I. Die Aktualität der Konföderationsidee
Die Deutsche Konföderation — welch ein surrealistisches Sujet! Das mögen Zeitgenossen ausrufen, die sich zugute halten, die Möglichkeiten deutscher Politik „realistisch“ einzuschätzen. Man wird sich vielleicht dunkel erinnern an Konföderationsvorschläge der DDR; aber die sind lange her. Während des Besuchs Erich Honeckers in der Bundesrepublik Deutschland vom 7. bis 11. September 1987 fiel das Stichwort „Deutsche Konföderation“ von keiner Seite. Bundeskanzler Kohl sagte nur, daß die Zielsetzung der Präambel des Grundgesetzes, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, nicht zur Disposition stehe, aber eben auch, daß die Lösung der deutschen Frage zur Zeit kein Tagesordnungspunkt der Weltgeschichte sei. „Konzentrieren wir uns in diesen Tagen auf das Machbare und bleiben wir uns auch einig, die zur Zeit unlösbaren Fragen nicht in den Vordergrund zu stellen.“
Auch ein anderes Stichwort fiel offiziell nicht beim deutsch/deutschen Gipfeltreffen: Wiedervereinigung; obwohl es unausgesprochen im Hintergrund stand — für den einen (Kohl) hochgradig dilatorisch, für den anderen (Honecker) vordergründig ablehnend. Ob zwischen Wiedervereinigung und Grundlagenvertrag noch eine dritte Alternative — eben eine Konföderation — diskutabel sein könnte, dazu äußerten sich die deutschen Staatschefs nicht.
Westdeutschen Politikern, Publizisten oder Historikern, die sich als deutschlandpolitische Trendsetter verstehen, indem sie. schon geraume Zeit vor dem Honecker-Besuch, das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes (so zum Beispiel Schmude) bzw.den (deutschen) Nationalstaat (so zum Beispiel Stürmer) für obsolet erklärten
Wenn nicht auf deutsch/deutschen Gipfeltreffen, so sind doch anderenorts Anzeichen für Versuche erkennbar. die Konföderationsidee in die öffentliche Debatte einzubringen. So wußte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Ende September 1987 zu berichten, aus Moskau si verlautet, der Generalsekretär der KPdSU Gorbatschow habe im Januar vier sowjetische Deutschland-Experten — Falin, Arbatow, Portugalow und Melnikow — beauftragt, jeweils ein Gutachten zu verfassen, die der Moskauer Führung als Grundlage für „eine Konzeption für eine Konföderation beider deutscher Staaten bei Abzug aller Stationierungsstreitkräfte aus der DDR und der Bundesrepublik“ dienen sollten
In der deutschland-und sicherheitspolitischen Debatte in der Bundesrepublik haben sich vereinzelte Bundestagsabgeordnete zu Wort gemeldet. In seinem Thesenpapier „Wiedervereinigung als Sicherheitskonzept“ hat der CDU-Abgeordnete Friedmann „auch eine Konföderation“ auf dem Weg zur Einheit als denkbar bezeichnet
Die Konföderationsidee ist indessen in der Vorstellung vieler behaftet mit dem Makel des Scheiterns des seinerzeitigen Konföderationsvorschlags der DDR. Um ein Urteil über die Tauglichkeit dieser Idee für die Gegenwart und Zukunft zu gewinnen, ist es daher zunächst notwendig, sich den alten Vorschlag noch einmal in Erinnerung zu rufen und die damaligen westdeutschen Ablehnungsgründe auf ihre heutige Überzeugungskraft hin zu überprüfen.
II. Der DDR-Vorschlag zur Bildung einer deutschen Konföderation 1956-1966
Zunächst eine für den einen oder anderen sicher überraschende Feststellung: die Idee einer deutschen Konföderation stammt nicht aus dem roten Sachsen, sondern sie stammt aus Bayern. An den verschiedensten Stellen findet man immer wieder den Hinweis, der ehemalige Finanzminister Schäf-fer habe sie auf einem Besuch in Ost-Berlin im Herbst 1956, zu dem er sich durch die Polen-Krise und den Ungarnaufstand gedrängt sah, lanciert
Der Vorschlag einer deutschen Konföderation ist rund ein Jahrzehnt, von der Jahreswende 1956/57 bis etwa 1966, auf der Agenda der Deutschlandpolitik der DDR gewesen. Selbstverständlich ist er nicht isoliert, sondern immer eingebettet in die jeweilige deutschlandpolitische Gesamtlage zu sehen. Aus ihr nur sind sein wechselnder Stellenwert, seine Verschiedenheiten und seine Verknüpfung mit anderen Vorschlägen, insbesondere dem deutschen Friedensvertrag, zu sehen und zu beurteilen. Im folgenden können nicht alle Detail-Äußerungen der zehnjährigen DDR-Konföderationspolitik wiedergegeben werden. Die Darstellung wird sich auf die wohl wichtigsten Dokumente beschränken.
Daß Ulbricht Schäffers Idee Ende 1956 aufgriff, hat seine Gründe. „Die Gruppe um Ulbricht war insbesondere 1956 überwiegend damit beschäftigt, die Rückwirkungen des sowjetischen (XX.) Parteitags wie der polnischen und ungarischen Ereignisse auf die DDR in Grenzen zu halten und die innerparteiliche Opposition (die Gruppe Harich, Oelßner, Schirdewan) auszumanövrieren.“ *) Es ist gewiß nicht abwegig anzunehmen, daß Ulbricht fürchtete, das ungarische oder zumindest das polnische Beispiel könnten in der DDR Schule machen; in der ungelösten nationalen Frage lag in Deutschland zusätzlicher Zündstoff bereit; die Blockade der Wiedervereinigung führten viele nicht zuletzt auf Ulbricht und dessen Deutschlandpolitik zurück.
