Was haben Rüstungskontrolle und Menschenrechte miteinander zu tun, außer daß es um beide, wie die Nachrichtenagenturen tagtäglich wissen lassen, nicht gerade zum besten steht? Gibt es jenseits dieser vordergründigen Gemeinsamkeit auch einen inneren, einen systematischen Zusammenhang? Das ist die Frage, der die folgenden Überlegungen nachgehen werden.
Beispiele für eine solche Auffassung finden sich in zweierlei Gewand: Da ist zum einen die Annahme einer Kausalbeziehung, wonach Erfolg in der Rüstungskontrolle Fortschritte bei den Menschenrechten voraussetze: „Es kann keine wirkungsvolle Rüstungskontrollpolitik geben, die nicht Teil einer weiter gefaßten politischen Strategie ist, mit der die Menschenrechte gefördert werden.“ Der sprachlichen Form nach handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Sie bedarf der Bestätigung in der Wirklichkeit, ehe sie für zutreffend befunden werden kann.
Sollte sich ein solcher Nachweis erbringen lassen, dann wäre auch die zweite, weitergehende Folgerung einsichtig, die Menschenrechte und Rüstungskontrolle als Handlungsempfehlung miteinander verknüpft, indem sie Fortschritte auf dem ersten Gebiet zur Vorbedingung politischer Konzessionsbereitschaft auf dem anderen Gebiet erhebt: „Die Sowjetunion stellt zusehends fest, daß eine Verbesserung ihres Rufs bei den Menschenrechten notwendig sein könnte, um vom Westen Zugeständnisse bei der Rüstungskontrolle zu erhalten." Diese Zitate sind willkürlich gewählt; andere gleichsinnige in vielerlei Varianten und unterschiedlicher Nachdrücklichkeit ließen sich ihnen zur Seite stellen.
I. Widerstreitende Entspannungskonzepte
Es war die Hypothek der späten sechziger und der siebziger Jahre für das nachfolgende Jahrzehnt, auf dessen Ende wir uns zubewegen, die Gestaltung der Ost-West-Beziehungen unter einen Leitbegriff gestellt zu haben, der nie ausreichend geklärt, geschweige denn in seinen widerstreitenden Konsequenzen abschließend ausgetragen worden ist. In der Bundesrepublik hielt damals die Opposition der sozial-liberalen Ostpolitik entgegen, Entspannung müsse die Ursachen der Spannungen ausräumen, und sie meinte damit die Überwindung der Teilung Deutschlands, die sie sich nur als eine Art Anschluß des „zweiten“ an den „ersten“ deutschen Staat vorzustellen vermochte. Die Teilung besteht fort, aber die Verträge kamen zustande und erhielten die Chance, einige Härten der Teilung zu mildern. In den Vereinigten Staaten stimmte eine Kongreßmehrheit — gegen den Wunsch der Regierung — für ein Junktim zwischen zollpolitischen Erleichterungen an die UdSSR und deren Zustimmung zur Auswanderung jüdischer Sowjetbürger, die ihr Land verlassen wollten. Der Tausch von „Äpfeln gegen Birnen“ fand keinen Zuspruch in Moskau, das amerikanisch-sowjetische Handelsabkommen von 1972 trat nicht in Kraft.
Ungeachtet ihres verschiedenen Ausgangs stehen beide Beispiele für zwei konkurrierende Definitionen einer problemangemessenen Politik der Entspannung. Die eine Politik strebt nach Interessenausgleich und Verständigung auf der Grundlage des machtpolitischen Status quo. Ihre Lösungsvorschläge sollen sowohl nach Leistung und Gegenleistung ausgewogen sein, als auch auf qualitativ gleichartigen Konzessionen beruhen (symmetrische Entspannung). Die andere Politik will Spannungsminderung dadurch bewirken, daß sie die Gegenseite zur unilateralen Veränderung bzw. Aufgabe konfliktrelevanter Interessen und Verhaltensweisen zu bewegen sucht (asymmetrische Entspannung). Die eine Politik setzt auf den gegenseitigen Vorteil, die andere mißt Fortschritt am Maßstab eigener Ziele. Die eine ist zu politischen Abstrichen, die andere allenfalls zu materiellen Anreizen bereit.
