I. Einleitung
*) Für wertvolle Hinweise habe ich den Herren David Fischer, Botschafter van Gorkom, Scheinman. Spilker und von Wagner zu danken.
Der katastrophale Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine im April 1986 hat die Herausforderung deutlich gemacht, vor der die internationale Zusammenarbeit in der Kernenergie steht. Die Kernenergie ist eine Technik, deren Schadenswirkungen unabsehbar sind, wenn die Sicherheitsvorkehrungen versagen; dieser Umstand wird auch von ihren Befürwortern im allgemeinen eingeräumt. Daraus ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, diese Sicherheitsvorkehrungen zu optimieren. Internationale Zusammenarbeit ist dabei in mehrerer Hinsicht gefragt:
Kernenergieunfälle ernsterer Art werden im allgemeinen erhebliche grenzüberschreitende Auswirkungen haben. Dies war vor Tschernobyl theoretisch bereits klar, ist aber erst durch die greifbare Erfahrung des schrecklichen Unfalls ins Bewußtsein der Öffentlichkeit und der Politik gerückt. Daraus ergibt sich als erste Notwendigkeit, Informationen auszutauschen und Vorkehrungen zu harmonisieren. 2. Darüber hinaus macht die grenzüberschreitende Wirkung klar, daß auch mit optimalen nationalen Sicherheitsstandards nur ein kleiner Teil des Problems gelöst wird. Es nützt eine perfekte Sicherheitstechnologie, es nützt eine optimale Ausbildung des Bedienungspersonals und eine angemessene Wartung der Anlagen im eigenen Lande wenig, wenn der Nachbar diese Aspekte nachlässig behandelt. Sicherheit vor Kemenergieunfällen ist in einem Land erst dann optimiert, wenn Höchststandards auch in seiner internationalen Umwelt gelten.
3. Zudem hängt die Sicherheit von Kernanlagen natürlich wesentlich auch davon ab, daß Erfahrungen weitestmöglich ausgetauscht und daraus Lehren bei allen Kernenergiebetreibern gezogen werden. Ein solcher Erfahrungsaustausch setzt die internationale Zusammenarbeit voraus. Es ist nicht zu übersehen, daß die Kernenergie immer noch eine relativ junge Technologie ist; die Zusammenfassung aller einschlägigen Erfahrungen ist unverzichtbar, wenn die Sicherheitstechnik laufend angemessen verbessert werden soll. 4. Schließlich muß der andere wichtige Aspekt der Kernenergie, die Beziehung zur militärischen Nutzung von Spaltstoffen, in die Betrachtung einbezogen werden. Das internationale „Nichtverbreitungsregime“ hängt ganz entscheidend von dem wechselseitigen Vertrauen ab, daß sich die Staaten entgegenbringen. Es ist durchaus plausibel, daß dieses Vertrauen mit dem Ausmaß der Kooperation steigt, die das gesamte Gebiet der Kernenergie umfaßt.
Dieser „Sachzwang zur Zusammenarbeit“ wurde in der Vergangenheit jedoch dadurch beeinträchtigt, daß die Regierungen der betroffenen Staaten die Kernenergie als Bereich des nationalen Interesses verstanden haben. Kernenergie galt als eine Spitzentechnologie, deren Entwicklung unmittelbar auf den Rang eines Staates und auf seine künftigen Entwicklungsmöglichkeiten Einfluß nimmt. Mit Hinweis auf die nationale Souveränität der Staaten sind daher die meisten Versuche abgeblockt worden, im Bereich der kerntechnischen Sicherheit Vereinbarungen zu treffen, die dem einzelnen Staat weitgehende Verpflichtungen gegenüber der internationalen Gemeinschaft auferlegt hätten; dabei mag mitspielen, daß die Kernenergie unter einem anderen Gesichtspunkt — der Verhinderung der Abzweigung von Spaltmaterial für nichtfriedliche Zwecke — mit solchen Verpflichtungen und entsprechenden Überprüfungen bereits belastet ist.
An Versuchen der Internationalen Atom-Energie-Organisation (IAEO) 1), der wichtigsten internationalen Organisation auf dem Gebiet der Kernenergie, auf dem Feld der Sicherheitstechnik größere Aktivitäten einzuleiten, hat es nicht gefehlt. Derartige Initiativen der IAEO wurden jedoch behindert durch die Abneigung der Mitgliedstaaten, sich auf verbindliche Verpflichtungen einzulassen und der internationalen Örganisation Überprüfungs-und Kontrollbefugnisse einzuräumen. Der überwiegende Teil der Mitgliedsländer betrachtet Fragen der technischen Sicherheit als nationale Aufgabe und Prärogative; zudem besteht die Furcht, daß die Einschaltung internationalen Personals in die Sicherheitstechnik zur Preisgabe wertvoller Betriebsgeheimnisse führen könne.
Die Arbeit der IAEO auf dem Gebiet der kemtechnischen Sicherheit war konzentriert auf das Gremium der sicherheitstechnischen Berater. Sie entwickelten 1974— 1985 die kerntechnischen Sicherheitsnormen (NUSS), die den Mitgliedsländern freilich nur als unverbindliche Empfehlungen unterbreitet werden konnten. Die Zurückhaltung auf diesem Gebiet wird aus zwei Beispielen deutlich: Bereits seit 1981 lagen Vorschläge für ein Abkommen vor, das die Mitgliedsländer zur frühzeitigen Unterrichtung bei Unfällen in Atomanlagen verpflichten sollte. Dieses Abkommen wurde aber nie geschlossen, weil diese Verpflichtung den
Mitgliedern der Organisation zu weit ging; für das Haushaltsjahr 1986 wurden gar die Ausgaben für die Sicherheitstechnik gekürzt, um das Ziel des „Nullwachstums“ bei den Ausgaben der Internationalen Atom-Energie-Organisation einzuhalten: Sicherheit war ganz offensichtlich nicht gerade eine Priorität. Sie trat hinter die beiden anderen Aufgaben der lAEO-Sicherungsmaßnahmen gegen den militärischen Mißbrauch von kerntechnischen Einrichtungen und Spaltmaterial sowie technische Hilfe bei der Entwicklung von Kernforschung deutlich in den Hintergrund. Es ist zu fragen, ob dieses erhebliche Defizit an internationaler Kooperation durch Tschernobyl und seine Folgen behoben wurde.
II. Der Ablauf der Ereignisse nach dem Unfall in Tschernobyl
Am 26. April 1986 ereignete sich der Unfall in Reaktor vier des Kernkraftwerks Tschernobyl Am 28. April wurde der Unfall erstmals von den sowjetischen Medien berichtet. Am 5. Mai traf ein Team der IAEO — angeführt von Generaldirektor Blix — in Moskau ein; die Einladung hatte Blix selbst erwirkt. Die Delegation der IAEO hielt sich bis zum 9. Mai in der Sowjetunion auf, besichtigte die Unfallstätte und ließ sich ausführlich informieren. In Gesprächen mit der sowjetischen Führungsspitze schlug Blix vor, den Unfall zum Anlaß zu nehmen, in der IAEO ein breitangelegtes Sicherheitsprogramm einzurichten, das über die bisherigen Aktivitäten der Organisation erheblich hinausgehen sollte. Dieser Vorschlag wurde von Gorbatschow aufgegriffen und zur Grundlage einer sowjetischen Initiative für ein „International Safety Regime“ gemacht, die er in seiner Fernsehanspraehe vom 15. Mai vorschlug. Der IAEO-Besuch hatte des weiteren die unmittelbare Folge, daß die Sowjets täglich über die Messungen der Radioaktivität an der Unfallstätte sowie an den westlichen und nördlichen Grenzen berichteten.