Nachdem Chruschtschow, von der Genfer Gipfelkonferenz
Nach diesem wohl ersten Hinweis Ulbrichts auf die Konföderation in einem Grundsatzartikel zum Jahresende 1956
— den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO und anderen militärischen Gruppierungen;
— die Abschaffung der Wehrpflicht;
— den Verzicht auf die Politik der Remilitarisierung; — die beiderseitige Begrenzung der Streitkräfte und Errichtung eines Systems kollektiver Sicherheit; — die Schaffung einer Zone verminderter Rüstung unter Teilnahme beider Teile Deutschlands;
— die Entfernung der „führenden Nazifunktionäre aus dem Staats-und Wirtschaftsapparat Westdeutschlands“; — die Ausschaltung „militärischer und imperialistischer Kräfte“;
— den Verzicht auf die „Politik der Refaschisierung“; — die Schaffung des Fundaments des einigen Deutschlands durch „die Arbeiterklasse im Bündnis mit den Mittelschichten und Kreisen des nationalen Bürgertums“;
— Liquidierung der „Herrschaft der Monopole“;
— Volksabstimmung über die „Überführung der Schlüsselindustrien in Volkseigentum“;
— Aufhebung des Betriebsverfassungsgesetzes;
— Herstellung der vollen Rechte der Arbeiter, einschließlich der Arbeiterkontrolle in Großbetrieben; — Beseitigung der Vorrechte der Großgrundbesitzer; — demokratische Bodenreform (Enteignung des Besitzes über 100 ha);
— Herstellung der „vollen demokratischen Rechte der werktätigen Bauern“;
— Beseitigung aller Maßnahmen des Finanzkapitals. „die den Mittelstand benachteiligen und Gewährleistung der Rechte der Handwerksorganisationen und anderer Organisationen des Mittelstandes“;
— Durchführung einer Schulreform
Nach Erfüllung dieser Voraussetzungen sollte ein paritätisch zusammengesetzter „Gesamtdeutscher Rat“ aufgrund der in beiden Teilen Deutschlands geltenden Wahlgesetze gebildet werden. Er sollte das „Organ der Vereinigung Ost-und Westdeutschlands auf der Grundlage der Konföderation, das heißt eines Staatenbundes“ sein, „die Funktion einer Regierung der deutschen Konföderation ausüben“, Maßnahmen für die Herstellung einer einheitlichen Verwaltung in Deutschland vorbereiten (insbesondere Zoll-und Valuta-Union, Koordinationskommission für Fragen der nationalisierten Industrie, einheitliche Notenbank, einheitliche Währung, einheitliches Transport-und Nachrichtenwesen u. a.) und Maßnahmen für die Durchführung von freien gesamtdeutschen Wahlen zur Nationalversammlung festlegen, die ihrerseits eine Verfassung auszuarbeiten und aus ihrer Mitte eine Regierung zu bilden habe, „die dem Frieden, der Demokratie und dem Fortschritt dient und in der kein Platz ist für eine imperialistische Politik“
Ein Staatenbund — und „Konföderation“ ist ja nur das lateinische Wort dafür — beeinträchtigt nicht die Unabhängigkeit und damit auch nicht die innere Souveränität der sich zusammenschließenden Staaten; der Zusammenschluß muß auf der Basis der Gleichberechtigung erfolgen, nicht aber der Abhängigkeit des einen vom anderen
Der eigentliche Konföderationsvorschlag der DDR kam erst ein paar Monate später, und zwar nunmehr regierungsamtlich. Schon Mitte Februar 1957 erläuterte Grotewohl, „was wir unter Konföderation verstehen“. Auch er beharrte auf der Ablehnung freier gesamtdeutscher Wahlen, weil dies „zu einem großen, ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Durcheinander führen“ müßte. Gleichzeitig aber lag in seinen Erläuterungen ein Abrücken von Ulbrichts „Voraussetzungen“ für die Schaffung einer deutschen Konföderation: „Eine solche Konföderation stellen wir uns als einen losen Staatenbund vor. Der Staatenbund bedeutet eine grundsätzliche, dauernde Vereinigung mehrerer unabhängiger Staaten durch einen völkerrechtlichen Vertrag zur gemeinsamen Erreichung umfassender politischer Gesamtzwecke. Diese Konföderation geht von der prinzipiellen Auffassung aus, daß zunächst die beiden deutschen Staaten in ihrer gegenwärtigen Form, in ihrem Inhalt und in ihrer ganzen Lebensweise selbständig bestehen bleiben. Diese Konföderation schafft keine über den einzelnen Staaten stehende selbständige Staatsgewalt. Der eine kann nicht den anderen bedrücken, vergewaltigen. sondern er erkennt den anderen an. Es besteht also keinerlei Herrschaftsverhältnis der beiden Staaten übereinander.“
Damit war die (von Ulbricht erstrebte) Lösung des Systemkonflikts von der Bildung einer Konföderation erst einmal abgekoppelt. Nach Grotewohl war die Bildung einer Konföderation „beileibe nicht . . . ein politischer Idealzustand“, sondern nur ein „Zwischenstadium“, „das die Möglichkeit einer wirklichen Annäherung (beider deutscher Staaten) schaffen kann“. Dementsprechend sollte das Konföderationsorgan, der „Gesamtdeutsche Rat“, weder ein „Organ der Vereinigung“ sein, noch die „Funktion einer Regierung“ ausüben, sondern lediglich eine „Dachorganisation“ darstellen, die „die Möglichkeit der Verhandlungen“ schaffen sollte. Auf diesem Wege sollte es möglich sein „die deutschen Menschen überhaupt einmal wieder dazu zu bringen, daß sie lernen, eine gemeinsame Nation zu sein“
Den regierungsamtlichen Konföderationsvorschlag gab Grotewohl am 27. Juli 1957 bekannt. Danach sollte der „Anfang einer deutschen Konföderation“ ein Abkommen zwischen beiden deutschen Staaten „über die Durchführung einer gemeinsamen Politik in bestimmten Fragen“ sein; zu diesen zählte er: — ein Verbot der Lagerung und der Herstellung von Atombomben und -waffen auf dem Boden Deutschlands sowie ein Verbot der Propagierung des Atomkrieges zu vereinbaren;
— das Ausscheiden beider deutscher Staaten aus der NATO und aus dem Warschauer Vertrag sowie die Aufhebung der Wehrpflicht und Vereinbarung über die beiderseitige Truppenstärke; — gemeinsame oder einzelne Ersuchen an die vier Mächte auf baldige schrittweise Zurückziehung ihrer Truppen aus ganz Deutschland.
