Entnazifizierung und Wiedergutmachungsleistungen
Die facettenreichen und im Detail komplizierten Themenbereiche der Entnazifizierung und der Wiedergutmachungsleistungen berühren unter dem Aspekt des Umgangs der Nachkriegsgesellschaft mit den Trägern des Nationalsozialismus und mit seinen Opfern Grundfragen des deutschen Selbstverständnisses nach 1945. Unter diesem Gesichtspunkt soll im folgenden ein vergleichender Über-blick über Entwicklungen und Ergebnisse für die Bundesrepublik, die DDR und Österreich gegeben werden. Österreich wird erstaunlicherweise außerordentlich selten zu einem Vergleich mit der Bundesrepublik herangezogen, obgleich es aufgrund seiner Geschichte bis 1945 für viele Probleme der Nachkriegsentwicklung, darunter auch den hier angesprochenen, den Erfahrungen und Entscheidungen der Bundesrepublik sehr nahe steht.
Im April 1945 definierte Österreich sich als „befreites“ Land, das das erste Opfer deutscher Annektionspolitik geworden sei, und stellte sich damit den im Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzten Ländern gleich. Diese These konnte sich auf die Moskauer Deklaration der Alliierten vom 30. Oktober 1943 berufen, die von der Annexion Österreichs und der Wiederherstellung seiner Unabhängigkeit sprach, damit aber primär zwei politische Ziele der Alliierten abdeckte: die Hoffnung, nach dem Abfall Italiens auch Österreich vom Deutschen Reich abziehen zu können, und den Wunsch Moskaus, Österreich als einen von Deutschland wie von einer Donauföderation unabhängigen Staat neu zu begründen -Trotz der These vom besetzten und befreiten Land, die nach dem Zusammenbruch des Hitlerreichs von Öster-Der Beitrag ist entstanden aus der Mitarbeit an einem von Prof. Dr. K. D. Erdmann, Kiel, geleiteten und von der Stiftung Volkswagenwerk sowie vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft geförderten Projekt zu einer vergleichenden Darstellung der Nachkriegsentwicklung in der Bundesrepublik, der DDR und Österreich. reich zu einem Fundament des Neuanfangs gemacht wurde, war seine Lage durchaus anders als die der übrigen befreiten Länder, weil es in einem anderen Verhältnis zum Nationalsozialismus und zum Deutschen Reich stand: Österreich hatte im März 1938 zwar unter deutschen Waffen, aber auch unter jubelndem Beifall den seit 1918 gewünschten Anschluß an das Deutsche Reich vollzogen und ihn in einer Volksabstimmung mit 99, 3 % der Stimmen gutgeheißen Der Antisemitismus, der über eine lange Tradition in Österreich verfügte, entlud sich nach dem Anschluß in pogromartigen Ausschreitungen in Wien, das hinsichtlich der Zahl von jüdischen Einwohnern unter den europäischen Hauptstädten an dritter Stelle stand. Unter Beteiligung zahlreicher Österreicher wurden die österreichischen Juden ihrer Rechte, ihrer beruflichen Stellungen und ihres Vermögens beraubt An der Vertreibung und Vernichtung der Juden waren Deutsche wie Österreicher beteiligt. In Wien wurde durch den Österreicher Eichmann der Apparat aufgebaut, der zunächst die Vertreibung, dann von Berlin aus die Deportation und Ermordung der Juden lenkte.
Die nationalsozialistische Bewegung hatte sich in Österreich aus eigenen Traditionen entwickelt, aus denen auch Hitler stammte. Ihr Aufstieg vollzog sich parallel zum Deutschen Reich, Anhängerschaft und Mitglieder verteilten sich ähnlich Seit 1932 erzielte die Partei wachsende Wahlerfolge, deretwegen 1934 alle weiteren Wahlen verboten wurden. Nach Schätzungen wären ihr damals durchschnittlich 30% der Stimmen zugefallen. Trotz Verbot und Repression, mit denen der Ständestaat Herr der Lage zu bleiben versuchte, und trotz der Entwicklung zu Terror und Unrecht im Deutschen Reich unter Hitler konnte die NSDAP ihre Mitglie-der in Österreich von 1934 bis Februar 1938 mehr als verdoppeln (von 67 000 auf 147 000). Nach dem Anschluß setzte, ähnlich wie nach der Wahl im März 1933 im Deutschen Reich, ein Ansturm auf die Parteimitgliedschaft ein, aus ähnlichen Motiven und mit ähnlichen Schwerpunkten im Hinblick auf einzelne Berufsgruppen. Die Zahl der NSDAP-Mitglieder in Österreich (ohne die angeschlossenen Organisationen) bei Kriegsende wird auf 700 000 geschätzt. Einschließlich ihrer nächsten Familienangehörigen belief sich ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in etwa wie in Deutschland auf 25 % Die Einstellung der österreichischen Bevölkerung zum Nationalsozialismus ist bisher kaum untersucht worden. Die wenigen Arbeiten, die sich dieser Frage zuwenden, vermitteln ein ähnliches Bild, wie es die Forschung für die deutsche Bevölkerung herausgearbeitet hat: neben voller oder teilweiser Zustimmung, Anpassung und Uni-formiertheit, Ablehnung und Widerstand, bei zunehmender Abwendung vom Nationalsozialismus gegen Kriegsende, verbunden in Österreich mit der Abkehr vom Gedanken des Anschlusses an Deutschland
Ein weiterer entscheidender Faktor war in Deutschland wie in Östeneich nach 1945, daß Säuberung und Bestrafung nicht der eigenen Entscheidung überlassen waren, sondern in der Zuständigkeit der Sieger lagen, die auf Jahre in beiden Ländern die oberste Gewalt übernahmen. Schon vor Kriegsende hatten die Alliierten festgesetzt, daß und wie in den Grundzügen Strafe, Säuberung und Umerziehung erfolgen sollten. Zugleich wurde der Nachweis der Bereitschaft, Abkehr und Neubeginn in dem von den Siegern erwarteten Sinn zu vollziehen, zur Voraussetzung für die Wiedererlangung der Freiheit und für die Rückkehr in den Kreis der europäischen Nationen.
I. Dispositionen bei Kriegsende in Deutschland und Österreich
„Wenn dieser unter einem ungeheuren Druck stehende Kessel Deutschland im Dritten Reich einmal in die Luft geht, wird unter Umständen ein Blut-strom fließen, dem gegenüber die französische Revolution nur ein Kinderspiel gewesen ist.“ So beschrieb der Sozialdemokrat Fritz Erler, der selber lange inhaftiert war, die Erwartung politisch Verfolgter in den Konzentrationslagern Tatsächlich kam es nach Kriegsende weder in Deutschland noch in Österreich zu spontaner Selbstjustiz. Die Sieger hätten sie nicht zugelassen, es deuteten sich aber auch keine Ansätze dazu an. Die NS-Organisationen zerfielen wie von selbst. Die Bevölkerung verhielt sich politisch eher apathisch, absorbiert durch die Organisation des Überlebens inmitten von Not, betroffen von Kriegsverlusten und Vertreibung, der Zukunft gegenüber ratlos oder resigniert. Man erwartete und begrüßte das Gericht über die prominenten Nationalsozialisten. Viele stimmten im Prinzip auch der Ausschaltung der Träger und Förderer der NSDAP aus dem öffentlichen Leben zu. Berichte der Alliierten über die Einstellung der Bevölkerung nach Verbreitung der Kenntnis über die Verbrechen des Regimes unterstreichen, daß es bei aller Verurteilung des Geschehenen kein Empfinden für eine Mitschuld gebe. Meinungsumfragen zeigten einen relativ hohen Prozentsatz von Ja-Stimmen bei der Frage, ob der Nationalsozialismus eine gute, wenn auch schlecht durchgeführte Idee sei Bei der Mehrheit der Bevölkerung bestand offensichtlich wenig Bereitschaft, Sanktionen als gerechtfertigt hinzunehmen, die die Masse der „einfachen“ Parteimitglieder trafen. Welche Vorstellungen über die Frage, wie mit den NS-Mitgliedern zu verfahren sei, bestanden bei denjenigen, die nach Kriegsende das politische Leben neu aufbauten Aus den Konzepten, die in den Widerstandsgruppen um den Kreisauer Kreis und die Verschwörer des 20. Juli für die Neuordnung Deutschlands entwickelt wurden, heben sich folgende Punkte heraus: Säuberung und Strafe sollten in deutscher Verantwortung erfolgen, um überzeugend zu sein. Eine Personalsäuberung in der öffentlichen Verwaltung schien unerläßlich, sollte sich aber auf die oberen Ebenen beschränken und die tatsächliche Identifizierung mit dem NS-Staat oder strafrechtliches Verschulden zugrunde legen, nicht die formale Zugehörigkeit zur Partei. Nach der Pervertierung von Recht und Gesetz verlieh man der Wiederherstellung des Rechtsstaats und der formalen Rechtssicherheit als einer seiner wesentlichen Garantien Priorität. Maßnahmen für Sanktionen und Strafen sollten deshalb möglichst mit den Mitteln des Rechtsstaats durchgeführt werden. Im Gegensatz dazu verlangten viele Sozialdemokraten unter Zurückstellung des formalen rechtsstaatlichen Prinzips eine breite politische Säuberung mit der Tendenz des Elitenwechsels, verbunden mit wirtschaftlichen Strukturveränderungen Der Exilvorstand der SPD entwarf bis Kriegsende radikale, von Revolutionserwartungen mitgetragene Programme. Der Moskauer Exilvorstand der KPD äußerte sich im Interesse der angestrebten Einheitsfront mit allen antifaschistischen Gruppen zurückhaltender, zielte aber entsprechend seiner Faschismusinterpretation auf Enteignungen im Großgrundbesitz und in der Wirtschaft sowie auf einschneidende Säuberungen im öffentlichen Leben. Auffallend war hier die früh artikulierte Werbung um die „Irregeleiteten“, die „kleinen Pgs“.
