Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Problematik der herrschenden Wissenschaftskonzeption Die Notwendigkeit einer Erneuerung der Metaphysik | APuZ 49/1987 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 49/1987 Artikel 1 Die Problematik der herrschenden Wissenschaftskonzeption Die Notwendigkeit einer Erneuerung der Metaphysik Wissenschaftliche Vernunft im sozialen und politischen Kontext der Gegenwart Die Versuchung der Utopie Zum Verhältnis von Glaube und Politik in der Befreiungstheologie

Die Problematik der herrschenden Wissenschaftskonzeption Die Notwendigkeit einer Erneuerung der Metaphysik

Hugo Staudinger

/ 42 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In ihrer Untersuchung über Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft vertritt Hannah Arendt die Auffassung, in den totalitären Systemen sei eine Krise sichtbar geworden, in der wir heute alle und überall leben, ohne daß Hannah Arendt die gemeinsame Wurzel dieser Krise eindeutig kennzeichnet. Tatsächlich erweist sich als Ursache dieser systemübergreifenden Krise die gegenwärtige Konzeption der Wissenschaften. Da sich die totalitären Ideologien selbst als wissenschaftliche Weltanschauung betrachten, tritt in ihnen die allgemeine Krise am deutlichsten zutage. Die Wissenschaften leiden trotz imponierender Erfolge der Feld-und Spezialforschung unter einer geistigen Orientierungslosigkeit und unter der Unfähigkeit, ihre Forschungsergebnisse zu einer angemessenen Welt-und Daseinsdeutung zu integrieren. Ursache dafür ist ein Mangel an Offenheit, insbesondere ein Frageverbot (Adorno) für die Wesens-und Sinnfrage und eine Festlegung auf den Methodischen Atheismus. Der Verzicht aufdie Wesens-und Sinnfrage macht die Wissenschaften unfähig, den Wert ihrer Forschungsobjekte zu erkennen, und führt so zu ethischer Orientierungslosigkeit. Die Festlegung auf den Methodischen Atheismus muß zwangsläufig zu einer Verkennung der Wirklichkeit führen, falls diese wesentlich auf Transzendenz bezogen ist. Bezeichnenderweise sind die gegenwärtigen Versuche wissenschaftlicher Welt-und Daseinsdeutung durch Begriffe wie Zufälligkeit. Absurdität und Sinnlosigkeit gekennzeichnet. Es stellt sich die Frage, ob dieses Dilemma letztlich in einer wissenschaftlichen Verkennung der Wirklichkeit wurzelt. Eine solche Vermutung ist bei dem gegenwärtigen Stand unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse um so naheliegender, da wir in allen Bereichen feststellen müssen, daß die Relationen zwischen den Erscheinungen wesentlich zu den Erscheinungen dazugehören, so daß ihre Vernachlässigung zu einer Verkennung der Wirklichkeit führt. Es erhebt sich die Frage, ob diese Erfahrung nur für einzelne Erscheinungen der Wirklichkeit oder auch für die Wirklichkeit insgesamt gilt. Dies jedoch bedeutet, daß die metaphysische Frage mit neuer Dringlichkeit gestellt werden muß.

In ihrer Untersuchung über Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft vertritt Hannah Arendt die Auffassung, in den totalitären Systemen sei eine Krise sichtbar geworden, „in der wir heute alle und überall leben“. Daher könne man aus den Erfahrungen mit totalitären Systemen „auf die Tiefe der Krise schließen .... in der wir uns befinden“ Hannah Arendt setzt also voraus, daß es zwischen den totalitären Systemen und der Krise, „in der wir heute alle und überall leben“, eine Gemeinsamkeit gibt. Die Frage nach dieser gemeinsamen Wurzel wird jedoch von ihr nicht konsequent geklärt. Sie weist darauf hin. daß die Machthaber des Dritten Reiches „auf ihre Tüchtigkeit . . . pochten“ daß man es „mit Bevölkerungspolitikern“ zu tun hat. „die den Millionen-Mord so organisieren. daß alle Beteiligten subjektiv unschuldig sind“ daß „die fabrikmäßig betriebene Vernichtung von Menschen ... oft sogar mit einem Minimum an Grausamkeit ins Werk gesetzt“ wurde daß der Terror letztlich als. „die ständig benötigte Exekution der Gesetze natürlicher und geschichtlicher Prozesse“ betrieben wird und schließlich, daß Stalins und Hitlers eigentliche Originalität darin bestand, „daß sie die ideologischen Aussagen buchstäblich ernst nahmen

Die Tragweite solcher Feststellungen zur Erhellung der gegenwärtigen Gesamtsituation wird erst deutlich. wenn man sich zusätzlich vergegenwärtigt, daß jene Gesetze, als deren Exekutoren sich die Machthaber totalitärer Systeme empfinden, auf Grund wissenschaftlicher Forschungen und Theorien gewonnen wurden bzw. daß die Ideologien, auf die sich Stalin und Hitler beriefen, ihrem eigenen Selbstverständnis nach wissenschaftliche Weltanschauungen sind.

Ohne Zweifel kann man gegen diese Thesen einwenden. daß bei Hitler — psychologisch betrachtet — der Antisemitismus das Primäre war und die allgemeine Rassenlehre das Sekundäre und daß bei Marx der Dialektische Materialismus als eine Extrapolation des Historischen Materialismus auf die Entwicklung der Natur betrachtet werden muß und nicht umgekehrt, ja daß bei Hitler wie bei Marx am Anfang keineswegs wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern emotionale Ressentiments bzw. Engagements stehen.

Trotzdem kennzeichnet es die Situation unseres Zeitalters, daß Marx seinen Materialismus durch eine Kombination naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. wirtschaftswissenschaftlicher Theorien und Anleihen beim deutschen Idealismus zu einer wissenschaftlichen Lehre gemacht hat und daß Hitler sich nicht mit einem emotionalen Antisemitismus begnügte, sondern diesen unter willfähriger Assistenz zahlreicher Wissenschaftler zu einer biologistischen Ideologie ummünzte. Der Wahrheitsanspruch der marxistischen wie auch der nationalsozialistischen Ideologie stützt und beruft sich auf die Wissenschaft

Die Wissenschaften, die im Westen die praktische Weltgestaltung intensiv prägen, sind somit in den totalitären Systemen offiziell zur höchsten Instanz des Denkens geworden. Entgegen der im Westen herrschenden Auffassung muß auch die Brutalität dieser Systeme in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die von der wissenschaftlich begründeten Ideologie als notwendig erkannten politisch-gesellschaftlichen Umgestaltungen werden ohne Rücksicht auf das Glück oder Unglück des einzelnen durchgeführt, wobei auch die Durchführung selbst

Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um eine Vorabveröffentlichung einiger Grundgedanken aus dem Buch: Hugo Staudinger, Die Glaubwürdigkeit der Offenbarung und die Krise der modernen Welt — Überlegungen zu einer trinitarischen Metaphysik, Burg Verlag, Stuttgart-Bonn 1987. wissenschaftlich geplant und realisiert wird. So äußern sich in den totalitären Systemen unverhüllt negative Tendenzen, die latent in der Konzeption der modernen Wissenschaften angelegt sind. Letzten Endes wurzeln sie in einer wissenschaftlich begründeten Verkennung der Wirklichkeit

Diese Feststellung erscheint im ersten Augenblick paradox, schließlich sind es ja nicht zuletzt die Wissenschaften.denen die moderne Welt ihren relativ hohen „Wohlstand für alle“ verdankt, und schließlich beruht dieser Wohlstand weithin auf Erkenntnissen, die wir der wissenschaftlichen Forschung verdanken. Daher muß es zunächst schockierend erscheinen, daß behauptet wird, daß die Wissenschaft zu einer Verkennung der Wirklichkeit führt.

Das spontane Unbehagen gegen die These, daß Wissenschaft die Wirklichkeit verkennt, ist jedoch nur die eine Seite. Denn andererseits wird heute niemand mehr behaupten, daß die moderne, durch die Wissenschaften begründete Zivilisation nicht auch als Fehlentwicklung betrachtet werden könne. Die Ambivalenz des heutigen Zustandes der Wissenschaften läßt sich dahingehend kennzeichnen, daß es zu keiner Zeit so viel an Wissen gegeben hat wie in der Gegenwart, daß diese Fülle des Wissens jedoch nicht zu einer größeren Klarheit des menschlichen Selbstverständnisses und zu einer größeren Sicherheit in der Lebensführung, sondern eher zu Unsicherheit und Orientierungslosigkeit und daher auch zu Fehlentwicklungen geführt hat.

Die Wissenschaften, die unsere Zeit prägen, zeitigen nach wie vor auf nahezu allen Gebieten imponierende Erfolge, sie bringen sensationelle Erkenntnisse und ermöglichen Planungen und Umgestaltungen. die früheren Zeiten unvorstellbar waren. Sie bieten jedoch weder eine überzeugende Deutung menschlichen Daseins, noch Prinzipien für verantwortungsvolles Handeln. Sie sind hoffnungslos zersplittert; die Forschung ist nahezu völlig auf Feld-bzw. Spezialforschung konzentriert. Dagegen fehlen, vergleichbare Anstrengungen zur geistigen Integration. Bezeichnenderweise sieht sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Folge dieser einseitigen Programmierung nicht in der Lage. Anträge auf integrierende Forschungsvorhaben auch nur zu überprüfen und zu bearbeiten.

Allerdings tritt das damit gekennzeichnete Dilemma allmählich in das Bewußtsein von Wissenschaftlern und Öffentlichkeit. Dieses neu erwachende Bewußtsein dokumentiert sich nicht zuletzt in der zunehmenden Zahl interdisziplinärer Veranstaltungen. die sich im allgemeinen Symposien nennen. Allerdings schließt es schon die große Zahl der Teilnehmer in den meisten Fällen aus, daß es zu wirklichen Gesprächen kommt. Zumeist besteht das Programm vornehmlich aus Vorträgen und so-genannten Statements, in denen sich Vertreter verschiedener Disziplinen zu einem bestimmten Thema äußern und die Möglichkeit zu Rückfragen eröffnen. Die entsprechenden Veröffentlichungen erfolgen dann in Sammelbänden. Der Leser wird über die mannigfaltigen Aspekte des anstehenden Themas unterrichtet, zur geistigen Integration jedoch kommt es kaum

Die Gesamtlage ist umso schwieriger, da auch die alten Universalwissenschaften Philosophie und Theologie zu eigenen Disziplinen mit zahlreichen Spezialgebieten geworden sind, die zwar zum Teil noch „Kontakte“ zu anderen Wissenschaften pflegen. jedoch insgesamt auch ihrerseits ein Eigenleben führen, so daß auch sie zu einer umfassenden Integration kaum mehr in der Lage sind Andererseits stellt sich das Problem der Integration umso dringender, da auch die Wissenschaften selbst ihre eigene geistige Orientierungslosigkeit immer unübersehbarer dokumentieren. In diesem Zusammenhang sei nur daran erinnert, daß es schließlich der Politik überlassen bleibt, zumindest ein Minimum an Ethik in Forschung und Technologie zu gewährleisten.

