I. Einleitung
Arbeitspolitik ist ein relativ neues, sich gegenwärtig rapide entwickelndes Gebiet, das als akademische (Lehr und Forschungs-) Disziplin noch keine fest umrissenen Konturen aufweist; in der öffentlichen Diskussion werden mit dem Begriff recht unterschiedliche Inhalte verbunden. Wir wollen von folgender (Nominal-) Definition ausgehen: „Unter Arbeitspolitik wird der Prozeß der Einflußnahme von betrieblichen, überbetrieblichen und staatlichen Handlungsträgern auf die Organisation des Arbeits-und Produktionsprozesses und seine sozialen Folgewirkungen — unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessenlagen — verstanden.“
Arbeitspolitik soll im folgenden konzipiert sein als interdisziplinär angelegtes Forschungsgebiet, welches aus verschiedenen der bekannten Disziplinen „Versatzstücke“ aufgreift, so z. B.:
— aus der Rechtswissenschaft insbesondere Teile des kollektiven Arbeitsrechts, — aus der Soziologie Elemente der Betriebs-und Industriesoziologie, — aus der Wirtschaftswissenschaft vor allem verschiedene Aspekte der Arbeitsmarktanalyse. Innerhalb der Arbeitspolitik*) gehen wir davon aus, daß nicht technologische Eigengesetzlichkeiten und/oder ökonomischer Determinismus herrschen, sondern daß die sozio-ökonomischen Verhältnisse grundsätzlich durch (tarif-) politische Prozesse gestaltet, gesteuert und kontrolliert werden können. Es geht also um die Handlungsspielräume und -alternativen bei der Gestaltung dieser betrieblichen und überbetrieblichen Politikfelder, d. h. um verschiedene Formen der politischen Regulierung. Bisher ist diese Sichtweise u. a. innerhalb der (Industrie-) Soziologie, der Ökonomie und der Studien über das System der Arbeitsbeziehungen (industrial and labor relations) nahezu systematisch ausgeblendet worden.
Im folgenden will ich beispielhaft die beiden aus arbeitspolitischer Perspektive zentrale Projekte der vergangenen Jahre — den § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes sowie das Beschäftigungsförderungsgesetz — vorstellen und auf ihre Auswirkungen hin untersuchen.
II. Die Änderung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz
1. Zur Vorgeschichte Zur Erinnerung: Im Frühjahr 1984 kam es während des Arbeitskampfes in der Metallindustrie über die Verkürzung der Wochenarbeitszeit (Einführung der 35-Stunden-Woche) zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten über die Legalität von Zahlungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) in Form von Arbeitslosen-oder Kurzarbeitergeld an mittelbar von Streik bzw. Aussperrung betroffene Arbeitnehmer. Gegenstand der Kontroverse war die Frage, ob die BA zu Zahlungen an diejenigen Arbeitnehmer verpflichtet sei, die zwar zur selben Branche gehören, aber in einem anderen als dem umkämpften Tarifbezirk vorübergehend beschäftigungslos werden. Der § 116 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wurde in diesem Zusammenhang erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Paragraph über die von der Verfassung gebotene Neutralität des Staates besagt: „Durch die Gewährung von Arbeitslosengeld darf nicht in Arbeitskämpfe eingegriffen werden.“
Der Präsident der BA, Heinrich Franke, verweigerte zunächst die Zahlungen an indirekt betroffene (in gewerkschaftlicher Sicht „kalt ausgesperrte“) Arbeitnehmer; Grundlage dieser Entscheidung war der § 116 AFG in Verbindung mit der sogenannten Neutralitätsanordnung, die der Verwaltungsrat der BA als nachgeordnete Regelung im Jahre 1973 erlassen hatte. Die Sozialgerichte in Bremen und Hessen hoben wenig später diesen sogenannten Franke-Erlaß durch einstweilige Anordnungen wieder auf und verpflichteten die BA zur Auszahlung der Kurzarbeitergelder. Eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundessozialgerichts liegt noch nicht vor. 2. Die Neuregelung Die Tarifpartner konnten in Gesprächen mit der Bundesregierung bis Ende 1985 keine einvernehmliche „sozialpartnerschaftliche“ Regelung des Problems der Sicherung der Neutralität der BA bei Arbeitskämpfen erzielen — was lange vorher wohl schon abzusehen gewesen war. Daraufhin verabschiedete im Frühjahr 1986 nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften der Bundestag mit der Mehrheit der Fraktionen der Regierungskoalition gegen den massiven Widerstand der Oppositionsfraktionen eine Neuregelung der Lohnersatzleistungen bei Arbeitskämpfen durch Änderung des § 116 AFG.
Wir müssen in dieser Regelung drei Gruppen strikt unterscheiden:
Unmittelbar von einem Arbeitskampf (Streik oder Aussperrung) betroffene Arbeitnehmer erhalten — wie schon vor der Novellierung — grundsätzlich keinerlei Zahlungen der BA. Sie bekommen wie bisher Unterstützungsleistungen aus der Streik-kasse der Gewerkschaft, sofern sie Mitglied sind. Nicht-Organisierte gehen leer aus.
Mittelbar betroffene Arbeitnehmer, die zwar zu derselben Branche (demselben fachlichen Geltungsbereich), aber zu einem anderen als dem umkämpften Tarifbezirk gehören, erhalten im Falle eines arbeitskampfbedingten Arbeitsausfalls (soge-nannte kalte Aussperrung) im Gegensatz zur bisherigen Regelung keine Unterstützungsleistungen der BA mehr, wenn in ihrem Tarifbezirk eine Forderung erhoben wird, „die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes nach Art und Umfang gleich ist, ohne mit ihr übereinstimmen zu müssen“, und „das Arbeitskampfergebnis aller Voraussicht nach in den räumlichen Geltungsbereich des nicht umkämpften Tarifvertrages im wesentlichen übernommen wird“. Vorher wurden — gestützt durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 1975 — bei mittelbarer Betroffenheit in der Regel Lohnersatzleistungen gezahlt. In dieser Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses liegt also die eigentliche Veränderung der Rechtslage.
