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Die deutsche Frage in der französischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts | APuZ 14/1987 | bpb.de

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APuZ 14/1987 Die deutsche Frage in der französischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts Deutschland und die deutsche Frage in der polnischen Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert Die deutsche und polnische Frage in der deutschen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts Von der „Befreiung“ zur „Verantwortungsgemeinschaft“. Die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik und der DDR

Die deutsche Frage in der französischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts

Beate Gödde-Baumanns

/ 43 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In Frankreich bedeutet die deutsche Frage Auseinandersetzung mit der Idee der deutschen Einheit in den Jahren 1815 bis 1870, Auseinandersetzung mit der Existenz des Deutschen Reiches in den Jahren 1871 bis 1945, Auseinandersetzung mit dem Anspruch der Deutschen auf nationale Selbstbestimmung resp. Wiedervereinigung seit 1945. Die Idee einer nationalen Einigung Deutschlands hat in Frankreich nicht nur Ablehnung, sondern auch viel Zustimmung erfahren. Die — den Deutschen vertraute — Ablehnung beruhte auf der Überzeugung, Deutschlands Einheit bilde eine Gefahr für Frankreich. Die Zustimmung resultierte in der Regel aus der Bejahung des Nationalitätsprinzipes als einem wesentlichen Bestandteil der Ideen von 1789. Tocqueville’s machtpolitische Argumentation, Deutschlands Einigung und damit verbundene Stärkung liege im Interesse Frankreichs, da es sich in Zukunft gemeinsam der von Rußland drohenden Gefahr zu erwehren gelte, blieb im 19. Jahrhundert eine Ausnahme. Bis 1870 war die liberale Zustimmung zur Idee der nationalen Einheit Deutschlands mit der Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben beider großer Nationen verbunden. Das prinzipielle Ja zur deutschen Einheit hat den deutsch-französischen Krieg überdauert und sogar im Ersten Weltkrieg standgehalten. Allerdings war es seit 1871 mit harter Kritik an einigen Wesensmerkmalen und an der Politik des Deutschen Reiches verbunden, seit 1914 mit der in Frankreich einhelligen Überzeugung von Deutschlands alleiniger Kriegsschuld. Von da an ist für die weitere Diskussion der deutschen Frage von entscheidender Bedeutung, ob die fatale Rolle des Deutschen Reiches in Europa auf unabänderliche Gegebenheiten oder auf veränderbare politische Umstände zurückgeführt wird. Die liberale Tradition der Zustimmung zur nationalen Einigung Deutschlands findet nach 1945 ihre Fortsetzung in der Anerkennung des Rechtes der Deutschen auf nationale Selbstbestimmung.

Bei den ersten drei Beiträgen dieser Ausgabe handelt es sich um überarbeitete Fassungen von Referaten, die während des deutsch-französisch-polnischen Historiker-Kolloquiums in der Europäischen Akademie Otzenhausen am 2. September 1986 gehalten worden sind.

Dem Andenken an Franz Schnabel (1887— 1966) gewidmet Die deutsche Frage — was ist das aus französischer Sicht? Das läßt sich für das 19. und 20. Jahrhundert nicht einheitlich beantworten, sondern nur getrennt für die Zeiträume 1815 — 1870, 1871 — 1945, seit 1945. Zwischen 1815 und 1870 lautet die deutsche Frage, ob und auf welche Weise das wachsende Streben der Deutschen nach nationaler Einheit sich politisch realisieren werde und welche Haltung Frankreich dazu einnehmen solle. 1871 treten an Stelle der deutschen Frage — die manchen Deutschen mit dem kleindeutschen Nationalstaat noch nicht befriedigend gelöst schien — für die Franzosen das Faktum der deutschen Einheit und ihre Folgen für Frankreich. Haben sich das Deutsche Reich und seine Machtstellung in Europa doch von Anfang an als Faktoren von unmittelbarer Auswirkung auf die Geschicke Frankreichs erwiesen — auch dafür ist die Proklamation des deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal von Versailles ein Symbol gewesen. Nach dem Untergang des Deutschen Reiches 1945 bilden die Teilung Deutschlands als Element, ja als Kern der Teilung Europas und der Anspruch des Nachbar-und Partnerlandes Bundesrepublik Deutschland auf Wiedervereinigung, präziser gesagt auf Selbstbestimmung für alle Deutschen mit der potentiellen Konsequenz der Wiedervereinigung, die neue deutsche Frage.

I.

Über Jahrhunderte hatte die politische Dezentralisierung in Deutschland, die gegenläufig zur politischen Zentralisierung in Frankreich vonstatten ging, sich dem vitalen Interesse der französischen Monarchie an, Selbstbehauptung gegenüber den universalen Ansprüchen des Kaisertums und der Übermacht der Habsburger als dienlich erwiesen und war dem Ausdehnungsstreben der französischen Könige zustatten gekommen. Aus dieser Erfahrung entwickelte sich ein Prinzip französischer Außenpolitik, ja das Hauptziel französischer Außenpolitik über zweihundert Jahre. Es besagte — in der Formulierung von Joseph Rovan, einem Vorstreiter für die deutsch-französische Freundschaft —: „Das Wiedererstehen einer starken Zentralgewalt in Deutschland muß verhindert werden, die bestehende weiter geschwächt werden.“ Dieses Prinzip war eine von vielen Hinterlassenschaften des ancien regime. Dem stand als eine von vielen Hinterlassenschaften des neuen Frankreichs der Revolution und Napoleons die nationale Idee gegenüber, d. h. die Idee von der Volkssouveränität und der Autonomie der Völker, die sich im nationalen Staat verwirklichen solle. Unter dem Einfluß der revolutionären Ideen und des romantischen Denkens und unter dem Eindruck der napoleonischen Herrschaft in Europa erwachte in vielen Ländern, zunächst in relativ kleinen, aber beredten Schichten der Bevölkerung, ein nationales Bewußtsein. Bei den deutschen Patrioten verband sich das neue Nationalgefühl mit dem Wunsch nach nationaler Einheit, wie auch bei den Italienern, und die Polen strebten nach Wiederherstellung eines eigenständigen Staates.

Primär und prinzipiell war das Ja oder Nein zur nationalen Idee abhängig von der Zugehörigkeit zu einer der beiden großen Denkfamilien, die sich im 19. Jahrhundert gegenüberstanden. Die Anhänger der alten, 1815 wieder in Kraft gesetzten Ordnung bekämpften die nationale Idee, weil sie im Gegensatz zum Legitimitätsprinzip stand und die vom Wiener Kongreß mühsam nach den alten Prinzipien geschaffene Neuordnung Europas sprengen mußte. Die Anhänger der neuen, revolutionären Prinzipien traten wie für die anderen Ideen von 1789 so auch für die nationale Idee ein. Mit anderen Worten: Die nationale Idee wurde anfangs von den fortschrittlich Gesinnten, den progressiven Geistern in enger Verbindung mit dem Gedanken einer rechtsstaatlichen Verfassung verfochten

In Frankreich fügten sich im Lager der Anhänger der alten Ordnung alle Argumente für ein entschiedenes Bekämpfen der nationalen Bestrebungen — zumindest in Deutschland und Italien — trefflich zusammen: die außenpolitische Tradition des ancien regime, das machtpolitische Interesse Frankreichs, die Abneigung der Katholiken gegen das protestantische Preußen bzw. ihr Wunsch nach Schutz des Kirchenstaates und der ideologische Widerwille der Rechten gegen eine revolutionäre Idee

Die Anhänger der neuen Ideen hingegen — nach hier übernommenem, zeitgenössischen Sprachgebrauch die Liberalen — gerieten angesichts der deutschen Frage in einen Zwiespalt zwischen machtpolitischen Interessen und prinzipiellen Überzeugungen. Allerdings war dies keine einfache, klare und präzise Alternative. Daß nach französischem Selbstverständnis sowohl die Revolutionäre mit der Eroberung der Rheingrenze als auch Napoleon mit seiner anfänglichen Deutschlandpolitik die außenpolitische Tradition der französischen Monarchie fortgesetzt, ja vollendet hatten, verlieh dem Gegensatz zwischen altem Interesse und neuem Prinzip vielmehr eine komplizierte Vielschichtigkeit. Daraus ergaben sich bei der Diskussion der deutschen Frage zahlreiche Querverbindungen und Überschneidungen zwischen den beiden ideologischen Lagern und erstaunliche Ideen-kombinationen. Folgenträchtig war insbesondere die Verknüpfung der Zustimmung zur deutschen Einheitsbewegung mit der Forderung nach der „natürlichen“ Rheingrenze für Frankreich. Zwei große Völker würden sich mit gegenseitiger moralischer Unterstützung vom reaktionären Joch der Verträge von 1815 befreien — das eine, um seine nationale Einheit zu erringen, das andere, um seine natürliche Grenze wiederzuerlangen —, und wenn dies vollbracht sei, würden die beiden Nationen in edlem Wettstreit ihrer Kräfte gemeinsam Europa auf die Höhe einer Zivilisation der Freiheit, des Fortschritts und des Friedens führen — zum Wohle der ganzen Menschheit. So träumten Frankreichs Liberale.

Als 1848 die Kunde von den Debatten in der Pauls-kirche über die Zugehörigkeit von Polen, Dänen und Elsässern zu einem deutschen Reich nach Paris drang, löste sie bei den französischen Republikanern, die der deutschen Nationalbewegung ursprünglich sehr wohlwollend gesonnen waren, zwar erschrecktes Befremden aus. Aber weder der Ausbruch von Franzosenhaß in Deutschland während der Rheinkrise von 1840 noch die Ernüchterung von 1848/49 machten den Traum von Frankreichs Rückkehr an den Rhein und seinem harmonischen Zusammenleben mit einem geeinten Deutschland zunichte — eine Ideenverbindung, die wir heute als Ausdruck naiven, von keiner konkreten Kenntnis des Nachbarlandes getrübten Wunschdenkens zu erkennen vermögen, die aber damals und auf lange Zeit erheblich zur Vergiftung des deutsch-französischen Verhältnisses beigetragen hat; denn die Deutschen hörten aus Gründen, die in ihren historischen Erfahrungen wurzelten, nur den französischen Ruf nach der Rheingrenze.