Die Widerstandsbewegung in Österreich hat sich anscheinend mit Fragen dieser Art nicht befaßt. Die Maßnahmen, mit denen die Provisorische Regierung Renner ab Ende April 1945 Strafe und Säuberung einleitete, bewegten sich im Problemkreis von strenger Vergeltung (Ausnahmerecht als Grundlage für harte Strafe und politische Säuberung) und rechtsstaatlichen Bedenken gegen rückwirkende Strafen oder Verurteilungen ohne den Nachweis individueller Schuld Für die österreichischen Sozialdemokraten entwarf die Londoner Emigration ähnliche Konzepte wie der Exilvorstand der SPD Ihr Einfluß auf Österreich dürfte indessen gering geblieben sein. Die SPÖ rekonstituierte sich nach 1945 im wesentlichen ohne ihre emigrierten Mitglieder und damit ohne den größten Teil ihrer früheren austromarxistischen Führungskräfte. Anscheinend erwarteten nicht wenige Sozialdemokraten eine harte Abrechnung; konkrete Pläne sind aber nicht bekannt. Männer wie Schärf oder bald auch Renner, die nach dem April 1945 den Neuanfang bestimmten, tendierten eher zu vermittelnden Urteilen und rechtsstaatlich-liberalen Verfahrensweisen
Ein besonderes Problem stellte in Österreich der Ständestaat dar, dessen Bewertung in der österreichischen Literatur bis heute eher umgangen wird Er ist zumindest für einen Teil der ihn tragenden Organisationen und der ihn kennzeichnenden Merkmale als faschistisch einzustufen, so in bezug auf die Politisierung der Justiz, die Einrichtung von Konzentrationslagern oder die Heimweh-ren. Einerseits hatte der Ständestaat 1933 die Republik beseitigt und 1934 die Sozialdemokratie niedergeschlagen. Wie die ebenfalls in die Illegalität gedrängte NSDAP hatten vor allem die Sozialdemokraten seine repressive Seite erfahren. Andererseits war der Ständestaat seit 1933 der wichtigste Gegner des Nationalsozialismus in Österreich. Nach dem Anschluß traf die Vergeltung der Nationalsozialisten seine Anhänger mehr als die bereits entmachteten oder vertriebenen Sozialdemokraten.
Der Neuanfang der Republik im April 1945 wurde getragen von der SPÖ und der aus der christlich-sozialen Anhängerschaft des Ständestaats hervorgegangenen ÖVP. Während viele Anhänger der SPÖ — ähnlich wie die Emigration — die Einbeziehung des Austrofaschismus in die Säuberung erwarteten überwog bei ihren führenden Mitgliedern, die sich nach 1938 im Widerstand oder im KZ mit Anhängern des Ständestaats zur Vorberatung über die Neuordnung trafen, der Gedanke, daß der Kampf zwischen den Klassen und Lagern zum Untergang der Ersten Republik geführt habe und man jetzt Versöhnung und Toleranz anstreben müsse als Basis für eine neue demokratische Ordnung Der Austrofaschismus wurde schon zu Beginn des Neuanfangs von beiden Parteien „verdrängt“. Auf die noch jahrelang spürbare Empörung an der Basis der SPÖ über diesen Kompromiß und die damit verbundene Brüchigkeit der Grundlage bei der Verurteilung des „braunen“ Faschismus eingehend, erklärte Schärf 1946, selber ein früher Fürsprecher des Versöhnungsgedankens: „Als Gegner wurde nur erklärt, wer Nationalsozialist war, alle übrigen, Faschisten oder Nichtfaschisten, galten als „gute Österreicher 4. Aus jener Zeit hat der politische Aufbau der großen Struktur unseres Staates einen Geburtsfehler, an dem wir immer leiden werden.“
Die Konzepte der Sieger waren durch die USA und den moralischen Rigorismus ihrer Politik im Zweiten Weltkrieg geprägt Für die früh aufgeworfene Frage der Bestrafung der am Krieg und an den Massenverbrechen des Nationalsozialismus Schuldigen setzte sich der Grundsatz durch, die Haupt-verantwortlichen — darunter auch die Spitzen von Militär, Regierungsämtem und Wirtschaft — sowie die an den Verbrechen des Regimes unmittelbar Beteiligten vor Gericht zu stellen.
Die höheren nationalsozialistischen Funktionäre, die Mitglieder der als verbrecherisch eingestuften Organisationen (vor allem SS, SD, Gestapo) und, bei vager Definition, alle für die Politik der Besatzungsmächte als gefährlich betrachteten Personen sollten für eine nicht festgesetzte Zeit interniert werden (automatic arrest) und eine breite Personal-säuberung in den relevanten Bereichen des öffentlichen Lebens stattfinden.
Für diese „Denazification" war zunächst der Gedanke eines Elitenaustausches oder einer „artificial revolution“ zur Verankerung der Demokratie beherrschend. Nach den Worten eines amerikanischen Beteiligten war das Ziel „eine geplante Installierung der Demokratie, erstens durch die Eliminierung despotischer Eliten, zweitens durch Ermutigung und Unterstützung einer neuen Führungsschicht und schließlich durch verfassungsmäßige, gesetzliche und institutioneile Absicherungen einer neuen Ordnung“ In der Endphase des Krieges flossen in dieses Programm Aspekte kollektiver Strafe ein, wie sie vor allem Morgenthau vertrat. Im Ergebnis lag bei Kriegsende ein bürokratischschwerfälliges Programm mit umfassenden Entlassungsvorschriften in Staat und Wirtschaft vor, mit in sich widersprüchlichen Aspekten von pauschaler Strafe und Abstufungen (nur die „mehr als nominellen Nazis“ sollten getroffen werden) sowie völliger Unklarheit in der Frage, wer an die Stelle der Entlassenen treten sollte.
Für Österreich, das bei diesen Planungen Deutschland gleichgestellt war, sahen die Amerikaner ferner die Ausschaltung des Austrofaschismus vor. Diese wurde jedoch in der Praxis nicht realisiert, da sich sehr bald herausstellte, daß dann außer der sozialistischen Linken kaum unbelastete Kräfte übrig geblieben wären. Wirtschaftliche Veränderungen (Entmachtung der Großindustrie durch Entflechtung, Zerschlagung besonders des preußischen Großgrundbesitzes, für Österreich Beendigung des deutschen Einflusses auf die Wirtschaft), Entmilitarisierung und „re-education“ rundeten in der Potsdamer Erklärung das Programm für die Demokratisierung ab.
II. Die Entnazifizierung
Die Personalsäuberung — Gegenstand der „Denazification“ im engeren Sinn — richtete sich gegen diejenigen, die, ohne im strafrechtlichen Sinne schuldig zu sein, wegen ihrer Mitgliedschaft in NS-Organisationen oder aufgrund ihrer Unterstützung des Regimes zur Verantwortung gezogen werden sollten bzw. als nicht geeignet für den demokratischen Neubeginn erschienen. Sie betraf in erster Linie den öffentlichen Dienst, daneben den kulturellen Bereich und die Wirtschaft; diese jedoch wurde in Österreich und Westdeutschland trotz anderslautender Anfangserklärungen faktisch kaum betroffen, in der SBZ hingegen hart und systematisch. Der öffentliche Dienst hatte in Deutschland und Österreich die Politik Hitlers mit-ermöglicht und getragen. Mit regional und nach Ämtern oder Berufszweigen unterschiedlicher Häufigkeit waren seine Mitglieder der NSDAP oder ihren Gliederungen beigetreten, sei es aus partieller oder ungeteilter Überzeugung, sei es aus opportunistischer oder durch Druck von oben erzeugter Anpassung. Die Prozentzahlen schwanken zwischen 50% und über 80%, mit hohen Anteilen in Bereichen, die vor wie nach 1945 unter dem Gesichtspunkt der Regimetreue wichtig waren (Justiz, höhere Verwaltung, Lehrer, vor allem im Volksschulbereich). Damit mußten sich bei jedem breiteren Säuberungsansatz grundlegende Probleme ergeben. Die Frage, ob der öffentliche Dienst in seiner Verfassung bei Kriegsende geeignet für den demokratischen Neuanfang sei, stellte sich für Deutschland und Österreich um so drängender, je weiter man den Blick zurück richtete: Hier wie dort hatte die Bürokratie der Weimarer Zeit in nahezu ungebrochener personeller wie weltanschaulicher Kontinuität zum Kaiserreich und dem antidemokratischen Denken seiner bürgerlichen Eliten gestanden. In Deutschland wurden 1933 die prononciert demokratischen und die sozialdemokratischen Kräfte ausgeschaltet, in Österreich 1934 zunächst die Sozialisten und 1938 nach dem Anschluß die Juden und exponierte Anhänger des Ständestaats. Insgesamt blieben in beiden Ländern die Eingriffe, prozentual berechnet. jeweils gering. Die übergroße Mehrheit paßte sich mit „Elastizität und Geschmeidigkeit“ an 1. Westdeutschland Zunächst wurde die Entnazifizierungspolitik in den deutschen Besatzungszonen allein durch die Sieger bestimmt -Diese hatten gemeinsame Richtlinien angekündigt, und mehrere Kontrollratsbestimmungen sollten der Vereinheitlichung der Verfahren dienen. Tatsächlich ging jedoch jede Zone ihren eigenen Weg. Die Verfahrensweisen in den Westzonen wurden durch die der Amerikaner geprägt. Diese begannen zunächst mit rigorosen Maßnahmen. Der Überprüfung diente der ominöse Fragebogen über Laufbahn und politische Gesinnung. In ständig ausgeweiteten Direktiven wurde im Laufe des Jahres 1945 die fristlose Entlassung aus dem öffentlichen Dienst (ohne Bezüge) verfügt für alle, die bis zum 1. Mai 1937 in die NSDAP eingetreten waren, für alle Funktionäre der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen, für die Mitglieder der SS, der Gestapo und der Sondergerichte, für alle bis zum 1. April 1933 in die SA Eingetretenen sowie für die führende Schicht im öffentlichen Dienst. Analoge Vorschriften ergingen für die Wirtschaft. Bis zum 15. März 1946 wurden von 396 539 Beschäftigten oder Bewerbern im öffentlichen Dienst 123 559 entlassen oder abgelehnt.
