Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist.
Ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, so kommen die Werke nicht zustande. Kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht. Gedeihen Moral und Kunst nicht, so trifft das Recht nicht.
Trifft das Recht nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen.
Also dulde man keine Willkür in der Sprache. Das ist es, worauf alles ankommt.
Kung-fu-tse
I. Einleitung
Die Sprache der Gesetze ist ein „ewiges Thema“ (Theo Öhlinger). Dessen Vielschichtigkeit, die sich jedem aufdrängt, der sich in das Nachdenken darüber einläßt, entsprechen unterschiedliche Ansätze des methodischen Zugriffs. Der Zahl nach überwiegen formale Betrachtungen. Erfreulicherweise beschäftigt sich auch die im Aufbau begriffene Gesetzgebungslehre mit der Problematik, und ebensowenig fehlt es an Interesse seitens der politischen Philosophie. Gewissermaßen der Ahnherr dieser Bemühungen ist Kung-fu-tse. Als er gefragt wurde, womit er beginnen würde, wenn er ein Land zu verwalten hätte, antwortete er: „Ich würde den Sprachgebrauch verbessern.“
Es ist nicht überliefert, wie die Schüler auf die Antwort des Meisters reagierten. Verblüfft werden sie wohl gewesen sein, mit Sicherheit aber betroffen. Diese Betroffenheit teilt sich auch dem mit, der die Worte des Kung-fu-tse heute liest. Aus diesem Grunde sind sie diesem Beitrag vorangestellt, und es wäre zu wünschen, daß handelnde Politiker Zeit und Gelegenheit fänden, über ihren Inhalt nachzudenken.
Das Verhältnis zwischem dem Geist der Gesetzgebung und der Sprache, in der die Gesetze abgefaßt sind, ist kein abstraktes Thema, das lediglich die Wissenschaft etwas anginge. Auch und gerade die Gesetzespraktiker in den Bundes-und Landtagen sowie auch die Ministerialbeamten, die man als die eigentlichen Gesetzesmacher bezeichnen darf, sollten sich angesprochen fühlen.
Dieser Beitrag beabsichtigt allerdings nicht, allen Aspekten der vielfältigen Beziehungen zwischen Politik und Sprache nachzugehen. Das wäre, mit Fontane zu sprechen, ein zu weites Feld Es reicht, um nur einige Stichworte zu geben, von Babylon, wo eine Machtelite mittels uniformer Sprache Menschen auf das politische Programm eines hybriden Turmbaues verpflichten wollte, bis zur LTI, der lingua tertii imperii im Wörterbuch des Unmenschen, von der Analyse politischen Sprechens in den Parlamenten und in den Medien bis zu der Frage, welche Schlüsselworte repräsentativ für eine Gesellschaft sind und wie die Sprache als Mittel der Legitimierung oder Illegitimierung konkreter Politik benutzt wird. Der Verzicht auf eine umfassende Betrachtung fällt um so leichter, als der Diskussionsstand der Debatte, die, angestoßen durch das Einsickern des sozialwissenschaftlichen* Jargons in die politische Sprache, seit den siebziger Jahren in der Bundesrepublik darüber geführt wird, ausgeprägten Niederschlag in der Literatur gefunden hat Vorzugsweise wird der Versuch unternommen. Veränderungen der Terminologie sowie Umschichtungen in der Bedeutung zentraler politischer Begriffe aufzuzeichnen und ihren Auswirkungen auf die Politik nachzugehen. Erwähnenswert dürfte es unter dem Gesichtspunkt politischer Philosophie auch sein, daß die Politiker in der Bundesrepublik nicht nur auf der Sünderbank sitzen, sondern sich auch nachhaltig bemüht zeigen, auf die
Bedeutung der Sprache für die Politik aufmerksam zu machen und offenkundige Mißstände als solche zu benennen. An der Spitze stehen dabei die jeweiligen Bundespräsidenten, die eine ihrer wesentlichen Aufgaben in jener Art politischer Pädagogik sehen, die auf ein Anheben der politischen Moral gerichtet ist, also das politische Ethos pflegt. Aber auch Bundeskanzler, Fraktionsvorsitzende, Minister und nicht zuletzt auch politische dei minores treten von Zeit zu Zeit mit Mahnungen hervor, der Pflege der Sprache im öffentlichen Leben größere Aufmerksamkeit zu widmen
II. Politische Kultur und Gesellschaft
Ohne Frage belegt dieses Interesse führender Politiker die eminent politisch-praktische Bedeutung dieser Thematik. Es darf allerdings nicht zu dem Schluß führen, daß den Verbalakten auch stets die gebotenen Aktionen zur Verbesserung der politischen Rhetorik wie der Gesetzessprache — als einer spezifischen Sprache politischen Handelns — folgten. Für die Politik der Gegenwart ist auf weiten Strecken typisch, daß zwischen Deklamation und Aktion, zwischen Wollen und Handeln, zwischen Ankündigung und Ausführung eine Diskrepanz besteht, die nichts weniger als zufällig ist. Unter den Bedingungen der modernen Mediengesellschaft tritt das politische Wort mehr und mehr an die Stelle des politischen Handelns, bei dem die widerstreitenden Kräfte, die im Gemeinwesen um politische Macht kämpfen, sich gegenseitig blockieren. Diesen Aspekt unserer Moderne muß im Auge haben, wer sich wundert, weshalb Worten keine Taten folgen. Anders ausgedrückt: Kulturpessimistische Klagen über den Sprachverfall gehören zu den Ritualen unseres Kulturlebens. Sie sind ein Bestandteil dessen, was man den dekorativen Teil unserer politischen Kultur nennen kann: eine allseits geschätzte musica di vocali, deren Genuß man sich unbefangen hingeben kann, weil man sich über die Folgenlosigkeit auch noch so bewegender Töne im klaren ist.
Damit ist das Stichwort Politische Kultur gefallen. Zur Klärung dieses Begriffs sei angemerkt, daß er in der deutschen Sozialwissenschaft, die Politikwissenschaft eingeschlossen, eine erstaunliche Karriere gemacht hat und auch in den Wortschatz der politischen Publizistik eingegangen ist. Unter Juristen wird er freilich mitunter noch mit durchgängigem Mißtrauen betrachtet, was nicht verwundern kann, wenn man bedenkt, daß in der deutschen Tradition Kultur und Politik nicht gerade als einander zugeordnete Begriffe galten.
