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Die Suche nach einer wirklichkeitsnahen Lehre vom Staat | APuZ 46-47/1987 | bpb.de

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APuZ 46-47/1987 Die Suche nach einer wirklichkeitsnahen Lehre vom Staat Die Autorität der Freiheit Die Stellung des Protestantismus zu Staat und Demokratie Staat und Demokratie in der Katholischen Kirche Artikel 1

Die Suche nach einer wirklichkeitsnahen Lehre vom Staat

Hans-Hermann Hartwich

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Zusammenfassung

Die deutsche Staats-und Verwaltungsforschung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten Ergebnisse erbracht, die vor allem die Realität des modernen „arbeitenden Staates“, also des Staates als Erbringer von Leistungen, widerspiegeln. Diese aspektreichen Forschungsergebnisse über den modernen Staat bedürfen jedoch der theoriegeleiteten Bündelung. Der Ruf nach einer neuen, wirklichkeitsnahen Lehre vom Staat greift frühere Ansätze wieder auf (von Lorenz von Stein, 1887/88, bis zu Wilhelm Hennis und Thomas Ellwein in den sechziger Jahren). Die Forderung nach einer „Neubelebung der Staatsdiskussion“ zielt vor allem auf die Berücksichtigung der Effizienz des modernen Staates. Auch neuere „Staatslehren“, die sich von der Tradition des deutschen Rechtspositivismus gelöst haben (Laband, Jellinek, Kelsen) und dem Ansatz Hermann Hellers folgen, den Staat mithin als Entscheidungs-und Wirkungseinheit begreifen, konzentrieren sich primär auf Staatsformen, -willensbildung und -legitimation. Der Staat als Leistungsträger wird vernachlässigt. Begriffe wie „der überforderte Staat“, die „Grenzen des Regierens“ oder „Entstaatlichung“ signalisieren Überforderungen, aber auch Neuentwicklungen von Staatlichkeit. Die empirische Forschung über die Binnendifferenzierung des modernen „arbeitenden Staates“ vermittelt das Bild des „Kooperativen Staates“, in dem zur Erhöhung und Sicherung der Steuerungsfähigkeit die traditionellen Grenzziehungen zwischen staatlicher Verwaltung und den gesellschaftlichen Institutionen (Unternehmen) und Gruppen (Verbände) verwischt werden. Die geforderte Neubelebung der Staatsdiskussion darf aber nicht allein auf der empirischen Staats-und Verwaltungsforschung aufbauen. Bei der Suche nach einer „wirklichkeitsnahen“ Lehre vom Staat müssen weitere Forschungslinien einbezogen werden. Dies sind vor allem Untersuchungen zum Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaates in einer pluralistischen Gesellschaft. Hier bedarf es staatlicher Souveränität zur Sicherung des inneren Friedens und der Grundrechte. Als wirklichkeitsnahes Staatsbild zeichnet sich ein Regelungssystem „Staat“ ab, das zur Erfüllung seiner Aufgaben immer weiter ausdifferenziert und „kooperativ“ arbeitet, zugleich aber — ständig demokratischer Legitimation bedürftig — abgestufte Wirkungskompetenzen bewahren muß, die ihre höchste „Dichte“ in der Verfügung über das Gewaltmonopol des demokratischen Staates findet. Die Vorstellung abgestufter „Staatlichkeit“ macht zugleich eine Einbeziehung des Informalen als typisches Regelungsmittel des heutigen Leistungsstaates möglich.

I. Die Renaissance der Staatsdiskussion

Im Jahre 1965 zählte Wilhelm Hennis drei Kriterien auf, an denen sich moderne Staatswesen des 20. Jahrhunderts orientierten: Erstens wollen die modernen Staaten Verfassungsstaaten sein („eine von der Einzelperson abgehobene sachliche Ordnung der öffentlichen Gewalt“), zweitens wollen die modernen Staaten demokratisch sein („das Wohl des Volkes soll einzige Legitimitätsquelle, demokratische Mitbestimmung gewährleistet sein“), und drittens wolle der moderne Staat ein Staat sozialer und wirtschaftlicher Leistungserbringung, ein „Leistungsstaat“, sein („Mit beiden, Demokratie und Verfassungsstaat verbunden, aber doch in gewisser Weise indifferent ihnen gegenüber“) Die „Fundamentalproblematik“ moderner Staatlichkeit liege in der wohlfahrts-, sozial-und verwaltungsstaatlich gesteigerten Tätigkeit; der „arbeitende Staat“ (Bertrand de Jouvenel: „tat actif“) werde von der „pouvoir actif“ in seiner Ausprägung und Problematik bestimmt. Den „eigentlichen Kern moderner Staatlichkeit“ sah Hennis also in der „Kraft und Fähigkeit des modernen Staates zur Bewältigung der ungeheuren Aufgaben, die die Herausforderungen der modernen Industriewelt, die sozialen Forderungen emanzipierter Menschen, der Wettbewerb der politischen Systeme ihm abfordem“. Wenn aber dies so sei, dann hätte auch die politische Wissenschaft in dieser Problematik „wenn nicht ihren eigentlichen, so doch einen ganz zentralen Gegenstand zu suchen“.

Was veranlaßt uns zu dieser Rückschau auf 1965? 1987 erschien zum ersten Mal das „Jahrbuch zur Staats-und Verwaltungswissenschaft“ Dieser eindrucksvolle Band bringt eine auch international orientierte Bestandsaufnahme über die Staats-und Verwaltungsforschung, Forschungsberichte aus den Zentren dieser Forschung in der Bundesrepublik Deutschland und gründliche Literaturübersichten. Im Mittelpunkt steht: „Die Neubelebung der Staatsdiskussion“.

Für Hesse (einer der Mitherausgeber des Jahrbuchs) bedarf der demokratische Staat heutiger Prägung einer erweiterten Diskussion, die sich nicht nur auf die für ihn konstitutiven ideellen, konzeptionellen und normativen Grundlagen beschränkt, sondern schwergewichtig eine „wirklichkeitsanalytische Erfassung des Staatshandelns“ einschließt. „Eine solche Erweiterung des . klassischen* Verständnisses einer Staatslehre erscheint dabei nicht nur für die eher akademische Diskussion von Interesse, sondern auch mit Blick auf die laufende politische Auseinandersetzung. Für die in beiden Bereichen deutlichen Polarisierungen wäre es dabei von Vorteil, , den Staat* aus seiner pauschalen Kennzeichnung zu entlassen und sich jenen strukturellen, prozessualen und inhaltlichen Veränderungen staatlicher Aktivität zuzuwenden, die heute erkennbar sind“ (S. 56). Lorenz von Steins — aus dem Jahr 1865 stammendes — Konzept des „arbeitenden Staates“ sei deshalb heute wieder von hoher Aktualität, „weil es darauf abzielte, die Ebenen verfassungsstaatlich organisierter Willensbildung und verwaltungsstaatlich organisierter öffentlicher Handlungsführung als komplementäre Aspekte des Problemkomplexes gesellschaftspolitischer Steuerung aufeinander zu beziehen“ (S. 75 f.).

Die politik-und sozialwissenschaftliche Verwaltungs-und Policy-Forschung hat, gerade auch durch die Herausgeber des Jahrbuchs, einen selbst international betrachtet hohen Standard erreicht. Die Forschungsergebnisse verlangen immer stärker nach einer bündelnden wissenschaftlichen Perspektive. So kommt es zum Ruf „Bringing the state back in“ und auf diese Weise münden die Impulse aus der Verwaltungs-und Policy-Forschung ein in jene generelle Wiederentdeckung des Themas „Institutionen“, die heute international („new institutionalism“) und national wieder zu beherrschenden Fragestellungen geworden sind. Die Entwicklung gibt Anlaß, noch einen Moment beim Thema „Paradigmenwandel" und dem zugrundeliegenden Reflex politikwissenschaftlicher Forschung auf veränderte Konstellationen zu ver-harren, der gelegentlich offenbar zu erstaunlichen Renaissancen früherer Begriffe und Erkenntnisse führt.

II. Zum Paradigmenwandel in der politikwissenschaftlichen Diskussion seit 1967: Die Staats-und Verwaltungsforschung im Schatten von Demokratietheorie und Krisenanalyse

Die vor allem von Wilhelm Hennis und Thomas Ellwein in den sechziger Jahren entworfene „Regierungslehre“ kann im Rückblick als das politikwissenschaftliche „Standbein“ der Erforschung des modernen Staates angesehen werden. Etwa zur gleichen Zeit begann in der Rechtswissenschaft eine Neubelebung „Allgemeiner Staatslehren“, die in unterschiedlichem Maße an die traditionelle deutsche „Allgemeine“ Staatslehre und Staatsrechts-lehre von Laband über Jellinek, Kelsen, Schmitt und Heller anknüpfte, aber auch an Nachkriegs-publikationen wie die von Nawiasky, Laun, G. und E. Küchenhoff oder von Hippel und H. Krüger Ermacora, Herzog, Zippelius, Kriele und von Arnim sind Repräsentanten einer deutschen Staatslehre, die sich bewußt und gründlich mit der politikwissenschaftlichen Staatsanalyse befassen und in unterschiedlichem Grade davon absetzen. Soweit sie in nennenswertem Umfang politikwissenschaftliche Erkenntnisse aus der „Staatswirklichkeit“ übernehmen, handelt es sich überwiegend um den Bereich der (parteienstaatlichen) politischen Willensbildung und um die Erscheinungsformen des insbesondere von Emst Fraenkel entwickelten Modells der pluralistischen Gesellschaft und des ihr angemessenen Staates. Überspitzt könnte man sagen, daß die Repräsentanten einer politikwissenschaftlichen Regierungslehre den Staat als Leistungs-und Sozialstaat, die Vertreter einer juristischen „Allgemeinen Staatslehre“ den Prozeß pluralistischer und parteienstaatlicher Willensbildung, für sich entdeckten.

Nicht ohne Einfluß bleibt dann offensichtlich die sich ausbreitende „antiautoritäre Bewegung“, die 1969 mit dem Kanzlerwort „Mehr Demokratie wagen!“ die Spitze der praktischen Politik erreicht und auch in der Wissenschaft einen anhaltenden Streit über Begriffsinhalt und Grenzen einer „Demokratisierung“ nach sich zieht. Für einen längeren Zeitraum scheinen demokratietheoretische und -analytische Arbeiten, die sich auch in ihrer Begrifflichkeit („System“) vom Staat fortbewegen, die von Hennis aufgeworfene Frage nach der Leistungsstaatlichkeit eindeutig zu überlagern. Der Demokratisierungsdiskussion folgen Untersuchungen zu den sich ausbreitenden Bürgerinitiativen und Protestbewegungen, systematisch dann Fragen nach Charakter und Bedeutung der „Neuen sozialen Bewegungen“ und ihrem parlamentarischen Arm, den „Grünen im Bundestag“. Genereller gefaßt gilt das Interesse der „Krise des Repräsentativ-und des Parteiensystems“ bis hin zu Fragen nach Mehrheitsdemokratie und Minderheitenschutz und nach dem „Wertewandel“.

Der Schein trügt jedoch. Gerade in den Jahren der sozialliberalen Reformpolitik entwickeln sich Politikberatung und Politikfeldforschung („policy studies“) als eine sozialwissenschaftlich-empirisch arbeitende Politikwissenschaft zu einer zuvor unbekannten Blüte; die Standards erreichen die der amerikanischen Vorbilder und überschreiten sie, häufig unter Rückgriff auf die deutsche verwaltungsgeschichtliche Tradition. Das Ende der Reformpolitik und die Notwendigkeit politischer Strategien zur Bekämpfung internationaler und nationaler wirtschaftlicher Krisen können nicht ohne Einfluß auf diese neue, hochqualifizierte und auch praktisch bedeutsame Staats-und Verwaltungsforschung bleiben. Drei Phasen der Entwicklung der Policy-Forschung werden unterschieden Die Phase der traditionellen Politikberatung, die der Reform und die der „Desillusionierung“. Zur dritten Phase der Desillusionierung gehört das Bewußtsein von der gesamtgesellschaftlichen Einbindung der von der Policy-Forschung untersuchten Politikfelder. Klaus von Beyme stellt die Frage: „Do parties matter?“ und lenkt damit die Aufmerksamkeit der Policy-Forschung auf den Gesamtzusammenhang von Policy (Politikfelder, -inhalte), politics (politische Prozesse und Akteure) und polity (politische Institutionen, Normengefüge). Die Policy-Output-Forschung stellt das relative Gewicht ideologischer Bestimmungsfaktoren von Politikergebnissen im Vergleich zu ökonomischen in den Vordergrund National bleibt diese Frage eher offen; fiskalische Schwierigkeiten, internationale Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft sowie die Eigenlogik bürokratischer Apparate im Vollzug regulativer politischer Programme erscheinen ebenso gewichtig. Unbestreitbar ist, daß seit dem Regierungswechsel von 1982 mit der Abkehr von einer aktiven Staatspolitik der gesellschaftlichen Planung und Steuerung die entsprechende Policy-Forschung an Einfluß und Gewicht verliert. Da das Vertrauen auf die Kräfte des Marktes jedoch allein nicht genügt, bleibt diese Forschung in weiten regelungsbedürftigen Politikfeldern nach wie vor grundlegend. Von grundlegender und bleibender Bedeutung sind auch die Ergebnisse der sozial-und politikwissenschaftlichen VerwaltungsforschungI im Bereich des Vollzuges „regulativer Politik“. Das Stichwort ist hier „Implementation“ und „Evaluierung“ politischer Programme. Politische Steuerung, das ist evident, ist mehr als der Beschluß über Gesetze, mehr also als „politische Willensbildung“. Es kommt auch auf den „Vollzug“ an, aber Vollzug ist wiederum mehr als die Erfüllung des Gesetzesauftrages durch die Verwaltung. Dieser Problematik hat sich eine sehr fruchtbare „Implementationsforschung“ innerhalb der Politikwissenschaft angenommen. Sie fragt nach der Konsistenz und der Qualität politischer Programme, nach den Bedingungen des Gesetzesvollzuges, den Erfolgen und Hemmungen und nach der „Wirkung“ des Programmes auf die Adressaten. Mit diesen Fragestellungen hat sich ein breites politikwissenschaftliches Forschungsfeld eröffnet und bewährt. Das Schwergewicht liegt bei Politikfeldem wie der Umweltpolitik, der Arbeitspolitik, der Technologiepolitik, also jenen „Policies“, die für die Modernisierung der Volkswirtschaft und ihre politische Steuerung grundlegend sind.