Diese Lage fordert es dringend, die gesamte heutige Wissenschaftskonzeption grundlegend zu überprüfen. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß die wichtigen Impulse, die insbesondere von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ausgegangen sind, bisher kaum in ihrer positiven Bedeutung gewürdigt wurden. Statt dessen überließ man diese Denker weithin solchen Repräsentanten, die sich ihrer Werke bedienten, indem sie einzelne Sätze oder Gedanken zu Schlagworten ummünzten, ohne sich sonderlich um ein angemessenes Gesamtverständnis ihrer Hinterlassenschaft zu bemühen

II.

Versucht man eine Aufarbeitung der gegenwärtigen Situation, so ist es notwendig, sich zunächst die Grundkonzeption moderner Wissenschaftlichkeit zu vergegenwärtigen, wie sie vor allem, aber keineswegs ausschließlich, von den Naturwissenschaften entwickelt worden ist. Man stößt dann auf zwei Punkte, die als verborgene Ursache des heutigen Dilemmas betrachtet werden müssen: 1. Die modernen Wissenschaften verzichten darauf, nach dem Wesen und Sinn ihrer Forschungsobjekte zu fragen und konzentrieren statt dessen ihre gesamte Aufmerksamkeit darauf, das jeweilige Verhalten dieser Forschungsobjekte unter bestimmten Bedingungen festzustellen. Hierzu dienen Beobachtungen und Experimente. Dabei ist das Experiment dadurch ausgezeichnet, daß die jeweiligen Bedingungen vom Menschen selbst geschaffen und geändert werden. Die Wirklichkeit erscheint dabei als ein Geflecht von Ursachen und Wirkungen, die planmäßig erforscht werden und deren Kenntnis für gezielte Eingriffe genutzt werden kann.

Diese neue Konzeption wurde zu Beginn der Neuzeit von Männern wie Galilei entwickelt und in vieler Hinsicht von Isaak Newton vollendet Bezeichnend dafür sind einige oft zitierte Sätze in seiner Abhandlung über „Die mathematischen Prinzipien der Naturlehre“. Hier erklärt er: „Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht. Alles nämlich, was nicht aus den Erscheinungen folgt, ist eine Hypothese, und Hypothesen . . . dürfen nicht in die Experimentalphysik aufgenommen werden ... Es genügt, daß die Schwere existiere. daß sie nach den von uns dargelegten Gesetzen wirke und daß sie alle Bewegungen der Himmelskörper und des Meeres“ — gemeint sind Ebbe und Flut — „zu erklären imstande sei.“

Diese Sätze dokumentieren eine entscheidende Verlagerung des forschenden und darüber hinaus des geistigen Interesses überhaupt. Die Wissenschaft konzentriert sich nunmehr auf die Erforschung der gesetzmäßigen Wirkweise der Kräfte der Natur, das heißt auf die mathematischen Formeln. mit deren Hilfe man Veränderungen nach Ursachen und Wirkungen berechnen kann und mit deren Hilfe vor allem eine zweckdienliche Umgestaltung der Wirklichkeit möglich ist. In diesem Sinne geht es der Wissenschaft seither nicht mehr um eine Theorie des Seins, die das Wesen und den Sinn der Dinge erkunden will, sondern darum, die Formeln zu finden, nach denen die erfahrbare Wirklichkeit funktioniert. Damit ist ein Trennungsstrich zwischen Wissenschaft und Philosophie gezo-gen. Während im alten System der Wissenschaften, wie es von Aristoteles begründet wurde. Wissenschaft und Philosophie zusammengesehen wurden, so daß Aristoteles auch die Einzelwissenschaften als Philosophien bezeichnet, wird nunmehr das Philosophieren eine aus der Sicht der Wissenschaft zusätzliche und unnötige Spekulation. 2. In der gleichen Epoche wird auch der Trennungsstrich zwischen den Wissenschaften und der Theologie gezogen. Beide Abgrenzungen hängen miteinander zusammen. Während Aristoteles noch die Frage gestellt hatte, warum die Steine nach unten fallen und das Feuer nach oben strebt, und die Antwort darin suchte, daß die Gottheit allen Dingen einen bestimmten Platz als heimatlichen Ort angewiesen habe, dem sie zustrebten, sucht die moderne Wissenschaft eine solche Antwort nicht mehr und bekennt sich immer entschiedener zu einer Haltung. die man als Methodischen Atheismus bezeichnen kann Gott als Erklärung für irgendwelche Geschehnisse oder Tatbestände zu benennen, gilt als unwissenschaftlich.

Diese Konzeption des Methodischen Atheismus wurde erst allmählich zur Vollendung gebracht. So hat noch Isaak Newton versichert, daß Gott hin und wieder in die Bewegungen der Sterne eingreife, um gewisse Unregelmäßigkeiten zu korrigieren. In der Folgezeit jedoch gewannen gerade auch bei führenden Wissenschaftlern deistische Vorstellungen an Einfluß. Man sah Gott zunächst zwar weiterhin als den Schöpfer der Welt an. betrachtete jedoch die Schöpfung primär als eine Konstruktion und dementsprechend auch den Schöpfer als den großen Weltkonstrukteur. Die Vollkommenheit des Schöpfers zeigt sich nach dieser Auffassung darin, daß seine Weltmaschine weiterer Eingriffe und Wartungen nicht bedarf, sondern, einmal in Gang gesetzt, reibungslos funktioniert.

Diese Auffassung von Gott und Welt hatte zur Konsequenz. daß es zur Erklärung der Welt und ihres Funktionierens eines besonderen Hinweises auf den Schöpfer ebensowenig bedurfte, wie es zum Verständnis einer Maschine notwendig ist.den Konstrukteur zu kennen. Tatsächlich glaubten die Wissenschaften schon bald, in ihren Forschungen am besten voranzukommen, wenn sie zumindest methodisch von jedem Wirken Gottes absahen. So antwortete Laplace selbstbewußt auf die Frage Napoleons. warum Gott in seiner Mechanik des Himmels nicht vorkomme: „Majestät, die Wissenschaft bedarf dieser Flypothese nicht.“ * Der Verzicht aufdie Wesens-und Sinnfrage und die Konzeption des Methodischen Atheismus begründete die Wertfreiheit der Wissenschaften. Diese Konzeption ist jedoch keineswegs so harmlos und folgenlos, wie sie oft dargestellt wird. Die Problematik besteht letzten Endes darin, daß die Objekte, denen sich die nunmehr wertblinde Wissenschaft zuwendet, keineswegs wertfrei sind, so daß die Gefahr eines unangemessenen Umgangs mit ihnen in dieser Konzeption der Wissenschaften vorprogrammiert ist.

Faktisch sind die Wissenschaften nach Verzicht auf die Wesens-und Sinnfragen nur auf ihren eigenen Erkenntnisfortschritt programmiert und neigen daher dazu, im Interesse dieses Erkenntnisfortschritts eine unbegrenzte Verfügungsgewalt über ihre Forschungsobjekte zu beanspruchen, deren Eigenwert sie als wertfreie Wissenschaften grundsätzlich ignorieren. In der ersten Phase der Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften blieb die Problematik dieser Konzeption verborgen. Denn die Geschichte dieser Wissenschaften beginnt mit der Erforschung der unbelebten Materie, über die der Mensch weithin frei verfügen darf, da es. wie man einmal formuliert hat. weder Magnesiumfrevel noch Molekülquälerei gibt.

Es ist beachtenswert, daß auch bei dieser Forschung das benutzte Material oft der Zerstörung preisgegeben wird. Es geht in vielen Fällen darum. Grenzwerte festzustellen, die das Material einer extremen Belastung aussetzten, der es schließlich nicht mehr gewachsen ist. Wenn man zum Beispiel erproben will, wieviel Druck oder auch Unterdrück ein bestimmtes Material aushält, so ist es notwendig, den Druck oder Unterdrück so weit zu steigern, bis das betreffende Materialstüpk dem nicht mehr standhält. Unbestreitbar problematisch ist diese Art der Forschung.seit sie sich auf das Lebendige ausweitete. Der wissenschaftliche Forschungsdrang fordert auch hier alle Experimente, die im Dienst des Erkenntnisfortschritts wünschenswert erscheinen. Obgleich sich schon seit langem einzelne Menschen und gesellschaftliche Gruppen gegen Vivisektionen und andere Experimente mit Tieren wenden, klammert die Tierschutzgesetzgebung wissenschaftliche Forschungsvorhaben und wissenschaftliche Lehrvorführungen ausdrücklich vom sonst geltenden Verbot der Tierquälerei aus Damit ist das Tier im Namen des Erkenntnisfortschritts der Verfügungsgwalt der Wissenschaftler ausgeliefert.

Schon früh griff die immanente Tendenz der Wissenschaften, alle Experimente, die dem Erkennt-nisfortschritt dienen, zu realisieren, auch auf die Humanforschung über. Dies gilt nicht nur für die naturwissenschaftlich konzipierte Medizin, sondern auch für Psychologie und Gesellschaftswissenschaften. Wie andere Lebewesen werden nun auch Menschen zu Nummern in Versuchsreihen und zu Objekten wissenschaftlicher Experimente. Die innere Logik wissenschaftlicher Forschung drängt auch hier zu allen Versuchen, die aufschlußreich zu werden versprechen.

Am deutlichsten zutage tritt die damit verbundene Inhumanität im medizinischen Bereich Sofern man es allein vom Standpunkt optimaler Effektivität wissenschaftlicher Forschung aus betrachtet, ist die „ideale“ Forschungssituation auch bei Experimenten mit Menschen erst dann gegeben, wenn die Forschung — ohne Rücksicht auf Versuchspersonen — nur ihren eigenen Gesetzen folgend vorangetrieben werden kann. Angesichts dieser inneren Logik wird verständlich, daß in der Zeit des Dritten Reiches nicht nur ideologisch bornierte Mediziner, sondern auch Wissenschaftler mit unbändiger Forscherleidenschaft zuständige Stellen baten. KZ-Häftlinge für ihre Versuchsreihen zur Verfügung zu stellen.