So haben vor allem die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und der soge-nannte KSZE-Prozeß, den sie in Gang setzte, um Vorabdruck aus der von Hanns-Dieter Jacobsen, Heinrich Machowski und Dirk Sager herausgegebenen Publikation „Perspektivenfür die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, die als Schriftenreihe-Band der Bundeszentrale für politische Bildung im Frühjahr 1988 erscheinen wird. ihrem Anliegen Stetigkeit zu verleihen, von Anbeginn an der Ambivalenz des zugrundeliegenden Entspannungsbegriffs gekrankt. Die Folge war, daß die Sanierung der europäischen Sicherheit nach einem halbherzigen Plan und mit widersprüchlichen Mitteln begonnen wurde. Der erste Mangel geht auf das Konto des Ostens, den zweiten hat der Westen beigesteuert.
Halbherzig war der Plan, weil er sich auf einen schmalen Ausschnitt nötiger und möglicher Maßnahmen beschränkte. Natürlich zählt der Katalog der zehn Prinzipien, der die Schlußakte von Helsinki einleitet, erschöpfend auf, was zu geschehen habe, sollen ein Krieg in Europa ausgeschlossen und die Sicherheit der Unterzeichnerstaaten verläßlich verbürgt werden. Besonders die ersten fünf Maximen lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Souveränität, Gewaltverzicht, Unverletzlichkeit der Grenzen, territoriale Integrität, friedliche Streitbeilegung — mehr, als diese Grundsätze buchstabengetreu einzuhalten, ist nicht erforderlich, um ein umfassendes Friedensgebot zu realisieren. Aber die Feierlichkeit gegebener Versprechen schützt weder vor widrigen Umständen, die dazu nötigen könnten, sie im Krisenfall zu brechen, noch schafft sie Gewißheit, daß Worte und Handlungen aller Beteiligten künftig übereinstimmen werden.
Deshalb hätte es nahegelegen, die Verkündung von Sicherheitsprinzipien durch praktische Sicherheitsschritte abzustützen, und welches Vorhaben wäre dazu geeigneter gewesen, als das dem Kalten Krieg entstammende Übermaß an Soldaten, Waffen und Rüstungen in Europa gemeinsam abzutragen? Dies war der Vorschlag der NATO, dem die östlichen Bündnisstaaten nicht folgen mochten, wohl ahnend, daß dann der Konferenzabschluß in unbestimmte Feme rücken würde. So kam es zu den getrennten Verhandlungsforen über die Sicherheitsdeklaration und die Streitkräftereduzierung mit dem Ergebnis, daß die KSZE-Akte heute längst ein Stück Zeitgeschichte darstellt, während das in die Wiener MBFR-Gespräche ausgelagerte Abrüstungsprojekt noch immer nicht über den Sachstand hinaus gediehen ist, auf dem es sich damals bereits befand.
Widersprüchlich sind die Mittel, die das Helsinki-Manifest als Sicherheitsgaranten vorsieht, weil sie eine gravierende Unstimmigkeit aufweisen. Das siebte Prinzip ermahnt die Teilnehmerstaaten zur Achtung der individuellen Menschenrechte und Grundfreiheiten. Damit sprengt es die Systematik des Dekalogs. Alle übrigen Vorschriften verpflichten die Staaten gegenüber anderen Staaten, diese verpflichtet die Staaten gegenüber ihren Bürgern. Indem die Schlußakte von Helsinki ein dem innerstaatlichen Rechtsverkehr entlehntes Verhaltensgebot zur Normierung zwischenstaatlicher Beziehungen heranzieht, liefert sie den Hebel, von außen in die politische und gesellschaftliche Binnenstruktur der beteiligten Staaten einzuwirken. Kurioserweise folgt die Menschenrechtsvorschrift unmittelbar auf jene andere Bestimmung, die den Unterzeichnern auferlegt, sich jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten der übrigen Staaten zu enthalten.