Mittlerweile war von bundesdeutscher Seite die Forderung nach einer Sondersitzung des Gouverneursrats der IAEO erhoben worden. Diese Sitzung fand am 21. Mai statt. Man einigte sich auf eine Reihe von Aktivitäten, nämlich die schnellstmögliche Erarbeitung einer Konvention über die frühzeitige Notifikation von Nuklearunfällen, ein Abkommen über die wechselseitige Hilfe bei solchen Unfällen, die Verbesserung der sicherheitstechnischen Zusammenarbeit einschließlich Sicherheitsnormen und die Einberufung einer Konferenz über Sicherheitsfragen.
Auf seiner regulären Sitzung im Juni verabschiedete der Gouverneursrat in Umrissen eine Ausweitung des sicherheitstechnischen Programms der IAEO und eine Aufstockung der Haushaltsmittel in Höhe von drei bis vier Mio. US-Dollar. Dies schloß den Ausbau der sicherheitstechnischen Inspektionsteams (OSART) ein, ferner die Einrichtung einer neuen Inspektionsart, nämlich Inspektionen zur Analyse'von Störfällen (ASSET), verstärkte Arbeit an Sicherheitsnormen und ein Arbeitstreffen zur genauen Analyse des Unfalls in Tschernobyl.
Ende Juli/Anfang August einigte sich ein „Expertentreffen“ in der Rekordzeit von vier Wochen auf den Wortlaut zweier Konventionen (frühzeitige Information und wechselseitige Hilfe). Im August fand die „Tschernobyl-Analyse-Konferenz“ statt. Die sowjetischen Teilnehmer gaben einen ungewöhnlich umfangreichen Bericht über Unfallablauf, Ursachen, Folgen und die von der Sowjetunion ergriffenen Maßnahmen. Sie zeigten sich darüber hinaus offen gegenüber weitergehenden Fragen der Konferenzteilnehmer und erteilten auch nach Ablauf der Konferenz schriftliche Antworten auf zusätzliche Fragen.
Die wichtigsten Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Der Unfall entstand aus einer Folge mehrfacher Verletzung von Betriebsvorschriften.
2. Die Bedienungsmannschaft reagierte falsch auf die Vorgänge im Reaktor. 3. Die Reaktorbauart verstärkte die vom Personal gemachten Fehler, anstatt sie auszugleichen.
4. Es fehlte eine „äußerste Schranke“ (Stahlbeton-glocke), die den Schaden hätte allenfalls begrenzen können. Ob ein solches „Containment“ die gewaltige Explosion in dem Reaktor tatsächlich gehalten hätte, blieb allerdings umstritten.
Die wichtigste Einsicht war die essentielle Bedeutung der Mensch-Maschine-Interaktion, die von der herkömmlichen Sicherheitsanalyse beständig unterbewertet worden ist Die Ergebnisse der Tagung sowie die beiden Konventionen waren der Gegenstand einer Sondersitzung der Generalkonferenz der IAEO Ende August. Ihr wichtigstes Ergebnis war die formelle Annahme der Konventionstexte. Die reguläre Sitzung der Generalkonferenz billigte Anfang September das erweiterte sicherheitstechnische Programm der IAEO und die damit verbundenen haushaltlichen Veränderungen.
Anfang November trat eine weitere Expertentagung zu Sicherheitsfragen zusammen. Die Tagung sprach fünf Empfehlungen aus:
— internationale Normen für die Ausbildung von Bedienungsmannschaften;
— eine Vertiefung der freiwilligen Sicherheitsnormen der IAEO (NUSS); diese Normen könnten als Grundlage für international anerkannte Sicherheitserfordernisse dienen. Freilich verbleibe die Verantwortung für die Anlagensicherheit bei den nationalen Regierungen; dies war eine Absage an rechtsverbindliche internationale Normen;
— eine Ausweitung der OSART-Missionen (1985 und 1986 fünf bis sechs pro Jahr) auf 15 bis 18 pro Jahr;
— eine Verbesserung und verstärkte Teilnahme am Vorfallberichtssystem der IAEO (IRS), einer Datenbank, die zur Vorbeugung künftiger Störfälle von großer Bedeutung sein könnte;
— verstärkte Forschung für „inhärent sichere Reaktoren“
Im Dezember hat eine weitere Sondersitzung des Gouverneursrates stattgefunden, die das Sicherheitsprogramm der IAEO endgültig verabschiedet hat. Die für 1987 bewilligten Haushaltsmittel fielen mit 2, 03 Mio. US-Dollar etwas niedriger aus als im Juni veranschlagt.
Im Februar 1987 hat sich der Gouvemeursrat ausführlich mit der Frage der Haftung bei Kernunfällen befaßt. Dabei traten zwei unterschiedliche Meinungen zutage. Die eine Position behauptete, die rechtliche Grundlage (Wiener Konvention von 1977 und Pariser Konvention von 1977) seien bei entsprechender Harmonisierung ausreichend; diese Konventionen machen nach dem Verursacherprinzip den Betreiber kemtechnischer Anlagen für den Schaden an Gesundheit oder Eigentum von Bürgern der betroffenen Nachbarländer haftbar. Die Gegenposition wies darauf hin, daß diese Konventionen Schäden an der Umwelt, die nicht direkt personenbezogen sind, nicht regeln und daß die gegenseitigen Ansprüche von Staaten gegeneinander dort ausgeklammert sind. Die Bedeutung dieser Frage liegt auf der Hand: Ein weitreichendes Haftungsrecht ist ein wirksames Instrument, um die Aufmerksamkeit von Betreibern und zuständigen Stellen dauerhaft auf das Sicherheitsproblem zu fixieren. Nuklearunfälle sind an sich schlimm genug; wenn man aber dafür gewaltige Summen zahlen muß, steigt das Interesse an der Vorbeugung noch weiter Für 1987 sind weitere Tagungen geplant, die sich mit der Frage der Haftung für Schäden bei Nuklearunfällen und — ein weiteres Mal — mit internationalen Sicherheitsnormen befassen. 1988 wird eine Arbeitstagung zum Thema Mensch-Maschine-Verhältnis stattfinden.
Diese kurze Übersicht zeigt, daß als Antwort auf den Unfall in der Ukraine geradezu eine explosionsartige Ausweitung der internationalen Aktivitäten im Bereich kerntechnische Sicherheit stattfand. Aktivität an sich ist jedoch natürlich kein Maßstab für die Frage, ob die Defizite internationaler Zusammenarbeit wirklich behoben oder doch zumindest ernstlich angegangen wurden; zur Beantwortung dieser Frage ist ein näherer Blick auf die substantiellen Ergebnisse dieser Aktivitäten angezeigt.