Bis zu unseren Tagen war in Deutschland Kultur als Inbegriff geistig-künstlerischer Phänomene, als etwas Politikfernes begriffen worden. Politik und Kultur wurden einander als prinzipiell Verschiedenes gegenübergestellt, das Politische gewissermaßen dem Unpolitischen. Die damit verbundene Aufwertung der Kultur und Abwertung der Politik war insbesondere in den deutschen Bildungsschichten fest verankert. Man erinnere sich daran, wie die deutsche Klassik — nicht zuletzt unter dem Eindruck der deutschen politischen Misere in der Zeit Napoleons — den Sachverhalt beurteilt hat. So heißt es bei Friedrich Schiller: „Abgesondert von dem Politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Wert gegründet, . . . indem das politische Reich wankt, hat sich das geistige immer fester und vollkommener gebildet.“ Und über ein Jahrhundert später schrieb z. B. Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ 1918: „Die Politik macht roh, pöbelhaft und stupid. Neid. Frechheit, Begehrlichkeit ist alles was sie lehrt . . . Ich will nicht die Parlaments-und Parteiwirtschaft, welche die Verpestung des gesamten nationalen Lebens mit Politik bewirkt . . . Ich will nicht Politik. Ich will Sachlichkeit, Ordnung und Anstand.“
Es ist bekannt, daß Thomas Mann schon in der Weimarer Republik seinen Standpunkt geändert hat und vom Saulus zum Paulus wurde. Diese Wandlung machte jedoch keine Schule. Den wenigen Zeugnissen in der Literatur, die die Versöhnung von Politik und Kultur dokumentieren, steht vielmehr eine fast erdrückende Fülle von Äußerungen gegenüber, die schroffe Entgegensetzungen zum Inhalt haben.
Wer die Begriffe „politisch“ und „Kultur“ zusammenfügt, muß daher bis in die Gegenwart hinein gerade in den deutschen Bildungsschichten mit gefühlsmäßigen Einwänden rechnen, deren Hintergrund die Einstellung bildet, damit werde im Grunde Unvereinbares in einem sprachlichen Ausdruck zusammengefaßt. Das gilt sogar für solche Facheliten, die im Bereich der politischen Bürokratien tätig sind. So ist Gesetzgebung politisches Handeln schlechthin. Selbst unter der Fachelite der Legisten — also unter den professionellen Gesetzesmachern — ist jedoch die Meinung anzutreffen, das Politische sei von der Kunst des Legisten ablösbar, dieser habe ein unpolitisches Geschäft zu verrichten. Ohne Frage ist die Sache, um die es geht, wenn von politischer Kultur gesprochen wird, alt und der deutschen Staatsrechtslehre keineswegs fremd. Es genügt sicher, exemplarisch auf Hermann Heller und Rudolf Smend hinzuweisen, die auf die Verklammerung der politischen Strukturen und Prozesse mit gesellschaftlichen und kulturellen Wert-haltungen aufmerksam gemacht haben. Dietrich Schindler um einen anderen Staatsrechtslehrer zu nennen, gab den Hinweis, daß der moderne demokratische Staat in besonderem Maße der „ambiance“ bedarf, welche die positive Rechtsordnung durch außerrechtliche Faktoren kompensiert Geht man weiter zurück, so gehören zu den Ahnherren in dieser Reihe so erlauchte Geister wie Montesquieu und Tocqueville.
Das Verdienst, den Begriffder politischen Kultur in die neuere Wissenschaft eingeführt zu haben, kommt indessen nicht europäischen Kultur-oder politischen Soziologen oder gar Staatsrechtslehrern zu, sondern dem Amerikaner Gabriel Almond dessen zusammen mit Sidney Verba verfaßte Civic-Culture-Studien bahnbrechend wurden. Ausgangspunkt war die simple Erkenntnis, daß jedes politische System eingebettet ist in eine bestimmte Form („pattem“) politischer Orientierung, die das aktuelle politische Verhalten beeinflußt. Politische Kultur ist danach der Sammelbegriff für die Orientierungen, die die Mitglieder eines Gesellschaftsintegrats gegenüber ihrem politischen System, seinen Teilbereichen oder Subsystemen, seinen Normen, seinen Institutionen, seinen Prozessen und gegenüber ihrer eigenen Rolle in diesem System haben. Es handelt sich also um die Gesamtheit der Meinungen (beliefs), Einstellungen (attitudes) und Werte (values) in einer gegebenen Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt, wobei „Meinungen“ die oberflächlichsten und „Werte“ die am tiefsten gehenden Prädispositionen zu Handlungen darstellen. Sowohl die bestimmte Auffassung zu einem tagespolitischen Problem als auch die für einen längeren Zeitraum feststellbaren Präferenzen und die grundlegenden Bekenntnisse (etwa zu einer kommunistischen oder freiheitlichen Gesellschaftsordnung) gehören hierher, dann auch die politischen Traditionen, der Ruf und das Ansehen von Institutionen, die politischen Verhaltensstile der Bürger und der Eliten, die Volkshelden (keine Gesellschaft kommt ohne solche aus), die formalen und informalen Regeln des politischen Zusammenhandelns („Interaktionen“), schließlich die durch die jeweilige Ideologie gesetzten Ziele und die politischen Vorurteile oder Vorverständnisse, die in einer Gesellschaft vorhanden sind. Es handelt sich mithin um die Art und Weise, wie ein politisches System im Wissen, in den Gefühlen und in der Bewertung seiner Bevölkerung verinnerlicht wird, also um Orientierungsmuster, Formen politischer und sozialer Auseinandersetzung, Argumentationstypen und Verhaltensweisen, die für die Gesellschaft typisch sind und die ihrerseits dann auch das politische System beeinflussen.
Unterscheidet man dabei zwischen solchen Elementen der politischen Kultur, die rechtlich und/oder institutionell geregelt sind, und solchen, die tradierte Verhaltensweisen ohne rechtliche oder institutionelle Abstützung sind, so beanspruchen letztere besonderes Interesse. Die politische Soziologie neigt meines Erachtens zu Recht zu der Annahme, daß die wichtigsten Elemente der politischen Kultur eines Landes nicht in den geschriebenen oder ungeschriebenen institutionellen Regelungen enthalten sind, sondern in den gängigen Anschauungs-und Verhaltensweisen. In der Tat kann bei unvoreingenommener Betrachtung die Rolle der Tradition nicht übersehen werden. Vieles wird einfach deshalb so gemacht, weil es bisher stets so gemacht worden ist. Auch in den modernen, dynamischen Kulturen mit dem ihnen eigenen schnellen Wechsel in den Verhaltensweisen hat sich eine Fülle von Verhaltensweisen erhalten, deren Stabilität nur dadurch erklärt werden kann, daß sie in der Sozialisation der Bevölkerung fest verankert sind. Diese Verhaltensweisen werden den Kindern von den Eltern und Lehrern, auch von den Medien (als geheimen Miterziehern) nicht durch Unterweisung vermittelt, sondern auf dem Wege konkreter Erfahrung im Alltag.
Außer Frage steht, daß diese Art unbewußter Übernahme überall anzutreffen ist. Die Entwicklung einer jeden politischen Kultur ist das Ergebnis von Zusammenstößen und Auseinandersetzungen zwischen Traditionalismus und Moderne. Als erfolgreich gilt in offenen, freiheitlichen Gesellschaften eine Entwicklung, in der Modernisierung und Tradition sich ausbalancieren. Eine solche Kombination, die zu Recht als Glücksfall einer Entwicklung bezeichnet wird, setzt voraus, daß die Zusammenstöße zwischen Tradition und Moderne, ohne die ein Fortschritt nicht möglich ist, heftig genug gewesen sind, um Wandel zu bewirken, aber nicht so stark, daß sie zu Polarisierungen und zur Desintegration geführt hätten.
