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Mit Schulbüchern Politik machen | APuZ 39/1987 | bpb.de

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APuZ 39/1987 Artikel 1 Mit Schulbüchern Politik machen Politische Parteien und Schulbuch Zur symbolischen Bedeutung zwischenparteilicher Schulbuchkontroversen Schulbücher und der Umgang mit ihnen — sozialwissenschaftlich betrachtet Geschichte im Schulbuch — das Schulbuch in der Geschichte

Mit Schulbüchern Politik machen

Franz Pöggeler

/ 39 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Unterschied zu anderen Buchtypen ist das Schulbuch ein öffentliches Medium mit hohem Verbindlichkeitsgrad. Auch Schulbücher vermeintlich „unpolitischer“ Fächer enthalten politische Informationen, die korrekt offengelegt werden müssen. Während sich der Staat für die Zulassung von Schulbüchern und deren Übereinstimmung mit den staatlichen Richtlinien verantwortlich weiß, haben Schüler, Lehrer, Eltern und gesellschaftliche Gruppen ebenfalls ein starkes Interesse am politischen Inhalt von Schulbüchern. Schulbuchkritik ist in einer Demokratie sinnvoll. Die Gestaltung von Schulbüchern ist daher nicht nur Aufgabe von Autoren, Verlagen und Kultusministerien, sondern auch der gesellschaftlichen Gruppen, deren soziale Rollen in den Schulbüchern enthalten sind. Allein schon damit die Investition, die mit Schulbüchern (zumal bei Lernmittelfreiheit) verbunden ist, sich lohnt, muß dem Schulbuch ein möglichst hoher Grad an Verbindlichkeit gesichert werden. Die derzeitige Mode, Schulbücher weitgehend durch Fotokopien zu ersetzen, schadet einem systematisch-kontinuierlichen Unterricht. Das gilt auch für ein flüchtiges An-oder Diagonal-Lesen der Schulbücher. Diese haben nicht nur Stoffe zu vermitteln, sondern auch die Lesefähigkeit zu stärken und zum Aufbau einer demokratischen Lesekultur beizutragen. Schulbücher machen auch insofern Politik, als sie durch Stärkung der Lesefähigkeit den Bürger zu Mündigkeit, kritischem Sozialverhalten und Mitverantwortung befähigen. Leider läßt heute der Grad der Verbindlichkeit von Schulbüchern in den beiden Sekundarstufen bedrohlich nach; die Lehrer müssen sich daher der Wichtigkeit des Arbeitens mit Schulbüchern erneut bewußt werden. Sie müssen (in Verbindung mit Eltern und Schülern) grundsätzlich die Möglichkeit zur freien Auswahl von Schulbüchern haben; das Angebot der Verlage muß dementsprechend groß genug sein. Autoren und Verleger können erwarten, daß ein Schulbuch nicht zu früh durch neue Richtlinien unbrauchbar gemacht, sondern mindestens für fünf bis acht Jahre verwendet werden kann. Nur dann ist eine angemessene Qualität von Schulbüchern zu erreichen.

I. Was hat das Schulbuch mit Politik zu tun?

Seit dem Ende der sechziger Jahre werden in der Bundesrepublik Deutschland Schulbücher in einem Ausmaß öffentlich diskutiert, das bis dahin nicht geläufig war. Es geht dabei um politische Inhalte, auf die man früher nicht sonderlich geachtet hat, weil man das Schulbuch für eine Quelle von Sachinformationen und nicht für ein Medium zur Verbreitung politischer Meinungen hielt. Auch heute noch mag es Schulbücher geben, die „immer noch voll von , Mutti-und Heulsusenbildern’ “ zu sein scheinen doch gerade solche Bücher provozieren eine öffentliche Kritik, weil gesellschaftliche Rollenmuster und Wertvorstellungen, die durch Schulbücher weitergegeben werden, zu revidieren sind. Auch wenn Leitbilder mißbraucht werden können, ist der „völlige Verzicht auf Leitbilder“ keine Lösung des Problems. Auf jeden Fall gibt es heute einen Zusammenhang von „Schulbuchwissen, Politik und Pädagogik“ 1. Das Schulbuch als öffentliches Medium Schulbücher sind öffentliche, offizielle Bücher, weil sie in der Schule als einer staatlichen Einrichtung eingesetzt, vom Staat kontrolliert und zugelassen werden, während Kinder-und Jugendbücher private Funktion haben und deren Lektüre nicht wie die von Schulbüchern obligatorisch, sondern freiwillig ist.

Der Staat als Träger des Schulwesens behält sich stets vor, neue Schulbücher hinsichtlich ihrer Konkordanz mit den Rechtsgrundlagen des Staates, vor allem des Geistes der Verfassung, zu überprüfen, und indem er einem Schulbuch das Plazet für den Gebrauch an den Schulen erteilt, bestätigt er, daß das Buch bei der Verwirklichung der Ziele der Schule sowie der Richtlinien des Unterrichts wesentlich mitwirken kann. Das Schulbuch ist nicht ein x-beliebiges Buch, sondern eines mit dem politischen Gütesiegel des Staates. Dies wird Büchern, die nicht zum Gebrauch in Schulen zugelassen werden, verwehrt. Sicherlich hat die Zulassungspraxis seither bewiesen, daß der Staat sein Kontrollrecht sowohl liberal als auch penibel ausüben kann. Mit der Abschaffung des bisherigen Überprüfungsund Zulassungsverfahrens könnte sich leicht ein Geltungsverlust des Schulbuchs ergeben, und die Prüfungskompetenz würde vom Staat auf den einzelnen Lehrer verlagert. Natürlich muß man auch von ihm die Fähigkeit erwarten, aus staatsbürgerlicher und beruflicher Verantwortung Schulbücher so auszuwählen, daß deren Übereinstimmung mit Geist und Buchstaben von Verfassung und Gesetz garantiert ist. Nicht wenige Lehrer wären aber überfordert, hätten sie die letzte Auswahl zu verantworten, und grundsätzlich könnte fast jedes Buch dann zum Schulbuch werden — die Zahl der ausgewählten, im Unterricht verwandten Bücher würde erheblich wachsen, und vermutlich wären Fehlentscheidungen, die u. a.den Widerspruch von Eltern provozieren könnten, häufiger als heute. Vielen Lehrern genügt das derzeitige Ausmaß an Auswahlfreiheit: Es gibt in jedem Fach so viele staatlich zugelassene Schulbücher, daß das Angebot für die Auswahlentscheidung groß genug ist. Öffentliche Funktion erhält ein Buch für die Schule allein schon dadurch, daß sich Autoren und Verlage bemühen, sich bei der Erarbeitung von Schulbüchern an den je geltenden Richtlinien zu orientieren. Täten sie das nicht, müßte sich ein Buch im Unterricht als Fremdkörper auswirken — und wäre nicht so effizient, wie man es von einem Schulbuch erwarten muß. Das Schulbuch hat nämlich den Zweck, Medium für den Unterricht in der Schule zu sein und nicht ein allgemeines Instrument der Information oder Unterhaltung. Weil es öffentliche Geltung beansprucht, erfordert dessen Erarbeitung ein besonderes Maß an Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit. 2. Politische Inhalte in Schulbüchern „unpolitischer“ Unterrichtsfächer Als Politikum wäre das Schulbuch leicht zu erklären, ginge es lediglich um die Bücher für den Politik-, Sozialkunde-und Geschichtsunterricht. In diesen Fächern ist für jedermann erkennbar, daß sie politische Informationen an die Schüler vermitteln sollen. Unerwartet starkes öffentliches Interesse löste z. B. 1985/86 eine Untersuchung über „Politik im Schulbuch“ aus weil in ihr nachgewiesen wurde, daß z. B. in Fibeln, Lese-, Religions-, Mathematik-, Biologie-und Liederbüchern politische Inhalte von nicht geringerem Gewicht als etwa in Geschichtsbüchern enthalten sind, obgleich dies vom Gros der Bürger nicht vermutet wird. Spätestens seit der NS-Zeit müßte nachvollziehbar sein, daß man Schulbücher politisieren kann; aber nach 1945 erwartete man auf Grund schlechter Erfahrungen mit Schulbüchern des Nationalsozialismus, daß der Inhalt von Schulbüchern nun wieder „sachlich“ werde (was immer man sich darunter vorstellte).

Nehmen wir zunächst den Buchtyp, von dem man am meisten annimmt, er habe mit Politik nichts zu tun: die Fibel. Natürlich dienen deren Texte und Bilder zunächst dem Lesenlernen aber sie beschreiben auch gesellschaftliche Rollenmuster und Verhaltensweisen, so z. B. das Verhältnis der Kinder zu den Eltern und anderen Erwachsenen, zur Nachbarschaft und zu den Mitschülern, zu Ausländem sowie zu Amtsträgem. Zugleich werden dem Schüler politisch relevante Tugenden und Haltungen, die für das politische Zusammenleben wichtig sind, gezeigt In Fibeln der DDR werden dem Kind staatliche Einrichtungen von der Nationalen Volksarmee bis zur Volkskammer, von der LPG bis zu den „Jungen Pionieren“ attraktiv dargestellt.

Eine besonders starke Wirkung dieser politischen Information darf man schon deshalb voraussetzen, weil gerade die Fibel mehr als irgendein anderer Schulbuchtyp den Reiz eines schönen Kinderbuchs ausstrahlt

Bei Lesebüchern mögen es manchmal nur Spurenelemente von Politik sein, die in unpolitische Texte eingestreut sind; Politik stellt sich hier eher indirekt als in zu penetranter Direktheit dar, etwa in Gedichten von Bertold Brecht oder Erich Kästner über Diktatur und Freiheit, in einem politischen Lied Walthers von der Vogelweide oder einer Szene aus Grimmelshausens „Simplizissimus" — Texte, die sich nicht nur rein poetisch interpretieren lassen und die eine politische Botschaft enthalten.

