I. Einführung
Als einleitende Bemerkung zu seinem Beitrag in einem vor kurzem erschienenen Sammelband über den Terrorismus stellte ein britischer Politikwissenschaftler kategorisch fest, daß die Hauptquelle des nahöstlichen Terrorismus das ungelöste Palästinenserproblem sei und daß die gegenwärtige internationale Dimension des Terrorismus zu einem großen Teil auf das Versagen der internationalen Gemeinschaft bei der Herbei-führung einer politischen Lösung zurückgeführt werden muß Diese Art Aussage ist bezeichnend für westliche Politiker, Wissenschaftler und Journalisten in unserer Zeit geworden. Weil sie praktisch ist, wird sie in den verschiedensten Abwandlungen entsprechend oft genug wiederholt, denn sie bringt die komplexen Probleme der Region auf einen einfachen, bekannten Nenner und suggeriert gleichzeitig Verständnis und Aufgeschlossenheit gegenüber den Ursachen des nahöstlichen Terrorismus. Auch die Schuldzuweisung an eine internationale Gemeinschaft, an Großmächte oder die europäische Staatengruppe ist einfach. Solche Bekenntnisse befriedigen das Bedürfnis, die eigene Betroffenheit einzubringen, und sie unterstreichen die Anteilnahme und das Bewußtsein post-kolonialer Verantwortung für die Dritte Welt.
Die Bedeutung des Palästinenserproblems für die Entwicklung des Terrorismus im Arabischen Raum kann und soll nicht negiert werden; aber es hieße sich einer bequemen Oberflächlichkeit hinzugeben, wolle man den vielschichtigen Terrorismus in dieser konfliktreichen Region auf dieses eine Element reduzieren. Einzelne Wissenschaftler haben die Verständnisprobleme westlicher Beobachter des Nahen oder Mittleren Ostens erkannt und bewiesen, wie sehr das Übertragen hiesiger Sichtweisen die Perzeption der politischen Entwicklung in der Arabischen Welt beeinträchtigt. Ganz besonders wird dies deutlich, wenn man erkennt, wie sehr der Fokus auf den israelisch-arabischen Konflikt (oder das Palästinenserproblem) bei westlichen Beobachtern, besonders Politikern und Journalisten, die Sicht auf die anderen Probleme und Krisenzonen dieses Raumes behindert: Die Konflikte im Tschad, im Sudan und Jemen, die Guerillakriege in der Sahara und an der türkischen Ostgrenze werden genauso peripher wahrgenommen wie die Unterdrückung und Verfolgung von Kurden und Bahais im Iran oder das brutale Niederschlagen von Volksaufständen in Syrien.
Es wird von dem Nahostkonflikt gesprochen, so als würde es keinen irakisch-iranischen Krieg geben, der nun schon länger als der Zweite Weltkrieg andauert und mehr Opfer gefordert hat als alle israelisch-arabischen Kriege zusammen. Und immer wieder verkünden Politiker — auch bundesdeutsche — die Beschwörungsformel von der „gerechten Lösung des Palästinenserproblems“, ohne die es keine Ruhe geben kann, so als ob über Nacht der internationale Terrorismus aufhören und im ganzen Nahen Osten Frieden ausbrechen würde, sobald eine irgendwie geartete Einigung zwischen den Konfliktparteien im Streit um Palästina/Israel zustande käme. Aber weder Simplifizierungen noch Lippenbekenntnisse helfen irgend jemandem, sie können nur dazu dienen, den derzeitigen Zustand zu zementieren und Leiden zu verlängern.
Bei der Betrachtung der nahöstlichen Konflikt-herde aus europäischer Sicht werden immer wieder einige grundlegende Tatsachen zu wenig berücksichtigt oder gänzlich aus den Augen verloren. Mit Ausnahme Israels hat kaum einer der Staaten von der marokkanischen Atlantikküste bis zum Indischen Ozean eine Regierungsform, die den demokratischen Prinzipien gerecht wird. Die überwiegende Mehrzahl dieser 26 politischen Einheiten wird von mehr oder minder diktatorisch auftretenden Potentaten beherrscht; von Putsch, Attentaten oder Armeerevolten begleitete Regierungsantritte sind mehr Regel als Ausnahme Die Entwicklung der in diesem Gebiet heute existierenden Nationalstaaten und ihre Grenzziehung waren Resultate einer Entkolonialisierung, die wenig Rücksicht auf geographische, sozio-ökonomische und ethnisch-konfessionelle Gegebenheiten vor Ort nahm. Grenzkonflikte und die Benachteiligung einer verwirrenden Viel-zahl von Volksgruppen waren das Nebenprodukt dieses Prozesses, dessen Nachwirkungen heute noch zu spüren sind.