Indirekt, d. h. von den sogenannten Fernwirkungen eines Arbeitskampfes betroffene Arbeitnehmer anderer Branchen (also in einem anderen fachlichen Tarifbereich) erhalten — wie vor der Novellierung — Zahlungen der BA 3. Folgen für das Arbeitskampfverhalten Durch diese Neuregelung werden in Zukunft im Konfliktfall erhöhte Anforderungen an die Streik-kassen der Gewerkschaften und die innerorganisatorische Solidarität gestellt, da die finanzielle Situation einer großen Zahl mittelbar betroffener Mitglieder sich verändert hat. Infolge eines zunehmenden moralischen und politischen Binnendrucks mit entsolidarisierenden Folgen wird eine Variation der gewerkschaftlichen Arbeitskampftaktik in Richtung auf neue Streikformen notwendig: Mitglieder (-gruppen), die als indirekt Betroffene außerhalb des Kampfgebiets vorübergehend beschäftigungslos werden, werden entweder Unterstützungsleistungen verlangen oder auf eine sofortige Beendigung des Arbeitskampfes drängen. Schwerpunkt-streiks, deren Bedeutung in den vergangenen Jahren zugenommen hatte, sind nunmehr erheblich erschwert worden. Im Rahmen einer sogenannten Minimax-Strategie bestreikte die Gewerkschaft nicht alle Unternehmen eines Tarifgebiets, sondern vor allem ausgewählte Zulieferbetriebe mit Schlüsselfunktionen, um bei einem minimalen Einsatz eigener Ressourcen eine größtmögliche Wirkung zu erzielen.
Zumindest bisher ist jedoch jedwede Änderung des Arbeitskampfrechts durch eine Variation der Arbeitskampfstrategien aufgefangen bzw. konterkariert worden. Schwerpunkt-statt Flächenstreiks bzw. gewerkschaftlich organisierte kurze Warnstreiks während der Tarifverhandlungen („neue Beweglichkeit“) sind seit den siebziger Jahren neue Kampfmittel. Die aktuelle Diskussion innerhalb der IG Druck und Papier um neue Kampfformen, konkret um ein „auf Stunden befristetes Verbleiben am Arbeitsplatz“, ist Ausdruck einer solchen Änderung. Die Strategien müssen den konkreten Rahmenbedingungen des jeweiligen Wirtschaftsbereichs entsprechen (z. B. moderne Drucktechniken, die mit wenig Personal auskommen). Im übrigen bleibt die Welle „üblicher“ Warnstreiks während der laufenden Verhandlungen von dieser Neuorientierung unberührt.
Die Neuregelung betrifft nicht unmittelbar das formale Streikrecht, wie in der öffentlichen Diskussion gelegentlich behauptet wird; sie richtet sich jedoch vehement gegen die praktische Streikfähigkeit ganz bestimmter Gewerkschaften: Betroffen sind dieje-nigen Organisationen, die Tarifverhandlungen auf regionaler, also Bezirksebene führen — und damit vor allem die IG Metall; nur hier können Arbeitskämpfe Modellcharakter bzw. Signalfunktion haben. Nicht direkt berührt sind hingegen die Gewerkschaften derjenigen Branchen, in denen bundesweite Tarifverhandlungen geführt werden — wie im öffentlichen Dienst, in der Druckindustrie oder im Bauhauptgewerbe, bei Banken oder Versicherungen Auch bei betriebsnahen Verhandlungssystemen taucht das Problem mittelbarer Betroffenheit gar nicht erst auf; diese Struktur ist allerdings in der Bundesrepublik selten, wobei die bekannteste Ausnahme der Firmentarifvertrag bei VW darstellt.
Insofern ergibt sich eine durchaus unterschiedliche faktische Betroffenheit verschiedener Gewerkschaften, was infolge der Solidarität und Geschlossenheit der DGB-Gewerkschaften bei der politischen Behandlung dieser Frage 1985/86 nicht hinreichend deutlich wurde. Die Neuregelung „wird ihre Negativwirkungen auf die Beschäftigten in solchen Bereichen konzentrieren, die mit großer Fertigungstiefe bei langen Produktionsketten in derselben Branche produzieren. Vieles spricht dafür, daß damit genau die industriellen Beziehungen des Metall-sektors umschrieben sind“ 4. Folgen für die Tarifpolitik Für die Tarifpolitik im engeren Sinne hat die Neuregelung insofern weitreichende Konsequenzen, als sie die bisherige, über lange Jahre recht gut bewährte Praxis einer zwar regional geführten, jedoch zentral koordinierten Tarifpolitik (mit vergleichsweise einheitlichen Zielen und Strategien) erheblich erschwert.
Eine von mehreren möglichen Antworten auf die veränderte Rechtslage könnte eine weitergehende Differenzierung und Regionalisierung sein; dadurch würde allerdings eine partikularistische „Kleinstaaterei“ innerhalb der Tarifvertragspolitik erleichtert. An einer solchen „Balkanisierung“ ohne überregionale Regelungsmuster könnten aber beide Tarifparteien mittel-und langfristig kaum Interesse haben, da ohnehin schon bestehende Unterschiede in den Produktions-und Kosten-bzw. Lebens-und Arbeitsbedingungen verschärft würden. Die Folgen einer derartigen Atomisierung der Tarifpolitik für das — insgesamt trotz der anhaltenden Krise doch recht zufriedenstellend funktionierende — System der Tarifvertragsbeziehungen (mit relativ wenigen Arbeitskämpfen und einer bundesweit einheitlichen, vergleichsweise zentralisierten tarifpolitischen Orientierung) wären überaus ungewiß und weitgehend nicht planbar.
Eine ganz andere Antwort auf die veränderte Rechtslage könnten regional unterschiedliche Forderungen im Detail sein; aber auch diese Strategie würde nicht weiterhelfen. Vielmehr kann die Gewerkschaft bei nahezu beliebigen betriebsübergreifenden Forderungen quantitativer (z. B. Lohn) oder qualitativer Art (z. B. Arbeitszeitverkürzung, wie etwa die Forderung nach „Einführung der 35-Stunden-Woche“), die Dynamik des Tarifkonflikts nicht mehr kontrollieren und kalkulieren, da die Lohnersatzansprüche einer vorher nicht bestimmbaren Zahl von Arbeitnehmern fortfallen. Eine materielle Unterstützung aller nicht nur mittelbar, sondern auch unmittelbar von Arbeitskampffolgen, d. h. von Streik und Aussperrung, betroffenen Mitglieder (auch außerhalb des umkämpften Tarifgebiets und damit jenseits der satzungsrechtlich geforderten Unterstützungsleistungen) ist aus finanziellen Gründen von vornherein unmöglich; innerhalb des umkämpften Tarifbezirks kann deren Zahl durch Aussperrungsmaßnahmen — im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der zulässigen Quoten nach dem BAG-Urteil von 1980 — erheblich vergrößert werden. Zur Erinnerung: 1984 lag in den umkämpften Tarifgebieten Nordwürttemberg-Nordbaden und Hessen das ZahlenVerhältnis von Streikenden zu Ausgesperrten in der Größenordnung von eins zu drei (50 000 zu ca. 170 000); außerhalb der umkämpften Tarifbezirke wurden nach Angaben der IG Metall über 300 000 Arbeitnehmer ausgesperrt.