III. Die Ergebnisse der Zusammenarbeit
1. Die beiden Konventionen
Das Expertentreffen das mit der Arbeit an den beiden Konventionen beauftragt war, trat am 21. Juli 1986 zusammen. Delegierte aus 62 Staaten und zehn internationalen Organisationen nahmen daran teil. Das Treffen stand unter doppeltem Druck: Es mußte innerhalb von vier Wochen, bis zum 15. August, beendet werden, und es bestand Konsenszwang. Konventionsentwürfe konnten also nur dann dem Gouvemeursrat und der IAEO-Generalversammlung vorgelegt werden, wenn keiner der Teilnehmerstaaten dagegen Einwände erhob. Der Tagung lagen zwei Konventionsentwürfe vor, die vom Stab der IAEO ausgearbeitet worden waren. Dies strukturierte die Konferenz erheblich vor und erleichterte somit ihre Arbeit. Die Konferenz, unter Leitung des niederländischen Botschafters van Gorkom, teilte sich in drei Arbeitsgruppen: die erste (Leiter: Shash, Ägypten) befaßte sich mit den Fragen der frühzeitigen Notifikation, die zweite (Leiter: de Proenca Rosa, Brasilien) mit der Pflicht zum wechselseitigen Beistand bei Unfällen, die dritte (Leiter: J. Maser, DDR) schließlich bemühte sich um die Klärung der beiden Konventionen gemeinsamen juristischen Fragen (Streitschlichtung, Inkrafttreten, Kompensation etc.). Die Ausgliederung dieser teils sehr schwierigen rechtlichen Detailfragen gestattete den beiden übrigen Arbeitsgruppen die Konzentration auf die Sachfragen; dies erwies sich angesichts des bestehenden Zeitdrucks als nützlich. Von der zweiten Woche an berief der Vorsitzende regelmäßig Plenarsitzungen ein; es ging darum, erreichte Überein-stimmungen festzuschreiben und damit die Konventionen sozusagen im Baukastenstil zusammenzusetzen. Auch diese Prozedur förderte den Konsensus. Dennoch war es nicht einfach, Übereinstimmung zu erzielen. Die Diskussionen waren geprägt von sechs Streitfragen, jeweils drei pro Konvention. Das alles überschattende Problem war die Einbeziehung militärischer Nuklearaktivitäten in die Notifikationspflicht. Bei beiden Supermächten gab es von Anfang an Vorbehalte dagegen, den Geltungsbereich der Konventionen, vor allem der ersten, über zivile Nuklearanlagen hinaus auszudehnen. Sie konnten sich jedoch dem grundvemünftigen Argument nicht verschließen, daß es für den angerichteten Schaden völlig unerheblich sei, ob die Radioaktivität aus einer zivilen oder einer militärischen Anlage stamme. Sehr frühzeitig räumten die USA und die Sowjetunion daher ein, daß die Notifikationspflicht auch für militärische Atomanlagen gelten solle, also für Anreicherung, Wiederaufarbeitung, militärische Reaktoren, Brennstoffabriken, Lager, Transport von Spaltmaterial und für nukleargetriebene Satelliten. Diese erste Einbeziehung des militärischen Brennstoffkreislaufs in eine internationale Vereinbarung ist insofern bedeutsam, als Art. 5 im Detail die fälligen Informationen benennt: Zeit, Ort (mit der Einschränkung: „wo angemessen“) und Art des Unfalls; betroffene Anlage oder Aktivität; vermutlicher Grund und voraussichtlicher Ablauf; Eigenschaften der freigesetzten Radioaktivität; voraussichtliche Wetterbedingungen; Messungen; getroffene Schutzmaßnahmen; voraussichtliches Verhalten der freigesetzten Radioaktivität. Dies bedeutet eine erhebliche Informationsverpflichtung, die in deutlichem Gegensatz zu der bisherigen Schweigsamkeit über die militärischen Nuklearanlagen (vor allem der Sowjetunion) steht.
Amerikanischer und sowjetischer Widerstand blieb jedoch hartnäckig, was Kernwaffen selbst, Nuklear-tests sowie die Waffenfabriken (in denen die Sprengköpfe montiert werden) anbetraf. Hier sahen sie sich nun einer breiten Front von Kritikern gegenüber. Ihr gehörten nicht nur die Nichtkernwaffenstaaten aus der Gruppe der 77 an — die übliche Opposition —, sondern auch die eigenen Verbündeten und schließlich die drei kleineren Kernwaffenstaaten Frankreich, Großbritannien und China. Vor allem die Franzosen hatten sich in erstaunlicher Weise dafür engagiert, alle Unfälle mit grenzüberschreitenden Auswirkungen, ungeachtet ihrer Art, in die Konvention einzubeziehen.
Einen entsprechenden Formulierungsvorschlag für Artikel 1 (der den Geltungsbereich der Konvention festlegt) brachten die Franzosen zusammen mit Argentinien, Griechenland, Indien, Iran, Japan und Spanien vor — eine wahrhaft ungewöhnliche Koalition. Dieser Vorschlag scheiterte aber ebenso wie weitere Vorstöße von Österreich, Italien und der Schweiz, von Iran, von Mexiko und von Spanien am zähen Widerstand der USA und der Sowjetunion.
Buchstäblich in letzter Minute gelang ein Kompromiß; ein neuer Artikel 3 wurde festgeschrieben. Bei „anderen nuklearen Unfällen“, d. h. anderen als denen in Artikel 1 ausdrücklich festgelegten, also: Kernwaffen, Tests und Kernwaffenfabriken, „können“ Staaten Meldung machen. Damit sind Kernwaffenunfälle in die Konvention einbezogen, wenn auch in einem Grad geringerer Verbindlichkeit. In dem Kompromiß verpflichteten sich alle Kemwaffenstaaten zugleich, bindende einseitige Erklärungen vor der Sondergeneralversammlung der IAEO abzugeben, daß sie „andere Unfälle“ in jedem Falle notifizieren würden. Der Kompromiß befriedigte nicht alle Staaten; besonders heftige Kritik kam von Indien, Italien, der Türkei und dem Iran. Jedoch reichte er hin, um eine Ablehnung durch irgendeinen Teilnehmerstaat abzuwenden. Auch dem amerikanischen Delegierten gelang es in der letzten Nacht vor Konferenzschluß, Washington zur Änderung seiner Instruktionen zu bewegen (anscheinend gab es beim Militär Befürchtungen, mit detaillierten Informationen Konstruktionsgeheimnisse der Kernwaffen preiszugeben; merkwürdig nur, daß diese Befürchtungen bei den „kleinen“ Kernwaffenstaaten nicht durchschlugen).
Die fünf Kemwaffenstaaten lösten auf der Sondergeneralversammlung ihr Versprechen ein und gaben entsprechende Erklärungen ab; diese Erklärungen zeigten bemerkenswerte Variationen. England benannte als einziges Land ausdrücklich als Objekt seiner Erklärung Kernwaffen Frankreich, zuvor der Champion einer Gleichstellung von Kernwaffen-und sonstigen nuklearen Unfällen, machte nunmehr den Vorbehalt, Notifikation unter Maßgabe der nationalen Sicherheit vornehmen zu wollen 12).