Um politische Aspekte in Religionsbüchem hat es in den letzten Jahren manchen heftigen Streit zwischen Eltern einerseits und Katecheten und Autoren andererseits gegeben. Es ist verständlich, daß der Schüler schon früh durch das Religionsbuch — interpretiert vom Katecheten — erkennen soll, daß das Aufdecken von sozialer Ungerechtigkeit und Unterdrückung, das Streben nach Frieden und Völkerverständigung Christenpflichten sind; Konflikte um Teile von Religionsbüchem beziehen sich dann freilich auf politische Handlungsempfehlungen, zugleich auf eine Bibelinterpretation, die nach Ansicht von Kritikern zu wörtlich und zu „radikal“ ist. Früher wäre eine solche Problematik in und mit Religionsbüchem kaum vorstellbar gewesen, denn gerade dieser Schulbuchtyp galt als Beweis für ein Höchstmaß an Übereinstimmung mit der kirchlichen und staatlichen Obrigkeit.

Im Mathematikuntemcht gibt es mehr Sachbereiche als in anderen Fächern, die sich zu politischen Problemen nicht in Beziehung setzen lassen, und doch liefert zumindest das Rechenbuch in der Primarstufe und Sekundarstufe I drastische Belege für „eingekleidete Aufgaben“ mit politisch relevanten Inhalten Früher rechneten sich z. B. die Zahlen der Kriegstoten oder die Erträge der Sammlungen des Winterhilfswerks politisch auf, heute sind es die Emissionsmengen, die die Umwelt verschmutzen, oder Lebensmittelreserven in EG-Kühlhäusern. Es ist, als komme es darauf an, Machtmengen exakt zu kalkulieren.

Politische Inhalte in Biologiebüchern findet man nicht erst seit der Hitlerzeit, sondern bereits im Kaiserreich — so z. B. Rassentheorien, deren politische Konsequenz dann der Holocaust wurde. Heute machen Biologiebücher der Jugend deutlich, daß Krankheiten, Seuchen und Süchte nicht nur das individuelle Schicksal, sondern ebenso das öffentliche Gefüge sozialer Sicherheit und Vorsorge betreffen. Daß die Anthropobiologie heute nicht ohne ökologische Aspekte darzustellen ist, weiß jeder Schüler; politisch wird das Biologiebuch aber auch in der Botanik oder Zoologie, wenn es um die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts durch Lebenssicherung für bestimmte, selten gewordene Pflanzen und Tiere geht

Die Liederbücher der einzelnen Schularten und -stufen waren spätestens seit der Reichsgründung 1871 mit Liedern über Vaterland, Reich und Obrigkeit, über nationale Tugenden und Heldentum kräftig angereichert und die Formel „Politisch Lied — garstig Lied“ galt für Schulliederbücher offensichtlich solange nicht, bis 1945 eine totale Unsicherheit und Abstinenz gegenüber Liedern mit Inhalten eintrat, die sich politisch deuten lassen. Und heute? Da gibt es wieder Lieder mit politischen Akzenten, so z. B. „Wer sagt, daß Mädchen dümmer sind?“ oder „Ich mit dir — du mit mir“. In der DDR findet man in Schulliederbüchem eine Fülle neuer politischer Lieder mit positiven Aussagen für den Staat, manchmal sogar mit Schwung und Faszination.

Nach der extremen Politisierungsphase von 1933 bis 1945 sind politische Aspekte fast völlig eliminiert und durch eine recht abstrakte Sachlichkeit ersetzt worden. Das traf auch auf die Geschichtsbücher zu, in denen die Gefahr der Politisierung besonders naheliegt, zumal dann, wenn man meint, der Geschichtsunterricht könne perfekte politische Bildung leisten — und für diese bedürfe es nicht eines eigenen Unterrichtsfaches Inzwischen kommt die politische Betrachtungsweise in Geschichtsbüchern wieder zu ihrem Recht, freilich mit einem besonders großen Maß an politikwissenschaftlicher Sorgfalt. Und: Im Geschichtsbuch wird nicht „subkutane“, sondern offene politische Information geboten. Der ideologische Ballast früherer Geschichtsbücher ist resolut abgearbeitet worden 3. Schulbuch-Revision als politische Aufgabe — Offenlegung politischer Inhalte von Schulbüchern Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß in den Schulbüchern auch derjenigen Fächer, die als unpolitisch gelten, auf politische Perspektiven aufmerksam gemacht wird, wenn das vom jeweiligen Thema gerechtfertigt wird. Zu kritisieren ist jedoch der Versuch, Schülern (oder gar Eltern) politische Information oder Indoktrination in Schulbüchern zu „unterschieben“, und zwar in der Erwartung, daß die Adressaten dies nicht bemerken. Eben dies nennen wir „subkutane“ Politisierung, bei der bewußt die politische Unaufgeklärtheit der Schüler mißbraucht wird. Da wir es heute mit einer insgesamt aufgeklärten Elternschaft zu tun haben, läßt diese sich eine solche „subkutane“ politische Bildung ihrer Kinder nicht mehr gefallen und sorgt für die Offenlegung politischer Aspekte in Schulbüchern. Offenlegung ist aber noch in weiterer Hinsicht erforderlich: Die gesamte Öffentlichkeit muß darüber informiert werden, daß die Schule politisches Wissen nicht nur im Fach „Politikunterricht“ vermittelt, sondern auch in anderen Unterrichtsfächern — und vorwiegend mit Hilfe der in diesen Fächern benutzten Bücher. Für die meisten Mitbürger ist es seit Jahren eine Überraschung, immer wieder Ergebnisse von Untersuchungen kennenzulernen, die sich mit politischen Inhalten in schulischen Sachzusammenhängen befassen, in denen der Bürger sie in der Regel nicht vermutet. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Offenlegung bisweilen zu einer Entlarvung und die entsprechende Schulbuch-Kritik zur politischen Schulbuch-Schelte gerät Je nach den Kriterien, die man verwendet, kann man zu dem Schluß kommen, daß heute eine unerwartet große Zahl nicht nur von Politik-, sondern auch von Lese-und selbst von Religionsbüchem von der „Kritischen Theorie“ der Frankfurter Schule beeinflußt und politisch „links“ einzuordnen sind Auf solche vermutete politische Einflußnahme reagieren manche Kultusministerien als Zulassungsbehörden durch strengere Überprüfung bestimmter Bücher. Eine nähere Kenntnis der Geschichte der Schulbuchzulassung kann davon überzeugen, daß die Zulassungspraxis oft eher von politischer Opportunität als purer Sachlichkeit geleitet worden ist.

Während die Entlarvung und Schelte bestimmter Schulbücher meistens auf deren Herausnahme aus dem Unterricht hinausläuft, auf eine Art Schulbuchinquisition soll sachliche Schulbuchkritik ein Schulbuch — mag es auch Mängel aufweisen — nicht „totschweigen“, sondern dazu anregen, daß es revidiert wird. Daß es heute eine öffentliche Schulbuchkritik gibt und diese nicht mehr wie früher auf Experten eingegrenzt werden kann, ist ein Indiz für Demokratisierung, übrigens auch dafür, daß ein Schulbuch ernst genommen wird. Leider ist die Geschichte des Schulbuchs lange Zeit mit einer Geschichte publizistischer oder fachlicher Gering-achtung identisch gewesen; dies seien — so hieß es — ja nur Bücher für Kinder. Heute hingegen sind Schulbücher für viele Gruppen der Gesellschaft interessant und lesenswert. '

Der Verband der deutschen Schulbuchverleger hat 1975 — auf dem Höhepunkt heftigen politischen Streits um einzelne Schulbücher — durch Herausgabe einer didaktisch geschickt angelegten „Kleinen Schulbuchschule“ jedem Interessierten die Chance geboten, sozusagen hinter die Kulissen der Herstellung und Verwendung von Schulbüchern zu schauen. Dabei zeigte sich, daß die Mitverantwortung des Bürgers für das Schulbuch ein gehöriges Mitwissen verlangt. Gerade weil heutzutage mehr Schulbücher als früher politisch relevant sind, erreicht man die korrekte Einschätzung der gesellschaftlichen Aufgabe und Funktion von Schulbüchern nicht durch Geheimniskrämerei, sondern durch offene Information. 4. Zum Grad der Verbindlichkeit von Schulbüchern Der Grad der Verbindlichkeit von Schulbüchern ist in den einzelnen Unterrichtsfächern und Altersstufen unterschiedlich, ebenso hängt er mit der Lehrund Lernfreiheit von Lehrern bzw. Schülern zusammen. Solange es detaillierte Stofflehrpläne gab, deren Inhalte obligatorisch und vom Lehrer strikt einzuhalten waren, mußten die im Schulbuch enthaltenen Lehrstücke komplett im Unterricht behandelt werden. Heute dagegen arbeitet die Schule nach staatlichen Rahmenrichtlinien, die Lehrern und Schülern relativ viel Freiheit bei der Auswahl einzelner Unterrichtsstoffe ermöglichen, dazu kommt die Komplettierung der Lehrbuchinhalte durch Hinzunahme anderer Stoffe, die leicht fotokopiert und vervielfältigt werden können. Dies freilich hat im Extrem einen weitgehenden Ersatz des Lehrbuchs durch andere Stoffe zur Folge — und damit zugleich eine früher undenkbare Entwertung des Lehrbuchs.