Eine dritte, möglicherweise realistische Alternative zeichnet sich in den Tarifabschlüssen des Jahres 1987 ab: Tarifverträge in verschiedenen Branchen haben (inklusive Stufenregelungen) eine Laufzeit von mehreren Jahren; dies stellt ein Novum für Lohn-und Gehaltstarifverträge dar. Lange Laufzeiten entlasten — wie besonders die US-amerikanische Erfahrung zeigt — das Tarifverhandlungssystem. 5. Instrumentelle Probleme der Neuregelung:
Neutralitätsausschuß, Generalklauseln, Kontrollbefugnis Nicht nur in materieller Hinsicht (für Tarifpolitik und Arbeitskampf), sondern auch in instrumenteller Perspektive wird die Neuregelung der Konfliktlösungsverfahren keineswegs ohne Probleme bleiben: Erstens muß bezweifelt werden, daß der neu eingeführte Neutralitätsausschuß als institutionalisierter Konfliktlösungsmechanismus wirklich entscheidungs-und konsensfähig sein kann. Dieses Gremium besteht (nach dem Vorbild der Selbstverwaltungsorgane der BA) aus je drei Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie dem BA-Präsidenten als Vorsitzenden. Es wird künftig entscheiden, ob die im Gesetz formulierten Bedingungen im Einzelfall vorliegen, d. h. ob Arbeitnehmer tatsächlich infolge von Arbeitskämpfen in anderen Tarifgebieten vorübergehend entlassen wurden. Wir können von den plausiblen Annahmen ausgehen, daß erstens die Repräsentanten der Tarifparteien jeweils gemeinsam abstimmen und daß zweitens die Vertreter der beiden Seiten unterschiedliche Meinungen hinsichtlich der Beurteilung des jeweiligen Sachverhalts vertreten werden. In einer solchen Pattsituation trifft letztlich der Präsident der BA die Entscheidung über die rechtsverbindliche Interpretation der Generalklauseln. Er wird zum „Superschlichter“ mit Entscheidungsvollmacht, der Neutralitätsausschuß hat lediglich noch legitimatorische Funktionen gegenüber den Verbandsmitgliedern und vor allem gegenüber der Öffentlichkeit. Konkret bedeutet dies: In einer Situation mit ähnlichen Auslegungsschwierigkeiten wie während des Arbeitskampfes im Frühjahr 1984 (oder vorher 1971 und 1978 bei den Arbeitskämpfen in Nordwürttemberg-Nordbaden) kann nunmehr der Präsident der BA über Zahlung oder Entzug der Lohnersatzleistungen für mittelbar von Streik oder Aussperrung Betroffene innerhalb eines beträchtlichen Ermessens-und Bewertungsspielraumes rechtsverbindlich entscheiden.
Ein zweites verfahrenstechnisches Problem besteht darin, daß die neuen Generalklauseln wiederum recht vage formuliert sind; der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht nach § 116, Absatz 3 der neuen Fassung bereits, wenn a) „eine Forderung erhoben worden ist, die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes nach Art und Umfang gleich ist, ohne mit ihr übereinstimmen zu müssen“, und b) „das Arbeitskampfergebnis aller Voraussicht nach in dem räumlichen Geltungsbereich des nicht umkämpften Tarifvertrages im wesentlichen übernommen wird.
Eine Forderung ist erhoben, wenn sie von der zur Entscheidung berufenen Stelle beschlossen worden ist oder aufgrund des Verhaltens der Tarifvertrags-partei im Zusammenhang mit dem angestrebten Abschluß des Tarifvertrages als beschlossen anzusehen ist“ (Hervorhebungen von mir, B. K.).
Die regierungsoffiziell angestrebte Normenklarheit bzw. „Klarstellung der Rechtslage“ des alten § 116 in Verbindung mit der Neutralitätsanordnung ist durch die Novellierung keinesfalls erreicht; recht unterschiedlichen Interpretationen der unbestimmten Rechtsbegriffe — einschließlich der puren Annahme konkludenten Verhaltens bei der Erhebung von Forderungen — sind Tür und Tor geöffnet.
Der Gesetzgeber dürfte ein neues Betätigungsfeld für arbeitsrechtliche Gutachten über Präzedenzfälle bei Auslegungs-und Rechtsstreitigkeiten geschaffen haben.
Zum dritten wurde — neben einer verstärkten Möglichkeit der Arbeitsämter bei der Kontrolle der betrieblichen Ursachen und Bedingungen der Kurz-arbeit — eine besondere Kontrollbefugnis in § 72
AFG eingefügt: Der Betriebsrat (BR) hat eine Stellungnahme abzugeben, ob der Arbeitsausfall tatsächlich durch die technischen oder wirtschaftlichen Auswirkungen des Arbeitskampfes — und nicht durch andere Gründe wie etwa eine kurzfristig veränderte Lagerhaltungspolitik — verursacht wurde. Zwar fordert das Gesetz nunmehr, daß der Arbeitgeber „die für die Stellungnahme erforderlichen Angaben zu machen“ hat. Aber wie soll ein BR im Konfliktfall alle zur effektiven Wahrnehmung seiner Kontroll-und Mitbestimmungsrechte relevanten Informationen sammeln, ohne sich sofort dem massiven Vorwurf der gesetzeswidrigen „Betriebsspionage“ auszusetzen? Notwendig wären u. a.detaillierte Kenntnisse über neuartige Strategien einer möglichst knappen Lagerhaltung und deren kurzfristige Veränderungen unter Kosten-und Gewinn-aspekten, über Fertigungsstrukturen, zunehmende Produktions-und Lieferverflechtungen etc.