Die zweite Kontroverse betraf die Definition der Situation, in der eine Meldepflicht besteht. Zahlreiche Delegationen hätten eine präzise Definition dem endgültigen Wortlaut von Art. I vorgezogen. Er stellt es dem Urteil der betreffenden Regierung anheim, ob die unfallbedingte Freisetzung von Radioaktivität in einer „grenzüberschreitenden Freisetzung endet oder enden könnte, die für einen anderen Staat strahlenschutzmäßige Signifikanz annehmen könnte“. Es war in den vier Wochen nicht möglich, die erforderlichen Meßnormen festzulegen. Gleichfalls scheiterte ein pragmatischer Vorschlag der Niederlande, der Schweiz, Österreichs und Italiens, die Meldepflicht an das Ergreifen von Notstandsmaßnahmen im Verursacherstaat zu knüpfen. Dieser Vorschlag beseitigte einen gordischen Knoten, um einen neuen zu knüpfen: das Problem der Vergleichbarkeit der höchst unterschiedlichen nationalen Notstandssysteme. So blieb es letztlich bei der sehr vagen Definition. *
Die dritte Kontroverse betraf das Nachbarschaftsproblem. Dänemark — ein Land ohne eigene Kernenergienutzung — hatte vorgeschlagen, neben der allgemeinen Informationspflicht eine spezielle Pflicht zwischen Nachbarn festzulegen, die dem nichtnuklearen Nachbarn eine Einrede in die Kernenergiepläne seiner Nachbarn hätte gestatten können. Der Vorschlag wurde von Ländern wie Portugal, Luxemburg, Irland, Österreich mit einiger Sympathie aufgenommen, hatte aber angesichts des geballten Widerstands der Länder mit hoher Kernenergienutzung keine Chance. Art. 9 gestattet die Ergänzung der Konvention durch bi-und multilaterale Abkommen; dies blieb das einzige Ergebnis der dänischen Intervention.
Die zweite Konvention über gegenseitige Hilfeleistung bei Nuklearunfällen war auch kontrovers. Freilich hatte die Diskussion nicht den dramatischen Charakter wie bei der ersten Konvention, da Kernwaffen hier naturgemäß eine geringere Rolle spielten: Die Bitte um Nachbarschaftshilfe geht von dem geschädigten Staat aus; ob bei einem Kernwaffenunfall fremde Hilfe ins Land gerufen wird, liegt also im Ermessen des Kernwaffenstaats und bindet ihn nicht.
Die Konvention stellt die Pflicht zu gegenseitiger Hilfe fest und regelt im Detail die Modalitäten der Anrufung, die Rolle der IAEO und die Frage der Kompensation für Hilfeleistungen. Die drei Kontroversen betrafen die folgenden Themen:
Eine Reihe von Delegationen, darunter Iran und die Türkei, hatten die gemeinsame Vorausplanung von Notstandsmaßnahmen zwischen Staaten gefordert, die von einem grenzüberschreitenden Nuklearunfall betroffen sein könnten. Diese Forderung wurde von den USA blockiert; der vermutliche Grund liegt wohl in der Befürchtung, daß dies unabsehbare Folgen für die nuklear bestückte amerikanische Flotte nach sich ziehen könnte, die nahezu mit jedem Küstenstaat der Welt solche zweiseitigen Vorausplanungen tätigen müßte. Auch hier blieb es daher bei der Erwähnung der Möglichkeit, solche Vorausplanungen bi-oder multilateral abzuschließen (Präambel und Art.
Ein zweiter Streit betraf die Entschädigung für geleistete Hilfe. Luxemburg, ein Staat ohne Kernkraftwerke inmitten von teils grenznahen Reaktoren, betrachtete es als unzumutbar, eventuelle Verursacherstaaten für Hilfeleistungen zu bezahlen. Aus diesem Grund entschied sich Luxemburg zuletzt sogar dafür, diese Konvention nicht zu unterzeichnen.
Schließlich gelang es nicht, im Rahmen der zweiten Konvention eine Regelung für die Haftung bei Nuklearunfällen zu finden. Man war sich zwar einig über die Notwendigkeit einer internationalen Regelung, doch gab es zu viele Detailprobleme, um in der kurzen Zeit zu einer Lösung zu kommen. Die Haftung wurde daher ausgeklammert und auf eine spätere Expertentagung verwiesen.
Trotz der genannten Mängel wird man die beiden Konventionen als einen notwendigen Fortschritt werten können. Die Kompromißbildung gab deutliche Hinweise, daß die Teilnehmer der internationalen Kooperation große Wichtigkeit zumaßen.
IV, Das neue Sicherheitsprogramm
Als zweites wichtiges Gebiet der Aktivitäten nach Tschernobyl ist der „Betriebssicherheitskomplex“ zu bezeichnen, der aus den Komponenten Sicherheitsnormen (NUSS), Sicherheitsinspektionen (OSART), Inspektionen nach relevanten Vorfällen (ASSET) und dem Vorfallberichtssystem IRS besteht
NUSS enthält gegenwärtig fünf Regelpakete als Empfehlungen an die Mitgliedsländer der IAEO. Sie betreffen die folgenden Gebiete: Regierungsorganisation für die Regelung der Kernenergienutzung, Standortwahl, Reaktordesign, Betrieb und Qualitätsgarantien.
Eine der Folgen von Tschernobyl war der Vor. schlag, nicht zuletzt aus der Bundesrepublik, NUSS nicht nur grundlegend zu überprüfen und zu ergänzen, sondern es auch in ein System bindender internationaler minimaler Sicherheitsstandards zu erheben, die dann auch grundsätzlich für eine Nachprüfung zugänglich wären. Freilich zeigte sich schon früh, daß nicht alle Länder von dieser Idee begeistert waren. Frankreich hob sehr nachdrücklich die primäre Verantwortung der nationalen Regierung hervor. Aber auch in England befürchtete das Energieministerium, eine Übertragung von Kompetenzen in diesem Feld an die IAEO könnte das nationale Sicherheitssystem entwerten und eher zu einem öffentlichen Vertrauensverlust als zu einem -gewinn führen. Und selbst die Sowjetunion, die so nachdrücklich ein „internationales Sicherheitssystem“ gefordert hatte, wies auf die Vielfalt der Reaktorkonstruktionen hin und folgerte, die Verantwortung bliebe besser in der Kompetenz nationaler Stellen. So verwundert es nicht, daß auf der Expertentagung im November keine Einigung über Standards zu erzielen war; man sprach sich für eine Erweiterung solcher Standards aus, insbesondere sollten neue Normen für das Training der Reaktorbedienungsmannschaften entwickelt werden. Am freiwilligen Charakter der Normen warjedoch nicht zu rütteln. Das Thema soll im Jahr 1987 weiterverfolgt werden; es scheint fraglich, ob die grundsätzliehen Positionen sich ändern werden. In jedem Fall bedeutet dies sehr harte Verhandlungen.
Dasselbe gilt für die Sicherheitsinspektionen (OSART) die keinesfalls mit den Inspektionen im Rahmen der Sicherungsmaßnahmen gegen die Abzweigung von Kernmaterial (safeguards) verwechselt werden dürfen. OSART besteht aus einer Gruppe von zehn bis 15 Experten aus verschiedenen Ländern, die praktische Erfahrung im Reaktorbetrieb besitzen, sowie Experten aus der IAEO. Man hofft, mit der Kombination internationaler Expertise unter Umständen Sicherheitsgesichtspunkte anzuwenden und Erkenntnisse zu gewinnen, die der zwangsläufig national und routinemäßig verengten Perspektive des einheimischen Inspektorats entgehen. OSART-Missionen dauern zwei bis drei Wochen; sie umfassen eine Prüfung der folgenden Gesichtspunkte: 1. Management, Organisation und Verwaltung; 2. Ausbildung und Qualifikation des Personals; 3. Normalbetrieb der Anlage; 4. Technische Infrastruktur; 5. Instandhaltung; 6. Strahlenschutz; 7. allgemeine Infrastruktur; 8. Störfallplanung und -bereitschaft.
