Das „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ wird nach allen vorliegenden Plänen 1992/93 in Bonn eröffnet werden. Den entscheidenden Anstoß zur Realisierung dieses bereits Ende der siebziger Jahre innerhalb des Bundesministeriums des Innern diskutierten Projektes gab Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung am 13. Oktober 1982: „Unsere Republik, die Bundesrepublik Deutschland, entstand im Schatten der Katastrophe. Sie hat inzwischen ihre eigene Geschichte. Wir wollen darauf hinwirken, daß möglichst bald in der Bundeshauptstadt Bonn eine Sammlung zur deutschen Geschichte seit 1945 entsteht, gewidmet der Geschichte unseres Staates und der geteilten Nation.“
Etwa auf der Hälfte der Wegstrecke seit dieser Erklärung bis zur Eröffnung haben die vorbereitenden Arbeiten inzwischen einen Stand erreicht, der Anlaß zu diesem Zwischenbericht ist. Darüber hinaus kommen wir dabei auch gerne dem erfreulicherweise breiten Interesse der Öffentlichkeit nach, das die Errichtung des Hauses der Geschichte begleitet. Die folgenden Ausführungen wollen die bisherige Entstehungsgeschichte des Hauses zusammenfassen sowie Zielsetzungen und Aufgaben, Stand der Arbeiten und Pläne skizzieren.
I.
Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland soll im Regierungsviertel der Bundes-hauptstadt ein Ausstellungs-, Dokumentationsund Informationszentrum werden. Es ist ein Angebot an die jährlich fast 400 000 Bonn-Besucher, von denen viele die Verfassungsorgane des Bundes, namentlich Bundestag und Bundesrat. in ihrer Arbeit erleben und bei denen Interesse an historisch-politischen Informationen zur Bundesrepublik vorausgesetzt werden kann. Ein Besuch des Hauses der Geschichte ist in diesem Zusammenhang geeignet. Kenntnisse über die jüngere Geschichte unseres Landes zu vermitteln; er kann historisches Bewußtsein fördern und Anstöße zur Besinnung über die Entstehungsgeschichte unserer Gegenwart geben.
Aufgrund der Regierungserklärung berief der Bundesminister des Innern 1983 eine unabhängige Sachverständigenkommission mit den Universitätsprofessoren Dr. Lothar Gall (Frankfurt). Dr. Klaus Hildebrand (Bonn). Dr. Horst Möller (Erlangen) und Museumsdirektor Dr. Ulrich Löber (Koblenz) und erteilte ihr den Auftrag, eine erste inhaltliche Konzeption für das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln, den zeitlichen Rahmen für die Präsentation genauer abzustecken sowie Hinweise zur didaktischen Konzeption zu geben.
Die von der Kommission erarbeitete Fassung des Gutachtens wurde Ende 1983 der Öffentlichkeit vorgestellt und an die Länder sowie an über hundert gesellschaftliche Gruppen (Kirchen, Parteien. Verbände etc.). Institutionen und Einzelpersonen mit der Bitte um Stellungnahme übersandt. Auf diese Weise wurde eine breite Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit sichrgestellt. Die SPD-Bundestagsfraktion führte im Mai 1984 ein Hearing zum Gutachten durch, dessen Ergebnisse — positive wie negative Stellungnahmen — ebenfalls veröffentlicht wurden.
Kritik und Anregungen wurden von der Sachverständigenkommission eingehend geprüft und zu erheblichen Teilen in die letzte, im Juli 1984 veröffentlichte Fassung des Gutachtens eingearbeitet. Dieses im Jahr 1985 auch vom Bundeskabinett ge billigte Gutachten ist die wesentliche konzeptionelle Arbeitsgrundlage für die Realisierung des Hauses der Geschichte und muß darum näher erläutert werden. Dabei ist vorab zu betonen, daß — natürlich — ein erstes Gutachten über die Konzeption eines Museums keineswegs dessen Inhalte detailliert oder umfassend beschreiben oder gar den Charakter eines Text-oder Drehbuches zur musealen Realisierung vorwegnehmen kann. Es ist beinahe überflüssig, darauf hinzuweisen, daß jede museale Realisierung auch die Verfügbarkeit von Exponaten sowie ausstellungsgestalterische, museumsdidaktische. medientechnische und weitere
Gesichtspunkte — nicht zuletzt übrigens auch jene der innenarchitektonischen Rahmenbedingungen — berücksichtigen muß.