III. Sprache und Recht
Versuchen wir nach diesen Vorklärungen uns dem Kern unseres Themas zu nähern, so dürfte sich die Einsicht aufdrängen, daß sich in unserer politischen Kultur autoritär-obrigkeitliche mit demokratisch-liberalen Zügen mischen, wobei der vorherrschende Trend zunehmend auf das Zurückdrängen des autoritären Elements in unserer Gesellschaft zugunsten des demokratisch-liberalen geht. Dieser Trend macht sich nicht zuletzt in den Formen des zwischenmenschlichen Umgangs, der leichter und lockerer geworden ist, aber auch in der Sprache und dem Gebrauch der politischen Schlüsselwörter bemerkbar; er ist indessen nicht unangefochten. Weitere Grundzüge, die unsere politische Kultur formen, sind Verwissenschaftlichung. Bürokratisierung und Verrechtlichung (Legalismus). Weder unsere politische noch die davon beeinflußte Rechtskultur, die eine Subkultur der politischen Kultur ist, bieten unter diesen Umständen ein einheitliches Bild.
Was unter Bürokratisierung zu verstehen ist, bedarf keiner Ausführung, weil wir uns Max Weber anschließen können: Es handelt sich um die Herrschaftsausübung mittels bestimmter, büromäßiger
Verfahren, die durch die Merkmale Regelhaftigkeit, Aktenabhängigkeit, Amtskompetenz und Amtshierarchie gekennzeichnet sind. Voll bürokratisiert ist eine Institution, wenn das büromäßige Verfahren und nicht mehr die Tätigkeit der Individuen die Abläufe in der Institution prägt. Verwissenschaftlichung ist, sit venia verbo, die Entzauberung der Welt durch vernünftiges Denken, Rationalisierung, Technisierung, Versachlichung der Menschen und der Beziehungen zwischen den Menschen. Auf das Recht bezogen ist sie das Ergebnis und die Weiterentwicklung jenes historischen Prozesses, den man Rezeption nennt, die Heraufkunft und die Herrschaft des rechtsgelehrten Juristen eingeschlossen Was die Gesetzgebung angeht, so erreicht sie in der Begriffstechnik der großen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt.
Legalismus (Verrechtlichung) schließlich bedeutet: Unser soziales Leben wird von Gesetzen beherrscht. Als mächtiger Katalysator der Verrechtlichung hat sich dabei der Siegeszug des sozialen Gedankens erwiesen, der die Güter des Lebens nicht mehr den „wenigen Glücklichen“ Vorbehalten, sondern allen zugänglich und für alle verfügbar machen möchte. Der Trend zur Verrechtlichung ist so mächtig, daß selbst die anhaltende Kritik an der Gesetzesflut gegen sie nichts Nennenswertes auszurichten vermochte. Je mehr die Gesellschaft die Kraft zur Selbststeuerung verliert, je schwächer die moralischen Bindungen werden und je vielfältiger sie das Spektrum der Wertüberzeugungen darbietet, um so mehr gewinnt das Recht an Bedeutung. Es wird sozusagen zum Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Die Entwicklung ist ambivalent: Die einen sprechen von der integrierenden Herrschaft des Rechts, die die zentrifugalen Kräfte der Gesellschaft zügelt, die anderen vom Rechtsimperialismus der danach strebt, sich das soziale Leben zu unterwerfen.
Es ist evident, wie mühelos sich die skizzierten Grundzüge unserer politischen Kultur mit autoritärer Herrschaft verbinden lassen, werden diese nun von einzelnen oder von Eliten ausgeübt. Ebenso leicht ist aber auch einzusehen, daß Konflikte entstehen müssen, je kräftiger sich die demokratisch-liberalen Tendenzen im Widerspruch zu autoritären Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen entfalten. Die Gesetzessprache, deren sich unsere Legisten bedienen und für deren Erhalt sie unaufhörlich sorgen, spiegelt diese unentschiedene Lage getreulich wider. Sie hat, was zu ihrem Lobe gesagt werden muß, den barocken Prunk und Schwulst überwunden, in dem sich die ältere Rechtssprache gefiel, weil sie darin eines ihrer arcana imperii sah. An die Stelle der alten sind jedoch neue Formen der Distanzierung getreten, nämlich solche, die den autoritär-bürokratisch-wissenschaftlichen Zügen der politischen Kultur entsprechen. Das erhellt jede nähere Betrachtung der Sprache unserer Gesetze.
Sie befiehlt, was das Kennzeichen autoritärer Geisteshaltung ist, ohne zu begründen, sie hat, um Gustav Radbruch zu zitieren, die selbstgewählte Armut eines Lapidarstils, die Barschheit eines Befehls. Es liegt ihr nichts daran, von ihrer Zweckmäßigkeit zu überzeugen, um Einsicht und Verständnis der Adressaten zu werben. Sie verschmäht auch die Belehrung, gibt kaum Hilfen — erst 16 recht nicht visueller Art, wie sie etwa Linguistik und Kommunikationswissenschaft fordern. Die abstrakt-theoretische Systematik wird groß, der konkret-praktische Zusammenhang dagegen klein geschrieben. Das „iura vigilantibus scripta sunt“ gilt wie eh und je. In hoher Blüte ist auch nach wie vor die Verweisungstechnik. Will der Gesetzgeber einmal die Vorschriften ohne Verweisungen gestalten, so findet sich schnell — und ausgerechnet! — eine Kommission für Rationalisierung, die dafür sorgt, daß die gesetzestechnischen Weisheiten des BGB auch für die neue Gesetzgebung maßgebend bleiben. Auf die Wortungetüme und Gesetzestechniken, die uns der internationale Bereich — namentlich in der EG — beschert, sei hier nur in Parenthese hingewiesen. Autoritär-bürokratische Züge prägen mithin ganz wesentlich unsere Gesetzessprache; sie werden gestützt durch die traditionalen Bestandteile unserer politischen Kultur.