Sind Produktionseinschränkungen bzw. -abbrüche als wirtschaftlich und technisch zwangsläufige Folgen von Femwirkungen oder als strategische Maßnahmen im Arbeitskampfkalkül der Arbeitgeber anzusehen? Die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen BR und Unternehmensleitungen über das Risiko arbeitskampfbedingter Produktionseinstellungen während des Arbeitskampfes im Frühjahr 1984 dokumentieren jedenfalls deutlich die erheblichen Verfahrensprobleme, welche durch die Neufassung des § 116 AFG keinesfalls gelöst worden sind. Die Kontrollbefugnis in der nunmehr vorliegenden Form dürfte kein effizientes Instrument sein, um einen Mißbrauch der Aussperrung auszuschließen. 6. Fazit und Ausblick Die Neuregelung des § 116 AFG wird bekanntlich kontrovers beurteilt: Die Gewerkschaften lehnen sie rundweg ab, den Arbeitgeberverbänden geht sie nicht weit genug „Was die gesetzliche Neuregelung für die Neutralität der Bundesanstalt wirklich bedeutet, vermag mit letzter Sicherheit niemand zu sagen, solange die konkrete Bewährungsprobe aussteht.“ Obwohl diese (nach dem „friedlichen“ Ausgang der Tarifrunde des Jahres 1987) noch be-vorsteht, dürfte das Fazit schon jetzt eindeutig sein: Die Änderung hat die Arbeitskampfmöglichkeiten zuungunsten der Gewerkschaften verschoben, ihre Handlungschancen bei Tarifauseinandersetzungen wesentlich eingeengt. Im übrigen zeigen internationale Vergleiche der Arbeitsrechtssysteme, daß die Leistungsgewährung bei Arbeitskämpfen in der Bundesrepublik nunmehr am engsten gefaßt ist. In anderen westlichen Industrieländern sind zumeist nur die aktiv am Streik Beteiligten von den Leistungen der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen, während in der Bundesrepublik jetzt auch mittelbar betroffene Arbeitnehmer ausgegrenzt werden
Die IG Metall, die SPD-Bundestagsfraktion sowie SPD-regierte Bundesländer haben inzwischen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken Klagen gegen die Neufassung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht; strittig ist die Vereinbarkeit mit Art. 9 (Koalitionsfreiheit), Art. 14 (Schutz des Eigentums) und Art. 3 (Gleichheitssatz) Die Bundesregierung vertritt auf der Basis ihr vorliegender Rechtsgutachten die Meinung, daß alle Bestimmungen verfassungsgemäß seien. Gleichwohl liegen die eigentlichen Probleme der Neuregelungjenseits einer engen juristischen Betrachtungsweise bei den Funktionsbedingungen der Tarifauto (Schutz des Eigentums) und Art. 3 (Gleichheitssatz) 11). Die Bundesregierung vertritt auf der Basis ihr vorliegender Rechtsgutachten die Meinung, daß alle Bestimmungen verfassungsgemäß seien. Gleichwohl liegen die eigentlichen Probleme der Neuregelungjenseits einer engen juristischen Betrachtungsweise bei den Funktionsbedingungen der Tarifautonomie bzw.der Tarifpolitik.
III. Das Beschäftigungsförderungsgesetz
1. Einleitung Das Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG) 12), welches am 1. Mai 1985 in Kraft getreten ist und am 1. Januar 1990 auslaufen soll, will durch verschiedene Deregulierungsmaßnahmen das (als „zu starr“ und „verkrustet“ empfundene) Arbeitsrecht flexibler gestalten; zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten sollen durch Zurücknahme verschiedener arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften (vor allem Abbau von Kündigungsschutzrechten) — bzw. eine damit verbundene Senkung der Lohnkosten — geschaffen werden. Die Kembestimmung ist die im ersten Abschnitt geregelte „erleichterte Zulassung befristeter Arbeitsverträge“ (durch die einmalige Befristung des Arbeitsvertrages bis zur Dauer von 18 Monaten ohne besondere sachliche Begründung), „wenn der Arbeitnehmer neu eingestellt wird oder der Arbeitnehmer im unmittelbaren Anschluß an die Berufsausbildung nur vorübergehend weiterbeschäftigt werden kann, weil kein Arbeitsplatz für einen unbefristet einzustellenden Arbeitnehmer zur Verfügung steht“ 13).
Flankierende Instrumente des Gesetzes sind vor allem — die Empfehlung an die Betriebe, Überstunden der bereits Beschäftigten durch (befristete) Neueinstellungen abzulösen;
— die Verlängerung der Überlassungsdauer eines Leiharbeitnehmers an denselben Entleiher;
— die erstmalige gesetzliche Regelung von zwei Formen der Teilzeitarbeit, nämlich der „Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall“ („Arbeit auf Abruf“) hinsichtlich Dauer, Lage und Abruffrist sowie der Arbeitsplatzteilung zwischen zwei oder mehreren Arbeitnehmern (job sharing);
— die Erhöhung der Schwellenwerte beim Abschluß von Sozialplanregelungen (nach § 112 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG] 14).
Das BeschFG war von Anfang an heftig umstritten; die Gewerkschaften sprachen von einem „Gesetz des Heuerns und Feuerns“; die Arbeitgeberverbände begrüßten den Abbau „beschäftigungshemmender, arbeitsrechtlicher Vorschriften“ Während die öffentliche Diskussion über die Auswirkungen des Gesetzes sich ursprünglich weitgehend an reinen Vermutungen orientierte, sind wir nunmehr einen wesentlichen Schritt weiter: Statt kontroverse Spekulationen über mögliche Zusammenhänge anzustellen, können wir das empirische Material der inzwischen vorliegenden Untersuchungen zur Beurteilung der Folgen heranziehen Sicher-lieh bestehen gewisse Probleme etwa wegen der unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte, hinsichtlich der Repräsentativität oder Bedeutung der jeweils einbezogenen Wirtschaftszweige oder infolge der Interessengebundenheit der antwortenden Akteure Unternehmensleitung bzw. Betriebsrat. Bei allen aus methodischen Erwägungen notwendigen Einschränkungen ergeben sich jedoch eine Reihe von empirisch hinreichend fundierten Hinweisen auf die Auswirkungen des Gesetzes. 2. Beschäftigungspolitische Folgen Die beschäftigungspolitischen Wirkungen sind zumindest äußerst strittig und ungewiß: Die Analysen zeigen übereinstimmend, daß ca. die Hälfte aller Neueinstellungen, d. h.der Ersatz für ausgeschiedene Arbeitnehmer plus echte Neueinstellungen, lediglich befristet erfolgt'. Dieser Formwandel des Beschäftigungseinstiegs ist ein deutliches Indiz dafür, daß zunehmende Befristungen eher einen Verlust an Dauerarbeitsplätzen denn zusätzliche Beschäftigung bewirken. Diese Verteilung kann nicht im Sinne des Gesetzgebers liegen, der doch gerade „zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten“ schaffen und nicht bei der Wiederbesetzung freiwerdender Stellen einen Substitutionsprozeß von Dauer durch befristete Arbeitsverhältnisse einleiten wollte.
