Obwohl Frauen in politischen Spitzenpositionen keineswegs unbekannt sind, wie die Beispiele von Indira Ghandi, Margaret Thatcher, Gro Harlem Brundtland, Geraldine Ferraro oder auch der vom amerikanischen Time magazine zur Frau des Jahres ‘ 87 gewählten Corazon Aquino zeigen, stellt die Verwirklichung der politischen Gleichberechtigung von Frauen im internationalen Vergleich eher ein Ziel als empirische Wirklichkeit dar. Die Bundesrepublik Deutschland ist hiervon nicht ausgenommen; nahezu 40Jahre nach der rechtlichen Gleichstellung von Frau und Mann im Grundgesetz üben Frauen lediglich bei der Stimmabgabe politische Macht aus. Da sie die Mehrheit aller Wahlberechtigten stellen, bestimmt ihr Votum wesentlich über die Regierungs-und Oppositionsbildung Die politischen Entscheidungsgremien selbst sind dagegen nach wie vor von Männern dominiert. Damit sind Frauen nicht nur im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Wahlbevölkerung, sondern auch gemessen an ihrer Parteimitgliedschaft benachteiligt.
Die innerparteiliche wie öffentliche Unterrepräsentation der Frauen wurde von den politischen Parteien selbst jahrzehntelang kaum thematisiert; in jüngster Zeit allerdings hat sich der Unmut der weiblichen Parteimitglieder zunehmend artikuliert. Die Sozialdemokratinnen konnten bereits 1977 die Einberufung einer vom Parteivorstand und der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen paritätisch besetzten Arbeitsgruppe zur „Gleichstellung der Frauen in der Partei“ durchsetzen. Auf Betreiben dieser Arbeitsgruppe faßten im September 1985 Parteivorstand und Parteirat einen Quotierungsbeschluß, wonach Frauen bei der Bundestagswahl 1987 ein Viertel aller Kandidaten stellen sollten Ziel der SPD ist es zudem, „den Anteil der Frauen an Mandaten, Ämtern und Funktionen in der Partei so zu steigern, daß noch in den neunziger Jahren der Anteil der Frauen an allen Funktionen und Mandaten der SPD grundsätzlich dem Bevölkerungsanteil entspricht.“
Während bei den GRÜNEN die innerparteiliche Parität seit der Existenzgründung programmatisch festgeschrieben ist, spielt die Quotierungsdiskussion in der CDU/CSU und der FDP kaum eine Rolle. Aber auch die CDU hat sich der Frauenproblematik stärker zugewandt. Im März 1985 stellte sie erstmals einen Bundesparteitag unter das Motto: „Die neue Partnerschaft — Frauen in Beruf, Familie und Politik“. Nach den dort verabschiedeten Leitsätzen ist es ihr Ziel, „die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Lebensalltag bis zum Ende dieses Jahrhunderts im wesentlichen zu erreichen“ Hinsichtlich der innerparteilichen Beteiligung ihrer weiblichen Mitglieder heißt es dort: „Die CDU fordert die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Kommunen auf, bei der Besetzung von Gremien und leitenden Positionen Frauen stärker zu berücksichtigen. Es ist die gemeinsame Aufgabe von Männern und Frauen, das krasse Mißverhältnis zwischen der Mitgliederstärke der Frauen in Parteien und der Zahl weiblicher Mandats-und Funktionsträger zu beseitigen ... Die Vorstände aller Parteigliederungen müssen dafür sorgen, daß die Zahl der weiblichen Kandidaten für Mandate und Funktionen kontinuierlich steigt.“
Die in den Parteien einsetzende Suche nach geeigneten Strategien zur Erhöhung des Frauenanteils auf der politischen Führungsebene kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn die Gründe des bisherigen Präsenzdefizits von Frauen offen-liegen. Da im politischen System der Bundesre-publik Deutschland die Rekrutierung des politischen Führungspersonals allein den Parteien obliegt, ja sogar als eine ihrer wichtigsten Funktionen gilt sollen im folgenden die Barrieren für Frauen im innerparteilichen Führungsauswahlprozeß aufgezeigt werden. Die Entwicklung der weiblichen Repräsentanz in den politischen Institutionen bildet hierfür die Grundlage.
Repräsentanz in Parteien, Parlamenten und Regierungen
Bis in die sechziger Jahre waren die Parteien für Frauen von geringer Attraktivität; Politik galt als eine Domäne der Männer, in die nur wenig Frauen Einlaß suchten und fanden. In den siebziger Jahren zeichnete sich dann aber eine zunehmende Politisierung der Frauen ab; abzulesen ist diese u. a. an einem Anstieg des politischen Interesses sowie der politischen Kommunikationshäufigkeit von Frauen In den Parteien führte diese Entwicklung zu einem rasanten Anstieg der weiblichen Mitgliederzahlen. Von 1971 bis 1981 hat sich ihre Zahl nahezu verdoppelt. Über 440 000 Frauen sind heute Mitglied einer Partei; mit fast 52% sind die Sozialdemokratinnen unter ihnen führend, während die Christdemokratinnen mit gut zwei Fünftel (41%), die Freidemokratinnen mit 4% und die grünen Frauen mit 3% vertreten sind. In den einzelnen Parteien betrug der bundesweite Frauenanteil Ende 1985 für die SPD 25, 3%, CDU 22%, CSU 13, 7%, FDP 23, 6% und GRÜNE 33, 3%
Der Anstieg des Organisationsgrades von Frauen hat bislang allerdings bei den etablierten Parteien kaum dazu geführt, die Praxis der Ämter-und Mandatsvergabe an Männer zu verändern. So liegt der Anteil der Frauen in den Bundesvorständen von SPD, CDU und FDP noch immer deutlich unter ihrem jeweiligen Mitgliederstand.