Dieser Beginn könnte im weiteren zu Absprachen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Verbindungen, der Zoll-und Währungsangelegenheiten, des Verkehrs-und Nachrichtenwesens, der mit dem Status von Berlin verbundenen Fragen sowie der Aufhebung
— das Ausscheiden beider deutscher Staaten aus der NATO und aus dem Warschauer Vertrag sowie die Aufhebung der Wehrpflicht und Vereinbarung über die beiderseitige Truppenstärke; — gemeinsame oder einzelne Ersuchen an die vier Mächte auf baldige schrittweise Zurückziehung ihrer Truppen aus ganz Deutschland.
Dieser Beginn könnte im weiteren zu Absprachen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Verbindungen, der Zoll-und Währungsangelegenheiten, des Verkehrs-und Nachrichtenwesens, der mit dem Status von Berlin verbundenen Fragen sowie der Aufhebung des Verbotes demokratischer Parteien und Organisationen in Westdeutschland führen. Der aus Vertretern beider Parlamente zu schaffende Gesamtdeutsche Rat (mit beratendem Charakter) sollte Maßnahmen empfehlen und beschließen, die der schrittweisen Annäherung der beiden deutschen Staaten dienen. Die „von den Körperschaften der Konföderation in gegenseitigem Einvernehmen angenommenen Empfehlungen und Beschlüsse“ sollten von beiden deutschen Regierungen „nur freiwillig durchgeführt werden“. Die Konföderation wurde so als „konkreter Weg der allmählichen Annäherung beider deutscher Staaten“ verstanden 24).
Die (sofortige) Lösung des Systemkonfliktes blieb auch in diesem regierungsamtlichen Vorschlag ausgeklammert 25). Die Wiedervereinigung blieb als Perspektive im Visier: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik macht darum diesen Vorschlag aus tiefer nationaler Verantwortung. Sie hat niemals daran gedacht und denkt nicht daran, sich mit der Existenz zweier deutscher Staaten abzufinden. Sie kämpft gemeinsam mit allen deutschen Patrioten unermüdlich für die Erreichung des hohen Zieles der Wiedervereinigung Deutschlands.“ Ein deutscher Staatenbund würde die (von ihm) „unabhängige Schaffung einer kontrollierten Zone der Begrenzung der Streitkräfte und Rüstungen sowie den Abschluß eines gesamteuropäischen kollektiven Sicherheitsvertrages erleichtern“ 26).
Für die weitere Präsentation des Konföderationsvorschlages ist in der Folgezeit charakteristisch, daß der Verzicht auf gesellschaftspolitische Umstrukturierungen der Bundesrepublik als Voraussetzung der Konföderationsbildung seitens der DDR mehrfach betont wird 27), daß die Sowjetunion den DDR-Konföderationsvorschlag mehrfach öffent-lieh unterstützt und dabei sogar die völkerrechtliche Anerkennung der DDR nicht zur Bedingung macht
Nachdem der DDR-Führung klar geworden war, daß der Konföderationsplan auf der bilateralen Ebene zwischen beiden deutschen Staaten nicht vorankam. weil die Bundesregierung für ihn nicht zu gewinnen war, setzte eine neue Phase ein, die man als politische Multilateralisierung des Konföderationsvorschlages bezeichnen kann. Sie erfolgte durch seine Verknüpfung mit der Forderung nach Abschluß des deutschen Friedensvertrages. Auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 wurde diese Forderung von Ulbricht mit Nachdruck erhoben. In den sechs Punkten über die Grundlagen des Friedensvertrages, die alsbald in dem sowjetischen Friedensvertragsentwurf 1959 wieder auftauchen sollten, nannte Ulbricht in seinem Parteitagsreferat an erster Stelle: „Deutschland wird auf dem Wege der Herstellung der Konföderation der beiden deutschen Staaten ein friedliebender, demokratischer und unabhängiger Staat.“
Die Bildung der Konföderation, so hieß es nun, „steht im Zusammenhang mit der Erfüllung der Hauptforderungen des Friedensvertrages“. Zu diesen „Hauptforderungen“ zählte Ulbricht „die umfassende Demokratisierung des gesellschaftlich-politischen Lebens in Deutschland“ sowie jene drei Komplexe, die schon im regierungsamtlichen Konföderationsvorschlag vom 27. Juli 1957 genannt worden waren (Kernwaffenfreiheit beider deutscher Staaten, Abzug aller ausländischen Truppen, Austritt beider deutscher Staaten aus den Militär-pakten), und zwar seinerzeit als Gegenstand eines bilateralen deutsch/deutschen Abkommens „über die Durchführung einer gemeinsamen Politik“. Ulbricht präzisierte nunmehr die Organstruktur der Konföderation. Der Gesamtdeutsche Rat (bestehend aus 100 Mitgliedern, paritätisch besetzt und ernannt aus der Mitte der beiden Parlamente) sollte „oberstes Organ“ der Konföderation werden. Der Gesamtdeutsche Rat sollte „ein Vollzugsorgan“ wählen — „das Präsidium des Rates“. Zudem sollte der Rat „Kommissionen und Ausschüsse“ zur Vorbereitung der verschiedenen Fragen bilden. Der Gesamtdeutsche Rat war als Repräsentationsorgan gegenüber Drittstaaten gedacht: In der ersten Periode seiner Tätigkeit sollten zu seinen Aufgaben die „Unterzeichnung des Friedensvertrages im Namen der Konföderation“ sowie die „Verbindung zu den anderen Friedensvertragspartnern" im Zuge der Durchführung des Friedensvertrages gehören. In der Folgezeit sollte der Aufgabenbereich des Rates „eventuell“ erweitert werden durch den Abschluß weiterer Verträge mit Drittstaaten (Außenhandel, Seeschiffahrt, Zugang zu den Weltmärkten, Beitritt zu internationalen Organisationen, die UNO-Sonderorganisationen eingeschlossen). Außerdem sollte sich der Gesamtdeutsche Rat mit der Regelung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten befassen, wofür die Kommissionen als Hilfsorgane für die einzelnen Sachbereiche (militärische Fragen, innerdeutscher Handel, gegenseitige Verrechnungen, Valutaverkehr, Transport-und Güterverkehr, Arbeitsfragen, Sozialversicherung, Kultur, Statistik) gebildet werden sollten. Das Handlungsinstrumentarium in den zwischendeutschen Beziehungen sollte sich auf Empfehlungen an beide deutsche Regierungen beschränken. Die Konföderation war zwar als längerfristige Lösung, aber doch immer auch noch nur als Zwischenlösung gedacht; sie sollte enden mit der Durchführung des Friedensvertrages und nach erfolgter Wiedervereinigung. Deshalb sollte zu den Kompetenzen der Konföderation auch die Vorbereitung gesamtdeutscher Wahlen zur Nationalversammlung gehören, zu welchem Zweck „beim Rat“ der Konföderation „ein besonderes Organ“ gebildet werden könnte, „das sich auch mit den Fragen der Ausarbeitung der Verfassung für den künftigen einheitlichen deutschen Staat“ beschäftigen sollte
