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Viel Lärm um wenig? Der Wertschöpfungsbeitrag als neues Finanzierungsfundament der Rentenversicherung in der sozialpolitischen Diskussion | APuZ 35/1987 | bpb.de

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APuZ 35/1987 Artikel 1 Perspektiven einer Strukturreform der sozialen Alterssicherung Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung Vorstellungen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Viel Lärm um wenig? Der Wertschöpfungsbeitrag als neues Finanzierungsfundament der Rentenversicherung in der sozialpolitischen Diskussion

Viel Lärm um wenig? Der Wertschöpfungsbeitrag als neues Finanzierungsfundament der Rentenversicherung in der sozialpolitischen Diskussion

Gerhard Bäcker

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Zusammenfassung

Aufgrund der demographischen Entwicklung wird die Rentenversicherung ab Mitte der neunziger Jahre in schwerwiegende Finanzierungsprobleme geraten. Soll das gegenwärtige Renteniveau beibehalten werden, bedarf es zusätzlicher Finanzierungsmittel. Seit einigen Jahren wird vorgeschlagen, über einen Wertschöpfungsbeitrag der Arbeitgeber („Maschinenbeitrag“), der den bisherigen lohnbezogenen Arbeitgeberbeitrag ersetzt, die Finanzierungsproblematik zu lösen. Der Autor setzt sich mit diesem Konzept auseinander. Er zeigt auf, daß die Be-und Entlastungen durch eine Umbasierung der Arbeitgeberbeiträge auf eine Wertschöpfungsbasis recht gering sind. Die Erwartung, daß die Wertschöpfungsbeiträge auf längere Sicht ergiebiger sind als die bisherigen lohnbezogenen Beiträge, rechnet mit einer dauerhaften Umverteilung des Volkseinkommens zuungunsten der Arbeitnehmer. Dies ist weder wahrscheinlich noch wirtschafts-und verteilungspolitisch wünschenswert. Auch die Erwartung, durch einen Wertschöpfungsbeitrag könne die Arbeitslosigkeit abgebaut werden, läßt sich nicht halten, da das Einsatzverhältnis von Kapital und Arbeit und damit das Beschäftigungsniveau nicht durch die relativen Lohn-und Kapitalkosten determiniert wird. Läßt man die Annahme der Aufkommensneutralität fallen und begreift den Wertschöpfungsbeitrag als ein reines Finanzierungsinstrument, das die Arbeitgeber stärker als bislang belastet, stellt sich die verteilungspolitische Problematik, daß der Wertschöpfungsbeitrag wie eine Mehrwertsteuer wirkt.

I. Steigender Finanzbedarf der Rentenversicherung

Nachdem noch im Herbst 1984 die Rentenversicherungsträger zur Kreditaufnahme gezwungen waren, um die laufenden Rentenausgaben finanzieren zu können, hat sich schon zwei Jahre später das Bild geändert. Die Einnahmen übersteigen die Ausgaben, die Rücklagen (Schwankungsreserve) nehmen zu und liegen über der kritischen Grenze einer Monatsausgabe. Die mehrfachen Leistungseinschränkungen auf der einen Seite, Beitragssatzerhöhungen und Beschäftigungsanstieg auf der anderen Seite zeigen ihre Wirkungen.

Dennoch kann keine Rede davon sein, daß die Finanzierungsprobleme der Sozialpolitik allgemein und der Rentenversicherung im besonderen gelöst seien. Das zuversichtlich stimmende Bild trügt, denn die aktuelle Entwicklung vollzieht sich vor dem Hintergrund eines leichten, wenn auch zunehmend labilen konjunkturellen Aufschwungs, der die strukturellen Gefährdungen lediglich überdeckt: Übereinstimmend weisen alle mittel-und längerfristigen Modellrechnungen darauf hin, daß die Rentenversicherung spätestens gegen Mitte der neunziger Jahre in schwerwiegende und sich bis zum Jahr 2030 noch verschärfende Finanzierungsschwierigkeiten gerät.

Während die demographische Entwicklung die Finanzierung der Alterssicherung derzeit entlastet, wird sich in wenigen Jahren das Verhältnis verkehren. Die durch den Geburtenrückgang einerseits und die Verlängerung der Lebenserwartung ande-rerseits ausgelöste Verschiebung im Altersaufbau der Bevölkerung wird die Rentenversicherung vor gravierende Probleme stellen. Wenn immer mehr Rentner immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter gegenüberstehen, kann der Zeitpunkt berechnet werden, an dem entweder — bei Konstanz des heutigen Systems — der Beitragssatz auf rd. 36 vH (!) verdoppelt oder — bei Konstanz der Beitragssätze — das Rentenniveau halbiert werden müßte.

Nun läßt sich zeigen, daß diese Berechnungen, die eine Ausweglosigkeit der Situation suggerieren, statischer Natur sind und unzulässigerweise von einem unveränderten Erwerbsverhalten ausgehen. Bei einem Bevölkerungsrückgang muß aber damit gerechnet werden, daß die Frauenerwerbsquote steigt, sich das Rentenzugangsalter wieder nach oben verschiebt, die Ausländerbeschäftigung zunimmt und infolgedessen die Zahl der (beitragspflichtigen) Erwerbstätigen weniger stark abfällt als die Zahl der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter Berücksichtigt man diese gegenläufigen Faktoren, verliert die Bevölkerungsentwicklung zwar viel von ihrer Dramatik; aber die demographisch bedingten Finanzierungsprobleme lösen sich nicht auf, sie vermindern sich nur.

Erhöhter Finanzierungsbedarf entsteht aber auch dann, wenn die gegenwärtige, äquivalenzdominierte Leistungsstruktur der Gesetzlichen Rentenversicherung modifiziert und durch Prinzipien des Bedarfs und des sozialen Ausgleichs ergänzt werden soll. Die Diskussion über die demographischen Risiken hat die sozialen Defizite des Versicherungssystems aus dem Blickfeld geraten lassen, obgleich finanzielle Unterversorgung bis hin zur Armut zur Lebenswirklichkeit vieler älterer Menschen, insbesondere älterer Frauen zählt und eine Abhilfe dringend geboten ist. Solche Maßnahmen der Armutsbekämpfung im Alter, die den Solidarcharakter der Rentenversicherung stärken — z. B. Anerkennung beitragsloser (Kindererziehungs/Pflege-) Zeiten, Ausbau der Rente nach Mindesteinkommen — und neue bedarfsbezogene Elemente (bedarfsorien-tierte Grundsicherung) etablieren müßten sind jedoch nicht kostenlos zu haben, sondern erfordern vermehrten finanziellen Aufwand.

Die Sozialpolitik steht also in den nächsten Jahren vor der sowohl dringenden wie schwierigen Aufgabe, zusätzliche Finanzmittel für die Rentenversicherung zu mobilisieren. Gelingt dies nicht, läßt sich die Alterssicherung unter den absehbar schwierigen ökonomischen und demographischen Bedingungen kaum erhalten, geschweige denn ausbauen. Dann müßte alles auf die „konservative“ Problemlösungsvariante zulaufen, deren Maxime die Ausgabenverminderung via Absenkung des Rentenniveaus, Begrenzung des Versichertenkreises, Aushöhlung des Solidarausgleichs („versicherungsfremde Leistungen“) ist. Auch das Konzept der Grundrente, so wie es von konservativer und liberaler Seite vertreten wird zielt auf die Verringerung des Finanzierungsbedarfes und delegiert alle Elemente der Alterssicherung, die über das Existenzminimum hinausgehen, auf private Vorsorge-formen, d. h. im wesentlichen auf die Lebensversicherungen und die Vermögensbildung.

II. Zauberformel „Maschinenbeitrag“

Bei der Aufgabe, Finanzmittel für die Rentenversicherung zu mobilisieren, scheint für die „Linke“ in der Bundesrepublik die Lösung bereits gefunden zu sein: Einführung eines „Maschinenbeitrages“ oder exakter eines „Wertschöpfungsbeitrages“ der Arbeitgeber zur Rentenversicherung, so lautet seit schon vielen Jahren das Stichwort. „Die Roboter und Computer sollen Beiträge an die Rentenversicherung zahlen, wenn sie schon Arbeitsplätze und beitragzahlende Arbeitnehmer wegrationalisieren“ — mit dieser Formel läßt sich Zustimmung mobilisieren. Aber auch die schon differenzierteren Thesen wie „Mit zunehmender Kapitalintensität der Produktion infolge der neuen Technologien einerseits und wachsender Arbeitslosigkeit andererseits verliert die Lohnsumme als Bemessungsgrundlage der Finanzierung ihre Bedeutung“ oder „Arbeitsintensiv produzierende Unternehmen werden durch lohnbezogene Arbeitgeberbeiträge benachteiligt, kapitalintensiv produzierende bevorteilt“ wirken eingängig und folgerichtig.

