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Das Deutsche Historische Museum in Berlin Perspektiven und Ziele, Entstehung und gegenwärtiger Stand | APuZ 2/1988 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 2/1988 Zeitgeschichte — Fragestellungen, Interpretationen, Kontroversen Das Deutsche Historische Museum in Berlin Perspektiven und Ziele, Entstehung und gegenwärtiger Stand Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Strukturgeschichtliche Darstellung im Museum Geschichte aus den „Graswurzeln“? Geschichtswerkstätten in der historischen Kulturarbeit

Das Deutsche Historische Museum in Berlin Perspektiven und Ziele, Entstehung und gegenwärtiger Stand

Christoph Stölzl/Verena Tafel

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Deutsche Historische Museum (DHM) steht nicht erst seit seiner Gründung im Scheinwerferlicht der öffentlichen Meinung. Bereits im Vorfeld entzündete sich an dem Vorhaben eine leidenschaftlich geführte Kontroverse. Inzwischen befindet sich das DHM in der Situation, vornehmlich als ein Streitobjekt bekannt zu sein. Doch der wirkliche Inhalt des Projektes wie seine Vorgeschichte sind weitgehend unbekannt. Die Ursache der außerordentlich vehement geführten Auseinandersetzung um das geplante Museum liegt in dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte. Die Fragen „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?“ lassen und ließen sich weder von den Zeitgenossen noch von den Vorfahren eindeutig beantworten. Insofern ist die Debatte um das DHM in ihrer Widersprüchlichkeit auch die Fortführung eines historischen Prozesses. Die Stichworte „Kontinuität“ und „Brüche“, die das Ausstellungsprogramm entscheidend prägen sollen, kommen bereits — und das ist Charakteristikum wie Symbol — in der Vorlaufphase zum Ausdruck. Basis für die Institution ist die von 1985 bis 1987 von 16 unabhängigen Historikern. Kunsthistorikern und Museumsfachleuten ausgearbeitete Konzeption. Darin wurden neben inhaltlichen Vorgaben auch Raum-vorstellungen entwickelt, die als Grundlage für den noch bis zum März 1988 offenen Architekturwettbewerb dienen. Die ständige Ausstellung des zukünftigen Museums verbindet chronologisch wie strukturell geordnete Themenstellungen. Auf diese Statik antwortet die Dynamik der Wechselausstellungen. Zusammen mit Workshops und Veranstaltungen wird das DHM dadurch zu einem Forum von Diskussion und Auseinandersetzung. Die Räume und Möglichkeiten des DHM werden allen offen stehen, die fachkundig etwas zu sagen haben: „Gastregisseuren“, freien Gruppen und Autoren, anderen Museen oder auch Nachbarländern. Das Museumist als modernes multifunktionales Zentrum geplant, das dem Besuchereine Mischung aus Information. Anschauung und Unterhaltung bietet. „Das Museum soll Ort der Besinnung und der Erkenntnis durch historische Erinnerung sein ... Es soll zur kritischen Auseinandersetzung anregen, aber auch Verstehen ermöglichen und Identifikationsmöglichkeiten bieten“, heißt die Zielsetzungsformulierung in der Konzeption.

I. Für und Wider

Schon lange bevor das Deutsche Historische Museum am 28. Oktober 1987 in Berlin feierlich gegründet wurde, war es eine bekannte Größe. Ausführliche Aufsätze und Essays in allen renommierten Zeitungen galten ihm, eine Demonstration wurde seinetwegen in äußerst unwirtlicher Kälte abgehalten. Meinungsumfragen gestartet. Inzwischen kursieren zahlreiche Mythen, Legenden und Schlagworte. Um einige zu nennen: „DKM -Deutsches Kohl-Museum“, „Monument zentralistischer Staatsmacht“. „Geschichtspalast“ oder „Kopfgeburt repräsentationssüchtiger konservativer Politiker“. Das Museum in statu nascendi war bereits vor seinem „Geburtstag“ zu einem Streitfall geworden — auf politischer wie auf wissenschaftlicher Ebene.

Die politischen Kritiker, in vorderster Linie DIE GRÜNEN/Alternative Liste sowie Persönlichkeiten innerhalb der FDP und SPD. wenden sich gegen die — wie sie meinen — „undemokratische“ Art und Weise der Museumsgründung und verknüpfen damit die Befürchtung, in Berlin entstehe eine moralische Anstalt zur nationalen Sinnstiftung, eine konservative Indoktrinationsmaschinerie. Die wissenschaftlichen Gegner, etwa Hans Mommsen und Jürgen Habermas, prophezeien „ein künstliches Fossil des nationalstaatlichen 19. Jahrhunderts“, eine „bildungsbürgerliche Veranstaltung“ zur „Entsorgung der Geschichte“, zur Verharmlosung der nationalsozialistischen Vergangenheit — Argumente. die auch im sogenannten „Historikerstreit“ aufgetaucht waren.

II. Die Debatte hat Tradition

Warum jedoch birgt die zweifellos wichtige und nützliche Auseinandersetzung um das Projekt „Deutsches Historisches Museum“ soviel emotionalen Sprengstoff? Weshalb mobilisierten sich für und wider das Haus bereits im Vorfeld mehr Menschen mit Stellungnahmen, als entsprechend teure Bundesbauobjekte oder andere vergleichbare Kunstmuseumsprojekte sie jemals hervorrufen konnten?

Die deutsche Geschichte ist — und das unterscheidet uns sicherlich von manchen Nachbarn — hierzulande eine Frage von Gut und Böse, von Schuld und Sühne, mit einem Wort: von Moral. Diese ethische Bewertung von Vergangenheit ist jedoch nicht nur Konsequenz der „deutschen Katastrophe“ (Friedrich Meinecke), sondern sie hat — wie der Berliner Historiker Hagen Schulze dies kürzlich in einem Vortrag in Oxford dargelegt hat — als Argument in politischen Debatten eine beachtliche Tradition. Schon bei den Beratungen in der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 war sie Diskussionspunkt. Verfolgt man zusätzlich die Geschichte des Zweifels an der deutschen Identität und der Schwierigkeiten mit derselben, so landet man unweigerlich bei Friedrich Schiller, Heinrich Heine und Friedrich Nietzsche. In dem Augenblick also, in dem sich im Lauf des 18. Jahrhunderts Termini wie „Nationalgeist“. „Nationalcharakter“ oder „Nationalbewußtsein“ zu Schlüsselbegriffen entwickelten und dabei eine Verknüpfung von Vergangenheit mit Zukunftsprogrammen und Utopien (wer sind wir. woher kommen wir, wohin gehen wir?) implizierten, meldeten sich sofort die kritischen Stimmen zu Wort, wurde zudem das politische Thema zugleich eines, das unter historischen, unter philosophischen Gesichtspunkten diskutiert wurde.

