellt: „Ein zuverlässiger Weg zur Belebung der Landwirtschaft und der Wirtschaft insgesamt ... ist also eine solche Politik, die in dieser Etappe ... die individuelle Arbeit der Bauern sowie die mit ihr verbundene Arbeit des Handwerks und der Händler stimuliert.“ Dieser Satz könnte auch aus einer Studie der Weltbank stammen. 1982, als sein Artikel auf russisch erschien, wurde Butenko von der Mehrheit seiner Kollegen wegen seiner extravaganten Auffassungen noch scharf kritisiert. Heute, unter Gor-batschow. haben seine Thesen an Akzeptanz gewonnen und spiegeln — mit Einschränkungen — die herrschende Meinung in dem für die sowjetische Wirtschafts-und Entwicklungshilfepolitik wichtigen „Institut für die Wirtschaft des Sozialistischen Weltsystems“ der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften wider. Angesichts der Schwierigkeiten mit dem staatskollektivistischen Modell im eigenen Land ist dieser Schwenk nicht so überraschend. Zunehmend findet über die Rolle des Kapitalismus in den Entwicklungsländern eine Auseinandersetzung in einer sachlicheren Tonlage statt. Beispielhaft ist dafür ein Beitrag von W. Schejnis.der in der sowjetischen Zeitschrift „Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen“ veröffentlicht wurde, mit dem ausdrücklichen Zusatz, daß es sich um einen Diskussionsbeitrag handele. In ihm schreibt Schejnis zum Beispiel, daß die in der Vergangenheit von östlichen Autoren vorgebrachten Thesen über die zwangsläufig engen „Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise“ aus insbesondere vier, von ihm dann benannten Gründen nicht überzeugten. Außerdem seien die „tiefen Widersprüche, die dabei (gemeint ist die kapitalistische Produktionsweise), entstehen, nicht nur ein Hemmnis, sondern auch eine Quelle der Entwicklung“

VII. Die Änderungen in der sowjetischen Afrika-Politik

Gorbatschow hat mehrfach betont, daß es bei seiner Reformpolitik nicht um die Abschaffung des Sozialismus, sondern um seine Transformation geht. Westliche Beobachter sind deswegen bei der Analyse der sowjetischen Politik mit einem schwierigen methodischen Problem konfrontiert. Wie kann man zuverlässig beurteilen, welchen Charakter diese Politik längerfristig hat? Geht es bei ihr wirklich um Veränderungen in der Substanz oder lediglich um taktische Maßnahmen, also um „alten Wein in neuen Schläuchen“? Diese Frage ist durchaus ernst zu nehmen. Denn seit Ende der sechziger Jahre haben sowjetische Politiker und Autoren den sozialistisch orientierten Regimen in der Dritten Welt wiederholt geraten, sich bei der Bewältigung ihrer großen wirtschaftlichen Probleme Lenins „Neue Ökonomische Politik“ (NÖP) zum Vorbild zu nehmen. Diese Tatsache ist vielen im Westen ein unwiderlegbarer Beweis dafür, daß es sich bei den Kurskorrekturen in der mozambiquanischen, angolanischen und auch in der sowjetischen Politik selbst letztlich lediglich um taktische Schritte handele, auf die man nicht hineinfallen dürfe.

Diese Schlußfolgerung ist jedoch keineswegs zwingend. Tatsächlich hat der Verweis auf Lenins NÖP einen viel ambivalenteren Charakter. Lenin selbst hat offen gelassen, ob er mit den von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen lediglich einen taktischen Rückzug aufgrund der Schwierigkeiten, in die das bolschewistische Regime durch Bürgerkrieg, überhastete Verstaatlichung sowie die ungewöhnlich harten Winter 1919/20 geraten war. im Sinne hatte, oder ob er zu der Überzeugung gekommen war. daß man den Marxismus/Leninismus nicht auf die geplante Weise würde verwirklichen können. Auch NÖP-Spezialisten in der Sowjetunion haben auf diese Frage bis heute keine eindeutige Antwort gefunden

Es gibt, vereinfacht gesprochen, zwei Denkschulen: Eine, man könnte sie die „stalinistische“ nennen, entspricht im großen und ganzen der im Westen vorherrschenden Anschauung über den taktischen Charakter von NÖP. Lenins Entscheidung. Kollektivierung und Zentralisierung zu stoppen und gleichzeitig die Handels-und Marktbeziehungen ebenso wie die Privatinitiative wiederzubeleben, werden als lediglich zeitweiliger Rückzug beurteilt. Nach ihrer Auffassung hätte auch Lenin nach Über-windung der Krise die umfassende Verstaatlichung und Zentralisierung fortgesetzt, wenn auch nicht unbedingt auf die diktatorische und grausame Weise, wie Stalin sie dann praktiziert hat. Der frühe Tod Lenins im Jahre 1924 hat offengelassen, ob diese Auffassung richtig war.