Politik, Publizistik und Geschichtsschreibung — in Frankreich traditionell und bis heute wechselseitig enger miteinander verflochten als in Deutschland — lassen sich für die Jahre 1815 bis 1870 zum Thema der deutschen Frage kaum voneinander trennen. Der wortgewaltigste Repräsentant der machtpolitisch begründeten, im Namen des europäischen Gleichgewichtes vorgetragenen Absage an die Idee der deutschen Einheit. Adolphe Thiers, hat diese Auffassung sowohl in seinen berühmten historischen Werken über die Französische Revolution und über Napoleon vertreten als auch während seiner Amtszeit als Außenminister und Ministerpräsident der Julimonarchie und in den Kammerdebatten der späten sechziger Jahre als Führer der Opposition gegen Napoleon III. An seinem Beispiel zeigt sich, wie unklar die Trennungslinie zwischen den beiden ideologischen Lagern angesichts der deutschen Frage verläuft. Stand Thiers, der erste gewaltige Ruhmredner der Revolution unter den Historikern und Begründer des Napoleonkultes, doch im Lager der Liberalen, dort allerdings auf dem rechten Flügel. Ob der Geschichtsschreiber Thiers Napoleons Eingreifen in die deutschen Angelegenheiten 1803 als weise rühmte, weil damit die Grundlagen für die Herausbildung eines dritten, weder mit Österreich noch mit Preußen vereinten Deutschland geschaffen worden seien ob er die Maßlosigkeit Napoleons in den späteren Jahren beklagte, weil sie die für Frankreich günstige deutsche Mächtekonstellation wieder zunichte gemacht habe ob er Metternichs Friedensordnung für Europa trotz des Frankreich auferlegten Verlustes der Rheingrenze Respekt zollte oder ob der Staatsmann Thiers mit steter Regelmäßigkeit vor einer Politik warnte, die der nationalen Bewegung in Deutschland zustatten kommen könne — die Botschaft blieb über fünf Jahrzehnte hinweg in Politik und Historiographie die gleiche: ein klares, kompromißloses Nein zur deutschen Einheit. Ein dreifaches Recht habe Frankreich, sich der Einigung Deutschlands entgegenzustemmen, erklärte der Politiker Thiers in seiner aufsehenerregenden Parlamentsrede vom 3. Mai 1866: das nationale Recht, das Recht der Deutschen und das Recht Europas — denn Preußen störe das Gleichgewicht Europas Mit einem analogen Argument hatte der Historiker Thiers zwei Jahrzehnte zuvor gutgeheißen, daß Napoleon Deutschland im Reichsdeputationshauptschluß seinen Willen aufgezwungen hatte — „für das Wohl Deutschlands selbst und zur Aufrechterhaltung der Ruhe der Welt, also der einzige Fall, in dem es gestattet und von Nutzen sein muß, sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen“ So schloß sich der Kreis zwischen Politik und Historiographie.

Es lag in der Logik seines machtpolitischen Denkens, aber es kennzeichnet auch die Kompliziertheit der Verhältnisse, daß Thiers im Juli 1870 vehement gegen die französische Kriegserklärung an Preußen protestierte, während ihr Verfechter

Emile Ollivier, der Ministerpräsident des Empire liberal, ein entschiedener Befürworter der Einigung Deutschlands war. Thiers, der Gegner der deutschen Einheit, hielt die Gelegenheit, „das Übel“ von 1866 — Preußens Machtgewinn und die Teil-einigung Deutschlands — wiedergutzumachen, für „ganz kläglich gewählt“ und sah voraus, daß dieser Fehler sich rächen werde Ollivier übernahm die Verantwortung für einen Krieg, der entgegen der einhelligen Auffassung mehrerer Generationen deutscher Historiker keineswegs in erster Linie gegen die deutsche Einheit gerichtet war „leichten Herzens“, weil er in der Julikrise 1870 Frankreichs Ehre, „das erste aller Güter“, durch Preußens Politik gefährdet sah

Ebenfalls zum Lager der Liberalen, und hier sogar zum linken Flügel, gehörte der Republikaner Edgar Quinet, der sehr frühzeitig und hellsichtig vor den Gefahren warnte, die Frankreich vom Einheitsstreben der Deutschen drohten. Quinet war einer der wenigen Franzosen seiner Zeit, die ihr Deutschlandbild nicht nur aus — französischen — Büchern, insbesondere dem Deutschlandbuch der Madame de Stael bezogen, sondern Deutschland und die Deutschen persönlich kennenlernten. Bereits 1832 betonte er die Intensität des deutschen Einheitsstrebens. Seine Skepsis gegenüber Deutschland und seine Warnung vor allzu vertrauensseliger französischer Politik war für einen französischen Republikaner damals nicht nur außergewöhnlich, sondern nahezu anstößig, so daß die Revue des Deux Mondes zunächst zögerte, seine Artikel zu veröffentlichen. Überzeugt, daß die Deutschen bereit seien, die Freiheit zugunsten der Einheit aufzugeben, Preußen die Führung zu übertragen und zum Kampf gegen Frankreich anzutreten, forderte Quinet allerdings nicht, die Einheitsbewegung zu bekämpfen, sondern vielmehr, die demokratischen Kräfte zu unterstützen Auf der gleichen Linie lag die erneute Warnung vor Preußen und Deutschland, mit der Quinet 1867 an eine nun dafür sehr empfängliche Öffentlichkeit trat. Aus seiner Broschüre France et Allemagne spricht die aufrichtige Sorge um die Freiheit in Europa, die Quinet zwar vom Zweiten Französischen Kaiserreich verraten, gleichwohl aber in Frankreich inkarniert sah. So gelangte Quinet zu dem Schluß, gegen das Streben des deutschen Volkes nach Größe sei nichts einzuwenden unter der Bedingung, daß auch die Franzosen der Eifer beseele, ein großes Volk zu sein und zu bleiben. Emporzusteigen sei das unbestreitbare Recht der Deutschen — aber ihr Aufstieg müsse dem Aufstieg Frankreichs dienen —, „denn der Schaden wäre groß für die Welt und der Gewinn trügerisch, wenn Deutschland aufsteigen und Frankreich absteigen würde“

Alexis de Tocqueville, der ursprünglich der Auffassung war, Deutschlands Einigung sei für Frankreich gefährlich, gelangte in späteren Jahren zu dem Schluß, die Einigung aller Deutschen zu fördern, sei Frankreichs „erstes Interesse“. Rußland werde früher oder später die Unabhängigkeit Europas bedrohen. Deshalb müsse Frankreich sich umstellen. „Wir müssen unsere alten Maximen ändern und dürfen nicht fürchten, unsere Nachbarn zu stärken, damit sie in die Lage versetzt werden, eines Tages mit uns den gemeinsamen Feind abzuwehren.“ Auch hierin seiner Zeit um ein Jahrhundert voraus, stand Tocqueville mit diesem eminent politischen Argument für die deutsche Einheit jedoch damals in Frankreich allein.

In der Regel argumentierten die relativ zahlreichen und im Chor der veröffentlichten Meinungen lange Zeit dominierenden Befürworter der deutschen Einheit ideologisch-moralisch: Die deutsche Einheitsbewegung stehe in Einklang mit dem fortschrittlichen Nationalitätsprinzip, sie sei unaufhaltsam, und Frankreich habe kein Recht, sich ihr nach den alten Regeln der Macht-und Interessenpolitik entgegenzustellen. Als in den sechziger Jahren die traditionellen Sympathien der französischen Liberalen für Preußen unter dem Eindruck der Bismarckschen Innen-und Außenpolitik und Preußens Sieg und Machtgewinn von 1866 in ihr Gegenteil umschlugen schieden sich die Geister. Manche Liberale warnten nun vor der Gefahr, die ein von Preußen geeintes Deutschland bilde. Zu ihnen gehörte als ein hervorragender Repräsentant jener Franzosen, die ursprünglich große Hoffnungen auf ein liberales Deutschland gesetzt hatten, der Dichter, Politiker und Historiker Alphonse de Lamartine. Während der Rheinkrise von 1840 hatte er auf die Trutzlieder der Deutschen mit einer versöhnlichen „Marseillaise des Friedens“ geantwortet und 1848 als erster Außenminister der II. Französischen Republik in der Hoffnung auf enge Zusammenarbeit umgehend Kontakt zum Parlament der Paulskirche aufgenommen Seit Beginn der sechziger Jahre aber warnte er ebenso eindringlich wie Thiers vor der Gefahr, die Frankreich von der deutschen Einheitsbewegung drohe

Andere Liberale hingegen argumentierten, auch die begründete Kritik an Preußen gebe den Franzosen kein Recht, in den Prozeß der deutschen Einigung einzugreifen. Stellvertretend für diese Richtung sei Saint-Rene Taillandier genannt, Professor an der Sorbonne und als Kenner Deutschlands angesehen, seit er 1848 mit großer Sympathie in einem vielbeachteten Buch die politische Aufbruchstimmung des Jungen Deutschland beschrieben hatte 1859 verteidigte Taillandier die deutsche Einheitsbewegung gegen die Warnung von Heinrich Heine, ein geeintes Deutschland werde antifranzösisch sein. Auf die Kritik seiner Landsleute an Preußen erwiderte er im Jahre 1866, Deutschland habe „das Recht, zu wählen wen es will, um sein Einheitsverlangen zu verwirklichen . . ,“ Den gleichen Standpunkt vertrat noch in der Julikrise 1870 Jules Michelet: Bismarcks widerwärtige Politik nehme der Einigung Deutschlands nichts von ihrer „enormen Legitimität“

Jules Michelet, einer der bedeutendsten französischen Historiker des 19. Jahrhunderts, als Geschichtsschreiber der Großen Revolution an nationalem Pathos und mythenbildender Kraft Thiers ebenbürtig, aber im Gegensatz zum bürgerlich-rechtsliberalen Thiers populistisch-demokratisch, ist bis zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges ein glühender Bewunderer deutscher Kultur und beredter Anwalt der Idee des Friedens und nationaler Selbstbestimmung gewesen. Meisterhaft hat er seiner Sicht der Dinge'Ausdruck ver-liehen in wenigen Sätzen, mit denen er schilderte, welche Gefühle der Anblick der deutschen und italienischen Fahne bei einem Fest der Revolutionäre große von 1848 weckte: . die Fahne Deutschlands, so edel (schwarz, rot und gold), die heilige Fahne von Luther, Kant und Fichte, Schiller, Beethoven, und daneben Italiens charmante grüne Trikolore. Welche Gemütsbewegung! Wieviel Wünsche für die Einheit dieser Völker! Gott lasse uns, so sagten wir, ein großes Deutschland, ein großes und mächtiges Italien schauen. Das europäische Konzil bleibt unvollständig, unharmonisch, den grausamen Phantasien, den ruchlosen Kriegen der Könige untertan, solange diese hohen Genien der Völker dort nicht thronen in ihrer Majestät, kein neues Element der Weisheit und des Friedens zum brüderlichen Gleichgewicht der Welt hinzufügen“

Selbst in der bitteren Enttäuschung über die Ereignisse des Jahres 1870 ist der alte Michelet diesem Grundgedanken treu geblieben: „Wir hatten die Einheit Deutschlands immer herbeigesehnt“, sagt er auch noch in seiner von Zorn und Empörung inspirierten Kriegsschrift La France devant l’Europe, und fährt fort: „die wahre Einheit, aus freier Vereinbarung, nicht jene wilde, gewalttätige, unwürdig erzwungene Einheit“ Das war ein persönliches Wort und in der Erregung gesprochen — aber es sind darin bereits die Grenzen abgesteckt, in denen die französische Zustimmung zur deutschen Einheit den deutsch-französischen Krieg überdauern sollte.

II.