Das Bemühen, ausgehend von einem Sprach-und Kulturbegriff „deutsch“ wegweisend Werte für eine politische und wirtschaftliche Einheit zu entwik17 kein, gelang nicht. Im Gegenteil: Der Deckmantel des so sehr emotionalen Slogans „national“ konnte zunehmend mißbraucht werden als Legitimation für die jeweilige Machtpolitik. 1945 allerdings zerbrach endgültig die Zukunftsvision von Nation. Eine mögliche Erinnerung an Nationalgeschichte war zum einen beschämend, zum andern untauglich als Prinzip für den Aufbau eines politischen und gesellschaftlichen Systems. Der „Verlust der Geschichte“ setzte ein, wie Alfred Heuss 1959 konstatierte. und eine Konzentration auf andere Schwerpunkte innerhalb der Geschichtswissenschaft erlebte Hoch-und Blütezeiten. Wirtschafts-und Sozial-. Regional-und Lokalgeschichte. „Geschichte von unten“ und „Alltagsgeschichte“ entwickelten sich zu populären Gebieten der Forschung mit dem Ansatz, auf diesen in Opposition zur Politik-und Staatsgeschichte stehenden Feldern „historische Kontinuität“ zu finden.

Dessen ungeachtet zog vor rund fünfzehn Jahren die deutsche Geschichte wieder in das politische Bewußtsein der Bundesbürger ein. Es war das Ende der Wirtschaftswunderzeit. Ein zufälliges Zusammentreffen? Das lebhafte Interesse an historischen Ausstellungen wie „Rhein und Maas" (1972 in Köln). „Kurfürst Max Emanuel — Bayern und Europa um 1700“ (1976 in München). „Staufer“ (1977 in Stuttgart), „Wittelsbacher“ (1980 in Bayern). „Preußen“ (1981 in Berlin) oder allerjüngst „BerlinBerlin“ zur 750-Jahr-Feier der Stadt ist dabei nur ein Aspekt. Ein anderer schlägt sich in derenormen Nachfrage nach historischr Literatur nieder, ein dritter in der Vielzahl von Symposien. Tagungen und Veranstaltungen zum Thema Geschichte. „Mit dieser erneuten Wendung zur Geschichte“, meint Hagen Schulze in seinem aufschlußreichen Vortrag, „verbunden mit der zunehmenden Virulenz der deutschen nationalen Frage, wachsen die Gefahren. Wo wieder das Bewußtsein der Nation geweckt wird, da wuchern wie früher die Mythen und Legenden. Schon häufen sich Anzeichen für ein deutsches Sonderbewußtsein, für den Glauben, zwischen Ost und West in der Mitte Europas eine schicksalhafte Mission zu besitzen. Jetzt, da die lange Nachkriegszeit zu Ende gegangen ist und die Suche nach der nationalen Geschichte begonnen hat. ist es Sache der Historiker, anders als ihre Vorgänger im 19. Jahrhundert politische Wünsche nicht zu befriedigen. sondern sie kritisch zu überprüfen. Der Entwurf eines einheitlichen, stromlinienförmigen Bildes der deutschen Nationalgeschichte ist heute nicht mehr möglich; die Traditionsbrüche und Diskontinuitäten sprechen ebenso dagegen wie die Erkenntnis. daß ein einheitliches nationales Geschichtsbild in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft erfolglos bleiben muß. Die Frage kann heute nicht mehr lauten: Was ist die deutsche Geschichte? Sie muß vielmehr lauten: Innerhalb welcher Grenzen können wir über deutsche Geschichte debattieren? Dabei ist deutlich, daß der deutsche Nationalstaat keineswegs, wie Richard v. Weizsäcker noch 1972 vor dem Deutschen Bundestag meinte, das Richtmaß deutscher Geschichte sein kann; wäre dies der Fall, gäbe es die deutsche Geschichte erst frühestens seit der Zeit, in der der Nationalstaat ein klar beschriebenes Ziel war. also nicht vor Beginn des 19. Jahrhunderts. Andererseits reichen durchaus Kontinuitäten in frühere Zeiten zurück, allen politischen Unterbrechungen zum Trotz. Der geographische Raum Mitteleuropa war gerade dadurch, daß er im Gegensatz zur europäischen Peripherie bis 1871 immer einem bunten Flikkenteppich glich und seit 1945 wieder in mehrere Staaten zerfallen ist. in negativer Weise eine politische Einheit. Die Zersplitterung der europäischen Mitte war jahrhundertelang Voraussetzung des europäischen Gleichgewichts, mithin Sache aller europäischen Mächte; daraus folgt, daß die Geschichte dieses Raumes mit seinen vielfältigen, verwirrenden. einander überlagernden politischen Strukturen nur im Zusammenhang mit der Geschichte ganz Europas zu begreifen ist.

Die deutsche Geschichte muß also, um ihre Zusammenhänge zu finden, entnationalisiert werden. Das gilt auch für den zweiten Strang der historischen Kontinuität, die Kulturgeschichte . . . Nur im Zusammenhang mit der europäischen Kultur ist die Entwicklung der deutschen Sprache und der deutschen Literatur denkbar ... Im europäischen Zusammenhang jedenfalls gewinnt die deutsche Geschichte. was ihr als Nationalgeschichte fehlt: Eigenart und Kontinuität.“

III. Zu den Aufgaben

Diese Ambivalenz zwischen „Eigenart und Kontinuität“ zu zeigen, wird das Arbeitsprinzip des Deutschen Historischen Museums sein. Mit dem Haus soll ein Zentrum entstehen, daß seine Besucher zur kritischen Auseinandersetzung anregen kann, aber auch Verstehen ermöglichen und Identifikationsmöglichkeiten anbieten soll. Nicht „gelehrter, sondern gewitzter" solle der Besucher das Museum verlassen, schrieb einst Walter Benjamin. In diesem Sinn soll die zukünftige zentrale Diskussionsstätte den Wissens-und Erfahrungsstand des Neugierigen bereichern, seine historische Vorstellungskraft anregen und eigene selbständige Urteile erleichtern. Das Wechselbad auf dem Weg zu diesem Ziel wird eine Verbindung von Sachinformation. Anschauung. ja auch Unterhaltung sein, wobei zwei vorstellbare und befürchtete Ausrichtungen von vornherein ausgeschlossen sind: Das Museum wird weder „Weihestätte“ noch „Identifikationsfabrik“ sein.