Auch heute gibt es Länder, in denen Experimente mit Häftlingen durchgeführt werden. Dies gilt nicht nur für kommunistische Staaten sowie für eine Reihe von Diktaturen; auch in den USA hat man zuweilen zum Tode Verurteilten „die Chance" gegeben. sich für bestimmte Experimente zur Verfügung zu stellen und ihnen im Falle des Überlebens Strafnachlaß versprochen. Bei uns bietet für manche Ärzte das in Abtreibungskliniken anfallende „Embryomaterial" willkommene Gelegenheit zum „freien“ Experimentieren. Vergleichbares gilt für das in Retorten künstlich erzeugte menschliche Leben. das ohne Eltern und ohne Rechtsschutz den Forschungsprogrammen seiner ärztlichen bzw. biotechnischen „Erzeuger" ausgeliefert ist.

Da die meisten Ärzte von einem humanitären Engagement erfüllt sind und. auch wenn sie Forschung betreiben, von dem Willen geleitet werden, kranken. behinderten oder verletzten Menschen zu helfen. sind inhumane Forschungspraktiken rein zahlenmäßig betrachtet nur Randerscheinungen. Sieht man die Problematik jedoch im Zusammenhang der immanenten Eigengesetzlichkeit unserer Wissenschaftskonzeption. so tritt hier ein grundsätzlicher Konflikt zwischen überkommener Humanität und einer allein auf wissenschaftlichen Fortschritt abzielenden Forschung zutage. Wie tief dieser Konflikt ist, dokumentiert sich zum Beispiel darin, daß man schon vor Jahren Ärzte, die für derartige Experimente verantwortlich waren, vor Gericht stellen wollte, daß jedoch daraufhin eine wissenschaftliche Fachzeitschrift warnend erklärte, „daß eine Verurteilung nach Ansicht vieler Gynäkologen eine ernste Beeinträchtigung wissenschaftlicher Forschung bedeuten würde“

In diesem Zusammenhang ist auch aufschlußreich, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft sich kürzlich vehement gegen Pläne des Bundesjustizministers wehrte, menschliche Embryonen vor Experimenten zu schützen. Die Forschung müsse, so argumentierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft, zumindest in bestimmten Fällen Vorrang haben vor der Menschenwürde des Fötus und seinem Recht auf Leben. Es müsse der Forschung ermöglicht werden. „Erkenntnisse zu gewinnen, die nach dem Urteil bester Sachkenner geeignet erscheinen. künftig vielen Menschen schweres Leid zu ersparen“. Mit diesen Argumenten und Forderungen befindet sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft in „bester“ internationaler Gesellschaft. Bei der jüngsten Gipfelkonferenz über Fragen der Bioethik, an der auch deutsche Experten teilnahmen. wurde von mehreren Vertretern gefordert, künftig „nicht-therapeutische Forschung“ an Kindern freizugeben, wobei insbesondere auf geistig behinderte Kinder als mögliche Objekte derartiger Experimente hingewiesen wurde. Bezeichnenderweise wählen sich Wissenschaftler als Objekte „freier“ Forschung somit jeweils Personen, von denen eigener Widerstand nicht geleistet werden kann. Dies sind in totalitären Systemen politisch Entrechtete, in anderen Staaten geistig Behinderte oder noch nicht geborene Kinder

Insgesamt handelt es sich bei derartigen Erscheinungen — das muß angesichts der einseitigen Akzentuierung, in der die Dinge zumeist in der Boulevard-Presse dargestellt werden, unterstrichen werden — zwar einerseits um Auswüchse, für die einzelne Ärzte verantwortlich sind, andererseits jedoch um Symptome eines Konflikts, der unserem Wissenschaftssystem immanent ist. eines Konflikts, in dem die Eigengesetzlichkeit wissenschaftlicher Forschung zu außerwissenschaftlichen humanitären Forderungen in unaufhebbaren Widerspruch gerät.

Da in totalitären Systemen „wissenschaftliche Weltanschauungen“ das offizielle Denken und Handeln prägen, verschärft sich in ihnen die der Wissenschaft immanente Tendenz zur Inhumanität. Symptome sind die schon genannten Versuchsreihen mit KZ-Häftlingen, staatlich angeordnete Euthanasieaktionen. Zwangspsychiatrie für Systemgegner und dergleichen mehr. Die gemeinsame Wurzel dieser Erscheinungen ist eine Erweiterung der Verfügungsgewalt. die die Wissenschaften über ihre Objekte beanspruchen, zum Totalanspruch des wis-senschaftlich begründeten Systems über den Menschen. Man begnügt sich nicht damit, die vermeintlichen Gesetze völkischer oder gesellschaftlicher Entwicklungen zu erforschen und ihre Wirksamkeit planmäßig zu beobachten, sondern setzt den technokratischen Machtapparat systematisch im Dienste dieser Gesetze ein, um so den „notwendigen“ Aufstieg seiner Klasse — oder auch Rasse — zu erzwingen.

Wie Hannah Arendt schreibt, äußern sich somit die ideologisch — das heißt mit wissenschaftlichem Anspruch — proklamierten „Prozesse von Natur und Geschichte . . . politisch als Zwang und können nur durch Zwingen realisiert werden. Auf diesem Zwang beruht, diesen Zwang realisiert der totalitäre Terror, nicht indem er gerechte oder ungerechte positive Gesetze erläßt und anwendet, sondern indem er den Bewegungsprozeß dieser Kräfte vollsteckt im Sinne der Exekution“

Zugleich wird in diesem totalitären System der Methodische Atheismus der Wissenschaften zum wissenschaftlich begründeten weltanschaulichen Atheismus erhoben und damit jeder Appell an eine höhere Instanz als die Repräsentanten des Systems gegenstandslos gemacht. Das eigene System selbst ist die höchste Instanz. Bezeichnenderweise wird im kommunistischen Machtbereich — Analoges gilt für das Dritte Reich — die Propagierung der wissenschaftlich atheistischen Ideologie eng mit politischen Kulthandlungen verbunden. So bereitet zum Beispiel ein erstes systematisches Studium des Dialektischen und Historischen Materialismus auf Grundlage des Schulungsbuches „Weltall. Erde, Mensch“ den jungen DDR-Bürger auf die feierliche Jugendweihe vor. die als eine Art politischer Konfirmation betrachtet werden kann. Angesichts dieser Verbindung von wissenschaftlicher Schulung und politischen Kulthandlungen bestätigt sich in den totalitären Systemen besonders nachhaltig eine alte These Carl Friedrich von Weizsäckers, daß die Wissenschaft in unserer Zeit die Rolle der Religion übernommen habe

Diese Feststellung gilt — allerdings in anderer Weise — auch für die Industrienationen der westlichen Welt. Da die Wissenschaften nach Wesen und Sinn nicht fragen und allenthalben so vorgehen, „als ob es keinen Gott gäbe“, fehlt ihnen selbst jede geistige Orientierung, die über den Nutzen im Sinne des Lebensstandards hinausgeht. Sie werden zwar nicht zur Ideologie erhoben, beherrschen jedoch faktisch die Gestaltung unserer Gesellschaft und wirken von da zwangsläufig auf das gesamte Denken und Empfinden der Menschen zurück. Auf diese Weise schaffen sie eine weithin säkularisierte Lebenswelt.

III.

Diese Säkularisierung der Weltgestaltung entspricht bewußt oder unbewußt einer Forderung, die einer der konsequentesten Vertreter moderner Wissenschaften Auguste Comte im vorigen Jahrhundert erhoben hat: „die Vorsehung zu organisieren“. das heißt alles berechenbar und im Dienste des Menschen beherrschbar zu machen Da die vorgegebene Welt in vieler Hinsicht unauslotbar und unberechenbar ist wird sie planmäßig umgestaltet. Wichtigste Symptome dieser Umgestaltung sind eine Normierung in allen Bereichen unserer Lebenswelt und eine Einschaltung von Sicherheitsfaktoren bei Einrichtungen verschiedenster Art.

Eine Normierung erweist sich im Interesse einer besseren Berechenbarkeit als notwendig. Da die Natur nichts Gleiches kennt, die Mathematik jedoch Gleichheit voraussetzt, wird die Wirklichkeit entsprechend umgestaltet. Diese Normierung, die in der gesamten modernen Industriewelt über alle politischen und ideologischen Grenzen hinweg vorgenommen wird, fängt bei der Normierung des Materials an und geht über die Normierung von Maßen und Gewichten bis hin zur computergerechten Normierung von Formblättern. Statistiken und Ausweisen Hierzu gehört jedoch auch die Einordnung von Pflanzen und Tieren in Güteklassen, sowie die Heranzüchtung neuer Pflanzen und Tiere, die jeweils auf normierte Eigenschaften hin gezüchtet werden. Insgesamt sind diese Normierungen durchaus zweckentsprechend. Die meisten kränken niemanden und erleichtern das Leben. Auch wer sich in nostalgischen Gefühlen gegen die moderne Industriewelt wehrt, würde wahrscheinlich schimpfen, wenn er in seinem Hotelzimmer die Lichtschalter nicht in der gewohnten Höhe vorfindet, wenn die Tasten bzw. Buchstaben seiner Schreibmaschine völlig anders als gewohnt angeordnet wären, wenn er die neue Glühbirne vergeblich einzuschrauben versuchte, weil sie ein anderes Gewinde als die letzte hat oder wenn er für sein Haus Ziegelsteine völlig verschiedener Größe angeliefert bekäme.

Selbstverständlich kann man darauf hinweisen, daß die Art der Massenproduktion unserer modernen Industriewelt „von selbst“ zu genormten Produkten führt, da diese jeweils durch Wiederholung des gleichen Arbeitsvorgangs zustande kommen. Wie die angeführten Beispiele zeigen, wird die Normierung jedoch weit darüber hinaus planmäßig vorangetrieben. Sie ist in vieler Hinsicht zweckmäßig und kommt im allgemeinen auch den Bedürfnissen und Wünschen der Verbraucher durchaus entgegen. Vergleichbares gilt für die Einordnung in Güteklassen. Die Angabe der Güte ist für den Käufer bzw. Verbraucher eine Erleichterung bei der Auswahl und hilft ihm zudem, die Angemessenheit oder Un-angemessenheit des Preises abzuschätzen.

Es lohnt sich jedoch zu fragen, wo die Grenzen dieser Art von Erfassung liegen bzw. in welchen Fällen eine normierende Gestaltung der Welt unangemessen wird. Die Antwort ergibt sich verhältnismäßig einfach. Es besteht offensichtlich ein Unterschied zwischen den Prinzipien, die bei einer zweckmäßigen Gestaltung der Sachwelt maßgeblich sind und maßgeblich sein dürfen, und den Prinzipien, die ins Spiel kommen, wenn der Mensch als Person beteiligt ist

Der Mensch möchte in einer „liebevoll“ gestalteten Welt leben. Liebejedoch duldet keine Normierung, sondern ist dem je Einmaligen und Besonderen zugewandt. Selbst bei Gebrauchsgegenständen sind uns nicht die die liebsten, bei denen ein Exemplar dem anderen völlig gleicht. Hierauf beruht die Hochschätzung der Handarbeit. Bei einem kostbaren Kaffeeservice oder bei besonders wertvollen Gläsern entspricht zwar ein Teil harmonisch dem anderen, unterscheidet sich jedoch ebenso harmonisch von ihm. Schon bei Kindern kann man beobachten. daß sie Spielsachen, die sie in mehreren gleichen Exemplaren haben, zumeist nicht liebevoll behandeln. Kein Mensch, der einen anderen liebt, wünscht sich zur Steigerung seiner Liebe diesen Geliebten in möglichst vielen Exemplaren. Die Liebe setzt die Einmaligkeit und Besonderheit der geliebten Gegenstände und insbesondere des geliebten Menschen voraus.