Freilich muß von einer inhaltlichen Konzeption ausgegangen werden, wenn die museale Realisierung in Angriff genommen wird. Wenn die Exponate die Inhalte bestimmen, dominieren allzuleicht Schaueffekte. und das wissenschaftliche Fundament könnte beeinträchtigt werden, wenn nicht gar ganz verlorengehen — keine geringe Gefahr, der manche Ausstellung erliegt, obwohl sie es eigentlich nicht dürfte.
II.
Absicht und Ziel des Gutachtens war, „die in der Ausstellung zu behandelnden Themenkomplexe im Zusammenhang zu umreißen“
Im Mittelpunkt steht die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in einer die Vergangenheit mit ihrem politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Erbe umfassend integrierenden Betrachtungsweise. Auch der Wiedervereinigungsauftrag des Grundgesetzes und die Einbindung der Bundesrepublik in Tradition und Entwicklung der westlichen Welt gehören in diesen Zusammenhang.
Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es. wie die Sachverständigen in ihrem Gutachten besonders hervorheben, „der engen Verbindung von politischer Geschichte, Wirtschafts-und Sozialgeschichte. Geistes-und Mentalitätsgeschichte und nicht zuletzt der Geschichte der sogenannten materiellen Kultur, der Entwicklung der alltäglichen Lebensformen und Lebensbedingungen: Sie präsent und anschaulich zu machen und den Besucher nicht nur mit vergangener Politik, sondern stets zugleich auch mit vergangener Lebenswelt zu konfrontieren, gehört nach Meinung der Kommission zu den großen Herausforderungen des Vorhabens. Die Darstellung müßte sich also gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen bewegen und diese immer wieder aufeinander beziehen.“
Die politische Geschichte in engerem Sinne soll den „Orientierungs-und Leitsektor“ bilden, aber „nicht, weil ihr generell die dominierende Rolle im geschichtlichen Leben zukommt, sondern weil sie aus unmittelbar einsichtigen Gründen die äußeren Marksteine der Entwicklung setzt und darüber hinaus in Aktualisierung und anlaßbedingter Diskussion bestimmter Fragen zentrale Problemfelder markiert“ (Gutachten. S. 2).
Diese Hinweise auf eine politikgeschichtlich orientierte Gliederung des Konzeptes sind immer wieder mißverstanden oder mißinterpretiert worden, wenn hieraus die Dominanz der Politikgeschichte über andere historische Erfahrungsebenen abgeleitet wurde. Doch soll und wird eine solche Dominanz vermieden werden, weil das Konzept des Hauses der Geschichte durchlässig und offen gehalten werden kann für die verschiedensten Aspekte sozial-, wirtschafts-. kultur-. kunst-und mentalitätsgeschichtlicher Prägung. Die Geschichte der Bundesrepublik ist eben am ehesten nach ihrer politischen Entwicklung in kürzere Phasen zu unterteilen, was aber nicht bedeuten muß. daß die Politikgeschichte andere historische Betrachtungsebenen zwangsläufig dominiert. Sozial-, wirtschafts-, kultur-, mentalitäts-und kunstgeschichtliche Aspekte unterliegen Veränderungen in längerfristigen Zeiträumen als die gewissermaßen kurzatmigere Politikgeschichte. Es ist darum geradezu eine besondere Chance dieses Konzeptes, politikgeschichtliche Phasen durch Perioden der Sozial-. Wirtschafts-. Kultur-. Kunst-und Mentalitätsgeschichte zu erweitern. Überlagerungen zu zeigen und — wo möglich — akzentuiert gegenüberzustellen. Diese unterschiedlichen historischen Erfahrungsebenen sind außerordentlich wichtig und dürfen im Bonner Haus der Geschichte keinesfalls von der Politikgeschichte an den Rand gedrängt werden. Das Konzept des Hauses ist durchaus offen für eine solche strukturgeschichtliche Interpretation.