Das Prinzip der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Verbindung mit den Maßregeln über eine Zusammenarbeit im humanitären Bereich („Korb 3“) gibt der KSZE-Akte die spezifisch westliche Handschrift. In den ursprünglichen östlichen Entwürfen war es nicht enthalten. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten haben es widerstrebend in Kauf genommen, um nicht zu gefährden, woran ihnen an erster Stelle lag — die Billigung des Gesamtdokuments durch alle 35 Teilnehmerstaaten. Den Preis für den Kompromiß mußten sie bald entrichten. Auf den periodischen Anschlußkonferenzen bot das Menschenrechtsprinzip die Handhabe, sie ausgiebig auf die Anklagebank zu setzen. Der Streit über die Durchführung der Helsinki-Bestimmungen ließ die Weiterentwicklung der Schlußakte zeitweilig gänzlich in den Hintergrund treten; die Szene geriet zum Tribunal. Darin erschöpfte sich weitgehend das erste Nachfolgetreffen in Belgrad (1977/1978), während die immer von neuem entfachte Implementierungsdebatte das zweite Treffen in Madrid (1980— 1983) auf die ansehnliche Dauer von drei Jahren ausdehnte. Ohne ein substantielles Resultat endeten auch die KSZE-Expertentagungen über Menschenrechtsfragen in Ottawa (1985) und über menschliche Kontakte in Bern (1986). Zum Verdruß nicht nur der Ost-sondern auch der Westeuropäer und der Neutralen gelang hier nicht einmal die Verabschiedung eines Schlußkommuniquds.
Den Konferenzprozeß überhaupt am Leben erhalten zu haben, gilt weithin schon als Erfolg der KSZE-Diplomatie. Aber das illustriert nur den drastisch gesenkten Erwartungspegel. Helsinki wurde kein Aufbruch zu neuen Ufern, und der Versuch, die internationale Sicherheit entspannungspolitisch zu verankern, schlug fehl, weil er ein taugliches Instrument der Sicherheitspolitik — die Rüstungskontrolle — verwarf und ein weniger taugliches — die Menschenrechte — überforderte.
II. Rüstungskontrolle: Anspruch und Grenzen
Rüstungskontrolle ist eine Methode der Sicherheitsvorsorge zwischen zwei Mächten oder Mächtegruppen, die sich in einem politischen Konflikt-verhältnis zueinander befinden, das bestimmenden Einfluß auf ihre militärischen Aktivitäten ausübt. Der Grundgedanke besteht darin, unerwünschten Folgewirkungen der militärischen Konfrontation, die aus eigener Kraft und durch einseitige Maßnahmen nicht behoben werden können, durch wechselseitig abgestimmte Verhaltensweisen oder ausgehandelte Vereinbarungen vorbeugend zu begegnen. Mögliche Folgewirkungen dieser Art sind z. B. Handlungszwänge in Krisensituationen unter Zeitdruck und auf ungenügender Informationsbasis; durch technischen Defekt oder Fehlinterpretation gegnerischer Absichten ausgelöste Waffeneinsätze; die Ausbreitung neuer Militärtechnologien in dritte Staaten und Regionen und allgemein die Unwägbarkeiten eines ungezügelten Rüstungswettbewerbs sowohl hinsichtlich des Risikos einer strategischen Destabilisierung als auch der zu tragenden wirtschaftlichen Lasten. Rüstungskontrolle hat zur Funktionsbedingung, daß für beide Konfliktparteien der mittels Übereinkunft erzielbare Nutzen größer ist als der Vorteil der Aufrechterhaltung unbeschränkter Handlungsfreiheit bei Kooperationsverzicht. Dies wiederum setzt voraus, daß beide Kontrahenten ihr Überleben und die Vermeidung eines Krieges zwischen ihnen als gemeinsame Interessen den konkurrierenden, gegeneinander gerichteten Konfliktinteressen überordnen.
Als ein technischer Problemzugriff reguliert Rüstungskontrolle bestimmte Rahmenbedingungen der Konfliktaustragung, nicht aber den Konflikt selbst. Die Politik wird also nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Sie muß erkennen, was den Konflikt ausmacht, und entscheiden, wie sie ihn führt. Dabei sollte die Austragungsform dem Konfliktinhalt entsprechen. Was das besagt, veranschaulicht wiederum die europäische Szenerie der siebziger Jahre. Über Jahrzehnte hatten die Spaltung des Kontinents und die Ausdehnung der beiderseitigen Einflußsphären den Disput der Blöcke beherrscht. Dann bereinigten in kurzer Folge konfliktentschärfende Abkommen wesentliche politische Streitfragen Europas, darunter die der Westgrenze Polens, der Staatlichkeit der DDR und des Berlin-Problems, des in der Ost-West-Geschichte krisenträchtigsten überhaupt. Erst der substantielle Einigungsertrag hat die Helsinki-Deklaration möglich gemacht. Durch die vorgängige politische Verständigung versprach sie, mehr zu werden als nur ein rhetorischer Akt. Ohne eine Fortsetzung der Verständigung auf militärischem Gebiet aber war sie dazu verurteilt, ein rhetorischer Akt zu bleiben. Weshalb?