Vertreten wird das Konzept einer Bemessung der Arbeitgeberbeiträge an der Wertschöpfung vor allem von der SPD aber auch in den Zukunftsentwürfen grün-alternativer Provinienz fehlt das Stichwort nicht. Während allerdings aus sozialdemokratisch-gewerkschaftlicher Sicht die neue Finanzierungsquelle für das bestehende Rentenversicherungssystem mit seiner lohn-und beitragsbezogenen Rentenberechnung nutzbar gemacht werden soll, dient der Wertschöpfungsbeitrag bzw. die Wertschöpfungssteuer aus „alternativer“ Perspektive zur Finanzierung eines von der Lohnarbeit entkoppelten Mindesteinkommens. Auch im Renten-modell der Grünen soll die Grundrente über eine Wertschöpfungssteuer finanziert werden.

Den Befürwortern stehen die Gegner gegenüber. Arbeitgeber und Bundesregierung lehnen die Forderung gänzlich ab, machen rechtliche Bedenken bis hin zur Verfassungswidrigkeit geltend, warnen vor schwerwiegenden ökonomischen Folgeschäden (Wachstumsabschwächung, Inflationsschub, Exportbehinderung usw.) und sehen das Versicherungsprinzip mit seinem Grundsatz von Leistung (Rente) und zurechenbarer Gegenleistung (lohnbezogener Beitrag) gefährdet. Von beiden Seiten werden (wirtschafts) wissenschaftliche Gutachten zur Fundierung der eigenen Position in Auftrag gegeben

Einmal mehr scheint die politische Frontlinie, wie. sie aus den Auseinandersetzungen um soziale Reformprojekte wohlvertraut ist, exakt abgesteckt zu sein. Wer den Maschinenbeitrag vertritt, steht auf der Seite einer „fortschrittlichen“ Sozialpolitik und will an eine Finanzquelle heran, die die Arbeitgeber gemäß ihrer ökonomischen Interessenposition vehement verteidigen. Eingängigkeit und Popularität einer Forderung sind indes noch kein Beweis für ihre Problemlösungsfähigkeit. Ebenso-wenig läßt sich aus dem Verlauf der politischen Frontlinien ablesen, was der eigentliche Gegenstand der Forderung ist, welche Ziele, Begründungen, Voraussetzungen und Konsequenzen mit dem Wertschöpfungsbeitrag verknüpft sind.

Statt unreflektiert in den Chor der Zustimmung einzufallen, sollen deshalb Fragen gestellt, Probleme aufgezeigt und Bedenken formuliert werden, die jenseils der Zerrbilder von der Verfassungswidrigkeit und vom drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch liegen. Dabei wird deutlich, daß der Wertschöpfungsbeitrag keine Zauberformel zur Lösung der anstehenden Probleme ist. Die Popularität des Vorschlags beruht im weiten Maße auf Illusionen über die ökonomischen Voraussetzungen und verteilungspolitischen Auswirkungen von Finanzierungsformen und -mechanismen. Solange sich die Finanzierungsdebatte allein auf den Wertschöpfungsbeitrag konzentriert, bleiben die zentralen wirtschafts-und verteilungspolitischen Konflikte unverstanden, werden andere Finanzierungsalternativen übersehen.

Die Einführung eines Wertschöpfungsbeitrages bedeutet in ökonomischen Kategorien zunächst einmal nur, daß die Bemessungsgrundlage der Beitragserhebung erweitert wird. Nicht mehr nur die (versicherungspflichtigen) Löhne und Gehälter, sondern die gesamte Wertschöpfung eines Betriebes unterliegen der Beitkagspflicht. Neben den Löhnen und Gehältern werden, wenn man die Bruttowertschöpfung als Maßgröße wählt, auch die Gewinne, Zinsen und Abschreibungen erfaßt. Gesamtwirtschaftlich würde dadurch das Bruttosozialprodukt zur Bemessungsgrundlage.

Eine solche Erweiterung vergrößert das Sozialprodukt aber nicht. An der Mackenroth-These, daß die Finanzierung der Sozialleistungen stets über ein Umlageverfahren aus dem laufenden Sozialprodukt oder — von der Einkommensseite her betrachtet — aus dem laufenden Volkseinkommen erfolgen muß, führen auch alternative Finanzierungsformen und Bemessungsgrundlagen nicht vorbei. Der Wertschöpfungsbeitrag ist keine Entdeckung, mit der bislang unerkannte Ressourcen angezapft werden könnten. Sollen zusätzliche Finanzmittel für die Alterssicherung mobilisiert werden und sucht man den Ausgleich nicht durch Einsparungen in anderen Bereichen, so läßt sich dies nur durch eine höhere gesamtwirtschaftliche Abzugsquote erreichen. Wer aber die Erhöhung von Abzugsquoten tabuisiert, sollte nicht so tun, als könne ein Wertschöpfungsbeitrag dieses Problem umgehen.

Welche Abgabenform auch immer gewählt wird, die Frage nach der Finanzierung von Sozialleistungen reduziert sich letztlich auf zwei Fragen

— Welchen Anteil der gegebenen Wertschöpfung erhalten Kapitalbesitzer („Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen“) und Lohnabhängige („Einkommen aus unselbständiger Arbeit“)? — Welcher Anteil von diesen Einkommen wird durch Beiträge und Steuern abgeschöpft?

Auch durch indirekte Steuern (Mehrwertsteuer, spezielle Verbrauchsteuern) werden aus der privaten Wertschöpfung Ressourcen an den Staat abgezweigt. Der Ansatzpunkt liegt bei der Einkommensverwendung: Arbeits-und Sozialeinkommen werden durch indirekte Steuern, die ja in die Preise eingehen, in ihrer realen Kaufkraft vermindert. Dadurch bleibt der Steuerstaat in jedem Fall abhängig von der Entwicklung der privaten Wert-schöpfung, d. h. von der Akkumulations-und Krisendynamik des Kapitals. Diese Abhängigkeit läßt sich zwar durch bestimmte Finanzierungsformen lockern, nicht aber aufheben. Die Suche nach einem Finanzierungsmechanismus, der außerhalb des ökonomischen Krisenprozesses und außerhalb des Verteilungskonfliktes um die Primär-und Sekundäreinkommen steht und den Sozialstaat zu einem autonomen System formt, wird vergeblich bleiben.

III. Be-und Entlastungen durch eine Umbasierung der Arbeitgeberbeiträge

Der Wertschöpfungsbeitrag, wie er von der SPD verstanden wird soll den bisherigen lohnbezogenen Arbeitgeberbeitrag ersetzen und sich nur auf die Rentenversicherung, nicht aber auf die Kranken-und Arbeitslosenversicherung beziehen. Der lohnbezogene Arbeitnehmerbeitrag bleibt unverändert. Nun ist die Annahme zentral, daß die Umstellung auf den neuen Wertschöpfungsbeitrag aufkommensneutral erfolgen soll, um die Kostenbelastung der Wirtschaft nicht zu erhöhen. Zwischen den einzelnen Unternehmen und Branchen ergeben sich durch die Umstellung je nach Kapital-und Lohnintensität Unterschiede zum bisherigen Beitragsaufkommen, indem die kapitalintensiv produzierenden Unternehmen mehr, die lohnintensiv produzierenden Unternehmen weniger zahlen, insgesamt aber die Arbeitgeber nicht stärker als bislang belastet werden. Den Belastungen stehen pro-B portionale Entlastungen gegenüber. Das heißt aber auch, daß bei diesem Nullsummenspiel die Rentenversicherung keine zusätzlichen Finanzmittel erhält!