Als Defizit erwies sich, daß die politikwissenschaftliche „Policy“ -Forschung den Wirkungen der „Politics“, den Willensbildungsprozessen und den politischen Institutionen gelegentlich zu wenig Beachtung geschenkt hatte Dies wurde bereits mit der Frage „Do parties matter?“ angeschnitten. Es findet mit der These „Politics determine policies“ ihren deutlichen, aber nicht unumstrittenen Ausdruck. Aber damit ist der Blick von den Politikinhalten, den „Outputs“, den Ergebnissen, die man auch als „Leistungen“ bezeichnen könnte, „zurück“ zu den „Prozessen der politischen Willensbildung“ und zu den politischen Institutionen gelenkt. Hier gibt es nun erhebliche Unsicherheiten bezüglich der Brauchbarkeit der bestehenden Institutionen für die unumgängliche politische Steuerung auf lebenswichtigen Gebieten. Da wird wieder gefragt, ob und inwieweit Länderparlamente noch den staatlichen Aufgaben gerecht werden oder welche Chancen einer besseren Vollzugsorganisation es in der Verwaltung gibt. Schließlich auch, ob die bestehenden Parteien und Regierungskoalitionen „politikfähig“ genug seien, also noch Kraft zu angemessenen Sachentscheidungen statt billiger Minimalkonsense besäßen.

National wie international tritt gegenwärtig in der Forschung die Neuformulierung von Theorie und Empirie politischer Institutionen stark in den Vor-dergrund Dies bedeutet methodisch ein Zusammenfließen demokratietheoretischer und output-orientierter empirischer Forschung. Die aus der dritten Phase der Policy-Forschung, der „Desillusionierung“, folgende kritische Frage an die politische Willensbildung und die Leistungsfähigkeit der bestehenden Institutionen macht diese Forschungsrichtung auch praktisch-politisch sehr relevant. Es geht um die „Eignung“ der bestehenden politischen Institutionen, wobei darunter nicht nur staatliche Einrichtungen, sondern auch alle kollektiven Instanzen der auf politische Mitgestaltung drängenden Gesellschaft sowie manifeste Rechts-und Verfahrensregeln in Entscheidungsbildung und Implementation gemeint sind. Auch wenn die Vertreter der Staats-und Verwaltungsforschung die von ihnen für notwendig gehaltene Neubelebung der Staatsdiskussion nicht ausdrücklich mit den in den Theoriebereichen verlaufenden Forschungsvorhaben verbinden, muß dieser Zusammenhang durchaus gesehen werden. Die teilweise sehr abstrakt verlaufende neue Staatsdiskussion ist wie die institutionstheoretische auf dem Hintergrund zwanzigjähriger Reform-und „System“ erfahrungen zu sehen. Die Wiederanknüpfung an vorausgehende Denkansätze bedeutet in dieser Perspektive aber auch, daß nun in die alte Begrifflichkeit („arbeitender Staat“ usw.) empirisch fundierte und erfahrungswissenschaftlich gehärtete Neubewertungen einfließen.

III. Befunde: Der „arbeitende Staat“ in seiner Binnendifferenzierung und Steuerungsfähigkeit

Versucht man, die Befunde der sozialwissenschaftlich orientierten Staats-und Verwaltungsforschung knapp vorzustellen, ergeben sich naturgemäß Schwierigkeiten. Es gibt eine Fülle von Partialanalysen zu einzelnen Bereichen des politisch-administrativen Handelns. Es fehlen bislang — so Hesse — „verallgemeinerungsfähige Aussagen“ und der „Rückbezug auf breitere analytische Kategorien“ Mit diesem Dilemma begründet Hesse ja gerade die Notwendigkeit einer Wiederbeschäftigung mit der Staatslehre: „Die Diskussion und die materielle Füllung von Begriff und Verständnis einer Staatslehre könnten katalysatorische Funktionen insofern wahmehmen, als sie geeignet erscheinen, einer zunehmend fragmentierten politik-und verwaltungswissenschaftlichen Diskussion ihren (einen) Rahmen zu geben, den theoretischen, empirisch-analytischen und methodischen Bemühungen Orientierung und Bezugspunkte zu liefern sowie schließlich durch den Ausweis historischer Grundlagen und aktueller Praxisbezüge disziplinären Usurpationsansprüchen entgegenzuwirken, das heißt den Stellenwert der Politikwissenschaft für eine nur integrativ mögliche Staatslehre oder gar Staatswissenschaft zu verdeutlichen.“

Generell kulminiert die Diskussion in Begriffen wie „Der überforderte Staat“ (Matz); „Der geforderte Staat“ (Eichenberger); der „überlastete Staat“ (Watrin) und „Grenzen des Regierens“ (Lehner) Neben diesen aus der Regierbarkeitsdiskussion stammenden Kennzeichnungen stehen „Regierbarkeit" und „Entstaatlichung“ die in diesen Begriffen zum Ausdruck kommende „Entzauberung des Staates“ (Wilke) sowie Belege für die „Politik der Selbstregulierung von Kapital und Arbeit“ durch Volker Ronge „Am Staat vorbei“

Damit wollen wir uns hier nicht zufrieden geben. Denn bis auf Ronges Arbeit belegen alle anderen genannten Autoren nur die heutigen Probleme des demokratischen und sozialen Rechtsstaates, vor allem in der Erfüllung seiner Aufgaben. Sie belegen aber in der Regel nicht im Detail, was denn heute „Staatlichkeit“ ausmache und damit die Notwendigkeit einer wirklichkeitsnaheren Staatslehre begründet. Zu den zentralen Bezugspunkten aller „Staatslehren“ gehören die innere und äußere Souveränität des Staates, die Frage nach der „Einheit“ des Staates (Vgl. hierzu die Abschnitte VI/2 und VI 3 dieses Beitrages) und schließlich im steten Rückbezug auf die von Georg Jellinek um die Jahrhundertwende vorgenommene Trennung der Allgemeinen Staatslehre in eine „Allgemeine Soziallehre des Staates“ und die „Allgemeine Staatsrechtslehre“ die Frage nach dem heutigen Verhältnis von Staat und Gesellschaft Werden diese drei Problembereiche zu Bezugspunkten einer Auswahl unter den Ergebnissen der modernen Staats-und Verwaltungsforschung gemacht, dann fordern vor allem die folgenden Punkte auf den ersten Blick eine Korrektur des bislang vorherrschenden Bildes vom Staat.

Dietrich Fürst geht von dem „beobachtbaren Befund“ aus, „daß die Staatsfunktionen immer vielfältiger und differenzierter werden, daß immer mehr Träger dafür eintreten, daß zudem die Abgrenzung der Staatssphäre gegenüber den verschiedenen nicht-staatlichen Bereichen diffuser wird“. Hier ist also nicht der bekannte Umstand angesprochen, daß „die Gesellschaft“ in Gestalt der Parteien und Verbände Träger moderner Staatlichkeit geworden ist. Es geht nicht um politische Willensbildung, sondern um die Art staatlicher Aufgabenerfüllung. Statt des politisch-staatlichen Handlungs-Zentrumswird für den öffentlichen Bereich ein „multizentrales Handlungssystem“ konstatiert und eine zunehmende Verflechtung des Staates als Handlungsträger mit nicht-staatlichen, gesellschaftlichen Handlungsträgern bei der Erfüllung der in einem pluralistischen Prozeß der Willensbildung und Politikformulierung definierten staatlichen Aufgaben und Funktionen. Die zunehmende Expansion des Staates und die davon ausgehende Durchdringung der Gesellschaft ist heute für die Staats-und Verwaltungsforschung nicht nur ein Problem der „Steuerungsfähigkeit“. Sie führt zugleich zu der Frage nach neuen Formen und Stilen staatlicher Problembearbeitung. . „Formen* — so Fürst (1987, S. 263) — bezeichnet dabei die Handlungs-resp. Entscheidungskonstellationen, die bestimmte strukturelle Bedingungen für die Art der Problembearbeitung schaffen;, Stile* sind Modi der Problembearbeitung, die prozessuale Abläufe und deren normative Steuerung betreffen.“ Diese Frage nach den Problemen des modernen Staates „mit sich selbst“ hat entschieden etwas mit der alten Frage nach der „Souveränität“ und der „Einheit“ des Staates, noch deutlicher: „mit der Durchsetzungsfähigkeit des Staates gegenüber der Gesellschaft“ zu tun. Ist die Frage, die hier aus der „Allgemeinen Staatslehre“ Roman Herzogs (1971, S. 176 ff.) entnommen wurde, überhaupt noch „wirklichkeitsnah“?

Nun gibt es in der Staats-und Verwaltungsforschung noch zu undeutliche Antworten in diesem Zusammenhang. Denn es ist natürlich wichtig, ob es sich bei der Veränderung in der Trägerschaft von Staatsfunktionen um „quasi-staatliche Aufgaben“, „öffentliche Aufgaben“ oder auch „Kollektivfunktionen“ handelt Dies wird auch-deutlich, wenn Fürst vom „unterschiedlichen Stellenwert“ der Trägerschaften im Verhältnis zum Staat spricht und dabei unterscheidet

— nichtstaatliche Organisationen in Problemfeldem, die der Staat nicht adäquat oder noch gar nicht aufgegriffen hat (Selbsthilfegruppen im zweiten Arbeitsmarkt als Beispiel);

— nichtstaatliche Trägerschaften, um den Staat aus bestimmten Problemfeldern herauszuhalten (zum Beispiel wirtschaftliche Selbststeuerung „am Staat vorbei“; Selbstverwaltung im Gesundheitswesen); — Träger, deren Funktion darin besteht, den Staat von der direkten Problembewältigung zu entlasten, die Kosten der Problembewältigung auf nicht-staatliche Stellen zu extemalisieren, auch „Anspruchspuffer“ zu schaffen. Genannt werden hier als Beispiele die Abwälzung unbewältigter Arbeitsmarkt-probleme auf die Gemeinden (Sozialhilfe), das Verursacherprinzip im Umweltschutz, die Ausgestaltung des Arbeitsschutzes; — Heranziehung der Adressaten staatlicher Maßnahmen zur aktiven Mitwirkung bei der staatlichen Funktionserfüllung, zum Beispiel um die Akzeptanz staatlicher Planungen zu sichern, die Effektivität zu erhöhen, „politische Kosten“ durch neokorporative Modelle zu senken.

An diesen Beispielen wird viel über die Realität staatlicher Tätigkeit ausgesagt. Aber welchen Stellenwert haben diese Entwicklungen in bezug auf die „innere Souveränität“ des Staates? Sicher ist, daß die Definitionsmacht über das Problemfeld und die relevanten Problemlösungen der staatlichen Einflußnahme „teilweise“ entzogen sind. Aber kommt darin bereits ein „qualitativer“ Wandel von Staatlichkeit zum Ausdruck? Problembewußtsein auch in dieser Hinsicht klingt an, wenn Fürst von „transitorischen“ Erscheinungsformen in dem Sinne spricht, daß der Staat letztlich Einfluß behält oder zurückgewinnen kann, indem er sich finanzieller und rechtlicher Steuerungsmittel bedient. Fürst sieht aber auch eine Reihe von Erscheinungen in der modernen Staatspraxis, die einer „Funktionsreform im weitesten Sinne“ zuzurechnen seien, und das heiße, daß „im Zusammenspiel zwischen Staat und Gemeinden oder Staat und Privaten die Grenzziehung zwischen Staat und nicht-staatlichen Institutionen neu bestimmt wird“. Dies nun wäre für eine neue und wirklichkeitsnahe Lehre vom Staat sehr bedeutsam. Es bleibt jedoch fraglich, ob die genannten Beispiele — bis auf die Gemeinden — dafür einen Beleg bieten.

Ein weiterer wichtiger Komplex in den Ergebnissen der Staats-und Verwaltungsforschung ist die „zunehmende Verbundproduktion staatlicher Aufgaben“. Hierbei handelt es sich um Felder, „in denen der Staat die positive Kooperation mit nicht-staatlichen Trägern sucht, das heißt, wo die Träger staatliche und quasi-staatliche Aufgaben wahmehmen und wo der Staat ein Interesse daran hat, durch Mitwirken bei diesen Trägem das Handlungsfeld zu beeinflussen“. In diesen, von Claus Offe als „Verbundsysteme der Problembearbeitung“ gekennzeichneten Kooperationen sind die Handlungsträger nicht mehr autonom gegenüber dem Staat. Als Beispiele werden genannt: Staat-Gemeinden; Staat-Wohlfahrtsverbände; Staat-Selbsthilfegruppen. Für die Fragestellung relevant sind hier insbesondere Kooperationen, bei denen staatliche Stellen an sich die Verantwortung für die Problembearbeitung tragen, aber die Inhalte auf dem Verhandlungswege vereinbaren und fixieren. Die Forschung ist jedoch nicht sicher, wann qualitative Veränderungen vorliegen oder wann nur Ausdifferenzierungen. Genau darauf käme es im Zusammenhang mit einer „neuen“ Staatslehre an. Fest steht, daß die heutige Realität staatlicher Handlungsaktivitäten von derartigen Veränderungs-und Ausdifferenzierungsprozessen bestimmt ist. Offen ist, ob es sich um echte „Deinstitutionalisierungen“ handelt oder ob nicht lediglich ein verbessertes Konfliktmanagement und die Gewinnung ausreichender Legitimation vorliegt. Fürst spricht hier davon, daß viele Beobachtungen gerade diesen Eindruck verstärkten.