In völliger Unabhängigkeit, ohne jegliche politische Weisungen oder Winke, entwickelten 16 Historiker. Kunsthistoriker und Museumsfachleute unterschiedlichster Ausrichtung*) eine Positionsschrift, die Grundlage des Deutschen Historischen Museums ist. Auch in Zukunft wird jene Denk-und Planungsgemeinschaft mit dem Schicksal des DHM verbunden sein. Als Beirat wird sie der allmählich wachsenden Institution zur Seite stehen.

Ausschließlich Aufgabe des Gründungsdirektors wird der Aufbau des Hauses in personeller Hinsicht Den inneren Kern bilden sogenannte „Epochenräume". In ihnen „wandert" der Besucher durch die Zeit. Wer darüber hinaus mehr über Ursachen und Wurzeln oder auch über die Rezeptionsgeschichte bestimmter Ereignisse wissen möchte, den laden „Vertiefungsräume“ zu gründlicherer Umschau und Reflexion, zum Innehalten und Stehenbleiben ein. Dort können internationale Verflechtungen sein. Sein Sachwissen und das seiner Mitarbeiter sind entscheidend für die fachliche Qualität. Das heißt nicht, daß die Museumsarbeit im politisch luftleeren Raum stattfindet. Die Abhängigkeit von den im Parlament jeweils beschlossenen öffentlichen Haushalten hat das DHM mit allen städtischen oder staatlichen Museen gemein. Doch diese finanzielle Abhängigkeit impliziert genausowenig wie bei den vergleichbaren Instituten ein inhaltliches Gängelband.

Die Konzeption fordert vom DHM ausdrücklich, in Zukunft nicht ein einheitliches und schon gar nicht ein regierungsamtliches Geschichtsbild zu präsentieren. sondern stellt ihm die bislang noch nirgends unternommene Vorgabe, spiegelbildlich die konkurrierenden Geschichtsbilder unserer pluralistischen Gesellschaft zu reflektieren.

Um der doppelten Aufgabe gerecht werden zu können, einerseits grundlegende Strukturen und längerfristige Prozesse anschaulich werden zu lassen — wie etwa die Christianisierung, die Industrialisierung, die Frage nach den Bedingungen und Prozessen von Herrschafts-und Staatsbildung sowie die Frage nach Arbeit und Wirtschaft im Wandel der Zeit, um nur einige aus dem umfangreichen Katalog zu nennen —. andererseits konkrete Daten und Ereignisse zu visualisieren, sieht die Konzeption eine dreigeteilte Grundstruktur für die Räume der ständigen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums vor.

IV. Räumliche und inhaltliche Gliederung

und Verbindungen studiert werden, dort kommen kontroverse Sichtweisen zu Wort. Chronologisch folgen die „Vertiefungsräume“ den Hauptumbruchphasen der europäischen Vergangenheit: „ 1200" -„ 1300“ -„ 1800“ -„ 1914/18“ -„ 1933“ -„ 1945“.

Das dritte Angebot findet sich in den „Themenräumen“. Sie sind für immer wiederkehrende Fragestellungen vorgesehen, beispielsweise „Verhältnis der Geschlechter“, „Arbeit und Beruf im Wandel“. „Spiritualität. Religion und Kirchen". „Die Entwicklung von Wissenschaft. Bildung und Schule“. „Das Recht, die Rechtsprechung und der Straf-B Vollzug“. In diesen Räumen sollen langdauernde Lebensformen in ihren jeweils zeitspezifischen Besonderheiten erfahrbar werden.

Die Frage, was. zur deutschen Geschichte gehört und was nicht, ist für verschiedene Perioden unterschiedlich zu beantworten. Zum einen ist die bereits weiter oben erwähnte kulturelle und sprachliche Zugehörigkeit relevant. Kriterien sind zum anderen aber auch das Selbstverständnis und das Zugehörigkeitsgefühl der Zeitgenossen. Scharfe Grenzziehungen, das stellt die Konzeption vom 24. Juni 1987 eindeutig und unmißverständlich fest, „sind weder möglich noch wünschenswert“. Das Hauptaugenmerk innerhalb der einzelnen Räume des DHM wird ohnehin mehr der Darstellung von Entwicklungen größerer Zusammenhänge und von Verflechtungen gelten, die sich keineswegs nationalgeschichtlich eingrenzen lassen. „Unsere Geschichte ist die deutsche Geschichte, zugleich aber immer auch mehr als diese“, heißt es in der Konzeption und weiter: „Infolgedessen kann die Darstellung der deutschen Geschichte sich nicht auf das

V. Zur Sammlung von Objekten

Die Erfüllung dieser knapp skizzierten Aufgaben ist nur möglich in einer Darbietung von Objekten, die in ihrer Zusammenstellung oder Konfrontation mit anderen Gegenständen oder Medien Anstöße geben. begeisternde oder ernüchternde Signale aussenden. Warum aber — diese grundsätzliche Frage erhebt sich hier und da in der Diskussion um Sinn und Zweck des Deutschen Historischen Museums —. muß man zu diesem Behufe sammeln? Ließe sich denn nicht allen inhaltlich gesetzten Zielen mit einer groß angelegten Reihe geschichtlicher Ausstellungen nachkommen? Zweifellos sind große Ausstellungen wichtig. In hohem Maß sogar. Doch der Komplex „Wechselausstellung“, der ins Programm des DHM gehören wird wie das Salz in die Suppe, soll später zur Sprache kommen. Zunächst zurück zum Stichwort „Sammlung“, das heißt zum Bewahren. Restaurieren. Konservieren und zum wissenschaftlichen Bestimmen von „interessanten Gegenständen, die sonst keinen Ort haben“ die dem Vergessen anheimfallen würden.