Dieses überdehnte Verfahren erwies sich schon um die Jahreswende als unhaltbar. Betroffen war vor allem der höhere und mittlere Dienst. In Hessen mußten z. B. 75, 3% der Beamten entlassen werden, in Nürnberg fast der gesamte mittlere und höhere Dienst, im Bereich des Oberlandesgericht Bamberg galten von 302 Richtern nur sieben als unbelastet. 65 % der Volksschullehrer in der US-Zone waren zu entlassen Der öffentliche Dienst drohte zusammenzubrechen, da Ersatz für die Entlassenen in solchen Ausmaßen nicht möglich war.
Noch gravierender waren die politischen Folgen:
Indem man zu Recht Betroffene und Unschuldige auf eine Stufe stellte, stiftete man Solidarität, wo Abgrenzung nötig gewesen wäre, um Sanktionen in den richtigen Fällen aufrechtzuerhalten.
Die Folge war, daß man 1946 ein neues Verfahren einleitete, das unter Aussonderung der „mehr als nominellen Nazis“ die Masse der NS-Anhänger reintegrieren und durch die Mitwirkung der deutschen Länderregierungen den Charakter einer Selbstreinigung erhalten sollte. Die Regierungen wurden allerdings durch die Verhandlungen, die mit einem Oktroi der Militärbehörde endeten, in die unglückliche Position versetzt, ein Gesetz vertreten zu müssen, das in wesentlichen Bestimmungen ihren Überzeugungen zuwiderlief und von dem sich bald alle Parteien zu distanzieren suchten. Das „Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5. März 1946 erzeugte ein bürokratisches Monsterverfahren. Es brachte für die gesamte erwachsene Bevölkerung (ca. 13 Millionen) eine Überprüfung anhand von Fragebögen und eine Einordnung in fünf Kategorien (Hauptbelastete, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer, Entlastete) mit abgestuften Strafen und Sühnen (von zehnjähriger Freiheitsstrafe über Zwangsarbeit, Eigentumsverlust, dauerndem oder befristetem Berufsverbot bis zum Ausschluß von öffentlichen Ämtern, Entzug des Wahlrechts und Bußgeldern zur Wiedergutmachung an Opfern des Nationalsozialismus). Die Einstufung erfolgte vor Spruchkammern mit justizähnlichen Verfahren und Einspruchsmöglichkeiten und nach Würdigung des gesamten Verhaltens bis 1945. Es entstand ein riesiger Apparat. Allein in den 545 Spruchkammern waren 22 000 Personen beschäftigt, die 950 000 Fälle bearbeiteten. 22 122 Personen wurden als „Belastete“ und 1 654 als „Hauptbelastete“ eingestuft. Fatal war dabei folgendes: Entnazifizierung und Rehabilitierung verschmolzen in diesen Verfahren zum gleichen Vorgang. Mit Hilfe von Zeugnissen über das persönliche Verhalten im Dritten Reich, die Kirchen und Parteien, Kollegen, Geschäftspartner, Bekannte großzügig ausstellten, erlangten fast alle den Status von Minderbelasteten und Mitläufern (insgesamt 591 479) Dank der Spruchkammern kehrten 95 % der Entlassenen in den öffentlichen Dienst zurück, nun sogar versehen mit weißer Weste. Anhänger oder Mitläufer des Nationalsozialismus gewesen zu sein, reduzierte sich auf einen verzeihlichen politischen Irrtum oder eine naheliegende opportunistische Anpassung.
„Die Selbstbesinnung vieler . . . wurde in ihr Gegenteil, in eine ihnen im Interesse ihrer Existenzerhaltung geradezu aufgezwungene Selbst-rechtfertigung verkehrt, ... an die sie, oft genug wiederholt, dann schließlich selbst glaubten.“
Diskreditiert wurde die Entnazifizierung auch durch die unterschiedlichen Verfahrens-und Einstufungsweisen in den drei westlichen Zonen. Briten und Franzosen übernahmen in den Grundzügen das amerikanische Modell. Die Franzosen handhabten es lax, sprunghaft, mit großen regionalen Unterschieden. Die Briten, von vornherein skeptisch gegenüber der Realisierbarkeit und den möglichen Folgen, verfuhren nach abgewandelten Modalitäten, die auch höheren NS-Funktionären größere Möglichkeiten boten, sich der Verantwortung zu entziehen. Vor allem gewann bei ihnen der Wiederaufbau von Wirtschaft und Verwaltung bald Vorrang, mit Ausnahmeregelungen für wichtige Berufszweige, so z. B. auch in der Justiz, obgleich deren Säuberung anfangs als besonders wichtig eingestuft worden war
Als im Februar 1948 die UdSSR die Entnazifizierung für ihre Zone beendete, gab das den Anstoß für ihren Abschluß auch im Westen. Das ganze Unternehmen, durch private und parteipolitische Abrechnungen zusätzlich belastet, galt zu diesem Zeitpunkt als eklatanter und in den Folgen bedenklicher Fehlschlag. Bei vielen, die sich für eine Säuberung engagiert hatten, herrschte der Eindruck vor, im Gegensatz zum Erstrebten katastrophale Belastungen für den Neubeginn heraufbeschworen zu haben -Die aus Kritik, Empörung und Ratlosigkeit verursachte Tendenz zur Beendigung traf sich mit der Neuformulierung der alliierten Deutschland-und Weltpolitik. Der Entschluß zum Wiederaufbau Westdeutschlands und der rasch zunehmende Antikommunismus ließen den Kampf gegen die Überreste des Nationalsozialismus in den Hintergrund treten oder verlagerte die Aufmerksamkeit auf die wirtschaftliche Stabilisierung und institutionelle Absicherung der Demokratie. Im Frühjahr 1948 beschlossen daher die westlichen Alliierten, die Verfahren rasch und großzügig zu beenden. Das führte zu einer Verkehrung der Fronten: Die verantwortlichen deutschen Stellen hatten bisher für Großzügigkeit plädiert; jetzt kämpften sie darum, eine Großzügigkeit zu verhindern, die gerade den schwerer Belasteten zugute kommen und damit das gesamte Verfahren um den Rest seiner Glaubwürdigkeit bringen mußte. Das Problem war vor allem, daß man, um der großen Zahl der Minderbelasteten einen rascheren beruflichen Wiedereinstieg zu ermöglichen, sich zunächst mit ihnen befaßt und die schweren Fälle zurückgestellt hatte. Deshalb widersetzten sich die deutschen Stellen auch einer allgemeinen Amnestie. Das Ergebnis war, daß im Herbst 1948 der Abschluß der Entnazifizierung den deutschen Ländern übertragen wurde. Hier gerieten die „Entnazifizierungsbeamten“ bald unter den Druck weiter Bevölkerungskreise, die einen Schlußstrich wollten, sowie eines Teiles der Parteien, die um die Stimmen der „Ehemaligen“ zu werben begannen Bei Gründung der Bundesrepublik ergab sich ein disparates Bild in den einzelnen Ländern. Am 15. Dezember 1950 beschloß der Bundestag Richtlinien zur Vereinheitlichung der Länderregelungen. Danach sollten die Beschränkungen zur Ausübung des Berufs zum 31. März 1951 aufgehoben werden, mit Ausnahme von bestimmten Berufen und Stellungen für die „Belasteten“
Seit 1947/48 sahen sich die Landesbehörden Wiedereinstellungs-und Versorgungsansprüchen der durch Spruchkammern oder Teilamnestien Entlasteten gegenüber. Aus den beschriebenen Tendenzen heraus, aber auch wegen der unklaren Fragen, die sich aus der arbeitsrechtlichen Absicherung im öffentlichen Dienst ergaben, tendierten die bürgerlichen Parteien zur Anerkennung eines Anspruchs auf Weiterbeschäftigung, während die SPD sich dagegen stemmte, die Masse der Entnazifizierten in die Verwaltung zurückströmen zu lassen. Die Bundesrepublik schuf mit dem Art. 131 GG und dem Ausführungsgesetz vom 11. Mai 1951 eine einheitliche Regelung, die die Wiedereinstellung der entlassenen Beamten anordnete mit Ausnahme derjenigen. die durch rechtskräftigen Spruchkammerbescheid als untragbar für den öffentlichen Dienst erklärt worden waren Waren so für fast alle in den Entnazifizierungsverfahren Belangten die Folgen aufgehoben, so sollte man doch bei aller Kritik an der „Renazifizierung" der Ämter nicht übersehen, daß ein großer Teil der exponierten Beamten, besonders aus dem mittleren und höheren Dienst, bis zu sechs Jahren aus den Ämtern ferngehalten wurde und so Einstiegsmöglichkeiten für neue Kräfte geschaffen wurden, die wohl den größten Kontinuitätsbruch in der Geschichte der deutschen Verwaltung darstellen Das Gesetz von 1951 hatte die Rechtsfrage der Weiterbeschäftigung offen gelassen. Sie wurde vom Bundesverfassungsgericht am 17. Dezember 1953 mit einer bemerkenswerten Entscheidung beantwortet: Alle Beamtenverhältnisse seien am 8. Mai 1945 erloschen, weil der von der NSDAP beherrschte Staat das Beamtentum zu einem in seinem Dienst stehenden Werkzeug umgeformt habe. Mit dem Zusammenbruch dieses Staates habe es seine rechtliche Grundlage verloren 2. Österreich In Österreich begannen die westlichen Alliierten in ihren Zonen mit Entnazifizierungsmaßnahmen wie bis 1946 in Deutschland — mit den gleichen Unterschieden zwischen den einzelnen Zonen und ähnlichen Ergebnissen Die sowjetischen Besatzungsbehörden hingegen verzichteten in ihrer Zone auf eine eigene Entnazifizierungspolitik. Sie ließ in dieser Frage zunächst der von ihr im April 1945 in Wien eingesetzten Provisorischen Regierung unter dem Sozialdemokraten Renner freie Hand. Als nach den ersten gesamtösterreichischen Wahlen im Herbst 1945 mit einer eklatanten Niederlage der Kommunisten eine Regierung unter dem ÖVP-Mitglied Figl gebildet wurde, der von den Sowjets eine zu große Nachsicht gegenüber den Nationalsozialisten vorgeworfen wurde, insistierten die sowjetischen Vertreter im Alliierten Rat auf Druck und Kontrolle gegenüber den österreichischen Instanzen, nahmen aber in ihrer Zone keine abweichenden Maßnahmen vor.