Die mit der Realisierung einer solchen strukturgeschichtlichen musealen Darstellung verbundenen Schwierigkeiten sind nicht zu unterschätzen. In der Tat liegt, wie schon die Sachverständigenkommission urteilte, hier eine der „großen Herausforderungen“ des gesamten Projektes, für das es bislang kein Vorbild gibt. Doch wer um die Schwierigkeiten strukturgeschichtlicher Gliederungen wissenschaftlicher Bücher weiß, wird vielleicht dem Museum in dieser Beziehung größere Chancen einräumen. Hier ist es nämlich nicht nur möglich, von Akzenten oder Fragen der Gegenwart auszugehen, hier kann auch durch entsprechende Exponate eine historische „Tiefenschärfe“ hergestellt werden, die weiter zurückreicht als bis 1933 oder 1918/19.
Die Vorschläge der Gutachter sehen für die Zeit vor 1945 zwei eigene Ausstellungseinheiten vor. Es kann daher keine Rede davon sein, die Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland — insbesondere die nationalsozialistische Gewaltherrschaft — in diesem Hause auszuklammern. Einzelne markante Exponate werden darüber hinaus die Möglichkeit bieten, die strukturgeschichtliche museale Präsentation noch weiter — bis 1871. 1848. 1815. in die Zeit des Absolutismus und vielleicht sogar noch früher — zurückreichen zu lassen. So verstanden, bietet das Konzept des Hauses der Geschichte die Chance, die unterschiedlichen Ebenen der gleichzeitigen Alltagswelt verschiedener Bevölkerungsschichten gegenüberzustellen und darüber hinaus die Auswirkungen politischer Entscheidungen und Entwicklungen auf deren Lebenswelt herauszuarbeiten. Es war eine der wichtigsten Entscheidungen auf dem bisherigen Wege des Hauses der Geschichte, ihm eine eigene Sammlungstätigkeit zu ermöglichen. In der Tat ist das Zusammentragen historischer Exponate Grundvoraussetzung für die Arbeit eines Museums. Die Faszination von Originalen ist schwer zu ersetzen, und das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland will sie nutzen. Das dreidimensionale Objekt steht hier — wie für den Historiker das Dokument und für den Kunsthistoriker das Kunstobjekt — als eine historische Quelle im Zentrum des Interesses.
Damit es hineingestellt werden kann in den vielfältigen geschichtlichen Zusammenhang, bedarf die-29 ses Exponat als Quelle der besonderen Bemühung. Jedenfalls ergibt sich die Konzeption einer Darstellung meist nicht aus den Gegenständen selbst; diese gewinnen ihre Aussagekraft im Museum erst aus schöpferischer Kraft, durch die Einbindung in ein Ensemble oder mit Hilfe einer Inszenierung im historischen Kontext. Selbstverständlich wird das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland — ähnlich wie andere Museen — sich der Inszenierung als Mittel musealer Darstellung bedienen: Exponate müssen — wo möglich und sinnvoll — auf eine Weise angeordnet werden, die bereits von der Art ihrer Zusammenstellung („Komposition“, „Collage“ etc.) Rückschlüsse auf den Erklärungszusammenhang bietet. Exponate sind die wichtigsten Bausteine jeder musealen Darstellung; in einem Ensemble, in einer Inszenierung können sie wie Belege wirken. Eine solche Präsentation von Objekten kann, wie Gottfried Korff (der Verantwortliche für die große Berliner Preußen-Ausstellung) formulierte, gewissermaßen eine Balance zwischen intellektuellem und emotionalem Impuls herstellen.