Vermutlich das einzige Schulbuch, das heute von der ersten bis zur letzten Seite, ja Zeile für Zeile gelesen wird, ist die Fibel, mit deren Hilfe der Schüler nicht nur die Anfangsgründe des Lesens lernt, sondern auch eine Denkbasis für die ihm neue „Welt“ der Schule erhält. Ein ähnlich hoher Grad an Verbindlichkeit kam früher den beiden Schulbuchtypen des Religionsunterrichts zu: dem Katechismus und der Schulbibel; diese werden heute in der Primarstufe oft durch ein Religionsbuch ersetzt, das nicht nur Glaubenssätze und Leitlinien der biblischen Geschichte enthält, sondern von diesen Brücken zum Leben der Kinder schlagen soll. Das geschieht nicht selten so narrativ wie im Kinderbuch und will wie dieses eher Angebots-als Pflichtlektüre bieten, zum Glauben anregen, aber nicht zwingen. Der Verbindlichkeitsgrad von Schulbüchern läßt in Richtung auf die oberen Stufen des heutigen Schulsystems nach: Die Inhalte sind eine Art Arbeitsmaterial mit stimulativer Absicht. Was an Wissen und Information geboten wird, soll nicht vollständig, sondern perspektivisch sein und nicht nur auf weitere Lernquellen verweisen, sondern vor allem zum Weiterdenken animieren. Da wird mitunter fraglich, ob diese Absicht erreicht oder die problematische „Freiheit des Weglassens“ im Sinne eines Auswahlminimalismus genutzt wird. Die Erfahrung zeigt nämlich, daß z. B. in den Lese-oder Religionsbüchem der Sekundarstufen I und II manche Stücke übergangen werden, so daß erhebliche Wissenslücken entstehen. Zur Tradition des Lesebuchs gehört die Absicht, einen repräsentativen Querschnitt einer Epoche oder eines Themas zu bieten, und zwar in der Erwartung, daß der Schüler alle ausgewählten Stoffe kennenlemt. Nur unter dieser Voraussetzung kann er einen repräsentativen Über-blick bekommen.

Im Rahmen der Schulkritik durch die Öffentlichkeit und die Politik ist seit einigen Jahren die Tendenz stärker geworden, in einzelnen Schulbuchtypen (so z. B. im Lese-bzw. im Liederbuch) wieder einen verbindlichen Kanon von Inhalten zusammenzustellen und wieder wie früher ein bestimmtes Soll an Verständnis-und Gedächtnisleistung zu verlangen. Schließlich ist zu bemerken, daß dieses Kanon-Prinzip und damit die Forderung nach kompletter Verbindlichkeit der Inhalte für alle Schulbücher der Deutschen Demokratischen Republik gilt: Das Schulbuch enthält die in einem Schuljahr zu lernenden, für Lehrer und Schüler verbindlichen Inhalte.

II. Funktionen des Schulbuchs in der Schule

1. Schulbuch — Lesekultur — Neuer Analphabetismus Die Frage nach der Verbindlichkeit von Schulbüchern erhält heute eine unerwartete Aktualität durch die Tatsache, daß eine wachsende Anzahl von Jugendlichen und jungen Erwachsenen trotz mindestens neunjähriger Schulzeit das Lesen wieder „verlernt“ hat, wodurch die Betroffenen in Ausbildung und Beruf erheblich behindert werden. Normalerweise wird unterstellt, daß die Nutzung von Schulbüchern die Basis zu einer Lesekultur schafft, die Lesefähigkeit zu einer unverzichtbaren Qualifikation in einer „informierten Gesellschaft“ werden läßt. Nicht nur für das Schulbuch, sondern für Bücher überhaupt gilt folgende Feststellung Ulkich Wechslers: „Buch und Lektüre hatten einige Jahrhunderte lang eine Art Monopol auf die Verbreitung von Informationen und Bildung . . ., auf die Hauptteile in gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen. Dieses Monopol besteht heute nicht mehr, das Buch hat Konkurrenz bekommen — und muß sich in ihr behaupten.“ Angesichts des „neuen Analphabetismus“, der bereits stärker ver-breitet ist, als man vermuten könnte stellt sich die Frage nach Erfolg und Versagen schulischer Leseerziehung, bei der Schulbücher ja eine entscheidende Rolle spielen. Bei der Suche nach einer Antwort müssen mehrere Faktoren beachtet werden: — Offensichtlich bleibt in der Primarstufe heute nicht so viel Zeit zum Üben und Wiederholen im Leseunterricht wie in früheren Zeiten, und falls Schüler nach vier Schuljahren noch Schwierigkeiten im Lesen haben, wird nicht genügend bedacht, wie diese in den folgenden Schuljahren überwunden werden können. Eltern kritisieren heute oft, daß die Festigung der Lesefähigkeit durch Lesetraining zu sehr der Familie als Aufgabe angelastet, also nicht genug von der Schule wahrgenommen werde. — Leseschwierigkeiten werden häufig wie eine Krankheit als „Schicksal“ akzeptiert, so vor allem die Legasthenie. Diese tritt selbst bei hochbegabten Kindern auf. Die Schule fragt zu wenig, ob Legasthenie nicht zumindest teilweise durch bestimmte Einseitigkeiten in der Anwendung von Methoden verursacht werden kann. Selbst wenn Legasthenie nur eine Krankheit wäre, müßte die Schule sich verpflichtet fühlen, zur Überwindung die erforderliche Therapie in Gang zu bringen. — Leider gibt es heute manche Schulbücher (sogar im Deutschunterricht), deren Sprache nicht nur für Schüler, sondern auch für Eltern eine Zumutung ist, vom nicht immer guten Layout ganz zu schweigen. Dies wäre hinzunehmen, wenn das Gros der Schüler sozusagen als geistige Beikost andere Bücher zu Hause lesen würde und dadurch Lust statt Frust am Lesen finden könnte; aber empirische Untersuchungen haben ergeben, daß bereits in der Primarstufe und ebenso in den beiden Sekundarstufen Bücherbesitz sowie häusliche Lektüre selten sind. Statt daß die Bücher, die der Schüler in einem Schuljahr benutzt hat, an dessen Ende zum Vademecum für die Zukunft werden und auf dem Bücherbord ihren Platz finden, landen sie oft im Mülleimer. Es ist so, als verdienten Schulbücher offenbar nur, möglichst schnell vergessen zu werden Da dies alles leider keineswegs eine neue Erfahrung ist, hat die Wirkungsforschung allen Grund, die Ursachen zu untersuchen und Vorschläge zu einer Aufwertung des Schulbuchs als eines öffentlichen Bildungsmediums zu erarbeiten, das sich um Anbahnung und Förderung einer gerade in der demokratischen Gesellschaft wichtigen Lesekultur bemüht. Da viel Orientierungs-und Herrschaftswissen nur durch Bücher zugänglich ist, der Bürger aber ein Recht zur Partizipation an Orientierung und Herrschaft hat, muß die Lesefähigkeit aktiviert werden — als Form der Demokratisierung. Marshall McLuhans These, dem „typographischen Zeitalter“ der „Gutenberg-Galaxie“, d. h.der riesigen Verbreitung von Printmedien, folge das „elektronische Zeitalter“, darf man nicht zu plakativ interpretieren: Auch wenn viele Menschen heute mehr Informationen durch elektronische Medien als durch Printmedien aufnehmen, be-halten Bücher ihre Aufgabe und Funktion, die die Elektronik nicht übernehmen kann. Die Schule muß sich daher neu auf Sinn und Funktion der Schulbücher konzentrieren, diese wieder verbindlicher machen. 2. Pluralität im Schulbuchangebot So wie in der Demokratie das Prinzip der Pluralität die Vielfalt der politischen Gruppen und Richtungen sicherstellen soll, so gibt es auch eine Pluralität von Schultypen und schulpädagogischen Konzepten. Diese muß es schon deshalb geben, damit die Eltern als die primären Erziehungsberechtigten die Chance zum Wählen zwischen verschiedenen Schulkonzepten haben.

Der Anspruch der staatlichen Schulverwaltung auf Überprüfung und Zulassung neuer Schulbücher schließt keineswegs aus, daß stets für jedes Fach sowie für jede Schulklasse oder -stufe mehrere Bücher angeboten werden, so daß Lehrer, Eltern und Schüler immer alternativ auswählen können. Im pluralen Angebot manifestiert sich sowohl eine Vielfalt der didaktisch-methodischen als auch der fachlichen Konzepte. Ein Lesebuch kann etwa folgende strukturelle Unterschiede aufweisen: eine Sammlung von literarisch hochwertigen Texten entsprechend einem bestimmten Motiv oder in Anlehnung an die Jahreszeiten; ein Spracharbeitsbuch mit Literatur-wie auch Umgangs-und Gebrauchssprache; ein an kulturellen, ökonomischen und politischen Strukturen orientiertes Sachbuch mit Aussagen exemplarischer poetischer Texte.

Eine Pluralität des Schulbuchangebots ist heute keineswegs in allen Staaten üblich. Nicht nur in sozialistischen Industriestaaten, sondern auch in manchen Ländern der Dritten Welt ist jeweils pro Fach und Klasse nur ein einziges Buch zugelassen (mitunter aus Gründen der politischen Einheit, aber auch aus Ersparnisgründen). In dieser Situation läuft die staatliche Zulassung auf Monopolisierung von bestimmten Schulbüchern hinaus. Aber selbst wenn es dazu nicht kommt, kann eine andere, wenn auch verschleierte Art der Monopolisierung entstehen: Ein Schulbuch wird so sehr zum „Standardwerk“ hochgelobt und von der Schulaufsicht und Lehrerbildung favorisiert, daß andere, vergleichbare Schulbücher aus der Konkurrenz so gut wie ausgeschlossen werden. Der „sanfte Druck“ von Schulaufsichtsbeamten (manchmal solchen, die selbst an der Erstellung von Schulbüchern mitgewirkt haben) läßt es den Lehrern nicht geraten erscheinen, andere Bücher zu bevorzugen. Natürlich kann es echte Standardwerke auch dadurch geben, daß sich bestimmte Bücher in der Schulpraxis hervorragend bewähren. Grundsätzlich muß aber für ein plurales Angebot von Schulbüchern gesorgt werden. 3. Das Schulbuch als Leitlinie des Fachunterrichts Der Verbindlichkeitsgrad eines Schulbuchs kann dann besonders hoch sein, wenn das Buch entsprechend den amtlichen Richtlinien für die Dauer eines Schuljahres die dafür geltenden Lernziele kontinuierlich konkretisiert, also die Inhalte enthält, die der Erreichung der Lernziele dienen Hier muß einem Mißverständnis vorgebeugt werden: Gemeint ist hier nicht jener Typ des Schulbuchs, der in autoritären, dirigistischen Schulsystemen den obligatorisch im Unterricht zu behandelnden Stoff enthält. Bücher dieses Typs waren in vordemokratischer Zeit häufig. Lehrplan-und Richtlinienkonformität eines Schulbuchs steigern zwar nach Ansicht vieler Lehrer dessen Gebrauchswert. Freilich darf es nicht dazu kommen, daß dem Lehrer die Einarbeitung in den Stoff durch das Schulbuch weitgehend oder ganz abgenommen wird und er lediglich „nachzukauen“ hat, was im fachbezogenen Schulbuch enthalten ist. Das Risiko der Schulbücher dieses Typs liegt darin, daß sie entwertet werden, sobald die bisherigen Unterrichtsrichtlinien durch neue ersetzt werden, ihre Wirkungsdauer also identisch ist mit der der Richtlinien (oft nicht länger als acht bis zehn Jahre).