Da beschließen zwei feindliche Lager, sich ihre gegenseitigen Besitzstände nicht länger streitig zu machen, beseitigen Stück für Stück des angehäuften Konfliktstoffs, besiegeln ein ausgefeiltes Regel-werk der Sicherheit und Zusammenarbeit, geben so zu erkennen, daß sie nicht auf dem Sprung stehen, gewaltsam übereinander herzufallen, und fahren gleichzeitig fort, ungehemmt, ja mit beschleunigtem Tempo gegeneinander zu rüsten. Ist das der Einklang von Konfliktsubstanz und Konfliktstrategie? Europa bedrückt eine für Friedenszeiten ganz ungewöhnliche Massierung an Streitkräften und Waffen. Sie wurde während des Kalten Krieges geschaffen unter dem Eindruck hoher Konfliktvirulenz und akuter Gewaltbereitschaft. Sie hätte aber die Ära der Entspannung nicht überdauern dürfen, sollte sie nicht die politische Seriosität und Vertrauenswürdigkeit eben dieser Entspannung empfindlich desavourieren.
Dem erzielten Einigungserfolg angemessen und der Kontinuität der Entspannung förderlich gewesen wäre eine umfassende Rüstungskontrollvereinbarung, die angesichts der grotesken Überrüstung Europas nur eine einschneidende Abrüstungsübereinkunft hätte sein können. Rüstungskontrolle auszuschlagen, wo ihr politisch der Boden bereitet ist, heißt nichts anderes, als zuzulassen, daß sich der Rüstungswettlauf verselbständigt, und hinzunehmen, daß die unvermindert verspürte Bedrohung der Sicherheit immer weniger dem Konflikt und immer stärker den Waffen entspringt. Es sei denn, als Konfliktinhalt werden gar nicht die gegensätzlichen Interessen und strittigen Ansprüche der Staaten und Bündnisse begriffen, sondern die Unterschiedlichkeit ihrer Verfassungsordnungen und Gesellschaftssysteme. Dann allerdings hätte Spannungsabbau als das falsche Signal zu gelten, geeignet nur, die für die eigene Selbstbehauptung nötige Unversöhnlichkeit und ideologische Militanz zu schwächen. Rüstung, nicht Rüstungskontrolle wäre dann geboten, wollte Sicherheitspolitik dem Ruch der Amoralität entgehen, und von Konfliktregelung könnte erst die Rede sein, wenn das eine System das andere bezwungen hätte.
Einer so gestimmten Entspannungskritik hat Henry Kissinger einmal entgegnet: „Was den uralten Antagonismus zwischen Freiheit und Tyrannei betrifft, so sind wir nicht neutral. Aber zwingende Gründe legen unserer Fähigkeit Grenzen auf, innere Veränderungen in anderen Ländern zu bewirken. Das Bewußtsein unserer Grenzen entspringt der Notwendigkeit des Friedens — nicht moralischer Gefühllosigkeit. Die Erhaltung des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesellschaft sind auch moralische Werte.“ Danach wäre es also das Kriegsrisiko, das zu unfreiwilliger Selbstmäßigung drängt. Ob diese Wahl zwischen Frieden und Frei-heit wirklich unausweichlich ist oder ob sie eine Scheinalternative darstellt, mag nach einem Blick auf das Menschenrechtsproblem beurteilt werden.