Die Sammlungsbemühungen des Hauses der Geschichte zielen nicht nur auf Objekte der Politikgeschichte. sondern ebenso und besonders intensiv auf solche der Sozial-, Wirtschafts-, Kultur-, Mentalitäts-und Kunstgeschichte. Dies entspricht dem inhaltlichen Konzept des Hauses, und damit wird auch ein Teil der klassischen Trennung in Museumsspartenaufgehoben. Auch Kunstobjekte sind beispielsweise integraler Bestandteil des entstehenden Sammlungskonzeptes des Hauses, insbesondere wenn sie Themen bundesdeutscher Geschichte bzw. ihrer Vorgeschichte akzentuieren.
Gewiß ist es nicht alltäglich, daß die Sammlung eines Museums erst im Anschluß an dessen Konzeption entsteht, doch ist dies in unserem Fall nur folgerichtig: Zahlreiche interessante historische Objekte der Nachkriegszeit warten noch auf ihre Entdeckung für den musealen Zweck. Das auf Initiative des Hauses der Geschichte vor dem Abbruch des Plenarsaales des Deutschen Bundestages sichergestellte Mobiliar mag als ein Beispiel solch „musealer Entdeckung“ gewertet werden. Vielleicht wird das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland das erste Museum überhaupt sein, das mit einem umfassenden Sammlungskonzept systematisch an den Erwerb von Objekten für die Depots herangeht. Aus diesem Zusammenhang heraus wird die Auseinandersetzung mit dem schwedischen Museumskonzept „SAMDOK“ — des „Sammelns und Dokumentierens“ aus dem lebendigen Gebrauch heraus — zu einer Selbstverständlichkeit.
Welche formalen Vorgaben bestehen für einen Rundgang durch die ständige Ausstellung? 1. Das Gutachten unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Arten von Ausstellungseinheiten und geht von folgendem formalen Aufbau aus:
— Mit einem chronologisch gegliederten, dem historischen Zeitablauf seit 1945 folgenden Sektor (A). in dem auf den verschiedenen Ebenen — politische Geschichte. Wirtschafts-und Sozialgeschichte. Geistes-und Mentalitätsgeschichte. Geschichte der materiellen Kultur — die Entwicklung der letzten vierzig Jahre mit der politischen Geschichte als einer Leit-und Orientierungsschiene dargestellt wird.
sind unmittelbar verbunden und jeweils hierauf bezogen — spezielle „Schwerpunkträume“ (B), in denen besonders wichtige Themen und Zusammenhänge (einschließlich ausführlicher historischer Rückgriffe) intensiver behandelt und vertieft werden. Mit diesen Schwerpunkträumen sollen zugleich inhaltliche Akzente gesetzt, die Bedeutung und das Gewicht des jeweiligen Komplexes unterstrichen werden. 2. Insgesamt wird die ständige Ausstellung in fünf große Ausstellungsbereiche unterteilt, die den Phasen der Nachkriegsgeschichte folgen. Jeder dieser Abschnitte und der ihm entsprechende Ausstellungsbereich ist wiederum in eine unterschiedliche Anzahl von A-bzw. B-Einheiten unterteilt, so daß folgende Gliederung entsteht:
I. Vom Reich zur Bundesrepublik Deutschland (1945— 1949)
A 1: Politik der Siegermächte A 2: Demokratiegründung in Westdeutschland A 3: Wirtschafts-und sozialpolitische Grundentscheidungen B 1: Last und Verantwortung der Vergangenheit B 2: Historische Voraussetzungen der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland B 3: Weg zur Teilung Deutschlands B 4: Vertreibung, Flucht und Integration II. Gründerjahre der Bundesrepublik Deutschland (1949— 1955)
A 4: Konstituierung der parlamentarischen Demokratie A 5: Westintegration und Verteidigungsbeitrag A 6: Innenpolitische Fundamentalgesetzgebung B 5: Realverfassung B 6: Parteienkonsens in Grundfragen B 7: Soziale Marktwirtschaft und Wirtschaftspolitik B 8: Aufbau der Bundeswehr III. Höhepunkt und Krise der Ära Adenauer (1956-1963)
A 7: Entwicklung des politischen Systems A 8: Vollendung der Westintegration und Deutschlandpolitik A 9: Entwicklung des Sozialstaats B 9: Praktischer Vollzug der Teilung Deutschlands B 10: Europa und die deutsch-französischen Beziehungen IV. Zwischen Kontinuität und Wandel (1963— 1969)
A 10: Von der kleinen zur Großen Koalition All: Neue Wege der Außenpolitik Bll: Revolution der materiellen Lebensbedingungen B 12: Aufbruch und Protest V. Die Zeit der sozial-liberalen Koalition A 12: „Mehr Demokratie wagen . . ."