Andere sowjetische Autoren teilen diese Ansicht nicht. Sie weisen unter anderem darauf hin. daß es in der Partei starke Opposition und Kritik gegeben hätte, als Lenin seine Vorschläge unterbreitete. Man befürchtete, daß sie nicht lediglich taktische Bedeutung haben würden, sondern den ursprünglich geplanten sozialistischen Kurs in Frage stellten. Die Politik Lenins schien ihnen eine Verschiebung vom Primat der zentralen Planwirtschaft zu dem einer „mixed economy“, in der private Sektoren neben den staatlichen bestehen und mit ihnen koexistieren.

Die Diskussion über den wahren Charakter von Lenins NÖP wurde in der Sowjetunion schon in den sechziger Jahren wiederaufgenommen. In den letzten Jahren hat sie sich erneut belebt. Unter Gorbatschow scheint die zweite Denkschule an Bedeutung zu gewinnen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Wenn die für sowjetische Verhältnisse weit-reichenden Reformschritte, die Gorbatschow und seine Berater wohl im Sinne haben, als authentische Fortführung der Vorstellungen Lenins dargestellt werden können, ist es einfacher, sie gegenüber den Parteikadern und der sowjetischen Bevölkerung insgesamt zu legitimieren und durchzusetzen. Im Hinblick auf ideologische Fragen ist Lenin für die sowjetische Bevölkerung nach wie vor die oberste Autorität. Seine Schriften haben den „Vorteil“, für sehr unterschiedliche Denkrichtungen in Anspruch genommen werden zu können.

Bezüglich der Kurskorrekturen in der sowjetischen, mozambiquanischen. angolanischen etc. Politik gibt es eine weitere wichtige Überlegung. Westliche Sowjetologen haben darauf hingewiesen, daß eine Anzahl von quantitativen bzw. taktischen Veränderungen sich zu einem Wandel in der Substanz addieren könnten Das kann letztlich sogar im Gegensatz zur Intention desjenigen geschehen, der diese Veränderungen unternimmt. Die Entscheidung des RGW im Jahre 1981, Mozambique nicht als Voll-mitglied aufzunehmen, ist für eine derartige Dynamik ein gutes Beispiel. Sie war mit einiger Sicherheit von Moskau nicht als eine strategische Veränderung in der östlichen Politik gegenüber Afrika gemeint. Letztlich hat sie diese Qualität aber doch gewonnen. Ihr folgte vier Jahre später eine ähnliche Entscheidung gegenüber Äthiopien, einem global-strategisch für Moskau weit wichtigeren Verbündeten in Afrika als Mozambique. Beide Entscheidungen zusammen waren für die übrigen sozialistisch orientierten Länder in Afrika eine klare Botschaft, daß sie im Unterschied zu Kuba. Vietnam und Laos nicht damit rechnen können, in den Genuß der Vorteile einer derartigen Mitgliedschaft zu kommen, das heißt, die für einen sozialistischen Entwicklungsweg notwendige wirtschaftliche Absicherung durch den Ostblock zu erhalten.

Der Fall Äthiopiens ist in dieser Hinsicht besonders interessant. Äthiopien wurde die Mitgliedschaft im RGW verweigert, obwohl sich das Regime alle Mühe gab. als ein äußerst loyaler, ideologisch linientreuer Verbündeter aufzutreten. Mengistu wollte die sowjetische Führung davon überzeugen, daß Äthiopien in Afrika eine ähnliche Rolle spielen könnte wie zeitweise Kuba in Lateinamerika, das heißt als Stützpunkt für weitreichende revolutionäre und militärische Interessen der Sowjetunion in Afrika fungieren könnte. Sein Angebot, Tausende von südafrikanischen Anti-Apartheidskämpfern auszubilden, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Äthiopiens Antrag auf Mitgliedschaft im RGW wurde jedoch einstimmig von den Ostblockstaaten abgelehnt. Moskau und seine Verbündeten waren nicht bereit, den Preis für ein weiteres Kuba zu zahlen. Die meisten afrikanischen Marxisten, wie die in Mozambique, haben diese Botschaft verstanden und versuchen jetzt verstärkt, mit den Institutionen des westlich dominierten Weltmarktes zu kooperieren.