III. Menschenrechte: Anspruch und Grenzen
„Für Sozialdemokraten“, so steht es in der gemeinsamen Erklärung von SPD und SED über den Streit der Ideologien, „haben die Menschenrechte in sich selbst absoluten Wert und sind gegenüber allen Formen wirtschaftlicher und staatlicher Macht auf immer neue Weise zu schützen und durchzusetzen. Sie sind in Form von Grundrechten Maßstab und Ziel staatlichen Handelns . . . Sozialdemokraten ist ein lebendiger, spannungsreicher und möglichst unbeschnittener Pluralismus in Kultur, Wissenschaft, Kunst und politischer Meinungsbildung unverzichtbarer Ausdruck von Freiheit, aber auch Voraussetzung und gleichzeitig Ergebnis einer Demokratie im Dienste der Entfaltung des Menschen.“
Das ist die Aussage einer deutschen politischen Partei, die zugleich eine weltanschauliche Richtung, die Sozialdemokratie, verkörpert. Aber würde ein westeuropäischer Liberaler oder ein nordamerikanischer Konservativer sein Verständnis der Menschenrechte grundlegend anders formulieren? Wohl kaum, und das spricht für die Annahme, daß der parteien-und staatenübergreifende Wertekonsens der westlichen Gesellschaften, der bei der Gründung ihrer übernationalen — auch der sicherheitspolitischen — Zusammenschlüsse Pate gestanden hat, eine in der Gegenwart fortwirkende politische Realität darstellt, auch wenn zu verschiedenen Zeiten einzelne Bündnismitglieder dem Leitbild eines demokratischen, rechtsstaatlichen Gemeinwesens nur sehr unvollkommen entsprachen.
Der westlichen Auffassung von Menschenrechten gegenüber steht die der kommunistischen Gesellschaften Osteuropas: „Marxisten-Leninisten nehmen für sich in Anspruch, durch das gesellschaftliche Eigentum und die damit verbundenen politischen Machtverhältnisse die sozial-ökonomischen Grundlagen für die freie Entfaltung des Menschen geschaffen zu haben. Soziale Sicherheit. Vollbeschäftigung, soziale Gerechtigkeit und reale Bildungsmöglichkeiten für alle sind für sie unabdingbare Grundlagen für Demokratie und die Entfaltung aller Menschenrechte.“
Der Unterschied der beiden Vorstellungen vom Menschen und seinen angestammten Rechten ist offensichtlich. Ist er auch unüberwindlich? Beide Menschenbilder können ihre gemeinsame Abkunft aus dem Denken der Aufklärung und den Verheißungen der Französischen Revolution nicht verleugnen. Beide trennt wenig voneinander, verglichen mit der Kluft jedes von ihnen zu einer religionsdogmatischen Lehre des Menschen, wie sie z. B.der islamische Fundamentalismus vertritt. Gleichwohl wäre es müßig, die Gegensätze zu verwischen. Die Menschenrechte westlicher und östlicher Lesart mögen sich eher in ihrer Rangfolge und Wertigkeit unterscheiden, die an diesen Werthierarchien entworfenen Sozial-und Verfassungsordnungen hingegen sind unvereinbar. Sozialismus und Kapitalismus, die klassenlose und die plurale Gesellschaft, der kommunistische Einparteienstaat und die liberale Demokratie werden miteinander keinen inneren Frieden schließen. Aber müssen sie es denn?
Für die internationalen Beziehungen zählt der äußere, nicht der innere Frieden. Wäre die Unverträglichkeit gesellschaftlicher Normensysteme an sich ursächlich für eine Erhöhung der Kriegsgefahr, so bestünde Grund zur Suche nach systemändernden Problemlösungen im Namen der Friedenserhaltung. Dazu genügt der wechselseitige Überlegenheitsanspruch allein aber nicht. Das Bewußtsein, die höherwertige, der Bestimmung des Menschen gemäße Sozialordnung zu repräsentieren, und selbst die Überzeugung, daß der Frieden am besten gesichert sei, wenn die eigene Idee der Menschenrechte weltweit triumphiere beeinträchtigen den Frieden noch nicht. Überzeugungen. Hoffnungen, Wünsche sind frei. Möge die Geschichte darüber entscheiden.
Erst wenn die Überlegenheitsbehauptung herhalten muß, expansive Ziele und aggressives Handeln zu rechtfertigen, ist die Friedenspflicht verletzt. Nur dürfte ein solcher Fall kaum eintreten. West und Ost pflegen die Unbegrenztheit des Geltungsanspruchs ihrer Wertsysteme von der Begrenzung der erlaubten Mittel sorgsam zu trennen. Hierin stimmen die amtlichen Erklärungen nahtlos überein: Militärische Streitmacht soll abschrecken und verteidigen, ihre offensive Bestimmung zum Zweck der Systemausdehnung wird energisch bestritten. Kommt es jedoch zum Waffengebrauch jenseits der Landesgrenzen, was oft genug geschah, dann stehen sich westliche und östliche Hauptstädte im findigen Vorschützen defensiver Beweggründe gleichfalls nicht nach. Alle heutigen Großmächte sind der Versuchung, außerhalb ihres Territoriums und anders als in Erwiderung eines Angriffs militärisch tätig zu werden, wiederholt erlegen. Den einen oder den anderen Gesellschaftstyp systembedingter Unfriedlichkeit anzuklagen, verlangt mithin nach parteilicher Optik. Folglich erfordert die Einhaltung des Friedensgebots nicht die Änderung von Gesellschaftsformen; es reicht vielmehr aus, die Regeln zu befolgen, die z. B. in Helsinki gemeinsam beschlossen wurden.