Für eine bestimmte Interpretation der Begriffe „Souveränität“ und „Einheit“ ist schließlich der folgende Befund von Fürst (1987, S. 266) wichtig: „In den Bereichen der Verbundproduktion staatlicher Aufgaben ist der Staat nicht mehr zentrale Steuerungsstelle, sondern Mitspieler in einem Netzwerk von Handelnden.“ Die Literatur über die faktische Entwicklung zu „vernetzten“ Systemen im staatlichen Handlungsumfeld ist zu vielfältig, als daß sie hier mit irgendeinem Anspruch auf Vollständigkeit vorgetragen werden könnte Wenn der genannte Befund richtig ist, dann sind damit erhebliche Auswirkungen auf die Identifikation von Verantwortlichkeit und auf das staatliche Sanktionssystem verbunden. Daneben steht natürlich die Frage, wie eine Steuerung vernetzter Handlungssysteme überhaupt noch möglich ist. Obwohl die Begrifflichkeit es nahe legen könnte, handelt es sich hier nicht um ein Spezifikum der Systemtheorie. Vielmehr bedeutet „Ausdifferenzierung staatlicher Handlungsaktivitäten“ das Entstehen zahlreicher vernetzter „Subsysteme“, zum Beispiel ähnlich der seit Jahrzehnten bestehenden „Fondswirtschaft“ als mehr oder weniger „graue Zone“ des kooperativen Föderalismus.

Steuerung ohne Steuerungszentrum, Verlust von präzisen Zuordnungsmöglichkeiten im Bereich von Verantwortung und Wirkungsverlust bezüglich der klassischen staatlichen Steuerungs-und Sanktionsinstrumente (Zuweisung von Kompetenzen und Ressourcen, Gebote und Verbote) sind jedenfalls gravierende Veränderungen überkommener Staatlichkeit. Hier darf durchaus mit dem systemtheoretisch argumentierenden Helmut Willke eine „Er-Schöpfung von Hierarchie als Ordnungsprinzip“ konstatiert werden

Claus Offe spricht von dem „Niedergang staatlicher Souveränitätsstrukturen und der Unverzichtbarkeit einer zur . Gesamtverantwortung'kompetenten Instanz gesellschaftlicher Steuerung“ In seiner Deutung der nachweisbaren Ausdifferenzierungsund Veränderungsprozesse in den realstaatlichen Handlungsfeldern sollte der Staat den aussichtslosen Versuch aufgeben, „sich selbst als leitende, planende und regulierende Spitze mit Gesamtverantwortung gegenüber der Gesellschaft zu etablieren“. Eine realistische „staatliche Politik der Staatsentlastung“ sollte nach Alternativen und Substituten für die Bewältigung nicht mehr hoheitlich zu erledigender Funktionen suchen. Um nicht die notwendigen staatlichen Handlungsfelder „der Anarchie von Marktprozessen“ oder einer von partikularen Interessen bestimmten Dynamik zu überlassen, sollte sich der Staat darauf beschränken, „statt autoritativ materielle Regeln zu erlassen und durchzusetzen, parastaatliche Aktionszentren formell zu autorisieren, solche Regeln im Prozeß eines dauernden und verfahrensmäßig gesicherten verhandlungsförmigen Interessenausgleichs zu produzieren“. Joachim Hesse definiert im Zusammenhang mit den Vernetzungserscheinungen staatliche Politik als „Führungsaufgabe“ mit drei strategischen Funktionen: Orientierungsfunktion, Organisationsfunktion, Vermittlungsfunktion. Diese Konsequenz beinhalte eine Veränderung von Staatlichkeit in Richtung auf den „Kooperativen Staat“ (s. u.). Immerhin könne damit der Staat „wieder“ zum „Herrn des Verfahrens“ (in verändertem Verständnis) werden (Jahrbuch S. 73).

Ebenso nahe an den Kem juristischer Staatslehren führt Helmut Willke, wenn er die „Erschöpfung von Hierarchie als Ordnungsprinzip der Gesellschaft“ in Verbindung bringt mit dem Aufstieg der Assoziationen und bei diesem bekannten Thema nicht mehr auf die Beteiligung an der politischen Willensbildung abstellt, sondern genereller auf die „Ausweitung (, inclusion‘) der Teilnahme-, Mitbestimmungs-und Steuerungschancen organisierter und kollektiver Akteure gerade bei solchen „politisehen'Entscheidungen, welche längst den Rahmen herkömmlicher, staatlich organisierter Politik gesprengt haben“ (Jahrbuch 1987, S. 293). System-theoretisch formuliert er: „Weder handelt es sich dabei um eine Vergesellschaftung des Staates, noch um eine Verstaatlichung der Gesellschaft. Vielmehr geht es um einen für komplexe Gesellschaften unvermeidlichen Prozeß der intensiven Verschränkung aller gesellschaftlichen Teilsysteme — einschließlich des politischen Systems — im Sinne einer gleichzeitigen Steigerung ihrer wechselseitigen Independenzen und Interdependenzen. Die Frage bleibt, warum es Staatsrecht, Staatstheorie und Staatssoziologie so schwer fällt, diese faktisch stattfindende Entzauberung des Staates überhaupt wahrzunehmen.“ (Jahrbuch 1987, S. 294)

IV. Politikwissenschaftliche Fragestellungen und Forschungsergebnisse in rechtswissenschaftlichen „Staatslehren“

Den Plädoyers für eine neue, „wirklichkeitsnahe“ Staatslehre, die vor allem den Leistungen und Handlungsweisen des modernen Staates gerecht wird, liegen zwei Argumentationslinien zugrunde. Zum einen ist es das Argument, auch die neueren juristischen „Staatslehren“ nähmen die Ergebnisse politikwissenschaftlicher Forschung in bezug auf das „reale“ Verfassungsleben nur ungenügend in ihre Zeichnung „des“ Staates auf. Zum anderen sieht vor allem Joachim Jens Hesse in der Neubelebung der Staatsdiskussion eine Möglichkeit, die zum Teil sehr disparaten Ergebnisse der Staats-und Verwaltungsforschung theoretisch-konzeptionell zu erfassen und sie im Sinne einer „neuen“ Staats-theorie zu deuten.

Die Prüfung vor allem der ersten Argumentationslinie bedarf hier nicht einer „Aufarbeitung“ der hundertjährigen Geschichte deutscher Staatslehren und Staatsrechtslehren im Zeichen von Positivismus und Antipositivismus, wenngleich einige Namen aus dieser Theoriegeschichte nach wie vor — oder wieder — wichtig sind. Juristische Staatslehren der neueren Zeit verstehen sich nicht mehr ausschließlich als „Normwissenschaft“. Sie folgen kaum mehr Georg Jellinek mit der Scheidung von „Allgemeiner Soziallehre des Staates“ und „Allgemeiner Staatsrechtslehre“. Aber das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft im pluralistisch-demokratischen, sozialen Rechtsstaat bereitet nach wie vor theoretisch wie empirisch offensichtlich kaum überwindbare Schwierigkeiten. Mit dieser Bemerkung ist weniger der anhaltende Disput über die Frage gemeint, ob es auch in diesem Staatstyp eine „notwendige“ Trennung von Staat und Gesellschaft gibt oder geben muß, zum Beispiel um Grundrechte unabdingbar garantieren zu können Vielmehr ist hier mit „Schwierigkeiten“ vor allem gemeint, daß es noch nicht gelungen ist, „Staat“ so zu definieren, daß er als Produkt der Gesellschaft und ihrer Gruppen und nicht als eine Macht neben oder gar über der Gesellschaft begriffen wird, ganz zu schweigen von dem ihm eigenen „Mythos“ Im folgenden muß auch darauf verzichtet werden, die durchaus aktuelle Frage zu diskutieren, ob es unter den Bedingungen der heutigen Welt überhaupt noch möglich ist, eine „Allgemeine“ Staatslehre zu verfassen, also heute noch gleichsam „vom Staat an sich“ zu sprechen (Vgl. aber den Abschnitt VI/1 dieses Beitrages). Es ist richtig, daß Hans Herbert von Arnim die Konsequenz dahingehend zog, daß er eine „Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland“ verfaßte. An dieser Stelle soll dem Gedanken gefolgt werden, daß traditionell mit der „Allgemeinen“ Staatslehre eine Distanzierung von der Staatsrechtslehre vorgenommen wurde. Dies läßt sich mannigfach belegen. Die „Lehren vom Staat“ wollen mehr sein als eine Lehre vom Staatsrecht. Sie wollen auch mehr sein als eine „Verfassungslehre“, obwohl ein solches Vorhaben sich häufig kaum noch von einer „Allgemeinen Staatslehre“ unterscheidet

Unsere Frage lautet: „Welche Institutionen, Prozesse und Inhalte werden in juristischen . Staatslehren'angesprochen, die mehr sein wollen als Staatsrechtslehren oder Verfassungslehren“? Auch dieses Unterfangen kann hier nur exemplarisch sein. Inwieweit werden neue „Staatslehren“ der Realität des modernen Staates gerecht? Sind sie wirklich so defizitär, wie es nach den Forderungen in Richtung auf eine Neubelebung der Staatsdiskussion scheinen könnte? Und wo liegen die Hauptdefizite? Wird etwa zu unreflektiert an einem tradierten Staatsbild festgehalten und resultieren vielleicht daraus die Schwierigkeiten, die heutige Ausdifferenzierung staatlicher Aktivitäten und die Realität der pluralistischen Gesellschaft angemessen einzuarbeiten und systematisch zu erfassen?

An dieser Stelle muß noch ein Wort zu dem Vorbehalt in fast allen juristischen Staatslehren gesagt werden, der juristische Verfasser einer Staatslehre arbeite „normwissenschaftlich“, die Politik-und Sozialwissenschaften, die sich ebenfalls mit dem Staat beschäftigten, seien dagegen „Wirklichkeitswissenschaften“. Dies heißt zunächst einmal, daß fast alle juristischen Staatslehren die Politikwissenschaft als eine notwendige und wichtige Staatswissenschaft anerkennen. Sie weisen aber zu Unrecht gelegentlich ihr allein die Aufgabe der Erforschung der Realität zu und nehmen für sich die normative Perspektive der Staatsbetrachtung in Anspruch Allerdings erscheint diese Frage heute zweitrangig. Jede grundlegende Arbeit muß Aussagen über ihre Methoden enthalten, Reflexionen über Methoden-präferenzen und die Relevanz anderer, nicht präferierter. Die Lehre vom Staat ist eine interdisziplinäre Aufgabe, die von daher heute jeden Methodenmonismus ausschließt.

Wenn gleichwohl Aufarbeitungen vorgenommen werden, die in der Regel bei Sontheimers Beitrag über das Verhältnis von Politischer Wissenschaft und Staatsrechtslehre ansetzen, dann fällt auf, wie wenig die frühe Kritik von Manfred Heinrich Mols Beachtung findet, obwohl sie richtungweisende Bemerkungen enthält. In seiner Arbeit über die Integrationslehre Rudolf Smends hatte Mols geschrieben, Sontheimers Schrift sei beherrscht von dem Glauben an einen „Primat der Gemeinsamkeit“, der die methodischen und vom Gegenstand selbst gesetzten Grenzen beider Fächer zunehmend „verwische“ und eine Abgrenzung vor allem aus praktischen, durch Universität und Gesellschaft bedingten Gründen sinnvoll mache. Sontheimers Ergebnis sei karg: „Die zentrale Problematik einer systematischen Zuordnung wird durch den Hinweis aufeine „partielle Identität'unterlaufen, weil Sontheimers Abgrenzung arbeitsteilig, nicht systematisch ist.“ Genau darum geht es, wie im folgenden noch zu erhärten sein wird. Die systematische Erfassung des Staates in seiner normativen und realen Wirkweise ist die Aufgabe. Dabei sollte der mögliche Einwand gegen einen gegenwärtig überzogenen „Totalitätsanspruch“ nicht schrecken Ohne diesen Ansatz kann die Aufgabe nicht gemeistert werden. Es geht um mehr als um eine „Verbindung von Staatsrechtlehre als normativer Wissenschaft, die ohne die Enge einer positivistisch-formalen Methodik auskommt, und einer Politischen Wissenschaft, die als Wirklichkeitswissenschaft begriffen wird“ (Jahrbuch 1987, S. 57).