Noch während des deutsch-französischen Krieges gründeten die Sieger das Deutsche Reich. Was Edgar Quinet als schlimmste Gefahr beschworen hatte, war eingetreten: Der Aufstieg Deutschlands hatte sich mit dem Niedergang Frankreichs verbunden — wenn nicht in der Wirklichkeit, so doch im Bewußtsein der Franzosen. Aus heutiger Sicht, mit dem Wissen über die beiden Weltkriege und ihre Folgen, mag es schwer fallen nachzuvollziehen, was gleichwohl historische Realität ist: In Frankreich wurde die Niederlage von 1870/71, die sich im Bewußtsein der Zeitgenossen bald mit dem Communeaufstand zu einem Desaster verband, als nationale Katastrophe erlebt und auf lange Zeit nicht nur als eine, sondern als die Niederlage schlechthin empfunden. War doch ein Weltbild zusammengebrochen: die allgemein verbreitete, nicht hinterfragte Überzeugung von Frankreichs Überlegenheit und Vorrangstellung in Europa. Damit war eine Unterschätzung der potentiellen politischen Bedeutung Deutschlands einhergegangen, das der großen Mehrheit der Franzosen noch nicht als ernst zu nehmender politischer Rivale galt. Der Sieg der Deutschen brach deshalb über die Franzosen wie ein Blitz aus heiterem Himmel herein. Unter dem Schock der Niederlage wurde das hinfällig gewordene alte „Dogma“ sofort durch ein neues ersetzt das Dogma von der deutschen Hegemonie. In den Augen der Franzosen hatte das Deutsche Reich vom Tage seiner Gründung an die Hegemonie in Kontinentaleuropa inne und nahm jene Vorrangstellung ein, die zuvor Frankreich besessen hatte. Die Ohnmacht, sich der Forderung der Sieger nach Abtretung des Elsaß und lothringischer Gebiete zu widersetzen, machte den Franzosen das ganze Ausmaß von Frankreichs Machtabstieg und Rangverlust sichtbar.

Die umstrittene Frage nach Frankreichs Verhalten gegenüber der deutschen Einheitsbewegung, die politisch nicht klar entschieden worden war, verschob sich nun von der Ebene der Politik auf die Ebene der Geschichtsschreibung. Die Geschichtsschreibung erfuhr in Reaktion auf die traumatischen Ereignisse von 1870/71 in Frankreich allgemein einen großen Aufschwung, und in diesem Kontext entstand eine speziell der deutschen Geschichte gewidmete Historiographie großen Stils

Die Verflechtung der Reichsgründung mit der als Niedergang Frankreichs empfundenen Niederlage von 1870/71 gab dem französischen Nein zur deutschen Einheit natürlich kräftigen Auftrieb — aber sie ließ, wie bereits an dieser Stelle betont sei, das französische Ja zur deutschen Einheit keineswegs verstummen.

In oder zwischen den Zeilen vieler historischer Werke, die nach 1871 der Außenpolitik des ancien regime, der Großen Revolution und Napoleons gewidmet wurden, steht das Bedauern über die Existenz des Deutschen Reiches deutlich zu lesen. Es kommt im Lob der Politik Richelieus und anderer Repräsentanten der französischen Monarchie ebenso zum Ausdruck wie im Lob auf die Eroberung der Rheingrenze durch die Revolutionäre. Aber es tritt auch in den Klagen über die Maßlosigkeit Ludwigs XIV. und Napoleons zutage, die das gelungene Werk der klassischen und der revolutionären Außenpolitik zum Schaden Frankreichs — und der deutschen Freiheiten, wie ein häufiger Zusatz lautet — wieder zunichte gemacht hätten. Hier soll den Spuren dieser Flucht vor der schnöden Gegenwart in die Vergangenheit jedoch nicht näher nachgegangen werden

Vielmehr sei der Blick konzentriert auf das Werk von Jacques Bainville — einem Autor, der nach strengen Maßstäben nicht zur Zunft der Historiker zu zählen ist, dessen historische Schriften das kollektive Geschichtsbewußtsein in Frankreich — und wohl auch in Deutschland — aber stärker geprägt haben als viele Werke professioneller Historiker. Bei einer Untersuchung der französischen Geschichtsschreibung unter dem Generalthema Politik und Historiographie kann Bainville nicht mit der Begründung ausgeklammert werden, daß er eigentlich kein Historiker gewesen sei; dies um so weniger, als die deutsche Frage das zentrale Thema seiner historischen Schriften bildet. Voller Eifer, konsequent und mit großer Resonanz hat dieser Autor, 1879 geboren, zeitlebens einen regelrechten publizistischen Feldzug gegen den deutschen Einheitsstaat geführt. Die Überzeugung, Deutschland sei Frankreichs ärgster und ewiger Feind, wurde zum Dreh-und Angelpunkt seines historisch-politischen Denkens. An der Existenz eines mächtigen deutschen Einheitsstaates, so glaubte er, trügen primär die revolutionären Ideen Schuld. Also sagte er sich von der republikanischen Tradition seiner Familie los, schloß sich dem royalistisch-nationalistischen Kreis um Maurras und Barres an und sang das Ruhmlied der französischen Monarchie, die es stets verstanden habe, den „Koloß jenseits des Rheines“ kampfunfähig zu halten

Als die Zeitschrift Action frangaise 1908 in eine Tageszeitung umgewandelt wurde, erhielt Bainville die außenpolitische Redaktion und damit die geeignete Plattform für seinen publizistischen Kampf gegen Deutschland. Unter den Schriften, mit denen der Publizist bei der politischen Rechten auch Reputation als Historiker gewann, ist aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg vor allem die 1907 erschienene Essaysammlung Bismarck et la France zu erwähnen. Bereits hier stellte Bainville die Einigung Deutschlands als die „Katastrophe aller Katastrophen“ dar, als „Skandal für das Denken“ und als ein reines Zufallsprodukt aus dem Zusammentreffen der bedauerlich großen Staatskunst Bismarcks und der unerhörten Dummheit der beiden französischen Kaiser. Nichts beweise besser, daß „diese Einigung wirklich etwas so Außergewöhnliches, so Unwahrscheinliches“ gewesen sei, als Bismarcks ständige Sorge um ihre Sicherung. Der Gründer des Deutschen Reiches habe nur allzu gut gewußt, daß Frankreich „mit ein wenig Klarsicht und Entschlußkraft, mit einer ernsthaften und um das offenkundigste französische Interesse bekümmerten Regierung“ das deutsche Chaos hätte aufrechterhalten können Während des Ersten Weltkrieges hat Bainville seine These vom Erbfeind Deutschland dann zu einem geschlossenen Geschichtsbild ausgebaut — in der Histoire de Deux Peuples aus dem Jahre 1915 und der Histoire de Trois Generations aus dem Jahre 1918. Die Geschichte Zweier Völker wurde ein Bestseller: Sie erlebte über hundert Auflagen. In Deutschland, wo bezeichnenderweise 1939 eine Übersetzung erschien mußte sie unweigerlich als Bestätigung für die Vorstellung vom Erbfeind Frankreich wirken. Ging Bainville doch von der Auffassung aus, zwischen Deutschland und Frankreich bestehe seit den Anfängen ihrer Geschichte ein unlösbarer Konflikt, dessen Kern der Kampf um den Rhein sei. Frankreich strebe nach dieser natürlichen Grenze um der klassischen und vernünftigen Vollendung seiner territorialen Staatsform willen und bedürfe ihrer als Schutzwall gegen ständig drohende Einfälle der Deutschen. Deutschland verteidige den Rhein und glaube sich seinerseits verletzt, ja angegriffen, wenn es hinter ihn zurückgedrängt werde. Aus der unabänderlichen Tatsache, daß Frankreich nicht in Sicherheit sei, solange die Nachbarschaft Deutschlands auf ihm laste, ergebe sich als oberstes Gebot jeder französischen Politik, daß Deutschland im vitalen Interesse Frankreichs unschädlich gemacht werden müsse In klarer Erkenntnis dessen hätten die französischen Könige viele Jahrhunderte lang methodisch die Spaltung und Schwächung des-Reiches betrieben. Der Westfälische Friede sei das Meisterstück ihrer Politik gewesen, da er Deutschland durch Zerstückelung „für Frankreich und für Europa“

unschädlich gemacht und sogar den Beifall der Deutschen gefunden habe Frankreichs Unglück habe begonnen, als die Revolutionäre und Napoleon sich in fehlgeleitetem Weltverbesserungseifer daran begeben hätten, die Landkarte des sorgsam zersplitterten Deutschlands zu bereinigen, weil sie nicht begriffen hätten, „daß dieses Chaos im Interesse Frankreichs und für die Ruhe Europas ersonnen worden war“ Nachdem Frankreich 1815 noch einmal glimpflich davongekommen sei, da Deutschland geteilt blieb, habe Napoleon III. mit seiner Nationalitätenpolitik endgültig das Verderben heraufgeführt: „unsere Niederlagen, die Verstümmelung unseres Territoriums, unseren Niedergang, die Größe unserer Rivalen und im Jahre 1914 einen Krieg, der schrecklicher als alle anderen ist, eine fünfte Invasion“ Nun büßten die Franzosen gemäß dem biblischen Wort wahrhaft für die Sünden ihrer Väter

Die Geschichte Zweier Völker wurde ein großer Verkaufserfolg und Bainville fand in späteren Jahren sogar als Nachfolger Poincares Aufnahme in die Academie Franaise. Repräsentativ für die französische Geschichtsschreibung seit 1871 über Deutschland war seine Geschichtsklitterung aber nicht. Vielmehr blieb Bainville ein — erfolgreicher — Außenseiter, sowohl der Zunft der Historiker, wie mit seiner Grundthese von der gegenseitigen, naturgegebenen, unabänderlichen Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland und auch mit jener Geringschätzung des deutschen Einheitsstrebens, die die Reichsgründung als bloßen Unfall der Geschichte erscheinen ließ. In der gesamten übrigen französischen Geschichtsschreibung jener Zeit wurde das Einheitsverlangen der Deutschen als ein bedeutsamer, geschichtsmächtiger Faktor geschildert — auch von Historikern aus dem rechten Lager, die ihr Bedauern über die Existenz eines deutschen Einheitsstaates deutlich aussprachen

Die grundsätzliche, in der liberalen Idee verwurzelte, politisch-moralisch fundierte Zustimmung zur Einigung Deutschlands hielt der Enttäuschung über die Sieger von 1871 und der Empörung über die Annexion Elsaß-Lothringens stand. Das zeigte sich bereits in der gegen Ende 1871 veröffentlichten programmatischen Schrift La reforme intellectuelle et morale von Ernest Renan, dem Philosophen, Religionshistoriker und Maitre-Penseur seiner Zeit. Renan führte hier zornige Klage über den Sinneswandel des vormals edlen deutschen Volkes und dessen nationalen Egoismus, betonte aber nachdrücklich die Legitimität des deutschen Einheitsstrebens. Dem Volk der Goethe, Schiller und Kant gebühre die nationale Einheit