Fragen wir demgegenüber, wie eine den freiheitlich-demokratischen Werthaltungen unserer politischen Kultur Rechnung tragende Gesetzessprache aussehen müßte, so müssen wir bedenken, daß Desiderate leicht den Bezug zur Wirklichkeit verlieren. So wird vielfach die Entideologisierung als Postulat liberal-demokratischer Orientierung angesehen, was für unser Thema bedeuten müßte, daß aus der Gesetzessprache alle ideologischen Bestandteile zu eliminieren wären. Nun gehört ohne Frage die Skepsis gegenüber Ideologien zur liberalen Orientierung, die in der modernen politischen Kultur eine große Rolle spielt. Mißtrauen gegenüber gängigen Auffassungen, Kritik an dem Bestehenden, Entlarvung falscher Wahrheiten — der „Götzenbilder“ Bacons — kennzeichnen den liberalen Denkansatz, und nicht zufällig hat sich die Aufklärung, wenigstens für den deutschen Sprachraum, in Kants Kritik der Vernunft vollendet. Redliches Nachdenken muß indessen zu dem Ergebnis führen, daß Ideologiefreiheit ein in der Gesetzessprache nicht einlösbares Postulat ist, sofern man nicht unter Ideologie einen Kampfbegriff versteht, der immer nur den Gegner trifft. Diese Neigung ist gerade in der juristischen Argumentation verbreitet, wo mit Vorliebe der Gegner unter Ideologieverdacht gestellt wird, während die eigene Position davon frei sein soll. Diese Position ist jedoch nicht haltbar. Jedes Werturteil kann nichts anderes sein als eine ideologische Aussage Überall dort, wo die Gesetzgebung wertet, kann daher die Gesetzessprache ideologischer Bestandteile nicht entraten. Auch die liberale Demokratie ist werterfüllt, auch sie hat ihre Credenda. Machtkampf und Interessenwiderstreit tun ein übriges. Eine unverzerrte Kommunikation, in der der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ (Jürgen Habermas) sich durchsetzt, gibt es in der Gesetzgebung nicht.
Richtig ist allerdings, daß die Rechtssprache in der freiheitlich-demokratischen Kultur weit nüchterner, schmuckloser, mehr sachbezogen und weniger emphatisch sein soll als in Kulturen, in denen sie einen betonten Part im Gebiet der hoheitlichen Miranda zu spielen hatte. Freilich ist auch hier eine Einschränkung geboten. Ganz verzichtet auch der liberale, demokratische Staat nicht darauf, die Sprache der Gesetze in den Dienst jener Synthese von Ästhetik und Autorität zu stellen, der jeder Staat bedarf, um sich behaupten zu können. Es liegt — um Charles E. Merriam zu zitieren — in der Art der Macht — jeder Macht —, daß sie sich mit Credenda und Miranda umgibt, die man glauben und bewundern soll, mit Symbolik und Zeremoniell. Deshalb besteht auch in einer demokratischen Kultur die Tendenz, die Gesetzessprache von der des platten Alltags abzuheben. Nicht nur Präambeln wohnt eine gewisse Feierlichkeit inne. Auch die Sprache des Gesetzgebers ist eine gehobene Sprache und nicht der Jargon der Massen.
Soviel über die Unmöglichkeit, die Gesetzessprache ideologischer Beeinflussung zu entziehen. Nun zu den Merkmalen der Gesetzessprache, die man gern als technische Anforderungen an die Gesetzgebung bezeichnet. Es handelt sich um die Forderungen, die die Rechtsanwender — besser: die Funktionseliten, die den Rechtsapparat bedienen, mit dem Recht umgehen, also Llewellyns lawmen — an den Gesetzgeber richten. Diese Erwartungen zielen auf Systematik, Übersichtlichkeit, Ordnung und Genauigkeit. Der Gesetzgeber wird mit ihnen unabhängig davon konfrontiert, ob er sich als Erzieher des Volkes versteht oder nicht. Eine solche Funktion, wie sie z. B. das Aufklärungszeitalter der Gesetzgebung zugedacht hatte, weist der moderne Gesetzgeber von sich. Gleichwohl kann auf Klarheit und Präzision der Gesetzes-sprache nicht verzichtet werden.
Das heißt: Ohne klare Begriffe und präzise Formulierungen kann der Rechtsanwender nicht auskommen. Es ist richtig, wenn darauf hingewiesen wird, daß man die heutige Gesetzgebung nicht am Rationalitätsverständnis des Kodifikationszeitalters messen kann Die dynamische Gesellschaft der Gegenwart braucht Einzelgesetze, weil nur auf diesem Wege die vielfältig an den Staat gestellten Steuerungs-und Gerechtigkeitserwartungen erfüllt werden können. Im modernen Einzelgesetz regiert aber der Zweckbezug und nicht das, was das Kodifikationsgesetz auszeichnete: Systematik, Lehrhaftigkeit, Prägnanz der abstrakten Sprache. Die unterschiedliche Funktion schließt jedoch nicht aus, die Gesetzgebungstechnik zur Beachtung des Kriteriums der Klarheit und Präzision anzuhalten; im Gegenteil: Jeder Verlust an Präzision geht auf Kosten der Rechtssicherheit, er schwächt die Determinierung des Rechtsanwenders durch das Gesetz und vergrößert die Interpretationsmacht von Rechtsprechung, Verwaltung und Wissenschaft. So gesehen, ist evident, daß eine an Liberalität orientierte Gesellschaft, die Eingriffe in die Freiheit des Individuums auf das unerläßliche Mindestmaß zu beschränken sucht, in besonderer Weise an der Präzision der Gesetzessprache interessiert ist, während das Vordringen sozialer oder sozialistischer Orientierungen, die auf Ausgleich zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden und auf Schutz der sozial Schwachen zielen, unbestimmte Begriffe und Formeln — insbesondere die sogenannten Generalklauseln — als adäquate Mittel zur Herstellung größerer sozialer Gerechtigkeit im konkreten Fall bevorzugt. Gesetzesmacher, die ihre Arbeit unter der Herrschaft sozial-liberaler Regierungskoalitionen verrichtet haben, können denn auch von den Schwierigkeiten, die aus diesen widerstreitenden Erwartungen resultieren, ein Lied singen.
Das Verhältnis der zum Staat verfaßten Gesellschaft zum Individuum ist in solcher Lage daran orientiert, daß der Staat nur unter den vom Gesetz bestimmten Voraussetzungen und nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen in die Sphäre des Individuums eingreifen darf; das Verhalten des Staates soll voraussehbar, berechenbar und meßbar sein. Allgemein — und das heißt: unter Verzicht auf Subtilitäten — läßt sich sagen, daß das Strafrecht, das von allen Rechtsgebieten am schärfsten in die Existenz des Menschen eingreift, unter rechtsstaatlich-liberalen Auspizien auch das Gebiet ist, das am deutlichsten dem Bestimmtheitsgrundsatz huldigt. Möglichst genau umgrenzte Tatbestände, bestimmte Tatmerkmale und präzise Strafrahmen dienen dem Schutz vor Willkür. Je mehr soziale Gedankeninhalte das Strafrecht erfassen will — etwa bei der Strafzumessung —, je nachdrücklicher die Tendenz auf Einzelfallgerechtigkeit zielt, um so prekärer wird die Situation, um so lebhafter die Forderung nach Entgrenzung etwa in bezug auf die Wahl der Sanktion, ganz zu schweigen von dem Vordringen der unbestimmten Rechtsbegriffe im Recht der Verwaltung. Die praktische Konkordanz zwischen diesen gegenläufigen Orientierungen ist in der Maschinerie der Gesetzgebung oft nur schwer herzustellen. Die demokratischen Instanzen der Gesetzgebung — namentlich die Parlamente — fangen in der Bundesrepublik jedenfalls erst allmählich an zu begreifen, daß sie ihre Macht selbst schwächen, wenn sie mit Hilfe von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln offene Streitfragen oder ungelöste Materien an die in Verwaltung, Justiz und Wissenschaft dominierenden Funktionseliten weiterreichen.