Es gibt noch einen anderen Grund dafür, daß der Wirkungsgrad eines Schulbuchs eingeengt wird, wenn man es zu sehr zur Leitlinie des jeweiligen Fachunterrichts macht: Der Erlaß von Richtlinien und Lehrplänen ist Ländersache, und in den Bundesländern gibt es in der Auffassung von Unterrichtsfächern und Lernzielen bisweilen erhebliche Unterschiede, so daß ein und dasselbe Schulbuch nicht gleichzeitig in mehreren Bundesländern eingesetzt werden kann. Diese Schwierigkeit kommt nicht auf, wenn ein Schulbuch als Arbeitsbuch so konzipiert ist, daß es sich an die allen Ländern in einem Unterrichtsfach gemeinsamen Auffassungen hält. Zu bedenken ist auch, daß in den Bundesländern die Unterschiede bei der fachlichen Orientierung in den Unterrichtsfächern sehr differieren: Ziemlich gleich sind die Auffassungen etwa im Erst-lese-oder im Religionsunterricht, während sie z. B. im Politik-oder im Deutschunterricht weit auseinander gehen. Eine Fibel ist nicht so stark an Länder-richtlinien gebunden wie etwa ein Politikkundebuch. Und noch ein Hinweis ist hier wichtig: In der Sekundarstufe I und vor allem II ist der hier behandelte Schulbuchtyp nicht so häufig anzutreffen wie in der Primarstufe. Je älter die Schüler sind, um so mehr Wert legen sie darauf, in Hinsicht auf Unterrichts-stoffe eine gewisse Wahlfreiheit entsprechend ihren Interessen praktizieren zu können. Der Verbindlichkeitsgrad des Schulbuchs kann allerdings dadurch minimal werden, daß die Leitlinie des Unterrichts von Lehrern und Schülern selbst bestimmt wird und nicht von einem Lehrbuch (auch nur begrenzt von den amtlichen Richtlinien). Nicht selten legen Schüler der oberen Klassen Wert darauf, Bücher und Lehrstoffe in den Unterricht einzubeziehen, die nicht als Schulbücher anzusehen sind, aber von Schülern und Lehrern dann vorrübergehend zu solchen gemacht werden. 4. Das Schulbuch als Arbeitsbuch Eher einer politischen als einer nur didaktischen Intention entspricht ein anderer Schulbuchtyp: der des Arbeitsbuchs. Die in ihm enthaltenen Stoffe sollen nicht nur informieren, sondern an Lernende und Lehrende Fragen stellen, die Kritikfähigkeit und Denkverantwortung fördern und an die wachsende Mündigkeit der Schüler appellieren. Ein als Arbeitsbuch gestaltetes Schulbuch steht unter der Voraussetzung, daß die Auswahl der Stoffe den Benutzern freigestellt sein soll und daß die Stoffe auch Meinungsgegensätze enthalten, damit zur Auswahl wirkliche Alternativen offeriert werden. Zu einem solchen Schulbuch gehören auch Inhalte, die nicht nur Stellungnahme, sondern auch Widerspruch hervorrufen.

Dieser Schulbuchtyp wendet sich vornehmlich an Schüler der oberen Jahrgangsstufen (nicht nur der Sekundarstufe II, sondern auch schon der oberen Klassen der Sekundarstufe I), Das didaktische Element solcher Arbeitsbücher wird unter anderem an Fragen und Denkimpulsen erkennbar, die bestimmten Texten beigegeben sind, damit der Schüler die jeweilige Arbeitsaufgabe klar begreift.

Bei manchen Fächern bzw. Teilbereichen der Schule liegt es besonders nahe, ein Schulbuch als Arbeitsbuch einzurichten, so z. B. in naturwissen9 schaftlichen Fächern, in denen Experimente erforderlich sind, oder in der Sprachlehre der Muttersprache sowie in den Fremdsprachen. Aber auch Schulbücher für den Politik-und Geschichts-, den Erdkunde-oder Religionsunterricht können als Arbeitsbücher arrangiert sein.

Der Typ „Arbeitsbuch“ ist in den siebziger Jahren für bestimmte gesellschaftliche Gruppen (vor allem für Eltern) zum Stein des Anstoßes geworden, als selbst poetischen Texten, die seit langem zum literarischen Kanon des Deutschunterrichts gehörten, kritische Fragen und Denkimpulse für die Schüler beigegeben wurden. Grund der Kritik war die Annahme, die jungen Menschen seien für diese kritischen Fragen noch nicht reif genug und durch die Fragen könne das Vertrauensverhältnis der Schüler zu Eltern und Staat gestört werden.

Schulbücher, die als Arbeitsbücher angelegt sind, können aber noch eine andere politische Implikation aufweisen: Es wird vorausgesetzt, daß Lehrund Lerninhalte vom Staat als Schulträger nur als Angebot aufgefaßt werden und daß es keine Verbindlichkeit, keinen festen Kanon von Leminhalten gibt. Wer so denkt, kann natürlich auch die Konsequenz ziehen, unter Umständen ganz auf ein Schulbuch zu verzichten, um in Absprache mit den Schülern Lernimpulse aus ganz anderen Büchern (denen vom freien Markt) zu entnehmen. Die Tendenz, so zu verfahren, wird durch die Mode des Fotokopie-rens natürlich sehr gefördert: Man stellt sich diejenigen Lerninhalte zusammen, an denen man aktuell oder subjektiv interessiert ist. Hält man das Hölderlin-oder Benn-Gedicht im Lesebuch für zu altmodisch, kann man sich Texte von Lyrikern beschaffen, die noch nicht „lesebuchreif“ sind, aber für junge Menschen bestimmte geistige und politische Positionen markieren. Hier erweist sich das als Arbeitsbuch geprägte Schulbuch als sehr liberal. Reicht freilich die Liberalität bis zu der Freiheit, auf die Benutzung von Schulbüchern ganz zu verzichten, dann ist die Frage berechtigt: 5. Hat sich das Schulbuch überlebt?

Diese Frage kann nicht pauschal, sondern nur differenziert beantwortet werden. Aufdie Primarstufe wird heute wohl kaum jemand diese Frage beziehen, weil man hier unterstellt, daß Schulbücher wie Fibeln, Erstrechenbücher oder Bücher für den Sachkundeunterricht einfach vorhanden sein müssen, da Kinder im Grundschulalter noch nicht zur Entscheidung über Alternativen fähig sind. (Allerdings gibt es auch hier eine seit Jahrzehnten erkennbare Ausnahme: die „Eigenfibel“, d. h. eine Fibel, die sich Lehrer und Schüler gemeinsam erarbeiten, statt eine vorgegebene, gedruckte Fibel zu verwenden.)

Zumindest aber in der Sekundarstufe II (in der Realschule und im Gymnasium, aber auch auf manchen berufsorientierten Fachschulen) hört man nicht selten unsere Ausgangsfrage. Man bringt gegen die Benutzung der üblichen Schulbücher vor allem den Einwand vor, diese Bücher seien oft inhaltlich veraltet und erfüllten nicht die Anforderungen an eine Aktualität, die am technischen Fortschritt orientiert sei. Das ist durchaus bedenkenswert. Die Überarbeitung und Aktualisierung von Schulbüchern ist heute nach wesentlich kürzeren Zeiträumen nötig als früher. Mit einer kritischen Schulbuchanalyse ist ziemlich leicht nachzuweisen, daß hier und da (freilich nicht in jedem Schulbuch) sachlich überholte Angaben enthalten sind. Was zu einem bestimmten Zeitpunkt aktuell wirken konnte, kann heute bereits historisch erscheinen. (So gab es noch in den achtziger Jahren das eine oder andere Schulbuch für den Politik-oder Sozialkundeunterricht, das auf der „Kritischen Theorie“ oder der antiautoritären Pädagogik der endsechziger und beginnenden siebziger Jahren basierte.) Hier wird evident: Einzelne Schulbücher haben sich irgendwann überlebt, und eine Überarbeitung lohnt sich nicht, weil die Grundposition altmodisch geworden ist.

Nun kann man natürlich nicht von einzelnen aufalle Schulbücher schließen, auch nicht auf „das“ Schulbuch als ein seit Jahrhunderten unverzichtbares Medium der schulischen Bildung. Die Frage, ob sich das Schulbuch überlebt habe, kommt aber heute nicht aus einer bestimmten politischen oder theoretischen Richtung, sondern aus der Kommunikations- und Medienforschung. Hier wird registriert, daß der Mensch (auch der junge Mensch als Schüler) den größten Teil der Informationen, die sein Wissen bilden, nicht mehr durch Schulen erhält, sondern durch Kommunikationsmedien, vor allem durch Fernsehen und Radio, die unmittelbarer, aktueller und spannender zu informieren vermögen als die Schule, die sich bisher nur sehr wenig der neuen elektronischen Medien bedient.