Die Tatsache, daß die RGW-Entscheidung nicht lediglich eine taktische war. wird einmal mehr deutlich. wenn man sich den wirtschaftspolitischen Hintergrund dieser Entscheidung genauer anschaut. In der Sowjetunion und den übrigen RGW-Ländern hat sich das Denken über die bestehende Weltwirtschaftsordnung nachhaltig geändert. Amerikanische Sowjetologen wie Elizabeth Kridl-Valkenier und Jerry Hough haben in ihren Studien überzeugend nachgewiesen, daß die führenden sowjetischen Ökonomen dieser Ordnung nicht mehr mit einer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüberstehen, obwohl sie so eindeutig von den kapitalistischen Industriestaaten beherrscht wird -Sowjetische, ungarische und ostdeutsche Ökonomen sind mehr und mehr zu der Einsicht gekommen, daß den ökonomischen Interessen ihrer Länder und des RGW insgesamt besser durch eine Reform als durch eine Zerstörung der Welt-wirtschaftsordnung gedient ist. Denn letzteres würde auch den Ostblockstaaten schaden.

Diese veränderte Haltung gegenüber der Weltwirtschaftsordnung hat logischerweise dazu geführt, daß das Interesse, Entwicklungsländer in die „sozialistische Internationale Arbeitsteilung“ hinüber-zuziehen und sie dort einzubinden, abgenommen hat. Statt dessen finden die Kosten, die eine solche Politik hätte, größere Beachtung. Die Mitgliedschaft von Kuba. Vietnam und Laos bürdet den RGW-Staaten bereits Kosten auf. die an der Grenze ihrer Leistungskraft liegen. Die Belastungen durch die Mitgliedschaft eines weiteren Entwicklungslandes werden sie sich daher so schnell nicht aufladen.

Das NÖP-Argument muß deswegen im Hinblick auf die Dritte Welt in seiner ganzen Ambivalenz gesehen werden. Oberflächlich betrachtet hat es zweifellos ein taktisches Element. Es hilft sowjetischen Politikern und Experten, ihren ideologischen Verbündeten Ratschläge zu geben, die in der Praxis vom orthodoxen Weg beträchtlich abweichen, ohne dies jedoch als einen prinzipiellen Bruch mit dem Marxismus/Leninismus deklarieren zu müssen. Darüber hinaus bleibt aber offen, ob es sich bei den jeweiligen Maßnahmen um Schritte mit lediglich taktischem Charakter oder um einen Wandel in der Substanz handelt. Das muß von Fall zu Fall geprüft werden.

Es gibt einen weiteren Aspekt der NÖP-Diskussion, der oft übersehen wird. Verschiedene sowjetische und osteuropäische Autoren haben in den siebziger und den beginnenden achtziger Jahren Lenins NÖP als eine Metapher benutzt, um auf dem Umweg über die Probleme der sozialistisch orientierten Länder der Dritten Welt mehr Freiheit zu gewinnen, grundlegende Schwierigkeiten der sowjetischen Ökonomie und des Marxismus/Leninismus zu diskutieren.

Der oben bereits erwähnte Artikel von Butenko über die Probleme des Übergangs zum Sozialismus in den unterentwickelten Ländern ist dafür ein gutes Beispiel Seine Analyse des Versagens der Agrarpolitik in den sozialistisch orientierten Entwicklungsländern liest sich an verschiedenen Stellen wie eine radikale Kritik des sowjetischen Agrarmodells und seiner Unfähigkeit, mit der Landwirt-schaft in den westlichen Industriestaaten zu konkurrieren. Diese kurze Diskussion über das Problem von Taktik und Wandel in der Substanz der sowjetischen Politik mag genügen, um folgende Schlußfolgerungen zu ziehen. JederVersuch, diese Veränderungen durch simples Entweder-Oder — das heißt: entweder wird der Sozialismus offiziell aufgegeben, oder es handelt sich um unbedeutende taktische Änderungen — zu erklären, ist viel zu grobkörnig, als daß er die für die praktische Gestaltung der Ost-West-und Nord-Süd-Beziehungen wesentlichen Elemente herausarbeiten könnte.