Da die neue Bemessungsgrundlage (Bruttowertschöpfung) mehr als doppelt so groß ist wie die alte (Bruttoarbeitsentgelt aller versicherungspflichtigen Arbeiter und Angestellten), fällt der Beitragssatz bei Aufkommensneutralität deutlich niedriger aus. So hätte der wertschöpfungsbezogene Arbeitgeber-beitrag 1978 bei 3, 68 vH statt bei 9 vH (lohnbezogen) gelegen Welche Branchen und Sektoren können nun durch diese Veränderung mit Kostenvorteilen, welche mit Kostennachteilen rechnen?

— Beitragsentlastungen ergeben u. a. sich für den Bergbau, das Baugewerbe, das verarbeitende Gewerbe und den Staat.

— Beitragsbelastungen betreffen u. a. die Landwirtschaft, die Energieversorgung, den Handel, die Deutsche Bundespost, die Kreditinstitute, die Wohnungsvermietung.

Die vorliegenden Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen, und auch in einer Studie über die Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft bestätigt sich das Bild.

Die scheinbare Paradoxie, daß vor allem der Dienstleistungsbereich zu den Verlierern und der industrielle Bereich zu den Gewinnern zählt, läßt sich im einzelnen wie folgt erklären. Trotz Rationalisierung und Automation ist die Arbeitsintensität im verarbeitenden Gewerbe unverändert hoch; lediglich die Mineralölverarbeitung macht eine Ausnahme und wird durch den Wertschöpfungsbeitrag belastet, entlastet werden aber vor allem der Maschinenbau, der Straßenfahrzeugbau, die Elektrotechnik.

Die Entlastung für den Staat (Gebietskörperschaften und Sozialversicherung) ergibt sich durch die Berechnung der staatlichen Wertschöpfung lediglich nach Maßgabe der Löhne und Gehälter. Daß Landwirtschaft und Handel zu den Verlierern gehören, resultiert aus dem hohen Anteil von „wertschöpfenden“ Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen in diesen Bereichen, die vom „alten“ Arbeitgeberbeitrag nicht betroffen werden, da hier keine abhängige und versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Die Belastungen in den Bereichen Energieversorgung, Nachrichtenübermittlung (Post), Wohnungsvermietung begründen sich durch die hohe Kapitalintensität (= hohe Abschreibungen).

Will man die intersektoralen Be-und Entlastungen ökonomisch bewerten, dann genügt es nicht, nur die prozentuale Veränderung der Beitragsbelastung zu beziffern. Die Berechnungen etwa, daß die „neuen“ Beiträge in der Mineralölverarbeitung um 7 vH und in der Energie-und Wasserversorgung um 45, 6 vH über den „alten“ liegen, sind wenig aussagefähig, da sie die Kostenzuwächse nicht in den Rahmen der Gesamtkosten stellen. Tut man genau dies, dann erweisen sich die durch Beitrags-umstellung bewirkten Belastungsverschiebungen als eher marginal. Bezogen auf den Bruttoproduktionswert (Umsatz) bzw. Nettoproduktionswert (Wertschöpfung) der Unternehmen liegen die Beund Entlastungen im Schnitt deutlich unter ± 1 vH bzw. ± 2 vH 15). Selbst die besonders „hart“ betroffenen Branchen Mineralölverarbeitung und Energie-und Wasserversorgung weisen mit 1, 08 vH und 0, 04 vH (des Bruttoproduktionswertes) eine Gesamtkostenerhöhung auf, die nur als äußerst gering bezeichnet werden kann und sich im Rahmen einer normalen Tariflohnerhöhung halten dürfte.

Bei näherem Hinsehen wird die Geringfügigkeit einsichtig: Kostenverschiebungen ergeben sich allein durch die Veränderung der Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung. Diese Arbeitgeber-beiträge machen jedoch nur einen Teil der Personalnebenkosten, einen noch geringeren Teil der Personalkosten und schließlich nur noch ein Minimum der betrieblichen Gesamtkosten aus. Auf der Makro-Ebene lassen sich die Relationen beziffern: Das gesamte Umverteilungsvolumen durch den geänderten Arbeitgeberbeitrag umfaßt (1978) 9, 9 Mrd. DM das entspricht 1, 7 vH der volkswirtschaftlichen Bruttolohn-und Gehaltssumme und 0, 8 vH des Bruttosozialproduktes.

IV. Die Ergiebigkeit lohn-und wertschöpfungsbezogener Bemessungsgrundlagen

Viel Lärm um wenig? Was soll eine aufkommensneutrale Umstellung bewirken? Die Forderung nach einem Wertschöpfungsbeitrag lebt von der Annahme, daß auf längere Sicht, also in den Jahren nach der Umstellung, positive Einnahmeeffekte für die Rentenversicherung auftreten, und zwar auch dann, wenn der neue Beitragssatz unverändert bleibt. Denn die Bemessungsgrundlage Wertschöpfung sei weniger konjunkturabhängig und vor allem ergiebiger als die Lohnsumme. Ihre Aufkommenselastizität sei höher. Hinter dieser Annahme steht das Theorem von der Erosion der Lohnarbeit: Die Substitution menschlicher Arbeit durch Kapital infolge des forcierten Einsatzes neuer Technologien lasse die Löhne als Finanzierungsquelle für Sozialleistungen obsolet werden, da eine immer höhere Produktion mit immer weniger Beschäftigten erzielt werde (jobless growth), immer weniger Beschäftigte aber immer mehr Rentner und Arbeitslose finanzieren müssen. In einer „Gesellschaft, der die Arbeit ausgeht“, werde die alte „lohnarbeitszentrierte“ Form der Abschöpfung ausgehöhlt, könne die Sozialpolitik (das Sozialverhältnis) nicht länger an Arbeitsplätze und -einkommen (das Arbeitsverhältnis) gekoppelt werden, sondern müsse sich auf die gesamte volkswirtschaftliche Leistungskraft beziehen.

Dieses gängige Theorem läßt die ihm zugrunde liegenden ökonomischen und verteilungspolitischen Prämissen nicht sofort erkennen. Vorausgesetzt wird, daß mit dem Prozeß der Kapitalintensivierung eine dauerhafte negative verteilungs-und arbeitszeitpolitische Entwicklung einhergeht, in der die Zunahme der Kapitalintensität nicht durch eine produktivitätsorientierte Verteilungspolitik ausgeglichen wird. Denn das wertschöpfungsbezogene Beitragsvolumen kann nur dann schneller wachsen als das lohnbezogene Beitragsvolumen, wenn der Anstieg der Einkommen aus unselbständiger Arbeit unter dem Anstieg der Wertschöpfung, d. h. unter dem Anstieg des Sozialproduktes liegt. Mit anderen Worten: Nur wenn der Anteil der Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen, die Lohnquote also, dauerhaft sinkt und als Korrelat dazu die Gewinnquote steigt, ist ein wertschöpfungsbezogener Beitrag ergiebiger als ein lohnbezogener Beitrag. Genaugenommen geht es um die beitragspflichtigen Bruttoeinkommen der versicherungspflichtigen Arbeiter und Angestellten; die Entwicklung dieser Einkommenskategorie weicht aber wegen der dynamisierten Beitragsbemessungs-und Versicherungspflichtgrenze nicht grundsätzlich von der Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter ab

Mit der Annahme einer dauerhaft sinkenden (unbereinigten) Lohnquote wird unterstellt, daß sich der Zuwachs der Arbeitsproduktivität allein zugunsten der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen auswirkt. Nur dann stimmt die Aussage, daß die Lohnsumme im Zuge des Einsatzes neuer Technologien in immer geringerem Maße einen Indikator für die (finanzielle) Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft darstellt. Alle vorliegenden Ex-Post-Analysen widersprechen einer solchen Annahme: In der Vergangenheit hat sich das versicherungspflichtige Bruttoeinkommen der Arbeiter und Angestellten weder langsamer noch konjunkturreagibler als die Wertschöpfung entwickelt. Für die sechziger und siebziger Jahre läßt sich eher eine gegenteilige Tendenz feststellen.

Nun ist offensichtlich, daß seit Beginn der achtziger Jahre die Lohnquote gesunken ist, und zwar von 73, 5 v. H. (1980) auf 68, 6 v. H. (1986) Daraus eine andauernde und unabwendbare Entwicklung abzuleiten, hieße aber, eine defensive Position im Verteilungskonflikt einzunehmen. Ein solcher Attentismus nützt weder der konjunkturell gebotenen Stärkung der privaten Nachfrage, noch der Beschäftigungslage, noch den Einkommenserwartungen der Arbeitnehmer, sondern allein den Einkommen der Unternehmer.