Die Zunahme der Gesamtbeschäftigtenzahl in den vergangenen Jahren kann nicht auf Auswirkungen des BeschFG zurückgeführt werden, da -günstige konjunkturelle Einflüsse (moderates Wirtschaftswachstum über mehrere Jahre u. a. infolge des Ölpreisverfalls), -enorme Handelsbilanzüberschüsse (vor allem im Jahre 1986 wegen der Kursentwicklung des US-Dollar) — sowie die Konsequenzen der Verkürzung der (Wochen-) Arbeitszeit auf 38, 5 Stunden
wesentlich dazu beigetragen haben. Positive Beschäftigungseffekte in Richtung eines Abbaus der hohen Arbeitslosigkeit werden nur in der BDA-Studie behauptet, allerdings auch dort nicht durch konkrete Zahlen belegt.
Nicht die — vom Gesetzgeber strategisch hoch eingeschätzten — arbeitsrechtlichen (Rahmen-) Bedin-gungen, sondern vor allem die Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung ist relevant für die Beschäftigungsentwicklung. Ob der gesetzliche Kündigungsschutz in seinen Auswirkungen als Hindernis für personalpolitisch notwendige Anpassungen im BeschFG realistisch eingeschätzt wird, muß bezweifelt werden; zumindest ergibt sich aus den vorliegenden Analysen, „daß sich der behauptete Ursachenzusammenhang von Kündigungsschutz und mangelnder Einstellungsbereitschaft empirisch nicht belegen läßt“
Entgegen offizieller Lesart bewirkt das BeschFG weniger die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze als vielmehr weitergehende Differenzierungen innerhalb der Arbeitnehmerschaft und ihrer Erwerbs-chancen: — Auf der einen Seite steht eine — im Laufe der Zeit infolge der Fluktuation kleiner werdende — Stammbelegschaft; sie verfügt über Rechte nach dem alten, vom Bundesarbeitsgericht (BAG) in der ständigen Rechtsprechung in vielen Einzelentscheidungen interpretierten Kündigungsschutz (als gesetzliche Form des Bestandsschutzes). Nach diesem sogenannten Richterrecht sind „sachliche Gründe“ zur Befristung von Arbeitsverträgen notwendig (z. B. Aushilfs-, Saison-und Vertretungsarbeiten, Probearbeitsverhältnis).
— Auf der anderen Seite befindet sich eine (größer werdende) Randbelegschaft in instabilen Beschäftigungsverhältnissen ohne allgemeine Senioritätsoder besondere Kündigungsschutzrechte (z. B. nach dem Mutterschutzgesetz).
Insoweit verstärken die neuen rechtlichen Regelungen die ohnehin schon bestehenden Segmentationsprozesse innerhalb der betrieblichen Sozialstruktur bzw. auf dem Arbeitsmarkt zu Lasten der Neueingestellten
3. Ausweitung der Befristungspraxis Dieser schleichende Umbau des Arbeitsmarkts führt zu einer fortschreitenden Erosion des Normal- arbeitsverhältnisses (als Dauer-und Vollarbeitszeit-Verhältnis). Inzwischen gehört schon jedes vierte Beschäftigungsverhältnis nicht mehr in den Bereich unbefristeter Vollzeitbeschäftigung. Diese generelle, auch ohne regulative Eingriffe eingetretene Entwicklung einer Zunahme von Arbeitsverhältnissen, die vom Prinzip der Dauerbeschäftigung abweichen hat das BeschFG sicherlich nicht eingeleitet oder verursacht: Bereits Mitte 1984 waren über vier Prozent, Mitte 1985 fast schon sieben Prozent aller Arbeitsverträge befristet; die entsprechenden Stellen befinden sich vor allem im öffentlichen Dienst mit einer infolge der rigorosen Sparpolitik seit Mitte der siebziger Jahre zunehmenden Zeitvertragspraxis sowie in den traditionellen Saisonbereichen. Das BeschFG hat aber diesen Trend einer zunehmenden Zeitvertragsbzw. Befristungspraxis wesentlich verstärkt und beschleunigt; die Zunahme der befristeten Beschäftigungsverhältnisse ist deutlich höher als die der Gesamtbeschäftigten Zudem wird aus Sicht der Gewerkschaft die ohnehin schon bestehende Interessendifferenzierung von Arbeitsplatzinhabem und Arbeitslosen — und damit die Arbeitsmarktspaltung — vertieft und eine bei Industrieverbänden notwendigerweise stets prekäre Politik der Interessenvereinheitlichung erschwert; infolge der Veränderungen der rechtlich abgesicherten Vertretungsmöglichkeiten wird aus Sicht der Betriebsräte die aktive betriebliche Interessenvertretung gefährdet.
Nicht eindeutig geklärt wird durch die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen die Frage, ob das BeschFG eher in Klein-und Mittelbetrieben oder in Großbetrieben angewandt wird. Kleinbetriebe sind die eigentliche Zielgruppe, bei der die Bundesregierung Einstellungen erleichtern und dadurch eine Entlastung des Arbeitsmarktes eneichen wollte.
Der häufigere Fall ist nach übereinstimmenden Resultaten der vorliegenden Untersuchungen eine Dauer der Befristung auf sechs Monate, also eine erhebliche Unterschreitung der gesetzlich zulässigen Höchstgrenze von 18 Monaten; allerdings nehmen in der jüngsten Zeit Laufzeiten von über sechs Monaten stark zu, die nach dem alten restriktiveren Recht grundsätzlich nicht möglich waren. Diese Befristung bedeutet für den Arbeitnehmer, der in der Regel eine feste Anstellung anstrebt, faktisch eine Verlängerung der (bisher häufig in Tarifverträgen geregelten) Probezeit; zudem sind die Chancen auf einen Dauerarbeitsplatz gering so daß das befristete Arbeitsverhältnis „eher als Drehtür zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung wirkt“ und nicht als „Brücke in die Erwerbsgesellschaft“ bzw. „Tor zur Dauerbeschäftigung“ (N. Blüm). Allerdings ergibt sich ein neues Instrument der mittelfristigen Personalplanung zur Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes und zum Abbau von Personalreserven. Frauen sowie Jugendliche nach Abschluß der Ausbildung sind überdurchschnittlich häufig von Befristungen ihrer Beschäftigungsverhältnisse betroffen. Die Situation dieser sogenannten Problemgruppen des Arbeitsmarktes verbessert sich durch die neuen Regelungen also nicht; ganz im Gegenteil werden die bereits bestehenden generellen Benachteiligungen dieser Gruppen im Beschäftigungssystem durch Deregulierungsstrategien eher noch verstärkt. 4. Regulierung von Formen der Teilzeitarbeit Positive Aspekte des BeschFG werden gelegentlich in der stärkeren rechtlichen Normierung bestimmter Formen von Teilzeitarbeit gesehen, da einige Minimalrechte der Arbeitnehmer erstmals explizit formuliert werden. Hierzu gehören u. a.