OSART prüft die vorhandenen schriftlichen Unterlagen zu diesen Fragen, führt Gespräche mit Leitung und Personal der Anlage und beobachtet den Betrieb. Berichte gehen an die Leitung der Anlage, den Betreiber, die zuständigen Regierungsstellen und an die IAEO; die Weitergabe der Berichte hängt von der Zustimmung des Gastlandes ab. Aus dieser Beschreibung geht deutlich hervor, daß OSART nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung nationaler Sicherheitsmaßnahmen konzipiert ist. Weder beinhaltet es die notwendige grundlegende und vollständige Überprüfung, wie sie anläßlich von Genehmigungsverfahren zu vollziehen ist, noch läuft es auf eine ständige technische Überwachung des Reaktors hinaus; OSART versucht vielmehr mögliche Lücken in diesen Maßnahmen zu füllen. OSART wurde erstmalig 1983 durchgeführt; 1986 gab es insgesamt sechs Missionen, darunter eine in dem deutschen Reaktor Biblis A; bis 1988 soll das Jahresaufkommen auf 15 bis 18 ausgeweitet werden. ASSET ist ein neuer Inspektionstyp, der sich mit sicherheitsrelevanten Vorfällen befaßt. Auf Einladung einer Regierung untersucht ein Team von sechs Experten Vorfallablauf und -Ursachen. ASSET identifiziert die Schwachstellen einer Anlage, des Betriebs, insbesondere der Mensch-Maschine-Interaktion und macht Vorschläge zur Verbesserung. Bislang hat nur eine ASSET-Inspektion stattgefunden, und zwar im Herbst 1986 in Jugoslawien. Die breite Anwendung des ASSET-Konzepts in Verbindung mit dem Unfall-Berichts-system könnte sich als wichtig zur Entwicklung vorbeugender Maßnahmen und zur Ausmerzung bestehender Mängel in Kernreaktoren erweisen. Es ist zu bemerken, daß auch ASSET nur auf freiwilliger Basis beruht; es besteht also keine Verpflichtung bei Störfällen von irgendeiner Signifikanz-schwelle aufwärts, ASSET-Teams an die Anlage heranzulassen oder nachher ihren Empfehlungen zu folgen.
Das Incident Reporting System (IRS) zielt auf die Errichtung einer Datenbank und auf vergleichende Störfallanalyse. Die von der Kernindustrie immer wieder hervorgehobene magische Zahl von über 4 000 Betriebsjahren Erfahrung nützt natürlich überhaupt nichts, wenn die Erfahrung nicht gesammelt, geteilt und systematisch verglichen wird. IRS ist ein Schritt in diese Richtung. 15 von 26 Mitgliedstaaten mit Leistungsreaktorbetrieb nehmen direkt an IRS teil; sieben weitere partizipieren über die Nuclear Energy Agency der OECD. Zwei, Japan und die Schweiz, beteiligten sich an den Treffen von IRS, haben sich aber noch nicht zu einer regulären Beteiligung entschlossen. Die Volksrepublik China und Südafrika stehen ebenso wie der Nichtmitgliedstaat Taiwan (noch) abseits. IRS enthielt zum Jahresende 1986 247 Störfallberichte. Freilich muß sich IRS auf die sporadische, freiwillige und oft unvollständige Anlieferung von Informationen verlassen. Insbesondere schwankte die Qualität und Daten-fülle der eingegangenen Berichte erheblich; dies erschwert das Ziehen allgemeiner Lehren, was aufgrund der vielen verschiedenen Reaktortypen ohnedies nicht einfach ist. Dennoch konnte ein Überprüfungstreffen von IRS im Herbst 1986 interessante Schlußfolgerungen ziehen (etwa daß Betriebs-und Instandhaltungsfehler mit zusammen 28 % die wichtigste Störfallursache darstellen, was auf die überragende Bedeutung der Mensch-Maschine-Interaktion hinweist). Nach Tschernobyl bestand Einigkeit darüber, daß IRS erweitert, vertieft und verstärkt werden müsse. Die Konturen dieser Veränderungen sind noch nicht klar. Es ist auch deutlich, daß der Status der Freiwilligkeit nicht verändert wird
V. Bewertung
1. Unter dem Gesichtspunkt:
Sicherheit der Kernenergie Haben nun die vielfältigen internationalen Aktivitäten nach dem Unfall von Tschernobyl die Kernenergie sicherer gemacht? Die Antwort auf diese Frage hängt ganz davon ab, welchen Standpunkt man einnimmt.
Grundsätzlich lassen sich bei der Betrachtung der Kernenergie zwei Typen von Risiko unterscheiden: Da ist zunächst das sogenannte Restrisiko. Es umfaßt extrem unwahrscheinliche oder unvorhergesehene Unfälle mit erheblichen Folgewirkungen. In dieser Hinsicht hat die Periode nach Tschernobyl nur geringe Veränderungen gebracht; falls „inhärent sichere Reaktoren“ wirklich möglich sind, wird sich das Restrisiko vielleicht in 20 Jahren verringern, in dem Maße nämlich, in dem diese Reaktoren die heutige Kraftwerksgeneration ersetzen. Das heißt: wer wegen dieses Restrisikos grundsätzlich gegen die Kernenergie ist, weil er die Gefahren für zu groß hält, wird die hier geschilderten Aktivitäten für unerheblich halten und keine befriedigende Verringerung der Risiken erkennen Man wird aber andererseits damit zu rechnen haben, daß die Kernenergie weiter genutzt und Kernforschung weiter betrieben wird. Zur Illustration: Kernenergie erzeugt gegenwärtig 15 % der Weltstromerzeugung; Ende 1985 gab es 374 Kernkraftwerke in 26 Ländern; 157 weitere waren im Bau, davon einige in sieben zusätzlichen Ländern; dazu kommen 355 Forschungsreaktoren in 55 Ländern und selbst wenn eine deutsche Regierung den Ausstieg beschließt, wird es eine gute Weile dauern, bis es zum Ausstieg kommt; daher wird neben dem Restrisiko auch der zweite Gefahrentyp mit uns sein, den es entscheidend zu verringern gilt und den ich als „Überschußrisiko“ bezeichnen möchte. Dieses Risiko ergibt sich aus — unterschiedlichen Sicherheitsnormen und nationalen Prüfmaßnahmen der’Betriebssicherheit, — menschlichen Fehlern und Irrtümern bei der Bedienung der Anlagen, — Reaktorbauarten, die solche Fehler verschlimmern, statt ihnen entgegenzuwirken, sowie — unzureichende Informationen und Vorkehrungen, um bei Unfällen den Schaden zu begrenzen. Die genannten internationalen Maßnahmen, z. B. Erweiterung und (eventuell) Verbindlichkeit von Sicherheitsnormen, regelmäßige Sicherheitsinspektionen, Regeln für das Verhältnis Mensch-Maschine, Normen für das Verhalten bei nichtnormalem Betriebsablauf und die beiden Konventionen, stellen keinen Durchbruch zur absoluten Sicherheit dar. Sie sind jedoch ein gewisser Schritt in die richtige Richtung.