Ganz abgesehen von den negativen gesamtwirtschaftlichen Folgen einer solchen Umverteilung ist nach der politischen Logik des Vorschlags zu fragen, wie eine raffinierte Erhebungstechnik politisch durchgesetzt werden soll, die das auf der Ebene der Sekundärverteilung erreicht, wozu die Gewerkschaften bei der Primärverteilung, nämlich zur Ausschöpfung des Produktivitätsanstiegs, kräftepolitisch nicht in der Lage sind. Durch eine andere Bemessungsgrundlage gibt es keinen bequemen Ausweg aus dem traditionellen Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit

Die Rede vom Roboter oder Computer, die den Menschen verdrängen und arbeitslos machen und deshalb Beiträge zur Sozialversicherung zahlen müssen, verengt das Blickfeld auf eine technisch-oberflächliche Erscheinungsebene, die mit Maschinenzahlen und Arbeitsstunden argumentiert, aber ökonomische (Wert-) Größen und politische Macht-fragen ausklammert. Ökonomisch kommt es nicht auf die Menge an, sondern immer auf das Produkt von Menge und Preis, d. h., entscheidend für die Finanzierung ist nicht die Zahl der Menschen oder der Arbeitsstunden, sondern das Produkt von Arbeitsstunden und Arbeitsentgelt (je Stunde).

Diese sicherlich nicht sonderlich „originellen“ politisch-ökonomischen Zusammenhänge zu betonen, scheint „unmodern“ geworden zu sein, da die SPD in ihrem Wirtschaftskonzept sichtlich darauf bedacht ist, die Kostenbelastungen und Rentabilitätsbedingungen der Unternehmen nicht zu verschlechtern. Aber auch im „alternativen“ Theorie-design vom „Ende der Arbeitsgesellschaft“ zählt der Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit zu einem Relikt einer vergangenen Epoche.

Der Rationalisierungsprozeß infolge der neuen Technologien läßt sich verteilungspolitisch nutzen. Eine den Produktivitätszuwachs zumindest aus-schöpfende Verteilungspolitik zielt dabei nicht allein auf die Erhöhung der Lohnsätze, sondern auch auf die Arbeitszeitverkürzung. Die Forderung nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist ein zentraler Bestandteil einer offensiven Tarifpolitik unter den Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit. Wenn dem gegengehalten wird, die Weitergabe des Produktivitätsfortschritts in Arbeitszeitverkürzung statt Lohnerhöhung begrenze den Einnahmenzuwachs der Rentenversicherung, da die Option „Freizeit“ gewählt werde, gilt dies nur unter der Prämisse einer Vollauslastung der sachlichen und personellen Kapazitäten

Da bei Massenarbeitslosigkeit die genau gegenteilige Situation vorliegt, begrenzt Arbeitszeitverkürzung nicht das Beschäftigungsvolumen, sondern verteilt das Beschäftigungsvolumen auf mehr Köpfe. Maßgeblich für die Einnahmeergiebigkeit lohnbezogener Beiträge ist der Zuwachs der gesamten Lohnsumme, die sich als Produkt von Lohnsatz und Arbeitszeit und Zahl der Beschäftigten errechnet. Wenn aber über eine Verkürzung der Arbeitszeit Beschäftigungsmöglichkeiten erhalten oder sogar erweitert werden, steigen über die wachsende Zahl der Beschäftigten die Lohnsumme und damit das Beitragsaufkommen für die Sozialversicherung. Arbeitszeitverkürzung stabilisiert die Lohnsumme als Bemessungsgrundlage. Sie ist ein unverzichtbares Mittel zur Finanzierung der Sozialpolitik und verringert durch den Abbau der Arbeitslosigkeit zugleich die Ausgaben.

V. Abbau der Arbeitslosigkeit durch eine andere Bemessungsgrundlage?

Was die Forderung nach einem Wertschöpfungsbeitrag so faszinierend macht, ist die Erwartung, daß er nicht nur hohe finanzielle Ergiebigkeit sichert, ohne Verteilungskonflikte auszulösen, sondern zugleich auch die Arbeitslosigkeit verringert. Der Wertschöpfungsbeitrag präsentiert sich als eines jener seltenen Instrumente, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können (und sogar „drei Fliegen“, wenn man noch die vornehmlich in den fünfziger und sechziger Jahren ins Feld geführten Wettbewerbs-und mittelstandspolitischen Begründungen berücksichtigen würde).

Die Umstellung des Arbeitgeberbeitrages, so wird argumentiert, sei geboten, weil durch die lohnbezogene Bemessungsgrundlage die Lohnnebenkosten erhöht und der Arbeitseinsatz verteuert würden. Der Einsatz arbeitssparender Technologien werde forciert, (technologische) Arbeitslosigkeit induziert. Gerade die Betriebe — so heißt es —, die am stärksten rationalisieren, Arbeitsplätze abbauen und kapitalintensiv produzieren, könnten mit einer Entlastung von Sozialabgaben rechnen, während lohnintensive Betriebe und Branchen stärker belastet und damit benachteiligt würden: Der arbeitsplatzmindemde Rationalisierungsdruck werde durch die Bemessung des Arbeitgeberbeitrages am Lohn direkt prämiiert; lohnintensive Dienstleistungen, deren Ausbau versorgungspolitisch erforderlich und arbeitsmarktpolitisch wünschbar ist, würden verteuert, in ihrem Absatz erschwert und durch billige Schwarz-und Eigenarbeit in der (beitragsfreien) Schattenwirtschaft verdrängt.

Bei einer Bemessung der Arbeitgeberbeiträge an der gesamten betrieblichen Leistungserstellung verteile sich hingegen die Belastung unabhängig von der Faktorintensität des Produktionsverfahrens und damit allokations-und beschäftigungsneutral. Die Umstellung führe zu einer Faktorpreisverschiebung zugunsten der Arbeit, verbillige die Arbeitskosten relativ wie absolut. Der arbeitssparenden Rationalisierung, der Substitution von Arbeit durch Kapital, werde die Spitze genommen. Arbeitsintensiv hergestellte Produkte und Dienstleistungen könnten kostengünstiger angeboten werden, vor allem Dienstleistungen würden stärker nachgefragt.

Auch diese Argumentationsfolge wirkt eingängig und überzeugend. Sie fußt, ohne daß sich die Protagonisten des Wertschöpfungsbeitrages dessen immer bewußt sein mögen, auf dem theoretischen Konzept der reinen Neoklassik: Die relativen Faktorpreise determinieren durch die Ausrichtung des Betriebes an der Minimalkostenkombination das Faktoreinsatzverhältnis und damit das Beschäftigungsniveau. Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt lassen sich auf überhöhte Löhne und Lohnnebenkosten zurückführen. Ändert sich das Faktorpreisverhältnis, so sinkt die Arbeitslosigkeit.

Bei einer Gegenüberstellung mit der ungleich komplizierteren Realität zeigt sich indes, daß die neoklassische Modellogik zwar durch formale Eleganz besticht, daß ihr aber kein Aussagewert zukommt. Die arbeitsmarktpolitische Erwartung, die an eine Umbasierung geknüpft wird, läßt sich weder theoretisch noch empirisch halten. In der betrieblichen Wirklichkeit wird nämlich die Wahl des Produktionsverfahrens nicht primär durch das Faktorpreisverhältnis bestimmt, sondern die Einsatzrelationen von Kapital und Arbeit sind — zumindest auf mittlere Sicht — weitgehend (technisch) vorgegeben (Limitationalität des Produktionsverfahrens) und nicht beliebig substituierbar

Und auch der langfristige Trend der Umsetzung des technischen Fortschritts und der Kapitalintensivierung der Produktion hängt von anderen Daten ab als von den relativen Lohn-und Kapitalkosten. Unter den Bedingungen internationaler Konkurrenz ist die Anwendung der technologischen Neuentwicklung eine Wettbewerbsgröße, die sich vergleichsweise unabhängig von Verschiebungen des Lohnniveaus ergibt. Dies um so mehr, wenn hoch entwickelte, kapitalsparende Technologien zum Einsatz kommen. Völlig überzogen ist deshalb nicht nur die Hoffnung, durch den Wertschöpfungsbeitrag den Technologieeinsatz zu bremsen und die Arbeitslosigkeit abzubauen, sondern auch die von Gegnern des Konzeptes geäußerte Befürchtung, die neue Bemessungsgrundlage erweise sich als „Technologiestrafsteuer“ und Wachstumshemmnis. Angesichts der bereits oben skizzierten Geringfügigkeit der Kostenverschiebungen bestätigen auch Simulationen auf der Basis ökonometrischer Modelle die makroökonomische Irrelevanz einer Umbasierung. Eine Umstellung auf einen Wertschöpfungsbeitrag hätte im Zeitraum von 1972 bis 1982 einen positiven Beschäftigungseffekt von 000 Personen und eine Veränderung der privaten Investitionen um -10, 7 Mrd. DM zur Folge gehabt. Bezieht man diesen Investitionsrückgang auf die Absolutzahlen in dem untersuchten Zeitraum von elf Jahren, kommt man auf eine Größenordnung von 0, 1 v. H. und liegt damit innerhalb der Fehlerspanne solcher Modelle.