— Ankündigungs-bzw. Abruffristen von mindestens vier Tagen, — bei fehlender vertraglicher Vereinbarung eine Mindestarbeitszeit von zehn Stunden pro Woche — sowie eine Mindestbeschäftigungsdauer von drei aufeinanderfolgenden Stunden
Diese positiven Aspekte könnten in besonderem Maße gelten für die Variante der kapazitätsorientierten, variablen Arbeitszeit, kurz Kapovaz genannt. Indessen läßt sich aus Sicht der Arbeitnehmer bzw. Gewerkschaften argumentieren, daß diese Art der Teilzeitbeschäftigung („Arbeit auf Abruf“) infolge der fortschreitenden Legalisierung durch das BeschFG überhaupt erst gesellschaftsfähig gemacht wurde. Zudem hält sich der erreichte Schutz in sehr engen Grenzen Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, daß der Anteil befristeter Teilzeitarbeitsverhältnisse zunimmt. Neben der Flexibilisierung des Personal-Standes (vgl. oben) erfolgt also auch eine Flexibilisierung des Personaleinsatzes. Insgesamt gilt aber: „Sowohl von der Zahl der neuen Teilzeitarbeitsverhältnisse wie von ihrer Zweckbestimmung kann auf einen nennenswerten Beschäftigungseffekt dieses Instruments nicht geschlossen werden.“
Teilzeitarbeit nach dem Kapovaz-Prinzip ist vor allem in Branchen mit erheblichen Schwankungen des Arbeitsanfalls im Tages-, Wochen-oder Saisonrhythmus (besonders im Handel, aber auch in der Textil-und Bekleidungsindustrie) schon seit längerem weit verbreitet; es handelt sich um einen Sektor minderqualifizierter, unsteter Beschäftigung in einer arbeits-und sozialrechtlichen Grauzone mit einem sehr hohen Frauenanteil an den Beschäftigten. Durch eine extreme Flexibilisierung der Arbeitszeit (Anpassung der Arbeitsleistung an den schwankenden Arbeitsanfall) werden erhebliche Rationalisierungsgewinne ermöglicht.
Die zweite nunmehr gesetzlich geregelte Teilzeitarbeitsform, das sogenannte job sharing, wird vor allem bei Banken und Versicherungen praktiziert; sie ist arbeitsmarktpolitisch auch nach Inkrafttreten des BeschFG relativ bedeutungslos geblieben.
Insgesamt ist die erhoffte Förderung der Teilzeitarbeit — in sozial verträglichen Formen und zugunsten vor allem der Arbeitsmarktchancen von Frauen — durch das BeschFG nicht besonders gelungen. Insofern wird keine aktive Beschäftigungspolitik zugunsten der Problemgruppe der Frauen — also in Richtung auf einen Abbau der geschlechtsspezifischen Segmentierung des Arbeitsmarktes — betrieben oder eingeleitet Neuere Untersuchungen zeigen zudem, daß die quantitativen Beschäftigungseffekte der Teilzeitarbeit gering waren, sind und sein werden; insgesamt handelt es sich um keine sonderlich qualifizierten Tätigkeiten mit vergleichsweise geringen Einkommen. 5. Ausweitung der Leiharbeit Das Ausmaß der (legalen) Leiharbeit hat innerhalb kurzer Zeit erheblich zugenommen und den Höchststand seit Erlaß des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜL) im Jahre 1972 erreicht, da durch das BeschFG die Fristen für die zulässige Überlassung von Arbeitnehmern gegen Entgelt an Entleihunternehmen von drei auf sechs Monate verdoppelt wurden. Diese sprunghafte Zunahme unsteter Beschäftigungsverhältnisse — innerhalb eines Jahres (Mai 1985 bis Mai 1986) um die Hälfte — kann betriebsstrategisch als Aufbau externer Randbelegschaften (evtl, sogar bei kleiner werdenden Stammbelegschaften) interpretiert werden. Allerdings ist das Problem in quantitativer Perspektive nicht gravierend: Der Anteil der registrierten Leiharbeitnehmer an allen Arbeitnehmern liegt weit unterhalb von einem Prozent 6. Strategien zur Begrenzung von Überstunden Das Ausmaß der Überstunden, das während der Hochkonjunktur Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre beträchtlich gestiegen war, geht seitdem zurück (1970: 3, 5; 1975: 2, 2; 1980: 1, 8; 1985: 1, 5 Milliarden Stunden pro Jahr); laut „Überstundenbericht“ des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung machte dies 1985 ca. 4% aller geleisteten Arbeitsstunden aus. Mehrarbeit hat eine konjunkturelle und eine strukturelle Komponente Das BeschFG zielt (durch den Ausbau der legalen Leiharbeit und die Zulassung befristeter Arbeitsverträge) lediglich auf die konjunkturelle Komponente; beschäftigungspolitisch relevant ist jedoch der strukturelle Teil.
Ein gewisser Abbau von Überstunden könnte einen erheblichen Beitrag zur Arbeitsmarktentlastung leisten: Das IAB kalkuliert — bei einem Sockel von notwendigen Überstunden — mit einem „Abbaupotential“ in einer Größenordnung von ca. einem Drittel oder von rechnerisch ca. 300 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Im übrigen scheinen Arbeitnehmer, die Mehrarbeit eher infolge betrieblicher „Sachzwänge“ und weniger aufgrund finanzieller Anreize leisten, mehrheitlich sogar zur Reduzierung ihrer Überstunden (durch Abbau bzw. Freizeitausgleich) bereit zu sein Die Bundesregierung hat bisher keine ernsthaften Initiativen unternommen, um diesen Zustand zu ändern. Statt dessen empfiehlt sie den Tarifpartnem, durch tarifvertragliche Regelungen zum freiwilligen Abbau von Überstunden beizutragen. Bei diesem Vorschlag müssen wir allerdings berücksichtigen, daß bei der Abwägung von Vor-und Nachteilen innerhalb des betriebswirtschaftlichen Kostenkalküls die Alternative vermehrter Überstunden häufig das kostengünstigere Instrument zur Bewältigung von Mehrarbeit darstellt im Vergleich zu (evtl, auch befristeten) Neueinstellungen und zu (sehr teurer) Leiharbeit; u. a. werden Such-, Einarbeitungs-und Personalnebenkosten gespart Qualitätsstandards können problemlos gehalten werden. Die mit den Appellen des BeschFG verbundenen Hoffnungen auf weniger Überstunden und dadurch auf mehr Neueinstellungen haben sich folglich — zumindest bisher — nicht erfüllt; im Gegenteil hat sich die Zahl der Überstunden seit 1984 sogar leicht erhöht.