Was am gesamten safety-Programm der IAEO sofort ins Auge sticht, ist der Modus der Freiwilligkeit, der alle einzelnen Teile bestimmt. Sehr deutlich wird die Schranke, die die internationale Kooperation hier an der nationalen Souveränität der Mitgliedsländer findet. Daß eine verstärkte und wirksamere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Anlagensicherheit vonnöten ist, steht außer Zweifel. Aber die meisten Regierungen sind nicht ohne weiteres bereit, Eingriffe in ihre nationalen Prärogativen zuzulassen. Insofern bleibt der Stand dieser Zusammenarbeit deutlich zurück hinter dem in der Nichtverbreitungspolitik bereits Erreichten: der bindenden Anwendung von nuklearen Sicherungsmaßnahmen.
Es wird zwar mit Recht darauf hingewiesen, daß die „Sicherheitsphilosophien“ der verschiedenen Kernenergie betreibenden Länder sich beträchtlich voneinander unterscheiden; sie sind nicht über einen Kamm zu scheren, ohne daß damit zwangsläufig zu entscheiden wäre, daß ein bestimmter Ansatz einem anderen zwangsläufig überlegen sei. Diese Feststellung spricht jedoch keineswegs dagegen, die Sicherheitsvorkehrungen regelmäßig einer Prüfung durch ein internationales Expertengremium zu unterwerfen, das Vergleichsmöglichkeiten außerhalb der „Sicherheitsphilosophie“ des jeweilig betroffenen Landes hat. Eine solche regelmäßige Überprüfung hätte den unschätzbaren Vorteil, daß die Prüfer — ohne der Kernenergie irgendwie negativ gegenüberzustehen — dem zwangsläufig engen nationalen Zusammenhang von Anlagenbetreiber, Genehmigungs-und Kontrollbehörden im nationalen Rahmen fernstehen. Es bestünde damit weder eine interessenmäßig bedingte Motivation, getroffene Sicherheitsvorkehrungen in einem rosigen Licht zu sehen, noch wäre die Gefahr gegeben, daß eine eingeschliffene nationale Sichtweise oder eine bestimmte Prüfroutine dazu führt, daß wichtige Aspekte übersehen werden. Die verbindliche internationale Sicherheitsprüfung kann daher eine höchst sinnvolle Ergänzung — wenn auch freilich kein Ersatz — für nationale Maßnahmen darstellen. Daß es nicht möglich war, Einrichtungen wie OSART oder ASSET als verbindlich festzuschreiben, zeigt, daß die Tschernobyl-Lektion noch nicht vollständig gelernt worden ist.
Die gleiche Folgerung muß hinsichtlich von Sicherheitsnormen gezogen werden. Der Hinweis von Staaten mit vergleichsweise hohen Sicherheitsstandards, solche Normen könnten dem Niveau der eigenen Vorkehrungen nicht gerecht werden, ist kein gutes Argument gegen Mindestnormen: niemand würde ja daran gehindert, wie bisher über diese Normen hinauszugehen und strengere Maßstäbe anzulegen. Jedoch wäre gewährleistet, daß die gesamte internationale Gemeinschaft sich an einen gewissen Standard hielte — angesichts der drastischen Fehler der Reaktorcrew in Tschernobyl wäre das bereits ein sicherheitsrelevanter Fortschritt. Entscheidend ist aber auch hier die Prüfung der Einhaltung solcher Normen. Abgesehen von dem praktischen Lernerfolg, den Betreiber und Behörden aus solchen Prüfungen ziehen könnten, übt die Möglichkeit einer internationalen Mängelrüge auch einen heilsamen Druck auf die Verantwortlichen aus, Sicherheitsvorkehrungen dauerhaft ernst zu nehmen; wiederholte Prüfungen wären ein probates Mittel dagegen, daß Routine die notwendige Wachsamkeit erlahmen läßt.
Der Mangel an Verbindlichkeit bleibt die Achillesferse der internationalen Zusammenarbeit. Ihr steht das Insistieren wichtiger Staaten — etwa Frankreichs, aber auch der UdSSR — auf ihre nationale Souveränität im Wege. Aber auch in anderen Ländern besteht die Furcht, sich mit internationalen Sicherheitsinspektoren ein weiteres Hindernis für den Ausbau und den Betrieb der Kernenergie ins Land zu holen. Diese Attitüde des „wir lassen uns nicht hereinreden“ wird von der Kernindustrie selbst teilweise unterstützt; gerade in Frankreich ist die Furcht groß, auf dem Wege über wachsende internationale Kompetenzen den bisher hindemisfreien Ablauf energiepolitischer Entscheidungen zu verwirren und womöglich „deutsche Zustände“ zu schaffen (ähnliches gilt im übrigen auch für Belgien).
Das Pochen auf absolute „nationale Souveränität“ wirkt anachronistisch im Falle der Kernenergie: Radiologische Folgen von Unfällen respektieren nun einmal keine Grenzen. Es muß unbefriedigend bleiben, wenn Frankreich sich weigert, bei grenznahen Anlagen seinen Nachbarn eine Mitsprache bei den sicherheitstechnischen Vorkehrungen einzuB räumen; es ist gleich unbefriedigend für Österreich, wenn die Bundesrepublik das gleiche Verhalten im Falle Wackersdorf an den Tag legt. Es ist gleichfalls beunruhigend für die Niederlande, wenn Belgien grenznahe Kernanlagen während eines Streiks mit minimaler Besetzung fährt, anstatt sie sicherheitshalber abzuschalten. Das Ansteigen der Radioaktivität in der Mosel nach einem Störfall in Cattenom und das immer noch ungeklärte Ansteigen der Meßwerte radioaktiver Strahlung im Frühjahr 1987 zeigen an, daß immer noch Defizite der Zusammenarbeit vorhanden sind.
Damit sollen die Fortschritte des letzten Jahres nicht geschmälert werden. In vielen dieser Fragen lassen sich nicht von heute auf morgen Entscheidungen treffen, und fraglos nimmt die kemtechnische Sicherheit heute in den Erwägungen der Mitgliedsländer der IAEO einen deutlich höheren Rang ein als vor dem 26. April 1986. Jedoch entbehrt es nicht einer ironischen Note, daß es möglich war, in kürzester Zeit durch den Abschluß der beiden Konventionen verbindliche Verpflichtungen herzustellen, was das Verhalten nach Unfällen in kemtechnischen Anlagen angeht; was die Vorkehrungen gegen solche Unfälle angeht, war eine solche Verbindlichkeit bislang nicht zu erreichen. Die internationale Zusammenarbeit wird vor allem daran zu messen sein, ob es ihr gelingt, diese Verbindlichkeit herzustellen. 2. Friedenspolitische Bewertung Die grundsätzlichste Folge des Unfalls, die sich vor allem zeigte, nachdem sich der erste Ärger über die verfehlte sowjetische Informationspolitik nach dem Unfall gelegt hatte, muß in dem gesteigerten Bewußtsein der Weltöffentlichkeit für die gemeinsame Gefahr und den Zwang, ihr durch Zusammenarbeit zu begegnen, gesehen werden. Abgesehen davon könnten die Ereignisse nachhaltige Wirkung auf das sogenannte Nonproliferationsregime, die Weltnuklearordnung, zeitigen, die einer Weiterverbreitung von Kernwaffen entgegensteht und damit ein wichtiger Bestandteil einer internationalen Friedensordnung ist.