Zum Aspekt der Kostenentlastung arbeitsintensiver Dienstleistungen durch die Umbasierung ist schließlich noch anzumerken, daß sich dieser Vorteil einer kostengünstigeren Erstellung nur für private, aber nicht für öffentliche Leistungsanbieter zeigt. Denn in gesamtfiskalischer Sicht, in der die Parafisci miteinzubeziehen sind, stellen lohnbezogene Beiträge, mit denen öffentliche Dienstleistungen belastet werden, zugleich auch öffentliche Einnahmen dar.

Unsere Schlußfolgerung läßt sich pointieren: Wer dem Abbau der Arbeitslosigkeit politische Priorität einräumt, muß endlich arbeitszeit-und beschäftigungspolitische Initiativen eingreifen, statt auf dem Abstellgleis neoklassischer Modelltheorie zu verharren und Illusionen über die segensreichen Wirkungen des Markt-Preis-Mechanismus neu aufzuwärmen.

VI. Finanzierungs-und verteilungspolitische Auswirkungen

Wie bereits eingangs formuliert, ist der Wertschöpfungsbeitrag alles andere als eine Zauberformel zur konfliktlosen Beschaffung neuer Finanzmittel und zur gleichzeitigen Minderung der Arbeitslosigkeit. Solche Erwartungen führen ins Leere. Übrig bleibt lediglich noch die Frage, welche finanzierungspolitischen Wirkungen ein Wertschöpfungsbeitrag hat, der die Prämisse der Aufkommensneutralität verläßt und die Arbeitgeber insgesamt stärker zur Finanzierung der Rentenversicherung heranzieht. Das so modifizierte Konzept konzentriert sich damit auf das Problem, ob durch die stärkere Belastung der Arbeitgeber ein sozial-und verteilungspolitisch sinnvoller Weg beschritten wird, um den Anstieg der Arbeitnehmerbeitragssätze, der angesichts der demographischen Umschichtungen droht, zu verhindern oder zumindest abzubremsen. Folgende Varianten bieten sich an:

— Die gegenwärtige Bemessungsgrundlage von Arbeitnehmer-und Arbeitgeberbeiträgen wird entkoppelt. Der Satz für den wertschöpfungsbezogenen Arbeitgeberbeitrag wird so festgelegt, daß das Aufkommensvolumen steigt und Mehrausgaben über diesen Anstieg gedeckt sind. Zukünftige Finanzbedarfe werden ebenfalls über Erhöhungen des Arbeitgeberbeitragssatzes gedeckt; Erhöhungen der lohnbezogenen Arbeitnehmerbeitragssätze sind zwar nicht auszuschließen, doch das Aufteilungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer-und Arbeitgeberbeiträgen bleibt disproportional. — Die gegenwärtige Bemessungsgrundlage von Arbeitnehmer-und Arbeitgeberbeiträgen bleibt bestehen. Es wird aber ein zusätzlicher wertschöpfungsbezogener Arbeitgeberbeitrag („Ergänzungsbeitrag“) eingeführt, so daß insgesamt das Aufkommehsvolumen der Arbeitgeberbeiträge steigt und zur Finanzierung von Mehrausgaben dient. (Dieses Modell wird von der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD favorisiert, wobei als Besonderheit hinzukommt, daß in die neue Bemessungsgrundlage Wertschöpfung diejenigen Lohnbestandteile nicht eingehen, die bereits vom lohnbezogenen Arbeitgeberbeitrag belastet worden sind 25).) Bei zukünftigen Finanzbedarfen könnte der zusätzliche Arbeitgeberbeitragssatz erhöht werden. Ein Anstieg der Arbeitnehmerbeitragssätze kann auch hier solange nicht ausgeschlossen werden, wie das Aufkommensverhältnis disproportional bleibt.

— Schließlich ist es möglich, es bei der bisherigen lohnbezogenen Bemessungsgrundlage auch bei den Arbeitgeberbeiträgen zu belassen, den Beitragssatz der Arbeitgeber aber nicht mehr hälftig festzulegen, sondern einseitig zu erhöhen. Diese Variante weicht zwar vom Wertschöpfungskonzept völlig ab, hat dafür aber den Vorteil, schon jetzt praktiziert zu werden, nämlich in der knappschaftlichen Rentenversicherung (mit einem Aufkommensverhältnis von einem Drittel zu zwei Dritteln).

Alle drei Varianten differieren in der Ausgestaltung, führen jedoch finanzpolitisch letztlich in die selbe Richtung. Neben der fiskalischen ist hier aber auch die verteilungspolitische Wirkung zu beachten. Im Ergebnis zählt nicht die Absicht, die Unternehmen insgesamt stärker zu belasten, sondern die tatsächliche Belastungswirkung (Inzidenz). Es stellt sich die (alte) Frage nach der Überwälzung der Arbeitgeberbeiträge. Zwar hängt die Möglichkeit der Überwälzung von der jeweiligen Konjunktur-und Marktlage ab, doch spricht bei Arbeitgeberbeiträgen — seien sie nun lohnbezogen oder wertschöpfungsbezogen — alles für eine (zumindest mittelfristige) volle Vorwälzung der Belastungen auf die Preise von Waren und Dienstleistungen. Auch die Art der Beitragsberechnung und -erhebung (Additions-oder Substraktionsverfahren) dürfte daran wenig ändern.

Der Wertschöpfungsbeitrag ähnelt insofern sehr stark der Mehrwertsteuer, wie sie ja bereits in einzelnen konservativen Konzepten als Einnahme-basis für die soziale Sicherung gefordert wird. Nach wie vor kann es wenig Zweifel daran geben, daß die Belastungswirkung indirekter Abgaben einen regressiven Verlauf hat: Je niedriger das Einkommen, um so stärker die relative Belastung, weil der Anteil der Konsumausgaben am gesamten Einkommen (Konsumquote) sehr hoch ist Betroffen sind alle Einkommensbezieher, also auch und gerade Sozialeinkommensbezieher und Rentner. Erschwerend kommt noch hinzu, daß der überwälzte Wertschöpfungsbeitrag alle Güter und Dienstleistungen gleichermaßen betrifft, während die Dreiteilung beim Mehrwertsteuersatz für einen gewissen sozialen Ausgleich sorgt.

Der verteilungspolitische Preis eines finanzwirksamen Arbeitgeberbeitrages auf Wertschöpfungsbasis ist also sehr hoch. Zwar wird die Belastung der Einkommen von Arbeitern und Angestellten durch steigende Beitragssätze vermieden bzw. gemindert, aber dafür steht die Regressivwirkung vorgewälzter Arbeitgeberbeiträge. Sicherlich sind die im Kaufpreis der Güter und Dienstleistungen enthaltenen Belastungen weniger spürbar als direkte Einkommensbelastungen. Aber eine Finanzierungsaltemative, die sich nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip richtet, wäre schlecht beraten, sich auf die Ebene des Belastungsgefühls zu begeben.