Welch elementare direkte Wechselbeziehung zwischen Sammlung und Ausstellung besteht, darauf Gebiet beschränken, das heute von der Bundesrepublik Deutschland und der DDR eingenommen wird. Charakteristisch für die deutsche Vergangenheit sind die sich ändernden Grenzen der von Deutschen besiedelten Gebiete in der Mitte Europas. Die Deutschen haben in einer Vielfalt von Staaten gelebt, und das deutsche Siedlungsgebiet war von einem Kranz aus Rand-und Mischzonen umgeben. Folglich wird das Deutsche Historische Museum die deutsche Geschichte in sich wandelnden Räumen darstellen . . . Dies zu zeigen heißt nicht, einen Anspruch auf wiederzubelebende Zugehörigkeiten oder Abhängigkeiten zu erheben; überdies muß es im Bewußtsein der wechselseitigen Prägung und Einflüsse geschehen . .. Der europäische Charakter der deutschen Geschichte ist zu betonen. Deshalb ist die Geschichte der heutigen Nachbarstaaten unter den Gesichtspunkten der politischen Beziehungen.des ökonomischen und kulturellen Austausches und des Konfliktes, zugleich aber in vergleichender Perspektive in die Darstellung einzubeziehen.“ weist der erfahrene Berliner Museumsmann Eberhard Roters, bis vor kurzem Direktor der Berlinischen Galerie, in seinem Aufsatz „Kein Nachwort — ein Vorwort“ hin. Er nennt das Verhältnis von •Sammlung und Ausstellung „eine Korrespondenz, einen Austausch, ein ständiges Geben und Nehmen. Ohne eine eigene Sammlung kann eine Kunst-institution heute kaum mehr eine weltbedeutende Ausstellung veranstalten, denn die Sammlung ist das Kapital des Museums und nicht nur des Museums. sondern der Kommune. Rein äußerlich gibt sich das dadurch zu erkennen, daß der internationale Leihverkehr zwischen den Museen fast nur noch als striktes Geschäft auf Gegenseitigkeit funktioniert . . . Der vitale Zusammenhang zwischen Sammlung und Ausstellung ist den Lebensbedingungen eines Rosenstrauchs vergleichbar. Wer die Blüte haben will, muß den Wurzelstock pflegen.“

Diese Pflege ist für das Deutsche Historische Museum eine Aufgabe, der in den kommenden Jahrzehnten nachgegangen wird: auf dem Markt, aber auch bei Aktivierung von Solidarität mit dem DHM von der Seite der anderen Museen. Denn die Sammlungen der öffentlichen Hand sollten im Idealfall keine Erbhöfe, auch keine Ellenbogen-konkurrenten sein. Sie alle, wo auch immer tätig, hüten und vermehren öffentlichen Besitz. Dem Steuerzahler, der die Arbeit ermöglicht, wäre es wahrscheinlich kaum klarzumachen, warum manche Individuen mit letztlich gleichem kulturpolitischen Auftrag sich wie auf freier Wildbahn verhalten. Anstelle von Konkurrenz strebt das DHM deshalb Kooperation an. Etwa bei der Sicherung des manchmal Entgleitenden oder bei der gemeinsamen Konservierung besonders gefährdeter Gegenstände. In den Rahmen dieser anvisierten Kooperation fällt der Kontakt mit allen Museen im Bundesgebiet. Sie sind, das wissen Fachleute natürlich, allesamt „Eisberge“. Nur ein geringer Prozentsatz der angesammelten Objekt-Masse steht im Blickfeld.der Großteil lagert unter der Oberfläche — in den Depots.

Wäre es nicht denkbar und sinnvoll, manches davon als — stets kündbare, befristete, vielleicht auch

VI. Das Deutsche Historische Museum als Katalysator

Sammlung, aber auch Forschung sind neben der Präsentation zentrale Gebiete dieses wie jedes anderen Museums. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gegenständen und Themen soll jedoch in einem hohen Maß öffentlich diskutiert werden. Aus diesem Grund strebt das DHM an, sich zu einem Zentrum für Workshops und Symposien auf dem Gebiet der Geschichtsvermittlung zu entwikkeln.

In Einklang mit diesem Ziel, eine Diskussionsstätte zu werden, an der zentrale Fragestellungen im Dialog mit den historischen Objekten aufgeworfen werden können, wo Fäden verknüpft, aber auch Impulse für eine allgemeine und medienübergreifende Auseinandersetzung über den jeweiligen Gegenstand ausgehen sollen, steht die Verpflichtung. Wechselausstellungen zu veranstalten. Damit wird das DHM zunächst — das heißt im kommenden Jahrzehnt im Martin-Gropius-Bau — auftreten. Die Wechselausstellungsräume werden im zuerst errichteten Komplex des Neubaus sein. Aber auch nach der Vollendung des Gebäudes für die ständi-lang gewährte — Leihgabe in Berlin zu zeigen? Dieser Traum, das DHM unter anderem auch zu einem Schaufenster für bislang verborgene Schätze — wobei dies freilich nicht auf den Versicherungswert gemünzt ist — werden zu lassen, ist in erster Linie Angebot und nicht etwa, wie besorgte Politiker und Museumsleute aus dem einen oder anderen Bundesland voller Pessimismus argwöhnen, Aufforderung zum Beutezug. Anders als bei herkömmlichen historischen Museen, deren Anfänge zumeist ins 19. Jahrhundert zurückreichen anders auch als bei dem 1952 gegründeten Museum für Deutsche Geschichte im Ostberliner Zeughaus Unter den Linden wird es dem DHM kein Anliegen sein, möglichst komplette Spezialsammlungen aufzubauen, etwa Münzkabinette oder Waffensammlungen. Was sagt das Objekt? Wie bringen wir es zum Sprechen? So lauten die Fragen, die sich vor Erwerbungen stellen, wobei zusätzlich darauf geachtet wird, daß die Gegenstände in möglichst vielfältigen Zusammenhängen gesehen werden können. gen Sammlungen werden die Wechselausstellungen notwendiges Spielbein zum Standbein sein.