In der weiteren Tendenz moderner politischer Kulturentwicklung, von der nun die Rede sein soll, verbinden sich demokratische und soziale Werthaltungen in der Forderung nach Verständlichkeit. Cali-gula ließ die Gesetze so hoch an den Säulen anbringen, daß sie niemand zu lesen vermochte. Heute — im demokratischen Zeitalter — sollen Gesetzgebung und Rechtsapparat dem Menschen dienen. Aus diesem Grunde sollen die Gesetze nicht nur für jedermann erreichbar sein, jeder Bürger des Staates soll sie auch verstehen können.
Daß dieses Postulat heute noch weitgehend musica di vocali ist, kann nicht verschwiegen werden. Die Gesetze erreichen mit ihrer Verkündung im Gesetz-blatt selbst bei Unterstützung der auf sie hinweisenden Medien nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Die große Masse der Völker lebt am Recht vorbei. Ihr Handeln wird bestenfalls von einem dunklen, oft trügerischen Rechtsgefühl geleitet, ihr Rechtsleben ist der Diskretion der Fachjuristen überlassen und damit in Wirklichkeit oft dem Zufall preisgegeben. Trotz partieller Fortschritte ist das heute im ganzen nur wenig anders als um die Jahrhundertwende, als Anton Menger dies niederschrieb. Analysiert man die Gründe für die Diskrepanz zwischen dem, was sein sollte, und dem, was tatsächlich ist, so stößt man unweigerlich auf Schwierigkeiten in der wechselseitigen Verständigung. Jede Strategie, die darauf abzielt, das Recht der -Diskre tion der Fachjuristen zu entreißen und zu einem realen Angebot für alle Bürger zu machen, ist daher darauf verwiesen, die Kommunikation zwischen dem Recht und dem Bürger als Zentralproblem zu begreifen. Nur dann, wenn die Frage der Verständigung zwischen Recht und Bürger befriedigend gelöst wird, kann man hoffen, daß jene Zielsetzungen, die die Rechts-und Verwaltungspolitik mit Stichworten wie „soziales Recht“, „bürgerfreundliche Rechtspflege“, „bürgernahe Verwaltung“ umschreibt, nicht Absichtserklärungen bleiben, sondern Wirklichkeit werden
Unerläßlich ist es dabei, Klarheit darüber zu schaffen, wer Adressat der Gesetze ist. Demokratische politische Kultur ist — das wußte schon Tocqueville, der nicht müde wurde, diesen Tatbestand ins öffentliche Bewußtsein zu heben — Massenkultur. Das bedeutet — wenigstens tendenziell — die Negierung elitärer Positionen. Adressat der Gesetze in der Demokratie ist daher nicht nur der juristisch geschulte Rechtsanwender, sondern auch und gerade der Bürger als juristischer Laie Das gilt potentiell für alle Rechtsgebiete, mögen auch in der Praxis technisch-elitäre Reservate bestehen. Der Bürger ist die allgemeine Bezugsgröße für die moderne Gesetzgebung. Um Verständlichkeit für eben diesen Bürger geht es, wenn hier von Verständlichkeit der Gesetzessprache gesprochen wird.
Was mit dem „Bürger“ als dem Adressaten der Gesetze gemeint ist, läßt sich ohne Schwierigkeiten darlegen. Unter „Bürger“ sind Frauen und Männer zu verstehen, „die, ohne eigentlich gelehrte Erziehung, durch einen gewöhnlich guten Schulunterricht zum Nachdenken einigermaßen vorbereitet .. . und fähig sind, allgemeine Wahrheiten und Grundsätze, wenn sie in der leichten Sprache des täglichen Umgangs ohne wissenschaftliche Einkleidung vorgetragen werden, zu begreifen und einzusehen“ (so schon Ende des 18. Jahrhunderts der preußische Rechtsreformer Suarez) Der Forderung, für Staatsbürger in diesem Sinn verständlich zu sein, genügen unsere Gesetze nicht. Als das BGB in Kraft trat, wurde darauf hingewiesen, daß dieses für den Alltag eines jeden Bürgers bedeutsame Gesetz dürr, farblos und jeder Volkstümlich-same Gesetz dürr, farblos und jeder Volkstümlichkeit bar sei; seine Sprache wurde als technisches, vorwiegend abstraktes „Pandektendeutsch“ gekennzeichnet. Im Prinzip trifft diese Kritik nach wie vor zu. Keines unserer Gesetze redet eine Sprache, die der Bürger gewohnt ist; sie zu verstehen, bereitet ihm enorme Schwierigkeiten.
Selbstverständlich ist es richtig, wenn darauf aufmerksam gemacht wird, daß die Gesetzes-und Rechtssprache sehr viel weniger kompliziert ist als die anderer Disziplinen. Die Juristensprache ist keine Theorie-oder Wissenschaftssprache, die sich durch strenge Formalisierung kennzeichnet, sondern eine fachliche Umgangssprache Für den Rechtspolitiker ist das jedoch nur ein geringer Trost. Denn während die Wissenschaftssprachen Verständigungsmittel allein für einen Kreis eingeweihter Fachgenossen sind, wenden sich die Gesetze an das gesamte Volk. Wer das Recht nicht kennt, erleidet Nachteile. Rechtskenntnis wird sogar vielfach vorausgesetzt, wie jener Satz verkündet, wonach Unkenntnis nicht vor Strafe schützt. Daß die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Rechtskenntnis nur eine Fiktion ist liegt für jeden Betrachter auf der Hand. Schuld daran trägt nicht zuletzt die Sprache. Die „selbstgewählte Armut eines Lapidarstils“, von der, Radbruch zitierend schon die Rede war, konnte Schriftstellern wie Stendhal als stilistisches Vorbild dienen. Als Imperativ, der auf Begründung verzichtet, Fragen nach Sinn und Zweck nicht zuläßt und sich auch bewußt seiner Allgemeinverständlichkeit entkleidet, ist sie aber wenig geeignet, die Verständnis-ebene zu treffen, auf der sich Bürger untereinander verständigen. Bezeichnend für den Zustand unserer Gesellschaft ist dabei, daß selbst sozialstaatliche Gesetze — also solche, die dem sozial Schwächeren zugute kommen sollen — in einer Sprache abgefaßt werden, die die Begünstigten der Gesetze kaum oder gar nicht verstehen können.