Daher empfindet der Mensch als Person ein spontanes Unbehagen, wenn er das Gefühl hat. austauschbar und verrechenbar zu sein und nur als Nummer behandelt zu werden. So sehr es eine formale Richtigkeit hat. wenn man im Hinblick auf die funktionale Arbeitswelt feststellt, daß „jeder ersetzbar“ ist. so aufschlußreich ist es auf der anderen Seite, daß ein Liebender dem Geliebten zuweilen erklärt: „Du bist anders als die anderen“, und daß Angehörige oder Freunde in Todesanzeigen versichern. daß sie einen „unersetzbaren Verlust“ erlitten haben.

Wie sich aus all dem ergibt, reichen die Prinzipien der rein wissenschaftlichen Weltdeutung nicht aus. um eine angemessene Darstellung des Menschen und seiner personalen Lebenswelt zu geben. Hier kommen vielmehr Realitäten ins Spiel, die das rein wissenschaftliche Begriffssystem übersteigen. Keine Wissenschaft vermag zu sagen, worin die Würde des Menschen besteht, oder festzustellen, was Liebe, was Ehrfurcht, was Achtung, was Treue oder auch was Gemeinheit, was Hinterhältigkeit, was Haß und was Mißachtung ist. Es bleibt also eine unaufhebbare Differenz zwischen den Prinzipien einer wissenschaftlichen Weltdeutung und -gestaltung und denen einer angemessenen Deutung und Gestaltung der menschlichen Lebenswelt.

Diese Differenz gilt auch für die zweite der genannten Komponenten unserer wissenschaftlichen Welt-gestaltung. für die Einschaltung von Sicherheitsfaktoren. Durch derartige Sicherheitsfaktoren wird der Alltagserfahrung des modernen Menschen eine absolute Verläßlichkeit wissenschaftlich-technischer Planung und Weltgestaltung vorgetäuscht.

Wenn also zum Beispiel an einer Brücke angegeben ist. daß sie 12 Tonnen trägt oder an einer Konservendose das Haltbarkeitsdatum März 1991 eingeprägt ist. so ist bei diesen Angaben bereits ein Sicherheitsfaktor berücksichtigt. Wer sich gewissenhaft nach den jeweiligen Angaben. Gebrauchsanweisungen und Vorschriften richtet, kann sich im normalen Alltag auf diese moderne Industriewelt verlassen. Anstelle der vorgegebenen Welt mit ihren Risiken und Unberechenbarkeiten, die dem heutigen Menschen kaum noch begegnet, ist sie mit ihrem Höchstmaß an Verläßlichkeit zu unserer unmittelbaren Lebenswelt geworden.

Diese neue, wissenschaftlich-technisch geschaffene Lebenswelt wirkt in umfassender Weise auf den Menschen ein. Die Parole Lenins „Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser“ gilt nicht nur für kommunistische Staaten, sondern prägt in vielfältiger Weise in allen Industrienationen die Arbeitswelt und darüber hinaus die Lebenswelt des Menschen insgesamt bis hin zu der wohlgemeinten und doch makabren Anti-Aids-Losung „Vertrauen ist gut. Kondome sind besser“ Wissenschaftlich-technische Weltgestaltung wird zur Widersacherin einer humanen Lebenswelt.

In vielen Fällen ungewollt, jedoch wirkungsvoll wird die durch Sicherheitsfaktoren und Kontrollen künstlich gesicherte Lebenswelt zugleich zu einer Wegbereiterin des modernen Atheismus. Das bedeutet: Der Methodische Atheismus der Wissenschaften schlägt auf dem Umweg über die wissenschaftliche Weltgestaltung in weltanschaulichen Atheismus um. Auf diesen Zusammenhang hat Carl Friedrich von Weizsäcker schon vor längerer Zeit aufmerksam gemacht. Er schreibt: „Das führende Element des Glaubens ist nicht das Fürwahr-halten, sondern das Vertrauen . . . Wenn wir wirklich vertrauen, dann leben und handeln wir so. wie wir leben und handeln müssen, wenn das. worauf wir vertrauen, wirklich und wahr ist. Nicht die intel-lektuelle Sicherung des Fürwahrhaltens, sondern die existentielle Sicherung des Vertrauens gibt dem religiösen Glauben seine Kraft.“

Im Hinblick auf unsere gegenwärtige Situation zieht Carl Friedrich von Weizsäcker hieraus den Schluß: „Und wenn uns nun jemand fragt, was die siamesischen Zwillinge von Wissenschaft und Technik zu den Idolen unserer Zeit macht, so werden wir antworten müssen: ihre Vertrauenswürdigkeit; ihre bewährte Verläßlichkeit. Der primitive Junge aus irgendeinem Dorf in der Welt, der wenig von seinen Göttern und nichts von der Wissenschaft weiß, lernt, wie man auf das Gaspedal tritt, und der Wagen rollt.“

Verläßlich sind jedoch nicht nur einzelne technische Apparaturen, sondern das Gesamtgefüge der wissenschaftlich-technisch gestalteten Gesellschaft. Wer ihre Regeln kennt und achtet, kann sich auf diese Welt verlassen. Sie hat durch Sicherheitsfaktoren nicht nur das Risiko beim Befahren von Brükken ausgeschaltet, sondern ein umfassendes Netz technischer und vor allem auch sozialer Sicherungen ausgespannt. Diesem Netz gilt unser Vertrauen. Unter diesem Gesichtspunkt hat vorausschauend schon Richard Wagner „sein gesellschaftliches Glaubensbekenntnis nur in einer positiven Bestätigung jener Lehre Jesu“ gesehen, „in welcher er mahnt: „Sorget nicht, was werden wir essen, was werden wir trinken, noch auch, womit werden wir uns kleiden, denn dieses hat euch euer himmlischer Vater alles von selbst gegeben!“ Richard Wagner fährt unmittelbar fort: „Dieser himmlische Vater wird dann kein anderer sein, als die soziale Vernunft der Menschheit, welche die Natur und ihre Fülle sich zum Wohle aller zu eigen macht.“

Tatsächlich hat der Mensch des wissenschaftlich-technischen Zeitalters vieles „machbar“ gemacht, was die Menschen früherer Zeiten von der Liebe und Fürsorge Gottes — gegebenenfalls sogar durch Wunder — erwarteten. In diesem Sinne schreibt Carl Friedrich von Weizsäcker: „Die äußerlich sichtbarsten Wunder, von denen religiöser Glaube berichtet hat. waren die Speisung der Hungrigen, die Heilung der Kranken und die Zerstörung menschlichen Lebens durch unbegreifliche Macht; die technisierte Landwirtschaft und das Transportwesen. die moderne Medizin und die heutige Kriegstechnik tun genau solche Wunder.“

So ist eine Kluft entstanden zwischen der überlieferten christlichen Frömmigkeit und der alltäglichen Welterfahrung des modernen Menschen. Sofern er Christ ist. betet er zwar zu Gott „Unser tägliches Brot gib uns heute!“, macht jedoch in seinem Alltag die Erfahrung, daß die Sicherung des tägli-chen Brotes primär eine Aufgabe der Wirtschaftsund Sozialpolitik ist. Einzelne Faktoren, wie etwa Unwetter und Dürrekatastrophen, die nicht zu dem politisch Planbaren gehören, lassen sich ebenso wie Störfaktoren bei technischen Apparaturen grundsätzlich kompensieren. Zumindest der Europäer hört von Hungerkatastrophen nur als typischen Erscheinungen zurückgebliebener Länder, während sich bei ihm Butterberge und Weinseen als Probleme des Überschusses bzw. einer „verfehlten Politik auf dem europäischen Agrarmarkt“ eingestellt haben.

In jüngster Zeit haben freilich eine Reihe von Erfahrungen das Vertrauen in die absolute Sicherheit und Verläßlichkeit der wissenschaftlich-technisch gestalteten Lebenswelt erschüttert. Hierzu gehört zunächst die Erkenntnis, daß die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften selbst ihren Preis haben und unter Umständen Katastrophen auslösen können. In diesem Zusammenhang kann an Reaktorunglücke. an die Freisetzung giftiger Chemikalien. an das Waldsterben oder auch an die Gefährdung der Ozonschicht der Erde gedacht werden. Außerdem erkennen immer mehr Menschen, daß sich durch Einschaltung von Sicherheitsfaktoren stets nur eine begrenzte und relative, jedoch keine umfassende und absolute Sicherheit gewährleisten läßt. Zahlreiche Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte und die Erfahrung, daß an Stelle „besiegter“ Seuchen und Leiden neue nicht minder bedrohliche wie etwa Aids auftauchen, haben der Illusion, daß man schließlich „alles in den Griff bekommen“ werde, ein Ende gemacht. Anstelle eines vormals ungebrochenen Fortschrittsglaubens ist bei vielen irrationale Skepsis gegenüber der wissenschaftlich-technischen Weltgestaltung und bei manchen gegenüber der Zukunft schlechthin getreten.

Diese irrationalen Ängste erfordern eine klärende Analyse der Gesamtsituation. Sie zeigt — trotz vieler positiver Errungenschaften im Bereich konkreter Weltbewältigung und Lebensgestaltung — eine radikale Fehlprogrammierung wissenschaftlichen Denkens und Verfügens, die umso nachhaltiger und verhängnisvoller ist. da ihre Ursachen für die meisten Menschen nahezu unerkennbar sind.