Er betrug 1986 im Bundesvorstand der SPD 17, 5% (1982; 15%), der CDU 17, 1 % (1982:
6, 3%) und der FDP 13, 8% (1982: 12, 1%). Der Frauenanteil im Landesvorstand der CSU (1986:
12, 8%; 1982: 7%) und im Bundesvorstand der GRÜNEN (1985: 30%) dagegen entspricht in etwa der weiblichen Mitgliederstärke
Mit Ausnahme der GRÜNEN sind die weiblichen Mitglieder der etablierten Parteien auch unter den weiteren Funktionsträgern nur unzureichend repräsentiert. Eine detaillierte Aufstellung hierüber liegt allerdings lediglich von der SPD vor. Danach betrug 1986 der Anteil der weiblichen Funktionsträger unter den Vorstandsmitgliedern der Bezirke, Unterbezirke und Ortsvereine 17, 1% (1984: 16, 9%), unter den Vorsitzenden dagegen nur 6, 8% (1984: 5, 7%) Die für einen politischen Aufstieg als innerparteiliche Schlüsselposition geltenden Vorsitzendenfunktionen sind somit fast vollständig im Besitz der Männer. In den anderen Parteien dürfte sich die Situation — auch wenn keine präzisen Angaben vorliegen — nicht wesentlich anders darstellen. Lediglich die CDU benennt für 1985 einen generellen Frauenanteil von 12, 3% unter ihren Funktions-und Mandatsträgern
Betrachtet man die parlamentarische Repräsentanz von Frauen, so zeigt die Entwicklung für die siebziger und achtziger Jahre auf allen Ebenen eine leicht ansteigende Tendenz, bleibt aber auch hier deutlich hinter der weiblichen Mitgliederentwicklung zurück. Am stärksten vertreten sind Frauen in den Kommunalparlamenten; hier er-höhte sich ihr durchschnittlicher Anteil von 8, 3% im Jahr 1973 auf 14, 4% im Jahr 1985. In Städten mit mehr als einer halben Million Einwohnern betrug er 1985 sogar 18, 5 %
In den Länderparlamenten bewegte sich der durchschnittliche Frauenanteil bis 1976 stets zwischen rd. 7 und 8%, 1984 lag er bei 10, 6%. Während 1980 nur vier Länderparlamente einen Frauenanteil von 10% und mehr erreichten — neben den Stadtstaaten Hamburg und Bremen mit einem traditionell hohen Frauenanteil im Parlament auch die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz—, haben heute mit Ausnahme des Bundeslandes Baden-Württemberg alle Länderparlamente die 10%-Schwelle erreicht bzw. überschritten
Im Deutschen Bundestag lag der Frauenanteil bis zur 10. Wahlperiode zwischen 5, 8% (7. Wahlperiode) und 9, 8% (10. Wahlperiode). Eine wichtige Zäsur in der Geschichte der politischen Gleichberechtigung von Frauen stellt die jüngste Bundestagswahl vom 25. Januar 1987 dar; erstmals ist es den weiblichen Parteimitgliedern gelungen, ihren Anteil im höchsten bundesdeutschen Parlament erkennbar zu steigern. 80 Frauen werden in den 11. Bundestag einziehen; das entspricht einem Anteil von 15, 4%. Die stärkste Frauenfraktion findet sich bei den GRÜNEN mit 56, 8% (1983: 37%); ihr folgen mit einigem Abstand die SPD mit einem Frauenanteil von 16, 1% (1983: 10, 4%) und die FDP mit 12, 5% (1983: 8, 6%). In der christdemokratischen Fraktion hat sich der Frauenanteil dagegen nur geringfügig erhöht (1983: 6, 6%; 1987: 7, 7%)
Die insgesamt geringe parlamentarische Repräsentanz der Frauen findet ihre Fortsetzung in verschärfter Form auf der politischen Führungsebene. Spitzenpositionen wie das Amt des Bundeskanzlers, des Bundespräsidenten oder eines Ministerpräsidenten wurden noch nie von einer Frau bekleidet. In den Länder-wie Bundesregierungen dominiert das „Gruppenbild mit Dame“, d. h. in der Regel amtiert höchstens eine Frau als Ministerin eines zumeist frauentypischen Ressorts (Jugend, Familie, Gesundheit). Und nur neun Frauen sind bis heute in die Geschichte der Bundesrepublik als weibliche Bundesminister eingegangen Diese Daten zur Repräsentanz von Frauen in innerparteilichen und öffentlichen Ämtern verdeutlichen ein umgekehrt proportionales Verhältnis von institutioneller Frauen-Partizipation und dem hierarchischen Rang sowie der damit verbundenen formellen Machtkompetenz im politischen System: Je höher die Entscheidungsposition in der politischen Hierarchie ist, um so geringer ist der Frauenanteil.
Weibliche Kandidaturen
Die Annahme, daß die geringe Vertretung von Frauen in politischen Spitzenpositionen ihre Begründung im Desinteresse der weiblichen Parteimitglieder an einer Amtsübernahme finde, wird durch die Zahl der Frauenkandidaturen zum Deutschen Bundestag eindrucksvoll widerlegt. Bis 1969 lag der Frauenanteil an den Kandidaten stets unter 10%. Ab 1972 aber ist ein sprunghafter Anstieg der weiblichen Bewerber zu beobachten; ihre absolute Zahl erhöhte sich von 292 im Jahr 1972 auf-685 im Jahr 1987 und entspricht einem prozentualen Anstieg von 10, 6% auf 25, 5% Allerdings sind es überwiegend die kleineren, relativ chancenlosen Parteien des linken Spektrums, die überdurchschnittlich weibliche Bewerber aufgestellt haben.