Warum? „Sie müssen sein, denn auch sie verleihen Glanz“, meint Eberhard Roters Sie müssen aber auch aus anderen Gründen sein: Nur große Themen, die sehr anspruchsvoll gesetzt sind, ziehen hochqualifizierte Helfer an, deren Wissen und Können den Fundus liefern für die Gestaltung der Museumsräume. Nur große Themen bringen das kulturpolitisch fruchtbare Spiel von These und Antithese. von Verifizierungen und Falsifizierungen, von Zustimmung und Widerspruch in Gang, das später auch das Gesicht des Museums prägen soll.

Mit dem Bereich „Wechselausstellungen“ sieht das DHM ein Podium vor, das von vielen benutzt werden kann. Etwa von einzelnen deutschen Regionen und Ländern, von Nachbarregionen oder Nachbar-ländern. Auf dieser Bühne können freie Ausstellungsmacher und „Gastregisseure“ ebenso wirken wie freie Gruppen, z. B. Geschichtswerkstätten oder Vereine. Denkbar ist aber auch, daß andere Museen, vielleicht sogar im Dialog, sich vorstellen oder mehrere Ausstellungen zu ein-und demselben Themenkomplex ausrichten. Sicherlich werden Wechselausstellungen zu bestimmten Anlässen inszeniert. Andererseits bietet sich hiermit die Möglichkeit.den europäischen Aspekt des Unternehmens zu unterstreichen.

Vielleicht macht die bislang geschilderte Fülle und das Volumen des lediglich kurz und oberflächlich gestreiften Vorhabenprogramms plausibel, daß die Sachverständigenkommission, die seit 1985 über das Positionspapier nachsann, ein ansehnliches Raumprogramm Vorschlägen mußte. Der Flächen-bedarf von 36 000 Quadratmeter Nutzfläche (nicht zu verwechseln mit der Ausstellungsfläche) ist nicht — um Mißverständnisse auszuräumen — eine Vorgabe der Politiker, sondern der inhaltlichen Planer.

Folgende Überlegungen waren Grundlage für die Raumvorstellung und Maßgabe für den Architekturwettbewerb.der im März 1988 zu Ende gehen wird. Als notwendig wurden für 13 verschiedene Bereiche Räume mit folgenden Quadratmetern erachtet: 1. Empfangsbereich ca. 2 000 qm 2. Ständige Ausstellung ca. 16 000 qm 3. Wechselausstellungen und Veranstaltungen ca.

5 000 qm 4. Seminarraum, Diskussionsforum (als Fernsehstudio nutzbar) ca. 500 qm 5. Kindermuseum. Museums-pädagogik ca. 700 qm 6. Besucherbibliothek und Videothek ca.

400 qm 7. Verwaltung. Forschung und Sammlung ca. 2 540 qm 8. Werkstätten ca. 2 450 qm 9. Fundus für Ausstellungsmaterialien ca. 500 qm 10. Zwischen-und Hauptdepot für Museumsbestände ca.

5 000 qm 11. Kino und Vortragssaal ca. 300 qm 12. Restaurant ca. 600 qm 13. Hausmeisterwohnungen ca. 300 qm 36 290 qm Ist das zuviel?

Sicher wird es schwierig sein, alles Gezeigte. Wechselausstellungen und ständige Schausammlungen der gesamten Ausstellungsfläche bei einem einmaligen Besuch zu erfassen. Doch wer verlangt dieses? Wer meint denn, alle Abteilungen des Deutschen Museums in München mit einer reinen Ausstellungsfläche von 45 000 Quadratmetern bei einem einzigen Rundgang erleben zu müssen? Nimmt ein Museum den Gesichtspunkt „Einmal besucht — alles konsumiert“ zur Richtschnur, dann müßte das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg mit einer Ausstellungsfläche von 27 000 Quadratmetern schließen, ganz zu schweigen vom Metropolitan Museum in New York oder dem British Museum in London. Niemand käme auf die Idee, jetzt plötzlich vom jüngst gebauten Wallraf-Richartz-Museum in Köln (gesamte Nutzfläche: 25 000 qm) Dezentralisierung zu verlangen. Wer bei einem Mal gleich alles im Griff oder Blick haben möchte, dem sei abgeraten, den Museumskomplex in Berlin-Dahlem zu besuchen. Museen dieser Größenordnung sind mit Zeitungen zu vergleichen. Sie bieten viel Information und jede Menge Neuigkeiten, doch keiner wird gezwungen. alles von der ersten Schlagzeile bis zur letzten Kinoanzeige zu lesen.

Das Angebot sollte so vielfältig sein, wie nur irgend möglich. Die Auswahl bleibt dem Benutzer überlassen. Diese Maxime machen und machten sich vor allem die Museumsplaner in Frankreich zu eigen, von denen wahrscheinlich so mancher Anstoß zu Museumsgründungen im Bundesgebiet gekommen sein dürfte. Das Centre Pompidou hat eine Ausstellungsfläche von 35 500 Quadratmetern (gesamte Nutzfläche: 100 000 qm). 150 000 Quadratmeter mißt allein die Ausstellungsfläche des ab Frühjahr 1986 sukzessive eingeweihten Museums für Forschung und Technik „Cite des Sciences et de l’Industrie“ in den ehemaligen Schlachthofhallen von La Villette im Norden von Paris. Im Musee Gare d’Orsay in Paris, das im Dezember 1986 eröffnet worden ist. wird einzig und allein Kunst des 19. Jahrhunderts gezeigt — aufeiner Dauerausstellungsfläche von 15 050 Quadratmetern (Gesamtfläche: 42 875 qm). Der Louvre in Paris erhält einen neuen Eingangsbereich, der insgesamt allein schon 55 692 Quadratmeter umfassen wird.

Verglichen mit diesen Objekten wahrhaft „nationaler“ Repräsentation, nimmt sich das Raumvorhaben des Deutschen Historischen Museums geradezu bescheiden aus.

VII. Geschichte der Idee und gegenwärtiger Stand

Nach der inhaltlichen Vorstellung des Deutschen Historischen Museums nun einige Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte. Die weitverbreitete Vorstellung, das Deutsche Historische Museum sei die alleinige Erfindung von Bundeskanzler Helmut Kohl, ist zu relativieren. Der Bundeskanzler setzte sich von 1984 an zwar mit sehr großem persönlichen Engagement für das Projekt ein; der erste Gedanke über die Notwendigkeit eines „Museums für deutsche Geschichte“ aber wurde schon 1973 in Berlin formuliert — zu einer Zeit, da mit Klaus Schütz als Regierendem Bürgermeister von Berlin die SPD die Geschicke dieser Stadt bestimmte.