Wie an dem Beispiel der RGW-Mitgliedschaft gezeigt wurde, gibt es Schritte, die in ihren praktischen Auswirkungen über taktische Maßnahmen hinausgehen, die aber natürlich nicht eine offizielle Beendigung des Marxismus/Leninismus und seines welt-revolutionären Anspruchs zum Inhalt haben.

VIII. Moskaus Haltung gegenüber Südafrika und Angola

In der westlichen Öffentlichkeit ist seit einiger Zeit eine heftige Kontroverse darüber entbrannt, wie groß der Einfluß der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) auf die Befreiungsbewegung ANC (African National Congress) ist. Von den unterschiedlichsten Personen und Organisationen werden Spekulationen darüber angestellt, wie viele Mitglieder des dreißigköpfigen Exekutivkomitees des ANC zugleich Mitglieder der SACP sind. Die Schätzungen liegen zwischen acht und 25. Da Angehörige der SACP seit dem Verbot ihrer Partei die Mitgliedschaft in der Regel nicht offenlegen, ist die exakte Zahl kaum zu bestimmen. Die westlichen Experten auf diesem Gebiet sind sich aber einig, daß die von der südafrikanischen Regierung genannten Zahlen zu hoch liegen. Militärische Unterstützung erhält der ANC bzw.seine Guerilla-Organisation Umkhonto We Sizwe vor allem aus dem Ostblock. Daraus machen beide Seiten keinen Hehl, die Einzelheiten werden jedoch geheimgehalten. Schwedische Stellen sind aufgrund ihrer guten Kontakte zum ANC zu dem Ergebnis gekommen, daß die sowjetische Finanzhilfe an die Befreiungsbewegung ungefähr der skandinavischen entsprechen dürfte.

Es liegt nahe anzunehmen, daß die militärische Zusammenarbeit mit Moskau den Mitgliedern der SACP im ANC ein besonderes Schwergewicht hinsichtlich einer Einflußnahme, zumindest auf die Gestaltung des bewaffneten Kampfes, gibt. Im ein-zelnen ist diese Frage jedoch umstritten. Joe Slovo, seit dem Tode von Moses Mabida Generalsekretär-der SACP. ist im Westen geradezu eine Symbolfigur für diese Einflußmöglichkeit geworden mit der Folge, daß er in der westlichen Presse des öfteren als oberster Chef der Guerilla genannt wird. In einem formalen Sinne hat das jedoch nie gestimmt. Joe Slovo war lediglich „Chief of Staff“, während Joe Modise „Commander in Chief“ war. Inzwischen ist Joe Slovo angeblich auf Bitten der SACP von dieser Aufgabe entbunden worden. An seine Stelle ist der frühere „Policical Commissioner" Chris Hani, getreten

Im Hinblick auf Strategie und Taktik des Befreiungskampfes verhält sich die SACP im großen und ganzen nicht weniger pragmatisch als der ANC. Jedoch stehen die Kommunisten spontanen revolutionären Aktivitäten, wie denen der „young comrades“, mißtrauischer gegenüber als die meisten Mitglieder des ANC. Wie andere kommunistische Parteien auch hält die SACP eine systematische, straffer Disziplin unterworfene Organisation für eine der wichtigsten Voraussetzungen, um einen revolutionären Kampf erfolgreich bestehen zu können. Die SACP-Führung hat in diesem Sinne immer auf den ANC eingewirkt und war umgekehrt aus diesem Grunde für ihn besonders wertvoll Soweit in Fragen der Ideologie und Politik, insbesondere im Hinblick auf die Gestaltung einer Post-Apartheid-Gesellschaft, zwischen dem ANC und der SACP grundlegende Meinungsunterschiede bestehen bzw. bestanden haben, dürften diese sich durch die Entwicklungen in der Politik Moskaus seit Anfang der achtziger Jahre stark relativiert haben. Das ist der übereinstimmende Eindruck von amerikanischen und europäischen Experten, die sich mit den Entwicklungstendenzen in der sowjetischen Afrikapolitik genauer befaßt haben und wie der Autor Gelegenheit hatten, in Moskau intensive Gespräche über Südafrika zu führen. Ihr Fazit ist, daß man in Moskau über die Chancen einer effektiven Ausweitung und Übertragung des Marxismus-Leninismus auf Afrika tief desillusioniert ist. Die katastrophalen Entwicklungen vor allem in Mozambique und Äthiopien, aber auch die großen Schwierigkeiten in Angola sind nicht ohne Wirkung auf das afrikapolitische Denken der Sowjetunion geblieben.