Die hier referierten Ausführungen Ulbrichts auf der ZK-Tagung im Januar 1959 bilden zusammen mit Grotewohls Regierungserklärung vom 27. Juli 1957 den eigentlichen Konföderationsvorschlag der DDR. Nachdem die Bonner Bundesregierung sich dem Vorschlag nicht zugänglich zeigte, wurde mehr und mehr die westdeutsche Opposition zum Adressaten des Vorschlages, sicher in der Hoffnung, sie würde zugunsten des Konföderationsvorschlages mehrheitsbildend wirken können. Die Forderung, Beratungen auf Regierungsebene durchzuführen, blieb natürlich auf der Tagesordnung, aber zusätzlich wurden — so von Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 — ein „öffentlicher Meinungsaustausch über die Annäherung der beiden deutschen Staaten und die Bildung einer Konföderation als Weg zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes“ sowie „Beratungen zwischen Vertretern des Zentralkomitees der SED und des Parteivorstandes der SPD über den Weg zur Konföderation beider deutscher Staaten und zur Wiedervereinigung“ vorgeschlagen
Auch nach dem Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz von 1959 hielt also die DDR den Konföderationsvorschlag aufrecht. Bald aber sollte der Gipfel der Konföderationspolitik überschritten sein. Wenige Wochen nach dem Offenen Brief „an die Arbeiter Westdeutschlands“ hielt Herbert Wehner seine bis heute berühmte Bundestagsrede vom 30. Juni 1960, in der er u. a.den Deutschlandplan der SPD als „eine Sache der Vergangenheit“ bezeichnete
Die Streichung des Konföderationsvorschlages der DDR kam schließlich in ihrer neuen Verfassung vom 9. April 1968 zum Ausdruck, die in ihrem deutschlandpolitischen Artikel 8 die Konföderation nicht mehr erwähnte. Und schließlich sollen nach dem neuen Parteiprogramm der SED vom Mai 1976 „angesichts des grundlegenden Gegensatzes der Gesellschaftsordnungen“ in beiden deut-sehen Staaten die Beziehungen zwischen ihnen nur noch „als Beziehungen zwischen souveränen Staaten . . . auf der Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz und der Normen des Völker-rechts entwickelt werden“ können. Das Parteipro-gramm formuliert die deutschlandpolitische Linie, die sich im Zuge der Verhandlungen über den Grundlagenvertrag herauskristallisiert hatte; auf dieser Linie lag kein Konföderationsvorschlag mehr — von der Wiedervereinigung ganz zu schweigen.
III. Die westdeutschen Argumente gegen die Deutsche Konföderation 1956-1966
Die von der Bundesregierung und den sie unterstützenden Publizisten seinerzeit gegen den Konföderationsvorschlag vorgetragenen Gründe erklären sich sämtlich aus der damaligen politischen Grundhaltung des „kalten Bürgerkrieges“, in dem die rivalisierenden Regierungen den Macht-und System-konflikt ausschließlich zu ihren Gunsten zu lösen anstrebten. Diese Grundhaltung ließ keinen Raum für einen „nationalen Kompromiß“. Waren auch Teile der westdeutschen politischen Öffentlichkeit dazu bereit (Deutschlandpläne der SPD und der FDP), so waren doch die Entscheidungsträger in der Bundesregierung ausschlaggebend, und diese setzten auf die letztendliche kompromißlose Durchsetzung ihrer deutschlandpolitischen Ziele. Wie die weitere Geschichte zeigte, unterlag die Bundesregierung dabei einer grandiosen Fehleinschätzung der Stärke ihrer Position. In der historischen Retrospektive drängt sich — crum grano salis — die alte Fabel auf, in der der Fuchs mit einem Fleischbatzen im Maul sich in einem klaren Flußwasser gespiegelt sieht, gierig nach dem ihm größer erscheinenden Fleischbatzen im Wasser schnappt, wobei er den Batzen in seinem Maul in den Fluten des Flusses verliert. Cum grano salis, weil der Fuchs in Bonn den Konföderationsbatzen noch nicht zwischen den Zähnen hatte, er lag aber immerhin am Ufer. Er verschmähte ihn, um des größeren Batzens der Wiedervereinigung willen; diesen bekam er nicht, derweil jener am Ufer verdarb.
Die Argumente der westdeutschen Konföderationsgegner waren schon damals für viele Deutsche ein Ärgernis (freilich nicht für die westdeutsche regierungstragende Mehrheit); inzwischen haben die deutschlandpolitischen Konjunkturen ihren Kurswert zum größten Teil ins Bodenlose absinken lassen: — das Argument, die Existenz eines zweiten deutschen Staates anzuerkennen, wäre ein zu hoher Preis
— das Argument, „in der sowjetisch besetzten Zone (würde) alles beim alten bleiben“
— das Argument, das Endergebnis der Konföderation „könnte tatsächlich nur die kommunistische Gleichschaltung der Bundesrepublik sein“
— das Argument, die Vier-Mächte-Verantwortung für die Wiedervereinigung würde aufgehoben
Die westdeutschen Konföderationsgegner bemühten auch die Geschichte: Die historischen Erfahrungen mit Konföderationen seien „wenig ermutigend“; so habe die amerikanische Konföderation von 1776 bis 1787/89 „nur wenige Jahre Bestand“ gehabt, weil sie dann in einen Bundesstaat verwandelt worden sei
Hat hingegen eine Konföderation lange bestanden — wie der Deutsche Bund — so wurde das historische Argument einfach gewendet: er habe nur eines erreicht: „die wirkliche nationale Einigung Deutschlands wurde für 55 Jahre verzögert“
Schuster brachte diese Position auf den Begriff. Die Voraussetzung einer funktionierenden Konföderation seien „drei Gleichheiten“:
— gesellschaftliche Homogenität.