Am 26. Oktober 1973 veröffentlichte Jürgen Engert (heute Chefredakteur beim Sender Freies Berlin) in der Wochenzeitung „Christ und Welt“ einen Aufsatz mit dem Vorschlag, als Antwort auf das Museum für Deutsche Geschichte im Ostberliner Zeughaus — ein Haus, das den Auftrag hat, ein Propaganda-Institut zu sein und dessen Gegenstandspräsentation Hartmut Boockmann als beliebige Aneinanderreihung von „Surrogaten jeder Art, freien Erfindungen und gelegentlich auch wirklichen Relikten aus älteren Jahrhunderten“ analysiert — in West-Berlin ein Museum für Deutsche Geschichte einzurichten: „Deutschland ist in zwei Staaten getrennt, verklammert nur noch durch die Einheit der Nation“, schrieb Engert damals. „Sie aber wird zu einem Schlagwort ohne Inhalt werden, wenn es nicht gelingt, das Gefühl für Gemeinsamkeiten über Grenzen wachzuhalten. Ein Museum für deutsche Geschichte ist deshalb auch von diesem Blickwinkel her von höchster Aktualität.. . Ein Museum für deutsche Geschichte wäre geeignet. Geschehenes in Zusammenhänge zu bringen . . . Die SED versucht, die deutsche Geschichte für ihre Zwecke zu okkupieren. Ihr nationaler Alleinvertretungsanspruch, der gegenwärtig noch defensiv ist. wird eines Tages offensiv gegenüber der Bundesrepublik formuliert werden, und dafür sollte man gerüstet haben.“

Vorausgegangen war 1971 die Einrichtung der Ausstellung im Reichstagsgebäude in Berlin mit dem Titel „Fragen an die Deutsche Geschichte“, dessen planerische Vorstufen in noch eine weitere Vergangenheit zurückreichen. 1972 wurde das lang umstrittene „Historische Museum“ in Frankfurt eröffnet. Der erste Politiker, der ein Traditionsbewußtsein in der Bundesrepublik vermißte und in der Absicht, ein Gegenbild zur DDR-Geschichtsschreibung zu lancieren, den Anstoß zu einer Museums-gründung gab, war Bundespräsident Gustav Heine-mann. Auf seine Initiative hin wurde die „Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt“ vom Bundesarchiv in Koblenz eingerichtet und am 28. Juni 1974 eingeweiht.

Die Idee einer Dokumentation und Präsentation der ganzen deutschen Geschichte wurde aber vor allem in Berlin weiterverfolgt, so 1978 von dem SPD-Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Dietrich Stobbe. 1979 äußerte zudem Bundespräsident Walter Scheel Gedanken über eine Dauerausstellung zur deutschen Geschichte, „die das positive Erbe, aber auch die schweren Belastungen der deutschen Vergangenheit darstellen und einem breiten Publikum zugänglich machen sollte“

Peter Jochen Winters brachte das Thema am 15. August 1981 (dem Tag der Eröffnung der Preußen-Ausstellung) in die öffentliche Diskussion. Ausgehend vom überraschend großen Echo des Preußen-Projekts und mit eindeutigem Bezug auf die „zwei voneinander getrennten Staaten gegensätzlicher politischer Ordnung“ plädierte der Autor in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für die Errichtung eines historischen Museums: „Die Zeit ist reif, in Berlin — und nur in Berlin — ein repräsentatives Museum für deutsche Geschichte zu gründen und in ihm vor allem eine ständige Ausstellung über die Geschichte des deutschen Volkes von den Anfängen der Vor-und Frühgeschichte bis in unsere Tage einzurichten ... Es geht darum, mit allem Aufwand an historischer Gewissenhaftigkeit eine breite, jede Einseitigkeit vermeidende, differenzierte Darstellung der deutschen Geschichte zu präsentieren, die neben den politischen auch die wirtschaftlich-sozialen, kulturellen, wissenschaftlich-technischen. religiösen und militärischen Aspekte unserer Historie berücksichtigt. Eine solche Geschichtsschau ... ist geeignet, das Geschichtsbewußtsein einer breiten Öffentlichkeit wachzuhalten. Die Einrichtung eines historischen Museums in Berlin wäre ein Beitrag zur Aufrechterhaltung und Festigung der Geschichts-, Gefühls-, Sprach-und Kulturgemeinschaft aller Deutschen, kurz: der Einheit der deutschen Nation.“ Mit Richard von Weizsäcker als Regierendem Bürgermeister begann der Senat aktiv mit Planungen und Vorbereitungen; eine breite öffentliche Diskussion kam alsbald in Gang. Auf Einladung des Senators für Wissenschaft und kulturelle Angelegenheiten verfaßten im Januar 1982 die vier Historiker Hartmut Boockmann, Eberhard Jäckel. Hagen Schulze und Michael Stürmer eine Denkschrift, „ob und wie ein Deutsches Historisches Museum in Berlin aufzubauen sei“. Die Berliner Morgenpost wurde zum Forum einer lebhaft geführten Debatte. Zwar diskutierte am 27. Oktober 1982 der Deutsche Bundestag über Pläne für ein Berliner Museum für deutsche Geschichte, doch die Ausarbeitung der Idee wurde nur in Berlin weiterverfolgt.

Der damalige Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Stephan Waetzoldt, verfaßte im Januar 1983 auf Veranlassung des Berliner Senats eine museumspraktisch orientierte Denkschrift. Im Herbst desselben Jahres veranstaltete im Reichstagsgebäude der Senator für kulturelle Angelegenheiten. Volker Hassemer, das erste Hearing zur „Konzeption eines Forums für Geschichte und Gegenwart“ als Vorschlag zur Nutzung des Berliner Martin-Gropius-Baus. Nach 1984 engagierte sich — wie bereits erwähnt — Bundeskanzler Kohl in zunehmendem Maß und kündigte im „Bericht über die Lage der Nation“ vom Februar 1985 an. die Bundesregierung werde der Stadt Berlin zum 750. Geburtstag ein „Deutsches Historisches Museum bauen und einrichten“.