Um diese Fehlprogrammierung unseres heutigen Denkens zu erkennen ist es hilfreich, von der Kritik auszugehen, die Fritjow Capra an dem überlieferten abendländischen Denken geübt hat. Er stellt sich die Frage, wie es kommt, daß es dem Europäer so schwer fällt, die durch Relativitätstheorie und Feldtheorie gekennzeichneten Erkenntnisse der modernen Physik in sein Bewußtsein aufzunehmen. Er sieht den Grund dafür in der philosophischen Denktradition, wie sie bereits von den Vorsokratikern grundgelegt wurde. Er erklärt kritisch: „Die griechische Naturphilosophie . . . war sozusagen . nicht-relativistisch*, und ihr starker Einfluß auf die westliche Denkweise ist wohl einer der Gründe dafür. daß wir so große Schwierigkeiten mit den relativistischen Modellen der modernen Physik haben. ”

Die Kritik Capras ist insofern berechtigt, als die abendländische Denktradition tatsächlich die Erscheinungen der Wirklichkeit vor allem mit dem Begriff der Substanz und dem der ihr zugeordneten Akzidentien zu erklären suchte, dagegen den Relationen keine angemessene Bedeutung zumaß. Die Relationen erschienen nur als Folgen bestimmter Eigenschaften der Substanzen, jedoch nicht als wesentliche Gestaltungsfaktoren der Wirklichkeit insgesamt. So betrachtete bezeichnenderweise Isaak Newton die Schwerkraft als eine „Eigenschaft“ der Materie.

In unseren heutigen physikalischen Theorien dagegen spielen die Relationen zwischen den einzelnen Gebilden eine wesentliche Rolle und sind mehr als bloße Folgen von Eigenschaften dieser Gebilde. Dies gilt vor allem für die Feldtheorie, in der Energie und Masse in einem komplexen Zusammenhang gesehen werden und die einzelnen Teilchen in vieler Hinsicht nur wie besondere Knotenpunkte in einem derartig komplexen Feld erscheinen. Es gilt jedoch auch für die Relativitätstheorie, die von der alten Vorstellung, daß sich Körper im Raum und in der Zeit bewegen. Abschied nimmt und von der Erkenntnis ausgeht, daß Raum. Zeit und Materie nicht voneinander isoliert betrachtet werden können. sondern eine komplexe Einheit darstellen.

Vergleichbares gilt für die Erforschung des Lebendigen. Auch hier hat man davon Abschied genommen. einzelne Pflanzen und Tiere isoliert zu betrachten und in ihrer Umwelt allenfalls eine Vorbedingung für ihre Lebensfähigkeit zu sehen. Man weiß vielmehr, daß Ökosysteme jeweils als Gesamt-erscheinungen betrachtet werden müssen und daß die Relationen zwischen den einzelnen Lebewesen, aber auch die Relationen zwischen den geographischen Verhältnissen und den biologischen Entwicklungen zusammen gesehen werden müssen.

Vergleichbares gilt wiederum auf höherer Ebene auch für den Menschen. Während die überkommene abendländische Denkweise entsprechend einer Definition des Boethius die Person als naturae rationalis individua substantia (= unteilbares Selbstsein der Geistnatur) betrachtete und demzufolge bei ihrer Auffassung von der Person die individuelle Substanz betonte, dagegen die Bezüge zwischen den Personen als etwas mehr oder weniger Sekundäres ansah. wissen wir heute, daß diese Bezüge notwendigerweise zur Person selbst gehören und in diesem Sinne als ein Wesensmerkmal der Person betrachtet werden müssen. Die Hospitalismusforschung hat eindrucksvoll erwiesen, daß der Mensch schlechthin nicht heranzuwachsen vermag, wenn er nur mit allem biologisch Notwendigem versorgt wird, dagegen der personalen Zuwendung durch die Eltern oder andere ständige Bezugsper-sonen entbehrt. Bei erwachsenen Menschen sprechen wir zu Recht vom sozialen Tod. wenn die Beziehungen zu anderen Menschen abbrechen bzw. unter ein Minimum herabsinken. Ein Verständnis des Menschen ohne sein soziales Umfeld erscheint uns heute unmöglich. Auch im menschlichen Bereich haben die Relationen eine wesenhafte Bedeutung.

IV.

Nachdem wir somit durch die moderne Entwicklung der Wissenschaften auf die Bedeutung der Relationen für das Verständnis der Wirklichkeit aufmerksam geworden sind, erhebt sich zwangsläufig in einer neuen Dringlichkeit die von den modernen Wissenschaften diffamierte oder zumindest ignorierte mefaphysische Frage. Das bedeutet konkret: Da wir. wie im einzelnen dargelegt wurde, zur Kenntnis nehmen müssen, daß entgegen der abendländischen Denktradition auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Erscheinungen wesentliche Bedeutung haben, so daß die einzelnen Erscheinungen verkannt werden, wenn man von diesen Beziehungen absieht, muß auch die grundlegende Frage neu gestellt werden, ob die Welt mit all ihren Erscheinungen isoliert, das heißt unter Absehen von Gott angemessen verstanden werden kann. Zumindest dann, wenn die Welt in einer unaufhebbaren und wesentlichen Weise auf Gott bezogen ist, wird sie zwangsläufig unverständlich oder auch fehlgedeutet. wenn man von dieser grundlegenden Beziehung völlig absieht. Der Methodische Atheismus wäre dann geradezu eine Garantie dafür, daß die Welt im Wesentlichen unverständlich oder fehlgedeutet wird.

Läßt man sich auf diesen Gedanken ein. kann es nicht mehr verwundern, daß in unserer gegenwärtigen geistigen Diskussion Begriffe wie Absurdität, Zufall und Sinnlosigkeit eine so bedeutende Rolle spielen. Jeder atheistische Versuch der Daseinsdeutung kommt zwangsläufig zu dem Ergebnis, daß die Welt eine sinnlose Erscheinung und der Mensch ein absurdes Wesen sei. Diese Deutung, die von einigen Denkern als die einzig angemessene bezeichnet wird, entbehrt nicht der systemimmanenten Stimmigkeit. Wenn Zufälligkeiten und eine durch Gesetzmäßigkeiten repräsentierte Notwendigkeit hinlänglich wären, um die Welt und den Menschen zu erklären, das heißt wenn sie nur aus Zufall und Notwendigkeit hervorgegangen wären, dann fehlte in der Tat jedes sinnstiftende Element. Der Mensch wäre ein Zufallsprodukt der Evolution, ein „Zigeuner am Rande des Universums“ ein Wesen, das keinen Sinn hat. sondern ebenso wie es „zufällig“ entstanden ist. über kurz oder lang einem zufälligen Untergang entgegengeht, so daß von allem, was Menschen je getan und gelitten, gefühlt und gedacht haben, schlechthin nichts bleibt. Alles verschlänge. um eine Formulierung Adornos aufzugreifen, „der absolute Tod“

Verständlicherweise empfinden viele Menschen, die dieser Auffassung zuneigen, ihr vermeintlich absurdes Leben als kaum erträglich. Gewiß können die hohen Selbstmordziffern und die große Zahl Drogenabhängiger sowie psychisch Belasteter in den fortgeschrittenen Industrienationen nicht monokausal auf das Vordrängen atheistischer Weltanschauungen zurückgeführt werden. Aber das in diesen Nationen weithin herrschende Grundgefühl der Sinnlosigkeit und Ungeborgenheit ist zweifelsohne durch den neuzeitlichep Atheismus wesentlich mitgeprägt. so daß ein Zusammenhang nicht geleugnet werden kann.

Bemerkenswerterweise gestehen auch viele atheistische Denker zu. daß der Mensch nach allen Erfahrungen besser, angemessener und glücklicher zu leben vermag, wenn er. wie sie es aus ihrer Sicht nennen, die „Illusion“ eines sinnvollen Lebens hat. Das ist ein Eingeständnis, über das man nachdenken sollte, da es unmittelbare Konsequenzen für das Selbstverständnis des Menschen hat. Folgt man der Auffassung dieser Denker, so wäre der Mensch ein Wesen, das objektiv betrachtet, sinnlos und absurd dahinlebt, das jedoch subjektiv in jeder Hinsicht besser zurechtkommt, wenn es diesen seinen Zustand verkennt und sich der Illusion eines sinnvollen Daseins hingibt.

Eine solche Hypothese ist rein logisch denkbar und angesichts der Erfahrung, daß Illusionen hin und wieder glücklich machen, auch in der Realität grundsätzlich vorstellbar. Dennoch enthält diese Hypothese eine Ungereimtheit eigener Art. Es geht ja in diesem Falle nicht um irgendwelche illusionären Hoffnungen und Erwartungen, wie sie Menschen hin und wieder haben. Es wird vielmehr behauptet. daß der Mensch dann „besser, angenehmer und glücklicher“ zu leben vermag, wenn er sich selbst grundlegend verkennt. Damit wird die Absurdität des menschlichen Daseins in der Tat zur letzten Vollendung gebracht.

Dies gilt nicht nur für den einzelnen Menschen. Auch für die menschliche Gemeinschaft ergeben sich aus einer konsequent atheistischen Weltdeutung unlösbare Schwierigkeiten. Dies war offensichtlich auch den Vätern des Grundgesetzes bewußt. die sich in der Präambel zur „Verantwortung vor Gott“ bekennen. Tatsächlich kann nur aus dieser Verantwortung die das gesamte Grundgesetz prägende Bestimmung gerechtfertigt werden, daß der Wesensgehalt der Grundrechte auch bei Änderung des Grundgesetzes zu wahren sei und auch mit qualifizierter Mehrheit nicht außer Kraft gesetzt werden dürfe

Da diese Rückkopplung an die „Verantwortung vor Gott“ inzwischen weithin in Vergessenheit geraten ist. stellen allerdings heute radikale Intellektuelle die Frage, wer der Mehrheit des Jahres 1948 das Recht gegeben habe, der Mehrheit des Jahres 1987 oder gar der des Jahres 2000. vorzuschreiben, was sie tun darf und was sie lassen muß.