Nicht um die „Verbindung“ geht es, nicht um die Unterscheidung zwischen „ruhender Staatsordnung“ und der dynamischen Perspektive des Staates „in seinem Leben“. Schon Hermann Heller hat in seiner „Staatslehre“, die er als Teil der politischen Wissenschaften verstand, diese Perspektive für unzulänglich gehalten Zu Recht wird dieser Verfassungslehrer der Weimarer Republik in modernen Staatslehren besonders häufig und positiv zitiert. Heller formulierte in diesem Zusammenhang, daß „der Staat, wie alle anderen politischen Handlungsformen, nur soweit als Institution existiert, als er in dauernder menschlicher Aktion erneuert wird. Der tiefere Grund für die stärkere Betonung der Statik in der Staatslehre gegenüber der Dynamik in der Politik liegt aber darin, daß jene ihre Hauptaufgabe in der Klärung der für die Politologie zentralen Grundbegriffe erblickt. In diesem Sinne läßt sich die Staatslehre als der allgemeine, begriffliche Teil der theoretisch-politischen Wissenschaft richtig kennzeichnen. So wird es auch verständlich, warum die Politologie konkreter und lebensnäher, die Staatslehre begrifflich und methodisch klarer zu sein vermag“ (S. 53/54).

Ohne seine Darlegungen zu überzeichnen, darf wohl gesagt werden, daß ähnliches Martin Kriele in modernerer Fassung vorträgt: „Politische Wissenschaft vermittelt heute die Tradition sowohl der naturrechtlichen als auch der empirischen Staats

Wissenschaften . . . Sie lehrt Politische Theorie, arbeitet aber auch mit empirisch-soziologischen Methoden und umfaßt zudem Fächer, die früher ihren Ort in der rechtswissenschaftlichen Staatslehre hatten wie (vergleichende) Verfassungslehre, Regierungslehre (government) und Verwaltungslehre (public administration) sowie internationale Beziehungen.“ Nach Krieles Ansicht sollte die rechts-wissenschaftliche Staatslehre sich von der Politikwissenschaft „bereichern und befruchten“ lassen und nicht versuchen, „verlorenes Terrain“ zurückzugewinnen. Denn „der ihr verbliebene Beitrag zu den Staatswissenschaften (ist) wichtig genug und vermag Gesichtspunkte beizusteuem, die ohne sie zu kurz kämen: nämlich das vertiefte Verständnis der staatsrechtlichen Institutionen und ihrer Legitimationsgrundlagen“

Es bleibt nun die Frage, wie heutige „Staatslehren“ inhaltlich verfahren. Denn — so Heller —: „Wer eine Beschreibung des staatlichen Seins gibt, muß, ob er will oder nicht, die in der Gegenwart den Staat aktualisierenden Willens-und Wertgemeinschaften selbst bewerten und zugleich eine Aussage über die staatliche Zukunft machen“ (S. 55). Für die hier gebotene Kurzdarstellung bieten sich exemplarisch die „Allgemeine Staatslehre. Politikwissenschaft“ von Reinhold Zippelius und die „Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland“ von Hans Herbert von Arnim an.

Generell bemerkenswert ist, daß die erstgenannte Staatslehre den Untertitel „Politikwissenschaft“ trägt, obwohl es sich um eine juristische Staatslehre handelt, während von Arnim Wert darauf legt, sich gleichermaßen von herkömmlichen deutschen Staatslehren und von politikwissenschaftlichen Einführungen zu unterscheiden, obwohl er de facto eine politikwissenschaftliche „Regierungslehre“ der Bundesrepublik Deutschland verfaßt hat. Gerade der ausgesprochene politikwissenschaftliche Charakter der Studie von Arnims bringt eine Abkehr von herkömmlichen Staatslehren, die eine kritische Auseinandersetzung mit notwendigen Konstanten und Defiziten dieser Staatslehren unmöglich macht. Von Arnims Buch kann deshalb als eine wichtige und innovative Leistung der „Lehre vom Regierungssystem“ aus rechtswissenschaftlicher Perspektive angesehen werden. Es ist allerdings für die von der Staats-und Verwaltungsforschung auf-geworfenen Fragen an „die Staatslehre“ untypisch. Ganz anders verhält es sich mit der „Staatslehre“ von Zippelius. Sie enthält an keiner Stelle eine Begründung dafür, warum ihr Untertitel „Politikwissenschaft“ lautet. Dies ist auch keine politikwissenschaftliche Lehre vom Staat. Aber, diese „Allgemeine Staatslehre“ ist das Musterbeispiel für eine Art „additives Verfahren“. Die politikwissenschaftlichen Fragestellungen finden eine teilweise erhebliche Beachtung. Aber diese „Beachtung“ entspricht nicht immer dem Stand der politikwissenschaftlichen Forschung, und sie ist in spezifischer Weise „selektiv“. Gemäß den Fragestellungen und Routinen herkömmlicher Staatslehren erfolgt die Aneignung der Politikwissenschaft fast ausschließlich im Bereich der Legitimation und der Staatstypenlehre, die Form und Willensbildung, jedoch nicht Staatshandeln und Ergebnis in den Mittelpunkt stellt. Demgegenüber erweisen sich früher strittige Punkte wie die sozialwissenschaftliche Typenbildung und das Verhältnis zwischen Norm und Wirklichkeit als offensichtlich undramatisch. Normen sind bereits „Elemente der Staatswirklichkeit“. Um die Wirksamkeit der Normenzuordnung zu erkennen, bedürfe es einer Betrachtungsweise, die das Zusammenspiel von Norm und Normverwirklichung erfaßt. Mit der Frage nach Normen-vollzug, „Aktualisierung“ und „Durchsetzungschancen“ enthält diese Staatslehre ihren „dynamischen“ Charakter. Die Methode der Erfassung von „Staatswirklichkeit“ folgt weltanschaulichen Deutungsmodellen mit ihren Handlungszielen und Auswahlkriterien. Sie besteht auch darin, daß Gemeinsamkeiten und Gegensätze hervorgehoben und damit etwa Monokratien und repräsentative Demokratien, totalitäre und liberale, dirigistische und pluralistische Staaten mit den ihnen je eigenen Merkmalen unterschieden werden. Mit „klärenden Theorien“ sollen regelmäßige Wirkungszusammenhänge erfaßt und Aussagen darüber gewonnen werden, welche Ursache stets oder mit einer angebbaren Wahrscheinlichkeit zu bestimmten Wirkungen führten. Diese Theorien — so Zippelius — müßten „in konsensfähiger Weise einer kritischen Überprüfung standhalten“ (S. 10).

Die Staatstypen-oder Staatsformenlehre hat die Politikwissenschaft der deutschen Nachkriegszeit nachhaltig geprägt. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Karl Loewensteins „Verfassungslehre“ (1959) wieder in den Blick. Die Literatur ist insgesamt sehr reichhaltig und aspektreich. Aber sie gehört heute eher zu einer Politikwissenschaft, die noch nicht auf eine vertiefte theoriegeleitete sozialwissenschaftliche Forschung vor allem der Realität pluralistischer Gesellschaften aufbaute.

Zippelius trägt neueren Arbeiten über den „pluralistischen Staat“ inhaltlich durchaus Rechnung. Das Korsett der „Staatstypen“ seiner zweiteiligen Staatslehre wird in unterschiedlicher „Dichte“ politikwissenschaftlich „gefüllt“. Die hier vor allem interessierende Analyse und Darstellung des Leistungsstaates unter den Bedingungen einer offenen pluralistischen Gesellschaft und mit dem entscheidenen Einfluß konkurrierender Parteien auf alle staatlichen Institutionen folgt bei aller Differenziertheit und Abwägungen dem traditionellen — und bei Carl Schmitt antipluralistisch auf die Spitze getriebenen — Verständnis von der Notwendigkeit einer einheitlichen Staatsgewalt (§ 26 IV) und vom „vernünftigen Sinn“ der alten Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft — gerade im pluralistischen Staat (§ 27).

Zippelius befaßt sich an den verschiedensten Stellen seiner Staatslehre mit den Realitäten der pluralistischen Gesellschaft. Dies kann hier nicht weiter aufgelistet werden. Er verwendet dabei in starkem Maße politikwissenschaftliche Literatur. Schon die Auswahl dieser Literatur, mehr noch jedoch die Ergebnisse seiner Abwägungen zeigen, daß er die Realität des modernen Staates mit seinen Methoden nicht angemessen in den Griff bekommt. Das gelingt dem Juristen von Arnim in seiner Staatslehre wesentlich besser.

Das Problem scheint bei Zippelius in dem Umstand zu liegen, daß er bei aller Heranziehung von „Politikwissenschaft“ im Kem nur flexibler als frühere Staatslehren auf die herandrängenden Erkenntnisse über den pluralistischen politischen Prozeß reagiert. Auch ist die Einordnung dieser Erkenntnisse in die unterschiedlichen Aspekte der Staatstypen „moderner“ als die dogmatische Ordnung älterer Staatslehren. Der Realität des modernen Staates wird er nicht gerecht, weil er neue Erkenntnisse seinem normativ gesetzten Darstellungsgerüst „einordnet“, nicht fragt, ob die Erscheinungen der pluralistischen Gesellschaft, die Existenz und das Wirken „sozialer Gewalten“, der Parteien, der „öffentlichen Meinung“ zu einer neuen Qualität geführt haben. Insbesondere vermag die Darstellung der politischen Parteien überhaupt nicht zu überzeugen Die Parteien erscheinen in ihrer Eigenschaft als Mittler von Interessen, als Instrumente organisierter Konfliktbereinigung, als mediatisie-rende Institutionen gegenüber dem Zugriffder Verbände auf staatliche Ämter. Der wichtige Abschnitt „Parlamentarische Kontrolle und Parteienherrschaft“ (§ 41III 2) registriert die durch die modernen Parteien herbeigeführte „neue Gewaltenteilung“ im parlamentarischen Regierungssystem, nämlich jene zwischen Regierungspartei(en) einerseits, parlamentarischer Opposition andererseits. Aber es wird nicht durchdacht, ob und inwieweit sich durch diesen immerhin außerordentlichen Zugriff der Parteien auf staatliche Institutionen wie Parlament, Regierungen, Ministerialbürokratie usw. Normen und Form des heutigen Staates verändert haben könnten. Zippelius geht es allein um Kontrolle. Dem „Parteienparlamentarismus“ stehe mit den Wählern als letztinstanzlichen Schiedsrichtern die „plebiszitäre Komponente des Gesamtsystems“ entgegen.

Die in das Schema „Wirken“ und „Kontrolle“ eingeordnete Darstellung des pluralistischen Systems ergibt sich logisch aus der vorweggenommenen und durchgehaltenen „Gegenüberstellung“ von Staat und Gesellschaft. Alle auch negativen Erscheinungen der pluralistischen Staatswirklichkeit können nach Zippelius so hingenommen werden, weil damit dem „Bedürfnis nach einer regulierenden Instanz“ in dem „Gefüge widerstreitender Interessen-und Mächtegruppen“ entsprochen wird. Diese Art Scheidung von Staat und Gesellschaft erscheint sehr grundsätzlich, und sie ist es wohl auch. Dennoch sieht Zippelius an anderer Stelle (§ 27 II) Staat und Gesellschaft als „Kategorien einer Funktionen-und Rollendifferenzierung“. Unter Berufung auf Hegel und Lorenz von Stein sieht Zippelius aber auch im pluralistischen Staat die Notwendigkeit gegeben, daß dem „System der Bedürfnisse“ eine regulierende Instanz gegenübersteht. Dort liege die Bedeutung und die Rolle des Staates, die staatliche Funktion des Interessenausgleichs, während gesellschaftliche Aktivitäten, die als „private“ definiert werden, nicht an die Richtschnur eines gerechten Interessenausgleichs gebunden seien. Die unterschiedlichen Funktionen und Rollen machten die Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft sinnvoll. Das Grundproblem dieser idealtypischen Scheidung leuchtet auch bei Zippelius sogleich auf: Im pluralistischen Staat sind es ein und dieselben Menschen, die hier in staatlichen, dort in gesellschaftlichen Rollen handeln. Im übrigen müsse das Wirken der „sozialen Gewalten“ mit eigenen Regelungssystemen bedacht werden, die allerdings unter der „überlegenen Regelungsmacht der Staatsgewalt“ stünden.