Aus solchem Geist sind auch die Kapitel über die deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert im Lavisse/Rambaud — einem bedeutenden Handbuch — und die erste ausführliche Darstellung der deutschen Einigung aus französischer Feder geschrieben. Der Autor war in beiden Fällen Ernest Denis, ein Historiker, der bereits mit einigen Werken zur böhmischen Geschichte hervorgetreten war, 1905 als Nachfolger von Alfred Rambaud auf den Lehrstuhl für neueste Geschichte an der Sorbonne berufen wurde und nach dem Ersten Weltkrieg als Historiker der Tschechen für kurze Zeit zu großem Ruhm gelangte, dann aber wieder in Vergessenheit geraten ist, insbesondere mit jenem Teil seines Werkes, der Deutschland gewidmet ist. Denis, 1849 geboren, stammte aus einer kalvinistischen Familie Südfrankreichs. Er nahm als Freiwilliger am deutsch-französischen Krieg von 1870/71 teil. Drei seiner Söhne fielen im Ersten Weltkrieg. Denis war nie ein Freund der Deutschen, das zeigen seine Briefe und seine Geschichtsschreibung über Böhmen. Als überzeugter Anhänger des Nationalitätsprinzips ist er aber immer für die Idee der nationalen Einheit Deutschlands eingetreten, sowohl in seinen Werken aus der Friedenszeit wie in seinen Beiträgen zur französischen Kriegszieldiskussion während des Ersten Weltkrieges. Die ersten beiden Teile seines dreibändigen Werkes über die deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, die das Ende des alten Deutschland und den Deutschen Bund behandeln, sind kurz vor der Jahrhundertwende in der Reihe Bibliotheque d’histoire illustree erschienen, den letzten Teil, die Geschichte der Reichs-gründung, veröffentlichte Denis 1906 als Einzel-publikation Das Gesamtwerk enthält eine Geschichtsphilosophie, in der sich Moralismus und Determinismus in eigenartiger Weise vermengen. Das kann hier nicht im einzelnen ausgeführt werden. In unserem Zusammenhang genügt der Hinweis, daß nach Denis’ Auffassung allen Völkern und Staaten Macht und Größe nach dem Maße gebühren, in dem sie durch ihre geistigen und materiellen Leistungen dem Fortschritt Europas oder der Menschheit dienen. Europa und Menschheit gelten Denis, wie so vielen seiner Zeitgenossen, häufig als Synonyme. Als Fortschritt betrachtet er alles, was die Tradition der Reformation und der Revolution aufnahm und weiterentwickelte: die Befreiung von kirchlichem Einfluß im öffentlichen Leben, die Gewährung unbedingter Gedankenfreiheit, die Bildung von Nationalstaaten und die Demokratisierung des öffentlichen Lebens.

Denis’ Geschichtsschreibung über Deutschland liegt die Überzeugung zugrunde, daß sich die Deutschen mit fundamentalen Beiträgen zur Menschheitsgeschichte, die den höchsten Kulturleistungen anderer Völker ebenbürtig zur Seite ständen, ein unbestreitbares Recht auf den Nationalstaat verdient hätten. Die Reformation habe dem europäischen Geistesleben der Neuzeit die Bahn geöffnet Die Überwindung des Rationalismus durch den Idealismus sei für die Prägung der modernen Welt ebenso gewesen wie die französische Revolution Nach Denis übernahm Deutschland zur Zeit von Lessing, Herder, Goethe, Schiller und Kant die kulturelle Führung der Menschheit, so daß „seit jenem Tag alle anderen Nationen in seiner Schuld stehen“, und ausdrücklich fügte er hinzu: „Seine Gewalttaten oder seine Ungerechtigkeiten können uns das nicht vergessen machen“ Die Repräsentanten des deutschen Idealismus schufen nach Denis’ Darstellung die wichtigste Grundlage für den Nationalstaat. Basierte eine Nation doch vor allem auf der Herzensgemeinschaft und dem Bewußtsein, für den Fortschritt der Menschheit ein Werk zu leisten, das dank der jeweiligen Eigenart nur jene Nation erfüllen könne. Seitdem die großen deutschen Denker des 18. Jahrhunderts ihrem Volk dieses Missionsgefühl geschenkt hätten, habe, wenn auch unbewußt, alles auf die äußere Einheit hingearbeitet. Indem sie Deutschland die „intellektuelle Hegemonie“ erwarben, hätten sie Europa zugleich auf die materielle Vormacht ihres Volkes vorbereitet. Preußens Siege und die Entstehung des Deutschen Reichs seien daher „letztlich nur die Weihe der Arbeit der Philosophen und Dichter des letzten Jahrhunderts: Das Werk, das sie in der Welt der Ideen begonnen hatten, haben die Staatsmänner im Bereich der Tatsachen vollendet“

Nahezu gleichzeitig beantworteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bainville und Denis die Frage nach der Notwendigkeit und Legitimität der Einigung Deutschlands also völlig gegensätzlich. Während der rechtsextreme Royalist von dem Recht der Deutschen auf einen Nationalstaat nichts wissen wollte, bestätigte der Linksrepublikaner es uneingeschränkt; während jener in der deutschen Einigung einen bedauerlichen Unglücksfall sah, schilderte dieser sie als reife Frucht einer langen geschichtlichen Entwicklung; während Bainville die französischen Staatsmänner geißelte, die das Nationalitätsprinzip zum Schaden Frankreichs in die europäische Geschichte einführten, verdammte Denis jene, die es um eines vermeintlichen französischen Interesses willen mißachteten. Kein deutscher Historiker hätte den deutschen Standpunkt überzeugender vertreten können als Denis. Und eben dies machte Bainville, der junge, erst nach dem deutsch-französischen Krieg geborene Repräsentant des integralen Nationalismus, dem republikanisch gesinnten Professor, der 1870/71 als Freiwilliger gegen die Deutschen gekämpft hatte, empört zum Vorwurf

Der Behauptung, daß die Einigung Deutschlands dem offenkundigen Interesse Frankreichs zuwidergelaufen sei, widersprach mit größter Vehemenz Emile Ollivier, der letzte Ministerpräsident des Zweiten Kaiserreiches, in den 18 Bänden seiner Memoiren, die zwischen 1895 und 1918 erschienen sind Dies geschah, wohlgemerkt, in Auseinandersetzung mit Thiers, seinem Widersacher in den großen Parlamentsdebatten der späten sechziger Jahre; auf den jungen Bainville ging Ollivier nicht ein. Seit der Kammerdebatte vom 15. Juli 1870 hing Ollivier das leichtfertige Wort an, er übernehme die Verantwortung für den Kriegsausbruch „d'un cur leger“. Die Hauptabsicht seiner voluminösen Memoiren ist es nachzuweisen, daß Bismarck die alleinige Schuld am deutsch-französischen Kriege trage. Er habe diesen Krieg gewollt, weil er darin den einzigen Weg gesehen habe, die innerdeutschen Widerstände gegen die Einigung Deutschlands unter Preußens Führung zu überwinden Frankreich habe sich der Einigung Deutschlands weder entgegengestellt noch ein reales Interesse gehabt, sie zu hindern. Denn Frankreichs „wahre Tradition, die seinem wahren Interesse gemäß sei, bestehe darin, „das Streben der Völker nach Unabhängigkeit und Einheit zu erleichtern, zu unterstüt-zen, und nicht darin, sie in dieser Bewegung aufzuhalten“ — so Ollivier in der Rückschau noch ebenso wie in einer erregten Parlamentsdebatte im Jahre 1867 als Antwort auf Thiers, der die Wahrung der französischen Interessen verlangte. Als Ollivier Anfang 1870 zum Ministerpräsidenten berufen wurde, habe Bismarck nicht länger hoffen können, daß Frankreich gegen die Einigung Deutschlands einschreiten werde, und deshalb seinerseits den Krieg provoziert, weil er ihm unentbehrlich gewesen sei

Die Fronten in der deutschen Frage verliefen in Frankreich um die Jahrhundertwende in komplizierten Verflechtungen quer durch die großen politischen Lager. Dies zeigt sich z. B. darin, daß der Sozialist Jean Jaures in seinem Buch über den deutsch-französischen Krieg im Gegensatz zu Ollivier die Schuld am Kriege einzig und allein Frankreich anlastete aber zur Einigung Deutschlands die gleiche Meinung vertrat wie Ollivier. Damit stand er wiederum im Gegensatz zu den Ansichten der frühen Sozialisten Proudhon und Louis Blanc, die sich in den sechziger Jahren gegen die deutsche Einigung ausgesprochen hatten Jaures’ 1908 erschienenes Buch ist Teil eines großen, bedeutenden Geschichtswerkes, das der hochgebildete Führer der sozialistischen Partei herausgegeben und zu dem er selbst auch die Bände über die Große Revolution geschrieben hat: Histoire socialiste, 1789— 1900 Jaures betonte nachdrücklich das Recht der Deutschen auf die nationale Einheit. Gleich Denis stellte er die Einigung Deutschlands als die natürliche und notwendige Folge einer langen historischen Entwicklung dar Darüber hinaus begrüßte er die Einigung Deutschlands auch deshalb, weil ein großer Staat die unabdingbare Voraussetzung für die Entfaltung der Demokratie und des Sozialismus sei Der Versuch, die Einigung Deutschlands aufzuhalten, sei der Kardinalfehler des Zweiten Kaiserreiches gewesen, erklärte Jaures. Es wäre vielmehr Aufgabe der Franzosen gewesen, die Einigung Deutschlands zu fördern, um ihre geschichtliche Schuld gegenüber den Deutschen abzutragen und „die Gewalttaten, die Verbrechen, die Machtmißbräuche der Vergangenheit“ wiedergutzumachen Unter Hinweis darauf, daß auch das moderne Frankreich durch Krieg und Eroberung geschaffen worden sei, sprach Jaures „der französischen Demokratie“ sogar entschieden das Recht ab, Bismarcks machtpolitische Methoden der Einigung Deutschlands zu verurteilen Mit dieser Ansicht stand Jaures in der französischen Geschichtsschreibung seiner Zeit allerdings allein.

Bei allen anderen Autoren gehörte die Verurteilung von Bismarcks Machtpolitik zum Katalog der harten Kritik an der Reichsgründung, die dem grundsätzlichen Ja zur deutschen Einheit in der französischen Geschichtsschreibung jener Jahre stets zur Seite stand. Ferner gehörten zu diesem Katalog die Kritik an den geistigen Grundlagen des neuen Deutschland und dessen preußischem Wesen, die Verurteilung der Annexion Elsaß-Lothringens sowie der Vorwurf, Preußen habe Europa in den gefährlichen Zustand der „paix armee“ versetzt.