Das Vorhandensein von Begriffen wie „Arabische Liga“ oder „Syrische Volksrepublik“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß in dieser Region die übergreifenden nationalen Identifizierungsmuster die traditionellen sozialen Strukturen mit ihrem Mosaik von Kleingruppen aus tribalen, ethnischen, konfessionellen und regionalen Loyalitäten nur oberflächlich berührt. Weder die Übernahme westlicher Politikkonzepte wie Nationalismus, Sozialismus oder Parlamentarismus noch die Modernisierung der Lebensformen konnten hier einen Einbruch erzielen. Kommt es zur Krise, so erfolgt sofort der Rückfall auf die traditionellen Identifizierungsmuster von Familie, Clan und Religionsgemeinschaft, die Schutz und Wir-Gefühl besser vermitteln können als der gesichtslose Staat und die politische Nation
Die Welle des islamischen Fundamentalismus, von deren Entwicklung wir gerade jetzt Zeuge sind, ist die Antwort einer traditionell geprägten Gesellschaft auf die drohende Entwurzelung durch die vom Westen importierten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierungsansätze
Der israelisch-arabische Konflikt dient in dieser komplexen Situation als Brennpunkt, weil er den Zusammenstoß mit dem westlichen Einfluß greifbar bildlich darstellt und nach außen projiziert.
Er war jahrzehntelang nützlich, interne Mißstände in den arabischen Staaten selbst und schwelende Differenzen zwischen den Nationen zu überdecken, während er gleichzeitig immer wieder den Anlaß für Ansätze zur Verwirklichung des Traums von der arabischen Einheit bot. Zum anderen wirkten die Niederlagen der arabischen Armeen gegenüber Israel als Katalysator politischer Entwicklungen in diesen Staaten. Terrorismus ist in dieser Region nicht erst in der Phase der Entkolonialisierung oder im Zuge der israelisch-arabischen Auseinandersetzung entstanden; er gehört seit altersher zum Instrumentarium von Konfliktparteien, von Herrschenden und Rebellen, religiösen Sekten und messianischen Bewegungen. Terror war und ist ein Mittel der Machthaber zur Durchsetzung ihrer Politik im eigenen Staat — Syrien lieferte 1982 ein entsprechendes Beispiel bei der Unterdrückung von Unruhen in den nördlichen Industrieregionen, bei denen Zehntausende umkamen. Die Instrumentalisierung von terroristischen Gruppierungen durch arabische Staaten in einer Art Stellvertreterkrieg auf niederer Konfliktaustragungsebene konnte in den vergangenen Jahrzehnten in zahlreichen inter-arabischen Streitfällen beobachtet werden: zwischen den jemenitischen Nachbarstaaten, zwischen Libyen, dem Sudan und Ägypten, im Dauerkonflikt Irak-Syrien oder bei wiederholten Einflußnahmen Syriens auf Jordanien.
Bei dieser Art Auseinandersetzungen hat der israelisch-arabische Konflikt keine oder nur insofern eine Nebenfunktion, als er zum Vorwand und zur Tarnung der eigentlichen Machtinteressen und Beweggründe dient. Wenn in den letzten zwei Jahrzehnten in dieser Hinsicht eine Veränderung erfolgt ist, dann nur in der räumlichen Verlagerung solcher Konfliktaustragungen. Nachdem PLO-Gruppen mit den ersten Flugzeugentführungen 1968/69 die israelisch-arabische Konfrontation direkt nach Europa brachten und bewiesen, welche günstigen Bedingungen dort existieren, zogen andere Kontrahenten nach. Europa lag nah und verkehrsgünstig. Ein Anschlag auf diesem neuen Ersatzkriegsschauplatz hatte mehr Medienwirksamkeit, besaß höheren publizistischen Stellenwert als eine Aktion in der arabischen Region oder Israel. Eine Vielzahl von „weichen“ Zielen bot sich an. Die Täter hatten — wenn sie überhaupt gefaßt wurden — ein geringeres Strafmaß zu erwarten als in den arabischen Ländern. Oft wurden sie abgeschoben, um Nachfolgeaktionen zu ihrer Befreiung zu verhindern oder um die prekären Beziehungen zu bestimmten arabischen Staaten nicht zu belasten. Die Europäer erwiesen sich dabei als besonders empfänglich für die „Propaganda der Tat“
II. Kein Ausweg für die Palästinenser
Am 27. Dezember 1985 verübten zwei Teams der palästinensischen Terrororganisation des Abu Nidal fast zeitgleich Angriffe auf die Passagiere an den El Al-Abfertigungsschaltern der Flughäfen von Rom und Wien. Am 6. September 1986 richtete eine aus Schiiten und Palästinensern bestehende Gruppe Abu Nidals in der Synagoge von Istanbul ein Blutbad unter den Betenden an. 21 jüdische Gläubige kamen ums Leben. Beide Anschläge hatten gemeinsam, daß sie Ansätze zu friedlichen Regelungen im israelisch-arabischen Konflikt torpedieren sollten. Die Anschläge von Wien und Rom ereigneten sich in den zwei europäischen Ländern, die den Führungsanspruch Arafats unterstützten — und zu einer Zeit, als die Gespräche zwischen Jordanien und der PLO über eine Beteiligung an den Westbank-Verhandlungen mit Israel in ein entscheidendes Stadium getreten waren. Das Massaker in Istanbul zielte auf die unmittelbar bevorstehenden Verhandlungen zwischen dem israelischen und ägyptischen Regierungschef über die Sinai-Enklave von Taba.