Eine gesetzliche Begrenzung der Überstundenzahl durch Anpassung der aus dem Jahre 1938 stammenden Arbeitszeitverordnung, welche noch die 48-Stunden-Woche festschreibt, an die tarifvertraglich vereinbarte Arbeitszeit würde einen wesentlichen Beitrag zur Problemlösung leisten. Erforderlich wäre freilich ein zwingend vorgeschriebener Freizeitausgleich von notwendigen Überstunden, die über ein bestimmtes Maß hinausgehen, innerhalb vorgegebener Fristen. Eine solche Regelung war in der ursprünglichen Vorlage des Gesetzgebungsverfahrens, dem sogenannten „ 15-Punkte-Katalog“, auch vorgesehen, wurde aber letztlich nicht in das BeschFG aufgenommen. SPD und GRÜNE hatten hierzu Vorschläge unterbreitet, die aber in der 10. Wahlperiode keine parlamentarische Mehrheit fanden
Der Regierungsentwurf eines Arbeitszeitgesetzes aus der letzten Legislaturperiode liegt in unveränderter Form dem 11. Bundestag vor. Vorgesehen ist u. a. eine Begrenzung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit auf acht Stunden werktäglich mit Verlängerungsmöglichkeit auf zehn Stunden bei entsprechendem Ausgleich innerhalb von drei oder vier Kalendermonaten. Die Gewerkschaften kritisieren neben der Festschreibung der 48-Stunden-Woche (und der vorübergehenden Zulassung der 60-Stunden-Woche) vor allem eine Aufweichung des Verbots der Sonn-und Feiertagsarbeit sowie die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen. 7. Änderung der Sozialplanregelungen Erzwingbare Sozialpläne wurden als Instrumente zur sozialverträglichen Bewältigung des wirtschaftlichen und sozialen Wandels in den § 112 des BetrVG von 1972 aufgenommen; zumeist wurde ein materieller Ausgleich in Form von Abfindungszahlungen geleistet (z. B. im Steinkohlebergbau und in der Stahlindustrie). Für die Aushandlung von Sozialplänen bestanden bis 1985 nur sehr allgemein gehaltene gesetzliche Vorschriften, wonach die sozialen Belange der Arbeitnehmer und die wirtschaftliche Vertretbarkeit für die Unternehmen berücksichtigt werden sollten.
Durch die Neuregelung des § 112 BetrVG im BeschFG wird der Abschluß von Sozialplänen aus Sicht der Arbeitnehmer erheblich erschwert; im übrigen werden neu gegründete Unternehmen für vier Jahre völlig davon ausgenommen. Die Einigungsstelle, die angerufen wird, wenn Betriebsrat und Unternehmensleitung keinen Kompromiß finden können, hat bei ihrer Entscheidung „sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten“ (Art. 2 BeschFG). Die Erzwingbarkeit von Sozialplänen bei Personalabbau wird durch Änderung der Schwellenwerte (auf 19 bis 29 Prozent gegenüber 5 Prozent des Personals je nach Betriebsgröße) eingeschränkt.
Nachdem bereits im Gesetz über den Sozialplan im Konkurs-und Vergleichsverfahren vom 20. 2. 1985 die Chancen zur Vereinbarung von Sozialplänen auf ein eher bescheidenes Maß reduziert worden waren werden durch das BeschFG auch die Sozialplanregelungen für den Nicht-Konkursfall (Betriebsänderung nur durch Entlassung von Arbeitnehmern, also ohne Änderung der sächlichen Betriebsmittel) erheblich eingeschränkt. 8. Fazit Das BeschFG geht von modellplatonistischen Vorstellungen über die (Handlungs-) Rationalität von betrieblichen Akteuren aus; die impliziten Annahmen über Strukturierung und Funktionsweisen von Arbeitsmärkten sowie über die (angeblich mangelnde) Flexibilität des Arbeitsrechts (z. B.des Kündigungsschutzrechts) sind weitgehend unrealistisch. Da die Diagnose nicht zutrifft, d. h. die Realität nicht angemessen abgebildet wird, kann die Therapie nicht greifen. Die offiziell erhofften Ef fekte einer Strategie der Deregulierung von Arbeitsbeziehungen und Arbeitsmarkt treten offensichtlich nicht ein, statt dessen werden (zugegebenermaßen nicht-intendierte) Nebenfolgen erzeugt, welche die gewünschten Auswirkungen konterkarieren. Anders formuliert: Einen Abbau arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften als beschäftigungspolitische Maßnahme zu konzipieren, heißt, die strategische Bedeutung des Arbeitsrechts zu überschätzen
Die eingetretene Situation ist nicht einmalig, ja nicht einmal überraschend; sie war aufgrund der vorliegenden Ergebnisse der empirischen Arbeitsmarktforschung sogar weitgehend vorhersehbar Die Arbeitgeber nutzen lediglich die erweiterten (Handlungs-) Möglichkeiten der betrieblichen Personalpolitik, die ihnen die geänderten gesetzlichen Regelungen eröffnen. Politiker aber bewiesen Zivilcourage und Einsicht, wenn sie die Kernbestimmungen eines Gesetzes, das seine in der Öffentlichkeit proklamierten Ziele offenbar weitgehend nicht erreicht, am Ende seiner Befristung wirklich auslaufen ließen
Die arbeitsmarkt-und gesellschaftspolitischen Folgen des Gesetzes werden im übrigen mit fortdauernder Laufzeit immer gravierender. Schließlich zeigen auch internationale Vergleiche neuerer Entwicklungstendenzen von befristeten Beschäftigungsverhältnissen, „daß Liberalisierungen der entsprechenden rechtlichen Regelungen doch einen nicht unbedeutenden Effekt auf die Befristungspraxis der Unternehmen haben“
IV. Ausblick
Zu den arbeitspolitischen Diskussions-und Problemfeldern der kommenden Jahre werden verschiedene Mitbestimmungsregelungen auf Betriebs-bzw. Unternehmensebene gehören. So plant die Bundesregierung eine umfassende Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) von 1972 mit dem Ziel „einer Verstärkung der Minderheitenrechte in den Betrieben und Verwaltungen“ Die zentralen Punkte dabei sind folgende: — Durch eine Änderung des Wahlverfahrens, d. h. durch eine deutliche Senkung des Unterschriftenquorums für Wahlvorschläge (von derzeit zehn Prozent der Wahlberechtigten oder 100 Personen auf drei Prozent oder 50 Personen) sollen die Wahl-chancen kleinerer Gruppierungen verbessert werden; Ziel ist eine „Verstärkung der Minderheiten-rechte in den Betrieben“ bzw. „mehr Demokratie im betrieblichen Alltag“.