Wenn die eben genannte Behauptung aber zutrifft, ist die Frage verständlich, wie viel Wissen die Schule heute überhaupt zu vermitteln vermag, wie dieses von ihr vermittelte Wissen von der Jugend in ihr Personsein integriert wird und ob die Produktion von Schulbüchern sich — falls sie in Zukunft überhaupt noch einen Sinn machen soll — an demjenigen Wissen zu orientieren hat, das die großen elektronischen Kommunikationsmedien nicht vermitteln wollen oder können. Mit anderen Worten: Das Gesamtfeld „Information“ müßte neu vermessen und neu aufgeteilt werden. Würde das geschehen, bliebe der Schule wohl nur noch ein Teil der Fläche, die sie heute ihr Eigen zu nennen pflegt.

Hier wird es nötig, verschiedene Wissensformen zu unterscheiden, so z. B. ein Tatsachenwissen, das aktuelle Geschehnisse mitteilt, ein Orientierungswissen mit den Maßstäben zur Sichtung der Wissensmassen, ferner ein Basiswissen, dessen man heute bedarf, wenn man sich in der modernen Gesellschaft zurechtfinden will. Seit Max Scheler ist unser Sin für diese diversen Formen des Wissens geschärft. Es gibt Wissensformen, die relativ unabhängig von aktuellen Ereignissen und Veränderungen sind; vielleicht ist es klug, daß die Schule sich vornehmlich diesen Bereichen widmet und nicht jenen, die eine Aktualität verlangen, die ein Schulbuch (wenn es einige Jahre benutzt wird) nicht bieten kann.

Hier läßt sich also feststellen: Überholt sollten diejenigen Schulbücher sein, die immer den vergeblichen Versuch machen, hinter der Aktualität herzurennen und etwas leisten möchten, was heute Sache der elektronischen Medien ist. 6. Fotokopieren:

Der Weg zur „Häppchen-Bildung“

Der pädagogische Gebrauchswert und das politisch-gesellschaftliche Ansehen des Schulbuchs haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten dadurch verschlechtert, daß man statt „ganzer“ Schulbücher im Schulunterricht bestimmter Fächer (vor allem derer, die man als „gesinnungsbildend“ bezeichnet) mehr oder weniger kurze Texte liest, die man sich durch Fotokopieren zugänglich gemacht hat. Nicht nur die Verleger haben begriffen, daß dieses Problem nicht nur die Kultur des Lesens, sondern die gesamte Zukunft des Buches betrifft.

Fotokopiergeräte stehen heute in vielen Schulfluren und gelten als fester Medienbestand wie der Diaprojektor oder die Tafelkreide. Hat man kurze Texte zur Verfügung, so „erspart“ man sich intensives und langes Lesen. Daß man bestimmte Stücke aus einem größeren Zusammenhang herausnimmt und dabei den Kontext vergißt, wird kaum für problematisch gehalten. Lehrer, die das Fotokopieren aktueller Texte vorschlagen, gelten bei manchen Schülern als modern und aufgeschlossen. Nicht immer gelingt es dem Lehrer, so etwas wie ein „geistiges Band“ zwischen all den Einzeltexten herzustellen, die er zum Unterricht heranzieht. Vielleicht stört manchen Lehrer gar nicht, daß am Ende eine Art „Häppchen-Bildung“ die Konsequenz des Fotokopierwissens ist.

Die Frage liegt nahe: Weshalb ist es überhaupt in unserem Schulwesen zu solch einer ausgedehnten Praxis des Fotokopierens gekommen? Soll das ein Beweis für die Fortschrittlichkeit der Schule sein? Werden die negativen Folgen dieser Praxis nicht erkannt?

Die Häufigkeit des Fotokopierens ist nicht selten zur Manie ausgewachsen, die für einzelne Schüler nicht nur Abstinenz gegenüber dem Schulbuch, sondern gegenüber Büchern überhaupt erzeugt. Man könnte meinen, ein junger Mensch sei überfordert, wenn er ein „ganzes“ Buch lesen soll. In der Deutschdidaktik gibt es den unschönen Begriff „Ganzschriften“: Gemeint sind damit Bücher oder Schriften, die Schüler und Lehrer als Ergänzung des Lesebuchs benutzen sollen. Wer von „Ganzschriften“ redet, muß sich auch auf die Frage gefaßt machen, was er unter „Halb-“ oder „Viertelschriften“ versteht. Natürlich hatte die Forderung nach Benutzung von „Ganzschriften“ im Deutschunterricht ursprünglich den guten Sinn, die Schüler über das Lesebuch zur Lektüre klassischer Werke der Literatur zu führen und ihnen darauf Appetit zu machen; viele Stoffe in Lesebüchern sind bekanntlich kurze Auszüge aus größeren Werken. Das Fotokopieren ist gewiß nicht der geeignete Weg, jenen Übergang zu finden. Im Gegenteil: Selbst das Lesebuch oder jedes andere Schulbuch ist denen, die die fotokopierten Texte bevorzugen, zu „ganz“ und zu lang.

Den Anlaß zum übermäßigen Fotokopieren haben wohl eher die Lehrer als die Schüler gegeben, und die Schulverwaltung hat es bona fide toleriert. In manchen Unterrichtssituationen kann das schnelle Fotokopieren gewiß eine Hilfe sein, nicht aber dann, wenn direkt oder indirekt, beabsichtigt oder unabsichtlich Fotokopien die Schulbücher verdrängen und ersetzen. Dies ist ein Problem, mit dem sich in Zukunft auch die Bildungspolitik befassen muß.

II. Das Interesse gesellschaftlicher Gruppen am Schulbuch

Weil das Schulbuch ein öffentliches Buch ist, das einen staatlichen Informationsauftrag zu erfüllen hat, sind gesellschaftliche Gruppen, die mit Gehalt und Gestalt der Schule zu tun haben, am Schulbuch interessiert. Das gilt nicht nur für Lehrer, Eltern und Schüler, sondern auch für die politischen Parteien, für Kirchen und Glaubensgemeinschaften, für Organisationen der Arbeitgeber und -nehmer, für die Mitarbeiter im Medienbereich. Dieses Interesse bestünde wohl kaum, nähmen die Gruppen nicht an, daß Mentalität und Verhalten junger Menschen durch Schulbücher mitgeprägt werde. Hinzu kommt die Annahme, daß durch Schulbücher, die ja besonders stark verbreitete Bücher sind, auf die Einstellungen der nachwachsenden Generationen zu den gesellschaftlichen Gruppen Einfluß genommen wird. Diese Gruppen möchten sich in Schulbüchern positiv und authentisch dargestellt sehen. Schulkritik entsteht in den Gruppen meist dann, wenn sie im einen oder anderen Schulbuch in einer Weise dargestellt sind, wie sie es nicht wünschen. So unangenehm auch zuweilen das Interesse gesellschaftlicher Gruppen an Schulbüchern für Autoren und Verleger werden kann — diese sollten es in einer demokratischen Gesellschaft für selbstverständlich halten, daß sich die Öffentlichkeit über Schulbücher Gedanken macht. 1. Das Schulbuch und die Methodenfreiheit des Lehrers Längst sind in demokratischen Staaten die Zeiten vorbei, in denen die Lehrer zur Benutzung eines einzigen Schulbuchs im Fach bzw. Schuljahr gezwungen waren. Heute stehen in der Regel mehrere Bücher pro Fach und Jahr zur Auswahl. Zwar trifft der einzelne Fachlehrer die Auswahlentscheidung nicht allein, sondern hat die Fachkonferenz (darin auch Eltern-und Schülervertreter) in diese Entscheidung mit einzubeziehen; doch ist es nicht üblich, daß ein Lehrer zur Nutzung eines Buches gezwungen wird, das seinen fachlichen bzw. didaktisch-methodischen Auffassungen widerspricht. Er kann sich auf seine Methodenfreiheit berufen, die freilich durch staatliche Richtlinien begrenzt wird.

Nun orientiert sich der Lehrer bei der Entscheidung für ein Buch aber nicht nur an der jeweiligen Methode, sondern auch an politischen und weltanschaulichen Grundauffassungen, die in dem jeweiligen Buch dominieren. Nicht nur bei Schulbüchern für den Politik-oder Sozialkundeunterricht wird erkennbar, welches politische Wertekonzept zugrundeliegt; politisch relevante Faktoren spielen beispielsweise auch bei Religions-, bei Deutsch-oder bei Geographiebüchern eine Rolle: Die einen orientieren sich z. B. an der „Kritischen Theorie“, die anderen an der katholischen Soziallehre; die einen favorisieren fortschrittliche theologische Auffassungen, die anderen sagen nichts oder nur wenig über religiöse Initiativen zur Überwindung von Hunger, Ungerechtigkeit und Diktatur in der Welt; die einen Biologiebücher sind stark mit politischer Ökologie angereichert, andere sparen diese aus und fassen Biologie soweit wie möglich apolitisch auf.