Wenn eingefahrene Gleise verlassen werden, stellen sich naturgemäß eine Fülle von administrativen und rechtlichen Problemen. Diese Probleme zu benennen, soll nun nicht dazu dienen, Alternativen zum Status quo bereits im Vorfeld abzublocken, Diskussionen zu unterbinden, so wie es bei der Auseinandersetzung um Reformprojekte häufig üblich ist. Aber diese Gefahr vermeiden zu wollen, kann nicht heißen, die Probleme zu übersehen. Hier ist nicht der Platz, um alle Punkte aufzulisten, einige Anmerkungen sollen genügen: — Es bedarf einer Reihe von Sonder-und Ausnahmeregelungen, um offensichtlich widersinnige Belastungen einzelner Branchen und Sektoren zu vermeiden. Daß Landwirtschaft und Handel zu den Verlierern einer Umbasierung gehören, liegt u. a. an dem hohen Anteil von Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen in diesen Bereichen. Da diese Gruppen aber nicht rentenversicherungspflichtig sind, müssen Wertschöpfungsfreibeträge eingeführt werden. Nicht versicherungspflichtig sind ebenfalls die Beamten im öffentlichen Dienst; bei der Ermittlung der Wertschöpfung des Staates müßten demnach die Beamtengehälter eliminiert werden. Ausnahmeregelungen wären schließlich bei der Wohnungsvermietung unvermeidlich, um die extrem hohe Kapitalintensität in dieser Branche auszugleichen. Allein die angeführten Beispiele lassen erkennen, daß in der Praxis ein intensiver Kampf um Sonderregelungen für bestimmte Tätigkeiten und Wirtschaftsbereiche entbrennen wird. Ob die Ergebnisse dieses Kampfes sachgerecht sein werden, darf bezweifelt werden. Die Ausgestaltung des Steuersystems kann als warnendes Beispiel dienen. '— Für die Erfassung und Entrichtung eines Wertschöpfungsbeitrages bedarf es einer neuen betrieblichen Rechnungslegung, da die Bruttowertschöpfung bislang nicht ausgewiesen wird. Zu entscheiden ist, ob bestimmte Ertrags-und Aufwandsarten wie z. B. Zinsaufwendungen, Gewinnausschüttungen, Leasing-, Miet-und Pachtaufwendungen sowohl bei den Unternehmen, die sie als Ertrag vereinnahmen, als auch bei den Unternehmen, die sie als Aufwand verausgaben, in die Bemessungsgrundlage eingehen sollen. Wie sollen Holding-und Beteiligungsgesellschaften sowie Leasing-Unternehmen behandelt werden — Hinzu kommt, daß die betriebliche Wertschöpfung immer erst ex post feststellbar ist und die exakte Beitragserhebung nur mit einem erheblichen time-lag erfolgen kann. Es wäre also ein Vorauszahlungsverfahren notwendig, um die Aufkommenskontinuität zu sichern. Zur Wertschöpfungsermittlung wären die Krankenkassen, die ja bislang die Erhebung auch der Rentenversicherungsbeiträge durchführen, wohl kaum in der Lage. Sie müßten auf die Hilfe der Finanzverwaltung zurückgreifen. Zwar vollzieht sich die Einordnung von Abgaben in Steuern und Beiträgen letztlich nach Konventionen und politischen Zweckmäßigkeiten, aber nicht auszuschließen ist, daß durch die Abhängigkeit von der Finanzverwaltung die Ertragshoheit der Rentenversicherungsträger bei der Beitragserhebung verloren geht. — Wenn der Arbeitgeberbeitrag zur Rentenversicherung — mit all den administrativen Problemen — auf eine Wertschöpfungsbasis umgestellt wird, ist nicht einzusehen, warum die Beiträge zur Kranken-und Arbeitslosenversicherung weiterhin lohn-bezogen bleiben sollen. Gerade in diesen beiden Versicherungszweigen ist das Äquivalenzprinzip schwach, das Solidarprinzip stark ausgeprägt.

VII. Die Alternative: Bundeszuschuß und Steuerfinanzierung

Die vorstehenden Ausführungen lassen zu dem Schluß gelangen, daß auch ein zusätzlicher, finanz-wirksamer Wertschöpfungsbeitrag keine Wunder verspricht. Durch ihn lassen sich zwar Einnahmen mobilisieren, doch die negativen verteilungspolitischen Folgen und die administrativen Probleme sind beachtlich. Es ist deshalb an der Zeit, andere, versicherungsexterne Finanzierungsalternativen stärker ins Blickfeld zu nehmen.

Bei der Rentenversicherung sollte der Bundeszuschuß und damit die (mittelbare) Steuerfinanzierung in den Mittelpunkt der Suche nach neuen Finanzquellen rücken. Die Forderung, den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung deutlich zu erhöhen, findet einen breiten Konsens in der Sozialpolitik: Der Bund muß aus verteilungs-, sozial-und wirtschaftspolitischen Gründen zur Lösung der demographischen Probleme beitragen der Ausbau von solidarischen und Grundversorgungselementen, die vom Äquivalenzprinzip abweichen, läßt sich nicht über lohnbezogene Beiträge, sondern nur über das allgemeine Steueraufkommen finanzieren. Bekannt ist, daß sich der Anteil des Bundeszuschusses an den Ausgaben der Arbeiterrenten-und Angestelltenversicherung in den letzten Jahrzehnten deutlich verringert hat. Lag der Anteil 1957 noch bei 31, 8 vH, so ist er bis 1985 auf 17, 8 vH gesun 8 vH, so ist er bis 1985 auf 17, 8 vH gesunken 30). Verursacht wird dieser Rückgang durch die Koppelung des Bundeszuschusses lediglich an die Entwicklung der Bruttoeinkommen der Versicherten. Die Einkommensentwicklung entspricht aber nicht der Ausgabenentwicklung, weil sich die Rentenstruktur (Leistungsverbesserungen) und der Rentenquotient (Verlängerung der Rentenbezugsdauer, faktische Vorverlegung der Altersgrenzen usw.) geändert haben. Erforderlich ist deshalb die Veränderung der Formel der Anpassung des Bundeszuschusses nach Maßgabe der usgabenentwicklung. Das allein reicht aber nicht. Die neue Anpassungsformel muß sich auf einer einmalig erhöhten Basis des Bundeszuschusses bewegen. Maßstab für diese Basis ist ein Betrag von rd. 30 vH der Ausgaben, wie er 1957 erreicht worden war. Die finanziellen Dimensionen einer solchen Umstellung sind allerdings beachtlich! (Der Anteil der Bundeszuschüsse am Bundeshaushalt ist seit 1957 vergleichsweise konstant geblieben [1957: 10, 8 vH; 1985: 9, 8 vH].) Allein die Anhebung des Zuschusses auf 30 vH der Rentenausgaben hätte 1985 Mehrausgaben von rd. 17 Mrd. DM erfordert und damit das Volumen der Steuerreform 1986 weit übertroffen.

An der Frage, wie der erhöhte Bundeszuschuß zur Rentenversicherung finanziert werden soll und welche verteilungspolitischen Wirkungen je nach Finanzierungsart zu erwarten sind, führt also kein Weg vorbei. Als erstes bieten sich Verschiebungen und Umgewichtungen innerhalb der öffentlichen Sozialetats an. Es darf ja nicht vergessen werden, daß die demographische Entwicklung neben den Belastungen auch Entlastungen im Sozialleistungssystem hervorruft: Entlastungen sind zu erwarten bei den Kriegsfolgelasten (Kriegsopferversorgung, Lastenausgleich, Wiedergutmachung) und in der Arbeitsförderung. Zudem ist zu berücksichtigen, daß der steigenden Zahl älterer Menschen eine sinkende Zahl von Kindern und Jugendlichen und damit ein tendenziell sinkender öffentlicher Aufwand für diese Bereiche gegenübersteht.

Diese die Belastungen relativierenden Entwicklungen bieten die Chance, den Bundeszuschuß zu einem Teil haushaltsneutral zu erhöhen. Da die demographischen Verschiebungen alle Alterssicherungssysteme und nicht nur die Rentenversicherung betreffen und nicht einsehbar ist, warum nur die Versicherten der Gesetzlichen Rentenversicherung die Anpassungslasten zu tragen haben, steht eine Belastung auch der Beamtenversorgung an. Durch einen Pensionsbeitrag für Beamte würden auch die Beamteneinkommen beitragspflichtig 31); die Haushalte des Bundes und der anderen Gebietskörperschaften würden relativ entlastet.