Fragt man in den Moskauer Instituten Ökonomen nach den aus ihrer Sicht hoffnungsvollen Entwicklungen in afrikanischen Ländern, so wird keiner der nach traditioneller sowjetischer Lesart sozialistisch orientierten Verbündeten wie Mozambique, Angola, die Volksrepublik Kongo etc. genannt, sondern Zimbabwe als leuchtendes Beispiel hingestellt. Durchbricht man einmal die dicke Schicht eingefahrener ideologischer Argumente, so ist noch etwas anderes zu spüren: ein gewisses Verständnis für die Weißen und ihren Unwillen, sich auf eine schwarze Mehrheitsherrschaft einzulassen. Die Identifikationslage der „Weißen“ in Moskau ist in dieser Hinsicht kaum anders als die der meisten Europäer.

In der Rede eines führenden Mitglieds des Moskauer Afrika-Instituts, Gleb Starushenko, gehalten auf der 2. sowjetisch-afrikanischen Konferenz „for peace, Cooperation and social progress“ im Juni 1986, hat dieses Verständnis in einer Weise Eingang gefunden, wie das vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Zwar stellt Starushenko einerseits fest: „This System cannot be changed, it must be destroyed". Än anderer Stelle fährt er aber fort, die „anti-rassistischen Kräfte halten eine umfassende Nationalisierung von kapitalistischem Eigentum nicht für zwingend geboten, und sie sind bereit, der Bourgeoisie entsprechende Garantien zu geben.“ Des weiteren ermutigt er den ANC, „umfassende Garantien für die weiße Bevölkerung auszuarbeiten, die nach der Beseitigung des Apartheid-Regimes verwirklicht werden könnten . . . Zum Beispiel könnte das Parlament aus zwei Kammern bestehen: Eine Kammer, die nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wird und eine andere, ausgestattet mit einem Veto-Recht, in der die vier Gruppen gleichstark repräsentiert sind (equal representation)“ Es wäre falsch, zumindest voreilig, diese Thesen als offizielle sowjetische Politik einzustufen. Ebenso wenig sind sie allerdings auch nur einsame Gedanken Starushenkos. Insgesamt ist man jedoch in Moskau, ganz ähnlich wie in Washington, der Meinung, daß das südliche Afrika nicht bedeutend genug ist. Anlaß für eine direkte Konfrontation zwischen den beiden Supermächten zu sein. Das Vertrauen, diesen konfliktbegrenzenden Konsens mit den USA halten zu können, ist relativ groß. Im Juni 1987 wurde ein weiteres führendes Mitglied des Moskauer Afrika-Institutes in dieser Hinsicht sehr deutlich. Victor Gonscharow sagte auf einer Konferenz des Londoner Instituts für Strategische Studien und der Universität von Zimbabwe, daß das südliche Afrika für die beiden Supermächte von geringem Interesse sei und daß es deswegen eigentlich möglich sein sollte, sich über eine Handhabung der Probleme in der Region zu verständigen. Gonscharow distanzierte sich jedoch ausdrücklich von Staruschenkos Thesen zum weißen Minderheitsschutz und bestätigte damit den Eindruck westlicher Experten, daß es zu dieser Frage in Moskau unterschiedliche Auffassungen gibt.

Das starke militärische Engagement des Ostblocks in Angola scheint im krassen Widerspruch zu den moderaten Tönen aus Moskau im Hinblick auf die Republik Südafrika zu stehen. In Angola sind über 30 000 kubanische Soldaten stationiert. Der Wert der Waffen, die aus der Sowjetunion in den letzten Jahren dorthin geliefert worden sind, wird auf mehrere Milliarden DM geschätzt. Mit ihrer Hilfe startete die angolanische Armee im Herbst 1987 eine weitere Großoffensive gegen die Guerillatruppen der UNITA. Als diese in Bedrängnis kamen, eilten ihnen die Südafrikaner wie schon in früheren Fällen zur Hilfe. Durch den Einsatz von Flugzeugen, mobiler weitreichender Artillerie (G-5) und gepanzerten Einheiten auf angolanischem Boden gelang es ihnen, die Offensive zu stoppen und teilweise zurückzudrängen.