An der kleindeutschen Lösung als solcher hingegen übten die französischen Historiker keine Kritik. Der häufig anzutreffende Hinweis auf die Unvollkommenheit des deutschen Nationalstaates war rein deskriptiver Natur, denn aus französischer Sicht gab es keine reale Alternative zur kleindeutschen Lösung unter der Führung Preußens. Bei dem einhellig negativen Urteil über die Möglichkeit einer Einigung Deutschlands durch Österreich spielte der Umstand, daß eine großdeutsche Lösung aus französischer Sicht keine wünschenswerte Alternative gewesen wäre, gewiß eine Rolle. Aber auch die traditionelle, noch rege Abneigung der Liberalen gegen das katholische Habsburg hatte Bedeutung. Die Sympathie der meisten französischen Historiker gehörte dem Einigungsversuch der deutschen Liberalen von 1848. Sie betonten seine historische Bedeutung und bedauerten das Scheitern der Revolution von 1848/49 um so mehr, als sie überzeugt waren, daß zwischen einem liberalen Deutschland und Frankreich der Friede erhalten geblieben wäre. Aber eine reale Aussicht auf Erfolg sprachen sie den deutschen Liberalen ab. So blieb nach einhelliger Auffassung der französischen Historiker kein anderer Weg als Deutschlands Einigung unter Preußens Führung. Verhängnisvoll allerdings sei gewesen, daß im Zuge dieser historisch notwendigen Entwicklung Preußen nicht in Deutschland aufgegangen sei, sondern vielmehr Deutschland absorbiert habe. Ernest Lavisse, der einflußreichste professionelle Historiker der Dritten Republik, auch er ein grundsätzlicher Befürworter der deutschen Einheit, brachte diese Ansicht auf die griffige Formel: „Die deutsche Berufung Preußens hat nur das deutsche Vaterland unter die preußische Hegemonie gebracht.“

Die Kritik an den geistigen Grundlagen des neuen Deutschland galt zum einen dem Wandel der Deutschen von einem idealistisch gesinnten Volk zu einer Nation, die nur noch nationaler Egoismus und blanke Profitgier treibe. Während einige Autoren diesen Wandel als einen willkürlichen, von Preußen mit kühler Berechnung gesteuerten Umschwung darstellten, hoben Autoren wie Ernest Denis oder Lucien Levy-Bruhl der später großes Ansehen als Soziologe gewann, die innere Notwendigkeit des Übergangs vom Idealismus zum Realismus im Prozeß der Nationswerdung hervor. Einmütig ist jedoch die Kritik am Resultat dieser Entwicklung. Die andere grundsätzliche Kritik galt dem deutschen Nationsbegriff. Der Unterschied zwischen dem französischen und dem deutschen Nationsbegriff, der sich gemäß der unterschiedlichen historischen Ausgangssituation allmählich herausgebildet hatte, ist erst im Streit der beiden Nationen über die nationale Zugehörigkeit des Elsaß voll bewußt geworden und ist dann zunächst von französischer Seite klar definiert worden, insbesondere in der denkwürdigen Rede Qu’est-ce qu’une nation?, die Ernest Renan 1882 in der Sorbonne hielt Zum Gegensatz wurde der Unterschied zwischen dem voluntaristisch-politischen Nationsbegriff der Franzosen und dem historisch-kulturellen Nationsbegriff der Deutschen, wenn sich in Konfliktfällen die Frage nach dem entscheidenden Kriterium nationaler Zugehörigkeit erhob. Überzeugt, daß aufgrund der Entwicklung der Zivilisation in Europa im Zweifelsfalle der Wille der Bevölkerung den Ausschlag geben müsse, betrachteten die französischen Historiker die damals in Deutschland vorherrschende Auffassung, daß die gemeinsame Sprache und historisch-ethnische Zugehörigkeit ausschlaggebend seien, als einen Rückfall in barbarisches Denken

Daraus ergab sich logischerweise, daß sie die Annexion Elsaß-Lothringens einstimmig als einen Akt der brutalen Gewalt und der Wiederbelebung alten Faustrechtes verdammten. Die Abtrennung dieser Provinzen von Frankreich ohne Befragung der betroffenen Bevölkerung war in den Augen der französischen Historiker das Kainsmal des Deutschen Reiches Überzeugt, daß es zwischen Frankreich und Deutschland keinen Frieden geben könne, bevor dieses schreiende Unrecht behoben sei, sprachen sie folglich Deutschland die Schuld an der latenten Kriegsgefahr zu, die seit 1871 über Europa laste. Mit all seiner Macht habe das Deutsche Reich Europa nichts anderes zu bescheren vermocht als den bedrohlichen und lähmenden bewaffneten Frieden. Soweit herrschte Einmütigkeit. Die Zukunftsprognosen der französischen Historiker schwankten indes zwischen der Hoffnung auf einen Sieg der demokratischen Kräfte in Deutschland, der den Frieden sichern könne, und tiefer Skepsis. Ernest Denis, Jean Jaures und auch Charles Seignobos zum Beispiel hoben die Chance zur Wahrung des Friedens hervor. Dagegen kleidete Ernest Lavisse sein Urteil über die Folgen der Reichsgründung von 1871 — in Anklang an Dante — in die Worte: „Beim Eintritt in die neue Ära, die mit Preußens Siegen begann, muß man alle Hoffnung auf einen friedlichen Fortschritt der Menschheit fahren lassen. Heute der Haß, morgen der Krieg: Das ist Europas Gegenwart und Zukunft.“

III.

Die Schrecken des Ersten Weltkrieges übertrafen die schlimmsten Befürchtungen. Kriegsschauplatz der Kämpfe zwischen Deutschen und Franzosen, in denen über zwei Millionen Menschen ihr Leben verloren, war Frankreich — vier bittere Jahre lang. Das legte den Gedanken nahe, Deutschland, wenn es erst einmal besiegt sei, um der künftigen Sicher-heit Frankreichs willen durch Gebietsamputationen und die Zerstörung seiner Einheit auf Dauer zu schwächen — zumal nach einhelliger französischer Auffassung Deutschlands alleinige Schuld am „Großen Krieg“ außer Frage stand

Unermüdlich focht Jacques Bainville für diese Kriegszielidee. Zunächst verband er seinen unent-wegten Ruf nach Zerstückelung Deutschlands mit der Behauptung, Bismarcks künstliche Konstruktion werde nach dem militärischen Zusammenbruch des Reiches sogleich „in etwa zwanzig Stücke“ zerfallen Doch war der Hinweis auf den vermeintlich noch kraftvollen deutschen Partikularismus für Bainville ebenso entbehrliches Beiwerk wie die heftigen Angriffe gegen Preußen, das er in Einklang mit der gesamten französischen Kriegspropaganda als eigentlichen Urheber des europäischen Unheils anprangerte. Bainville vermochte gegen Ende des Krieges unverhohlen einzugestehen, daß er die partikularistischen Neigungen der Deutschen über-und ihren Einheitswillen unterschätzt hatte, ohne deshalb von seiner Forderung abzulassen. Niemand wies nachdrücklicher als er darauf hin, daß die Deutschen vor allen Dingen ihre nationale Einheit aus dem Fiasko zu retten suchten. Aber die Erkenntnis des deutschen Einheitswillens änderte nichts an seiner Forderung, Deutschland müsse zerstückelt werden. Solange Bainville noch einen Funken Hoffnung hegte, für diese Forderung Gehör zu finden, plädierte er für die Zerschlagung des Deutschen Reiches. Dann übte er harsche Kritik am Versailler Friedensvertrag, weil dieser das „Grundübel“ nicht beseitigt habe, mithin „zu weich“ für seine ansonsten durchaus bejahenswerte Härte sei Denn maßgebend war für Bainville nur ein Gedanke, das Ceterum censeo all seiner Artikel und Bücher: Deutschlands Einheit sei unvereinbar mit Frankreichs Sicherheit und Frankreichs Recht auf Sicherheit stehe „überjedem anderen Recht“

Aber auch hier muß betont werden, daß Bainvilles krasser Nationalegoismus für den Tenor der zahlreichen Kriegsschriften französischer Historiker nicht repräsentativ ist. Vielmehr stellten die übrigen Historiker, die ebenfalls die Auflösung des Deutschen Reiches und/oder Frankreichs Rückkehr an den Rhein forderten, die alten partikularistischen Neigungen der Deutschen — als wahre Tradition dieses Volkes — und das gesamteuropäische Interesse in den Mittelpunkt ihrer Argumentation Als Repräsentant dieser Richtung sei hier ein Autor genannt, in dessen Lebensweg und Lebenswerk Politik und Historiographie besonders eng verbunden gewesen sind: Gabriel Hanotaux. Außenminister Frankreichs in den Jahren 1894 bis 1898, wurde er als Autor einer Biographie Richelieus die er in der Zeit seiner steilen politischen Karriere geschrieben hatte, bereits im Jahre 1897 in die Academie Franaise aufgenommen. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Außenministers zog er sich von der Politik zurück, um sich nun vornehmlich der Geschichtsschreibung zu widmen. Jedoch nahm er weiterhin am öffentlichen Leben regen Anteil und behielt im politisch-kulturellen Bereich großen Einfluß. Während des Ersten Weltkrieges stellte Hanotaux sein großes öffentliches und wissenschaftliches Ansehen als Verfasser zahlreicher Reden, Artikel und Broschüren in den Dienst der französischen Kriegspropaganda. Daneben begann er mit dem Mammutwerk einer ausführlichen, illustrierten Geschichte dieses Krieges, die insgesamt 17 großformatige Bände zählt, von denen neun noch während der Kriegszeit erschienen sind

Bereits vor 1914 gab Hanotaux zu bedenken, die Lage der „germanischen Rasse in Europa“ sei für sie selbst und für die anderen schrecklich. Sei sie entsprechend ihrer geographischen und ethnischen Dreiteilung zwischen Süden, Mitte und Norden gespalten, sei „sie im Kriege mit sich selbst, und wenn sie sich in einem einzigen Körper zusammenballt, entsetzt sie ihre Nachbarn und verbindet sie gegen sich . . . Deutschland ist das Reservoir der Menschen und die Quelle der Konflikte“ In einem Aufsatz über Probleme des Krieges und des Friedens aus dem Jahre 1916, der in der Revue des Deux Mondes erschien, ging Hanotaux dann von der These aus, es sei historisch erwiesen, daß zwei Möglichkeiten zur Wahl stünden: Entweder dominiere Deutschland „inmitten eines geknechteten Europas“, oder Europa garantiere „sich selbst den Frieden durch die gute Organisation eines friedlichen Deutschland“ In Anbetracht dieser Alternative plädierte er für eine Aufteilung des Bismarckreiches in mehrere „starke“ Staaten — etwa Preußen in seiner früheren Größe, Bayern, Sachsen, Baden, Württemberg und Hannover. Eine solche Neugliederung Deutschlands „gemäß seinen eigenen Traditionen“ werde sowohl die Unabhängigkeit der Deutschen wie die Sicherheit Europas gewährleisten. Diese Lösung verstoße nicht gegen das richtig verstandene Nationalitätsprinzip, das von seiner ganzen Konzeption her unlösbar mit der „inneren Freiheit der Völker“ und der Grundordnung Europas verknüpft sei und seine notwendige Grenze in der Sicherheit aller Völker finde Unter französischen Historikern behauptete sich aber auch noch im Kriege von 1914/18 der Gedanke, daß trotz Frankreichs fataler Erfahrungen mit dem Deutschen Reich das Nationalitätsprinzip zu respektieren sei. Diesen Standpunkt vertraten in aller Klarheit Charles Seignobos und Ernest Denis. Charles Seignobos war ein angesehener Repräsentant der damals „neuen“, an der „linken“ Sorbonne angesiedelten universitären Geschichtswissenschaft. Vergleicht man seine Ausführungen zur deutschen Frage mit den Darlegungen Hanotaux’, einem Vertreter der traditionellen, in den Kreisen der , rechten Academie Fran^aise gepflegten Geschichtsschreibung, tritt einer der grundlegenden Gegensätze zwischen den rechten und linken Denkfamilien zutage. Für Seignobos war die Forderung, der zukünftige Friede müsse auf dem Nationalitätsprinzip beruhen um so unproblematischer, als er im Gegensatz zu Hanotaux nicht unabänderliche Gegebenheiten, sondern veränderbare politische Gründe für die verhängnisvolle Rolle des Deutschen Reiches in Europa verantwortlich machte. Preußen und Deutschland seien durch einen Zufall, das persönliche Einwirken Bismarcks, zur Militärmonarchie erstarrt. „Es geht also nur darum, sie auf die normale Entwicklungsbahn zum repräsentativen System zurückzuführen.“