Eine solche kritische Frage ist nicht schon deshalb irrelevant, weil sie in dieser radikalen Form zumindest bislang nur von einer Minderheit ins Spiel gebracht wird. Immerhin hat auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt 1976 bei einer Tagung der Katholischen Akademie in Hamburg erklärt, die Rechtsordnung eines demokratisch verfaßten Staates müsse „sich grundsätzlich an dem tatsächlich in den Menschen vorhandenen Ethos orientieren“ und „einen Wandel des tatsächlich vorhandenen Ethos berücksichtigen“ Diese Auffassung bezog er ausdrücklich auch auf das Grundgesetz, indem er erklärte: „Im demokratischen Staat, im Prozeß der demokratischen Willensbildung, der auf Mehrheitsentscheidungen angewiesen ist. muß Rechtsetzung immer auf vorhandenes Ethos gestützt sein. Der Staat des Grundgesetzes kann als Staat nicht Träger eines eigenen Ethos sein — das will und soll er auch nicht sein, das will das Grundgesetz nicht. Nur das. was in der Gesellschaft an ethischen Grundhaltungen tatsächlich vorhanden ist. kann in den Rechtsetzungsprozeß eingehen, kann als Recht ausgeformt werden.“ Er betonte sodann, dies gälte „auch für neu sich bildende sittliche Grundhaltungen“ und formulierte in aller Deutlichkeit: „Wenn bestimmte ethische Auffassungen in der Gesellschaft nicht mehr vorhanden sind, dann verliert das Recht seine demokratische Legitimation.“

Die Schwierigkeit des Problems liegt darin, daß diese Feststellung zweifelsohne zutreffend ist. „Wenn bestimmte ethische Auffassungen in der Gesellschaft nicht mehr vorhanden sind, dann verliert das Recht seine demokratische Legitimation.“ Man kann jedoch dabei nicht stehenbleiben. Dahinter verbirgt sich vielmehr die tiefere Frage, ob das Recht, soweit es sich um Grund-bzw. Menschenrechte handelt, der demokratischen Legitimation bedarf. In diesem Punkte widersprach Helmut Kohl den Ausführungen Schmidts, indem er versicherte, das Grundgesetz binde „den Staat an oberste Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens“ und zur Verdeutlichung hinzufügte, das Grundgesetz sei „skeptisch, auch gegen mögliche Ansprüche und Zumutungen demokratisch legitimierter Mehrheiten.“

Versucht man die Dinge zu Ende zu denken, so erweist sich die von Helmut Schmidt vertretene Auffassung nicht nur als die naheliegendere, sondern auch als die konsequentere Lösung, solange man nur rein weltimmanente Argumente zuläßt bzw. von einer „rein wissenschaftlichen“ das heißt methodisch-atheistischen Position aus argumentiert. Wenn von jeder über dem Menschen stehenden Instanz abgesehen wird und somit zwangsläufig der Mensch das höchste Wesen ist. so steht tatsächlich nur ihm die letzte und oberste Souveränität zu. und er ist nicht an vorgegebene „Richtlinien“ gebunden. auch nicht an Festlegungen einer älteren Generation.

Eine Verbindlichkeit von Wert-und Zielorientierungen. an die auch die Mehrheit unrevidierbar gebunden ist. läßt sich nur begründen, wenn es eine über dem Menschen stehende Instanz gibt, die als Garant der Angemessenheit dieser Orientierung betrachtet werden kann In diesem Sinne besteht Max Horkheimers Feststellung zu Recht, daß es ohne Theologie auch keine verbindliche Moral und insbesondere keine moralische Politik gibt

Dieser Zusammenhang wird indirekt auch durch Überlegungen von Erich Fromm bestätigt. Mit den Worten der Schlange „Ihr werdet sein wie Gott“, wendet er sich ermunternd an die Menschen unserer Tage. Nach seiner atheistischen Interpretation des Alten Testaments entspricht es durchaus dessen Intention, „daß der Mensch sich unabhängig gemacht hat und Gott nicht länger braucht“ Für ihn ist diese Absage an Gott die Konsequenz eines „radikalen Humanismus“.

Erich Fromm weiß jedoch, daß der Mensch einer Bindung bedarf, um ein ethisch guter Mensch zu sein. Er bedarf, wie Fromm formuliert, einer „XErfahrung“. die sich „in religiösen und philosophischen Systemen (z. B in denen Spinozas) findet, ob sie nun eine Gottesvorstellung enthalten oder nicht“ Den Begriff der X-Erfahrung führt Fromm bewußt ein. um den Begriff der religiösen Erfahrung zu vermeiden, der nach dem gängigen Sprachgebrauch eng mit theistischen Vorstellungen verbunden ist. Schon die Terminologie signalisiert jedoch, daß es sich im Gegensatz zur re-ligio um einen rein subjektiven Begriff handelt, der nicht notwendigerweise an ein Gegenüber rückgebunden ist. Es sind daher Zweifel berechtigt, ob diese X-Erfahrung in ihrer atheistischen Form in der Lage ist. ethisches Handeln bzw. allgemein verbindliche ethische Grundsätze für das Zusammenleben zu gewährleisten.

Bezeichnenderweise erwies sich bei den Auseinandersetzungen der letzten Zeit, bei denen es um Grundentscheidungen zum Schutz des menschlichen Lebens ging, ein rein weltimmanenter Humanismus nicht als Anwalt, sondern eher als Widersacher der Menschenrechte. Tatsächlich läßt sich rein weltimmanent schwer bestreiten, daß es „lebensunwertes Leben“ gibt, daß man es keinem Kind zumuten kann, in eine Umgebung hineingeboren zu werden. in der es von vornherein unerwünscht ist. und daß es „vernünftig“ ist. allen Leidenden, die nur sich selbst und anderen zur Last sind, einen „würdigen“ Tod zu gewähren. Allerdings läßt sich — das wird zumeist nicht konsequent bedacht — mit gleichen oder ähnlichen Argumenten auch die „schmerzlose“ Todesstrafe rechtfertigen, um Verurteilten ein langes Leben hinter Gittern und der Gesellschaft die Kosten dafür zu ersparen, und es lassen sich vergleichbar „vernünftige“ Argumente schließlich auch dafür finden. Menschen, denen nur ein elendes Leben in Not bevorsteht, schmerzlos zu beseitigen. Vor einer rein weltimmanenten, allein an registrierbarem Glück orientierten Vernunft haben Leidende und Elende keine Chance und letzten Endes kein Lebensrecht

Allerdings sorgt — zumindest in vielen Ländern der westlichen Welt — vorerst die fortwirkende Tradition überkommener christlicher Ethik dafür, daß der Verfügung über den Menschen, insbesondere über sein Leben. Grenzen gesetzt sind. Aber es muß nachdenklich machen, daß der Rechtsschutz für das ungeborene Leben bereits erheblich gelokkert ist und daß es höchst aktive Gruppierungen gibt, die unter der Parole eines würdigen Todes auch die Aufhebung des Lebensschutzes für die Endphase des Menschen fordern.

Noch rigoroser ist der Verfügungsanspruch des Menschen über das Tier. Trotz der Bestrebungen der Tierschutzgesetzgebung werden Tiere im Bereich wissenschaftlicher Forschung wie auch in dem bedeutend weiteren Bereich wissenschaftlich ge-planter Tierhaltung in einer Weise behandelt bzw. gequält, die dem Minimum an Bejahung und Achtung. die jedem Geschöpf zukommt. Hohn spricht Schließlich sollte auch die Art und Weise, wie die Umwelt in vieler Hinsicht nicht nur gestaltet, sondern verunstaltet wird, in die Überlegungen einbezogen werden.

Angesichts der ambivalenten Erfahrungen mit einer wissenschaftlich-technischen Weltgestaltung ist es alarmierend, wenn Jacques Monod den heutigen Menschen auffordert, eine allein an der Wissenschaft orientierte Ethik zu konzipieren. Wie er — durchaus zutreffend — darlegt, ist in der Praxis die wissenschaftliche Erkenntnis selbst bereits „zum höchsten Wert, zum Maß und Garanten aller übrigen Werte“ geworden Monod mahnt, diese faktisch schon getroffene Wertentscheidung auch theoretisch bewußt zu vollziehen und konsequent anzuwenden. Falls man diesem Rat folgte, würden die letzten Gegenkräfte gegen eine wissenschaftliche Inhumanität lahmgelegt. Alle Experimente, die im Dienste wissenschaftlicher Erkenntnis aufschlußreich zu sein versprechen, würden legitim und erstrebenswert. Die gesamte Wirklichkeit würde ohne Eigenrecht zum Material möglicher Experimente und wissenschaftlich geplanter Veränderungen degradiert.

Im Gegensatz zu dieser Forderung Jacques Monods steht eine Mahnung, die 1985 gemeinsam vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz verabschiedet wurde. In ihr heißt es: „Der Mensch ist gehalten, den Eigenwert seiner Mitgeschöpfe zu achten, nicht durch einen auf totale Nutzung gerichteten Fortschrittsglauben die Natur bloß vordergründig nach ihrem Gebrauchswert zu bemessen. Denn Dinge und Tiere haben ihren Sinn und ihren Wert gerade auch in ihrem bloßen Dasein, ihrer Schönheit und ihrem Reichtum. Der Mensch ist schließlich gehalten. die Welt als Gleichnis Gottes zu verwalten und zu erhalten.“ Eine solche Forderung kann freilich nur dann glaubwürdig und wirksam in das allgemeine Gespräch eingebracht werden, wenn sie eingebettet wird in einen entsprechenden Kontext, in ein neues tieferes Gesamtverständnis von Gott. Mensch und Welt.

Eine der Voraussetzungen dafür ist eine Erneuerung wissenschaftlichen Denkens. Hierzu gehören vor allem zwei grundlegende Forderungen.

1. Künftige Wissenschaft darf auf die Frage nach dem Wesen und Sinn der Erscheinungen der Wirklichkeit nicht verzichten. Denn ohne diese Fragen verlieren die Erscheinungen der Wirklichkeit ihren besonderen Eigenwert und werden zum bloßen Material jedweden Experimentierens und beliebiger wissenschaftlich-technischer Verwendung.

2. Künftige Wissenschaft darf sich nicht auf einen Methodischen Atheismus festlegen. Denn diese Vorentscheidung programmiert eine Verkennung der Wirklichkeit, sofern diese wesentlich auf Gott bezogen ist. Außerdem macht sie — ob bedacht oder unbedacht ist unerheblich — den wissenschaftlich forschenden und gestaltenden Menschen zum höchsten Wesen und manövriert ihn so in eine Stellung, die ihn überfordern muß.

Um Mißverständnissen und Unterstellungen vorzubeugen sei ausdrücklich betont, daß von künftiger Wissenschaft nur gefordert wird, die Frage nach Wesen und Sinn zu stellen und sich nicht auf einen Methodischen Atheismus festzulegen. Es wird ihr also weder eine bestimmte Antwort auf die Wesens-und Sinnfrage, noch ein positives Bekenntnis zum Theismus abverlangt. Gefordert wird also nicht eine Reglementierung der Wissenschaft, sondern vielmehr eine Aufhebung bislang geltender Denkverböte und somit eine neue Haltung geistiger Offenheit. Denn Wissenschaften, die sich selbst durch Frageverbote wie den grundsätzlichen Verzicht auf die Wesens-und Sinnfrage und durch dogmatische Vorentscheidungen wie die Festlegung auf den Methodischen Atheismus gegenüber allseits freiem und kritischen Denken abriegeln, sind unfähig, ihre Orientierungslosigkeit zu überwinden.

V.

Eine Öffnung der Wissenschaften zu metaphysischem Denken ist eine Voraussetzung zur Überwindung der geistigen Orientierungslosigkeit der Wissenschaft und damit zur Behebung der gegenwärtigen Krise unserer Gesellschaft. Wie dargelegt wurde, und wie die Situation unserer Gesellschaft beweist, stellt sich das Problem der Absurdität einer atheistischen Lebensgestaltung sowohl für den einzelnen wie auch für die politische Gemeinschaft. Die Wissenschaften sind nicht in der Lage, die Rolle der Religion zu übernehmen. Sie sind letztlich selbst orientierungslos.