A 13: Die Neue Ostpolitik B 13: Probleme der siebziger Jahre B 14: Die Bundesrepublik Deutschland in der Welt'3. Die Innenarchitektur trägt diesen inhaltlichen Bedingungen Rechnung: Die insgesamt rund 4 000 m 2 umfassende Ausstellungsfläche ist so gegliedert, daß die skizzierten fünf Ausstellungsbereiche auf fünf voneinander getrennte, doch jeweils offene, hallenähnliche Großräume aufgeteilt werden können. Die Besucherführung von einem Ausstellungsbereich in den nächsten ist klar; zugleich bietet sich dem Besucher von Ebene zu Ebene ein Blick voraus bzw. zurück. Dies entspricht gewissermaßen der „Perspektive“ der Museumsbesucher: Je nach Alter überschauen sie Teile bzw. Phasen der historischen Wirklichkeit der Bundesrepublik; nach historischen Kenntnissen bzw. Erinnerungsvermögen können sie sich Standpunkte und Blickwinkel der Vergangenheit zu eigen machen, zurückliegende „Aussichten“ zurückholen — in Richtung Vergangenheit ebenso wie in Richtung Zukunft.
In diesem Zusammenhang ist nachzutragen, daß der Neubau des Hauses der Geschichte realisiert wird auf der Grundlage eines Entwurfs des Architektenehepaares Hartmut und Ingeborg Rüdiger aus Braunschweig. Dies ist das Ergebnis eines Architektenwettbewerbs des Jahres 1986, für den 172 Entwürfe eingingen. Die Architekten zu ihrem Entwurf: „Der bauliche und gestalterische Ausdruck des Gebäudes muß für unterschiedliche Besucher die Auseinandersetzung mit der demokratischen Geschichte unseres Staates ermöglichen. Er muß zu einem offenen Umgang mit der Geschichte anregen und Feierlichkeit und Monumentalität vermeiden.“ Die Architekten verzichten bewußt auf einen zentralen Zugang. Sie führen die Besucher durch zwei gegenüberliegende Eingänge vom Bürgersteig parallel zur Straße in das Gebäude; ein anderer Zugang führt aus der U-Bahn-Station ins Foyer des Hauses. Eine zentrale Multivisionswand im Foyer bereitet den Besucher auf die Ausstellungen vor und ist zugleich markante Schlußstation des Rundgangs.
Unmittelbar vom Foyer aus zugänglich sind nicht nur die Ebenen der ständigen Ausstellung, sondern auch der 500 bis 600 m
III.
Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, wollte man den „roten Faden“ eines Rundgangs durch die ständige Ausstellung hier im Detail skizzieren. Hinweise auf die Schwerpunkte der einzelnen Ausstellungseinheiten bieten die oben genannten Überschriften der sogenannten A-bzw. B-Räume. Die inhaltliche Entfaltung der einzelnen Themen muß an wissenschaftlichen Kriterien gemessen werden. Die Sachverständigenkommission ließ sich von der Überzeugung leiten, „daß wissenschaftliche Fragen keine Abstimmungsfragen sind und daß es in einem demokratischen Staat wie der Bundesrepublik nicht Aufgabe des Historikers sein kann, parteipolitisch akzentuierte Geschichtsbilder zu liefern oder zu legitimieren“ 2). „Ein offenes Geschichtsbild, das . . . auf Pluralität und Perspektivität hin ausgerichtet ist“, hat Lothar Gall als Leitlinie des Gutachtens bezeichnet. „Pluralität heißt dabei nicht zuletzt, daß jeweils auch die kontroversen Positionen zu Wort kommen müssen, daß die unterschiedlichen Auffassungen über verschiedene Vorgänge und Entwicklungen — etwa in der Mitbestimmungsfrage oder der Frage der Wiederbewaffnung in den fünfziger Jahren — ihren Niederschlag finden.“
Dabei wird es jedoch nicht darum gehen, „historisch gewordene Kontroversen in der Gegenwart . nachzukämpfen 1, sondern sie gerade in ihrem geschichtlichen Bezug zu veranschaulichen“
Im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kann und wird es weder ein „regierungsamtliches Geschichtsbild“ noch einen „Allein-Vertretungsanspruch zeitgeschichtlicher musealer Interpretation“ geben, um nur zwei der kritischen Schlagworte aus jüngster Zeit aufzugreifen. Eine allgemeinverbindliche Interpretation der musealen Darstellung der Geschichte der Bundesrepublik, die quasi staats-offiziöse Gültigkeit beanspruchen könnte oder wollte, gibt es nicht. Dies hat auch Bundeskanzler Kohl in aller Deutlichkeit betont, so z. B. in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987: „Die deutsche Geschichte soll so dargestellt werden, daß sich die Bürger darin wiedererkennen — offen für kontroverse Deutungen und Diskussionen, offen für die Vielfalt geschichtlicher Betrachtungsmöglichkeiten. In einer freien Gesellschaft gibt es nach unserer Überzeugung kein geschlossenes und schon gar nicht ein amtlich verordnetes Geschichtsbild. Niemand — niemand! — hat das Recht, anderen seine Sicht und seine Deutung der Geschichte aufzudrängen.“
Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland will von Anfang an ein lebendiges Diskussionsklima schaffen und dieses durch besondere Veranstaltungen (Vorträge, Workshops, Diskussionen, Filmvorführungen, Theater-und Kabarett-aufführungen etc.) zusätzlich fördern. Die große Eingangshalle soll zu einem Forum von — durchaus auch politischen — Begegnungen werden. Der vorgesehene Raum für Wechselausstellungen soll nicht nur eigenen Ausstellungen dienen, sondern offen sein für Denkanstöße unterschiedlichster Art.
Das Interesse an Museen und Ausstellungen ist erfreulicherweise groß; es wird begleitet von einer Skepsis, ja manchmal einem Mißtrauen, das verständlicherweise vor allem deswegen aufkommen kann, weil museale Präsentation zur Vereinfachung komplexer historischer Zusammenhänge zwingt. Insofern steht der Chance strukturgeschichtlicher Darstellung auch ein Risiko gegenüber. Jede Ausstellung, und noch mehr jedes Museum, ist ein Wagnis, das — wie manche meinen — größer ist als das Abfassen eines historischen Textes. Niemand hat Illusionen über die bevorstehende Aufgabe und ihre Schwierigkeiten. Intensives Nachdenken muß wichtiger sein als übereilte Festlegungen. Nicht jedes Zwischenergebnis auf dem Weg zur musealen Realisierung wird für eine Diskussion auf breiter Ebene geeignet sein.