Bei den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien nimmt sich der Anstieg der Frauenkandidaturen weniger dramatisch aus. Aber auch für die „Altparteien“ von 1980 und 1983 gilt, daß die erhöhte Kandidaturbereitschaft der weiblichen Mitglieder keine wesentliche Auswirkung auf ihre parlamentarische Repräsentanz hatte. So war beispielsweise die Erfolgschance einer Kandidatur für Frauen 1980 nur halb so groß wie für Männer Die Erklärung für diesen Tatbestand liegt in der Benachteiligung der Frauen bei der Kandidatenaufstellung. Das Gros der weiblichen Kandidaten findet sich auf den hinteren Listen-plätzen wieder, während Männer die aussichtsreichen Plätze belegen. Auch die Chance, ein Direktmandat zu erringen, ist für Frauen ungleich geringer als für Männer, da ihnen nur in Ausnahmetällen ein Wahlkreis —insbesondere ein als sicher geltender— anvertraut wird
Politische Aufstiegsmuster
Zur weiteren Erklärung des Phänomens einer Unterrepräsentanz der Frauen in der Hierarchie politischer Positionen ist es hilfreich, Ergebnisse der empirischen Eliteforschung über Voraussetzungen und Verlauf des personellen Führungsauswahlprozesses aufzugreifen und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Aufstiegschancen von Frauen zu überprüfen. Auf welchem Weg gelangen in unserem politischen System Personen in Führungspositionen?
Zwei generelle Aufstiegsmuster hat Dietrich Herzog als Vertreter des karrieretheoretischen Ansatzes hierzu herausgearbeitet Dem ersten Muster zufolge beginnt eine parteipolitische Karriere üblicherweise in den Führungsgremien der Basisorganisationen; diese Positionen auf der lokalen Ebene werden zudem oftmals lange Zeit beibehalten. Neben der langjährigen Bewährung als aktives Parteimitglied gilt die Verankerung in einer innerparteilichen Hausmacht als entscheidende Voraussetzung für eine Nominierung zu einem Bundes-oder Landtagsmandat. Das Prinzip der Ancienität dominiert somit in der politischen Praxis. Im zweiten Rekrutierungsmuster vollzieht sich der politische Aufstieg über „Positionen auf höherer Organisationsebene (Bezirk, Land, Bund), vor allem in Sonderorganisationen, Beiräten oder Fachausschüssen. Bei diesem Start sind folgende Voraussetzungen notwendig: a) eine einflußreiche Position in Verbänden oder Institutionen; oder b) ein einflußreiches öffentliches Amt; oder c) eine einflußreiche private Berufsposition; oder
d) Fachwissen aufgrund des privaten Berufs; oder e) erfolgreiche Tätigkeit in studentischen oder sonstigen Jugendgruppen des vorpolitischen Raums.“
Dieses zweite Aufstiegsmuster betont somit den erlernten Beruf sowie die Art der ausgeübten Tätigkeit. Gerade die politiknahen Berufe bilden eine privilegierte Voraussetzung für den Karrierestart. Politiknähe meint dabei, daß Berufe nicht nur auf das Binnenverhältnis von Organisationen beschränkt sind, sondern daß z. B. Pressekontakte, Verhandlungen mit staatlichen Stellen oder auch nationale wie internationale Verbindungen Gegenstand der beruflichen Tätigkeit sind Und schließlich spielt auch die Frage der Abkömmlichkeit eine wichtige Rolle, da die politische Arbeit im Zuge des Aufstiegs immer weniger eine Feierabendtätigkeit ist, sondern sich zum Hauptberuf entwickelt. Inhaber von Berufspositionen mit einem hohen Maß an beruflicher Abkömmlichkeit sind somit von vornherein politisch privilegiert. Der überdurchschnittlich hohe Anteil verbeamteter Parlamentarier ist hierfür ein Beleg. Ihre Dominanz erklärt sich zum einen aus den beamtenrechtlichen Bestimmungen, die ihnen Freistellung, Versorgung und Rückkehrmöglichkeiten garantieren, und zum anderen aus den größeren Freiräumen, die Beamte insbesondere des höheren Dienstes zur Verfügung haben und für ihre Karriereplanung nutzen können Unabhängig davon, ob der politische Aufstieg dem ersten oder dem zweiten Rekrutierungsmuster folgt, ist mit dem sukzessiven innerparteilichen Aufstieg eine „Professionalisierung“ verbunden, also eine zunehmende Ähnlichkeit der politischen Arbeit mit Berufsmustern. Mit dem Aufstieg in der politischen Hierarchie erhöht sich neben der zeitlichen Belastung auch die Arbeitsintensität; die Folge sind eine steigende Identifikation mit der Politikerrolle als Beruf und umgekehrt eine wachsende Entfremdung zum erlernten Beruf. Von daher haben Mandatsträger auch ein starkes Interesse an ihrem Verbleib in der Politik
Diese in ihren Grundzügen skizzierten Aufstiegs-muster verdeutlichen, daß der politische Elitenselektionsprozeß weitestgehend auf die männliche Biographie zugeschnitten ist. Frauen haben von Anfang an erschwerte Startbedingungen. Ihre Ungleichheit im gesellschaftlichen Bereich setzt sich, wie im einzelnen zu zeigen sein wird, im Parteienbereich fort und zementiert die Unterrepräsentation.
Aufstiegsrestriktionen für Frauen
Hinsichtlich der herausragenden Stellung der beruflichen Position für den politischen Karriere-start muß zunächst festgestellt werden, daß damit alle nicht erwerbstätigen Parteimitglieder, und das sind in erster Linie Hausfrauen und Mütter, benachteiligt sind. Die Erziehungs-und Reproduktionsleistungen der Frauen für die Familie, auf deren Grundlage das gesamte Wirtschaftsleben aufbaut, disqualifizieren sie nach diesem Verständnis für die Übernahme einer verantwortlichen politischen Tätigkeit. Bereits M. Kent Jennings und Barbara C. Farah stellen fest: „Being a homemaker, with its ’round-the-clock duties and nonremunerative nature, has not been viewed as an asset for attaining elite Status.“ Je nach Partei aber haben ein Drittel bis die Hälfte aller weiblichen Mitglieder als Beruf den der Hausfrau angegeben; sie alle fallen aus dem männlichen Aufstiegsraster heraus.
Einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit ging Anfang der achtziger Jahre mehr als die Hälfte aller Frauen im Alter von 15 bis 59 Jahren nach. Von diesen waren 1984 52, 3% als Angestellte, 29, 4% als Arbeiterinnen, 5, 2% als Selbständige, 7, 9% als mithelfende Familienangehörige und 5, 1% als Beamtinnen beschäftigt Ihre Stellung im Erwerbsleben läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß Frauen vorwiegend auf den jeweils unteren Funktionsebenen tätig sind; in aufsichtsführenden und leitenden Berufspositionen sind sie dagegen nur in Ausnahmefällen anzutreffen
Wie sieht es jetzt mit dem Frauenanteil im öffentlichen Dienst aus? Gerade die Beamten des gehobenen und in stärkerem Ausmaß des höheren Dienstes verfügen, wie gezeigt, über privilegierte Karrierevoraussetzungen für die Politik. Der Frauenanteil an den Vollzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst betrug 1983 rd. 30%; Frauen stellten hier 55, 3% aller Angestellten, 16, 7% aller Arbeiter und 20, 3% aller Beamten und Richter. „Das Beamten-und Richterverhältnis ist also eine Domäne der Männer.“ Die Gliederung der weiblichen Vollbeschäftigten nach Laufbahn-gruppen weist mehr als die Hälfte (53, 3%) der Mitarbeiterinnen im mittleren Dienst aus. „Dieser Anteil dokumentiert typische Berufsfelder für Frauen im öffentlichen Dienst, wie z. B. die Ver-Wendung als Schreib-oder Bürokräfte sowie Krankenschwestern.“ Im gehobenen Dienst lag der Frauenanteil mit 32, 4% leicht über dem Gesamtdurchschnitt, während er im höheren Dienst mit 18, 6% deutlich zurückblieb. In Positionen, die sich durch einen eigenen Zuständigkeits-und Verantwortungsbereich kennzeichnen lassen, sind Frauen damit deutlich weniger vertreten.
Die überwiegende Mehrheit der erwerbstätigen Frauen kann somit weder einen politiknahen Beruf noch eine einflußreiche berufliche Führungsposition vorweisen; auch im höheren öffentlichen Dienst sin 4% leicht über dem Gesamtdurchschnitt, während er im höheren Dienst mit 18, 6% deutlich zurückblieb. In Positionen, die sich durch einen eigenen Zuständigkeits-und Verantwortungsbereich kennzeichnen lassen, sind Frauen damit deutlich weniger vertreten.
Die überwiegende Mehrheit der erwerbstätigen Frauen kann somit weder einen politiknahen Beruf noch eine einflußreiche berufliche Führungsposition vorweisen; auch im höheren öffentlichen Dienst sind Frauen unterrepräsentiert. Zwangsläufig müssen sie daher auch beim Nachweis einer gesellschaftlichen Hausmacht passen. Die Mitgliedschaft in traditionellen Frauenverbänden dagegen, wie z. B.dem Deutschen Hausfrauenbund, gilt im personellen Rekrutierungsprozeß nicht als ein relevanter Einflußfaktor 29).
Inwiefern erfüllen Frauen nun die innerparteilichen Karrierevoraussetzungen? Nach Dietrich Herzog bildet eine intensive und kontinuierliche Mitarbeit „nicht nur nach Feierabend“ eine wesentliche Voraussetzung für eine politische Kandidatur 30). Hier wird deutlich, daß die politische Arbeit — gleich der Berufswelt — in ihrer Organisation von der familialen Situation der Akteure abstrahiert. Es hat den Anschein, als habe kein Parteimitglied neben beruflicher und politischer Tätigkeit auch noch Familienaufgaben zu erfüllen. Für die meisten Männer trifft die Entlastung von familiären Belangen auch sicherlich zu; sie können sich auf ihre (Ehe-) Frauen verlassen, die als Karriere-Helferinnen für einen störungsfreien Ablauf des Alltags sorgen und bereitwillig das Los einer „politischen Witwe“ in Kauf nehmen 31). Die weiblichen Parteimitglieder dagegen können „sich kaum je vor der Begegnung mit dem Hausfrauenalltag drücken, Sie haben nicht wie die Männer Ehefrauen, Freundinnen, Mütter oder Schwestern, die ihnen Dinge wie Einkäufen, Putzen, Wäschewaschen abnehmen, von der ErZiehung der Kinder ganz zu schweigen.“ 32) Allein schon der regelmäßige Besuch von Parteiveranstaltungen stellt für viele Frauen, insbesondere für die mit kleinen Kindern, ein Problem dar.
Trotz einiger Ansätze zur Veränderung der weiblichen Lebenssituation stehen Frauen noch immer ungleich stärker als Männer unter dem Druck der Vereinbarkeit von politischer Partizipation mit Erwerbstätigkeit und Familien-bzw. Mutterpflichten. Die als Voraussetzung für einen politischen Aufstieg immer wieder betonte Abkömmlichkeit ist danach bei Frauen in geringerem Maße vorhanden als bei Männern
Eine weitere innerparteiliche Aufstiegsrestriktion stellt die langjährige Bewährung in den Führungspositionen der Basisorganisationen dar. Die bereits genannten Frauenanteile unter den Parteifunktionären haben gezeigt, daß die weiblichen Mitglieder auch hier in den lokalen Vorstandspositionen unterrepräsentiert sind. Insbesondere die aussichtsreichen und als Sprungbrett für eine politische Karriere geltenden Vorsitzendenpositionen sind fest in den Händen der Männer.