— außenpolitische Solidarität und — ideologische Kompatibilität.
Alle drei fehlten im Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten 54). Dieser Schustersche Leisten, die Gleichheits-Trias, wurde von anderen westdeutschen Konföderationsgegnern immer wieder gern eingespannt, und zwar gleichsam um den Schlußakkord einer Ablehnungs-Suada zum Tönen zu bringen, als dröhnenden Paukenschlag gegen alle potentiellen Konföderationsbefürworter 55), auch soweit sie im befreundeten westlichen Ausland auftraten. wie zum Beispiel in einer Studie des Pariser Centre d'Etudes de Politique Etrangere von 1967
Wenn Schusters These stimmen würde, gäbe es keine universellen internationalen Organisationen, keine UNO und keine ihrer Sonderorganisationen. Diese Staatenverbindungen funktionieren alle, wenn auch nicht immer exzellent, obwohl keine von ihnen die „drei Gleichheiten“ vorweisen kann. Diese Trias ist sicher günstig, wenn auch noch keineswegs eine Garantie, für einen besonders gut funktionierenden Staatenbund; fehlt die Trias, oder das eine oder andere Element, wird die Zusammenarbeit in einer Konföderation schwieriger sein, aber nicht notwendig völlig unmöglich. Trotz gesellschaftlicher Inhomogenität und ideologischer Inkompatibilität kann es außenpolitische Solidarität gegenüber Drittstaaten geben, und beide müssen die interne Zusammenarbeit zwischen den Konföderationsmitgliedern keineswegs verunmöglichen. Für einen Bundesstaat mögen Schusters „drei Gleichheiten“ als Voraussetzungen seiner Bildung gelten. Es ist bezeichnend, daß ein Autor, der die „verfassungsmäßige Homogenität“ als Voraussetzung einer deutschen Konföderation verlangte, keine Satzung eines modernen Staatenbundes zitieren konnte, in der diese Homogenität gefordert wird; zitiert wurden dagegen nur eine Reihe von Staatsverfassungen
IV. Der Begriff der Konföderation
Im Völkerrecht bezeichnet Konföderation einen paritätischen, das heißt einen auf der Basis der Gleichberechtigung seiner Mitglieder erfolgenden, organisierten, institutionell verfestigten und auf Dauer angelegten rechtlichen Zusammenschluß zweier oder mehrerer Staaten zur Erreichung umfassender Zwecke. Durch die Organisiertheit unterscheidet sich ein solcher als Staatenverbindung oder Staatenbund bezeichneter Zusammenschluß von bloßen „Vertragsgemeinschaften“; durch die umfassenden Zwecke unterscheidet er sich von den als internationale Organisationen bezeichneten Staatenverbindungen, deren Zwecke weniger umfassend, das heißt auf spezielle Aufgaben gerichtet sind.
Die sich in einer Konföderation zusammenschließenden Staaten behalten ihre Völkerrechtssubjektivität. An die Seite der Völkerrechtssubjektivität der Mitgliedstaaten tritt aber auch die Völkerrechtssubjektivität der Konföderation selbst. Die Konföderation kann daher auf der völkerrechtlichen Ebene handelnd auftreten. Dabei bestimmt sich der Umfang ihrer Handlungsfähigkeit nach den ihr durch die Konföderationsakte übertragenen Kompetenzen
Die Aufgabengebiete der Konföderation könnten im Prinzip alle Felder staatlicher Tätigkeit betreffen — von der Förderung von Sport und Touristik (eine gemeinsame Olympia-Mannschaft und eine Fußball-Konföderations-Liga würden schlagartig und nachhaltig das „Konföderations-Bewußtsein“ aller Deutschen begründen), von Verkehr und Post (eine gemeinsame Bahn-und Postverwaltung würde einen ungeheuren Modernisierungsschub für Reichsbahn und Deutsche Post der DDR und einen Boom der Zuliefererindustrie der Bundesrepublik bedeuten), vom Umweltschutz und Gesundheitswesen über Kultur und Wissenschaft, Arbeit und Soziales, Entwicklungspolitik, Wirtschaft und Finanzen bis hin zu Außenpolitik, Abrüstung und Verteidigung. Inneres und Justizwesen dürften sich hingegen kaum für eine institutionelle Zusammenarbeit eignen und schon gar nicht Verfassungsschutz hüben und Staatssicherheit drüben.
V. Der politische Zweck einerdeutschen Konföderationspolitik
Warum bisher nur „Vertragsgemeinschaften“ zwischen beiden deutschen Staaten als „das Machbare“ angesehen werden, dafür sind hauptsächlich drei Gründe aus der deutschlandpolitischen Diskussion herausschälbar. Zwei wurden während des Honekker-Besuches von beiden deutschen Staatschefs genannt: „die Unvereinbarkeit der politischen Ordnungen beider Staaten“, also der sogenannte Systemkonflikt und „die verschiedene Bündniszugehörigkeit“. Beide sollen die Grenzen der deutschen Möglichkeiten abstecken
Der dritte Grund kann als Sonderweg-Syndrom bezeichnet werden, das sich schon seit geraumer Zeit bei der SPD bemerkbar machte
Der Rückblick auf die alten Konföderationsvorschläge der DDR zeigt in deren Verknüpfungen mit der Forderung nach Abschluß des deutschen Friedensvertrages und der Forderung nach einem kollektiven Sicherheitssystem für Europa, daß es schon damals nicht bloß um deutsche Angelegenheiten ging; neben dem bilateralen hatte der Konföderationsvorschlag auch seine multilateralen Aspekte. Auch bei einer aktuellen deutschen Konföderationspolitik ginge es nicht um eine „isolierte Lösung“, sondern um eine Verbindung beider Aspekte. 1. Der bilaterale Aspekt:
der nationale Kompromiß Der übergreifende politische Zweck einer aktuellen Konföderationspolitik kann durchaus wie im DDR-Konföderations-Vorschlag von 1956/66 als „der nationale Kompromiß“ bezeichnet werden. Was heißt das heute? Die Entwicklungder nationalen Frage hat nach Konstituierung beider deutscher Teilstaaten folgende Stufen durchlaufen: In den Jahren des Kalten Krieges tobte in Deutschland der „kalte Bürgerkrieg“, in dem zwei deutsche Regierungen mit unterschiedlichen politischen Ordnungsvorstellungen um die Beherrschung ganz Deutschlands rivalisierten. Die Wiedervereinigung war das Ziel aller, aber jeweils unter dem Zeichen der eigenen politischen Ordnungsvorstellungen. Diese Phase wurde durch den Abschluß des Grundlagenvertrages beendet. Er bedeutete gewissermaßen einen Friedensschluß; beide Regierungen beschränkten ihren Herrschaftsanspruch auf ihren Teilstaat, klammerten die Lösung der nationalen Frage, über die sie nunmehr „unterschiedliche Auffassungen“ registrierten, aus und legten die Basis für die Entwicklung der so begründeten „Vertragsgemeinschaft“, die in Gestalt der Folgeverträge zum Grundlagenvertrag auch tatsächlich erfolgte und deren letzte Elemente die anläßlich des Honecker-Besuchs unterzeichneten Abkommen auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik, des Umweltschutzes und des Strahlenschutzes