Die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus reagierte sofort und setzte am 18. Mai 1985 eine Kommission ein. um ein Konzept für ein „Museum für Geschichte und Kultur“ zu erarbeiten. Einiges davon ist eingegangen in die heute gültige Grundlage des Deutschen Historischen Museums, in die Konzeption, mit deren Ausarbeitung am 7. Oktober 1985 16 namhafte und unabhängige Historiker und Museumsfachleute von der Bundesregierung und dem Land Berlin beauftragt wurden. Diese Schrift wurde am 21. April 1986 dem Bundeskanz\ 1er übergeben, am 28. April 1986 zunächst auf einer Bundespressekonferenz und anschließend in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. 3 000 Exemplare des ersten Entwurfs wurden zudem Ende April 1986 an fachkundige Persönlichkeiten, an Institutionen und an alle Parlamentarier des Bundes und Berlins sowie an Vertreter der Bundesländer versandt, die sich zum Teil schriftlich äußerten oder sich in einer der drei Anhörungen bis zum März 1987 zu Wort meldeten. Zusätzlich veranstaltete die SPD am 2. Juni 1986 ein Hearing in Bonn, die Alternative Liste organisierte ein weiteres in Berlin. Der erste Entwurf zur Konzeption des DHM war auch Thema auf dem Historikertag im Oktober 1986 in Trier. Die Stellungnahmen sind in das endgültige Gutachten der Sachverständigenkommission eingeflossen, die die Schrift am 24. Juni 1987 dem Bundeskanzler und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin. Eberhard Diepgen, überreichte.

Auf bundespolitischer Ebene war das Procedere folgendes: Vom Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Oscar Schneider, wurde der Innenausschuß informiert (15. November 1985). Ihm sowie den Mitgliedern des Innenausschusses lag am 23. April 1986 die erste Fassung der Konzeption vor. Im Bundestag wurde im Juli 1986 im Rahmen einer Großen Anfrage der GRÜNEN und am 4. Dezember 1986 während der Plenardebatte zur Kulturpolitik darüber diskutiert. Sämtliche Mitglieder des Deutschen Bundestags waren zu den beiden Hearings eingeladen, die am 8. /9. Dezember 1986 und am 16. /17. März 1987 in Bonn zur Museumskonzeption von der Sachverständigen-kommission veranstaltet wurden. Daran nahmen nicht alle Parteien teil. Im Zuge der Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag der Jahre 1986. 1987 und 1988 wurde der Haushalt der beiden Museen.des Hauses der Deutschen Geschichte in Bonn sowie des DHM in Berlin verabschiedet. Am 18. März 1987 sagte Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag „In Bonn entsteht ein Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin ein Deutsches Historisches Museum. Die deutsche Geschichte soll so dargestellt werden, daß sich die Bürger darin wiedererkennen — offen für kontroverse Deutungen und Diskussionen, offen für die Vielfalt geschichtlicher Betrachtungsmöglichkeiten. In einer freien Gesellschaft gibt es nach unserer Über-zeugung kein geschlossenes und schon gar nicht ein amtlich verordnetes Geschichtsbild. Niemand — niemand! — hat das Recht, anderen seine Sicht und seine Deutung der Geschichte aufzudrängen.“

Die Bundesregierung informierte am 13. August 1987 die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag und in den Ländern über die überarbeitete Museumskonzeption. Zudem wurde sie allen Mitgliedern des Berliner Abgeordnetenhauses zur Verfügung gestellt. Der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen wurde am 17. Oktober 1987 unterrichtet. Auf Länderebene beschloß die Ministerpräsidentenkonferenz am 22. Z 23. Oktober 1987 auf Vorschlag der Ständigen Konferenz der Kultus-minister der Länder, die Grundkonzeption der Sachverständigen sei eine geeignete Grundlage für den Aufbau des Museums.

Am 28. Oktober 1987 wurde das Museum im Rahmen eines Festaktes im Reichstagsgebäude in Berlin gegründet. Als Einstandsgabe überreichte der Bundeskanzler dem Museum ein Exemplar der ersten Ausgabe des „Liedes der Deutschen“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, veröffentlicht am September 1841 von Julius Campe in Hamburg.

Nach dem politischen Glanz der Eröffnungszeremonie und dem großen publizistischen Echo, mit dem das Ereignis kommentiert worden ist. beginnt nun die Phase zäher und beharrlicher Arbeit an der Zu den umstrittenen Punkten des DHM gehört auch sein zukünftiger Berliner Standort am Ufer der Spree, zwischen der Kongreßhalle und der Moltkebrücke, schräg gegenüber vom Reichstag und vis-ä-vis der Schweizerischen Gesandtschaft 1). Dieses Gebäude. 1870 errichtet und 1910/11 erweitert. legt als letztes noch erhaltenes Haus Zeugnis ab von der einstigen Wohnbebauung des seit 1845 im sogenannten Spreebogen entstandenen Alsen-Viertels. Auch vom Bau des ehemaligen Preußischen Generalstabs, in der Zeit des Nationalsozialismus Reichsministerium des Innern. 1867 gebaut und 1873 erweitert mit Orientierung an der „Berliner Traufhöhe" von 22 Metern, steht kein Stein mehr. Die ersten Zerstörungen der alten Anlage am „Königsplatz“ vor dem Reichstag (heute „Platz der Republik“) setzten 1938 ein mit den Abrißarbeiten im Zuge der Planungen von Albert Speer für eine gigantische Neugestaltung der Reichshauptstadt. In den Kriegsjahren 1943 bis 1945 wurde das Quartier zu einem Großteil Opfer der Luftangriffe und der Kämpfe um das Regierungsviertel. Nach Kriegsende sprengte man überdies die meisten Gebäudereste, so auch 1951 die Ruinen der Krolloper und 1958 die des Generalstab-Gebäudes. Jenes Gelände — heute eine wildwüchsige Grünzone, die sich an den Tiergarten anschließt, wo nur noch Verwirklichung. Provisorische Unterkunft für das bislang kleine Aufbauteam sind zwei Räume im Berliner Martin-Gropius-Bau. Als endgültige Trägerorganisation ist für die Zukunft eine Stiftung vorgesehen. Modelle wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin oder das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg könnten Vorbild sein. Für den Aufbau haben die Bundesrepublik und das Land Berlin eine GmbH gegründet, deren Aufsichtsrat aus 14 Mitgliedern besteht, von denen die Hälfte aus Berlin kommt, die andere Hälfte sind Vertreter von Bundesministerien. Die Bundesregierung hat die Länder gebeten. Vorschläge zur endgültigen Trägerschaft zu entwickeln. Von vornherein war die Initiative des Bundes darauf begrenzt. das Museum auf den Weg zu bringen.