Die Herbeiführung eines gerechten Interessenausgleichs — Aufgabe der staatlichen Institutionen — sei nicht allein mit rechtlichen Mitteln zu gewährleisten. Die Lösung dieses Problems sieht Zippelius nicht in einem selbstkritischen Überdenken dieser „Rolle des Staates“, sondern in der Suche nach Distanz von Interessenbindungen. Da das Parlament vom Interessenausgleich nicht gelöst werden kann, sei es dringlich, andere staatliche Funktionsbereiche, „die sich ausdifferenzieren lassen, weitestmöglich von den Einflüssen bestimmter Interessengruppen unabhängig zu machen“. Dies gelte besonders für die Gerichtsbarkeit und die Bürokratie, „die sich als Sachwalter eines unparteiischen Interessenausgleichs einsetzen lassen“, nicht zuletzt auch für die sachkundige Ministerialbürokratie bei der Mitgestaltung der Regierungsgeschäfte. Diese „Politikwissenschaft“ wird den normativen wie empirischen Strukturen und Funktionen des pluralistisch-parteienstaatlich funktionierenden modernen Staat nicht gerecht. Sie kehrt in abgewogener Form zur alten Staatsideologie zurück. Sie erfüllt auch in bezug auf Struktur und politische Willensbildung im modernen Staat nicht die Erfordernisse einer systematisch verfahrenen „Staatslehre“. Bezüglich der „Output-Seite“ moderner Staatlichkeit soll noch konstatiert werden, daß die einschlägigen Abschnitte der „Allgemeinen Staatslehre“ von Zippelius unter der Überschrift: „Der regelungsintensive Industriestaat“ und mit den Teilen „Regelungs-und Vorsorgebedarf im modernen Staat“, „Planung als Instrument rationaler Sozial-gestaltung“ und „Rolle der Bürokratie“ (§§ 35— 37) ganz allgemeine Reflexionen enthalten. Literatur zur empirischen Staats-und Verwaltungsforschung wird nicht genannt. Die Durchsicht dieser Staatslehre unter dem Aspekt empirisch nachweisbarer veränderter Anforderungen an Regierung, Verwaltung und Leistungsstaatlichkeit ist ernüchternd. So erscheint insgesamt betrachtet die Warnung Martin Krieles berechtigt: „Wollte die rechts-wissenschaftliche Staatslehre versuchen, anstatt sich von der Politischen Wissenschaft bereichern und befruchten zu lassen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen oder mit der Politischen Wissenschaft zu konkurrieren, so würde sie sich zum Dilettantismus verurteilen.“ Die Staatslehre von Zippelius kann aus sich heraus nicht begründen, daß sie sich zu Recht eine „Politikwissenschaft“ nennt«

V. Der „Kooperative Staat“ als Kristallisationspunkt eines neuen Staatsverständnisses?

Wie aber stellen sich die Vertreter der politikwissenschaftlichen Staats-und Verwaltungsforschung eine „Staatslehre“ vor, die auf den Staat bezogen Ideengeschichte, Demokratietheorie und „Handlungslehre des Staates“ (Regierungslehre) systematisch vereint? Joachim Jens Hesse empfiehlt den Rückgriff auf frühere Ansätze zur Entwicklung einer Staatslehre und findet bei Lorenz von Stein den Verweis auf den „arbeitenden Staat“, „der sich zur Kennzeichnung des hier zu umreißenden, die Selbstbeschränkung klassischer Staatslehren aufgebenden Ansatzes eignet“ (Jahrbuch 1987, S. 75). Steins Konzept sei deshalb von hoher Aktualität, weil es darauf abziele, die Ebenen verfassungsstaatlich organisierter Willensbildung und verwaltungsstaatlich organisierter öffentlicher Handlungsführung als komplementäre Aspekte gesellschaftspolitischer Steuerung aufeinander zu beziehen. In der Orientierung an dynamische Bewegungsvorgänge könnten Fiktionen überwunden werden, wie zum Beispiel die Vorstellung eines staatlichen Handelns nach dem Befehls-Vollzug-Modell im modernen Staat. „Mit der Wiederaufnahme des Begriffes soll . . .deutlich werden, daß die historisch gebundene staatliche Gegenwart, die heutige Staatspraxis, ihr konkretes Handeln unabdingbarer Bestandteil einer Staatslehre oder wohl umfassender: der Staatswissenschaften sein müßten.“ Letzteres dürfte in dieser Allgemeinheit unstrittig sein. „Zwar geht es im Rahmen einer zeitgemäßen Staatslehre auch um die Wiederaneignung der ordnungspolitischen Vorstellungen der Ideengeschichte und um eine Wiederaufarbeitung der theoretisch-normativen Grundlagen der Demokratie-und Verfassungstheorie, entscheidend jedoch ist hier der explizite Einbezug der Handlungsebene des Staates, ihrer konkreten Ausgestaltung, ihrer prozessualen Elemente, ihrer dynamischen Entwicklung“ (Jahrbuch 1987, S. 77). Diese Forderung bedeutet eine Sprengung der bislang bevorzugten statischen Analyse in juristischen Staatslehren; es ist eine Verstärkung des schon bislang geforderten Beitrages der Politikwissenschaft, hier nun vehement bezogen auf die Wirklichkeit des Staatshandelns.

Schwierigkeiten dürfte dabei die „Praxisfrage“ bereiten. Denn Staatslehren sind nicht Untersuchungen zur Staatspraxis. Allerdings ist Joachim Jens Hesse kaum zu widersprechen, wenn er die analytische Erfassung der Realität des „arbeitenden“ Staates einfordert, deren angemessene Erfassung jedoch theoriegeleitet sein müsse. Hierfür schlägt Hesse Verfahrensschritte vor, nämlich heuristisch zu unterscheiden zwischen dem Prozeß der Staats-bildung und Staatsdifferenzierung (historische Analyseebene), der Ausgestaltung der Staatsorganisation (institutionell-strukturelle Analyseebene) und der konkreten Staatspraxis (prozessual-inhaltliche Analyseebene). Diese analytischen Verfahrensschritte sind nun noch keine Staatstheorie. Sie könnten jedoch zu einer solchen führen. „Sie signalisieren den Weg vom hoheitlichen zum korporativen Staat, von der zentralstaatlichen Weisung zur dezentralen Koordination, von der regulativen Steuerung zur partnerschaftlichen Übereinkunft, von der Normsetzung zur Überzeugung“ (Jahrbuch 1987, S. 80). Dies ist die wohl wichtigste Konsequenz der empirischen Staats-und Verwaltungsforschung: Ein verändertes Staatsverständnis, „das unter Verzicht auf rechts-und politikwissenschaftliche Dogmatiken einen . kooperativen Staat* zu kennzeichnen sucht.“

Der Begriff des „kooperativen Staates“ wurde vor allem von Ernst-Hasso Ritter zeitgemäß bearbeitet Ritter konstatiert als Ergebnis der Staats-und Verwaltungsforschung, daß das herkömmliche Definitionselement des juristischen Staatsbegriffs, nämlich die Verfügung über einseitig-hoheitliche Machtmittel des Staates gegenüber den Wirtschaftssubjekten, abgelöst sei durch das „Prinzip der Zweiseitigkeit oder der Zusammenarbeit“. Es regiere heute nicht das Prinzip von Befehl und Gehorsam, sondern das Prinzip des do-ut-des. Die Kooperation gehe weit über den Vertrag hinaus in neuartige Kooperationsformen, vor allem im Bereich von Planung und Steuerung, die nicht die Regelungsdichte von Verträgen erreichten. Die neue Form der Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft enthalte die Züge eines „Gesellschaftsverhältnisses“ sei jedoch kein neues Rechtsverhältnis. Die Zusammenarbeit sei erfahrungsgemäß um so fruchtbarer, je informeller sie sei. Partner in der kooperativen Planung seien die Unternehmen, vor allem die großen, und die Verbände der Wirtschaft. Eine einseitig-hoheitliche Handlungsweise des Staates widerspreche dem Prinzip der notwendigen Kooperation zur Errei-chung der Ziele des modernen Leistungs-und Steuerungsstaates.

Mit dem Übergang zur „kooperativen Planung“ habe auch die pluralistische Gesellschaft eine neue Phase, nämlich die eines „kooperativen Pluralismus“ erreicht. Der kooperative Staat sei ein Staat, der sich der Träger sozialer und ökonomischer Macht zur Umsetzung seiner Ziele bediene „und der öffentliche Aufgaben zur korporativen Erledigung mit eben diesen Machtträgern . vergesellschaftet'", wie Herbert Krüger schon 1974 geschrieben habe. Deshalb könne nicht mehr von einer Distanz zwischen Gesellschaft und Staat ausgegangen werden. „Die Begriffe , Staat'und . Gesellschaft'können hier folglich nicht länger im Sinne eines normativ vorgegebenen Dualismus gebraucht werden.“ Man erinnere sich an dieser Stelle der Staatslehre von Zippelius, aber auch an Böckenförde.

Es wäre nach Ritter eine Fehleinschätzung, dem kooperativen Subsystem eine verfassungsrechtliche Unerheblichkeit zu bescheinigen. Vielmehr trete es in Konkurrenz zu traditionellen Institutionen der politischen Willensbildung mit besonderer „sozioökonomischer Legitimation“. Mit diesen Ergebnissen der Realanalyse ist — so darf man Ritter folgen — die etablierte verfassungsrechtliche Doktrin herausgefordert. Im Gegensatz zu Herbert Krüger — und anderen neuen Staatslehren — muß registriert werden: „Der kooperative Staat ist nicht der Rechtsstaat traditioneller Substanz, der bloß Arbeitsweise und Arbeitsstil'gewechselt hat; das Zurücktreten der hoheitlichen Machtmittel rührt vielmehr an Wirksamkeitsvoraussetzungen des Rechtsstaates. Nicht von ungefähr laufen die meisten Kooperationsvorgänge auf Schienen, die außerhalb der rechtsstaatlichen Formtypik liegen“ (S. 409).

Zweifellos bleibt die von Ritter selbst aufgeworfene Frage, ob man wegen der Macht der Fakten schon das in der neuen Verschränkung zwischen Staat und Gesellschaft verfestigte subkonstitutionelle System für vernünftig erklären müsse. Ein Verfassungsrecht, das seine normative Kraft bewahren wolle, müsse die Herausforderung annehmen. Eine Verfassungstheorie des „kooperativen Staates“ wird gefordert; eine unvoreingenommene Analyse der realen Situation sei dafür allerdings unabdingbar.

VI. Die notwendige Erweiterung des analytischen Konzepts für eine neue und wirklichkeitsnahe Staatslehre

Die Analysen zum „arbeitenden Staat“ und die Ansätze zu einer Theorie des „kooperativen Staates“ vermögen zu überzeugen, auch wenn, realanalytisch betrachtet, sehr wichtige Faktoren außer Betracht bleiben: Es sind dies die Elemente gesellschaftlicher Macht und die Auswirkungen sozioökonomischer Machtkonstellationen, die geeignet sind, die „Kooperation“ zu einer oligopolistischen auszugestalten. Dennoch treffen sie mit ihrer Be-grifflichkeit den Kem des Staatsbegriffs herkömmlicher Staatslehren. Aber ist das schon ausreichend, um genereller eine „Neubelebung der Staatsdiskussion“, genauer: eine Neufassung wirklichkeitsnaher „Staatslehren“, für selbstverständlich zu halten? Mit anderen Worten: Wie generell gelten die nachweislichen Veränderungen der staatlichen Substanz? Um diese grundlegende Frage zu beantworten, soll erneut auf die zentralen Begriffe der Staatslehren eingegangen werden. Zur Erlangung eines vorerst abschließenden Urteils ist es geboten, dabei neuere Forschungen einzubeziehen, die nicht dem „arbeitenden Staat“ zugerechnet werden können.

L Zum Konzept einer „Allgemeinen“ Staatslehre Die spezifische deutsche Tradition des Rechtspositivismus, die juristischen Staatslehren nach wie vor Schwierigkeiten bereitet, läßt es nicht sinnvoll erscheinen, an den Entwurf einer „allgemeinen“ Staatslehre heranzugehen. Die Staatenwelt und ihre staatlichen wie gesellschaftlichen Traditionen sind zu vielgestaltig. Die europäische Staatenwelt des 19. Jahrhunderts, die die angelsächsische Rechtstradition überdies noch weitgehend unbeachtet ließ, konnte vielleicht noch den Versuch legitimieren. Die Staatenwelt am Ende des 20. Jahrhunderts läßt dies nicht zu. Nun könnte es aber sein, daß die „westlichen Demokratien“ (E. Fraenkel) mittlerweile unter erheblichem und jahrzehntelangen Einfluß britischer und vor allem amerikanischer Staatsgestaltung soweit in ihren Strukturen, Prozessen und inhaltlichen Ausgestaltungen aneinander gerückt sind, daß für diesen „Staatentypus“ eine „allgemeine“ Staatslehre naheläge.

Eine solche Idee könnte eines Tages verwirklicht werden. Unverkennbar ist in der Tat die Annäherung von Rechtsstrukturen und politischen Prozessen im Zeichen des erstaunlichen Wohlfahrtsaufschwunges seit dem Zweiten Weltkrieg und unter den Bedingungen entfalteter pluralistischer Gesellschaften, die ökonomisch und kulturell immer enger verflochten werden. Dennoch scheinen die vergleichenden Studien noch erhebliche Vorsicht nahezulegen. Das deutsche Staatsdenken, das französische gar, unterscheiden sich nach wie vor beträchtlich vom angelsächsischen Modell und der diesem zugrundeliegenden Funktionsweise des „common law". Ein „Kooperativer Staat“ der von Ritter skizzierten Art hat sehr viel mit der deutschen Tradition der Verwaltung und des Staatsinterventionismus, mit dem Sozialstaat und der Mitbestimmungsidee zu tun. Diese Andeutungen mögen genügen. Es geht bei der Neubelebung der Staatsdiskussion primär zunächst um eine Staatslehre, die in System und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ihren Kristallisationspunkt findet. Dies schließt Staatstypenreflexionen und „Modelle“ keineswegs aus. Diese Frage nach einer „allgemeinen“ oder „speziellen“ Staatslehre erscheint aber unbedeutend angesichts anderer, überwiegend aus der theoretischen Tradition erwachsener Problemstellungen. 2. Staat und politische Einheitsbildung „Wenn vom , Staat* die Rede ist, dann meist lediglich in jener aggregierten Form, die eine Einheit und Geschlossenheit des Gegenstandes unterstellt, von der nach aller empirischen Erkenntnis nicht (mehr) die Rede sein kann.“ So resümiert Joachim Jens Hesse (Jahrbuch 1987, S. 64) zum Stand der Staats-und Verwaltungsforschung. Nun ist der Begriff „Einheit“, „Einheitsbildung“ als Element von Staatlichkeit, Kembestand traditioneller Staatslehren. Die Bedeutung eines solchen Resümees wäre also zu prüfen. Allerdings kann auch hier die grundsätzliche Problematik nur angedeutet werden. Von einer Auflösung der rechtlichen Einheit der Staatsgewalt könne — so Zippelius — auch im pluralistischen Staat keine Rede sein. Soziale Kräfte könnten ihre Bestrebungen nur mittels eines Gesetzes, eines Verwaltungsaktes oder sonstigen Rechtsaktes in die Rechtswirklichkeit transportieren. Sie bedürften also der rechtlichen Zuständigkeiten der Staatsgewalt. Die rechtlichen Kompetenzen seien die Instrumente, um Konflikte sozialer Instanzen rechtlich zu entscheiden. „Diese Kompetenzen stehen im modernen Staat in einem homogenen System und unter derselben Kompetenzenhoheit. Kurz, die unbestreitbare Vielfalt der politischen und gesellschaftlichen Kräfte entfaltet ihre rechtliche Wirksamkeit in einer homogenen Ordnung öffentlich-rechtlicher Kompetenzen“ (S. 225).