Heute bestehen hinsichtlich der Lösung der nationalen Frage unter den Deutschen zwei extreme Ziel-projektionen, die hier nicht bestimmten Parteien oder Regierungen zugerechnet werden sollen, weil sie sich, offen oder heimlich vertreten, in allen Gruppierungen finden. Die einen nehmen Abschied vom Ziel der staatlichen Einheit der Deutschen, plädieren für eine endgültige Zweistaatlichkeit und die Pflege der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten allein auf der Basis des Völkerrechts. Die anderen halten am Ziel der staatlichen Einheit der Deutschen (Wiedervereinigung) fest und fordern oder erwarten die Rekonstituierung des deutschen Nationalstaates noch immer durch einen Akt freier Selbstbestimmung des deutschen Volkes (freie Wahlen und freie bündnispolitische Option). Der Akt freier Selbstbestimmung ist, aller rituellen Einforderung zum Trotz, seit Jahrzehnten aus den bekannten Gründen nicht zu haben; die endgültige Zweistaatlichkeit auch nicht, weil die Bundesregierung — und zwar in richtiger Einschätzung des Mehrheitswillens der Deutschen — sie ablehnt. So bleibt alles in der Schwebe, mit der Folge, daß im Innern die Deutschen sich um ihre deutschlandpolitischen Ziele weiter streiten und in der Außenwelt die Irritation der Nachbarn über die eigentlichen Absichten der Deutschen und ihren endgültigen Platz im europäischen Staatenbund, kurz: über ihre „Berechenbarkeit“ bestehenbleibt.
Wäre es nicht im Interesse des inneren Friedens und der Klarstellung des deutschen Beitrags für eine dauerhafte europäische Friedensordnung erforderlich, daß sich die Deutschen auf einen mittleren Weg zwischen den Extremen ihrer Zielsetzungen in der nationalen Frage zusammenfmden? Ein solcher mittlerer Weg wäre die Deutsche Konföderation. Sie würde — von den Extrempositionen her gesehen positiv — die Existenz beider deutscher Staaten erhalten, aber durch ihre institutionelle Verbindung eine größere Nähe zwischen beiden Staaten und zwischen den Deutschen dauerhaft sichern können. Sie würde aber auch — von den Extrempositionen her gesehen negativ — weder die endgültige staatliche Trennung noch die Wiedervereinigung bedeuten. Würde damit der „Wiedervereinigungsgedanke“ aber nicht „für alle Betroffenen in eine realistische Dimension“ gerückt werden
Es geht bei der Konföderation ja gerade nicht um die „Vereinigung“ beider Systeme, nicht um ihre Vermischung. Die Konföderation wäre, um im Bilde zu bleiben, der Kessel, der Feuer und Wasser getrennt hält. Die Systemunterschiede mögen einer staatlichen Wiedervereinigung entgegenstehen; für den Gedanken einer deutschen Konföderation sind aber gerade sie das auslösende Moment. Wenn es die Systemunterschiede nicht gäbe, könnte es eine Wiedervereinigung (leichter) geben; weil es aber diese Unterschiede gibt, kann es höchstens eine Konföderation geben. Mit den beiden deutschen Staaten selbst bestünden auch ihre unterschiedlichen politischen Ordnungen in der Konföderation fort. Bestünde dann aber nicht auch der „Systemkonflikt“ fort?
Es muß nun einmal endlich von der immer noch weit verbreiteten Vorstellung Abschied genommen werden, es gebe zwischen den beiden deutschen Staaten einen Systemkonflikt. Vom Vorhandensein unterschiedlicher Systeme in verschiedenen Staaten kann nicht eo ipso auf das Vorhandensein eines Systemkonfliktes geschlossen werden. Vom Systemkonflikt kann nur gesprochen werden, wenn unterschiedliche politische Ordnungsvorstellungen sich gegenseitig zu verdrängen versuchen, miteinander „konfligieren". Das war in der Phase des Kalten Krieges der Fall. Davon kann aber seit Abschluß des Grundlagenvertrages nicht mehr die Rede sein, weil in ihm die deutschen Staaten auf die Verdrängung der in dem jeweils anderen Staat herrschenden Ordnungsvorstellungen beiderseits verzichtet haben
Es liegt darin, ob sich diese beiden Systeme gegenseitig tolerieren oder nicht. Daß die im Grundlagen-vertrag bereits vereinbarte gegenseitige Toleranz der Systeme auch im Bewußtsein der Deutschen endlich Wurzeln schlägt, ist sozio-psychologische Bedingung einer aktuellen Konföderationspolitik. Die Peking-Chinesen haben für ihr Verhältnis zu den Taiwan-Chinesen eine nationale Formel gefunden, die sich auch die Deutschen voll zu eigen machen können: „Ein Vaterland und zwei Systeme!“
Gegenseitige Systemtoleranz hieße aber keineswegs Versteinerung der Systeme. Die politischen Ordnungen beider Staaten tragen die Möglichkeiten von Veränderungen in sich. Daß die Deutschen in der Phase der Konfrontation und ihrer bis heute spürbaren Nachwirkungen eher auf den beiderseitigen starren Systemerhalt als auf den Systemwandel fixiert waren, lag, um nochmals Honeckers Metapher zu benutzen, an der Furcht der „Hüter des Wassers“, das Feuer könnte es zum Verdunsten bringen, und an der Furcht der „Hüter des Feuers“, das Wasser könnte es löschen. Garantiert aber eine deutsche Konföderation den Bestand der politischen Ordnungen, so könnte sie doch auch zum Katalysator ihres unverkrampften und gelassenen Wandels werden. Wer die geschichtlichen Prozesse dialektisch betrachtet, kann in beiden deutschen Staaten eine gesellschaftspolitische These und Antithese sehen. Die Konföderation wäre das organisatorische Instrument, aus diesen Gegensätzen vielleicht einmal eine Synthese zu entwickeln. 