Kissingers Bedenken einer Sicherheitspolitik gegenüber, die auf innere Veränderungen des Konfliktgegners hinwirkt, lautete, sie sei zu gefährlich.
Gefährlich ist sie auch — zudem erfahrungsgemäß nicht eben aussichtsreich —, vor allem aber ist sie illegitim. Erst dieser Gesichtspunkt führt in den Kern des Problems von Frieden, Sicherheit, Rüstungskontrolle einerseits und Menschenrechten andererseits. Kein Land der Welt, schon gar kein westliches, hat je sein Streben nach Sicherheit auf das formale Merkmal territorialer Unversehrtheit beschränkt. Ebenso existentielle Inhalte des legitimen Interesses an Sicherheit sind die politische Unabhängigkeit und die souveräne Gestaltung der Rechts-und Gesellschaftsordnung. Sie vor gewaltsamer Verletzung und vor äußerem Druck zu schützen, bezweckt die Sicherheitspolitik. Worauf man aber selber besteht, kann man der Gegenseite billigerweise schwerlich bestreiten. Wer sich sicherer wähnt, wenn er den Gegner verunsichert, wer seiner Sicherheit zuschlagen will, was er dem Gegner zu entziehen hofft, setzt zweierlei Maß. Er begibt sich des Rechts der Berufung auf Sicherheitsgründe.
IV. Einige Folgerungen
Gefragt war. ob Rüstungskontrolle und Menschenrechte ist die Gleichartigkeit der zu erbringenden in einer Weise miteinander Zusammenhängen, ihre Geschäftsgrundlage ist der gegenseitige die eine operative Verbindung — möglicherweise Vorteil, ihr Handlungsmuster die Kooperation. in Form des Junktims — als sachlich geboten Die Forderung nach Gewährung von Menschenrechten politisch gerechtfertigt erweist. Die Antwort ergeht dagegen regelmäßig an die läßt sich in mehreren Schritten entwickeln. Adresse des Gegners. Bei sich selbst sieht die fordernde Seite das angemahnte Rechtsgut bereits erfüllt; Soweit Rüstungskontrollbemühungen überhaupt d. h. sie erwartet eine einseitige Anpassungsleistung gezeitigt haben, sind diese nicht durch des Adressaten zu dessen Lasten ohne vergleichbare vorherige Verständigung in Fragen der Menschenrechte Kompensation und unter Ausschluß von erreicht oder begünstigt worden. Für Kooperation.