Angesichts solcher Erfahrungen und der Notwendigkeit einer ethischen Orientierung haben auch atheistische und agnostische Denker zuweilen erklärt, es läge — unbeschadet der Wahrheitsfrage — letzten Endes im Interesse der Gesellschaft. Religion zu fördern. Beispielhaft sei an Voltaires schon klassische Überlegungen erinnert, der sich fragt: „Werden die Menschen tugendhafter, wenn sie einen Gott, der die Tugend befiehlt, nicht mehr anerkennen?“, und aus der Antwort „Zweifellos nicht!“ die Konsequenz zieht: „Wenn es Gott nicht gäbe, so müßte man ihn erfinden.“

Eine solche Forderung zeugt jedoch von einer Mißachtung der Wahrheit. Religion wird zum Instrument, um das menschliche Zusammenleben zu stabilisieren. Eine solche Erniedrigung nimmt der Religion zwangsläufig ihre Glaubwürdigkeit und damit ihre Kraft. Sie wird zum Mittel der Gesellschaftspolitik und damit zum schalen Salz, was man zertritt Daher muß klar ausgesprochen werden: Wenn die atheistische Position der Wahrheit entspräche. so müßte sie trotz aller sich daraus ergebenden Schwierigkeiten durchgehalten werden. Mit einem die Wahrheit verachtenden Einsatz von Religion wäre weder der Religion noch der Gesellschaft gedient.

Die Überlegungen haben jedoch gezeigt, daß der heutige wissenschaftliche Erkenntnisstand selbst zu der Frage herausfordert, ob Mensch und Welt heute nur deshalb als absurd erscheinen, weil man sie ohne ihre grundlegende Bezogenheit auf Gott zu erklären sucht. Damit wird die Wahrheitsfrage mit neuer Dringlichkeit gestellt. Wie im einzelnen dargelegt werden könnte erscheint gerade angesichts des gegenwärtigen Standes unserer wissenschaftlichen Erkenntnis, die in der jüdisch-christlichen Tradition überkommene Offenbarung glaubwürdiger als je zuvor.

Entgegen einer in den Gesellschaftswissenschaften weit verbreiteten Auffassung beruhen auch die positiven Wirkungen der Religion bei der Gestaltung der Gesellschaft nicht primär auf einer formalen Motivationskraft, sondern auf ihrem objektiven Wahrheitsgehalt. Nur scheinbar spricht dagegen die empirisch nachweisbare Tatsache, daß jede von einer Gesellschaft anerkannte Religion — relativ unabhängig von ihrem Kult und ihrer Lehre — zur Stabilisierung der politischen Ordnung beiträgt. Denn trotz aller Differenzen in Kult und Lehre ist allen Religionen eine allgemeine Wahrheit gemeinsam. die letztlich in einer Ahnung der personalen Urbeziehung des Menschen auf Gott hin gründet: die Überzeugung, daß der Mensch eine vorgegebene Ordnung zu achten hat. da nicht er die höchste Instanz, da nicht er absoluter Herr ist.der über alles nach eigenem Ermessen verfügen kann und darf. Diese Wahrheit, die jeder Religion reflektiert oder unreflektiert innewohnt, wirkt der Versuchung menschlicher Willkür entgegen und trägt so zur Stabilisierung von Gemeinschaftsordnungen bei.

Wie stark darüber hinaus die jeweilige konkrete Gemeinschaftsordnung durch humane Grundsätze geprägt ist. hängt weitgehend vom spezifischen Wahrheitsgehal der in ihr herrschenden Religion ab. Hier gibt es erhebliche Unterschiede. Wie uns die Geschichte lehrt und bis in die Gegenwart vor Augen führt, sind keineswegs alle religiös gebundenen Staaten in gleichem Grade menschenwürdig gestaltet. Zuweilen werden Zustände und Maßnahmen. die mit der Menschenwürde und den Menschenrechten unvereinbar sind, wie etwa ständische Privilegien in der Gesellschaft, die Minderstellung der Frau oder eine brutale Rechtspflege, ausdrücklich religiös begründet und motiviert.

Nicht jede Religion fördert also in gleichem Grade jenes humane Programm, das sich die Menschheit in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gegeben hat. Diese Förderung hängt vielmehr von dem mehr oder weniger großen Wahrheitsgehalt der betreffenden religiösen Überzeugung ab. In diesem Zusammenhang ist beachtenswert, daß die wichtigsten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte unterschwellig hervorgehen aus der Überzeugung vom Wert und der Würde jedes Menschen und der Forderung, jeden einzelnen als Person in seinerjeweiligen Besonderheit und seinen Gewissensentscheidungen zu respektieren. Diese Grundsätze jedoch wurden weder in abstrakten Überlegungen entwickelt, noch werden sie in jeder Religion schlechthin vorgefunden, sondern sie entstammen der jüdisch-christlichen Tradition, die sie aus der Offenbarung erkannt und in einer langen Geschichte immer klarer ausformuliert hat.

Dabei handelt es sich gewiß um eine komplexe und vielschichtige Entwicklung. Es gehört zur Tragik der Christenheit, daß sie in ihrer Geschichte allzu oft selbst gegen ihren Auftrag und ihre Prinzipien handelte und daß sie in solchen Situationen nicht nur von ihren eigenen Vertretern zur Umkehr gemahnt. sondern oft durch Druck von außen genötigt wurde, von unangemessenem Verhalten abzulassen. Dennoch ist die Geschichte der Christenheit insgesamt trotz aller Untaten und Verirrungen zugleich durch eine Tendenz zur besseren Wahrung der Menschenwürde und einer entsprechenden Gestaltung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse gekennzeichnet. So ist es kein Zufall, daß jener Katalog von Forderungen, der in unserem Jahrhundert, als Menschenrechte weltweit anerkannt ist — trotz säkularisierter Redewendungen — unübersehbar die Handschrift christlichen Denkens und Empfindens erkennen läßt. Dies ist um so erstaunlicher, da viele der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zusammengefaßten Forderungen in der Zeit der Aufklärung zunächst gegen die offiziellen — vielerorts mit absolutistischen Herrschaftsapparaturen verfilzten — Kirchenführungen durchgesetzt werden mußten. Dabei beruhte die Stärke der — trotz ihrer Polemik gegen die Kirche und zum Teil auch gegen jede Religion — unterschwellig selbst in der christlichen Tradition stehenden Aufklärer vor allem darin, daß ihre Gegner unglaubwürdig waren, daß sie zutiefst gegen ihre eigenen Prinzipien handelten.

Man hat zuweilen formuliert, daß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an einem christlichen Menschenbild orientiert sei. Zutreffender sollte man sagen, daß diese Erklärung unterschwellig aus der christlichen Überzeugung vom Wert und der Würde jedes einzelnen Menschen und von der Notwendigkeit der Achtung seines persönlichen Gewissens geprägt ist. Letztlich zielt sie auf gegenseitige Anerkennung der Besonderheit jedes Menschen im Zustand einer allgemeinen Versöhnung ab

Angesichts dieser Zusammenhänge kann durchaus formuliert werden, daß mit der in der jüdisch-christlichen Tradition überkommenen Offenbarung zugleich die Wahrheit über den Menschen und über die Angemessenheit der Gestaltung seiner Lebensordnung und Lebenshaltung enthüllt wurde. Somit hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ihre die ganze Menschheit verpflichtende Gültigkeit letzthin aus der Wahrheit göttlicher Offenbarung. Trotz des darin gründenden alle Staaten und Menschen verpflichtenden universalen Anspruchs ermächtigt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte allerdings niemanden, also weder die Vereinten Nationen noch sonstige Institutionen, die Achtung der Menschenrechte notfalls mit Gewalt in allen Ländern durchzusetzen Vielmehr begnügt sie sich damit, jedem Menschen, dem diese Rechte verweigert werden, zuzugestehen, in anderen Ländern „vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“

Der Verzicht auf eine gewaltsame Durchsetzung der Prinzipien der Menschenrechte entspringt vordergründig dem pragmatischen Willen, den Frieden zwischen den Staaten nicht zu gefährden, zutiefst jedoch der „gläubigen“ Erwartung, daß sich die Menschenrechte auf die Dauer überall durchsetzen werden, da sie dem Wesen des Menschen entsprechen. Die unterschwellige Bezogenheit der Menschenrechte auf christliche Grundüberzeugungen dokumentiert sich also auch darin. daß beide auf die Wahrheit vertrauen.

Sowenig die Wahrheit zu ihrem Sieg der Gewalt bedarf, so dringend bedarf sie freilich derer, die sie glaubwürdig bezeugen, und nicht zuletzt eines allgemeinen Bewußtseins, das durch den Willen zur Wahrheit geprägt ist. Der Wille zur Wahrheit droht jedoch in dem Maße zu schwinden, in dem die Prinzipien der gegenwärtigen Wissenschaftskonzeption das allgemeine Denken der Menschen beherrschen. Wie diese Überlegungen insgesamt gezeigt haben, bedeutet dies zugleich Sinnlosigkeit. Absurdität und neuartige Formen inhumaner Lebensgestaltung. Daher ist eine neue Konzeption der Wissenschaften nicht nur notwendig, um die geistige Orientierungslosigkeit der Wissenschaften selbst zu überwinden, sondern sie ist ebenso dringend geboten im Namen einer künftigen menschenwürdigen Gestaltung der Welt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Hannah Arendt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt 1955. S. 725.

  2. Ebda.. S. 11.

  3. Ebda.. S. 725.

  4. Ebda.. S. 739.

  5. Ebda.. S. 733.

  6. Ebda.. S. 743.

  7. Vgl. hierzu: Hugo Staudinger/Wolfgang Behler. Chance und Risiko der Gegenwart — Eine kritische Analyse der wissenschaftlich-technischen Welt. Paderborn 1976. S. 213— 224. Wie neuere Veröffentlichungen erhärten, war auch Hitler persönlich „zutiefst davon überzeugt, daß die rassistischsozialdarwinistische Weltanschauung eine wissenschaftliche sei“, vgl. Hans Günter Hockerts. Die nationalsozialistische Kirchenpolitik im neuen Lichte der Goebbels-Tagebücher, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 30/83. S. 24.

  8. Vgl. hierzu auch: Heinrich Petri (Hrsg.). Sinnverständnis und Glaube in der Industriegesellschaft. Paderborn 1976; Reinhard Sprenger (Hrsg.). Fortschritt wozu und wohin?. Paderborn 1976.