Diese Feststellung ist nach den Beobachtungen von Ritter unzutreffend. Ist damit das Element „Einheit“ vom Tisch, bzw. machen neue Kooperationsformen zwischen Staat und Gesellschaft neuartige Interpretationen der sogenannten „Einheitsbildung“ erforderlich? So jedenfalls ist es auch bei Häberle zu lesen: „Die , Einheit der Staatsgewalt* ist angesichts der Vielzahl und Größe seiner Leistungsfunktionen pluralistischen, d. h. Kooperationsformen gewichen; die Gewaltenteilung beginnt sich in neuen Verbundformen zu differenzieren .. . Der Leistungsstaat öffnet sich und beginnt, Teilbereiche der Gesellschaft zu integrieren.“ Es ist dies das Bild des Staates als ausdifferenziertes Regelungssystem; es paßt zum „Kooperativen Staat“.

Daß aber diese Frage nicht ausdiskutiert ist, zeigt zum Beispiel die behutsame Behandlung des Begriffs „politische Einheitsbildung“ bei Konrad Hesse Es gehe bei diesem Begriff nicht um die abstrakte und statische Einheit einer gedachten juristischen Person „Staat“. Der Begriff „Einheit“ bezeichnet für K. Hesse eine zum Beispiel durch Zustimmung herbeigeführte Handlungseinheit, eine Einheit funktioneller Art. Damit werde die Voraussetzung für verbindliche Entscheidungen gegeben, „daß also , Staat* besteht“. In diesem Sinne bleibt „Einheit“ ein tragendes Element des modernen Staates, die Grundlage von Konfliktaustragung und geregelter Entscheidung. Einen Rückgriff auf frühere Vorstellungen vom Staat als einer jenseits realer geschichtlicher Kräfte stehenden, vorgegebenen oder wesenhaften „Einheit“ könne es nicht geben. Jedoch sei der Staat als einheitlicher Handlungs-und Wirkungszusammenhang nur dort gegeben, wo die Aufgabe der politischen Einheitsbildung und -erhaltung gelöst sei. „Der Staat läßt sich nur erfassen, wenn er in diesen beiden Dimensionen als stets zu bildende, zu bewahrende und fortzubildende Einheit und als Handeln und Wirken der auf dieser Grundlage konstituierten , Gewalten* begriffen wird“ (S. 7). Wie läßt sich diese Interpretation mit dem „Realbild“ des „Kooperativen Staates“, dem des ausdifferenzierten Regelungssystem verbinden? Diese Frage ist noch lösungsbedürftig. 3. Stellenwert und Deutung des Souveränitätsbegriffs Das Problem der „Einheit“ der Staatsgewalt stellt sich auch im Zusammenhang mit dem Begriff „Souveränität“. „Gäbe es im Staatsgebiet eigenständige hoheitliche Kompetenzen, über die kein Staats-organ verfügen könnte, so würde — nach Ansicht von R. Zippelius — der Staatsgewalt ex definitione die Kompetenzenhoheit (Kompetenzkompetenz, d. Verf.) und damit die Souveränität fehlen“ (S. 59). Demgegenüber erscheint die Souveränitätsfrage bei J. J. Hesse als „Autonomie des Staates“. Sie werde — wenn auch faktisch nie gegeben, von den Handlungsträgern aber dennoch subjektiv so empfunden — immer weiter zugunsten kooperativer Strukturen zwischen Staat und gesellschaftlichen Handlungsträgern aufgelöst; die Aufgabe des Staates konzentriert sich danach auf die Wahrnehmung von Führungsfunktionen: „Kooperation, Koordination und Moderation stehen dabei im Vor-dergrund“ (Jahrbuch 1987, S. 59). Hesses Interpretation dürfte heute für den „arbeitenden Staat“ (Leistungsstaat etc.) zutreffen, wenngleich erneut auf die in diesem Zusammenhang nicht behandelte Frage nach der Bedeutung sozialer Macht (z. B. die Konzemmacht) im „Kooperativen Staat“ hingewiesen werden muß. Aber gelten die Arbeitsergebnisse der Staats-und Verwaltungsforschung auch für den „hoheitlichen“ Bereich? Gibt es gesicherte Belege für kooperative Strukturen und ausdifferenzierte Funktionsweisen nicht nur in der Leistungserfüllung, sondern auch im Ordnungs-und Sicherheitsbereich? Wenn dies aber nicht der Fall ist, und dafür spricht alles, dann müßte sich eine moderne Staatslehre mit einer „gespaltenen Souveränität“ befassen. Dies erscheint juristisch schwer nachvollziehbar, es sei denn, die „Ausdifferenzierung“ des modernen Staates ließe ein Nebeneinander fundamentaler Ordnungs-und Funktionsunterschiede zu. Jean Bodins Verständnis der Souveränität als wesentlichem Merkmal des Staates, insbesondere gegenüber innerstaatlichen Mächten, das nun dem modernen Staat als rechtlich organisierter Macht-und Wirkungseinheit zukommt, wäre weiterzudenken: Staatliche Kooperation bis Inkorporation mit Großkonzemen und Wirtschaftsverbänden einerseits, Anwendung des aus der inneren Souveränität fließenden Gewaltmonopols auf eine Großmafia andererseits? Beides ergibt sich aus unterschiedlichen Funktionen des Staates. Dies bedeutet aber auch, daß das Element „Souveränität“ nicht einfach im Zuge einer kooperativen Staatstheorie beiseite gelassen werden darf. Denn: „Souveränität ist die Bedingung des inneren Friedens.“ „Friede durch Souveränität — ist das Modell jeder öffentlichen Ordnung, auch das des demokratischen Verfassungsstaates. Es ist das Kennzeichen jeder öffentlichen Ordnung, daß sie Konflikte zwischen einzelnen oder zwischen Gruppen an ihrem gewaltsamen Austrag hindert, weil sie die Gewalt bei sich monopolisiert und Verfahren zur Konfliktvermeidung, Konfliktregelung oder Konfliktentscheidung vorsieht.“

In diesem Punkt besteht ein erheblicher Klärungsbedarf im Rahmen einer neuen Staatsdiskussion, soweit sie nicht ausschließlich bewirken soll, daß die Forschungsergebnisse über die Realität des „arbeitenden Staates“ in die herkömmlichen Staatslehren aufgenommen werden. Es erscheint sehr interessant, daß neben der intensiven Diskussion der Staats-und Verwaltungsforschung über eine wirklichkeitsnahe Staatslehre eine ebenso intensive Diskussion von Politikwissenschaftlern und Rechtswissenschaftlem zu einer angemessenen Interpretation des sogenannten „Gewaltmonopols des Staates“ stattfindet, das — wie aufgezeigt — das Instrument jener Souveränität ist, die um des inneren Friedens willen dem Staat zugeordnet sein muß. Beide Diskussionsstränge, denen höchste Aktualität in Politischer Wissenschaft und politischer Praxis zukommt, nehmen so gut wie keine Notiz voneinander. Will mn aber eine wirklichkeitsnahe neue Staatslehre, ist eine Zusammenschau geboten. 4. Staatsverständnis und staatliches Gewaltmonopol In dem vielfach zitierten Jahrbuch zur Staats-und Verwaltungswissenschaft ist es allein Claus Offe, der dezidiert zumindest die von den neuen sozialen Bewegungen aufgeworfenen Kontroversen über Stellenwert, Geltung und Geltungsbedürftigkeit des „Gewaltmonopols“ als Bestandteil des modernen Staates in seine Darlegungen einbezieht. Es müsse erkannt werden, so Offe daß es nicht nur im Leistungsbereich des Staates zu „Entstaatlichungen“ — dazu dürfen wir hier die Erscheinungsformen des „Kooperativen Staates“ rechnen — gekommen sei. Vielmehr hätten gesellschaftliche Kräfte auch im Bereich der Ordnungsverwaltung (hier auch zu übersetzen als engerer hoheitlicher Bereich) „erfolgreich Lücken in das System des staatlichen Gewaltmonopols gerissen“.

Nun dürfte Offes Hinweis auf Protestbewegungen aller Art sicher nicht ausreichen, um dies zu belegen. Wohl aber sind sicher alle Formen des „zivilen Ungehorsams“, des „passiven Widerstands gegen die Staatsgewalt“ und natürlich auch der „Gewalt gegen Sachen“ hierher zu rechnen. Die Reichweite, die Frage der eventuellen Umkehrbarkeit dieser Entwicklung sowie die normative Einschätzung „solcher zentrifugalen, die staatliche Souveränität, Autorität und Rationalität zersetzenden Tendenzen“ sind laut Offe umstritten Gerade die Linke stehe dabei vor dem Problem, daß sie für ihre Gesellschaftspolitik eine primär etatistische Position vertreten müsse, während sie im Bereich des Gewaltmonopols anti-etatistisch operiere. Sie erkenne aber, daß eine radikale und pauschale Staatskritik unsinnig sei. Die hiermit für das moderne und wirklichkeitsnahe Staatsverständnis aufgeworfenen Fragen treten in Forschung und wissenschaftlicher Literatur immer stärker in den Vordergrund Die neubelebte Staatsdiskussion muß dies deutlicher zur Kenntnis nehmen, wie bereits begründet wurde. Werner Süss vor allem hat sich kritisch und für unser Thema besonders relevant mit „Gewalt und Emanzipation in den außerparlamentarischen Oppositionen“ und zum Beispiel mit Joachim Hirschs Studie zum „Sicherheitsstaat“ (1980) auseinandergesetzt. Von Süss stammt auch eine große Untersuchung über „Friedensstiftung durch präventive Staatsgewalt“ (1984), die das Verfassungs-und Staatsverständnis der Bundesrepublik, nämlich „wehrhafte Demokratie“ zu sein, kritisch behandelt. „Wertmilitanz“ ist auch ein Stichwort für die Bewertung der zum Teil militanten Auseinandersetzungen um die Kernenergie. Gerade letzteres wird im Zusammenhang mit dem Phänomen „präventiver“ Staatsgewalt sicherlich die politik-, sozial-und rechtswissenschaftliche Diskussion der nächsten Jahre mitbestimmen. Eine Staatslehre wird von dieser Seite ebenso starke Impulse erhalten wie von der Seite des „arbeitenden Staates“. Die Aktualität dieser Frage wird zwar durch Protestbewegungen, „Antiatomkraft-Demonstrationen“ und „Polizeieinsatz“ augenfällig. Sie resultiert aber vor allem auch aus der wissenschaftlichen Diskussion um das heutige Staatsverständnis und die in diesem Beitrag behandelten grundsätzlichen Problemstellungen: Welcher Staat ist gemeint, der des Gewaltmonopols zur Sicherung des inneren Friedens bedarf? Wem und in welchem Umfang steht das Gewaltmonopol im demokratisch verfaßten, pluralistischen Staat zu? Bedeutet nicht die Anwendung des Gewaltmonopols immer „Herrschaftssicherung“? Wie steht es also um die Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols? Offensichtlich lassen sich auch diese Fragen nicht schlüssig ohne eine konsensfähige Staatstheorie beantworten. Und diese, das ist der Tenor dieses Beitrages, hätte den „arbeitenden“, den ausdifferenzierten Staat einzuschließen. 5. Die normative Substanz moderner Staatlichkeit — oder: Der informale Verfassungsstaat Der mit den gesellschaftlichen Gruppen „arbeitende“, „kooperative“ Staat und der demokratische Staat als Inhaber des Gewaltmonopols zur Gewährleistung inneren Friedens erscheinen heute als die beiden wichtigsten „Pole“ der neuen und notwendigen Staatsdiskussion. Ihre Analyse und die Suche nach einer systematisch integrierenden Theorie sollte jedoch nicht vergessen machen, daß auch jener Problembereich noch vertiefter analytischer Anstrengungen bedarf, der als politikwissenschaftliches Arbeits-und Erkenntnisfeld schon Eingang in die meisten juristischen Staatslehren gefunden hat: Es sind dies die auf Rechtsregeln aufbauenden, jedoch nichtjuristischen Verfahren der „Politischen Willensbildung“. Insbesondere ist es das Umfeld des realen Parteienstaates. Es gibt heute jedoch so mannigfache Formen der Staatswillensbildung und -gestaltung, die kaum noch in die Rechtshierarchie Verfassung-Gesetz-Verordnung-Satzung usw., ja nicht einmal mehr in die Rechtsform des Vertrages einzuordnen sind, daß in der wissenschaftlichen Diskussion schon vom „Informalen Verfassungsstaat“ gesprochen wird Die „Herrschaft des Gesetzes“ — Kem des liberalen Rechtsstaates — ist in der heutigen Staatswirklichkeit mannigfach in Frage gestellt. In der „Allgemeinen Staatslehre“ von Arnims gibt es ein Plädoyer für die „Überlegenheit des Vertrages gegenüber dem Gesetz“ (S. 64). Die Aufweichung des Normativen ist damit aber keineswegs ausreichend angedeutet. Zunächst sollte noch einmal auf den „Parteienstaat“ eingegangen werden, dessen unzulängliche Behandlung durch Zippelius bereits kritisiert wurde. „Mittlerrolle“ als Kennzeichnung des Wirkens politischer Parteien führt eher in die Irre. Wilhelm Hennis hat einmal geschrieben, die „Parteienherrschaft“, nicht die „Demokratie“, sei, universal-geschichtlich betrachtet, der eigentliche Erbe der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vorwiegend monarchischen Ordnung. Die Parteien seien zum „allbestimmenden Vehikel der politischen Willensbildung und Herrschaft“ geworden Die „Allgemeinen Staatslehren“ spiegeln dies nicht wider. Aber es reicht auch nicht mehr, bezüglich der Parteien allein auf die politische Willensbildung zu schauen. Sie durchdringen mit ihrem Personal oder mit ihrem Willen den gesamten modernen Staatsapparat sowie alle Ausdifferenzierungen des staatlich-gesellschaftlichen Regelungssystems. Dieser Pro-zeß der „Durchdringung“ (Penetration) der „Staatlichkeit“, auch im Sinne einer von der Gesellschaft abgehobenen Regelungsmacht, muß dezidiert grundlegender Bestandteil einer wirklichkeitsnahen Staatslehre werden.