Mit historischen Argumenten sprach sich Ernest Denis gegen etwaige Versuche aus, das Rad der Geschichte zurückzudrehen — sowohl in seiner wichtigsten Kriegsschrift La Guerre als auch in seinem Beitrag zu einer Studie über die zukünftige Grenzziehung im Osten, die von der französischen Regierung bei einer Gruppe von Historikern in Auftrag gegeben wurde Weder Frankreichs Rückkehr an den Rhein noch eine Auflösung des deutschen Einheitsstaates seien ratsam. Die historische Erfahrung lehre, daß Restaurationen niemals gelingen. Ein jeder Friede sei nur dauerhaft, wenn er „dem Besiegten keine exzessiven Opfer auferlegt und ihn weder in seinen innersten Fasern noch in seinen wesentlichen Bedürfnissen trifft“

Analoge Gedanken finden sich auch noch in einer Rückschau auf das Ende des Ersten Weltkrieges, die am Vorabend des Zweiten Weltkrieges geschrieben wurden: in dem Deutschlandbuch des berühmten Germanisten Edmond Vermeil

Zwar beschreibt Vermeil in diesem „Versuch einer Erklärung“, wie der Untertitel des Buches lautet, eindringlich Vielfalt und Zerrissenheit als Strukturelemente deutschen Wesens und Denkens. Dennoch verneint er die Frage, ob es richtig gewesen wäre, Bismarcks Werk wieder zu zerschlagen. Das wäre zwar eine kühn-realistische, aber eine brutale, zynische und vor allen Dingen eine gedankenfaule und überholte Politik gewesen, die im Gegensatz zur Entwicklung der modernen Nationen gestanden hätte.

IV.

Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und angesichts der Verbrechen Hitlerdeutschlands stand 1945 eines außer Frage: Oberstes Gebot ist die Suche nach einer Lösung, die auf Dauer Sicherheit vor Deutschland gewährt. An der moralischen Berechtigung dieser Priorität konnte es keinen Zweifel geben. Umstritten war die Frage nach den Mitteln. Im Grunde liefen die unzähligen, widersprüchlichen und einander vielfach überschneidenden Konzepte auf die Alternative hinaus: Dominanz durch Zerstückelung oder Integration Deutschlands in Europa. Das Integrationsmodell setzte sich durch. Dazu trugen nicht nur Einsicht, sondern vor allem der Druck der Verhältnisse bei, denn der Streit um die Konzepte wurde von den

Ereignissen des Kalten Krieges überrollt Mit der anfänglichen Absicht, Deutschland zu zersplittern, drang Frankreich bei den anderen Siegermächten nicht durch. Die Teilung Deutschlands war keine Folge französischer Außenpolitik, sondern des Ost-West-Konfliktes. Für die Integration der jungen Bundesrepublik Deutschland in die Gemeinschaft der westeuropäischen Staaten aber unternahm der französische Außenminister Robert Schuman mit großem politischen Mut den entscheidenden Schritt, als er in seiner Erklärung vom 9. Mai 1950 den von Monnet entworfenen Plan zur späteren Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl bekannt gab, dem Konrad Adenauer in einer vorhergehenden vertraulichen Unterredung sofort zugestimmt hatte. Charles de Gaulle, zu jener Zeit noch ein Anhänger des Zerstückelungskonzeptes, hat sich die Idee der deutsch-französischen Aussöhnung nach seiner Rückkehr an die Macht im Jahre 1958 zu eigen gemacht und ihr dann im Bewußtsein der Franzosen die „patriotische “ Legitimation verliehen

Die Debatte über die deutsche Frage ist seit 1945 also wieder auf die Ebene der Politik verlagert. Die konzeptionelle Unentschiedenheit in den ersten Nachkriegsjahren kommt jedoch auch in der Historiographie zum Ausdruck: in dem Titel, den der bedeutende Germanist Robert Minder 1948 seinem Deutschlandbuch gab, und in seinem Kommentar dazu. Das Buch trägt den Titel Allemagnes et Allemands — aber Minder beeilte sich zu versichern, die Mehrzahl von Deutschland impliziere keine politische Stellungnahme. Vielmehr stehe der Plural für die vielfältigen Aspekte eines stets im Werden begriffenen Landes — „Vielfalt und Entfaltung, deren sich die Deutschen rühmen“. Dafür habe die statische französische Sprache keine andere Ausdrucksmöglichkeit als „les Allemagnes“

Deutschland im Plural, das war in der Tat keine neue Erfindung, sondern alter französischer Sprachgebrauch. Die deutsche Aufzählung „Österreich, Preußen und die deutschen Mittelmächte“ lautet auf französisch seit eh und je: „L’Autriche, la Prusse, les Allemagnes“. Außerdem setzen die Franzosen auch den Namen ihres eigenen Vaterlandes unbesorgt in den Plural

Pierre Gaxotte wählte 1963 wieder den Titel Histoire de l’Allemagne — zur hier relevanten Fragestellung gibt das Buch ansonsten aber wenig her Ergiebiger ist da die Histoire des Allemagnes von Francois G. Dreyfus aus dem Jahre 1970. Er halte diesen Titel für angemessen, erklärt Dreyfus im Vorwort. Sei die Einheit doch nur „eine sehr kurze Periode“ in der deutschen Geschichte gewesen. Die deutsche Geschichte sei vielmehr über Jahrhunderte durch „Vielfalt, Verschiedenheit, Partikularismus" gekennzeichnet Nach Dreyfus markiert die Berlin-Krise von 1948/49 „das Ende der Geschichte von Deutschland“. Seitdem gebe es wieder „Deutschlands“: Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik, West-Berlin

Der Auffassung vom episodenhaften Charakter der deutschen Einheit hat kurz darauf Pierre Ayoberry in dem Band L’Unite allemande der in Frankreich und anderen frankophonen Ländern weit verbreiteten Taschenbuchreihe Que sais-je? widersprochen. Wenn renommierte Politologen in Frage stellten, ob siebzig Jahre Geschichte genügten, um eine dauerhafte Einheit zu schmieden, so sei ihnen entgegenzuhalten, daß die Einheit Deutschlands nicht nur politischer Natur gewesen sei. Die gesamte deutsche Historiographie, auch die neue, national unbefangene, lasse vielmehr erkennen, daß der Einigungsprozeß tiefe Wurzeln in der Ideengeschichte, den Mentalitäten und der gesellschaftlichen Entwicklung gehabt habe

Die Tradition der französischen Geschichtsschreibung, die mit Namen wie Ernest Denis, Charles Seignobos, Jean Jaures verbunden ist, hat Jacques Droz im ersten Teil einer vierbändig konzipierten Histoire de l’Allemagne wieder aufgegriffen, in dem er den Zeitraum 1789 bis 1871 unter dem Titel La formation de l’Unite allemande beschreibt Droz, der sich mit seinem Vorhaben als Nachfolger/von Ernest Denis begreift, verwahrt sich entschieden dagegen, die Erfüllung des deutschen Einheitsstrebens in der bismarckschen Reichsgründung als Abweichung von der normalen westeuropäischen Entwicklung, also als Sonderweg, zu deuten. Der tatsächliche Verlauf des deutschen Einigungsprozesses lasse sich sehr wohl erklären, ohne vermeintliche Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschland und Westeuropa zu beschwören oder den Deutschen gar einen Mangel an Kultur oder einen spezifischen Untertanengeist zu unterstellen. Die politischen Schwächen, die 1848 in Deutschland offenbar geworden seien, seien zur gleichen Zeit bei den gleichen politischen Gruppen auch in Frankreich und Italien zu verzeichnen. Erst recht gehe es nicht an, die Männer, „die versucht haben, jenem vielfältigen und vielschichtigen Deutschland eine akzeptable politische Form zu geben“, als Vorläufer des Dritten Reiches darzustellen. Die Vorstellung, daß ein Volk aufgrund seines besonderen und unveränderlichen Charakters ein bestimmtes Schicksal durchlaufen müsse, zeuge von Denkfaulheit und letztendlich von bösem Willen

Dem liberalen Grundgedanken vom möglichen Wandel des politischen Verhaltens von Nationen sind auch die zahlreichen Deutschlandbücher von Alfred Grosser verpflichtet Unentwegt führt Grosser den Franzosen die Festigkeit der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland vor Augen, um in Frankreich noch vorhandene Sorgen vor einem vermeintlich bedrohlichen „ewigen Deutschland“ zu zerstreuen. Ebenso unermüdlich sucht Grosser den Deutschen begreiflich zu machen, daß für die französische, auf Sicherheit, Unabhängigkeit und Frankreichs Rang in der Welt bedachte Außenpolitik die Festigkeit des Verhältnisses zur Bundesrepublik Deutschland ein Grundpfeiler ist. In aller Klarheit sagt dieser stete Vermittler zwischen zwei Völkern den Deutschen, daß die Teilung ihres Landes eine Folge von Hitlers Politik ist, und appelliert an das Mitgefühl der Franzosen für die Leiden der geteilten Nation allein schon durch die Wortwahl Seine Redewendung von der Verstümmelung Deutschlands ist im historischen Bewußtsein der Franzosen fest verankert als Metapher für erlittenes Unrecht. Wurde die Abtrennung Elsaß-Lothringens im Jahre 1871 doch zumeist als Verstümmelung Frankreichs bezeichnet. Andererseits bemüht Grosser sich, einer Überschätzung der Brisanz der deutschen Frage entgegenzuwirken. In Deutschlandbilanz versichert er, die überwältigende Mehrheit der Deutschen habe seit 1947/48, ohne sich dessen klar bewußt zu sein, „eine Wahl getroffen, die im 20. Jahrhundert eine wirkliche Ausnahme ist. Der Einheit der Nation haben sie die berechtigte Verteidigung politischer Werte, die sie mit Werten des Wirtschaftslebens verbanden, vorgezogen.“ Das sei zwar eine recht theoretische Entscheidung gewesen, weil es keine konkrete Alternative gegeben habe, aber dennoch von Bedeutung „für die ideologische Grundlage des politischen Lebens“ In seinem kürzlich erschienenen Buch Das Deutschland im Westen versichert Grosser: „Von anderer Art als ihre westlichen Nachbarn — wegen der Frage der deutschen Nation —, ist die Bundesrepublik trotzdem ein Land unter anderen im Westen, und ihre Zukunft wird mit aller Wahrscheinlichkeit der der anderen ähneln.“

Diese Aussagen von Alfred Grosser oder Jacques Droz werden hierzulande, aber allenfalls gleichgültig zur Kenntnis genommen. Besondere Aufmerksamkeit erregen sie ebensowenig wie die — sensationellen — Ergebnisse der letzten französischen Meinungsumfragen zum Thema einer Wiedervereinigung Deutschlands: rund 60 Prozent Ja-und nur gut 20 Prozent Neinstimmen Noch hat das Buch von Ernst Weisenfeld über Frankreich und die deutsche Einheit seit 1945 bisher nicht das Echo gefunden, das angesichts des neuen Interesses an der deutschen Frage eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Legt Weisenfeld doch dar, daß die große Mehrheit der Franzosen das Recht der Deutschen auf nationale Selbstbestimmung anerkennt und glaubwürdig unterstützt, nur für historische Gebietsansprüche kein Verständnis hat. Beides, so hat sich hier gezeigt, steht in der Tradition des französischen Nationsbegriffes.