Die ältere Rechtssprache war gerade in Deutschland volkstümlich. Daß sie es heute nicht mehr ist (und nicht mehr sein kann), hat seine Ursache in der Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter, in der Verwissenschaftlichung von Recht und Rechtsdenken im 19. Jahrhundert (Savigny!) und schließlich in der Bürokratisierung, die mit diesen Vorgängen einher ging. Es ist aussichtslos, diese Entwicklung umzukehren und die dadurch geschaffenen Tatbestände aus der Welt schaffen zu wollen. Wer das wollte, würde sich vorhalten lassen müssen, daß er einer rückwärtsgerichteten Utopie anhinge. Möglich sind jedoch Kompromisse, die dem Umstand Rechnung tragen, daß Adressat der Gesetze nicht nur der mehr oder weniger juristisch geschulte Rechtsanwender, sondern auch der Bürger ist. In der Praxis heißt das nach der Nollschen Formel daß die Gesetze so verständlich sein müssen, wie es die Regelungsmaterie und das Verständnis derjenigen, die vom Gesetz betroffen, berechtigt und verpflichtet werden, gestatten. Zwischen Anschaulichkeit und Abstraktion, zwischen Verständlichkeit und Präzision muß ein praktischer Kompromiß gesucht werden, wobei in einem demokratischen Staatswesen der Vereinfachung und Verständlichkeit im Zweifelsfall der Vorrang einzuräumen ist. Anderenfalls müßte der Staat selbst als verpflichtet angesehen werden, neben den sich an die Juristen wendenden Gesetzen — wie zu Suarez’ Zeiten — „Volksgesetzbücher“ zu schaffen, in denen den Bürgern das Recht in einer faßlichen Form vermittelt wird. Der Staat hat hier gegenüber den Bürgern eine Bringschuld.
IV. Fazit
So ist die Einsicht unvermeidlich, daß die demokratisch-humanitäre Komponente der modernen politischen Kultur, nämlich die demokratischen, sozialen und humanitären Werthaltungen, die das moderne gesellschaftliche Bewußtsein akzentuieren, in der Gesetzessprache noch keinen angemessenen Ausdruck gefunden haben. Dieser Zustand enthält nicht nur eine harsche Kritik an den sich demokratisch nennenden politischen Systemen, sondern wirft auch immer wieder die Frage nach der Ernsthaftigkeit der demokratischen Legitimierung und Akzeptanz der Gesetze auf — wie soll ein aufgeklärtes Volk Gesetze akzeptieren, verinnerlichen, mit Leben erfüllen, die es nicht kennt?
Konkrete Schritte für Verbesserungen müssen daher erörtert und gegangen werden Die Betonung der Verständlichkeit darf dabei allerdings nicht als Radikalkur zur Nivellierung verstanden werden. Unsere politische Kultur ist nicht einseitig demokratisch, sozial und humanitär determiniert, sie enthält — eingangs wurde darauf hingewiesen — auch andere Bestandteile, nicht zuletzt liberale. Dieser Zusammenhang darf bei der Suche nach konkreten Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesetzessprache nicht außer acht gelassen werden. So steht nichts im Wege, nach wie vor den Gesichtspunkten der Logik wie der Ästhetik große Bedeutung beizumessen. Viele Verständnisschwierigkeiten beruhen auf mangelnder Strenge und Genauigkeit des Denkens wie auf fehlender wissenschaftstheoretischer Schulung. Radbruch trete ich dahin bei, daß die Eleganz juristischer Lösungen in ihrer Einfachheit beruht. Umständlichkeit und Schwerfälligkeit beherrschen jedoch immer wieder (immer noch?) die Diskussion und prägen auch die endlich beschlossene Formulierung. Die Philosophenweisheit, wonach den Gedanken verbessert, wer den Stil verbessert, scheint in den Wind gesprochen zu sein.
Auch eine Entrümpelung der Rechtssprache von veralteten Ausdrucksformen tut not. Unsere großen Kodifikationen entstammen nicht nur der Anschauungs-und Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts, sie sind auch der Sprache dieser Zeit verhaftet. Es sollte nicht schwerfallen, die veraltete Ausdrucksweise durch eine unserer Zeit angemessene zu ersetzen (wie das auch in der heutigen Novellengesetzgebung vielfach geschieht). Wenn dabei auch die Rechtswissenschaft auf liebgewordene Begriffe zu verzichten lernt, so wäre das kein Nachteil. Nicht nur Gesetz und Recht, sondern auch wissenschaftliche Begriffe erben sich fort, wenngleich nicht verkannt werden soll, daß die Entrümpelung der juristischen Dogmatik kontinuierliche Fortschritte macht.
Der Mitarbeit der Sprachwissenschaft wie der Sprachkritik an der Gesetzesformulierung rede ich entschieden das Wort. Die Formen, in denen sich diese bisher in der Bundesrepublik vollzieht, sind sicher unzureichend. Verbesserungen sind jedoch sowohl bei der Gesetzesvorbereitung in den Ministerien als auch in den Gesetzgebungshilfs-und -beratungsdiensten der Parlamente möglich und erreichbar.
Man sollte andererseits auch nicht verkennen, daß Sprachkritik und Sprachwissenschaft nicht die unmittelbare Verbindung mit dem Volk ersetzen können. Wenn die Sprache des Gesetzes nicht nur die Rechtsanwender, sondern auch die Bürger erreichen soll, ist es deshalb notwendig, „dem Volk aufs Maul zu schauen“ (um mit Luther zu sprechen), das heißt: die Perspektive des Rezipienten (um eine Konzession an den Fachjargon zu machen) in die Diskussion um den sprachlichen Ausdruck der Rechtsnormen einzubringen und stets daran zu denken, daß das Recht keine dem Menschen feindliche, sondern eine ihm freundliche Macht sein soll.
Ohnehin sollte man sich nicht scheuen, die Beförderung der Humanität als ein Anliegen der modernen politischen Kultur zu bezeichnen. Wie Liberalismus, Demokratismus und Sozialismus, so leistet auch der Humanismus seinen Beitrag zu ihrer Entfaltung. Als Gegenstück zur Selbstentfremdung wurde die menschliche Gesellschaft postuliert und von dieser Vision für die praktische Politik die Forderung abgeleitet, Gesellschaft und Staat so zu gestalten, daß jeder Mensch seiner Würde gemäß leben kann. Auch die Forderung „mehr Menschlichkeit im Recht“ ist kein harmloses Etikett. Dem Recht ist, worauf kürzlich Theo Mayer-Maly hingewiesen hat, Humanität keineswegs immanent. Weit öfter als auf der Seite der Menschlichkeit stand es auf der Seite der Inhumanität. Gerade die deutsche politische Kultur war traditionell dadurch gekennzeichnet, daß ihr der einzelne Mensch wenig bedeutete. Nicht in der Entfaltung seiner Persönlichkeit, wie der Humanismus es will, sondern im Dienst für ein Abstraktum — den Staat — sollte der Mensch seine Erfüllung finden. Das Recht wurde nicht von der Gesellschaft und vom Bürger, sondern vom Staat und vom Rechtsapparat her gedacht und entwickelt. Juristen schrieben gleichsam Recht für Juristen, während die Perspektive des vom Recht Betroffenen kaum beachtet wurde. Bezeichnend dafür war die Sprache, wenn sie vom „Rechtsunterworfenen“ und vom „Publikum“ sprach, von der Person als dem Bezugspunkt von Rechten und Pflichten, nicht aber vom konkreten Menschen in seiner Macht und Ohnmacht. Hinter den hochgeschichteten Normengebirgen, die Ordnungsdenken und Staatsvergottung errichteten, konnten Mensch und Menschliches verschwinden.