Moskau macht aus seinem starken Engagement zugunsten der Regierung in Luanda kein Hehl, bestreitet allerdings, wie es von Südafrika behauptet wird, daß sowjetische Militärs an der Seite der angolanischen Regierungstruppen direkt an den Kämpfen teilgenommen hätten Von südafrikanischer Seite ist das wiederholt behauptet wor-den Die militärische Unterstützung, die die UNITA nicht nur aus Südafrika, sondern seit 1986 auch offiziell von Washington erhält, wird in Moskau als der Versuch eines „roll back“ mit militärischen Mitteln gedeutet, den man nicht hinnehmen wolle. Eine militärische Niederlage der MPLA-Regierung würde aus sowjetischer Sicht, insbesondere in den Augen der Militärs, in gravierender Weise an der Glaubwürdigkeit der Sowjetunion als einer den USA zumindest militärisch ebenbürtigen globalen Macht rühren. Gorbatschow ist nicht weniger entschlossen als seine Vorgänger, diesen Status zu verteidigen. Die Notwendigkeit dazu scheint in Moskau so gut wie unumstritten zu sein. Hoffnungen. Angola in eine ideologisch definierte Hegemo-nie nach osteuropäischem Vorbild einbinden zu können, werden damit wohl nur noch bei wenigen verbunden. Die starke östliche Militärpräsenz hindert Angola nicht daran, ähnliche Reformschritte wie Mozambique zu vollziehen und seinen Standort in der Ost-West Rivalität mehr in Richtung Westen zu verschieben. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß Moskau oder Havanna dagegen ernsthaft etwas unternehmen. Für die sowjetische Afrika-Politik seit Anfang der achtziger Jahre macht es offensichtlich einen Unterschied, ob man lediglich eine schrittweise Transformation und Positionsverschiebung eines bisherigen Verbündeten hinnehmen muß oder eine offene militärische Niederlage bzw. einen offenen Bruch.

IX. Schlußfolgerungen

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in drei Jahrzehnten sowjetischer Afrika-Politik Entwicklungen stattgefunden haben, die die Bedeutung des Systemantagonismus erheblich relativieren. Seine politisch überstarke Betonung erscheint heute anachronistisch. Die Konfrontation mit den Bedingungen in Afrika und den Leistungsgrenzen des eigenen Systems hat östliche Wissenschaftler und Politiker dazu gezwungen. Motivationslage und Vorgehensweise sowjetischer Afrika-Politik nachhaltig zu überdenken. Hegemoniale Expansionsvorstellungen, wie sie im Kreml zeitweise durchaus bestanden haben mögen, haben sich als machtpolitische Träumereien erwiesen. Die Neigung, revolutionäre Umstürze in der Dritten Welt als Gelegenheiten für eine nachhaltige Ausweitung des östlichen Einflusses „opportunistisch“ auszunutzen, hat abgenommen. Ein Rückzug aus Afrika bedeutet das jedoch nicht. Gerade unter Gorbatschow ist die sowjetisehe Politik recht aktiv darin, die wirtschaftlichen, technischen, kulturellen und politischen Beziehungen nicht nur mit einigen wenigen ideologischen Verbündeten, sondern mit mehr oder weniger allen Staaten Afrikas zu pflegen Im großen und ganzen handelt es sich um die Politik einer globalen Macht, die sich ebenso ihrer militärischen Stärke bewußt ist wie ihrer wirtschaftlichen Schwäche. Ideologie spielt in dieser Politik zwar weiterhin eine Rolle, aber in einer sehr zurückgenommenen und die Erfahrungen von drei Jahrzehnten zunehmend realistisch verarbeitenden Weise. Eines läßt sich mit Gewißheit feststellen: Diese Politik baut nicht mehr darauf, westlichen Industriestaaten auf dem Umweg über Afrika und andere Teile der Dritten Welt in ihrer Substanz unterminieren zu können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Boris Meissner. Das Parteiprogramm der KPdSU. Köln 1962.

  2. Vgl. zum neuen Parteiprogramm Wolfgang Berner. Sowjetische Außenpolitik und Außenbeziehungen der Partei auf dem XXVII. KPdSU-Kongreß, in: Beiträge zur Konfliktforschung. 14 (1986) 2. S. 121 ff.

  3. Vgl. 27. Parteitag der KPdSU. Sowjetunion zu neuen Ufern?. Dokumente und Materialien (Einleitung von Gert Meyer). Düsseldorf 1986. S. 249.