die Vermutung eines Kausalzusammenhangs findet sieh kein Anhalt. Ebensowenig sind umgekehrt 3. Rüstungskontrolle ist ein klar umschriebenes Verhandlungen über Rüstungskontrolle an menschenrechtspolitischen mit einem eindeutigen Auftrag: Sie soll Differenzen gescheitert. Sicherheit erhöhen und Bedrohung vermindern. Feststellen läßt sich lediglich, daß eine verstärkte Gleichviel, ob die politische Wurzel der Unsicherheit an der Politik der Sowjetunion in der westlichen in der Machtrivalität der Staaten oder im Wertedissens Öffentlichkeit die Bereitschaft, Rüstungskontrollvorhaben der Systeme erkannt wird — Rüstungskontrolle zu unterstützen, mindert. Das deutlichste kann sie beide nicht aus der Welt schaffen. Beispiel ist die Nichtratifizierung des zweiten Sie kann nur ergänzend zu einer Politik des SALT-Vertrages von 1979 durch den amerikanischen und der Entspannung die Gewaltmittel Kongreß. Der unmittelbare Anlaß war jedoch beschränken und die Eigendynamik der kein Disput über Menschenrechte im engeren Rüstungen zügeln. Insofern wirkt sie bedrohungsmindernd. sondern der weit schwerwiegendere Vorgang Die Menschen in der Bundesrepublik der militärischen Intervention der UdSSR in Afghanistan. bedroht nicht die kommunistische
Ideologie. Dagegen sind sie immun wie kaum eine andere Bevölkerung Europas. Die Menschen in der 2. Menschenrechtspolitische Anliegen in Verhandlungen werden durch die Waffen bedroht, über Rüstungskontrolle einzumischen oder die auf ihr Territorium zielen. Rüstungskontrolle schlechthin an Zugeständnisse in Fragen der Menschenrechte zu binden, hieße 4. Der Begriff der Menschenrechte ist viel weniger Politikelemente gänzlich verschiedener Problem-ebenen gefaßt als der der Rüstungskontrolle. Von und Wirkungsweisen miteinander zu ver-
feststehenden Grundwerten aus bereitet seine Definition Das Funktionsprinzip der Rüstungskonkeine Mühe. Deshalb ist er innerhalb der Wertsysteme fest umrissen zwischen ihnen aber strittig. Das hat die Menschenrechte zunehmend zu zu einem Kampfbegriff der Ost-West-Kontroverse werden lassen; intensiver kritischer Auseinandersetzung dringend bedürftig, aber auch offen für Mißbrauch in polemischer Absicht. Darüber gerät leicht aus dem Blick, daß ein zwingender Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Sicherheit nicht besteht. Weder berührt es die Sicherheitsbelange eines Staates, wenn dessen Gegner seinen Bürgern bestimmte Rechte einräumt, noch wenn er sie versagt. Folglich müßte es, um ein Beispiel zu konstruieren, einer östlichen Regierung als ein ebenso sachfremdes Ansinnen erscheinen, rüstungskontrollpolitische Absprachen mit der Bedingung einer Lockerung von Reisebeschränkungen zu verknüpfen, wie einer westlichen Regierung die Koppelung an Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit. 5. Ungeachtet ihrer gegensätzlichen Positionen in der Frage, welche Menschenrechte vorrangig zu verwirklichen sind, verbindet die Mitglieder beider Bündnisse ein breiter-Überschneidungsbereich gleichartiger Auffassungen über elementare Bedingungen der Zivilisation. Hier böte sich ein weites Tätigkeitsfeld, politisches Engagement für humanitäre Ziele unter Beweis zu stellen — könnten sie sich entschließen, ihre Anstrengungen zu vereinen, um den krassesten Auswüchsen gemeinsam zu begegnen.
Am bittersten verhöhnt werden Grundrechte des Menschen dort, wo Demagogen der Gewalt Halbwüchsige auf die Schlachtfelder und in die Feuergarben treiben, wo der Heldentod als Pforte zur ewigen Glückseligkeit gepriesen wird, wo verfeindete Bevölkerungsgruppen sich gegenseitig die Dörfer niederbrennen und deren Bewohner hinmetzeln, wo das Massaker ein alltägliches Herrschaftsmittel rivalisierender Milizen ist, wo Knochengestalten in Flüchtlingslagern ihrem Hunger-tod entgegendämmern, wo in Kerkern die Folter regiert. Die Geographie des Terrors kennt viele Tatorte: zwischen Hindus und Sikhs im Punjab, zwischen Tamilen und Singhalesen in Sri Lanka, zwischen Kurden und Türken in Ostanatolien, zwischen sunnitischen, schiitischen, drusischen Moslems und maronitischen Christen im Libanon. Hinzu kommen die Schauplätze unerklärter Kriege am Golf, in Südwestasien, in Mittelamerika.
Überall dort verfügen die Nationen der nördlichen Hemisphäre über direkten oder mittelbaren Einfluß, um zu schlichten, zu mildern, zu helfen — der ungenutzt bleibt, solange sie ihre Energien in der Inszenierung des eigenen, anachronistischen Konflikts erschöpfen. Dies sind längst nicht alle Krisen-zonen. in denen die Verletzung von Menschenrechten an der Tagesordnung ist, aber es sind diejenigen, die das Weltgewissen am stärksten beschämen, und zumeist solche, deren Verflechtung mit den Problemen des Friedens und der Sicherheit ohne ideologische Verbrämungen offenkundig ist.