Die Frage schließlich, inwiefern Frauen über eine eigene innerparteiliche Hausmacht als weitere zentrale Karrierevoraussetzung verfügen, erfordert eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Frauenorganisationen der Parteien. Eine organisatorische Sonderstellung der weiblichen Parteimitglieder findet sich heute bundesweit in den Volksparteien SPD und CDU. Qua Geschlecht gehören alle Sozialdemokratinnen der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), alle Christdemokratinnen der Frauenvereinigung an.
— Die Tätigkeit der AsF erfolgt, wie die aller Arbeitsgemeinschaften, nach dem Parteistatut (§ 10) sowie den vom Parteivorstand hierfür beschlossenen Grundsätzen. Danach ist die AsF eine unselbständige Gliederung der Partei und gilt nicht als Organ der politischen Willensbildung; sie darf keine eigene Öffentlichkeitsarbeit betreiben, verfügt über keinen eigenen Haushalt und ist bei ihrer Tätigkeit an Absprachen mit den jeweiligen Parteivorständen gebunden
— Demgegenüber sehen die organisatorischen Rahmenbedingungen der Frauenvereinigung der CDU günstiger aus; so hat die Frauenvereinigung u. a. „das Recht zu eigenen Verlautbarungen“ (§ 39 des Parteistatuts), zudem besitzt ihr Bundesvorstand — im Gegensatz zur AsF — ein eigenes Antragsrecht zu Bundesparteitagen.
Beide Frauenorganisationen sehen eine ihrer wesentlichen Aufgaben in der Verstärkung der innerparteilichen Mitarbeit ihrer weiblichen Klientel; damit verbunden ist der Einsatz „für eine angemessene Vertretung der Frauen in den Organen der Partei und in den Parlamenten“ Ist dieses Ziel erreicht, entfällt für die AsF wie für die Frauenvereinigung der CDU die Notwendigkeit einer separaten innerparteilichen Organisierung für Frauen. Ihrem Selbstverständnis nach sind die Frauenorganisationen somit „Interessenvertretungen auf Zeit“ bzw. „Durchgangsstation auf dem Weg zur vollen Mitarbeit in allen Gremien der Partei“ Trotz der organisatorischen Unterschiede stehen die AsF und die Frauenvereinigung innerparteilich grundsätzlich vor den gleichen Problemen, die aus ihrer doppelten Sonderstellung resultieren. Organisatorisch wie inhaltlich bewegen sich die weiblichen Mitglieder innerhalb von Politikreservaten; Konflikte zwischen Gesamtpartei und Frauenorganisation sowie zwischen den weiblichen Mitgliedern selbst sind damit vorprogrammiert. — Während sich in anderen Arbeitsgemeinschaften bzw. Vereinigungen die Parteimitglieder aufgrund eines fachlichen Interesses zusammenfinden, sind die Frauen aufgrund ihres Geschlechts zwangsweise Mitglied der Frauenorganisationen. Die Aussonderung der Frauen wurde und wird u. a. mit ihrem Nachholbedarf an politischem Wissen und an Gewandtheit im öffentlichen Auftreten begründet. Dieser Mangel an Routine und Schulung ist indessen in der Regel nicht geschlechtsspezifisch, sondern eng verknüpft mit Erziehung, Bildung und Ausbildung und betrifft daher gleichermaßen Männer wie Frauen — Die Frauenorganisationen sind keine Durchgangsstationen, sondern — wie die politische Praxis zeigt— in der Regel Endstation für ihre Mitglieder. Frauen, die sich hier aktiv betätigen, können —allein von der Arbeitskapazität her — in anderen Parteigremien weniger intensiv mitarbeiten und insofern auch weniger durchsetzen — Die gesonderte Organisation der Frauen verhindert zudem auch ihre inhaltliche Integration in die Partei, da sie es der Gesamtpartei, d. h.der Mehrheit der Männer, ermöglicht, die sogenannten „Frauenthemen“ weiterhin als untergeordnete Gruppeninteressen zu behandeln, auch wenn in der SPD beispielsweise verbal die Unterscheidung in frauen-und männerspezifische Themenbereiche abgelehnt wird, da „alle Themen so-wohl Männer als auch Frauen gleichermaßen betreffen“ — Die Frauenorganisationen haben keine wesentliche Erhöhung der Frauenanteile in innerparteilichen Führungspositionen oder in den Parlamenten erreicht und sind somit an ihrem eigenen Anspruch bislang gescheitert — Es ist den Frauenorganisationen ferner nicht gelungen, unter ihrer Mitgliedschaft eine Identität von förmlicher und formaler Mitgliedschaft herzustellen. Noch nicht einmal ein Drittel der weiblichen Mitglieder fühlt sich ihnen zugehörig Von den weiblichen Abgeordneten des 10. Bundestags hat die Hälfte der Sozial-und ein Drittel der Christdemokratinnen ihren Aufstieg ohne Rückhalt in der jeweiligen Frauenorganisation vollzogen
Abgesehen davon, daß die Beschlußlage der AsF stärker emanzipatorisch ausgerichtet ist als die der CDU-Frauenvereinigung und daß die AsF innerparteilich eine unbequemere und kritischere . Frauenorganisation ist als die um Partnerschaft bemühte Frauenvereinigung, sind beide Organisationen in ihren Parteien relativ isoliert und wenig einflußreich. Die Entwicklung zu einer innerparteilichen Hausmacht, die Kandidaturen der weiblichen Mitglieder wirkungsvoll unterstützt und durchsetzt, haben weder die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen noch die Frauenvereinigung der CDU bislang vollzogen
Die eingangs gestellte Frage nach der Relevanz der vorherrschenden politischen Karrieremuster für die Aufstiegschancen von Frauen läßt sich zusammenfassend folgendermaßen beantworten: Die Betonung von politiknahen Berufen, einflußreicher gesellschaftlicher Führungsposition, Abkömmlichkeit, kontinuierlicher und intensiver Mitarbeit in Führungsgremien der lokalen Ebene und gesellschaftlicher wie innerparteilicher Hausmachtsverankerung bedeutet von vornherein eine strukturelle Barriere und drastische Reduzierung der Chancen weiblicher Parteimitglieder für einen erfolgreichen Karrierestart. Die Wechselwirkung von Gesellschaft und Partei, wie sie in den Karrieremustern zutage tritt, hat die Fortschreibung der politischen Ungleichheit von Frauen in den Parteiorganisationen zur Folge. Der Gegensatz von männlicher und weiblicher Lebenswelt, der seinen Ausdruck in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung unserer Gesellschaft findet, wirkt somit restriktiv hinsichtlich einer gleichberechtigten politischen Partizipation von Frauen.