Aufsehen und Klagen über das Wiederaufleben alter Vorurteile und Klischees hat hingegen das jüngste Buch des angesehenen französischen Historikers Raymond Poidevin hervorgerufen. Es trägt im Original den schlichten Titel Deutschland und die Welt im 20. Jahrhundert und hat in der deutschen Übersetzung den Obertitel Die unruhige Großmacht erhalten Poidevin sieht im Auf und Ab der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert einen konstanten Zug: Expansion. Expansion ist nach seiner Darstellung das gemeinsame Merkmal der deutschen Weltmachtambitionen in der wilhelminischen Zeit, de§ Weltherrschaftsversuches des nationalsozialistischen Regimes und der wichtigen Rolle der Bundesrepublik Deutschland in der Weltwirtschaft. Angesichts der außergewöhnlichen dynamischen Kraft, die Deutschland im 20. Jahrhundert entfaltet habe, stellt Poidevin in seinem Schlußwort die Frage, was wäre, falls sich eines Tages der Traum „gewisser Deutscher“ von der Wiedervereinigung erfüllte Dann würde Deutschland mit seiner Wirtschaftsmacht zwar noch immer nicht an die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion oder Japan heranreichen, aber den europäischen Rahmen sprengen, lautet die Antwort. Denn kein Staat des alten Kontinents könnte solcher Übermacht Paroli bieten. Ein solches Deutschland würde gewiß „alte Ängste bei den Nachbarn aufleben lassen und sie in Versuchung führen, erneut die deutsche Gefahr zu beschwören“ Denn bereits das geteilte Deutschland nehme wieder einen bedeutenden Platz in der Welt ein.

Damit ist eine Sorge ausgesprochen, die in Frankreich durchaus verbreitet ist, wie auch Weisenfeld zeigt In Deutschland aber wird jeder Beweis für die Existenz dieser Sorge weit aufmerksamer registriert als die zahlreichen Bekundungen der Sympathie für nationale Anliegen der Deutschen. Dieses Phänomen der selektiven Wahrnehmung erweist sich als konstanter Faktor in der ganzen hier betrachteten Zeitspanne. 1840 reagierten die Deutschen heftig auf französische Forderungen nach der Rheingrenze — der Friedensmarseillaise von Lamartine schenkten sie keine Aufmerksamkeit. Ebensowenig fand die französische Zustimmung zur deutschen Einheit vor und nach 1871 in Deutschland Beachtung. Die Deutschen der Bundesrepublik schließlich sind mit einem flüchtig hingeworfenen Bonmot von Francois Mauriac — „Ich liebe Deutschland so sehr, daß ich froh bin, nun zwei davon zu haben“ — weit vertrauter als mit der ernsthaften und differenzierten Erörterung der deutschen Frage in Frankreich. Die Ursachen für dieses dauerhafte Phänomen der selektiven Wahrnehmung sind im historischen Selbstverständnis der Deutschen zu suchen. Denn die Vorstellung von Frankreichs Nein zur deutschen Einheit spielt darin eine wichtige Rolle.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Joseph Rovan, Zwei Völker — eine Zukunft. Deutsche und Franzosen an der Schwelle des 21. Jahrhunderts, München 1986, S. 57. — Wegen des knappen Raumes muß auf einen ausführlichen Anmerkungsapparat verzichtet werden. Es sei deshalb auf folgende Gesamtdarstellungen in deutscher Sprache und die dort angegebene weiterführende Literatur verwiesen: Heinz-Otto Sieburg, Geschichte Frankreichs, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 19833; Jürgen Voss, Geschichte Frankreichs, Bd. II: Von der frühneuzeitlichen Monarchie zur Ersten Republik, 1500— 1800, München 1980; Raymond Poidevin /Jacques Barity, Frankreich und Deutschland — Die Geschichte ihrer Beziehungen, 1815 — 1975, München 1982.

  2. Klassische Darstellung des ideengeschichtlichen Zusammenhanges: Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 1. Bd.: Die Grundlagen, Freiburg 19595, 2. Bd.: Monarchie und Volkssouveränität, Freiburg 19492.

  3. Zu fragen bleibt, ob und in welchem Maße bei der polnischen Frage konfessionelle Sympathie und antipreußisches oder altes antihabsburgisches Ressentiment die konservative Abneigung gegen die nationale Idee konterkarierten.

  4. Vgl. dazu: Rudolf von Albertini, Frankreichs Stellungnahme zur deutschen Einigung während des Zweiten Kaiser-reiches, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 5 (1955), S. 305— 368; Rudolf Buchner, Die deutsch-französische Tragödie, 1848— 1864, Würzburg 1965; Heinz-Otto Sie-burg, Deutschland und Frankreich in der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, 2. Bde., Wiesbaden 1954, 1958.

  5. Adolphe Thiers, Histoire de la Revolution franaise, 10 Bde., Paris 1823-1827.

  6. Adolphe Thiers, Histoire du Consulat et de l'Empire, 29 Bde.. Paris 1845-1869.

  7. Discours parlementaires de M. Thiers, publies par M. Camon, 16 Bde., Paris 1879 — 1889.

  8. Über Bedeutung und Wirkungsgeschichte der Revolutionsgeschichten von Thiers sowie der weiter unten zitierten Historiker Alphonse de Lamartine und Jules Michelet vgl.: Alice Gerard, La Revolution franaise. Mythes et interprtations, 1789 — 1970, Paris 1970.

  9. Sieburg Bd. I (Anm. 4), S. 208f.

  10. Sieburg Bd. II (Anm. 4), S. 84ff.

  11. Ebd., S. 88ff.

  12. Ebd., S. 114; Albertini (Anm. 4), S. 330f.

  13. Zitiert in der Übersetzung nach Sieburg Bd. I (Anm. 4), S. 208.

  14. Auszüge aus der Kammerdebatte vom 15. Juli 1870 in deutscher Übersetzung in: H. Schulthess (Hrsg.), Europäischer Geschichtskalender, 11 (1870), S. 365 ff.

  15. Vgl. zum neuen Stand der Forschung: Elisabeth Fehrenbach, Preußen-Deutschland als Faktor der französischen Außenpolitik in der Reichsgründungszeit, in: Historische Zeitschrift, Beiheft 6: Europa und die Reichsgründung, München 1980, S. 109-137; Eberhard Kolb (Hrsg.), Europa vor dem Krieg von 1870. Mächtekonstellation, Konfliktfelder, Kriegsausbruch, München 1987 (in Druck). Zur älteren deutschen Geschichtsschreibung vgl. ebd.: Beate Gödde-Baumanns, Ansichten eines Krieges. Die „Kriegsschuldfrage“ von 1870 in zeitgenössischem Bewußtsein, Publizistik und wissenschaftlicher Diskussion 1870— 1914.

  16. Vgl. Anm. 14.

  17. Albertini (Anm. 4), S. 308; Sieburg Bd. I (Anm. 4), S. 190 ff.

  18. Edgar Quinet, France et Allemagne, Paris 1867, S. 22. Dieses wie auch die folgenden Zitate, sofern nichts anderes vermerkt, in der Übersetzung der Verfasserin. Vgl. zu Quinet’s nationalem Selbstverständnis: Claude Digeon, La crise allemande de la pense franaise, 1870— 1914, Paris 1959, S. 27f.

  19. Zitiert nach Albertini (Anm. 4), S. 312, Anm. 20, Über-setzung der Verfasserin. Bei einem späteren Aufenthalt in Deutschland gewann Tocqueville allerdings den Eindruck, die Franzosen selbst hätten die Voraussetzungen für ein solches Bündnis zerstört, indem sie zur Zeit der napoleonischen Herrschaft sich ihre „natürlichen Bundesgenossen“ zu ihren „ärgsten Feinden“ machten. Siehe Sieburg Bd. II, S. 84.

  20. Neben Albertini (Anm. 4) und Sieburg Bd. II (Anm. 4) dazu auch: Klaus Malettke, Die Beurteilung der Außen-und Innenpolitik Bismarcks von 1862— 1866 in den großen Pariser Zeitungen, Hamburg 1966; Klaus-Rudolf Wenger, Preußen in der öffentlichen Meinung Frankreichs 1815 — 1870, Göttingen 1979.

  21. La Marseillaise de la Paix. — Rponse ä M. Becker, in: Oeuvres completes de Lamartine, Bd. 5, Paris 1862, S. 53 — 58.

  22. Poidevin/Bariety (Anm. 1), S. 38ff.; Albertini (Anm. 4), S. 310f.; Sieburg Bd. I (Anm. 4), S. 211 ff.

  23. Sieburg Bd. II (Anm. 4), S. 112.

  24. Saint-Rene Taillandier, Histoire de la jeune Allemagne. Etudes litteraires, Paris 1848.

  25. Zitiert nach Albertini (Anm. 4), S. 342, Anm. 114.

  26. Ebd., S. 359.

  27. Jules Michelet, La France devant l’Europe, in: Oeuvres completes de J. Michelet, Paris (ohne Datum, ohne Bandnumerierung), S. 522 f. Michelet zitiert hier, offenbar aus der Erinnerung, einen Passus aus seiner Schrift Nos fils aus dem Jahre 1848, der im Original etwas nüchterner gehalten ist.

  28. Ebd., S. 505 f.

  29. Digeon (Anm. 18), S. 13.

  30. Beate Gödde-Baumanns, Deutsche Geschichte in französischer Sicht. Die französische Historiographie von 1871 bis 1918 über die Geschichte Deutschlands und der deutsch-französischen Beziehungen in der Neuzeit, Wiesbaden 1971.

  31. Ebd., Kapitel II und V.

  32. Jacques Bainville, Bismarck et la France, Paris 1907, zitiert nach dem im wesentlichen unveränderten Wiederabdruck in: Jacques Bainville, L’Allemagne romantique et realiste, Paris 1927, Zitat S. 364.

  33. Vgl. Anm. 32.

  34. Ebd., S. 238.

  35. Ebd., S. 329.

  36. Ebd., S. 333f.

  37. Jacques Bainville, Histoire de Deux Peuples. La France et l'Empire allemand, Paris 1915 ff. Die Auflagen seit 1933 mit dem Untertitel: Continuee jusqu’ä Hitler.

  38. Jacques Bainville, Histoire de Trois generations, Paris 1918.

  39. Jacques Bainville, Geschichte zweier Völker. Frankreichs Kampf gegen die deutsche Einheit. Einleitung von Friedrich Grimm. Übertragung von Albrecht Erich Günther, Leipzig 1939. — Bezeichnend für die — erhoffte — Wirkung dieser Übersetzung ist sowohl der geänderte Untertitel — „Frankreichs Kampf gegen die deutsche Einheit" statt wie im Original „Frankreich und das Deutsche Reich" — wie auch die Tatsache, daß die Ausgabe von 1915 übersetzt wurde und nicht die „bis Hitler fortgesetzte“ Fassung.