2. Der multilaterale Aspekt: der deutsche Beitrag zur Neuen Europäischen Friedensordnung Wie schon der erste Konföderationsvorschlag der DDR. so sollte auch eine aktuelle Konföderationspolitik sich nicht auf die Regelung des bilateralen Verhältnisses beschränken. Die Konföderationspolitik wäre Teil einer gemeinsamen deutschen Politik in Richtung auf eine neue europäische Friedensordnung. In der Konföderation könnte die Verantwortungsgemeinschaft beider deutscher Staaten für den europäischen Frieden vom Schlagwort zur konstruktiven Praxis werden, indem die Deutschen gemeinsame Vorschläge für eine europäische Friedensordnung. für die Überwindung der Spaltung Europas in gegnerische Militärblöcke erarbeiteten. Es ginge um zwei Problemkomplexe, für die die Konföderation zwei ständige Kommissionen bilden könnte. Zunächst würde eine neue europäische Friedensordnung ihren Namen nicht verdienen, solange noch nicht einmal die kriegsvölkerrechtlichen Relikte des Zweiten Weltkrieges abgetragen sind, das heißt, solange die Vier Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges noch immer als Besatzungsmächte in Deutschland sind
Der zweite Problemkomplex ist die Überwindung der Spaltung Europas in sicherheitspolitischer, wirtschaftlicher und menschenrechtlicher Hinsicht. Im KSZE-Prozeß ist hier schon einiges auf den Weg gebracht; in den laufenden Verhandlungen zwischen EG und RGW scheint hinsichtlich der Verbindung dieser beiden Wirtschaftsräume einiges auf den Weg zu kommen. Eine gesamteuropäische Politik zur Überwindung der militärischen Blockspaltung ist noch nicht in Sicht, obwohl die Staaten des War-schauer Paktes Jahr für Jahr die schrittweise Auflösung dieser Pakte Vorschlägen. Die Deutschen, in beiden Pakten stehend, könnten auf der Basis des sich in der Konföderation entwickelnden Vertrauens und gegenseitigen Verständnisses sowie vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen paktintemen Kenntnisse gemeinsam sicherheitspolitische Vorschläge
Ob dem Abbau der militärischen Blockspaltung Europas auch damit gedient sein könnte, daß beide deutsche Staaten aus den Pakten ausscheiden und sich der Gesellschaft der neutralen Staaten Europas anschlössen, wäre ein Thema, das in der ständigen Konföderations-Kommission für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit zu erörtern wäre
VI. Rechtliche Aspekte einer Konföderationspolitik
In der deutschlandpolitischen Diskussion spielen rechtliche Argumente von jeher eine große Rolle. Dies ist nur allzu begründet, denn Deutschlandpolitik findet nicht in einem völkerrechtlichen oder staatsrechtlichen Vakuum statt. Es ist allerdings in dieser Diskussion immer wieder zu beobachten, daß einerseits rechtliche Argumente zur Begründung deutschlandpolitischer Immobilität herangezogen werden, andererseits zugunsten einer deutschland-politischen Dynamik der Tendenz zur Mißachtung des „juristischen Formelkrams“ gehuldigt wird. Das eine ist so wenig eine Tugend wie das andere. Für eine dem nationalen wie dem internationalen Recht verpflichtete Politik kann es allein darum gehen, ihre Ziele im Rahmen des bestehenden Rechts zu verfolgen, nötigenfalls aber auch auf dessen Änderung, auf den „friedlichen Wandel“ des Rechts hinzuwirken, wenn anders die Ziele nicht zu erreichen sind.
Die Fortentwicklung der deutsch/deutschen Beziehungen in Richtung auf eine Konföderation deutete das BVerfG in seinem Grundlagenvertragsurteil an; der Grundlagenvertrag „kann ein erster Schritt sein in einem längeren Prozeß, der zunächst in einer der dem Völkerrecht bekannten verschiedenen Varianten einer Konföderation endet, also ein Schritt in Richtung auf die Verwirklichung der Wiedervereinigung des deutschen Volkes in einem Staat, also auf die Reorganisation Deutschlands“
So ähnlich wäre auch eine deutsche Konföderationsakte zu qualifizieren. Auch sie hätte „Doppelcharakter“ — als Satzungsrecht eines Staatenbundes würde es sich um Völkerrecht handeln, als Rechtsakt zur Reorganisation des bislang desorganisierten Gesamtstaates „Deutschland“ wäre sie wohl ein Element einer sich wieder aufbauenden staatsrechtlichen Ordnung. Der deutschen Verfassungsgeschichte sind derartige Mischformen völkerrechtlich-staatsrechtlicher Integrationsprozesse nicht fremd: Art. 79 der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 26. Juli 1867 hatte eine vertragliche Regelung der Beziehungen des Bundes zu den süddeutschen Staaten vorgesehen. Dies hätte auch zu einer konföderativen Lösung führen können, die aber durch die auf dem Vertragswege erfolgte Erweiterung des Norddeutschen Bundes um die süddeutschen Staaten überholt wurde.
Daß Völkerrecht auch innerhalb eines Bundesstaates gelten kann, ist der deutschen Verfassungsgeschichte ebenfalls nicht fremd
Den Organen der Konföderation würden zunächst wohl nur beratende und empfehlende Kompetenzen übertragen werden. Eine Konföderationsakte dieses Inhalts wäre als politischer Vertrag gemäß Art. 59 abzuschließen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Konföderation quasi als nächsten Schritt empfohlen hat, dürften prinzipiell keine Bedenken gegen ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bestehen, gewiß aber dürften die gegen den Grundlagenvertrag von der Bayerischen Staatsregierung vorgetragenen und vom Gericht zurückgewiesenen verfassungsrechtlichen Bedenken (Verstoß gegen das Gebot der Wahrung der staatlichen Einheit und das Wiedervereinigungsgebot) wohl nicht wieder ins Feld geführt werden können. Die Beschränkung der Kompetenzen auf Beratungen und Empfehlungen würden eine Garantie dafür bilden, daß die Konföderation nicht unmittelbar in das Verfassungsgefüge des Grundgesetzes eingreifen könnte..