Männliches Diskriminierungsverhalten
Die Analyse der Aufstiegsbarrieren für weibliche Parteimitglieder ist mit der Identifizierung der Karrieremuster als männliche und der inhaltlichen wie organisatorischen Zuweisung der Frauen in Politikreservate noch nicht erschöpft. Vielmehr tritt eine weitere Dimension hinzu, die bereits bei der Benachteiligung der weiblichen Mitglieder im Kandidatenauswahlprozeß deutlich wurde; gemeint sind hier auf der Einstellungs-und Verhaltensebene Vorurteile und Behinderungen gegenüber politisch aktiven und karriereambitionierten Frauen. Trotz des anerkannten Gleichberechtigungspostulats besteht auch heute noch z. T. die Perzeption von der Politikunfähigkeit der Frau, die auf einem Syndrom aus tradierten gesellschaftlichen, individuellen und innerparteilichen Rollenzuweisungen beruht Solange das weibliche Rollenverhalten in den Parteien den Erwartungen der männlichen Mitglieder entspricht, d. h. eine eher passive Nutzung der Mitgliedsrolle vorherrscht, die sich in dem überwiegenden Verhalten der Frauen als Zuhörerin bzw. als Zuarbeiterin für die Männer dokumentiert, solange kommt die negative Einstellung Frauen gegenüber kaum zum Tragen; denn diese Frauen bedeuten keine Konkurrenz bei der Auseinandersetzung um die finanziell wie prestigemäßig interessanten politischen Ämter und Mandate. Sobald sich allerdings eine Frau mit dem innerparteilichen Status eines „lower level participant" nicht länger zufrieden gibt, sondern selbstbewußt ihren politischen Aufstieg betreibt, ruft sie männlichen Widerstand hervor. So funktioniert „der Schulterschluß der Männer..
wenn es darum geht, daß mittelmäßige Männer eine gute Frau abwehren. Vor allem, wenn sie relativ schnell gut ankommt, womöglich als , Senkrechtstarterin beschrieben wird. Wenn eine Frau so etikettiert wird, ist sie schon mausetot, weil sich sofort alle männlichen Instinkte gegen sie aufbäumen.“
Die geschlechtsspezifische Diskriminierung äußert sich in vielfältiger Weise. Eine Form besteht darin, daß die Parteifunktionäre ihr gewohntes Nominierungs-und Abstimmungsverhalten zugunsten der Männer beibehalten. „Bei der Nominierung sind die Männer Meister der Absprache. Das große Handicap der Frauen ist.., daß man auf Ortsebene und auf Verbandsebene Partner für eine Absprache suchen muß. ... Da haben uns die Männer eins voraus: Man trifft sich am Biertisch, man trifft sich bei bestimmten Vereinen an der Bar, und dann läßt sich das mal so schnell kameradschaftlich, persönlich miteinander absprechen. Und schon sind gewisse Koalitionen da, und die Frau kann die Hürde der Nominierung nicht mehr nehmen.“
Eine weitere Variante geschlechtsspezifischer Diskriminierung stellen die unterschiedlichen Maßstäbe dar, die an die politischen Qualifikationen von Männern und Frauen angelegt werden. „Ich habe immer wieder erfahren, wieviel höhere Anforderungen an meine Kolleginnen und mich gestellt wurden als an männliche Kollegen; vor allem aber, daß Anforderungen gestellt werden, die nicht gleichzeitig leistbar sind: treusorgende Mutter, aber gleichzeitig immer präsent in der Parteiarbeit. Treue Ehegattin, aber zu jedem Abenteuer bereit. Angenehm und angepaßt, aber durchsetzungsfähig.“ Insbesondere Frauen in politischen Spitzenpositionen werden oftmals gnadenloser zensiert als ihre männlichen Kollegen; diese Erfahrung mußte auch Marie Schlei machen, die im zweiten Kabinett Schmidt Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit war und damit eine traditionelle Männerdomäne okkupierte: „Als Staatssekretärin im Kanzleramt hatte ich eine Presse, wie man sie sich nur wünschen kann. Jahrelang. Das war schlagartig vorbei, als ich Ministerin wurde. « Dann ging es los mit zum Teil bösartigen Angriffen. ... Für Männer ist die alte Ordnung gestört, wenn eine Frau ganz oben ist, beispielsweise als Ministerin.“ In diesen Zusammenhang gehört auch, daß Frauen eher als Männern Imkompetenz unterstellt wird. So wehrte sich beispielsweise Geraldine Ferraro in einer Fernsehdiskussion mit George Bush gegen dessen Belehrungen:
„Let me just say, first of all, that I almost resent, Vice President Bush, your patronizing attitude that you have to teach me about foreign policy.“ Auf der anderen Seite ist die Anerkennung der Leistungen von Politikerinnen nicht selten von männlicher Herablassung geprägt. So wurde beispielsweise der Bundesministerin Rita Süssmuth auf einer Wahlkampfveranstaltung vom örtlichen CDU-Parteivorsitzenden attestiert, ihre Rede sei „von großer Sachkenntnis geprägt“ Daß Politikerinnen noch immer nicht in gleicher Weise wie Männer ernst genommen werden, zeigt sich auch bei den Bundestagsdebatten. Steht eine Frau am Rednerpult, so steigt der Geräuschpegel, während die Zwischenrufe an Qualität ab-und an Quantität zunehmen Die weiblichen Bundestagsabgeordneten müssen sich Zwischenrufe wie: „Zur Sache, Schätzchen!“, „Sie sehen besser aus, als Sie reden!“, „Hat die aber eine spitze Nase!“ oder „Küßchen, Küßchen!“ anhören
Die steigende Sensibilisierung der Politikerinnen gegenüber den offenen wie subtilen Formen geschlechtsspezifischer Diskriminierung läßt auf einen zukünftigen Abbau sexistischer Strukturen in der Politik hoffen, obwohl zum alten „Genossen Hinderlich“ der angebliche „Partner Verständnisvoll“ neu hinzugekommen ist.