Andererseits dürfen Chancen und Risiken historischer Museen auch nicht überschätzt werden. Niemand erwartet, daß ein Museumsbesuch breites historisches Wissen vermitteln oder auf alle Fragen eindeutige Antworten bereithalten könnte. Aber es ist auch nicht zu verleugnen, daß über Museen und Ausstellungen historische Probleme in die Debatte kommen, Meinungsbildung ergänzt oder korrigiert wird, die Auseinandersetzung mit der Geschichte gefördert wird, Fragestellungen erweitert oder präzisiert, Richtungen möglicher Antworten gewiesen werden können. Dies erhoffen wir uns auch im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Hier müssen verschiedene Meinungen vertreten werden können; Rede und Gegenrede, lebendige Diskussion ist erwünscht.
IV.
Im Laufe des Jahres 1988 soll das „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ seine endgültige Form als rechtsfähige Stiftung öffentlichen Rechts erhalten. Ein entsprechender Gesetzentwurfist vorbereitet. Mit der Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag und Bundesrat wird das Haus der Geschichte eine selbständige, das heißt eine unabhängige Stiftung.
Derzeit arbeitet es auf der Grundlage eines am 1. März 1986 in Kraft getretenen Erlasses, der im Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern eine unselbständige Stiftung des öffentlichen Rechts begründete. Bewußt wurde das Haus nicht als nachgeordnete Behörde gegründet, sondern die Rechtsform einer unselbständigen, später selbständigen Stiftung gewählt, um ihm die erforderliche politische Unabhängigkeit zu gewähren. Als unselbständige Stiftung hat das Haus der Geschichte ein Kuratorium mit je sechs Vertretern des Deutschen Bundestages, sechs Vertretern der Länder (davon ein Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen) sowie sechs Vertretern der Bundesregierung. Die konstituierende Sitzung des Kuratoriums fand am 1. Oktober 1986 statt. Vorsitzender wurde Bundesbauminister Dr. Oscar Schneider. Das Kuratorium beschließt die Grundzüge der Programmgestaltung für das Haus der Geschichte und den Beitrag zum Haushaltsvoranschlag. Dem Wissenschaftlichen Beirat gehören bis zu 25 Sachverständige an. die vom zuständigen Bundesbauminister im Benehmen mit dem Kuratorium berufen werden. Die konstituierende Sitzung des Wissenschaftlichen Beirates fand am 12. Dezember 1986 statt, zu seinem Vorsitzenden wurde Prof. Dr. Hans-Peter Schwarz gewählt. Aufgabe des Wissenschaftlichen Beirates ist. Kuratorium und Direktor des Hauses der Geschichte bei der Programmgestaltung zu beraten. Ein Arbeitskreis gesellschaftspolitisch relevanter Kräfte hat ebenfalls beratende Funktion; seine Mitglieder werden auf Vorschlag der jeweiligen Organisationen vom Kuratorium berufen. Entsendungsberechtigt sind: die Evangelische Kirche, die Katholische Kirche, der Zentralrat der Juden, die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber-verbände. die Gewerkschaften, der Bund der Vertriebenen.der Bund der Mitteldeutschen, der Deutsche Frauenrat.der Deutsche Kulturrat.der Deutsche Sportbund, der Deutsche Bundesjugendring. die Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände. Konstituierende Sitzung des Arbeitskreises war am 13. November 1986. zum Vorsitzenden wurde Prof. Dr. Wilhelm Schneemelcher gewählt. Mit dem Erlaß vom März 1986 wurden die im Jahre 1983 beauftragten Sachverständigen, die das Gutachten zur Errichtung eines Hauses der Geschichte anfertigten, zum Gründungsdirektorium berufen und mit der Leitung der Arbeit des wissenschaftlichen Aufbaustabes beauftragt. Die Amtszeit der Gründungsdirektoren lief mit Ende des Jahres 1987 aus. alle vier Gründungsdirektoren wurden vom Bundesbauminister im Benehmen mit dem Kuratorium nunmehr in den Wissenschaftlichen Beirat berufen. Die Aufgaben der Gründungsdirektoren gingen mit 1. Juli 1987 auf den ersten hauptamtlichen Direktor der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland über.