Ein anderer Unterschied zu Deutschland ergab sich daraus, daß in Österreich durch die Existenz der Provisorischen Regierung eine selbstverantwortliche Säuberungspolitik eingeleitet werden konnte, wenn auch zunächst unkoordiniert neben dem Verfahren der Westmächte in ihren Zonen. Die Regierung, bestehend aus den drei sich neu bildenden Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ, erließ als eine ihrer ersten Maßnahmen Gesetze zur Bestrafung der NS-Anhänger und zu deren Ausschaltung aus dem öffentlichen Leben in der erklärten Absicht, so Österreichs Willen und Fähigkeit zu seiner eigenen Befreiung zu beweisen. Die beiden grundlegenden Gesetze — das „Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP“ vom 8. Mai 1945 und das „Verfassungsgesetz über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistischen Untaten“ vom 26. Juni 1945 — konstituierten ein Sonderrecht mit harten Strafen und Sondergerichten Die Hauptschuldigen wurden — wie in den amerikanischen Richtlinien — pauschal definiert; zu ihnen zählten 1. die „Illegalen“ (Parteieintritt vor März 1938); 2. die Funktionäre der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen vom Rang eines Blockleiters aufwärts sowie alle leitenden Mitglieder von SS, SD, Gestapo und des Volksgerichtshofs; 3. alle, die finanziell oder durch ihren Einsatz den Nationalsozialismus substantiell gefördert oder zum Verlust der Unabhängigkeit Österreichs beigetragen hatten. Alle Mitglieder und Anwärter der NSDAP und ihrer „Wehrverbände“ (SS, SA, NSKK, NSFK) mußten sich in öffentlich ausliegende Registrierungslisten eintragen lassen, bei besonderer Kennzeichnung der Hauptbelasteten. Alle „Illegalen“
waren aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen, ebenso alle anderen Registrierten, die „nach ihrer bisherigen Tätigkeit keine Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für die unabhängige Republik Österreich eintreten werden“. Diejenigen „Illegalen“, die Funktionen vom Rang eines Ortsgruppenleiters oder Untersturmführers aufwärts ausgeübt hatten, sollten mit 10 bis 20 Jahren Gefängnis und dem Verlust ihres Vermögens bestraft werden. Schwere Strafen bis hin zur Todesstrafe wurden für höhere Funktionäre und die österreichischen Mitglieder der Reichsregierung bestimmt.
Die Gesetze gingen auf das Bedürfnis nach Vergeltung und radikaler Säuberung zurück, das die Politiker der ersten Stunde — fast alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung — erfüllte. Ihre volle Härte hätten zumindest die mehr als 98 000 „Illegalen“ und die rund 60 000 im Sinne des Gesetzes belasteten Funktionäre erfahren müssen, die die Registrierungslisten bis zum 15. September 1946 verzeichneten Verlust des Arbeitsplatzes oder Vermögensnachteile drohten einem weiteren Tei! der Registrierten. Aber auch in Österreich war schon durch das „Verbotsgesetz“ die Möglichkeit zur Ausnahme geschaffen, und zwar als Strafnachlaß durch die Regierung aufgrund des individuellen Verhaltens vor 1945 — sofern nämlich der Betroffene seine Stellung „niemals mißbraucht und aus seinem Verhalten noch vor der Befreiung Österreichs auf eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich mit Sicherheit geschlossen werden kann“. Diese Ausnahmeregelung führte zu Folgen wie die individuelle Prüfung in Deutschland:
Zeugnisse bestätigten Schuldlosigkeit und lautere Gesinnung; 85— 90% der Registrierten reichten Ausnahmegesuche ein; die für die Überprüfung geschaffenen Kommissionen erstickten in der Flut der Anträge. Schon Ende 1945, bevor das Gesetz auf ganz Österreich ausgedehnt werden konnte, war es an dieser Klippe gescheitert. Selbstkritisch vermerkte dazu der offizielle Gesetzeskommentar:
„Da zeigte sich, daß die Abstellung der Nachsichtsmöglichkeit auf den individuellen Fall das Verbots-gesetz praktisch unanwendbar werden ließ. Ja, das Prinzip, auf dem das Gesetz aufgebaut war, wurde in der Praxis in das Gegenteil verkehrt, ein Umstand, der, abgesehen von der unerträglichen Belastung der Verwaltungsbehörde, der Behandlung des Nationalsozialistenproblems die nötige Durchschlagskraft zu nehmen imstande war . . .
Hinzu kam als zweite Klippe — ähnlich wie in Westdeutschland — die Lage im öffentlichen Dienst. Die österreichische Regierung schuf sich durch die These, Rechtsnachfolger der Ersten Republik zu sein, die rechtliche Voraussetzung, über die Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst für alle nach 1933 Eingestellten frei zu befinden. Das „Verbotsgesetz“ und die Verfügungen der westlichen Alliierten führten — wie in Westdeutschland — zu umfangreichen Entlassungen in einzelnen Sparten des öffentlichen Dienstes, darunter vor allem des Erziehungswesens, der Justiz sowie der Landes-und Bundesverwaltung. Obgleich die Entlassungen mit durchschnittlich 30 % im öffentlichen Dienst 1945/46 besonders in den oberen Ebenen beträchtlich waren, " sah die Regierung sich gleichwohl der ständigen Forderung des Alliierten Rats ausgesetzt, konsequenter vorzugehen, während auf der anderen Seite die Ämter und die Betroffenen auf mehr Nachsicht drängten.
Um einheitliche und besser anwendbare Richtlinien für ganz Österreich zu schaffen, erließ das Parlament im Juli 1946 ein neues Gesetz. Es führte Belastungsgruppen ein gemäß dem in den NS-Organisationen bekleideten Rang. Die „Minderbelasteten“ hatten abgestufte finanzielle Bußen zu leisten und mußten sich für die Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst einer individuellen Überprüfung unterziehen. Alle Sanktionen sollten für sie 1948 auslaufen. Die „Belasteten“, jetzt neu definiert im wesentlichen als nationalsozialistische Funktionäre und Mitglieder der SS, trafen härtere Geldbußen und pensionslose Entlassung aus dem öffentlichen Dienst. Nach den Registrierungslisten von 1947 waren dies 42 129 Personen Man vermied den bürokratischen Apparat und das Spruchkammer-verfahren der US-Zone; die individuelle Überprüfung wurde durch Kommissionen in den einzelnen Ämtern und Berufsverbänden vorgenommen, hier allerdings mit den gleichen Entlastungsstrategien und den gleichen politisch-moralischen Folgen. Das Gesetz verfolgte die gleiche Intention wie die deutschen Entwürfe für das „Befreiungsgesetz“ in der US-Zone von Anfang 1946: Unterscheidung der großen Masse der durch ihre NS-Vergangenheit Belasteten von den exponierten Trägern des NS-Systems sowie ihre berufliche Reintegration; und ähnlich wie in der US-Zone scheiterte es an den Besatzungsmächten. Die Russen, aber auch die Amerikaner und Franzosen bestanden auf Verschärfungen, besonders auf der Aufhebung der vorgesehenen Befristung aller Strafen einschließlich der für die „Belasteten“. Nach langen Verhandlungen kam es im Februar 1947 zu einem in vielen Details abgeänderten und verschärften Gesetz, das Nationalrat und Regierung als aufgezwungen betrachteten und dessen Anwendung alle Parteien zu umgehen bestrebt waren.