Politische Karrieren von Frauen: Rückblick und Perspektiven
Trotz der angeführten Barrieren haben dennoch einige Frauen den innerparteilichen Aufstieg geschafft und sind im Besitz von Mandaten oder Regierungsämtern. Im Hinblick auf weitergehende Überlegungen seien hier die wesentlichen Merkmale ihres politischen Karriereverlaufs angeführt Aus den Daten zur Sozialstruktur der Frauen im Bundestag lassen sich vier wichtige Entwicklungen ablesen:
1. Während Frauen seit 1949 im Durchschnitt stets älter als ihre männlichen Kollegen waren, hat sich die Differenz seit der 7. Wahlperiode erheblich verringert und ist heute unbedeutend. 2. Während früher weit über die Hälfte der weiblichen Bundestagsabgeordneten alleinstehend war, beträgt ihr Anteil heute nur noch etwa ein Drittel; entsprechend ist der Anteil der verheirateten Frauen mit Kindern angestiegen.
3. Der Bildungsstand der Parlamentarierinnen, der bis zur 7. Wahlperiode erheblich unterdurchschnittlich war, hat sich deutlich erhöht; rund 78% aller Frauen des 10. Deutschen Bundestages besaßen eine Hochschulbildung.
4. Bis auf eine Ausnahme verfügten alle Frauen zu Beginn des 10. Deutschen Bundestages über eine qualifizierte Berufsausbildung; ein Drittel von ihnen konnte zudem auf ausgesprochen politiknahe Berufe wie Journalistin, Rechtsanwältin, Politologin oder Gewerkschaftssekretärin verweisen
Diese Daten deuten auf eine Angleichung zwischen den Geschlechtern im sozialstrukturellen Bereich hin. Im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen im Parlament engagieren sich Politikerinnen heute früher und lassen sich durch Familien-pflichten weniger von der politischen Arbeit abhalten. Die für die ersten acht Wahlperioden geltende Aussage: „Die männlichen Mitglieder des Bundestages sind in der Mehrzahl Familienväter mit Kindern, die weiblichen Mitglieder überwiegend alleinstehend“ trifft somit für die gegenwärtigen Parlamentarierinnen nicht länger zu.
Die heutigen Spitzenpolitikerinnen haben sich gleich den Männern lange Jahre in den Basisorganisationen ihrer Parteien bewährt. Für die ältere Generation von Politikerinnen war dagegen das Karrieremuster des „cross over“ durchaus typisch, d. h.des direkten Wechsels von einer gesellschaftlichen in eine politische Führungsposition ohne gleichzeitige innerparteiliche Bewährung. Aus führenden Positionen in konfessionellen oder karitativen Organisationen kommend, übernahmen z. B. Änne Brauksiepe oder Käthe Strobel ihr erstes Parteiamt sofort auf Landes-bzw. Bundesebene. Die Bewährung in den Basis-organisationen der Partei wurde hier durch die Verbandskarriere ersetzt Der Weg, auf dem Frauen heute wie früher in den Bundestag gewählt werden, führt vorrangig über die Landeslisten der Parteien. Vier Fünftel aller Parlamentarierinnen des 10. Deutschen Bundestages haben auf diese Weise ihr Mandat erlangt; nur ein Fünftel konnte aufgrund einer erfolgreichen Direktkandidatur in einem Wahlkreis in den Bundestag einziehen Die überwiegenden Listenkandidaturen von Frauen sind auch der Grund dafür, daß mehr Frauen als Männer durch Nachrücken in ein Parlament der Landes-oder Bundesebene gelangen. Die langjährige Praxis der örtlichen Delegiertenkonferenzen, Frauen auf den weniger aussichtsreichen Plätzen aufzustellen, führte dazu, daß oftmals erst der Tod oder Wegzug eines Abgeordneten Frauen eine Mandatsübernahme ermöglichte. Der parlamentarische Frauenanteil war infolgedessen am Ende einer Wahlperiode häufig höher als zu Beginn
Die Karrieremuster der Politikerinnen, die den Sprung in die politische Elite geschafft haben, lassen zusammengefaßt den Schluß zu, daß insgesamt nur noch graduelle Unterschiede zu den männlichen Mustern bestehen. Neben „Ehrgeiz, Fachwissen, Beziehungen, Selbstbewußtsein und sicherem Auftreten“ haben sie vielfach aber auch das „Glück“ gehabt, Frauen zu sein und sind so zugleich als Aushängeschilder der Parteien zu ihren Positionen gekommen. Trotz der wesentlich strengeren Maßstäbe, die an ihre politischen Qualifikationen gelegt werden, erfüllen die Spitzenpolitikerinnen für die Parteien die Funktion von Alibifrauen; das ist das Paradoxe an ihrer Situation
Welche Perspektiven ergeben sich hieraus nun für die Verwirklichung der politischen Gleichberechtigung von Frauen? Die vorherrschenden Karrieremuster provozieren die Frage nach dem Preis für eine politische Karriere. Alle empirisehen Untersuchungen über Berufskarrieren belegen, daß mit einer 40-Stunden-Woche keine Karriere zu machen ist: „Wer aufsteigen will, muß sich den offiziellen Vorgaben und inoffiziellen Erwartungen, den Spielregeln der... Auslese fügen — und die lassen oft keine Freizeit zu, greifen in Feierabend und Wochenende über. Der Karriereberuf fordert , ganzen Einsatz, stetige Verfügbarkeit, Flexibilität, Mobilität. Er abstrahiert von familialen und privaten Belangen. ... Er ist eine alles verschlingende Aktivität, die man rückhaltlos verfolgen, der man alle Ziele unterordnen muß.“ Eine Karriereverweigerung aufgrund dieser Strukturen und Anforderungen erscheint auf den ersten Blick als durchaus vernünftige Konsequenz: Warum „sich einspannen ... lassen in das Räderwerk der Männerkarriere?“