Da die Umschichtungen alleine nicht ausreichen dürften, stellt sich die Frage nach Einnahmeerhöhungen. Die Ausgestaltung des Steuersystems wird damit zu einem zentralen sozialpolitischen Thema. Derzeit hat sich die „Linke“ in eine paradoxe Situa-tion hineinmanövriert: Während endlos über den Wertschöpfungsbeitrag diskutiert wird, setzt die konservativ-liberale Regierung in ihrer konkreten Steuerpolitik alles daran, auch Unternehmen und Besserverdienende zu entlasten. Besonders fragwürdig erscheint in diesem Zusammenhang die Forderung die aufkommensneutrale Umstellung der Arbeitgeberbeiträge auf eine Wertschöpfungsbasis mit steuerlichen Entlastungen zu verbinden, um die (allemal minimalen) Mehrbelastungen der durch die Umstellung betroffenen Branchen und Unternehmen zu begrenzen. Nach der Logik dieses Vorschlags entstehen gesamtfiskalische Einnahmeminderungen zugunsten des Unternehmenssektors.

Wird die Deckung eines erhöhten Bundeszuschusses über eine Etatausweitung und über Steuermehreinnahmen gesucht, müssen die Bemühungen vorrangig auf die Steuerstruktur gelenkt werden. So läßt sich für die letzten Jahre zeigen, daß sich der Steuerschwerpunkt mehr und mehr auf die Lohnsteuer konzentriert, während die Unternehmer-Wirtschaft steuerliche Vergünstigungen erhält. Die volkswirtschaftliche Steuerquote (in vH des Brutto-sozialproduktes) ist nämlich mit rd. 24 vH in den letzten 25 Jahren bemerkenswert stabil geblieben. Verschoben haben sich die Gewichte der einzelnen Steuerarten am gesamten Steueraufkommen: Der Anteil der Lohnsteuer ist von 11, 84 vH (1960) auf 4 vH (1985) gestiegen, während der Anteil der veranlagten Einkommensteuer von 13, 09 vH auf 6, 68 vH, der der Körperschaftsteuer von 9, 51 vH auf 7, 0 vH und der der Gewerbesteuer von 9, 91 vH auf 6, 77 vH gesunken ist 33). Durch die Steuervergünstigungen und -ermäßigungen in den Haushalts-gesetzen der letzten Jahre sowie durch die Steuerreform 1986 (1988) wurde diese Umverteilungswirkung noch verschärft.

Hier gilt es, einen Kontrapunkt zu setzen und alternative Steuerkonzeptionen zu entwickeln, die sich auf die Ausgestaltung des Einkommensteuersystems konzentrieren und die Belastung nach der Leistungsfähigkeit zur Maxime nehmen Durch direkte Steuern wird es, weit eher und besser möglich sein, die gewinn-und kapitalstarken Unternehmen zur Finanzierung der Rentenversicherung heranzuziehen als durch den (indirekt wirkenden) Wertschöpfungsbeitrag. Der häufig vorgetragene Einwand, verteilungspolitisch sei es letztlich gleichgültig, ob die Rentenversicherung über lohnbezogene Beiträge oder lohnbezogene Steuern finanziert werde, trifft nicht, denn er vernachlässigt, daß die Einkommensteuer einen breiteren Kreis von natürlichen Personen (auch Selbständige und Beamte) und juristischen Personen umfaßt, daß der Einkommensbegriff breiter ist (nicht nur das versicherungspflichtige Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze) und daß der Abgabetarif (durch den Grundfreibetrag und die progressiven Steuersätze) ein anderer ist

Die Zeit drängt: Die Eckwerte der großen Steuerreform lassen erkennen, daß nicht nur erhebliche Steuermindereinnahmen (fast 45 Mrd. DM) zu verkraften sind, sondern daß sich auch die Entlastungen sozial unausgewogen verteilen. Die Gefahr besteht, daß für einen erhöhten Bundeszuschuß wenig übrig bleibt. Absehbar ist auch, daß die Entlastungen bei der Einkommensteuer durch Erhöhungen von indirekten Steuern, also von speziellen Verbrauchsteuem und der Mehrwertsteuer, teilweise kompensiert werden sollen. Die Forderung nach einem Wertschöpfungsbeitrag scheint hierbei aufgenommen zu werden: Will man die Wertschöpfung als Quelle der Finanzierung nutzen bietet es sich an, die eingeführte Mehrwertsteuer zu erhöhen, statt den Umweg über den Wertschöpfungsbeitrag zu nehmen.

Das Konzept, die Ausgaben der Rentenversicherung stärker als bislang durch Bundeszuschüsse zu finanzieren, sieht sich schnell mit dem Argument konfrontiert, daß Bundeszuschüsse, deren Erhebung ja nicht in die Ertragshoheit der Rentenversicherungsträger fällt, als Dispositionsmasse im Bundeshaushalt mißbraucht werden können, zumal die Steuereinnahmen — wegen des Non-Affektionsprinzips — auch im Visier anderer Staatsausgaben stehen. Die Erfahrungen in der Vergangenheit sprechen zweifelsohne für dieses Argument. Auch eine Regelbindung beim Bundeszuschuß schützt letztlich nicht davor, daß durch jeweilige gesetzgeberische Mehrheiten die Regel geändert wird. Eine auf jeden Fall zuverlässige und kontinuierliche Einnahmequelle ist insofern nicht garantiert.

Bei solcherart skeptischer oder besser realistischer Einsicht in die politischen Strukturen muß aber dann auch gefragt werden, wie denn der Optimismus begründet wird, wertschöpfungsbezogene Arbeitgeberbeiträge bildeten eine Insel der Autonomie und stünden außerhalb der Manipulationsgefahr. Wer kann denn ausschließen, daß bei entkoppelten Arbeitnehmer-und Arbeitgeberbeiträgen die Arbeitgeberbeiträge eingefroren und die Arbeitnehmerbeiträge einseitig erhöht werden? Mit dem politischen Finanzierungsrisiko muß die Sozialpolitik so oder so leben, weil sie immer im Mittelpunkt des sozialen Interessenkonfliktes steht.

Unser Plädoyer für eine Erhöhung des Anteils der Steuerfinanzierung bei der Rentenversicherung bezieht sich nicht nur auf die Bundeszuschüsse, sondern auch auf die Umwandlung von beitragsfreien (Ausfall) Zeiten in beitragspflichtige Zeiten, die über den Bund zu finanzieren wären, z. B. von Ausbildungsausfallzeiten.

Unabhängig davon wäre zu überlegen, ob nicht die lohnbezogene Beitragsentrichtung der Arbeitgeber risikoorientiertgestaltet werden sollte: Ein Großteil der Rentenausgaben beruht nämlich auf der Finanzierung der Erwerbs-und Berufsunfähigkeitsrenten. Wenn es richtig ist, daß das hohe Maß der Frühinvalidität auch auf die betrieblichen Arbeitsbedingungen und -belastungen zurückzuführen ist, dann muß nach einem Finanzierungsmechanismus gesucht werden, der die Externalisierung dieser sozialen Kosten der Produktion auf die Beitragszahler verhindert. Durch die bisher mögliche Verschiebung der Kosten der Frühinvalidität auf die Gesamtheit der Beitragszahler wird kein Anreiz zu einer präventiven Gesundheits-und Humanisierungspolitik im Unternehmen gegeben, weil die Belastung des verursachenden Arbeitgebers über erhöhte Beitragssätze letztlich unmerklich ausfällt. Insofern sollte in Anlehnung an die Finanzierungsregelung bei der Unfallversicherung nach Wegen gesucht werden, auch bei der Rentenversicherung Ursachen-und risikobezogene Finanzierungselemente einzusetzen. Damit würde zwar insgesamt kein höheres Finanzaufkommen erwirtschaftet, aber eine langfristige Verminderung der Frühinvaliditätsrate könnte erwartet werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. u. a. Gutachten der Kommission des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger zur langfristigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung. Frankfurt 1987; H. -W. Müller, Zur langfristigen Finanzentwicklung und zur Strukturreform in der gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung der Vorschläge des Sozialbeirats, in: Deutsche Rentenversicherung, (1986) 11 — 12, S. 702ff.; Sozialbeirat, Gutachten über eine Strukturreform zur längerfristigen finanziellen Konsolidierung und systematischen Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung im Rahmen der gesamten Alterssicherung, Bundestags-Drucksache 10/5532; M. Rosarius, Modellrechnungen zur langfristigen Entwicklung der Rentenbestände und Renten-ausgaben der ArV und AnV, in: Die Angestelltenversicherung, (1985) 11, S. 433 ff.