Die österreichische Regierung erklärte Ende 1947, die Entnazifizierung in Österreich sei „im allgemeinen“ erfolgreich abgeschlossen, und leitete damit eine Akzentverlagerung in ihrer Politik im Sinne von Amnestierung sowie gesellschaftlicher und beruflicher Reintegration ein. Sie fand damit positive Resonanz bei den Westmächten, die jetzt — ähnlich wie in Westdeutschland — unter dem Eindruck einer fehlgeschlagenen Entwicklung und dem Wunsch nach einem zügigen Wiederaufbau Österreichs zu einem Abschluß kommen wollten.
Der russische Vertreter im Alliierten Rat machte zunächst sein Veto geltend, schlug dann aber im Februar 1948 im Einklang mit der Beendigung der Entnazifizierung in der SBZ eine allgemeine Amnestie für die Minderbelasteten vor, verbunden mit der Auflage eines verschärften und beschleunigten Durchgreifens gegen die Belasteten und strafrechtlich zu Verfolgenden. Damit wurden die Sanktionen für die „Minderbelasteten“ aufgehoben und ihre Rückkehr in die früheren Berufe ermöglicht, verbunden mit materiellen Entschädigungen für die seit 1945 erlittenen Verluste.
Auch in Österreich mißlang die Entnazifizierung, insofern sie neben einer begrenzten Veränderung im öffentlichen Dienst wie in Westdeutschland eine Rehabilitierung der Anhängerschaft des Nationalsozialismus und nicht nur ihre berufliche Reintegrierung brachte. Den Anstoß dazu gaben auch hier die überdehnten Bestimmungen am Anfang und das Prinzip der Entscheidung gemäß dem individuellen Verhalten. Als wichtigster Grund dafür, daß daraus bald eine allgemeine Verharmlosung der Beteiligung an der NS-Bewegung wurde, erscheint in der österreichischen Literatur die Rolle der Parteien. Der sozialdemokratische Staatspräsident Renner erklärte schon 1945, „daß nur ein nicht allzu großer Teil der Mitglieder und Anwärter dieser Partei nazistischer Gesinnung war und sich nazi-B stisch betätigt hatte. Der allergrößte Teil ist dem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder selbst dem persönlichen Zwange erlegen. Alle Persönlichkeiten, welche in irgendeiner öffentlichen oder wirtschaftlichen Stellung von Bedeutung . . . standen, waren einfach bei Verlust ihrer Stellung der Partei anzugehören genötigt. Sie haben diesem erpresserischen Zwang nicht widerstanden, aber wie kann man von Gelehrten, Künstlern, Gewerbetreibenden, Kaufleuten . . . oder von dem Schrecken der Arbeitslosigkeit und dem Konzentrationslager bedrohten Arbeitern verlangen, daß sie heldenhaft ihre Existenz in die Schanze schlagen, um sich der Werbung einer Partei zu entziehen, die mit solchem Elan und noch dazu mit so verblüffenden Anfangserfolgen die öffentliche Meinung des Landes beherrschte.“ Auch wenn die SPÖ wegen der Glaubwürdigkeit des Neuanfangs im Herbst 1945 mit der KPÖ den Entzug des Wahlrechts für alle Registrierten durchsetzte, begannen schon zu dieser Zeit die drei österreichischen Parteien mit der öffentlichen Entschuldigung der Mitläufer. Es ging um die Stimmen des großen Bevölkerungsanteils, der sich durch die Entnazifizierungsgesetze bedroht sah, und um neue Parteimitglieder. Ihren Höhepunkt erreichte dieses „würdelose Buhlen um die Stimmen der Ehemaligen“ im Wahlkampf 1948/49, als die Registrierten (mit Ausnahme der „Belasteten“) das Wahlrecht zurückerhielten und sich eine vierte Partei, der Verband der Unabhängigen (VdU, später FPÖ), gründete, die speziell die NS-Anhänger ansprach.
Hatten ÖVP und SPÖ wie die KPÖ mit der öffentlichen Entlastung der „Minderbelasteten“ zunächst noch die Forderung von Strafe und Aussonderung für die Schuldigen verbunden, so drohte auch diese Abgrenzung zu verschwimmen, als die Regierung seit 1949 in jahrelangem Tauziehen mit dem Alliierten Rat Amnestien für die „Belasteten“ durchzusetzen suchte Die Gruppe der „Belasteten“ bildete insofern ein größeres Problem als in der Bundesrepublik, als sie in Österreich umfangreicher war die Sanktionen härter waren und länger dauerten und die Einstufung pauschal, ohne Würdigung des persönlichen Verhaltens erfolgte. Wegen der Ablehnung des Alliierten Rats, begründet durch das Veto der UdSSR, aber auch durch die Verstimmung der USA über die österreichische Haltung in der Wiedergutmachungsfrage (s. unten), zog sich das Problem der „Belasteten“ bis nach Abschluß des Staatsvertrags 1955 hin. Diese letzte Phase war geeignet, den moralisch-politischen Ertrag der Säuberung vollends in Frage zu stellen. In der Debatte, die das abschließende Amnestiegesetz von 1957 im Nationalrat begleitete, erschienen die „Belasteten“ als lautere Menschen, die zu Unrecht verfolgt wurden, weil man sie „aus formalen Gründen zu Nationalsozialisten gemacht“ habe, „die diese Menschen im Innern niemals waren“ -Zwar fanden sich auch kritische und warnende Stimmen gegen diesen Prozeß der Schuldverleugnung — besonders bei der KPÖ und bei Teilen der SPÖ —, aber diese Kritik blieb, so jedenfalls der Eindruck aus der Literatur, viel mehr im Hintergrund als in der Bundesrepublik. Hier wurden zwar auch ähnliche Stimmen laut, besonders in der FDP und im BHE, der sich — wie der VdU — zum Interessenvertreter der „Entrechteten“ machte Bei den großen Parteien lag aber hinsichtlich der Forderung nach einem Abschluß das Gewicht mehr auf der fragwürdigen Form des Verfahrens oder auf der Notwendigkeit der alsbaldigen Integration. Besonders die SPD, aber auch zahlreiche Publizisten übten massive Kritik an der Rückkehr der „Ehemaligen“ in den Staatsapparat, auch der als „minderbelastet“ Eingestuften.
Die Entnazifizierung hat in Österreich und in Westdeutschland zu komplexen Folgen geführt, deren Bewertung nicht leicht ist Trotz der Wiedereinstellung der meisten „Ehemaligen“ gab es infolge ihrer zeitweiligen Suspendierung und auch Diskreditierung insgesamt nicht unerhebliche Verschiebungen in der öffentlichen Verwaltung und in den politischen Parteien, vor allem auf den exponierten Ebenen. Ein beträchtlicher Teil der gesellschaftlichen Eliten wurde, wenn auch zumeist nur für begrenzte Zeit, in ihrem Ansehen und auch materiell getroffen Ob und wie diese Erfahrung — wie auch die ab 1948 gebotene Möglichkeit zur Rückkehr der meisten Suspendierten in ihre Berufe — ihre Einstellung zur Demokratie beeinflußt hat, ist schwer zu beurteilen. Die Bewertungen schwanken zwischen dem Vorwurf der Restauration und dem positiven Urteil über die Leistung, die die Gesellschaft hier wie dort vollbrachte, indem sie die große Anhängerschaft des Nationalsozialismus integrierte, ohne zugleich die noch ungefestigte Demokratie aufs Spiel zu setzen Für die innere Auseinandersetzung der Bevölkerung mit ihrer NS-Vergangenheit waren die Folgen jedoch fatal. Sie verschütteten für lange Zeit die Erkenntnis der moralischen und politischen Mitschuld, indem sie Selbstrechtfertigungen provozierten, wo der Hinweis auf die Mitverantwortung der Großen wie der Kleinen nötig gewesen wäre. 3. Die sowjetische Besatzungszone Deutschlands In der SBZ war die Entnazifizierung unter sowjetischer und kommunistischer Führung von vornherein auf radikale Veränderungen angelegt, begleitet von Enteignungen, die zunächst ebenfalls unter dem Signum der Beseitigung des Nationalsozialismus standen Die Säuberung des öffentlichen Dienstes erfolgte bis Ende 1946 in nomineller Verantwortung der einzelnen Länder, aber unter kommunistischer Kontrolle und unter Aufsicht der Besatzungsmacht. Die Landesbehörden, denen zunächst auch die bürgerlichen Parteien angehörten, trafen sich in dem Wunsch nach Entlassung aller Spitzenbeamten und aller überzeugten Nationalsozialisten, suchten aber soweit wie möglich die Fachkräfte, die nur „nominell“ der NSDAP angehört hatten, zu halten. Die sowjetischen Behörden hingegen drängten auf Entlassung aller NS-Mitglieder. Im Oktober 1945 veröffentlichten die Block-parteien (KPD, SPD, CDU und LDPD) „Richtlinien für die Bestrafung der Naziverbrecher“. Sie unterschieden zwischen „aktivistischen“ Nationalsozialisten (alle Mitglieder von NS-Organisationen, die ein Amt von politischer Verantwortung ausgeübt oder anderweitig die Partei aktiv gefördert hatten) und den „nominellen“ Parteimitgliedern. Die erste Gruppe sollte aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden, bei gekürzten Versorgungsbezügen, Zwangsarbeit oder Geldbußen und Entzug der politischen Rechte. Die „nominellen Nazis“ sollten, „ohne die politische Verantwortung aller . . . Mitglieder der NSDAP . . . abzuschwächen“, mit Nachsicht rechnen dürfen, „in der Erwartung, daß sie mit ihrer politischen Vergangenheit ganz brechen und sich mit ganzer Kraft am Wiederaufbau unseres Landes beteiligen“. Auch ihnen wurde vorläufig das Wahlrecht entzogen und der Zutritt zu Parteien und Verbänden verwehrt. Im öffentlichen Dienst durften sie beschäftigt werden, soweit „Bewerber gleicher Eignung nicht vorhanden sind“