Der einzelne Lehrer muß bei seiner Auswahlentscheidung stets mit den Reaktionen von Eltern und Schülern rechnen. Insofern hat er nicht pur für sich zu entscheiden; seine Lehrertätigkeit ist in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden, auch in solche, die eventuell seinen eigenen politischen Erwartungen nicht entsprechen. Lehrerorganisationen plädieren verständlicherweise — ähnlich wie Autoren und Verleger — für eine möglichst große Wahlfreiheit und für möglichst großzügige Handhabung der Schulbuchzulassung durch die Kultusministerien. Diese jedoch haben die gesamte Gesellschaft und nicht nur die Lehrer zu berücksichtigen. Eine andere Form der Einflußnahme auf die Wahl-freiheit des Lehrers ist heute nicht mehr so akut wie in den fünfziger und sechziger Jahren. Nicht selten firmierten leitende Beamte der Schulaufsicht und -Verwaltung als Mitherausgeber bestimmter Schulbücher; da hielten es viele Lehrer (zumal die jüngeren) für opportun, im Unterricht diese Bücher zu bevorzugen. 2. Schulbücher als Schülerbücher:

Pflicht zum Lesen und Recht auf Lesen Durch die rapide Ausdehnung des Konsums neuer Medien (von Comics bis Video, von der Schallplatte bis zur CD und Computerspielen) ist das Interesse junger Menschen am Schulbuch (und am Buch überhaupt) gemindert worden. Man kann sich heute kaum vorstellen, daß das Schulbuch noch vor fünfzig oder siebzig Jahren das einzige Medium war, das das Gros der Schüler mit Information und Unterhaltung versorgte. Heute haben Schüler ungleich mehr Schulbücher zu konsumieren als in früheren Zeiten. Hier ist daran zu erinnern, daß das Schulbuch in erster Linie ein Schülerbuch ist; der Lehrer bezieht sein Fachwissen ja normalerweise aus anderen Werken. Schüler haben das Recht darauf, daß „ihre“ Bücher ihrer Mentalität entsprechen und dem altersgemäßen Fachinteresse gerecht werden, und zwar nicht nur im Sprachstil, sondern auch in der Art von Illustration und Layout, die derjenigen von gern gelesenen Kinder-und Jugend-büchern adäquat sein sollte. Leider sind sie es manchmal überhaupt nicht.

Je älter Schüler sind, um so mehr neigen sie dazu, in dem Schulbuch die leidige Pflicht zum Lesen zu sehen; es gibt aber auch ein Recht auf Lesen Es ist der Rechtsanspruch an die Schule, von dieser in der Lesefähigkeit so bestärkt zu werden, daß der Schüler das Lesen als Zugang zur Information und als Hilfe in der Lebensorientierung nicht nur versteht, sondern auch praktiziert. Schüler, die dies für graue politische Theorie halten, sollten sich von den „neuen Analphabeten“, die heute mit großen Mühen in der Volkshochschule das nachholen, was sie an Lesetraining in der Schule verpaßt haben, sagen lassen, wie töricht der Verzicht auf das Recht auf Lesen ist, auch auf das Recht, Schulbücher nicht einfach nur zu lesen, sondern an deren Inhalte kritische Fragen zu stellen und die Lehrer zu ersuchen, die Schüler vom Sinn der Information zu überzeugen. Es ist bitter, erst spät einzusehen, was man an Lesekonsum versäumt hat und welche Schäden das nach sich zieht. 3. Mitverantwortung der Eltern für das Schulbuch Die Beurteilung und Kritik von Schulbüchern ist seit langem nicht mehr nur Sache von Lehrern und Experten der Schulverwaltung, sondern auch eine Aufgabe für Eltern. So wie sie insgesamt über das Innenleben der Schule ihrer Kinder informiert werden möchten, wollen sie auch die Schulbücher kennenlernen, mit denen ihre Kinder zu arbeiten haben. Eine Meinung über das eine oder andere Schulbuch entsteht bei Eltern schon dadurch, daß sie die Hausaufgaben ihrer Kinder betreuen. Dabei werden Schulbücher benutzt, schon weil in diesen oft die zu erfüllenden Aufgaben formuliert sind. a) Das Interesse der Eltern an Schulbüchern ist ein Zeichen dafür, daß die Eltern die Schule (deren Ziele und Inhalte) ernst nehmen — und damit auch die Arbeit der Kinder an den schulischen Hausauf-gaben Eltern, die ihr Erziehungsrecht auch auf die Schule ausweiten, wollen wissen, welche Kenntnisse und Auffassungen ihren Kindern durch die Schulbücher verinnerlicht werden. Oft machen Eltern die Erfahrung, daß Inhalte und Methoden heutiger Schulbücher sich von denen ihrer eigenen Schulzeit erheblich unterscheiden. Es mag naheliegen, daß die Eltern das Heutige und ihnen vielleicht Neue an den eigenen Schulerfahrungen messen, also auch an Schulbüchern, wie sie vor zwei, drei odervierJahrzehnten benutzt wurden und heute als überholt gelten.

So werden Schulbücher zum Anlaß von Diskussionen mit den Schülern und manchmal auch mit den Lehrern. Auch wenn es zu kritischen oder gar ablehnenden Äußerungen der Eltern über Schulbücher kommen sollte, würde es nicht gut sein, die Eltern für inkompetent zu halten und das Schulbuch zur puren Lehrersache zu erklären. Ein Buch, das öffentliches Medium sein soll und ist, muß sich der Stellungnahme möglichst vieler Bürger aussetzen. Man hört gelegentlich die Meinung, Eltern neigten immer zu konservativem Denken und beachteten nicht genug den wissenschaftlichen Fortschritt, weil sie eben die Maßstäbe ihrer eigenen Schulzeit zugrunde legten. Dazu ist zu sagen: Die Vielfalt und Polarität der Denkweisen ist unter Eltern genau so vorhanden und berechtigt wie unter mündigen Bürgern insgesamt. b) Kompetent oder überfordert? Diese Frage spitzt sich heute vor allem bei der Mitwirkung der Eltern-vertreter in den für die Auswahl der für Schulbücher zuständigen Kommissionen der einzelnen Schule zu. Einige Landesschulgesetze sehen diese Mitbeteiligung von Elternvertretern vor. Bei Gymnasien wird die Kompetenzfrage meistens schon deshalb nicht radikalisiert, weil unter den Eltern einer Schulklasse oder -stufe immer solche mit fach-wissenschaftlicher Vorbildung sind. Zudem bezieht sich die Mitarbeit der Eltern in den Schulbuchkommissionen in der Regel jeweils auf ein einzelnes Unterrichtsfach, das einem besonders gut bekannt ist. Gleichwohl ergibt sich manchmal eine schwierige Entscheidungssituation: Da liegen rund zehn verschiedene Bücher auf dem Tisch, die für das gleiche Fach in der jeweiligen Klasse oder Stufe verwendet werden können, und auf eines davon muß sich die Kommission einigen. Nicht immer haben die Eltemvertreter vorher die Bücher vergleichend durchgesehen, um sich eine Meinung zu bilden. Die feinen Unterschiede im didaktisch-methodischen Aufbau, charakteristisch für die diversen Bücher, sind den Eltern oft nicht geläufig, und es kommt zu einer Zufallsentscheidung. Nicht selten schließen sie sich der Lehrermeinung an und lassen es erst gar nicht zu einem Kompetenzstreit kommen. Wer geneigt ist, Eltern sofort in die Laienrolle zu weisen, muß folgendes beachten: Nicht selten sind in den Fachkommissionen Eltern, die in ihrem Berufzu ungleich mehr Fachwissen und Kompetenz gelangt sind als die Lehrer.

Selbst wenn es um die Einschätzung methodisch-didaktischer Konzepte von Schulbüchern geht, sind Eltern oft nicht weniger zuständig als Lehrer. Diese neigen nicht selten dazu, „betriebsblind“ zu sein, sich neuen Trends anzuschließen und nicht kritisch abzuwägen, ob auf früher praktizierte Methoden tatsächlich verzichtet werden sollte. Hierfür ein Beispiel, das in der Schulbuchkritik der letzten Zeit Furore gemacht hat: Selbst die Schulbücher der Primarstufe (zumindest diejenigen für das Fachgebiet Sachunterricht) erscheinen stark „wissenschaftsorientiert“; so gilt ein „ganzheitliches“ Darstellen (Beispiel „Der Teich als Lebensgemeinschaft“) als antiquiert, und bei der Beschreibung und Analyse eines Phänomens wird es in die einzelnen wissenschaftlichen Aspekte zerlegt — mit der Folge, daß über ein Thema wie „Katze“ an ganz verschiedenen, zusammenhanglosen Stellen eines Biologie-buches statt an einer einzigen instruiert wird Schon möglichst früh „Geographie“ statt „Erd-und Heimatkunde“ anzubieten, verrät die Intention nach Verwissenschaftlichung, ohne daß freilich sicher ist, daß damit der Unterricht schüler-und sachgerechter wird. c) Die politische Mitverantwortung der Eltern für die Gestaltung, Zielsetzung, Auswahl, Anwendung und Wirkung von Schulbüchern ist grundrechtlich und nicht nur durch Schulgesetze bzw.deren Ausführungserlasse legitimiert. Das Elternrecht bezieht sich auch auf die Schulerziehung (nicht nur die in der Familie), und nicht nur durch die Wahl der Schule für ihre Kinder, sondern auch durch Mitentscheidung über die anzuwendenden Schulbücher praktizieren die Eltern ihr Recht, den Geist der Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen. Dieses Recht gilt auch für den Anspruch auf möglichst weitgehende Identität zwischen der politischen und weltanschaulichen Einstellung des Elternhauses einerseits und der jeweiligen Schulbücher andererseits. Leider wird die entsprechende Mitverantwortung der Eltern eher in Negativsituationen aktiviert als in der normalen Zusammenarbeit. Es hat in den letzten Jahrzehnten neue Schulbücher gegeben, die nur auf Grund massiver Eltemproteste nach einiger Zeit wieder aus dem Unterricht herausgenommen worden sind, so z. B. die Erstfassung des „Sexualkundeatlas“, der durch Initiative der damaligen Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Käthe Strobel, erarbeitet und in hoher Auflage in den Schulen eingesetzt wurde (in der Karikatur als „Strobelpeter“ persifliert)