  4. Vgl. Winrich Kühne. Die Politik der Sowjetunion in Afrika. Baden-Baden 1983.

  5. Vgl. Stockholm International Peace Research Institute, SIPRI Yearbook 1987, World Armaments and Disarmament, Oxford 1987.

  6. Vgl. ausführlich zu den sowjetischen Waffenexporten Joachim Krause, Sowjetische Militärhilfe gegenüber Entwicklungsländern, Baden-Baden 1985.

  7. Vgl. Winrich Kühne. Südafrika und seine Nachbarn: Durchbruch zum Frieden? Zur Bedeutung der Vereinbarung mit Mozambique und Angola vom Frühjahr 1984, Baden-Baden 1984; Peter Meyns, Das Südliche Afrika nach Nkomati. Die Regionalpolitik von Botswana, Mozambique und Zimbabwe, Hamburg 1987?

  8. Vgl. Robert J. Hanks. The Cape Route: Imperiled Western Lifeline. Washington 1981.

  9. Vgl. ausführlich Kühne (Anm. 4). S. 177 ff.

  10. Vgl. die Zusammenstellung des Commonwealth Office. Soviet Bloc Aid to Special Friends. London. April 1985 (Background Brief).

  11. Vgl. zur Entwicklung der Schriften Uljanowskijs Sally W. Stoecker. R. A. Uljanovsky’s Writing on Soviel Third World Policies. 1960— 1985 (Rand Paper Series. Februar 1986). Santa Monica 1986.

  12. Vgl. A. Kiwa. Socialist-Oriented Countries. Some Development Problems, in: International Affairs. No. 10. Moskau 1984. S. 22 f.

  13. Vgl. Georgy Mirsky. Newly-Independent States. Ways of Development, in: Asia and Africa Today. (1987) 5. S. 53— 56 (53).

  14. Vgl. Boris Assojan. Botha macht die Fehler von Ian Smith, in: Neue Zeit. (1987) 38. S. 9.

  15. Vgl. The Times vom 6. März 1987.

  16. Vgl. ausführlich zu den Entwicklungen in Äthiopien Paul Henze. Communist Ethiopia — is it Succeeding?, (The Rand Corporation), Santa Monica 1985.

  17. A. P. Butenko. Der Übergang zum Sozialismus in Ländern mit unterentwickelter Wirtschaft, in: Sowjetwissenschaft — Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge. 36 (1983) 3, S. 402 f.

  18. Vgl. W. Schejnis. Besonderheit und Probleme des Kapitalismus in den Entwicklungsländern, deutsche Übersetzung in: Sowjetwissenschaft — Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge. (1987) 4. S. 396-412.

  19. Vgl. ausführlich. Zenovia A. Sochov. NEP Rediscovered: Current Soviet Interest in Alternative Strategies of Development. in: Soviet Union. 9 (1982) 2. S. 189— 211.

  20. Vgl. z. B. Hannes Adomeit. Ideology in the Soviel View of International Affairs, in: Christoph Bertram (Hrsg.). Prospects of Soviet Power in the 1980’s. London 1980. S. 103 bis 110.

  21. Vgl. Elizabeth Kridl Valkenier. The Soviet Union and the Third World. An Economic Bind. New York 1983; Jerry E. Hough. The Struggle for the Third World. Soviet Debates and American Options. Washington 1986.

  22. Vgl. P. Henze (Anm. 16).

  23. Vgl. The Weekly Mail vom 30. Oktober 1987.

  24. Vgl. Winrich Kühne, Black Politics in the South Africa and the Outlook for Meaningful Negotiations (Internationale Konferenz, abgehalten in der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, vom 10. bis 12. Dezember 1986 (SWPK 2518), S. 40ff.

  25. Gleb Starushenko. Problems of Struggle Against Racism. Apartheid and Colonialism in the South Africa (USSR Academy of Sciences. The Africa Institute). Moscow 1986.

  26. Vgl. Howard Barrel. Soviet Policy in Southern Africa. in: World in Progress (South Africa). (1987) 48. S. 3— 7.

  27. Vgl. Monitor-Dienst (Afrika) vom 26. November 1987, S. 10.

  28. Vgl. BBC/SWB/ME/8690/B/1 vom 5. Oktober 1987.

  29. Vgl. David Albright, New Trends in Soviel Policy toward Africa. in: CSIS Africa Notes. No. 27 vom 29. April 1984.

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