— Außerdem sollen auf Betreiben des Koalitionspartners FDP (bei mindestens zehn „Leitenden Angestellten“ im Betrieb) eigenständige „Sprecherausschüsse für Leitende Angestellte“ (SprALAG) neu im BetrVG verankert und mit betriebsratsähnlichen Informations-und Einspruchsrechten ausgestattet werden Innerhalb des Betriebsrats (BR) sollen Gruppenrechte (z. B.der Angestellten) verstärkt werden.
— Bei der Wahl des Betriebsausschusses, der nach § 27 BetrVG bei mindestens neun Mitgliedern des BR zu bilden ist, und der Jugendvertretung soll künftig das Verhältniswahlrecht ebenso gelten wie bei der Wahl der freigestellten BR; bisher ist kein bestimmtes Wahlverfahren vorgeschrieben.
— Bei Einführung und Anwendung neuer Techniken sollen die Informations-und Beratungsrechte des BR „präzisiert und für die Praxis besser handhabbar gemacht werden“. Investitionsentscheidungen bleiben mitbestimmungsfrei. Während sowohl die geplante Änderung des § 116 AFG als auch der Entwurf des BeschFG von den Tarifpartnern konträr beurteilt wurden, votieren sowohl die Arbeitgeberverbände (vor allem BDA und Gesamtmetall) als auch die DGB-Gewerkschaften mit sehr ähnlichen Argumenten scharf gegen diese Pläne zur Herstellung eines „Gewerkschaftspluralismus“ bzw. einer „Chancengleichheit für alle im Betrieb vertretenen Gewerkschaften“. Auch bei der öffentlichen Expertenanhörung vor dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung im Frühjahr 1986 sprach sich die überwiegende Mehrzahl der Fachleute gegen die Änderungspläne aus Die zentralen Argumente sind folgende:
Die beabsichtigte Neuregelung führt zu einer (überflüssigen) Zersplitterung des BR als betrieblicher Interessenvertretung (zugunsten von kleinen Organisationen wie dem Christlichen Gewerkschaftsbund [CGB] bzw.der Union der Leitenden Angestellten [ULA]); weiterhin besteht die Gefahr der Beeinflussung der BR-Arbeit und seiner Sachentscheidungen durch extreme politische Gruppen. Die Funktion des BR als innerbetrieblicher „Ordnungsfaktor“ wird wesentlich beeinträchtigt durch die „Verstärkung der Minderheitenrechte“, die auf eine (nicht wünschenswerte) Verschärfung zwischengewerkschaftlicher Konkurrenz bzw. rivalisierende Gewerkschaften hinausläuft. Da sich der BR als einheitliche Interessenvertretung aller Arbeitnehmer bewährt hat, besteht eigentlich wenig „Handlungsbedarf“.
Die „Sprecherausschüsse“ würden (neben der gemäß §§ 60— 73 BetrVG einzurichtenden Jugend-vertretung) eine weitere Sondervertretung darstellen und damit zu einer Komplizierung der Interessenaggregation und -artikulation führen. Wie deren vorgesehene „Vermittlerrolle zwischen BR und Unternehmensleitung“ in der Praxis aussehen soll, bleibt unklar; wahrscheinlicher ist eine „Balkanisierung“ der Betriebsverfassung bzw.der Arbeitsbeziehungen auf betrieblicher Ebene durch einen „Sonderbetriebsrat“. Im übrigen bestehen zahlreiche Sprecherausschüsse — z. B. in den Großbetrieben der Chemieindustrie — auch ohne institutionalisierte Absicherung auf freiwilliger Basis. Durch eine gesetzlich vorgeschriebene Einführung von Sprecherausschüssen würde das auf betrieblicher Ebene bislang bilaterale bargaining zu einem trilateralen mit unausgewogenen Kräfteverhältnissen zwischen den drei Akteuren.
Zudem müssen die Sonderregelungen der Montanmitbestimmung bestätigt oder neu gefaßt werden: Wegen der abnehmenden Bedeutung der Branchen Kohle und Stahl für die Gesamtwirtschaft sowie aufgrund von Konzentrations-und Umstrukturierungsprozessen fielen im Laufe der Zeit immer weniger Unternehmen in den Geltungsbereich dieser vergleichsweise weitreichenden („paritätischen“) Mitbestimmungsregelungen. Ein zeitlich begrenztes Fortdauern der Montanmitbestimmung wurde im großen und ganzen durch gesetzliche Regelungen garantiert; zuletzt legte die SPD-FDP-Koalition 1981 in einem Änderungsgesetz fest, daß in Unternehmen, bei denen die Voraussetzungen der Montanmitbestimmung entfallen, diese Regelungen noch sechs weitere Jahre gelten (sog. Lex Mannesmann).
Ab 1987 laufen nach der bisherigen Rechtslage diese befristeten Sicherungen in fast allen Obergesellschaften nach und nach aus. Eine dauerhafte Sicherung muß daher in absehbarer Zeit erfolgen. Die Montanmitbestimmung ermöglicht eine frühzeitige Beteiligung der Arbeitnehmer(vertreter) an unternehmerischen Entscheidungen. Diese Regelung dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, daß der Umstrukturierungs-und Schrumpfungsprozeß der Stahlindustrie (bisher) weitgehend ohne Massenentlassungen vonstatten ging. Neben diesen (positiven) sozialen Folgen lassen sich keine negativen wirtschaftlichen Konsequenzen feststellen.
Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen im Frühjahr 1987 vereinbarten CDU, CSU und FDP eine Verlängerung der paritätischen Mitbestimmung über die Auslauffrist von sechs Jahren hinaus, wobei allerdings das Wahlverfahren (für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat) nach dem Muster des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 geregelt werden soll — und als Tausch für das Zugeständnis der FDP bei dieser Regelung die skizzierte Änderung des BetrVG verabredet wurde. Zunächst hat der Bundestag im Juni 1987 einstimmig eine formale Verlängerung der bestehenden Regelungen bis Ende 1988 beschlossen, so daß bis dahin kein Unternehmen aus der Montanmitbestimmung herausfällt. Danach soll die Montanmitbestimmung nur noch für Konzerne gelten, zu denen ein Tochterunternehmen gehört, das mindestens 2 000 Beschäftigte im Kohle-und Stahlbereich hat oder 20 Prozent der Wertschöpfung des Konzerns erarbeitet. Eine Grundsatzentscheidung über eine dauerhafte Sicherung der Montanmitbestimmung mochte der Gesetzgeber in diesem — insgesamt fünften — Sicherungsgesetz (noch) nicht treffen.