Man trifft den Kern der deformation professionelle, die diese Art von Recht den Menschen bereitet, wenn man den von ihm geprägten Juristen abstrakte, kalte Verständlichkeit attestiert, eine geistige Einstellung, die ihn vom Menschen in psychischer und physischer Hinsicht abstrahieren läßt.
Es herrscht eine spezifische Vernünftigkeit, die am Menschen in seiner konkreten Situation und seinen Schwächen, Nöten und Empfindungen vorbeisieht und damit gerade an dem, was das Menschsein ausmacht.
Heute nun soll das Recht keine Majestät mehr sein, die den Menschen zermalmt. Es soll eine dem Menschsein freundliche Macht sein. Dieser Tendenz Ausdruck zu verschaffen, ist eine Aufgabe für das, was man Sprachpolitik bei der Abfassung von Gesetzen nennen kann — des Satzes von Fontane eingedenk, wonach Sprache das Menschlichste am Menschen ist.
Wäre es nicht eine Aufgabe für den neuen Deutschen Bundestag, hier mit gutem Beispiel voranzugehen? Es ist eine alte Weisheit: Wie ein Staat mit seinen Bürgern spricht, so geht er auch mit ihnen um. Die Zeit, in der die Staatsmacht in Justiz und Verwaltung das Imponiergehabe pflegte und die ehrfurchtgebietende Unverständlichkeit im Kanzleistil ihre Blüten trieb, liegt weit zurück. Wir haben in der Justiz wie in der Verwaltung einen menschlichen, dem Bürger freundlich und teilweise sogar hilfsbereit entgegenkommenden Verfahrensstil entwickelt.der seine Früchte trägt. Nun ist es an der Zeit, auch den Stil der Gesetzgebung dem eingetretenen Werte-und Anschauungswandel anzupassen. Die Bürger würden es ihren Abgeordneten danken.
Zugleich wäre das Bemühen um bessere Verständlichkeit der Gesetze ein wichtiges Stück Parlamentsreform. „Häßlichkeit verkauft sich schlecht — auch gegenüber den Normunterworfenen“, hat ein österreichischer Jurist — der 1984 verstorbene Fritz Schönherr — geschrieben. Auf dem ihm im Herbst 1985 gewidmeten, von der Österreichischen Gesellschaft für Gesetzgebungslehre veranstalteten internationalen Symposion wurde Niklas Luhmann zitiert, der festgestellt hatte, daß die heutige Gesetzessprache weder Gedächtnis-noch Überzeugungshilfen vermittle und sich überhaupt nicht zum Hören oder Lesen, sondern nur zum Nachschlagen bei der Suche nach spezifischen Problemlösungen eigne. Es wurde aber auch bekräftigt, worin Schön-herr den Nutzen der Sprachpflege bei der Gesetzgebung gesehen hat
— Sprachbarrieren beseitigen und damit erleichterten Zugang zum Recht schaffen;
— Lebensqualität erhöhen. Menschenfreundlichkeit üben:
— für Rationalisierung sorgen, Behörden und Bürger entlasten;
— ein Beispiel geben für den allgemeinen Sprachgebrauch und damit eine kulturelle Aufgabe erfüllen. Vielleicht lassen sich in der Legislaturperiode des neuen Bundestages, der jetzt seine Arbeit begonnen hat, nur kleine Fortschritte erzielen. Dennoch soll man nicht zögern, jede Chance zur Sprach-pflege zu nutzen. Auch dies entspräche der Weisheit des eingangs zitierten chinesischen Philosophen: Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu beklagen.
Aus der vom Bund der Steuerzahler NW e. V. herausgegebenen Broschüre „Bürokratisch. Von der Verungfallung der deutschen Sprache“, Düsseldorf 1986: abgeschlossene geschlechtsbezogene WC-Anlage, die Musterbeispiel einer Sprache bar jeder Körperlichkeit Man stelle sich vor, der Kneipenwirt schriebe jenes anstatt „Damen" und „Herren“ auf entsprechende Türen. Bis der weinig-beseelte oder bierig-wonnige Stammtischler dies verstanden hat, kann's meist schon zu spät sein. ablesbarer Nutzungsbereich, der Taucht mit Vorliebe in Konzepten, -Planpapieren, Statistiken auf. Besagt schlicht nur, daß man auch auf wenigen Seiten das sagen kann, was auf pfundschwerem Papier steht.
Abplatzung, die Formschöne Umschreibung dafür, daß an den Wänden der Putz abbröckelt. Auch die Kosmetikindustrie steht noch immer ratlos vor diesem Problem.
Abschnittsbildung, die Bildung von Abschnitten und nicht in Abschnitten. Zugegeben, eine recht müde Definition. Wir warten auf die Lebensmittelindustrie und deren „Scheibenbildung“.
Abschreckungspotential, das Folgender Satz kommt raus, wenn man einen Beamten, der schon immer in den Auswärtigen Dienst wollte, im Amt für Wirtschaftsförderung werkeln läßt: „Altlasten stellen für die Industrieansiedlung Abschreckungspotential dar." Siehe auch — Lähmungspotential.
Absprache treffen..., die Warum muß die Absprache derart aufgeblasen getroffen werden. „Sich absprechen" träfe genauso, ist natürlich nicht so bombastisch und bedeutungsschwanger.
Abwasserbehandlungsanlage, die Der, bei dem besagtes Wasser durch die Rohre rauscht, sagt dazu „Kläranlage". Aber wie schnöde scheint „klären"
gegenüber „behandeln“. Man sieht ihn richtigvor sich, den Abwasserbehandler, der Hand anlegt, damit's nicht nur sauber, sondern rein wird.
Aktionsveranstaltung, die Wunderschöne Mischung aus Turbo und Rollschuhen. Der Schein heiligt die Mittel. Aktionsveranstaltungen sind meist Straßen-oder Parteifeste, ebenso vom Sportdezernenten überwachtes Volksschwimmen. „Aktion“ ist auch dann, wenn eine Verwaltung den Stadtmeister im Sack-hüpfen, Springen vom Beckenrand oder den Hobbygärtner mit dem dicksten Blumenkohl sucht. allseitig, Gravitätischer und erhabener als „von allen Seiten". Erinnert in seiner Bedeutungsschwere unwillkürlich, aber allgewaltig an allmächtig, allwissend, allgegenwärtig.
Alternativüberlegung, die Diese mündet bekanntlich in mindestens 6 bis 14 Alternativen, obwohl derer doch nur zwei sein dürfen. Auf jeden Fall kommt raus, daß die erste Alternative -die, bevor überlegt wurde -die beste ist.