Aber nicht nur das Elternrecht (Artikel 6 des Grundgesetzes) sollte hier zur Legitimation elterlicher Mitverantwortung genannt werden, sondern auch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG): Weil das Schulbuch ein öffentliches Medium ist, das der Erziehung in der öffentlichen Schule dient, muß hier mit Meinungsäußerungen aus der Öffentlichkeit gerechnet werden, seien es Einzelmeinungen oder Stellungnahmen von Gruppen und Organisationen (z. B. Eltemverbänden). Natürlich kann es in einer pluralistischen Gesellschaft zu einem Schulbuch nicht „die“ Elternmeinung geben. Aber selbst wenn das Spektrum der Eltemmeinungen so breit ist, daß die Meinungen sich gegenseitig zu neutralisieren, zu relativieren oder zu widersprechen scheinen, darf das Kritik-und Verantwortungsrecht der Eltern nicht tangiert werden. Vor allem den Lehrern (und deren Berufs-verbänden) ist zu empfehlen, die Mitverantwortung der Eltern in Schulbuchfragen nicht in Frage zu stellen, sondern statt dessen mit den Eltern sachlich zu kooperieren — zum Wohl der Schüler. 4. Zwischen Informationsauftrag und Verkaufs-interesse: Schulbuchautoren und -Verleger Den Autoren und Verlegern von Schulbüchern braucht man nicht mehr zu erklären, weshalb das Schulbuch ein Politikum ist. Sie bekommen die Einflußnahme des Staates auf die Beurteilung von Schulbüchern wie auch die Schulbuchkritik bestimmter gesellschaftlicher Gruppen besonders kräftig zu spüren. Die Autoren wissen, daß Schulbücher, die sie schreiben, für den Gebrauch in Schulen nur zugelassen werden, wenn sich die Bücher den Lemzielen der staatlichen Richtlinien und den erziehungsrelevanten Bestimmungen der Verfassung anpassen. Die Autoren arbeiten zwar privat — in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko —, haben aber stets zu beachten, daß es um Bücher mit öffentlicher Geltung geht. Eine faire Konkurrenz im Erarbeiten und Publizieren von Schulbüchern muß es schon deshalb geben, damit nicht geistiges Einerlei auf dem Schulbuchmarkt aufkommen kann. Natürlich gab es Zeiten, in denen Schulbücher dezidierter als heute in staatlichem Auftrag und mit größeren Auflagen verfaßt wurden — ohne die Richtungs-und Methodenvielfalt, die heute möglich und üblich ist. Diese Vielfalt hat manchmal zur Folge, daß viele Bücher im gleichen Genre miteinander rivalisieren und es für die Autoren schwer ist, ihre Werke zu Markterfolgen werden zu lassen. Das Gegenteil zu dieser Angebotsvielfalt wäre ein gefährlicher geistiger, politischer und methodischer Monismus; ihn kann es in einem demokratischen Schulsystem nicht geben. Hierzulande ist es heilsam, sich vor Augen zu führen, daß ein undemokratischer Schulbuchmonismus, derja auf der Monopolisierung weniger Schulbücher basiert, in anderen Staaten noch gang und gäbe ist, und zwar infolge der politischen Gleichrichtung der Schule.

Autoren und Verleger fordern bisweilen den völligen Verzicht des Staates auf Überprüfung und Zulassung bzw. Zulassungsverweigerung von Schulbüchern. Der Lehrer, so meinen sie, sei sachlich kompetent und politisch mündig genug, um selber entscheiden zu können, welches Schulbuch das geeignete sei. Ein Verzicht des Staates auf Überprüfung von neuen Schulbüchern hätte für Autoren und Verleger sicherlich den Vorteil, daß ein Buch, das heute in dem einen oder anderen Bundesland nicht zugelassen ist, überall zugelassen und stärker verbreitet wäre. Dann ergäbe sich allerdings die Frage, ob das Schulbuch noch als öffentliches, offizielles Buch gelten könne. Der Verzicht des Staates auf sein Überprüfungs-und Zulassungsrecht wäre dann der erste Schritt in Richtung auf Preisgabe staatlicher Kompetenz im Schulbereich überhaupt, so wie es die Verfechter der „free school“ verlangen: Die Schule soll nach eigenen und nicht mehr nach staatlichen Richtlinien und Lernzielen arbeiten, ihre Effizienz selber prüfen und nicht mehr vom Staat beaufsichtigt werden. Der nächste Schritt wäre der Verzicht auf staatliche Schulpflicht.

Solche Gedankengänge sind auch für die Hersteller von Schulbüchern sehr problematisch: Das Schulbuch wird entwertet, wenn es nicht länger ein offizielles, verbindliches Buch ist. Das Recht des Staates auf Überprüfung und Zulassung von Schulbüchern dient nicht nur der Sicherung der Übereinstimmung mit Gesetz und Schulkonzept des Staates, sondern garantiert auch einen möglichst hohen Bildungsstandard und die Mitwirkung der Schule am Leben eines möglichst aktiven Gemeinwohls. Für ein möglichst liberales Überprüfungs-und Zulassungsverfahren spricht das demokratische Prinzip der Pluralität: Die politische und geistige Pluralität muß sich auch in der Diversität von Schulbüchern ausdrükken. Es wäre unkorrekt, bei der Überprüfung und Neuzulassung eines Schulbuchs die vorherrschende politische Meinung derjeweiligen Regierungsmehrheit als Maßstab zu verwenden

Das kommerzielle Interesse der Autoren und Verleger am Schulbuch ist legitim. Ebenso legitim aber ist das Interesse des Staates an einem Schulunterricht, der den Schülern die den Staat und die Gesellschaft tragenden Grundwerte attraktiv verinnerlicht und die Jugend für das Engagement in Staat und Gesellschaft vorbereitet. Übrigens wird man bei der Beschäftigung mit der öffentlichen Funktion des Schulbuchs auch daran erinnert, daß sich Autoren und Verleger im Laufe der Geschichte immer wieder an die Systemveränderungen des Staates anpassen mußten. Schulbücher, die lange gültig waren, haben sich nach politischen Umbrüchen (1918, 1933, 1945) erstaunlich schnell den neuen Verhältnissen angepaßt, auch wenn mit dem jeweils neuen politischen Macht-system diametrale Werte in Umlauf gesetzt wurden. — Wie dem auch sei: Die Geschichte des Schulbuchs ist von der Geschichte der Politik nicht zu trennen, und selbst der Entschluß zum apolitischen Schulbuch wäre eine politische Entscheidung. 5. Das Interesse anderer Gruppen — Gesellschaftliche Rollen und Leitbilder in Schulbüchern In dem Vierteljahrhundert nach 1945 konnten Parteien Kirchen, Gewerkschaften, Unterneh-mensverbände und andere Gruppen unserer Gesellschaft damit rechnen, daß die für sie verbindlichen Leitbilder und die geltenden Rollenmuster durch Schulbücher nicht in Frage gestellt wurden. Im Gefolge des Studentenprotestes, der Außerparlamentarischen Bewegung und der Bildungsreform setzte dann etwa ab 1970 zweierlei ein: Einerseits kamen Schulbücher in Umlauf, die im Geist der „Kritischen Theorie“ entstanden waren und die Schüler zum „Hinterfragen“ tradierter Rollen und Leitbilder anregten, andererseits begann in Reaktion auf diese neuen Schulbücher eine heftige Schulbuchkritik; Gruppen und Organisationen, die sich bis dahin nie oder nur sporadisch mit Schulbuchproblemen befaßt hatten, schrieben den „kritischen“ Schulbüchern einen Einfluß zu, den sie sicherlich nicht besaßen. Plötzlich galten Schulbücher als staatlich sanktionierte Instrumente der Systemveränderung in Staat und Gesellschaft. Aus Schulbuchkritik entstand bisweilen Schulbuch-schelte, und dabei ging es nicht so sehr um sachbezogene Inhaltsanalyse als um Ideologiekritik.

Was die diversen Großorganisationen seitdem zu Schulbuchproblemen publiziert haben, mag nicht immer der wissenschaftlichen Erhellung, sondern mehr den Gruppeninteressen gedient haben; immerhin ist die Sensibilisierung der gesellschaftlichen Gruppen für das Schulbuch positiv zu werten. Denn es kam nun eine Schulbuchforschung in Gang, die den Beweis lieferte, daß Schulbücher bis in die Gegenwart immer wieder Rollenmuster und Leitbilder kolportiert haben, die längst zu Anachronismen geworden sind. So etwa die stets kinderreiche Familie, die sich auf Haushalt und Kindererziehung beschränkende, nicht außerhalb der Familie berufstätige Frau — oder ein Leitbild des Mannes, das noch rein patriachalisch statt partnerschaftlich motiviert ist. Die Wirtschaftsorganisationen hatten und haben zu kritisieren, daß in manchen Schulbüchern das Bestimmtsein unserer Gesellschaft durch Industrialisierung und Automation, durch das Zusammenleben mit Ausländem und durch starke Technisierung vieler Arbeitsabläufe noch nicht hinreichend zur Kenntnis genommen wird, ja eine Naturwelt im Zentrum steht, die es nicht mehr gibt.

Durch neue Schulbücher sind bestimmte Organisationen und Gruppen dazu angeregt worden, ihre eigenen gesellschaftlichen Leitbilder zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren — eine beachtliche politische Wirkung von Schulbüchern! Allerdings hat die Schulbuchkritik durch. gesellschaftliche Gruppen auch manchmal zur Abwehr neuer, in Schulbüchern angebotener Rollenmuster geführt. Daß es heute z. B. Religionsbücher gibt, in denen bestimmte tradierte Lehren und Praktiken der Kirchen auf ihren Sinn befragt oder gar abgelehnt werden — das hat es in der Kirchen-und Schulgeschichte früher wohl kaum gegeben, auch nicht Religionsbücher, die zur Kirchen-und Glaubenskritik anleiten: ein kirchenpolitisch völlig neuartiges Phänomen, Derjunge Schulbuchleser ist nicht nur Schüler, sondern auch Angehöriger der gesellschaftlichen Gruppen, die im Schulbuch zur Sprache kommen. Diese Gruppen haben dem jungen Menschen Rollen zugewiesen, die durch Reflexion und Kritik verstehen zu lernen eine wichtige Funktion des Schulbuchs ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dies war das Ergebnis einer Tagung der Max-Traeger-Stiftung der GEW. Siehe hierzu: Beatrix Geisel. Schulbücher immer noch voll von „Mutti-und Heulsusenbildern", in: Die Feder. Zeitschrift der IG Druck und Papier für Journalisten und Schriftsteller. (1987) 3. S. 50f.