Solche differenzierenden Ansätze gingen aber seit 1946/47 gegenüber dem sowjetischen Druck verloren, in den politisch relevanten Zweigen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens die Entnazifizierungsmaßnahmen so breit auszulegen, daß sie die Ausschaltung der bürgerlichen Kräfte insgesamt ermöglichten. Nach Übernahme der formalen Verfahrensweisen der Westzonen Ende 1946 geschah dies in einer letzten Säuberungswelle, die zugleich der Vereinheitlichung des Vorgehens diente. Es wurden Entnazifizierungskommissionen als Prüfungs-und Revisionsinstanzen eingerichtet, die noch einmal alle Ämter durchsiebten. Als Entlassungskriterium genügte die Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Verbände. Am 16. August 1947 leitete die SMAD im Befehl Nr. 201 das Ende der Entnazifizierung ein, im Februar 1948 wurden die für sie zuständigen Kommissionen aufgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt waren 520 734 Personen aus dem öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft entlassen worden. Das Ende der Entnazifizierung brachte keinen Anspruch auf Wiederbeschäftigung, schloß sie aber anscheinend auch nicht aus Die meisten Entlassenen gingen wohl in die westlichen Zonen. Die Intensität der Entlassungen war nach der politischen Relevanz der Bereiche und, besonders in Wirtschaft und Technik, nach dem Bedarf an Fachkräften unterschiedlich. Bis 1947/48 hatte sich das obere Management in der Wirtschaft völlig verändert (nur 6, 2 % der alten Leitung war geblieben). Ganz neu aufgebaut wurde die innere Verwaltung, die Polizei und die Justiz, in die rasch geschulte „Volksrichter“ und „Volksstaatsanwälte“ einrückten (nach sechs-bis neunmonatigem Lehrgang und Hauptschulabschluß als Mindestvoraussetzung). Bei den Lehrern wurden wegen des Personalmangels 1946 noch zehn Prozent von NS-Mitgliedern geduldet. Diejenigen, die nun nachrückten, gehörten größtenteils den unteren Volksschichten und der KPD bzw. SED an Parallel dazu bemühte sich die SED um die „nominellen Pgs“ und damit um die große Masse der NS-Anhänger, aber auch um die unter diesem Etikett einzustufenden benötigten Fachkräfte. Eine neuere Veröffentlichung aus der DDR enthält eine Reihe von Hinweisen darauf, daß die SED nicht nur die Chance sah, hier ein neues Reservoir von Anhängern zu gewinnen, sondern auch die Gefahr erkannte, die drohte, wenn allen durch eine NS-Mitgliedschaft Belasteten angemessene Wirkungsmöglichkeiten versagt blieben. Der SMAD-Befehl Nr. 201 kam dem entgegen mit der Unterscheidung zwischen „Naziaktivisten“ und „nominellen NS-Mitgliedern, die wirklich fähig sind, mit der faschistischen Ideologie zu brechen“. Der Befehl hob den Entzug des Wahlrechts und der anderen politischen Rechte auf. Danach warb die SED intensiv um diese Gruppe und ihre Integration in Gesellschaft und Berufsleben; mit der NDPD wurde eine eigene Partei für sie geschaffen. Nach Wolfgang Leonhard gab die SED schon im Sommer 1946 die Anweisung an ihre Funktionäre, gezielt um die breite NS-Anhängerschaft zu werben, mit der Begründung: „Wir dürfen die Fehler der KPÖ bei den Wahlen im Herbst 1945 nicht wiederholen. Die österreichischen Genossen haben durch ihren primitiven Anti-Nazismus die Masse der kleinen Nazis abgestoßen und sich damit von der Bevölkerung isoliert.“ Wegen des Widerstands an der kommunistischen Basis wurde Schulungsmaterial für den Umgang mit denjenigen verbreitet, „die ehrlich einen neuen Weg gehen wollen“ -
Unter dem Gesichtspunkt der Ausschaltung der NS-Anhänger aus dem öffentlichen Leben, als Elitenaustausch sowie auch als Bemühung um die Integration der breiten NS-Anhängerschaft erscheint das Vorgehen in der SBZ insofern konsequent, als es nicht mit der Verharmlosung der Tatsache, „Mitläufer“ gewesen zu sein, verbunden war, sondern das Umlernen betont wurde. Wenn man hingegen die Frage stellt, ob durch das Verfahren in der DDR das Bewußtsein der Betroffenheit und das Nachdenken über die historisch-politische Mitverantwortung aller Deutschen am Nationalsozialismus gefördert oder behindert wurde, so bleibt auch für die DDR die Bilanz fragwürdig. Die großenteils ungerechten, harten Straf-und Säuberungsmaßnahmen können nur als neue politische Willkür begriffen worden sein, auch wenn sie als notwendig für den Aufbau eines besseren Systems deklariert wurden. Bei der Reintegration hingegen scheint die opportunistische Anpassung direkter durch als in der Bundesrepublik und in Österreich. Die offizielle These der DDR, sie habe Staat und Gesellschaft vom Nationalsozialismus befreit, hat den Nationalsozialismus zu einem die DDR nicht mehr betreffenden Thema und das Problem der personellen Kontinuität einer durch den Nationalsozialismus geprägten Bevölkerung zum Tabu gemacht
III. Wiedergutmachungsleistungen
Es wurde in den drei Staaten von Anfang an als gesellschaftliche Aufgabe angesehen, materielle Leistungen für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung aufzubringen. Leistungen dieser Art implizieren die Gewährung von Fürsorge und die Erstattung von Vermögensverlusten, aber auch die Anerkennung der Tatsache, daß den Betroffenen ein Unrecht geschehen ist und sie Anspruch auf Wiedergutmachung besitzen, sowie die Bereitschaft, für dieses im Namen des deutschen Volkes begangene Unrecht zu haften. Im folgenden geht es nicht darum, die in Österreich und in der Bundesrepublik mit verwickelten Rechtsproblemen versehenen Maßnahmen im einzelnen zu vergleichen oder Höhe und Umfang der Leistungen gegeneinander aufzurechnen. Es soll vielmehr gezeigt werden, wie die drei Staaten vom Prinzip her diese Frage aufgefaßt und mit welchen Akzenten sie die Begründung versehen haben. 1. Die Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland In Westdeutschland kam es zunächst zur Betreuung von Opfern des Nationalsozialismus auf lokaler Ebene im Sinne der Fürsorge Mit der Gründung der Länder bekannten sich diese zu dem Grundsatz, daß das deutsche Volk für das Unrecht des NS-Regimes zu haften und deshalb Entschädigung zu leisten habe. Einige Länder — Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz — verankerten ihn in ihren Verfassungen. Bis 1949 ergingen unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Ländern; nach der Gründung der Bundesrepublik stellte sich daher die Frage der Vereinheitlichung und der angemessenen Wiedergutmachung von Unrechtshandlungen des Dritten Reichs. Das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) von 1953 sollte beides gewährleisten, aber auch zeigen, daß die Bundesrepublik sich durch ihre obersten politischen Organe zur Pflicht der Wiedergutmachung bekannte. Anders als Österreich und die DDR haben die westdeutschen Länder bzw. die Bundesrepublik in ihren Gesetzen die Mitglieder des politischen Widerstands nicht als eine besonders zu ehrende Gruppe herausgehoben. Die Gesetze betreffen unterschiedslos die aus „politischen, rassischen oder religiösen Gründen Verfolgten“. Ein Antrag der SPD bei der Vorberatung des BEG für ein Gesetz zur Anerkennung des deutschen Widerstandes und parallel dazu zur Entschädigung aller, die in ihren Menschen-und Bürger-rechten verletzt worden waren, fand keine Mehrheit
Das BEG wurde in den folgenden Jahren durch eine Serie von Novellen ergänzt und ausgeweitet. Daß es dennoch trotz der beachtlichen Leistungsbilanz, die die Bundesregierung vor kurzem vorlegte, unbefriedigend blieb, zeigt die Diskussion der letzten Jahre. Die Mängel lagen in der in mancher Hinsicht zu engen Definition der Anspruchsberechtigten; bedrückend war für viele die Art, wie Ansprüche geltend zu machen waren, sowie die Argumentation, mit der Anträge abgelehnt wurden, die nicht unter die engeren Bestimmungen des Gesetzes fielen Erst in den letzten Jahren ist die Sensibilität dafür gewachsen, daß auch die Verfolgung von Homosexuellen und „Asozialen“, das Schicksal der Zwangsarbeiter, die Zwangssterilisierungen Unrecht waren, oder wie wenig das Unrecht, das den Sinti und Roma zugefügt wurde, begriffen worden ist.