Ein höherer Intensitätsgrad im Kompetenzgefüge der Konföderation würde erreicht durch ihre Ausstattung mit administrativen und rechtsetzenden Kompetenzen, die an die Stelle der entsprechenden Kompetenzen der beiden Mitgliedstaaten treten würden. Dadurch würde sich die Konföderation von einem „klassischen“ zu einem Staatenbund mit „Durchgriffkompetenzen“ umwandeln. Wäre eine solche Ausgestaltung einer Konföderation mit dem Grundgesetz vereinbar? Menzel, einer der wenigen, die seinerzeit die DDR-Konföderationsvorschläge positiv aufgegriffen haben, hat, natürlich mit dem Blick auf die Wiedervereinigung, den sehr interessanten Gedanken der „Vorschaltung eines quasi-völkerrechtlichen Vorstadiums und die Ablehnung einer rein staatsrechtlichen Fusion“ in die Debatte gebracht. Den „pseudo-völkerrechtlichen Weg“ sah Menzel über die unmittelbare oder analoge Anwendung des Art. 24 GG als begehbar an
Wenn das Bundesverfassungsgericht es im Pershing-Urteil aber sogar fertiggebracht hat, den Präsidenten der USA als „besonderes Organ“ der NATO zu einer „zwischenstaatlichen Einrichtung“ im Sinne von Art. 24 zu machen
In der weiteren Entwicklung der Konföderation könnte es nun von den amtierenden deutschen Regierungen als politisch mach-und wünschbar angesehen werden, zur Förderung des Integrationsprozesses beider deutscher Staaten die Konföderationsakte durch Regelungen zu erweitern, die mit der Verfassung nicht in Übereinstimmung sind (Beispiel: Aufhebung des Instituts des Parteienverbots). Die Bundesregierung als an das Grundgesetz gebundener pouvoir constitue wäre hier in ihrer Vertragsgestaltungsfreiheit eingeschränkt
Geht man aber von der Bindung der Bundesregierung aus, so dürfte eine Weiterentwicklung der Konföderation nur noch über Art. 146 GG möglich sein. Der gesamtdeutsche pouvoir constituant ist an das Grundgesetz nicht gebunden. Freilich liegt dem Art. 146 GG die Vorstellung zugrunde, der gesamtdeutsche Souverän würde uno actu die Verfassung Gesamtdeutschlands beschließen können. Es ist aber nun wahrscheinlicher, daß eine gesamtdeutsche Verfassung vermittels der Konföderation sukzessive aufgebaut und allenfalls am Ende der Entwicklung eine ausformulierte Verfassungsurkunde „in freier Entscheidung“ beschlossen werden würde. Warum sollte nun der gesamtdeutsche Souverän die Verfassung Deutschlands „in freier Entscheidung“ nicht sukzessive beschließen können, mit der Folge, daß auch das Grundgesetz partiell in zeitlicher Aufeinanderfolge „seine Gültigkeit verliert“? Art. 146 GG ließe ein solches Procedere zu. Auch auf diese Weise könnte das gesamte deutsche Volk in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollenden. Wie im Dekolonisierungsprozeß viele Völker schrittweise ihr Selbstbestimmungsrecht realisiert haben, so könnte dies auch das deutsche Volk.
Dies würde bedeuten, daß konföderative Integrationschritte, die in das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland eingreifen, und die man deswegen „Konföderationsverfassungsakte“ nennen könnte, der Bevölkerung in beiden deutschen Staaten zur Abstimmung vorzulegen wären. Volks-abstimmungen über Konföderationsverfassungsakte wären Akte der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, die klarstellen würden, daß der positive oder negative Entscheid über die staatliche Einheit der Deutschen in der Tat, wie Adenauer seinerzeit an Bulganin geschrieben hatte
VII. Schlußbemerkung
Die Aktualisierung der Konföderationspolitik von welcher Seite auch immer — „ein blühender Blödsinn“? Die Vorstellung wäre unzutreffend, die DDR und die hinter dem damaligen Konföderationsvorschlag stehende Sowjetunion hätten durch Mauerbau, Ostverträge und Grundlagenvertrag alles erreicht, was sie durch den Konföderationsvorschlag, gekoppelt mit dem Friedensvertrag hatten erreichen wollen. Sie haben nicht erreicht: ein atomwaffen-freies Gesamtdeutschland, den Austritt beider deutscher Staaten aus den Militärpakten, den neutralen Status Gesamtdeutschlands oder dessen Einbeziehung in ein europäisches kollektives Sicherheitssystem, den Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland, die institutionalisierte Zusammenarbeit beider deutscher Staaten. Daß das nicht alles vergessen ist, zeigte Falins Fernsehinterview über den Rückzug ausländischer Truppen von deutschem Territorium mit hinreichender Deutlichkeit. Noch hat sich nicht herauskristallisiert, zu welcher Deutschlandpolitik das „neue Denken“ in der Sowjetunion
Aber warum auf solche Vorschläge — ängstlich oder hoffnungsvoll — warten? In einem Vortrag über „Das geteilte Berlin und die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“ spannte der Historiker Emst Nolte den Bogen von dem seinerzeitigen DDR-Konföderationsvorschlag zur Gegenwart: Seinerzeit habe es sich um ein Strategem gehandelt, „das bestimmt war, als einen ersten Schritt die staatliche Anerkennung der DDR zu erreichen. Heute ist diese Anerkennung längst vollzogen, und es wäre kein bloßer Schachzug der Bundesregierung, wenn sie von der Sowjetunion die Zustimmung zur Bildung eines deutschen Staatenbundes verlangte, der Berlin zu einer Hauptstadt singulärer Art machen würde, weil darin ein Staatenhaus und zwei Parlamente existieren würden, aber keine Mauer. Es würde sich vielmehr um diejenige Forderung handeln, die allein neben dem moralischen auch den historischen Aspekt der Situation berücksichtigt, daher nicht als . Revanchismus'abgetan werden kann und doch keine passive Hinnahme des gegenwärtigen Zustandes bedeutet.“