Die derzeitige Tätigkeit der insgesamt 20 Mitarbeiter des Hauses der Geschichte ist vor allem auf die Vorbereitung des Neubaus, die Mitwirkung an den Planungsarbeiten in Zusammenarbeit mit Bundesbaudirektion und den Architekten sowie auf die Innenausstattung des Neubaus, die Anlage von Exponatsammlungen und die Fortentwicklung der musealen Präsentation auf der Grundlage der vorliegenden Konzeption konzentriert. Voraussichtlich im Herbst 1988 wird das Haus der Geschichte eine erste „Werkstattausstellung“ präsentieren, die auf die Dauerausstellungen des Hauses hinführen und Gelegenheit zur Erprobung ausstellungstechnischer. gestalterischer und museumspädagogischer Konzepte bieten soll. Bislang konnten bereits eine Reihe von Gastausstellungen in provisorischen Ausstellungsräumen gezeigt werden:
— „Der Bundespräsident“ als Gastausstellung des Bundesarchivs Koblenz (Sommer 1986);
— „Die jüdische Emigration aus Deutschland 1933 bis 1941“. Dokumentation der Deutschen Bibliothek Frankfurt (Oktober big Dezember 1986);
— „ 40 Jahre Volkshochschule 1946 bis 1986“, Gastausstellung des Deutschen Volkshochschulverbandes (Februar bis April 1987);
— „Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime“, Gast-ausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg (Mai bis Juni 1987); — „Deutsche jüdische Soldaten 1914 bis 1945“.
Gastausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg (September bis November 1987).
Weitere Gastausstellungen und eigene Ausstellungsprojekte befinden sich in der Vorbereitung.
Das Haus der Geschichte entsteht in einer Zeit, in der sich in der Bundesrepublik eine gewisse Polarisierung von Geschichtsbildern zu entwickeln scheint. Dem Haus der Geschichte geht es weder um Majorisierung kritischer Stimmen noch um eine Harmonisierung des Geschichtsbewußtseins. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in seiner Rede zum 8. Mai 1945 ein Zeichen für ein solches Geschichtsbewußtsein gesetzt, das weit entfernt ist von billiger Polarisierung und simpler Harmonisierung. Dürfen wir nicht, hiervon ausgehend, auf die Möglichkeit hoffen, daß nationale Identität durch ein Geschichtsbewußtsein artikuliert werden kann, welches den vielen Besonderheiten der bundesdeutschen Identität Rechnung trägt? Vielen Solidaritäten muß Raum gewährt werden; Spannungen politischer, sozialer, religiöser und anderer Art müssen ertragen und verarbeitet werden. Nicht einseitige Geschichtsbilder sind gefragt, sondern ein Geschichtsbewußtsein, das die Balance unterschiedlicher Identitäten und Gegensätze zu verarbeiten in der Lage ist. Ein solches Geschichtsbewußtsein kann eine politische Kultur schaffen, die unserer freiheitlichen und demokratischen Ordnung entspricht. Das Haus der Geschichte will hierzu seinen Beitrag leisten. Literaturhinweise:
„Überlegungen und Vorschläge zur Errichtung eines Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn“, herausgegeben vom Bundesminister des Innern. Bonn. Juli 1984 (zitiert als „Gutachten“).
Ulrich Löber, „Haus der Geschichte“ in Bonn, in: Museumskunde, herausgegeben vom Deutschen Museumsbund. Band 49 (1984), Heft 3, S. 189— 196.
Horst Möller. Das „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in Bonn, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 1985, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, München-New York-London-Paris 1986, S. 57-61.
Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Protokoll vom 9. Mai 1984. herausgegeben von Freimut Duve. Bonn 1984.
Lothar Gall. Pluralität und Perspektivität, in: Das Parlament vom 17. /24. Mai 1986 (Themenausgabe „Lust und Leid an der Geschichte. Vom Umgang mit der Vergangenheit: Meinungen, Tendenzen. Analysen“).
Helga Grebing: Mut zu kontroversen Selbstdarstellungen, ebd.