Die Ablehnung jeglicher institutioneller politischer Partizipation aber führt letztlich in eine politische Sackgasse; sich außerhalb der politischen Institutionen zu stellen, trägt zur Zementierung der bestehenden Entscheidungsstrukturen und Machtverhältnisse bei und konserviert somit die Einflußlosigkeit der Frauen. Denn wie sollen beim gleichzeitigen Rückzug ins Private, in die feministische Subkultur gesellschaftliche Veränderungen im Sinne der Frauen erreicht werden? Die Erfahrung zeigt hier, daß die alternative Strategie des ausschließlichen politischen Drucks von außen zwar punktuell erfolgreich sein kann, aber zu keiner durchgreifenden Veränderung führt
Zwei weitere konzeptionell unterschiedliche Ansätze zeichnen sich in der Diskussion über die Forderung nach mehr Frauen in politischen Führungspositionen ab. Zu unterscheiden ist hier zwischen einem eher pragmatisch ausgerichtetem Defizitansatz und einem eher gesellschafts-und berufspolitisch kritischem Ansatz Nach dem Verständnis des ersten Ansatzes gründet sich die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik vorrangig auf sozialisationsbedingte und sozial-strukturelle Defizite. Da die Entwicklung einer langfristigen Aufstiegs-und Karriereplanung kein integraler Bestandteil des weiblichen Sozialisationsprozesses ist, zeigten zu wenig Frauen Interesse an einem aktiven politischen Engagement. Zudem fehle vielen Frauen aufgrund insgesamt schlechterer Schul-und Berufsausbildung sowie ihrer überwiegend untergeordneten Position in der Arbeitswelt die berufsbedingte Politik-nähe und das Training notwendiger politischer Fähigkeiten. Hinzu trete ihre vorrangige Zuständigkeit für Haushalt und Kindererziehung, die ihnen kaum Zeit für politische Aktivitäten lasse
Folgt man dieser Ursachenanalyse, so ließe sich mit Hilfe einer verstärkten Motivation, beruflichen Qualifizierung und tatkräftigen Unterstützung durch den Ehemann bzw. Partner das Problem der politischen Unterrepräsentation von Frauen lösen Abgesehen davon, daß derartige Defizithypothesen einer empirischen Überprüfung nur eingeschränkt standhalten wird hier eine einseitige Verengung des Problems zu Lasten der Frauen vorgenommen. Denn die unkritische Orientierung an bestehenden Leistungs-und Verhaltensnormen bedeutet die Fortschreibung der männlichen Karrieremuster.
Und genau dagegen wendet sich der zweite Ansatz. Um die Aufstiegschancen für Frauen zu verbessern, müssen sich nicht in erster Linie die Frauen, sondern die Formen, in denen Politik stattfindet, ändern. Immer weniger Frauen sind bereit, sich die Bedingungen ihrer Integration in die politischen Institutionen weiterhin diktieren zu lassen. Sie halten es nicht länger für erstrebenswert, unter den gleichen entfremdeten und inhumanen Bedingungen wie die Männer in Parteien und Parlamenten zu arbeiten und die Karriereleiter mühsam und unter ständiger Einübung von Verzichtsleistungen emporzusteigen
Eine dritte Alternative zu „stillem Rückzug“ und „totaler Karriere“ nimmt hier langsam Gestalt an. Elisabeth Beck-Gernsheim hat sie „Karriere mit begrenzten Ambitionen“ genannt. Sie soll mehr Freiraum „für die eigene Person wie für ein bewußtes Abwägen der Ziele und Maßstäbe“ lassen Zugleich wird der Versuch unternommen, verkrustete politische Strukturen aufzubrechen und neue Lösungsmuster zu entwickeln. Die Etablierung eines solchen Karrierverständnisses setzt allerdings voraus, daß sich Frauen in Führungspositionen aus ihrer bisherigen Vereinzelung lösen und sich stärker gegenseitig unterstützen, absprechen und ermutigen. Der Aufbau kleiner Netzwerke, wie sie in einigen Berufsfeldern bereits praktiziert werden, könnte hierbei eine wichtige Hilfe sein
Die jahrzehntelange Akzeptanz der politischen Karrieremuster ist brüchig geworden; Inhalte und Formen von Politik stehen zur Disposition. Inwiefern Frauen die Durchsetzung ihres Anspruches auf politische Machtpositionen bei gleichzeitiger Feminisierung der Politik gelingt, bleibt abzuwarten. Eine durchgreifende Veränderung geschlechtsspezifischer Machtverhältnisse wird allerdings nicht allein durch den Verzicht einer männlichen Minderheit auf Privilegien zu erreichen sein, vielmehr bedarf es hierzu grundlegender gesellschaftlicher Lern-und Wandlungsprozesse.