Die westlichen Besatzungsmächte, besonders die USA, hegten von Anfang an die Erwartung, daß die Deutschen ihre Pflicht zur Wiedergutmachung anerkennen und ihr nachkommen würden. Mit Ausnahme eines speziellen Bereichs — der durch Besatzungsrecht geregelten Rückerstattung für verlorenes Vermögen — überließen sie den Deutschen jedoch die Festlegung von Formen und Einzelheiten. Auf dieser Basis liefen 1952— 1955 auch die Verhandlungen über den Überleitungsvertrag zur Rückgabe der Souveränität an die Bundesrepublik und die Ausformulierung des BEG bzw.des Abkommens mit Israel und den jüdischen Verbänden nebeneinander her, getragen von dem Bewußtsein der deutschen Politiker, überzeugende Regelungen finden zu müssen, und der Erwartung der drei Alliierten, daß die Bundesrepublik ihre Verpflichtung freiwillig übernehmen würde. Es war für das Ansehen der Bundesrepublik im westlichen Ausland günstig, daß die großen Parteien und die Regierung trotz vieler fiskalischer Bedenken und auch unterschwelliger Widerstände für großzügige Maßnahmen sorgten und sie rasch durchsetzten.
Das gilt besonders für die Bereitschaft, Wiedergutmachungsleistungen an die Juden zu zahlen. Über die Entschädigungen für einzelne Personen im Rahmen der bestehenden Gesetze hinaus verlangte die zur Durchsetzung jüdischer Forderungen gegründete „Conference on Jewish Material Claims against Germany“ — die vor allem jüdische Verbände in den USA und die vom Nationalsozialismus vertriebenen Juden in Israel vertrat — Ende 1951 einen pauschalen Betrag für jüdische Eigentums-verluste, auf die keine individuellen Ansprüche mehr erhoben werden konnten Sie werteten dies als Anerkennung für das den Juden zugefügte Unrecht und die Bereitschaft des deutschen Volkes, dafür zu haften. Es ist vor allem das Verdienst Adenauers, daß diese Forderung schnell und durch ein großzügiges Angebot beantwortet wurde in einem Moment, in dem die wirtschaftliche Lage und der Devisenmangel auch viele, die im Prinzip zuzustimmen bereit waren, zögern ließ. Durch den raschen Abschluß des Abkommens wurden lange Diskussionen im Parlament vermieden, wo es nur dank der geschlossenen Zustimmung der SPD die notwen-dige Mehrheit fand, und auch in der deutschen Öffentlichkeit, die es nach Meinungsumfragen in ihrer Mehrheit ablehnte Das Abkommen, das später auch die Aufnahme von Beziehungen zu Israel ermöglichte, brachte der Bundesrepublik erheblichen moralischen Kredit im Ausland; Adenauer selbst wertete es indessen in erster Linie als „eine zwingende moralische Verpflichtung des von der Bundesregierung vertretenen deutschen Volkes“
Dem Abkommen folgten Mitte der fünfziger Jahre Forderungen anderer Länder für Staatsangehörige, die durch Verfolgungsmaßnahmen des Dritten Reiches Schäden erlitten hatten Sie wurden durch Abkommen mit Norwegen und Dänemark 1959, mit Griechenland, Frankreich und Belgien 1960, mit Italien und der Schweiz 1961, 1964 mit Schweden und im Rahmen anderer Verträge mit Luxemburg und den Niederlanden geregelt. Auf die völkerrechtlich und technisch besonders verwickelten Verhandlungen mit den Ostblockstaaten seit den Ostverträgen kann hier nicht näher eingegangen werden Hingewiesen sei jedoch auf die Tatsache, daß diese Staaten Forderungen nur an die Bundesrepublik richten, obgleich sie deren Alleinvertretungsanspruch nicht anerkannten. Nur Jugoslawien hat unter Ausnutzung seiner besonderen Lage zwischen den Blöcken Wiedergutmachungsleistungen von beiden deutschen Staaten erreicht:
zunächst von der DDR, dann nach langen, 1962 beginnenden Verhandlungen 1972/74 auch von der Bundesrepublik. 2. Die Wiedergutmachungsleistungen Österreichs In Österreich begann die Wiedergutmachung entsprechend der Stimmung in den ersten Nachkriegs-wochen mit einem von KPÖ und SPÖ initiierten „Tag der Volkssolidarität“ am 13. Juni 1945, der die Solidarität des ganzen Volkes mit den Opfern und Verfolgten des NS-Regimes zum Ausdruck bringen sollte Von Seiten des Staates wurden zunächst auch hier Fürsorgemaßnahmen angeordnet. Dem Staatsverständnis des neuen Österreich entsprechend, wurde die Gruppe der aktiven Widerstandskämpfer besonders herausgehoben, denen die beiden ersten „Opferfürsorgegesetze“ von 1945 und 1947 bevorzugt galten. Trotz des Verzichts auf politische oder strafrechtliche Sanktionen gegen den Austrofaschismus schlossen diese Gesetze auch die aus politischen Gründen Verfolgten des Ständestaats (mit Ausnahme natürlich der Nationalsozialisten) ein: Als Widerstandskämpfer galten alle, die „für ein freies, demokratisches Österreich . . . , insbesondere gegen Ziele und Idee des Nationalsozialismus“ gekämpft hatten Durch spätere Novellierungen wurden die übrigen Opfer des Nationalsozialismus den Widerstandskämpfern gleichgestellt und die Leistungen ausgedehnt. Mit der Novelle von 1961, der „großen Wiedergutmachung“, wurden im wesentlichen die Richtlinien des BEG der Bundesrepublik übernommen. Spätere Ergänzungen entsprachen in etwa den westdeutschen, ebenso wie die Mängel und Härten des Gesetzeswerkes und die auch hier erst spät in Gang kommende größere Aufgeschlossenheit für die Defizite im bisherigen Umgang der Gesellschaft oder der Verwaltung mit vielen Opfern des Nationalsozialismus. Die Frage, ob der Staat Österreich eine Mitschuld des österreichischen Volkes am Leiden der Opfer und deshalb auch eine Pflicht zur Wiedergutmachung trage, stellte sich für Österreich in aller Deutlichkeit, als die Jewish Claims Conference nach dem Abkommen mit der Bundesrepublik ähnliche Forderungen an Österreich richtete Sie hatte zunächst versucht, diese Ansprüche in das Abkommen mit der Bundesrepublik einzubeziehen; diese lehnte sie jedoch mit dem Hinweis auf die eigene österreichische Verantwortung am Nationalsozialismus ab. Die erste Reaktion der österreichischen Regierung auf die jüdische Forderung bestand in der Erklärung, Östeneich sei als von den Deutschen besetztes Land staatsrechtlich nicht zu Leistungen verpflichtet und trage auch keine moralische Verantwortung, da die Verbrechen an den Juden von den Deutschen ausgegangen seien
Erst unter dem Druck der Weltöffentlichkeit, unter massiven Hinweisen von jüdischer Seite auf die österreichische Mitverantwortung und das Eingreifen des Alliierten Rats erklärte sich die österreichische Regierung zu Leistungen bereit, ohne jedoch das Prinzip der Verantwortlichkeit anzuerkennen Der Alliierte Rat, in dem sich besonders die USA für die jüdischen Forderungen einsetzten, verweigerte seine Zustimmung zu den Amnestiegesetzen für die belasteten Nationalsozialisten mit dem Argument, daß zuerst die Ansprüche der Opfer anerkannt werden müßten. Der Staatsvertrag, der Österreich 1955 die Souveränität zurückgab, enthielt in Art. 26 eine Klausel, die, wenn auch ohne die Frage der Mitschuld zu nennen, Österreich verpflichtete, das von der Claims Conference reklamierte „erbenlose Eigentum“ in Österreich für die Unterstützung der Verfolgten einzusetzen, und in Art. 23 Österreich den Verzicht auf Forderungen aus der NS-Zeit gegenüber der Bundesrepublik auferlegte. Die Verhandlungen mit der Claims Conference zogen sich insgesamt von 1953 bis 1961 hin. Sie waren von Anklagen gegen Österreich im Ausland, nicht nur von jüdischer Seite, und peinlich aufrechnenden, nicht selten antisemitisch gefärbten Stimmen in einem Teil der österreichischen Presse begleitet. Ein Beispiel: Als ein Kommentator in einer Zeitung der SPÖ am 11. Februar 1959 die österreichische Mitschuld an der Judenverfolgung und die Bereicherung von Österreichern an jüdischem Vermögen herausstellte, brandmarkte die „Volksstimme“ (ÖVP) dies mit den Worten: „Eine infamere Umkehrung geschichtlicher Tatsachen, ein niederträchtigerer Versuch zur Rehabilitierung des Hitlerschen Gewaltstreiches gegen Österreich ist selbst in der westdeutschen Presse kaum zu finden.“ Die Debatte belastete Österreichs Verhältnis zu Israel nachhaltig. Zahlungen an Israel, die wohl aufgrund der österreichischen Einstellung von der Claims Conference aus den Forderungen gestrichen wurden, hat Österreich nicht geleistet.