  40. Bainville (Anm. 37), S. 7ff.

  41. Ebd., S. 82 ff.

  42. Ebd., S. 196f.

  43. Ebd., S. 226.

  44. Ebd., S. 264ff.

  45. Gödde-Baumanns (Anm. 30), Kapitel VI/2.

  46. Ernest Renan, La reforme intellectuelle et morale, zitiert ach dem Wiederabdruck in: Oeuvres completes, ed. Henriette Psichari, Bd. I, Paris s. d. (1947).

  47. Ernest Lavisse/Alfred Rambaud (ed.), Histoire generale du IVe siede ä nos jours, 12 Bde., Paris 1893 — 1900. Insbesondere: Bd. IX, S. 582ff.; Bd. X, S. 613ff., Bd. XI, S. 69ff., S. 303ff.; Bd. XII, S. 343ff.

  48. Ernest Denis, L’Allemagne de 1789 ä 1810. Fin de l'ancienne Allemagne, Paris . 1896.

  49. Ernest Denis, L’Allemagne, 1810— 1852. La Confederation germanique, Paris 1898.

  50. Ernest Denis, La fondation de l’Empire allemand (1852-1870), Paris 1906.

  51. Denis (Anm. 48), S. 2; Denis in: Lavisse/Rambaud (Anm. 47), Bd. IV, S. 406.

  52. Denis (Anm. 48), S. 10 f.

  53. Ebd., S. 13 f.

  54. Ebd., S. 8.

  55. Bainville’s Essay-Sammlung „Bismarck et la France“ erschien 1907, der letzte Band von Denis’ Monographie über die deutsche Einigung, in dem er seine Auffassung mit unverminderter Entschiedenheit vertritt, 1906.

  56. Bainville (Anm. 32), S. 392 ff.

  57. Emile Ollivier, L’Empire liberal, 18 Bde., Paris 1895— 1910.

  58. Ebd.. Bd. XIV, S. 518ff., 535, 542.

  59. Ebd., Bd. XIV, S. 533 ff.

  60. Ebd., Bd. X, S. 251.

  61. Zwischen 1871 und 1914 wurde die Frage nach der Verantwortlichkeit für den Kriegsausbruch von 1870 in Frankreich sehr kontrovers diskutiert — vgl.: Gödde-Baumanns (Anm. 15 und Anm. 30).

  62. Proudhon sprach sich in Einklang mit seiner pazifistischen Grundüberzeugung für die Aufrechterhaltung des Systems von 1815 und mithin sowohl gegen französische Forderungen nach der Rheingrenze als auch gegen eine Einigung Deutschlands aus, von denen er kriegerische Verwicklungen befürchtete; vgl. Sieburg Bd. II (Anm. 4), S. 112ff. Louis Blanc lehnte die Einigung Deutschlands im Hinblick auf die Rolle Preußens ab. vgl. Albertini (Anm. 4), S. 333.

  63. Jean Jaures (ed.), Histoire socialiste, 1789 — 1900, 12 Bde., Paris s. d. (1901 ff.), Bd. IX; Jean Jaures, La guerre franco-allemande, Paris (1908).

  64. Jaures (Anm. 63), S. 71, 79.

  65. Ebd., S. 42, 56, 100.

  66. Ebd., S. 28 (Zitat), S. 15, 178, 231.

  67. Ebd., S. 40ff. -

  68. Ernest Lavisse, Etudes sur l’histoire de Prusse, Paris 18852, S. 14. Diese Bemerkung zielt gegen die These der zeitgenössischen kleindeutsch-borussischen Geschichtsschreibung vom „deutschen Beruf“ Preußens.

  69. Lucien Levy-Bruhl, L’Allemagne depuis Leibniz. Essai sur le developpement de la conscience nationale en Allemagne, 1700 — 1848, Paris 1890.

  70. In: Oeuvres completes (Anm. 46), Bd. I, S. 887ff.

  71. Vgl. Gödde-Baumanns (Anm. 30), S. 232ff.

  72. Ebd., S. 346 ff.

  73. Ernest Lavisse, Essais sur l’Allemagne imperiale, Paris 19094, S. 98. Vgl. im übrigen: Gödde-Baumanns (Anm. 30), S. 270f.

  74. Gödde-Baumanns (Anm. 30), S. 353 ff. „La Grande Guerre“ war die gängige zeitgenössische Bezeichnung für den Ersten Weltkrieg.

  75. Jacques Bainville, L’Allemagne. Collection Bainvillienne, 2 Bde., Paris 1939/40, Bd. I, S. 109.

  76. Ebd., Bd. II, S. 30ff.

  77. Ebd., Bd. I, S. 134.

  78. Gödde-Baumanns (Anm. 30), Kap. X.

  79. Gabriel Hanotaux, Histoire du Cardinal de Richelieu, Bd. I, Paris 1893, Bd. II, Paris 1903.

  80. Gabriel Hanotaux, Histoire illustree de la guerre de 1914, 17 Bde., Paris 1915ff.

  81. Gabriel Hanotaux, Histoire de la France contemporaine, 4 Bde., Paris 1903-1909. Zitat: Bd. IV, S. 59f.

  82. Gabriel Hanotaux, L’ere nouvelle. Problemes de la guerre et de la paix, in: Revue des Deux Mondes, 15. Juni 1916, S. 721-757, und 1. Nov. 1916, S. 5-52; Zitat S. 35.

  83. Ebd., S. 40ff. „Grundordnung Europas“ wörtlich: „L'unit amphictyonique de l’Europe“.

  84. Wiederabdruck der Kriegsartikel in: Charles Seignobos, Etudes de politique et d’histoire, ed. J. Letaconnoux, Paris 1934.

  85. Charles Seignobos, La politique exterieure, in: La rorganisation de la France. Conferences faites ä l'cole des Hautes Etudes Sociales, novembre 1915 — janvier 1916, Paris 1917, S. 79.

  86. Ernest Denis, La Guerre, Paris 1915.

  87. Ernest Denis, L'opinion publique dans le pays rhenan apres 1815, in: L’Alsace-Lorraine et la frontiere du Nord-Est. Travaux du comite d’etudes, Paris 1918, S. 393— 414.

  88. Denis (Anm. 86), S. 317ff.

  89. Edmond Vermeil, L'Allemagne. Essai d’explication, Paris 1939, Vorwort.

  90. Vgl. dazu: Wilfried Loth, Die Franzosen und die deutsche Frage 1945 — 1949, in: Claus Scharf /Hans-Jürgen Schröder (Hrsg.), Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die französische Zone 1945 — 1949, Wiesbaden 1983, S. 27 — 48; Klaus Manfrass (Hrsg.), Paris — Bonn. Eine dauerhafte Bindung schwieriger Partner, Sigmaringen 1984. Ferner demnächst: Deutsches Historisches Institut Paris (Hrsg.), Akten des deutsch-französischen Historikerkolloquiums „Deutschland und Frankreich: Kriegsende und erste Nachkriegszeit (1944 — 1947)“, 3. -5. Dez. 1986, Baden-Baden.

  91. Pierre Pflimlin in einer Rede über „Deutsch-Französische Freundschaft — Basis für die Europäische Einigung“ am 30. Mai 1986 in Duisburg. Vgl. auch: Alfred Grosser, Frankreich und seine Außenpolitik 1944 bis heute, München — Wien 1986.

  92. Robert Minder, Allemagnes et Allemands. Essai d’histoire culturelle, Paris 1948, S. 7.

  93. „Les deux Frances“ ist ein gängiger Begriff; der angekündigte Titel des dritten Bandes eines von Pierre Nora hrsg. Werkes lautet: Les Frances.

  94. Pierre Gaxotte, Histoire de l’Allemagne, Paris 1964.

  95. Francois G. Dreyfus, Histoire des Allemagnes, Paris 1970, S. 5 f.

  96. Ebd., S. 412.

  97. Pierre Ayoberry, L’Unite allemande, Paris 1972 (que sais-je? Nr. 1314).

  98. Jacques Droz, Histoire de l’Allemagne — 1: La formation de l’Unite allemande 1789— 1871, Paris 1970.

  99. Ebd., S. 221 f.

  100. Alfred Grosser, L’Allemagne de l'Occident, Paris 1953; ders., La Democratie de Bonn, Paris 1958; ders., L’Allemagne de notre temps, Paris 1970; ders., L’Allemagne en Occident. La Republique fdrale 40 ans apres, Paris 1985. — Deutsche Übersetzungen: vgl. Anm. 101 und 103.

  101. Alfred Grosser, Deutschlandbilanz. Geschichte Deutschlands seit 1945, München 19724, 1S 0. 53150f 6., 117.

  102. Ebd., S. 127.

  103. Alfred Grosser. Das Deutschland im Westen, München -Wien 1985, S. 330.

  104. 62 Prozent der befragten Franzosen antworteten mit Ja, 21 Prozent mit Nein, als ihnen um die Jahreswende 1984/85 die Frage gestellt wurde, ob sie die Wiedervereinigung Deutschlands befürworteten. Diese Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Geopolitique veröffentlicht; vgl.: Renate Fritsch-Bournazel. Zukunftssignale: Fusion oder Konfusion?, in: Frankreich und Deutschland. Zur Geschichte einer produktiven Nachbarschaft, Bonn 1986, S. 194. Nach einer in LE MONDE vom 28. Juni 1985 veröffentlichten Umfrage hielten 59 Prozent der befragten Franzosen die Wiedervereinigung Deutschlands für legitim, nur 20 Prozent für unerwünscht.

  105. Ernst Weisenfeld. Welches Deutschland soll es sein? Frankreich und die deutsche Einheit seit 1945, München 1986.

  106. Raymond Poidevin, L’Allemagne et le monde au XXe siede, Paris 1983; ders.. Die unruhige Großmacht. Deutschland und die Welt im 20. Jahrhundert, Freiburg-Würzburg 1985.

  107. Poidevin (Anm. 106), frz. Ausgabe, S. 272.

  108. Ebd., S. 273.

  109. Weisenfeld (Anm. 105), S. 181.

  110. Zitiert nach Fritsch-Bournazel (Anm. 104), S. 193.

Weitere Inhalte

Beate Gödde-Baumanns, Dr. phil., geb. 1936; Lehrbeauftragte und stellv. Direktorin des Instituts für Schulbuchforschung an der Universität Duisburg. Veröffentlichungen u. a.: Deutsche Geschichte in französischer Sicht. Die französische Historiographie von 1871 bis 1918 über die Geschichte Deutschlands und der deutsch-französischen Beziehungen in der Neuzeit, Wiesbaden 1971; (Hrsg.) Schulbuch-Thema Europa, IfS-Arbeitspapier, Duisburg 1984; L’Ide des Deux Allemagnes dans l'historiographie frangaise des annes 1871 — 1914, in: FRANCIA, 12 (1985), S. 609— 619; Ansichten eines Krieges, in: Eberhard Kolb (Hrsg.), Europa vor dem Krieg von 1870, München 1987 (im Erscheinen).