Den Versuch, das Phänomen des informalen Verfassungsstaates rechtswissenschaftlich zu erfassen, unternahmen neuerdings wieder Christian Tomuschat und in systematischer Form Helmut Schulze-Fielitz. Die Untersuchung des Rechtssoziologen Schulze-Fielitz steht der politikwissenschaftlichen Forschung sehr nahe, ist indes offensichtlich bislang nicht genügend beachtet worden. Es geht ihm um die „rechtlich nicht geregelten Organisations-und Verfahrensmodalitäten im Verfassungsstaat“, und er weist in einer empirischen Bestandsaufnahme eine Fülle von Beispielen für die offensichtlich „paradoxe Notwendigkeit informaler Organisationsregeln für die Realisierung formaler Organisationszwecke“ nach, die der politikwissenschaftlichen Forschung nicht gänzlich unbekannt sind. Im zweiten Hauptteil seiner Arbeit bringt Schulze-Fielitz „Anläufe zu einer Theorie und Dogmatik des informalen Verfassungsstaates“, die gerade im Zusammenhang mit der Neubelebung der Staatslehre stärkste Beachtung verdienen. Es geht dabei vor allem einerseits um das Verhältnis zwischen der Notwendigkeit des „Informalen“, damit Verfassungsregeln und der „arbeitende Staat“ wirksam werden und bleiben können und um die Gefahren einer Aufweichung von Verfassungsrechtsregeln und Rechtsstaatlichkeit infolge der Eigendynamik des Informalen andererseits. Moderne Staatlichkeit — so beweist nicht nur die Forschung im Umkreis parteistaatlicher Penetration aller staatlichen Aktivitäten, sondern ebenso die Erforschung der charakteristischen Funktionsmerkmale des heutigen Staates —. beruht nicht allein in den Wirkungsweisen des normativen Regelungssystems. Staatlichkeit in der pluralistischen Demokratie kann allein unter diesem Aspekt nicht mehr erfaßt werden. Ein wirklichkeitsnahes Staatsverständnis muß dem Rechnung tragen.

VII. Ein vorläufiges Resümee

Als an dieser Stelle mögliches Resümee bleibt die Feststellung, daß die empirische Staats-und Verwaltungsforschung, aber auch weitere neuere politikwissenschaftliche und rechtssoziologische Untersuchungen eine Art „Generalangriff“ darstellen. Er richtet sich gegen jede Art von „Subjekttheorie“ des Staates im Geiste der Gerber-Labandschen Schule. Er richtet sich gegen jede substantielle Trennung von Soziallehre des Staates und Staatsrechtslehre im Geiste Georg Jellineks und damit gegen die traditionell übliche Trennung von Staat und Gesellschaft. Dies schließt Differenzierungen nicht aus. Der heutige Staat erscheint in diesen Forschungen — zumindest gilt dies unter den Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland — als ein notwendiges „Regelungssystem“ in einer pluralistischen Gesellschaft, die demokratischen, rechts-und sozialleistungsstaatlichen Wertvorstellungen folgt.

Das „Regelungssystem“ stellt durchaus eine „Besonderung" gegenüber „der Gesellschaft“ mit ihren Gruppen dar. Es kennt gleichsam „Eintrittsbedingungen“ — natürlich nicht im Sinne einer Befähigung zum Justiz-und Verwaltungsdienst —, sondern hier im Sinne demokratischer Legitimierungsbedürftigkeit für alle jene, die verantwortlich in diesem Regelungssystem tätig werden und zu dessen Ausgestaltung befugt sein wollen. Dieses „System“ ist infolge gesellschaftlicher Interessen und Bedürfnisse sowie der daraus folgenden Aufgabenstellungen, also wegen der Regelbedürftigkeit infolge der Interessenkonflikte und der von den Bürgern und ihren gesellschaftlichen Gruppen erwarteten Leistungen, weit ausdifferenziert. Es befindet sich in einem dynamischen Prozeß. Die Steuerung dieses Prozesses erfordert häufig informale Regelungen und „Bargaining-Prozesse“ zwischen Verwaltungen und Betroffenen. Das Regelungssystem Staat „arbeitet“ unter Personen und Bedingungen, die eine demokratische Legitimation nachweisen müssen. Die Komplexität der Aufgaben und die Vielgestaltigkeit der Leistungen führen jedoch auch zu „Eigenroutinen“ der Institutionen im Regelungssystem, die schwer zu kontrollieren sind.

Das Regelungssystem „Staat“ kennt und verleiht seinen demokratisch legitimierten Funktionsträgern und Institutionen Kompetenzen unterschiedlicher Regelungsdichte. Die höchste „Dichte“ wird in der Verfügung über das Gewaltmonopol des demokratischen Staates erreicht. Es gibt also durchaus eine „Einheit“ in diesem Regelungssystem „Staat“. Außer seiner Besonderung von der Gesellschaft aus Gründen der Freiheitssicherung enthält es abgestufte Wirkungskompetenzen und -Instrumente. Der Verfassungsstaat und normativ zwingende Regeln und Hierarchien, also wiederum Regelungsdichten unterschiedlichen Grades, bilden des weiteren den Kern des Regelungssystems „Staat“. Auch im Rechtsstaat gibt es aber Ausdifferenzierungen, die in der geringeren normativen Substanz — also dem Weg vom Gesetz zum Vertrag und zu informalen Regelungen — zum Ausdruck kommen.

Dieser Überblick versucht unambitioniert Wege moderner Staatsdeutung auf der Grundlage neue-19 rer Forschungsergebnisse aufzuzeigen. Er kann hier selbstverständlich nicht einmal ansatzweise die Hauptaufgabe lösen, welche in der theoretisch-systematischen Erfassung des Gesamtkomplexes liegt. Die Lösung der Aufgabe ist auf unterschied-lichste Art denkbar. Den Sozialwissenschaften ist die „Entzauberung des Staates“ (Willke) gelungen. Dies wäre der Ausgangspunkt. Er zwingt zu einem neuen, wirklichkeitsnahen Staatsverständnis.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Wilhelm Hennis. Aufgaben einer modernen Regierungslehre, in: PVS, 4 (1965), S. 423f.; ähnlich Thomas Ellwein, Einführung in die Regierungs-und Verwaltungslehre. Stuttgart 1966, sowie ders.. Regierungslehre als praktische Wis-i 97haft, in: Wissenschaft und Praxis, Köln-Opladen

  2. Thomas Ellwein/Joachim Jens Hesse/Renate Mayntz/Fritz Scharpf (Hrsg.), Jahrbuch zur Staats-und Verwaltungswissenschaft Bd. 1, Baden-Baden 1987.

  3. Peter B. Evans/Dietrich Rueschemeyer/Theda Skocpol, Bringing the state back in. Cambridge 1985.

  4. Vgl. Gerhard Göhler (Hrsg.). Grundfragen der Theorie politischer Institutionen. Opladen 1987; Gerhard Göhler/Kurt Lenk/Herfried Münkler/Manfred Walther (Hrsg.), Politische Institutionen im gesellschaftlichen Umbruch. Ideen-geschichtliche Beiträge zur Theorie politischer Institutionen (erscheint 1988), sowie die gegenwärtigen Aktivitäten der Sektionen Politische Philosophie und Ideengeschichte der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft.

  5. Die Namen kennzeichnen die bis heute übliche Diskussionslinie über eine deutsche Staatslehre. Mit Paul Laband. Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4 Bde, Tübingen 1876 (hier: 19115), kommt der Rechtspositivismus in der Staatslehre zum Durchbruch. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (hier: 19133), stellt Gesellschaft und Staat nebeneinander. Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925, gilt als Höhepunkt des „reinen“ Rechtspositivismus. Carl Schmitt, Verfassungslehre, 19283 (mit einschlägigen weiteren Werken), und Hermann Heller, Staatslehre, hrsg. von Gerhart Niemeyer, Leiden 19633, sind die bedeutendsten „Antipositivisten“ mit deutlich unterschiedlichen Ausstrahlungen auf konservatives bis nationalsozialistisches Staatsdenken einerseits und auf die Begründung des heutigen Verständnisses des demokratischen und sozialen Rechtsstaates andererseits.

  6. Die Auswahl der Namen und Schriften ist hier ebensowenig vollständig wie unter Anm. 5: Hans Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, 4 Teile, Einsiedeln 1958; Rudolf Laun, Allgemeine Staatslehre im Grundriß, Schloß Bleckede 19618; Günther und Erich Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre. Stuttgart 19645; Ernst von Hippel, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1963; Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 19662.

  7. Felix Ermarcora, Allgemeine Staatslehre, 2 Teilbände: Berlin 1970, und ders.. Grundriß einer allgemeinen Staatslehre. Systemausgleich in der westlichen Industriegesellschaft, Berlin 1979; Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt 1971; Martin Kriele, Einführungin die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, Opladen 19812; Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre (Politikwissenschaft). Ein Studienbuch. München 19859; Hans-Herbert von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984.

  8. Helmut Wollmann/Werner Jann. Public Policy Research in the Federal Republic of Germany. A National Report. Berlin-Speyer 1983 (unv. Ms.), siehe dazu auch Roland Sturm. Policy Forschung, in: Klaus von Beyme (Hrsg.), Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklungsprobleme einer Disziplin, PVS-Sonderheft, 17 (1986), Werner Jann, Policy-Forschung — ein sinnvoller Schwerpunkt der Politikwissenschaft?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/83.

  9. In der Bundesrepublik Manfred G. Schmidt, Wohlfahrtsstaatliche Politik unter bürgerlichen und sozialdemokratischen Regierungen, Frankfurt-New York 1982.

  10. Vgl. mit Literatur Werner Jann, Politikwissenschaftliche Verwaltungsforschung, in: K. v. Beyme, Politikwissenschaft (Anm. 8); ders., Staatslehre-Regierungslehre-Verwaltungs-

  11. Hierzu grundlegende Beiträge von Klaus von Beyme, Policy Analysis und traditionelle Politikwissenschaft, sowie Joachim Jens Hesse, Policy-Forschung zwischen Anpassung und Eigenständigkeit. Wider die „Moden“ der sozialwissenschaftlichen Staats-und Verwaltungsforschung, in: Hans-Hermann Hartwich (Hrsg.), Policy-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Selbstverständnis und ihr Verhältnis zu den Grundfragen der Politikwissenschaft, Opladen 1985.

  12. Unter den bereits in Anm. 4 genannten Publikationen und Aktivitäten vgl. zur internationalen Entwicklung der Institutionen-Forschung vor allem Klaus von Beyme. Institutionentheorie in der neueren Politikwissenschaft, S. 48— 66, sowie im Zusammenhang mit unserem Beitrag Claus E. Bärsch. Der Institutionenbegriff in der deutschen Rechtswissenschaft und das dem Grundgesetz gemäße Verständnis von Institutionen. S. 107— 131; Ingeborg Maus. Verrechtlichung. Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen. S. 132— 172. Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist über die Sektion „Politische Philosophie und Theoriegeschichte“ der DVPW ein sogenanntes „Schwerpunktprogramm" „Theorie politischer Institutionen“ beantragt worden; dies bedeutet die Initiierung eines universitätsübergreifenden Forschungsverbundes.

  13. Joachim J. Hesse. Aufgaben einer Staatslehre heute, in: Th. Ellwein u. a.. Jahrbuch (Anm. 2). S. 67.

  14. Ebd.. S. 59. .

  15. Ulrich Matz. Der überforderte Staat: Zur Problematik der heute wirksamen Staatszielvorstellungen, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung. Bd. 1. Stuttgart 1977, S. 82 — 102; Kurt Eichenberger, Der geforderte Staat: Zur Problematik der Staatsaufgaben, in: ebd.. S. 103— 117; Christian Watrin. Zur Überlastung des Staates mit wirtschaftspolitischen Aufgaben, in: Wilhelm Hennis u. a. (Hrsg.), Regierbarkeit. Bd. 2. Stuttgart 1979. S. 233253.

  16. Franz Lehner. Grenzen des Regierens. Eine Studie zur Regierungsproblematik hochindustrialisierter Demokratien. Königstein 1979.

  17. Vgl. Frido Wagener (Hrsg.), Regierbarkeit? Dezentralisation? Entstaatlichung?. Bd. 3. Bonn 1976.

  18. Helmut Willke. Entzauberung des Staates. Überlegungen zu einer sozialen Steuerungstheorie. Königstein 1983; ders.. Entzauberung des Staates. Grundlinien einer system-theoretischen Argumentation, in: Jahrbuch (Anm. 2), S. 285-308.