  2. Vgl. ß, Geisel (Anm. 1).

  3. So der Titel eines Buches von Gerd Stein, Kastellaun 1977.

  4. Franz Pöggeler (Hrsg.). Politik im Schulbuch. Bonn 1985 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 231); das Werk dokumentiert zahlreiche Bild-und Text-beispiele.

  5. Siehe hierzu Mechthild Dehn, Texte in Fibeln und ihre Funktion für das Lernen. Eine Sprachanalyse als Beitrag zur Didaktik des Lesenlernens, Kronberg 1975. Die Autorin weist nach, daß Fibeltexte über das Leseniemen hinaus „Modellfunktion für das sprachliche Verhalten der Schüler“ haben. In Lernzielbestimmung, methodischem Aufbau und Layout unterscheiden sich die heute im Gebrauch befindlichen Fibeln erheblich. Siehe hierzu: Fibeln und Erstleseunterricht. I: Konzepte. Dokumente. Erfahrungen, hrsg. vom Arbeitskreis Grundschule e. V.. Frankfurt 1976.

  6. Vgl. Franz Pöggeler, Politik in Fibeln, in: Politik im Schulbuch (Anm. 4), S. 21— 50 und 269— 314, ferner: Franz Pöggeler. Fibel und Zeitgeist, in: Wie die Kinder lesen lernten. Die Geschichte der Fibeln, hrsg. von Markus May und Robert Schweitzer, Stuttgart 1982, S. 1— 5.

  7. Vgl. Heinrich Kanz. Politik in Lesebüchern, in: Politik im Schulbuch (Anm. 4). S. 51— 58 und 315— 363; ferner: Heinz Geiger (Hrsg.). Lesebuchdiskussion 1970— 1975, München 1977. Diese Dokumentation spiegelt wider, wie die Reform-ansätze im Gefolge der Studentenrevolte, der APO-Bewegung und der „Kritischen Theorie“ das Lesebuchproblem auf politische Trends der Zeit bezogen haben.

  8. Vgl. Dietrich Zilleßen, Politik in Religionsbüchern, in: Politik im Schulbuch (Anm. 4), S. 84— 118 und 365— 395.

  9. Vgl. E. Horst Schallenberger/Gerd Stein, Staat und Gesellschaft im Spiegel von Rechenbüchern, in: Politik im Schulbuch (Anm. 4), S. 119— 144 und 397— 444.

  10. Siehe hierzu: Günter Brilla/Barbara Klauß, Biologie in Schulbüchern, in: Politik im Schulbuch (Anm. 4), S. 145191 und 445-479.

  11. Vgl. Heinz Lemmermann, Politik in Liederbüchern, in: Politik im Schulbuch (Anm. 4), S. 192— 234 und 481— 534.

  12. Vgl. Joachim Rohlfes, Politik in Geschichtsbüchern, in: Politik im Schulbuch (Anm. 4), S. 235-265 und 535-564.

  13. Die Schulbuch-Revision ist seit 1945 wohl in keinem anderen Unterrichtsfach so gründlich betrieben worden wie im Geschichtsunterricht. Siehe z. B. Chaim Schatzker, Die Juden in den deutschen Geschichtsbüchern, Bonn 1981 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 173); ders.. Das Deutschlandbild in israelischen Schulgeschichtsbüchern, Braunschweig 1979 (Schriftenreihe des Internationalen Schulbuchinstituts, Bd. 25). Durch bilaterale Schulbuchkommissionen, zu denen außer Historikern oft auch Geographen gehörten, sind für die Herstellung neuer Geschichtsbücher vorbildliche Empfehlungen erarbeitet worden, so z. B.: Empfehlungen für Schulbücher der Geschichte und Geographie in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen, Braunschweig 1977 (Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts, Bd. 22); ähnliche Empfehlungen liegen für die Geschichtsbücher vor, die sich mit der Darstellung der Geschichte anderer Staaten in deutschen Geschichtsbüchern befassen.

  14. Vgl. z. B. Henning Günther/Rudolf Willeke, Was uns deutsche Schulbücher sagen. Bonn 1982. Hier handelt es sich um eine empirische Untersuchung der genehmigten Deutsch-. Politik-und Religionsbücher.

  15. Zu diesem Ergebnis kommt nicht nur die vorgenannte Untersuchung von Günther und Willeke, sondern auch die von namhaften Politologen und Politikdidaktikem durchgeführte Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung über die Darstellung der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen Schulbuchtypen (hrsg. von Manfred Hättich u. a., Bonn 1986).

  16. Vgl. Walter Müller, Schulbuchzulassung. Zur Geschichte und Problematik staatlicher Bevormundung von Unterricht und Erziehung, Kastellaun 1977.

  17. „Analysen und Ansichten zur Auseinandersetzung mit Schulbüchern in Wissenschaft, pädagogischer Praxis und schulischem Alltag“ hat Gerd Stein in dem von ihm herausgegebenen Sammelband sehr instruktiv erläutert (Schulbuchschelte — Politikum und Herausforderung, Stuttgart 1979).

  18. Lesen, Leseforschung. Leseförderung, in: Bertelsmann-Briefe. Heft 121. Gütersloh 1987, S. 3f.

  19. Siehe hierzu: Frank Drecoll/Ulrich Müller (Hrsg.), Analphabetismus in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt-Berlin-München 1981. — Der Bremer Schul-und Bildungssenator sieht mit Recht „die Gefahr, daß die Initiativen zur Bekämpfung des . neuen'Analphabetismus in der Etappe behördlicher Zuständigkeiten steckenbleiben“; siehe F. Drecoll/U. Müller (ebda.), S. 7. Die Unfähigkeit vieler Menschen zum Lesen wird im öffentlichen Bewußtsein „überspielt“ durch die Tatsache, daß die neuen Analphabeten sich auch mit Hilfe nichttypographischer Medien informieren können, also angeblich auf Printmedien nicht angewiesen sind, schon gar nicht auf Schulbücher.

  20. In den Niederlanden besteht der Brauch, am Ende des Schuljahres die nicht länger benötigten Schulbücher aus dem Fenster zu hängen und verwittern zu lassen.

  21. Siehe zum Folgenden: Hartmut Hacker (Hrsg.). Das Schulbuch — Funktion und Verwendung im Unterricht, Bad Heilbrunn 1980. Diese Untersuchung bezieht sich auf die einzelnen Schulbuchtypen, gegliedert nach einzelnen Unterrichtsfächern. Uns geht es im folgenden Kapitel um Funktionen, die für alle Schulbuchtypen gelten können.

  22. Vgl. Max Scheler. Die Wissensformen und die Gesellschaft, Bern-München 19602.

  23. Vgl. F. Drecoll/U. Müller (Anm. 19), S. 168. Das „Recht auf Lesen“ ist für Drecoll/Müller unlösbar mit dem „Recht auf Arbeit und Sicherung der Existenz“ verbunden.

  24. Siehe hierzu: Franz Pöggeler, Hausaufgaben, Freiburg-Basel-Wien 1978, vor allem S. 25 ff.

  25. Auf dieses Beispiel verweist — freilich mit einer Beigabe von Ironie — Konrad Adam in seinem Beitrag: Die zerrissene Erfahrung. Wie Schulbücher die Anschaulichkeit verhindern, in: Elternforum. (1987) 2, S. 14.

  26. Sexualkunde-Atlas. Biologische Informationen zur Sexualität des Menschen. Im Auftrag des Bundesministers für Gesundheitswesen hrsg. von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Opladen 1969.

  27. Siehe hierzu: Brun-Otto Bryde, Anforderungen an ein rechtsstaatliches Schulbuchgenehmigungsverfahren, hrsg. vom Verband der Schulbuchverlage e. V., Frankfurt a. M. 1984.

  28. Die politischen Parteien haben sich bisher in der Schulbuchpolitik eher reaktiv als prospektiv verhalten. In der Praxis der ministeriellen Überprüfung und Zulassung von Schulbüchern gibt es selbst bei der gleichen Ländergruppe (A-bzw. B-Länder, die einen mit sozialdemokratischer, die anderen mit christlich-demokratischer Mehrheit) beachtliche Unterschiede. Siehe hierzu: Franz-Josef Witsch-Rothmund, Politische Parteien und Schulbuch. Eine inhaltsanalytische Studie unter Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses zwischen sozialisationstheoretischer Forschung und öffentlicher Schulbuchdiskussion. Frankfurt a. M. 1986.

Weitere Inhalte

Franz Pöggeler, Dr. phil., Dr. h. c., geb. 1926; Studium der Pädagogik, Psychologie, Philosophie, Germanistik und Anglistik an der Universität Marburg; 1962 bis 1980 Ordinarius für Allgemeine Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Rheinland, Aachen, und Direktor des Seminars für Pädagogik und Philosophie; seit 1980 in gleicher Funktion an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Veröffentlichungen u. a.: Die Verwirklichung politischer Lebensformen in der Erziehungsgemeinschaft, 1954; Die Pädagogik Fr. W. Foersters, 1957; Einführung in die Andragogik, 1957; Eltern als Erzieher, 1962; Der pädagogische Fortschritt und die verwaltete Schule, 1960; Methoden der Erwachsenenbildung, 1964; Jugend und Zukunft, 1984; Erwachsenenbildung, 1974; (Hrsg.) Politik im Schulbuch, 1985.