VIII. Der Standort

Rudimente der ursprünglichen Platzgestaltung zu erkennen sind — gehört mit zur Grundfläche des künftigen Deutschen Historischen Museums.

Gerade weil der Bauplatz zu den historisch bedeutungsvollen Orten mit einem wechselvollen Schicksal in Berlin gehört, eignet er sich in unseren Augen als Stelle für einen Bau, dessen Aufgabe es ja sein soll, die Erinnerung wachzuhalten.

Das zukünftige Museumsgebäude wird als Bundes-baumaßnahme errichtet. Dazu hat im August 1987 die Bundesbaudirektion einen offenen nationalen Architektenwettbewerb mit internationaler Beteiligung ausgelobt. Bis zum 5. März 1988 sind die Entwürfe bei der Bundesbaudirektion abzugeben. Das Museumsgebäude soll in Bauabschnitten errichtet werden. Der erste Bauabschnitt umfaßt etwa 24 000 Quadratmeter Hauptnutzfläche, die Baukosteh werden auf 250 Mio. DM geschätzt. Mit dem zweiten Bauabschnitt, der nach heutigen Vorstellungen etwa 130 Mio. DM kosten wird, soll ab dem Jahr 2000 begonnen werden. Damit kein Stückwerk entsteht, soll der Entwurf des Gebäudes aber von vornherein auf die endgültige Größe hin angelegt werden. Noch in dieser Legislaturperiode soll der endgültige Bauentwurf fertiggestellt werden. Der Baubeginn ist für 1992 vorgesehen.

In diesem Zusammenhang soll noch auf ein letztes Argument aus den Reihen der Kritiker eingegangen werden. Es besagt: Wenn schon die Gründung un-25 umgänglich ist. warum kann dann nicht das Reichstagsgebäude diese Institution beherbergen? Der Reichstag symbolisiert in den Augen des Bundestags (und seines Präsidenten. Philipp Jenninger.dem Hausherrn des Reichstags) wie in den unsrigen die Tradition des deutschen Parlamentarismus. Zwar kann seit dem Viermächteabkommen über Berlin (1971) der Bundestag als Plenum dort nicht mehr tagen, doch als Stätte für zahlreiche Fraktions-und Ausschußsitzungen wird der Reichstag auf politischer Ebene ständig genutzt. Außerdem beherbergt der Reichstag die Büros der Berliner Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Der Reichstag ist nach wie vor also ein außerordentlich aktives politisches Haus.

Abgesehen von diesen politischen Bedenken sprechen zwei pragmatische Gesichtspunkte gegen eine Nutzung des Reichstagsgebäudes für das künftige Deutsche Historische Museum: Einerseits wurde im Lauf der Planungen eine Vielzahl von neuen Museumsgedanken-und Vorstellungen entwickelt — beispielsweise im Bereich der Didaktik, der Ausstellungstechnik, beim Einsatz von Medien —.deren Realisierung der Institution die Chance gäben. zu einem wegweisenden Prototyp auf dem Gebiet von Museumseinrichtungen zu werden. Das Haus ist als multifunktionales Museumszentrum geplant mit Platz und Spielraum für Experimente und neue Formen. Ein Arrangement mit dem vorgegebenen Grundriß und der kaum zu verändernden Statik des Reichstags ist undenkbar. Andererseits stellt der 1894 nach den Plänen von Paul Wallot errichtete Reichstag allein schon durch seine Höhe von heute ca. 40 Metern einen wilhelminisch-pompösen Monumentalbau dar.der keineswegs dem aufklärerischen, republikanisch-demokratischen Geist entspricht, in dem wir heute Geschichtsdarstellung anstreben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In erweiterter Form wird der hier knapp umrissene Vortrag mit dem Titel „Was ist deutsche Geschichte?“ im Herbst 1988 in der Corso-Reihe des Siedler Verlags. Berlin, erscheinen.

  2. Hartmut Boockmann, Weder Lehrbuch noch Poster-schau, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27. 11. 1986.

  3. Veröffentlicht in: Museumsjournal, Nr. 3, Januar 1988, herausgegeben vom Museumspädagogischen Dienst Berlin.

  4. Vgl. Hartmut Boockmann. Geschichte im Museum?, München 1987.

  5. Vgl. Anm. 3.

  6. Zitiert nach Hans Mommsen, in: S. 310. Gd-aktuell, (1986) 3,

  7. Zur städtebaulichen Analyse des Standortes siehe: Auslobungstext Wettbewerb Deutsches Historisches Museum, Bundesbaudirektion Berlin. 1987, S. 34— 38 und S. 62— 84.

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Christoph Stölzl. Dr. phil.. geb. 1944. Seit Oktober 1987 Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin; 1980— 87 Direktor des Münchner Stadtmuseums. Veröffentlichungen u. a.: Die Ära Bach in Böhmen. Sozialgeschichtliche Studien zum Neoabsolutismus 1849— 1850, München-Wien 1971; Kafkas böses Böhmen. Zur Sozialgeschichte eines Prager Juden. München 1975; Beiträge in Karl Bosl (Hrsg.). Lebensbilder zur Geschichte der Böhmischen Länder. Bd. 1 und 2. 1974 und 1976; Beiträge in Hartmut Binder (Hrsg.). Kafka-Handbuch. Bd. 1 und 2. Stuttgart 1979. Seit 1980 Herausgeber-und Autorenschaft zahlreicher Kataloge des Münchner Stadtmuseums. Verena Tafel. M. A.. geb. 1953. Seit Oktober 1987 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Museum in Berlin. 1986/87 freie Arbeit auf dem Gebiet der Ausstellungskonzeption und Katalogredaktion für Kunst des 20. Jahrhunderts in Berlin. Veröffentlichungen u. a.: seit 1982 zahlreiche Beiträge zu Katalogen zeitgenössischer Künstler; 1982— 86 freie Mitarbeit bei „art. das Kunstmagazin“ und „Handelsblatt“.