  2. G. Bäcker, Bevölkerungsentwicklung und Alterssicherung. Argumente und Scheinargumente, Probleme und Scheinprobleme, in: Memo-Forum, (1986) 9, S. 56 ff.; R. Thiede. Die Erhöhung der Frauenerwerbsquote zur Entlastung der sozialen Sicherung im demographischen Wandel, in: Sozialer Fortschritt, (1986) 11, S. 251 ff.

  3. Vgl. G. Bäcker, Solidarische Alterssicherung statt Alters-armut — Weiterentwicklung der Rentenversicherung mit den Schwerpunkten „Rente nach Mindesteinkommen“ und „bedarfsorientierte Mindestrente“, in: WSI-Mitteilungen, (1987) 2, S. 75 ff.; SPD, „Die Zukunft sozial gestalten“, Entwurf der Arbeitsgruppe Sozialpolitisches Programm und der Kommission Sozialpolitik beim SPD-Parteivorstand, Bonn 1986, S. 38 ff.

  4. So von M. Miegel /S. Wahl, Gesetzliche Grundsicherung, Private Vorsorge — Der Weg aus der Rentenkrise, Stuttgart 1985; K. Biedenkopf. Die neue Sicht der Dinge, München 1985, S. 324 ff.

  5. H. Ehrenberg, /A. Fuchs, Sozialstaat und Freiheit, Frankfurt 1980, S. 385ff.; SPD (Anm. 3), S. 33ff.

  6. Vgl. z. B. J. Berger, Die Zukunft der Arbeitsgesellschaft, in: R. G. Heinze u. a. (Hrsg.), Beschäftigungskrise und Neuverteilung der Arbeit, Bonn 1984. S. 60 f.

  7. Die Grünen. Grundrente statt Altersarmut. Essen 1985.

  8. Für die sozial-liberale Bundesregierung: R. Hujer R. Schulte zur Surlage, Wertschöpfung als Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber, Frankfurt 1980; für die konservativ-liberale Bundesregierung: D. Elixmann u. a.. Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen alternativer Bemessungsgrundlagen für die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Bonn 1985; für den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger VDR): W. Schmähl /K. -D. Henke /H. M. Schellhaaß. Änderung der Beitragsfinanzierung in der Rentenversicherung? Ökonomische Wirkungen des „Maschinenbeitrages“. Berlin 1984; für die SPD: B. Rürup. Strukturpolitische Aspekte eines Wertschöpfungsbeitrages, Gutachten im Auftrag der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages. Darmstadt 1986.

  9. Vgl. G. Bäcker, Finanzielle Grenzen oder Spielräume des Sozialstaates? Finanzierungsprobleme und Finanzierungsaltemativen der Sozialpolitik, in: Zeitschrift für Sozialreform. (1986) 6-7, S. 334f.

  10. R. -R. Grauhan /R. Hickel, Krise des Steuerstaates? — Widersprüche, Ausweichstrategien. Perspektiven staatlicher Politik, in: dies (Hrsg.), Krise des Steuerstaates, Opladen 1978, S. 7ff.

  11. Vgl. H. Ehrenberg/A. Fuchs (Anm. 5), S. 385 ff.; ebenso bei B. Rürup (Anm. 8) und L. Bussmann, Alternative Bemessungsgrundlagen für Sozialversicherungsbeiträge. Bremen 1981.

  12. Vgl. W. Schmahl u. a. (Anm. 8). S. 154.

  13. G. U. Bischoff. Wertschöpfungsbezogene Arbeitgeber-beiträge aus empirischer Sicht, in: Sozialer Fortschritt, (1980) 5, S. 97ff.; R. Hujer/R. Schulte zur Surlage. (Anm. 8). S. 81 ff.; W. Schmähl u. a. (Anm. 8). S. 148 ff.. H. D. Loeffelholz, Struktureffekte einer „Maschinensteuer“. in: Mitteilungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung 1983, S. 229ff.; B. Rürup (Anm. 8), S. 23 ff.

  14. G. Busch u. a., Wertschöpfungsbezogene Arbeitgeber-beiträge zur Gesetzlichen Pensionsversicherung. Wien 1984, S. 158 ff.

  15. W-Schmähl u. a. (Anm. 8), S. 186f. und 190. Die Kostenverschiebungen lägen höher, wenn auch die Beiträge zur Kranken-und Arbeitslosenversicherung umbasiert würden.

  16. Ebenda, S. 155

  17. Vgl. B. Rürup, Reform der Arbeitgeberbeiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung, in: Wirtschaftsdienst, (1979) 11, S. 549f.

  18. Z. B. W. Schmahl u. a. (Anm. 8). S. 97ff.

  19. R. Welzmüller, Unerwartet starker Anstieg des Verteilungsspielraums. Zur Entwicklung der Einkommen im Jahre 1986, in: WSI-Mitteilungen, (1987) 7, S. 467.

  20. Vgl. G. Bäcker /H. Kühn. Sozialpolitische Reformen und politische Ökonomie, in: M. Opielka /1. Ostner (Hrsg.), Umbau des Sozialstaates, Essen 1987, S. 194 ff.

  21. So: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.). Rente im Klartext. Bonn 1985, S. 29 f.

  22. Im Überblick: W. Adamy /G. Bäcker, Der Maschinen-beitrag — ein Allheilmittel für Rentenfinanzen und Arbeitsmarkt?, in: WSI-Mitteilungen, (1985) 1, S. 27 f.

  23. Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Erhöhter Handlungsbedarf im Strukturwandel. Analyse der strukturellen Entwicklung der deutschen Wirtschaft, Strukturbericht 1983. Berlin 1983. S. 177 ff.

  24. Vgl. D. Elixmann u. a. (Anm. 8), S. 267 ff.

  25. Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD. Vorschlag für die dauerhafte Sicherung der Rentenfinanzen durch einen Wertschöpfungsbeitrag, Bonn 1985.

  26. So bei M. Miegel /S. Wahl (Anm. 4); E. Albrecht, Zehn Thesen zum Problem der Arbeitslosigkeit, in: R. v. Voss /N. Walter (Hrsg.), Wohin treibt die Wirtschaft?, Stuttgart 1984.

  27. Transfer-Enquete-Kommission, Das Transfersystem in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1981, S. 215 ff.

  28. Vgl. I. Scheibe-Lange. Einzelwirtschaftliche Überlegungen und empirische Analysen zum „Maschinenbeitrag“ für die Rentenversicherung, Düsseldorf 1985.

  29. Vgl. Wissenschaftlergruppe des Sozialbeirates, Gutachten zu den längerfristigen Entwicklungsperspektiven der Rentenversicherung, Bundestags-Drucksache 9/632.

  30. So vorgeschlagen von der Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Vergleich der Alterssicherungssysteme und Empfehlungen der Kommission, Bonn 1984. S. 144 ff.

  31. B. Rürup (Anm. 8). S. 32 ff.

  32. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1985/86, Bundestags-Drucksache 10/4295, S. 258 ff.

  33. Vgl. zu dieser Zielsetzung: R. Hickel. Der alte Grundsatz „Leistungsfähigkeit" muß wieder gelten, in: Frankfurter Rundschau vom 11. September 1986.

  34. Vgl. G. Bäcker, Finanzielle und soziale Defizite der lohn-und beitragsbezogenen Sozialversicherung, in: H. J. Bieback (Hrsg.), Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, Frankfurt 1986, S. 216.

  35. So das Plädoyer von W. Schmähl, Finanzierung sozialer Sicherung, in: Die Deutsche Rentenversicherung, (1986) 9-10, S. 561.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Dr. rer. pol., geb. 1947; Studium der Wirtschaftswissenschaft an der Universität Köln; Wissenschaftlicher Referent für Sozialpolitik am Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) des DGB. Veröffentlichungen u. a.: (Mit R. Bispinck, K. Hofemann, G. Naegele) Sozialpolitik — Eine problemorientierte Einführung, Köln 1980; zahlreiche Aufsätze zur Sozialpolitik in Fachzeitschriften und Sammelbänden.