  9. Zumeist werden bei den entsprechenden Sammelbänden nicht einmal die Diskussionsbeiträge ungekürzt wiedergegeben; ein Gegenbeispiel bietet die vollständige Dokumentation: Reinhard Wegner. Die Zukunft der Metaphysik. Tonbandnachschrift eines Symposions des Instituts für wissen-

  10. Vgl. hierzu auch die entsprechenden Abschnitte in: Deutsches Institut für Bildung und Wissen. Die Krise des Zeitalters der Wissenschaften. Frankfurt/M. 19642

  11. Zur Bedeutung der Frankfurter Schule für die gegenwärtige Situation vgl. Hugo Staudinger. Die Frankfurter Schule — Menetekel der Gegenwart und Herausforderung an die christliche Theologie. Würzburg 1982.

  12. Zur Gesamtentwicklung vgl. H. Staudinger/W. Behler (Anm. 7). S. 49-63.

  13. Isaak Newton. Die mathematischen Prinzipien der Naturlehre. 3. Buch. 5. Abschnitt, hrsg. von J. Wolfers. Berlin 1872. S. 511.

  14. Vgl. H. Staudinger/W. Behler (Anm. 7). S. 268— 279. wo auch der inzwischen übliche Begriff des Methodischen Atheismus entwickelt wird.

  15. Zum Zusammenhang vgl. auch: Hugo Staudinger/Wolfgang Behler. Grundprobleme menschlichen Nachdenkens — Eine Einführung in modernes Philosophieren. Freiburg 1984. S. 26 f.

  16. Als geradezu klassisch kann die Formulierung in einem Erlaß des preußischen Kultusministers von Goßler aus dem Jahre 1885 gelten: „Versuche am lebenden Tier dürfen nur zu ernsten Forschungs-oder wichtigen Unterrichtszwecken vorgenommen werden . . . Tierversuche dürfen nur von Professoren und Dozenten oder unter deren Verantwortlichkeit ausgeführt werden."

  17. Vgl. hierzu auch: Hugo Staudinger. Zwischen Liebe und Manipulation — Überlegungen zum helfenden und hilfsbedürftigen Menschen. ibw-Journal 9. (1986). S. 3— 13; dazu: Martin L. Gross. Die Seelentester. Düsseldorf 1963; Thomas Regau. Medizin auf Abwegen. München 19613; Manfred Helmchen/Rolf Wienau (Hrsg.). Versuche mit Menschen. Berlin 1986; Stephan L. Schorover. Die Zurichtung des Menschen. Frankfurt/M. 1982; zur Komplexität der Probleme vgl. E. Horst Schallenberger/Helmut Schrey (Hrsg.). Medizin und Politik — Interdisziplinäre Überlegungen und Fallstudien. Duisburger-Studien. Bd. 9. St. Augustin 1984.

  18. Vgl. Bild der Wissenschaft. Stuttgart. Januarheft 1975.

  19. Vgl. hierzu auch: Hugo Staudinger. Ethik als Schranke der Forschung, in: Deutschland-Magazin 8(1987). S. 40f.

  20. H. Arendt (Anm. 1). S. 733.

  21. Dabei wurde der Atheismus von den Repräsentanten des Nationalsozialismus im allgemeinen nicht offen ausgesprochen. sondern verbarg sich hinter Formulierungen wie „der Allmächtige“ oder auch „die Vorsehung“. Trotz derartiger Redewendungen, die offensichtlich gebraucht wurden, um religiöse Gefühle zu binden, erkannte der Nationalsozialismus keinen Gott an.dessen Weisungen für ihn verbindlich gewesen wären.

  22. Wie eng Kult und Terror miteinander verbunden waren, zeigt am konkreten Beispiel: Karl Hüser. Wewelsburg 1933 bis 1945 — Kult-und Terrorstätte der SS. Paderborn 19872.

  23. Carl Friedrich von Weizsäcker. Die Tragweite der Wissenschaft. 1. Bd.. Stuttgart 19662. S. 3.

  24. Vgl. hierzu: H. Staudinger/W. Behler (Anm. 7). S. 80— 88

  25. Vgl. ebda.. S. 276-338.

  26. Vgl. ebda.. S. 168-174.

  27. Vgl. ebda.. S. 292-301.

  28. Vgl. hierzu die von dem Arbeitskreis „Menschliches Leben und Person" des Deutschen Instituts für Bildung und Wissen erarbeiteten „Überlegungen zu einer Krankheit unserer Tage". ibw-Journal. 8 (1987). S. 3— 11.

  29. C. F. von Weizsäcker (Anm. 23). S. 4.

  30. Ebda.. S. 5.

  31. Richard Wagner. Die Kunst und die Revolution, in: Gesammelte Schriften und Dichtungen. 3. Bd.. Leipzig 1871 — 1881.

  32. C. F. von Weizsäcker (Anm. 23). S. 6.

  33. Fritjow Capra. Der kosmische Reigen — Physik und östliche Mystik — Ein zeitgemäßes Weltbild. München 19837. S. 173; die 8. Auflage erschien übrigens unter dem neuen Titel. Das Tao der Physik.

  34. So die oft zitierte Formulierung von Jacques Monod. Zufall und Notwendigkeit — Philosophische Fragen der modernen Biologie. Frankfurt/M.. S. 151.

  35. *Theodor W. Adorno. Negative Dialektik. Frankfurt/M. 1966. S. 364.

  36. Art. 19(2). In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

  37. Günter Gorschenek. Grundwerte in Staat und Gesellschaft. München 1978. S. 21.

  38. Ebda.. S. 22.

  39. Ebda.

  40. Ebda.. S. 53.

  41. Ebda.. S. 54.

  42. Vgl. hierzu auch: Ethel Leonore Behrendt. Gott im Grundgesetz — Der vergessene Grundwert „Verantwortung vor Gott“. München 1980; dies. (Hrsg.). Rechtsstaat und Christentum. 2. Bd.. München 1982; A. von Campenhausen. Grundwerte in Staat und Gesellschaft. epd-Dokumcntation Nr. VIII. a/1977.

  43. Max Horkheimer. Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Furche-Stundenbücher Bd. 97. S. 60f; dazu ders.. Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. Frankfurt/M. 1967. S. 83 f; Vgl. ergänzend: Friedrich Wilhelm Foerster. Politische Ethik. Recklinghausen 1956. S. 295 ff.

  44. Erich Fromm. Ihr werdet sein wie Gott. Reinbek 1980. S. 66. Fromms Intention wird im Einbanddeckel seines Buches in folgender Weise charakterisiert: „Fromms Interpretation ist die des radikalen Humanismus, die deutlich macht, wie die Bibel heute verstanden werden kann: als ermutigendes Beispiel für die Fähigkeit des Menschen, seine eigenen Kräfte zu entwickeln, um zu einer inneren Harmonie zu gelangen und so die Errichtung einer friedlichen Welt zu fördern."

  45. Ebda.. S. 49.

  46. In diesem Zusammenhang sei auch an ein persönliches Bekenntnis von Heinrich Böll erinnert: „Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die.denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke. Alte und Schwache; und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe, für die. die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen. Ich glaube an Christus, und ich glaube, daß 800 Millionen Christen auf dieser Erde das Antlitz dieser Erde verändern könnten. und ich empfehle es der Nachdenklichkeit und der Vorstellungskraft der Zeitgenossen, sich eine Welt vorzustellen, auf der es Christus nicht gegeben hätte.“

  47. Diese Feststellung bedeutet nicht, daß jeder Tierversuch abzulehncn sei und daß es auch unstatthaft sei. Impfstoffe und dergleichen mit Hilfe von Tieren zu gewinnen. Es kann jedoch kein Zweifel bestehen, daß im Bereich der medizinischen Forschung bedeutend mehr Tiere verletzt, infiziert und zu Tode gebracht werden, als notwendig ist. und daß zudem manche Experimente, die den Tieren Qualen zufügen, nur dem wissenschaftlichen Interesse dagegen nicht der Rettung von Menschen dienen. Hier sei beispielhaft nur auf die Verpflanzung von Köpfen hingewiesen. Noch eindeutiger liegen die Dinge bei der allgemeinen Tierhaltung, bei der allein um des Kostenfaktors willen Tiere in einer Weise behandelt werden. die ihnen eine im höchsten Maße ungemäße Lebensweise aufzwingt.

  48. J. Monod (Anm. 34). S. 156.

  49. Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, hrsg. vom Kirchen-amt der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Köln 1985. S. 40.

  50. Nur am Rande sei vermerkt, daß sich diese Forderung voll im Einklang mit der Wissenschaftskritik Theodor W. Adornos befindet, wie sie insbesondere in der Negativen Dialektik entwickelt wird.

  51. Francois Marie Voltaire. Le Philosophe ignorant. Genf 1766 und Dictionnaire philosophique portatif. Genf 1764.

  52. Wilhelm Weber. Wenn aber das Salz schal wird . . . — Der Einfluß sozialwissenschaftlicher Weltbilder auf theologisches und kirchliches Sprechen und Handeln. Würzburg 1984.

  53. Vgl. hierzu mein im Vorspann genanntes Buch: Die Glaubwürdigkeit der Offenbarung und die Krise der modernen Welt — Überlegungen zu einer trinitarischen Metaphysik. Stuttgart 1987.

  54. Vgl. ebda.. insbesondere ist auch im einzelnen nachgewiesen. daß sich die Intentionen Max Horkheimers und Theodor W. Adornos durchaus mit einem angemessenen Verständnis der Offenbarungswahrheiten treffen.

  55. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bezeichnet sich selbst in der Präambel „als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende und gemeinsame Ideal“.

  56. Art. 14. 1.

Weitere Inhalte

Hugo Staudinger. Dr. phil., geb. 1921 in Dresden; zunächst Studium der Theoretischen Physik an der Technischen Hochschule Dresden; nach Wehrdienst und Gefangenschaft Studium der Geschichte und Philosophie in Münster; 1962 Berufung zum ordentlichen Professor für Politische Bildung und Geschichte nach Paderborn, seit 1986 emeritiert; seit 1970 Leiter der Forschungsstelle des Deutschen Instituts für Bildung und Wissen, des Instituts für wissenschaftstheoretische Grundlagenforschung. Veröffentlichungen u. a.: Mensch und Staat im Strukturwandel der Gegenwart. Paderborn 1971; (Hrsg.) Humanität und Religion — Briefwechsel und Gespräch mit Max Horkheimer. Würzburg 1974; Die Frankfurter Schule als Menetekel der Gegenwart und als Herausforderung an die christliche Theologie. Würzburg 1982; (zus. mit Wolfgang Behler) Grundprobleme menschlichen Nachdenkens — Eine Einführung in modernes Philosophieren. Freiburg 1984 (spanische Übersetzung 1986); (zus. mit Johannes Schlüter) An Wunder glauben? — Gottes Allmacht und moderne Welterfahrung. Freiburg 1986; (zus. mit Georg Masuch) Geschöpfe ohne Schöpfer — Zur biologischen und theologischen Problematik des Darwinismus. Wuppertal 1987.