Haben die Ereignisse nach Tschernobyl Auswirkungen auf die internationale Nichtverbreitungsordnung? Auf den ersten Blick mag die Frage unsinnig erscheinen. Was hat kerntechnische Sicherheit mit dem Erwerb von Kernwaffen und seiner Verhinderung zu tun? Eine genauere Analyse vermag jedoch eine Reihe indirekter möglicher Folgen zu skizzieren.
Nichtverbreitungspolitik hat zwei große Bereiche: die direkte Einwirkung auf die Proliferations-kandidaten und ihr sicherheitspolitisches Umfeld; es ist klar, daß die Aktivitäten des Jahres 1986 hier keine Auswirkungen hatten. Es ist der zweite Bereich, der Bau der „Weltnuklearordnung“ oder des „Nonproliferationsregimes“ wo Änderungen abzusehen sind. Dieser Bereich läßt sich wieder in drei Unteraspekte aufgliedem:
1. Der Kernbereich des Regimes mit seinen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, Normen, Prinzipien und Institutionen.
2. Die Regeln und Abkommen der Exporteure; die Sicherungsmaßnahmen.
3. Die atmosphärischen Randbereiche des Regimes, insbesondere die Rüstungskontrolle, die einen unbezweifelbaren Einfluß auf seine Stabilität ausüben. Hinsichtlich des ersten Teilbereichs ist der wesentliche Fortschritt die erstmalige Einbeziehung des militärischen Brennstoffkreislaufs und (wenn auch in wenig verbindlicher Form) von Kernwaffen. Einer der Schwachpunkte des Regimes ist die ungleiche Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen Kernwaffen-und Nichtkernwaffenstaaten. Diese Diskriminierung ist die Ursache fortgesetzter Spannungen und stellt eine der echten Bedrohungen des Regimes dar Die erste Konvention hat hier einen Einbruch erzielt. Zum erstenmal bezieht ein Abkommen Kernwaffen, Tests und militärische Anlagen in eine internationale Regelung mit ein, und zum erstenmal nehmen alle fünf Kernwaffenstaaten an einer derartigen Regelung teil.
Die Tatsache, daß diejenigen Staaten, die als heftigste Kritiker der Diskriminierung auftreten, der Konvention — wenn auch nicht kritiklos — beigetreten sind, ist ein gutes Zeichen. Freilich sollte nicht unerwähnt bleiben, daß Indien festhielt, daß damit unilaterale Deklarationen aufgewertet werden. Indien sieht hierin eine Bestätigung seiner Position, daß einseitige Erklärungen über den friedlichen Charakter eines Kemenergieprogramms internationalen Verpflichtungen und Sicherungsmaßnahmen gleichzustellen seien.
Der zweite Einfluß auf das Regime ist die unverkennbare Stärkung der IAEO, die das organisatorische Rückgrat der gesamten Ordnung darstellt. Das Profil der Organisation hat sich durch die entschlossene und mehr oder weniger erfolgreiche Initiative nach Tschernobyl deutlich gefestigt. DieIAEO wurde Depositarmacht für die beiden Konventionen. Sie erhielt den ungewöhnlichen Besuch von mehreren Außenministern. Und schließlich hat die Sowjetunion erkannt, wie nützlich die Organisation ist. Ein außergewöhnliches politisches Signal war es, daß sich der Ostblock während der Generalversammlung der Stimme enthielt, als Syrien und andere arabische Staaten eine antiisraelische Entschließung einbrachten. Diese Art politischer Konflikte ist die gefährlichste Bedrohung für die Organisation, und traditionell hat die Sowjetunion arabische Initiativen unterstützt, um politische Geländegewinne zu erzielen. Die Änderung der Politik ist ein offensichtlicher Ausdruck der sowjetischen Wertschätzung für die IAEO.
Die Exportpolitik der nuklearen Lieferländer dürfte ebenfalls nicht unbeeinflußt bleiben. In den letzten Jahren war zu beobachten, daß sich sogar die „liberalsten“ Länder, vor allem Frankreich und die Bundesrepublik, auf eine Politik der „de facto full scope safeguards“ zubewegten. Damit wird eine Politik bezeichnet, die zu Nuklearexporten nur dann bereit ist, wenn das Empfängerland auf allen kemtechnischen Aktivitäten Sicherheitskontrollen der IAEO duldet, die aber diese Bedingung nicht in Form von Gesetzgebung oder einseitiger Erklärung veröffentlicht. Die vergeblichen starken Versuche Pakistans, Angebote für einen zweiten Leistungsreaktor einzuholen, sind hierfür deutliche Beweise. Die gesteigerte Aufmerksamkeit für die kemtechnische Sicherheit ist ein zusätzlicher Gesichtspunkt bei der Erwägung von Exporten. Ist das Empfängerland in der Lage, diese Sicherheit zu gewährleisten? Natürlich ist es in der Praxis schwierig, solche Bedenken offen zu formulieren; die Empfindlichkeiten der Länder der Dritten Welt für derartige vermeintliche Arroganz ist groß.
Nach Tschernobyl ist es jedoch schwer, sich vorzustellen, daß die gegenwärtige Politik, den Export sensitiver Anlagen generell zu verweigern, in absehbarer Zeit durchbrochen werden könnte. Auch auf der Empfängerseite ist nicht auszuschließen, daß vergleichbare Überlegungen angestellt werden. Zwar hat Pakistan im Gouvemeursrat und in der Generalversammlung darauf hingewiesen, daß Tschernobyl nicht Anlaß bieten dürfe, den nuklearen Transfer in Entwicklungsländer weiter einzuschränken. Jedoch fand diese Aussage erstaunlich wenig Widerhall bei anderen Mitgliedern der Gruppe 77. Die Erfahrungen von Tschernobyl werden sicher dazu führen, daß die gegenwärtigen wirtschaftlichen Hindernisse bei der Einführung der Kernenergie in der Dritten Welt eine Verstärkung aus sicherheitstechnischen Gründen erhalten.
Eine Komplikation könnte sich aus der Forderung Pakistans und Indiens ergeben, die nuklearen Lieferländer sollten Sicherheitstechnologie auf dem neuesten Stand unverzüglich und zu günstigen Bedingungen den Empfängerländem der Dritten Welt zugänglich machen; dies schließe die Nachrüstung bestehender Anlagen mit ein. So vernünftig diese Forderung unter sicherheitstechnischem Aspekt auch ist, so droht sie auf der anderen Seite die ohnedies prekäre und stets von außenwirtschaftlichen Motiven bedrohte Zurückhaltung der Lieferländer in Sachen „Schwellenstaaten“ zu unterlaufen. Zu den zahlreichen Dilemmata der nuklearen Exportpolitik scheint sich hier ein neues hinzuzugesellen. Im Bereich der Sicherungsmaßnahmen werden die Ergebnisse hinter den Erwartungen Zurückbleiben, daß das kerntechnische Sicherheitsprogramm merkliche Auswirkungen auf die Fähigkeit der IAEO haben könne, die Abzweigung kerntechnischen Materials für militärische Zwecke frühzeitig zu entdecken. Man hätte vielleicht erwarten können, daß die Idee internationaler technischer Sicherheitsnormen und entsprechender Inspektionen zu einer erhöhten Barriere für die Abzweigung von Material für militärische Zwecke führen könnte. Aus mehreren Gründen ist diese Erwartung übertrieben. Zum einen ist deutlich geworden, daß bindende Normen und Inspektionen sehr unwahrscheinlich sind. Die Staaten, und zwar vor allem solche mit ausgeprägten Kernenergieprogrammen, stemmen sich gegen die Übertragung der nationalen Verantwortung (die Bundesrepublik bildet hierbei eine gewisse Ausnahme). Zum anderen wird die IAEO selbst peinlich bemüht sein, eine deutliche Scheidung zwischen den „safeguards“ und technischen Sicherheitsinspektionen aufrechtzuerhalten. Es ist voraussagbar, daß OSART-und ASSET-Besuche von den Staaten nur akzeptiert werden, wenn diese Scheidung gemacht wird. Inspektoren auf OSART-und ASSET-Missionen werden vermutlich gar nicht berechtigt sein, etwaige militärisch relevante Beobachtungen weiterzugeben. Das gilt auch für das Sekretariat der IAEO. Drittens werden diese Inspektionen auf freiwilliger Basis akzeptiert. Welcher Staat holt sich schon „Spione“ ins Haus, wenn er „unsittliche“ Absichten hat? Viertens ist gegenwärtig nicht zu erkennen, ob OSART-und ASSET-Missionen wirklich in der Lage sein würden, Erkenntnisse außerhalb ihrer eigentlichen Aufgabenstellungen zu gewinnen.