Anerkenntnis, die Dokumentiert eindrucksvoll die Furcht, Zeitwörter zu gebrauchen. Wobei „anerkennen" zwar nicht von wahrer Meisterschaft zeugt, aber den guten Willen erkennen läßt.
Wie wenig gewillt ist dagegen „in unserer Anerkenntnis“.
Anrampung, die Meint den Bau einer Rampe, was allerdings zu alltäglich wäre; in Einzelfällen auch die Rampe selbst. Der Gebrauch von „Anrampung" hat den Vorteil, daß Blut, Schweiß und Tränen, die beim Bau derselben geflossen sind, nachträglich, bildlich sozusagen, erneut nässen.
Antragsbegehren, das Da selbiges meist in vielfacher schriftlicher Form vorliegen muß, böte sich für das Formblatt das wichtigtuerische „Antragsbegehrensformular" an. „Heiratsantragsbegehren" war bislang noch nicht zu vernehmen.
Aufhaldung, die Für einen vielstöckigen Müllberg sorgen.
Aufweitung, die Ein weites Feld, in der Tat. Aufgeweitet werden vornehmlich Straßen, die zu eng sind. In der Breite braust sich's eben besser. Denkbare Alternative: die „Breitermachung“.
Ausfallwahrscheinlichkeit, die Hat nichts mit mittelalterlichen Strategiespielen belagerter Burgherren zu tun, die es satt sind, daß mit dem Rammbock an's Tor geklopft wird. Der Begriff sucht auf den Punkt zu bringen, wie oft beispielsweise in einer Legislaturperiode die Rathausuhr stehen bleibt. ausfinanzieren Aus, vorbei, zu Ende. Das Rathaus gehört endlich uns, jetzt bauen wir ein neues. Auch die letzte Rate für die Kaffeemaschine im Vorzimmer ist überwiesen.
Ausgabengebarung, die Art und Weise, wie Geld ausgegeben wird. Bislang nur als „Ausgabengebahren" bekannt, „ung" setzt die amtliche Krone auf. Man macht es sich nicht leicht mit dem Geld anderer Leute. Aus der vom Bund der Steuerzahler NW e. V. herausgegebenen Broschüre „Bürokratisch. Von der Verungfallung der deutschen Sprache“, Düsseldorf 1986:
V verausgaben Eigentlich „Geld ausgeben". Aber oft bedeutungsgleich, da sich viele Städte dabei völlig verausgabt haben.
Verausgabung, die Passendes Substantiv. Siehe oben.
Verbeamtung, die Jemanden in den Zustand völliger sozialer Sicherheit und höchsten Glücks erheben. Vorgang mit lebenslänglichen Konsequenzen -für die öffentlichen Haushalte.
Verbescheidung, die Einen -Bescheid einem ahnungslos-hilflosen Bürger zustellen. Aber auch gerne als V des Bürgers, wenn er das amtliche Papier in Händen hält Verböserung, die Begriff aus der Abgabenordnung (§ 367), der die Verschlechterung meint Das konsequente Gegenteil „Verguterung" ist noch nicht aufgetaucht verbringen Anstatt „bringen“. Wie neulich im Cafe-Haus: Verbringen Sie mir bitte ein Kännchen Kaffee und eine Kirschwaffel!“
Verfichtung, die Derselbigen unserer Landschaft will die nordrhein-westfälische SPD-Landtagsfraktion entgegenwirken. Womit die rührend rührigen Genossen die Weihnachtsbebaumung im Forst meinen, die schon Ansätze zur Monokultur zeige und somit den Naturhaushalt gefährde. Wer schützt uns vor der monokulturellen Verdummwortung?
Verfüllung, die Das Abfüllen, Vollfüllen, Zufüllen von Behältern jeglicher Art Auch von Mülldeponien.
Verhinderungsfall, der „Leider konnte ich Ihrer Einladung nicht Folge leisten, da ich mich in einem Verhinderungsfall befand." Wie schade.
Verordnungsblatt, das Krankenkassen-Jargon. Bei Patienten nur als „Rezept"
bekannt. Weder am Obolus, ergo an der . Verordnungsblattgebühr", für selbiges hat sich was geändert noch an der Unleserlichkeit der ärztlichen Weisheit auf selbigem.
Verrentung, die Jemanden die Früchte seiner Arbeit ernten lassen.
Verschlagwortung, die Hier ist ein wenig weiter auszuholen. Das „Saarbrücker Programm zur Bekämpfung der Berufsnot" will Wege zu einer solchen weisen. Und was hat der Bibliotheksangestellte zu tun? Richtig! Die Verschlagwortung des Bücher-bestandes ist seine Aufgabe. Hoffentlich ist er der deutschen Sprache mehr mächtig.
Vorschriften Aus der gesprochenen in die geschriebene Form übertragen. Machen zumeist Rundfunk-und Fernsehredakteure mit wichtigen Beiträgen bedeutender oder sich dafür haltender Zeitgenoss(inn) en.
Verschwenkung, die Liberbegriff zu -Fahrbahnverschwenkung. Was kann denn alles verschwunken werden? versprachlichen Kompliment einerVolkshochschule im Aachener Raum. In einem Kursus sollen die Teilnehmer lernen, „Alltagssituationen zu versprachlichen". Wer lernt dem Verantwortlichen, dies mit den Kursinhalten zu tun?
Verstromung, die Nicht: Bäche und Flüsse breiter machen. Sondern: Zur Stromgewinnung nutzen, meist also verbrennen.
Verunfallte, die, der Die oder der einen Unfall gehabt habende. Wenn man's vorher wüßte, empföhle sich eine Unfallversicherung Verunfallung, die Befördert den Nicht-Verunfallten zum -Verunfallten. Wer dies anstatt „Unfall“ verwendet, setzt sich akuter sprachlicher Verunfallungsgefahr aus.
Verwaltungshandeln, das Wird zur Zeit von mehreren Millionen Menschen in der Bundesrepublik betrieben. Keinesfalls zu verwechseln mit Verwaltungs-Arbeit Verzicht leisten Hier kommen noch einmal die gebündelte Energie, aber auch die Überwindung an's Tageslicht Diese beiden hat es nämlich unter viel Mühen gekostet endlich dennoch zu verzichten. Verzicht als Nulleistung sozusagen.
Vorabauskunft, die Nur unter jedem erdenklichen Vorbehalt zu definieren, da sie zumeist nicht vom -Rechtsunterzeichner gegeben wird. vorerwähnt Siehe oben. vorgriffsweise Schon jetzt Obwohl man nie weiß, ob erst nachgriffsweise der Vorgriff nicht doch mit einer zu großen Voreiligkeit behaftet gewesen ist vorhalten Für alle Fälle vorgesorgt habend. Prima wäre es natürlich, wenn die öffentlichen Kassen Geld vorhielten. Aber die Zeiten sind wohl vorbei.
Vormittagsöffnung, die Auf dem Schild war kein Platz mehr, um die genauen Zeiten anzugeben. Anstatt dessen bemalte man drei Schilder. Nämlich mit V, „Nachmittagsöffnung", „Abendsöffnung".