Eine Regelung mit der Claims Conference kam 1961 erst zustande, nachdem die Bundesrepublik sich bereit fand, einen Teil des für die jüdischen Ansprüche sowie für die Verbesserungen in der Opferfürsorgenovelle von 1961 notwendigen Betrags zu übernehmen mit der Erklärung, zur Erleichterung des Schicksals der durch deutsche Mitschuld geschädigten und von den bisherigen österreichischen Gesetzen nicht berücksichtigten Personen beitragen zu wollen. Die Bundesrepublik blieb bei diesen Verhandlungen bei der Ablehnung der österreichischen These, als überfallenes Land Anspruch auf deutsche Leistungen zu haben; sie handelte aber, so einer der deutschen Mitwirkenden, „unterschwellig“ aus der Einsicht, „daß die NS-Gewaltmaßnahmen in Österreich zwar kaum ohne die NS-Begeisterung weitester österreichischer Kreise möglich gewesen wären, daß aber auch erst der deutsche Einmarsch in Österreich mancher Schreckensaktion den Weg frei gemacht hat“ — Andere Staaten haben keine Forderungen an Österreich erhoben. 3. Die Wiedergutmachungsleistungen der DDR Anders als die westlichen Alliierten machte die UdSSR der SBZ bzw.der DDR nie Auflagen für Wiedergutmachungsleistungen an die Verfolgten des NS-Regimes. Die Länder und Politiker der SBZ erkannten aber bis 1949 eine Wiedergutmachungspflicht von sich aus an Erste Wiedergutmachungsgesetze in den Ländern regelten Maßnahmen für Fürsorge und Renten, unter besonderer Hervorhebung der Widerstandskämpfer. Die DDR hat eine Pflicht zur Wiedergutmachung auch für die auf ihrem Territorium lebenden Personen nie anerkannt. Die in der DDR lebenden NS-Verfolgten genießen aber Vorteile wie Gesundheitshilfe, längeren Urlaub, bevorzugte Wohnungszuweisung.
Bei Erwerbsminderung erhielten sie bis zum 1. Mai 1965 Leistungen aus der Sozialhilfe, danach wurde für die als Widerstandskämpfer und als Verfolgte anerkannten Personen eine monatliche „Ehrenpension“ eingeführt, zu der andere Rentenvergünstigungen traten. Entschädigungen für verlorenes Vermögen hat die DDR hingegen, wie auch die anderen Ostblockstaaten mit Ausnahme Bulgariens, nie gezahlt. Als bei den Verhandlungen mit der Bundesrepublik die Jewish Claims Conference auch Forderungen an die DDR erhob, blieb jede Antwort aus. In den frühen fünfziger Jahren fanden sich für die Ablehnung solcher Entschädigungsforderungen Erklärungen wie die, daß der jüdische Besitz ohnehin wie das übrige kapitalistische Vermögen verstaatlicht worden wäre; oder — mit bedrückenden Reminiszenzen in der Ausdrucksweise — im Prozeß gegen Paul Merker 1952 die Unterstellung, Merker habe sich durch die Befürwortung einer Entschädigung für Juden in den USA als „Subjekt der US-Finanzoligarchie“ entlarvt, indem er „die Finanzierung der Auswanderung jüdischer Kapitalisten“, „die Verschiebung von deutschem Volksvermögen“ verlangt habe. „In Wirklichkeit sind bei der , Arisierung 4 dieses Kapitals nur die Profite jüdischer* Monopolkapitalisten in die Hände , arischer 1 Monopolkapitalisten über-gewechselt.“
Die häufigste These der DDR zur Abweisung von Wiedergutmachungsforderungen faßte der DDR-Jurist Kaul 1961 in die Worte: Die DDR leiste „eine besondere Art der Wiedergutmachung. Sie besteht darin, daß wir die Nazis aus ihren Stellungen entfernt haben und daß ein Nazi in der DDR zu keiner wichtigen Position gelangen kann.“ Da für die DDR die Bundesrepublik in personeller und struktureller Kontinuität zum Deutschen Reich steht, zieht die DDR daraus die bequeme Konsequenz, daß für diese auch eine bleibende Verantwortung und Haftbarkeit besteht. 1975 hieß es zur Abweisung jüdischer Ansprüche an die DDR: „Noch ein Wort zu dem schuldbeladenen Gewissen der Deutschen. So etwas gibt es, und es entspringt zunächst einer gesunden Reaktion auf die Verbrechen der Faschisten. Aber für die DDR ist das längst gegenstandslos geworden.“ Ein weiteres Argument lautet, die Wiedergutmachungen seien Teil der Reparationen, zu denen die DDR nur gegenüber den Ostblockstaaten verpflichtet gewesen sei
Von der Weigerung, eine Wiedergutmachungspflicht anzuerkennen, rückte die DDR bisher nur zweimal ab einmal in dem schon erwähnten Fall Jugoslawiens, das 1957 die für die DDR völkerrechtlich außerordentlich wichtige Frage der diplomatischen Anerkennung nur unter Zusage von Wiedergutmachungsleistungen zu vollziehen bereit war, die 1963 auf rund 100 Mill. Mark festgesetzt wurden. 1973/74 trat eine ähnliche Situation bei den Verhandlungen über die diplomatische Anerkennung durch die USA auf. Die USA wiesen die These, daß die DDR nicht in Rechtskontinuität zum Deutschen Reich stehe, zurück und verlangten für ihre Staatsbürger eine Entschädigung für ehemaliges Eigentum auf dem Territorium der DDR. Die Aufnahme der Beziehungen wurde ermöglicht durch die Zusage der DDR, eine Zahlung in naher Zukunft zu prüfen. Die angedeutete Zusage wurde jedoch nicht erfüllt. Statt dessen bot das „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer“ eine einmalige Zahlung in Höhe von 1 Mill. Dollar an. Nahum Goldmann lehnte im Namen der Juden in den USA dieses Angebot ab unter Hinweis auf die ursprüngliche Forderung von 1952 in Höhe von 1, 5 Milliarden Dollar (als einem Drittel des insgesamt von Deutschland zu fordernden Betrages).
Mit Ausnahme Israels und der USA hat die ablehnende Haltung der DDR zu Wiedergutmachungszahlungen für diejenigen Staaten, die substantielle Forderungen an die Bundesrepublik gestellt hatten, keine größere Rolle bei ihrem Verhältnis zur DDR gespielt. Die mit der Entnazifizierung verbundene gesellschaftliche Veränderung in der DDR hat anscheinend in den meisten dieser Staaten die Empfindung dafür überdeckt, daß auch die DDR Nachfolgestaat des Dritten Reiches ist und als solcher für dessen Verbrechen zu haften hat.
In der Bundesrepublik und in Österreich warf das Entgegenkommen, mit dem man den Anhängern des Nationalsozialismus den Weg zurück in die Gesellschaft erleichterte, geradezu demonstrativ die Frage nach der Bereitschaft zur Wiedergutmachung an den Verfolgten auf, wenn die moralischen Grundlagen des Neubeginns glaubwürdig bleiben sollten. Die Art, wie in beiden Ländern die Entnazifizierung bzw. die Reintegration vorgenommen wurde, legt zudem die Vermutung nahe, daß in der Bundesrepublik die deutlichere Artikulierung des schlechten Gewissens über diesen Vorgang — den Karl Jaspers als das „Grundverbrechen der inneren Verfassung der Bundesrepublik“ bezeichnete — zugleich ein breiteres Empfinden für die Pflicht wach gehalten hat, an die Schuld zu erinnern und die Wiedergutmachung als moralische Pflicht anzuerkennen. Letztlich geht es bei dieser Frage um das Verständnis der Mitschuld des ganzen Volkes am Nationalsozialismus. Diese Mitverantwortung ist von Österreich nur zögernd anerkannt worden — mehr durch die Tatsache, daß es Leistungen zur Wiedergutmachung übernahm, als durch eindeutige Erklärungen. Das Ausweichen vor der Schuldfrage zeichnete sich schon vor 1945 ab, als gegen Ende des Krieges die Diskussion über Reparationen aufkam und die politische Emigration solche für Österreich abwies nicht nur mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche Belastung und deren mögliche politische Folgen, sondern mit der Leugnung einer moralischen Mitverantwortung Österreichs, „das selbst ein Opfer des deutschen Barbarismus ist“
Die DDR leitete aus der These, daß die Masse des Volkes nur irregeleitet worden sei und in der neuen Ordnung Träger und Ideologie des Nationalsozialismus ausgeschaltet seien, aus dem radikalen Elitenwechsel und der prominenten Vertretung von Widerstandskämpfern oder Emigranten in führenden Stellungen des Staates die Legitimation dafür ab, daß sie keine Pflicht zur Wiedergutmachung habe. Sie schob damit beiseite, was Grotewohl 1945 erklärt hatte: daß auch das Proletariat der „Gemeinschaft der Schande“ nicht entfliehen könne und deshalb Wiedergutmachung leisten müsse Die Bundesrepublik hat die Pflicht zur Wiedergutmachung als Folge der Verstrickung des ganzen Volkes anerkannt. Die Bereitschaft zur Haftung war hier zudem Konsequenz der These, als Sachwalter des ganzen deutschen Volkes in Kontinuität zum Deutschen Reich zu stehen. Im Selbstverständnis der Bundesrepublik entspricht das dem Bewußtsein, daß ein Volk sich aus seiner Geschichte nicht herausstehlen kann. Mit diesem Argument hatte schon im Widerstand Graf Moltke Wiedergutmachungsleistungen an den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung begründet. Zwar dürfe das deutsche Volk nicht kollektiv mit der Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus belastet werden, aber das Dritte Reich sei mit seinen Verbrechen ein Teil der deutschen Geschichte, für den das deutsche Volk als Ganzes einzustehen habe