Auf der anderen Seite läßt sich immerhin feststellen, daß der vertrauensbildende Charakter des Nonproliferationsregimes einen marginalen Zuge-B winn erhalten könnte, wenn OSART und ASSET in großer Häufigkeit stattfänden. Gerade weil Länder mit sinistren Absichten kaum bereit sein werden, solche Missionen ins Land zu rufen, wird man OSART und ASSET als einen zusätzlichen Nachweis werten können, daß ein Kemforschungs-oder Kernenergieprogramm rein friedlichen Absichten folgt. Schließlich könnten diese Inspektionen auch marginale Auswirkungen auf das Diskriminierungsproblem haben. Wenn Tschernobyl zu einer größeren Transparenz und Offenheit in den Kernwaffen-staaten führt, das heißt zu einer weiteren Öffnung ihrer zivilen Aktivitäten, wird das dem Regime sicher gut tun.
Zuletzt ist die Wirkung der Tschernobyl-Ereignisse auf die Randbedingungen der Weiterverbreitung einzuschätzen. Das sind vor allem Rüstungskontrolle — die „Gegenleistung“ der Kernwaffenstaaten für den Verzicht der „Habenichtse“ — und die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, die eine ganz wesentliche Stabilitätsbedingung des Regimes darstellen. Damit wird der Bogen zurück zu allgemeineren Fragen der Friedenspolitik geschlagen.
Von entscheidender Wichtigkeit ist die Frage, inwieweit das amerikanisch-sowjetische Interesse an der Nichtverbreitung dazu führt, diesen Aspekt ihrer Beziehungen von den Schwankungen des gesamten Ost-West-Konflikts zu isolieren. Eine solche Isolation war in den vergangenen Jahren gegeben, schwebte aber stets in Gefahr Tschernobyl hat dazu geführt, daß diese Isolation leichter geworden ist. Die Amerikaner haben während des Sommers 1986 ihre Polemik gegen die-anfängliche sowjetische Heimlichtuerei eingestellt und statt dessen freimütig die sowjetische Offenheit gelobt. Das amerikanisch-sowjetische Kernenergieabkommen, das seit 1980 geruht hatte, ist im Sommer 1986 reaktiviert worden und hat einen neuen Schwerpunkt im Bereich Betriebssicherheit erhalten. All das spricht dafür, daß die Erkenntnis zugenommen hat, daß die Gefahren der Kernenergie eine universale Bedrohung darstellen, die gemeinsame Anstrengungen über bestehende Konfliktlinien hinweg erfordern.
Von großer Bedeutung für die Zukunft der Rüstungskontrolle könnte die mehrfach erwähnte Offenheit sein, mit der die Sowjetunion nach anfänglichem Schweigen den Unfall, seine Ursachen, seine Auswirkungen und die sowjetischen Gegenmaßnahmen behandelt hat. Was den anfäng-liehen Informationsmangel angeht, so ist zunächst die traurige Tatsache festzuhalten, daß diese Praxis bei Unfällen in kerntechnischen Anlagen leider keine sowjetische Erfindung ist, sondern eine reiche Vorgeschichte auch in westlichen Ländern hat Es scheint auch, daß die Zurückhaltung wichtiger Informationen in der ersten Woche nach dem Unfall eine länger zurückgehende Kontroverse in der sowjetischen Führungsspitze widerspiegelt, in der sich Gorbatschow, der größere Offenheit für notwendig hält, mit dem Widerstand sowjetischer Traditionalisten auseinanderzusetzen hat, die an einer strikten Kontrolle und Begrenzung öffentlicher Information festhalten wollen
Wenn die Ereignisse nach dem Mai 1986 einen längerfristigen und tiefergehenden Trend reflektieren, so hat die Gorbatschow zugeschriebene Position ganz offensichtlich Fortschritte gemacht. Die im Westen durchaus unerwartete, außergewöhnliche Offenheit und Bereitschaft zur Selbstkritik, mit der die Sowjets auf der Expertentagung zur Unfallanalyse im August 1986 die Ereignisse in Tschernobyl behandelt haben, brachten die bisweilen hämischen Vorwürfe zum Schweigen und provozierten erstaunte Anerkennung und Lob sogar auf Seiten der Gegner der Sowjets. Das soll nicht heißen, daß alle erwünschten Informationen auch wirklich gegeben wurden; die Zusammensetzung der Brennelemente zur Unfallzeit beispielsweise wurde nicht völlig befriedigend aufgeklärt. Gemessen an bisherigen sowjetischen Maßstäben ist der Fortschritt jedoch unverkennbar. Ein Indiz dafür, daß die neue Offenheit ernst genommen wird, war die Unterrichtung der IAEO über den Unfall eines sowjetischen nuklearstrategischen Unterseebootes Anfang Oktober 1986 durch die sowjetische Regierung Der neue sowjetische Stil läßt Hoffnungen keimen, daß eines der schwierigsten Hemmnisse der Rüstungskontrolle, die Verifikation, in Zukunft leichter zu lösen sein wird als bisher. Die sowjetischen Verhandlungspositionen in den verschiedenen Rüstungskontrollfora haben bereits erkennen lassen, daß eine gewisse Auflockerung der früheren ablehnenden Haltung in Verifikationsfragen eingetreten ist. Tschernobyl könnte dazu führen, daß sich diese Öffnung beschleunigt. Da Fortschritte in der Rüstungskontrolle für die Robustheit des Regimes dringend notwendig sind, wäre eine solche Entwicklung heilsam. Die Beziehungen zwischen den Anstrengungen, die nukleare Betriebssicherheit zu erhöhen, und der Nichtverbreitungspolitik sind nicht stark und sie sind indirekt; sie sind aber vorhanden und sind vielfältig. Gegenwärtig sind sie noch undeutlich, man darf sie keinesfalls überschätzen. Es ist auch denkbar, daß sie nicht zur Entfaltung kommen. Sie bieten jedoch eine Chance, daß sich aus dem schrecklichen Unfall in der Ukraine wenigstens begrenzte positive Folgewirkungen ergeben können.