  19. Volker Ronge (Hrsg.). Am Staat vorbei. Politik der Selbstregulierung von Kapital und Arbeit. Frankfurt-New York 1980.

  20. Generell gilt, daß sich jede Lehre vom Staat vor allem dem Thema „Staat und Gesellschaft“ seit dem Liberalismus stellen muß. Die strikte Trennung beider ist natürlich in jeder geschichtlichen Phase eine Fiktion. Dennoch hat der deutsche Rechtspositivismus vorübergehend im Verein mit der Ideologie des Obrigkeitsstaates ein Staatsverständnis geschaffen. daß „den“ Staat als Rechtspersönlichkeit „der“ Gesellschaft gegenüberstellte bzw.der Gesellschaft unter Berufung auf Hegels idealistische Staatskonstruktion überordnete. An dieser Stelle kommt immer wieder die glänzende Charakterisierung des „Mythos des Staates“ durch Ralf Dahrendorf. Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München 1965. S. 225— 245. in Erinnerung. Lehneich zur Entwicklung der deutschen Staatslehre ist immer noch: Martin L Sattler (Hrsg.). Staat und Recht. Die deutsche Staatslehre im 19. und 20. Jahrhundert, München 1972; auch: Bernhard Blanke. Staat und Gesellschaft, in: Wolfgang M. Mickel (Hrsg.), Handlexikon der Politikwissenschaft, Bonn 1986. Sehr wichtig ist. weil hier das Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der heutigen pluralistischen Demokratie unter dem Aspekt der Freiheitssicherung dezidiert angesprochen wird: Ernst-Wolfgang Böckenförde. Staat. Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungstecht. Frankfurt 1976, S. 192ff.; auch Klaus Grimmer, Demokratie und Grundrechte. Elemente zu einer Theorie des Grundgesetzes, Berlin 1980.

  21. Dietrich Fürst, Die Neubelebung der Staatsdiskussion:

  22. Die Unterschiede können in diesem Beitrag nicht weiter behandelt werden. Die Unterschiede — hier wären natürlich an erster Stelle noch die (eigentlichen) Staatsaufgaben zu nennen — sind für jede neue Staatslehre wichtig und müssen abgeklärt werden, auch wenn manchem Sozialwissenschaftler dies nicht ohne weheres einleuchtet. Zur juristischen Seite: Hans Peter Bull. Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz. Kronberg 19772.

  23. Unter dem Gesichtspunkt eines „neuen“ Staatsverständnisses — im älteren wäre klar, daß die „Trägerschaften“ „nicht-staatliche" und damit „nicht-relevante“ Aufgaben wahmehmen — bedarf die Aufzählung noch gründlicher Reflexion. Gehört in eine Lehre vom Staat auch das. was ausdrücklich nicht staatlich und nicht als staatliche Aufgabe definiert Wird? Oder ist alles in einem „neuen“ Sinne staatlich?

  24. Claus Offe, Berufsbildungsreform. Eine Fallstudie über Reformpolitik. Frankfurt 1975, S. 264 f.

  25. Paul Lerman. Deinstitutionalization and welfare policies: in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science. (1985). S. 479.

  26. Vgl. D. Fürst. Jahrbuch (Anm. 2). S. 266-268.

  27. H. Willke, Jahrbuch (Anm. 2). S. 293.

  28. Claus Offe, Die Staatstheorie auf der Suche nach ihrem Gegenstand. Beobachtungen zur aktuellen Diskussion, in: Jahrbuch (Anm. 2). S. 317.

  29. Vgl. die in Anm. 7 enthaltenen Hinweise auf „Staatslehren“, die jedoch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben (vgl. z. B. noch: Thomas Fleiner-Gerster. Allgemeine Staatslehre, Berlin 1980). Vor allem aber gilt es zu beachten, daß sich die „Lehre vom Staat“ keineswegs allein in „Staatslehren“ niederschlägt. Berücksichtigt werden müssen bei einer gründlichen Durcharbeitung ebenso die „Verfassungslehren“. „Einführungen in das Staatsrecht“, Grundrechts-kommentare und „Handbücher“, wie z. B. das von Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Joachim Vogel herausgegebene „Handbuch des Verfassungsrechts“ (unter Mitwirkung von Konrad Hesse). Berlin-New York 1983.

  30. Hier ist in erster Linie an Emst-Wolfgang Böckenförde (vgl. Anm. 20) gedacht. Seiner Behutsamkeit bei diesem Thema folgt nicht Zippelius im § 27 seiner „Allgemeinen Staatslehre“, die aus der Analyse des politischen Prozesses folgert, wie schon beim Hegelschen Ansatz sei eine Instanz vonnöten, die gegenüber dem „System der Bedürfnisse“ für einen Ausgleich zu sorgen hat (S. 242). Bei Zippelius findet sich weitere Literatur zur Geschichte der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Demgegenüber bringt Martin Kriele in seiner „Einführung in die Staatslehre“ (Anm. 7). im dritten Kapitel zunächst eine historische Zeichnung der Entwicklungen von Staat und Gesellschaft im Deutschland des 19. Jahrhunderts, die in eine abgewogene Diskussion der staatstheoretischen Frage, hier § 37 „Staat gegen Verfassungsstaat“ (S. 309 ff.) einmündet. Kriele kommt den berechtigten Einwänden gegen die traditionelle juristische Scheidung von Staat und Gesellschaft wegen ihrer politischen Dimension am nächsten. Mit ihm muß sich jeder Versuch einer neuen und wirklichkeitsnahen Staatslehre auseinander-setzen.

  31. „Das ist eine verkehrte Welt, in der der Mythos des Staates zur Realität, die greifbare Realität der Gesellschaft aber zu einer Art Bodennebel wird, über den man sich erheben soll. Cui bono?“ — so Ralf Dahrendorf in: Gesellschaft und Demokratie (Anm. 20), S. 231; in Verbindung mit der Neu-belebung der Staatsdiskussion: Wolfgang Seibel, Staatslehre und Staatsmythos. Historische und aktuelle Vorbelastungen der Staatsdiskussion in Deutschland, unveröffentlichter Beitrag für das Forschungskolloquium der Sektion „Staatslehre und Politische Verwaltung“ der DVPW (Oktober 1986).

  32. Hier ist vor allem an Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg 198213. gedacht; eine besonders einflußreiche „Verfassungslehre“ schrieb Karl Loewenstein (Tübingen 1959).

  33. Vgl. Roman Herzog. Allgemeine Staatslehre (Anm. 7). S. 31 f. Umfassend dazu der schon „klassisch“ gewordene und vielfach nachgedruckte Aufsatz von Kurt Sontheimer. Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, in: Heinrich Schneider (Hrsg.), Aufgabe und Selbstverständnis der Politischen Wissenschaft. Darmstadt 1967, S. 416 ff.

  34. Manfred Heinrich Mols. Allgemeine Staatslehre oder Politische Theorie? Interpretationen zu ihrem Verhältnis am Beispiel der Integrationslehre Rudolf Smends. Berlin 1969,

  35. Joachim Jens Hesse. Zu problematisch angesichts laufen-der Differenzierungsprozesse die Forderung nach einem „Totalitätsansatz“, in: Jahrbuch (Anm. 2). S. 59.

  36. Hermann Heller, Staatslehre, hrsg. von Gerhart Nie-meyer, Leiden 19633*.

  37. Martin Kriele (Anm. 7), S. 17; wichtig hierzu S. 15 ff. An dieser Stelle sei besonders verwiesen auf: Hans Maier, Die ältere deutsche Staats-und Verwaltungslehre. München 19802. sowie Thomas Ellwein, Entwicklungstendenzen der deutschen Verwaltung im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch (Anm. 2), S. 13-54.

  38. M. Kriele (Anm. 7), S. 17f. Genau hierzu leistet die „Einführung“ Krieles einen wichtigen und fundamentalen Beitrag.

  39. Das Buch von Zippelius führt außen uneingeschränkt die Bezeichnung „Politikwissenschaft“ im Untertitel. Im Innen-titel ist „Politikwissenschaft" in Klammem gesetzt.

  40. In diesem Zusammenhang sei auf die Beiträge von Michael Stolleis, Heinz Schäfer und Ren A. Rhinow zum Thema: „Parteienstaatlichkeit — Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats?“ auf der Jahrestagung 1985 der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer verwiesen, in: VVStRL, 44 (1986). Die politikwissenschaftliche Parteienforschung müßte bei einer aspektreichen „Neubelebung“ der Staatsdiskussion eine konkrete Auseinandersetzung mit Methoden und Ergebnissen der rechtswissenschaftlichen Parteienlehre suchen. Als politikwissenschaftlichen Beitrag (mit systematisch geordneter Literatur) kann an dieser Stelle genannt werden: Christian Graf von Krockow/Peter Lösche (Hrsg.), Parteien in der Krise, München 1986, (siehe dort z. B.den Beitrag von Thomas Ellwein über „Parteien und Bürokratie“).

  41. Emst-Hasso Ritter. Der kooperative Staat. Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft, in: AÖR. (1979) 104, S. 389— 413. Ritter setzt sich dort auch ausführlich mit der einschlägigen Literatur auseinander, insbesondere mit den frühen Beobachtungen und Einordnungen von H. Krüger. Allgemeine Staatslehre (Anm. 6). Der Begriff spielt aber auch noch in anderen Zusammenhängen eine Rolle. Siehe dazu Peter Häberle, Die Verfassung des Pluralismus. Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, Königstein 1980. Häberle befaßt sich dort mit dem „kooperativen Verfassungsstaat“ als der Verfassung des Pluralismus „nach außen“ (S. 287— 310).

  42. Herbert Krüger. Das wirtschaftspolitische Mitwirkungsverhältnis, 1974, S. 34ff.; hierzu auch E. -H. Ritter (Anm. 41). S. 395.

  43. P. Häberle, Die Verfassung des Pluralismus (Anm. 41). S. 171.

  44. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (Anm. 32). S. 5 ff.

  45. Jean Bodin (1530— 1596). Begründer der Souveränitätslehre und Theoretiker der absoluten Monarchie in Frankreich; hierzu Max Imboden, Johannes Bodinus und die Souyeränitätslehre, 1963.

  46. M. Kriele, Einführung in die Staatslehre (Anm. 7). S. 48. Dort mit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Souveränität und Legitimität sowie, breiter, § 28: „Im Verfassungsstaat gibt es keinen Souverän“ (S. 111 ff.).

  47. Claus Offe, Die Staatstheorie auf der Suche nach ihrem Gegenstand. Beobachtungen zur aktuellen Diskussion, in: Jahrbuch (Anm. 2), S. 314.

  48. Ebd., S. 314. Vgl. dort im folgenden die ausführliche Würdigung unterschiedlicher Positionen zwischen „anti-etatistischer Phrase“ und sozialdemokratischem Staatsverständnis in diesem Zusammenhang.

  49. Vgl. die Diskussionen zum Thema „Die verfassungsstaatliche Bändigung der Gewalt und die aktuelle Gewaltdebatte“ mit Beiträgen von Dietmar Willoweit, Detlef Merten. Ulrich Matz. Rudolf Wassermann, Werner Süss und Peter Wald-mann. in: Albrecht Randelzhofer/W'emer Süss (Hrsg.), Konsens und Konflikt. 35 Jahre Grundgesetz, Berlin—New York 1986; Werner Süss. Friedensstiftung durch präventive Staatsgewalt. Eine Untersuchung zu Theorie und Praxis staatlicher Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen 1984. Beide Publikationen mit weiterer neuerer Literatur; einschlägig im Sinne der Fragestellung ist auch: Albrecht Funk. Polizei und Rechtsstaat. Die Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols in Preußen 1848— 1918, Frankfurt—New York 1986.

  50. Hierzu besonders Dietmar Willoweit, Die Herausbildung des staatlichen Gewaltmonopols im Entstehungsprozeß des modernen Staates, sowie: Detlef Merten, Konstruktionsprinzipien staatlicher Gewalt im Verfassungsstaat der Bundesrepublik, beide in: A. Randelzhofer/W. Süss (Anm. 49).

  51. Helmut Schulze-Fielitz. Der informale Verfassungsstaat. Aktuelle Beobachtungen des Verfassungslebens der Bundesrepublik Deutschland im Lichte der Verfassungstheorie. Berlin 1984.

  52. So Wilhelm Hennis. Parteienstruktur und Regierbarkeit, in: W. Hennis u. a.. Regierbarkeit, Bd. 1 (Anm. 15). S. 157.

Weitere Inhalte

Hans-Hermann Hartwich, Dr. rer. pol., geb. 1928; Studium der Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre, des öffentlichen Rechts und des Arbeitsrechts. Habilitation 1969; 1970— 1973 Lehrstuhl für Regierungslehre an der FU Berlin, seit 1973 an der Universität Hamburg; seit 1983 Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft; seit 1966 Mitherausgeber der „Gegenwartskunde“. Veröffentlichungen u. a.: Arbeitsmarkt, Verbände und Staat 1918— 1932, Berlin 1967; Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo, Opladen 1970; Wirtschaftsdemokratie und die Theorie vom Sozialen Rechtsstaat, in: PVS-Sonderheft 2; diverse Veröffentlichungen zur Entwicklung und Ausgestaltung des Sozialstaates und zum kollektiven Arbeitsrecht; Policy studies zur Wirtschafts-, Finanz-, Struktur-und Umweltpolitik; (Hrsg.) Policy-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, 1985; (Hrsg.) Politikwissenschaft. Lehre und Studium zwischen Professionalisierung und Wissenschaftsimmanenz; Arbeiten zur Parteien-und Zeitgeschichte; zahlreiche Arbeiten zur Politischen Bildung.