Historische Wurzeln des Palästinenserproblems Die Geschichte der palästinensischen National-bewegung, die ihren Anfang in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg nahm, ist eine immer wiederkehrende Folge von Rückschlägen, Niederlagen, wechselnden Allianzen, innerer Uneinigkeit und blutigen internen Fehden. Ihr wesentliches Merkmal war und ist die Fixierung auf eine kompromißlose Lösung mit dem bewaffneten Kampf als einzigem Weg zur Befreiung Palästinas Nichts hat den Palästinensern in den vergangenen Jahrzehnten mehr geschadet als ihre eigenen Führer, deren zweifelhafte Allianzen und Unfähigkeit zur Entwicklung einer politischen Lösung der Ausdehnung und Festigung des jüdischen Staates den meisten Vorschub gab und das palästinensische Volk in immer neue Katastrophen stürzte. Die „Arabische Rebellion“ der Jahre 1936— 1939 führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen gemäßigten und radikalen palästinensischen Politikern, zum Exil der Wortführer und zu Banditentum unter den Freischärlern, gegen die sich schließlich die eigene Bevölkerung wandte. Die Suche nach einer Anlehnungsmacht brachte die palästinensische Nationalbewegung im Zweiten Weltkrieg in die verhängnisvolle Verbindung mit Italien und Deutschland. Das Nicht-eingehen auf die UNO-Teilungspläne führte direkt zur Katastrophe von 1948, zum Massenexo-dus und zur Übernahme der palästinensischen Sache durch die arabischen Anrainerstaaten, die ihre eigenen Machtinteressen und Annexionspläne verfolgten. In den zwei Jahrzehnten zwischen 1948 und 1968 blieben die Palästinenser nur Parteigänger arabischer radikaler Parteien, Spielball zwischen den Polen arabischer Macht-politik: Kairo und Damaskus. Der Versuch Jassir Arafats, nach Übernahme der PLO einen eigenständigen Kurs durch Ausnützung der Freiräume zwischen den arabischen Machtblöcken zu steuern, erlitt immer wieder Schiffbruch.
Da sich die Palästinensische Befreiungsorganisation bisher von ihrem Diktum der bewaffneten Aktion nicht lösen konnte und wollte, benötigt sie als Freischärlerverband Waffen, logistische Hilfe und territoriale Operationsbasen — was sie unweigerlich in Abhängigkeit von arabischen Anrainerstaaten und Unterstützungskräften bringt. Dabei war und ist die PLO nie mehr als ein Dachverband, zusammengesetzt aus den verschiedensten Freischärlergruppen, die sich nur auf den untersten gemeinsamen Nenner — die Gegnerschaft zu Israel — einigen können, aber über den politischen Weg zerstritten sind. Den arabischen Staaten ist es daher immer wieder möglich, durch Ausnützung der Gegensätze zwischen den Gruppierungen und durch Förderung von oppositionellen Elementen in der PLO Einfluß zu nehmen. Jede Auseinandersetzung zwischen den Staaten der Region kann sich auch als Stellvertreterkrieg zwischen palästinensischen Freischärlergruppen entwickeln. So lieferten sich z. B. in den siebziger Jahren von Irak und Syrien unterstützte PLO-Gruppen in den Straßen Beiruts Feuergefechte, als im Grenzgebiet der beiden Staaten wieder Kampfhandlungen ausgebrochen waren.
Wenn es eine Chance für eine Einheit der Palästinenser je gegeben hat, dann nach der Vertreibung aus Jordanien im „Schwarzen September“ von 1970. Zwar erkannten die PLO-Funktionäre die Gründe für den verheerenden Bürgerkrieg in der Disziplinlosigkeit der eigenen Freischärler und den Manipulationen durch radikale Gruppen, die von Irak und Syrien gesteuert waren aber es erfolgte keine wirkliche Veränderung der Bedingungen. Die Ereignisse, die den Konflikt im Libanon herbeiführten, glichen auf fatale Weise denen in Jordanien. Währenddessen blieb es die unerklärte Politik Arafats, zwischen den Polen nahöstlicher Einflußzentren hin-und herzumanövrieren, um durch eine wechselnde Folge von Allianzen sicherzugehen, daß die Palästinenser (sprich: die PLO) das wichtigste Element in der nahöstlichen Gleichung bleiben Das Vetorecht der PLO sollte durch diesen Balanceakt, bei dem über die Jahre Ägypten gegen Syrien ausgespielt und Unterstützung in Moskau und Riad, im Irak, Iran und in Libyen erhofft wurde, gesichert bleiben. Natürlich führte eine solche Wechselpolitik auch zu Widerständen in den eigenen Reihen, wo Arafats diplomatische Versuche als Kapitulationspolitik gedeutet wurden. Syrien, das seit den sechziger Jahren versucht, die PLO zu dominieren, mißtraut der PLO-Führung. Jede Friedensregelung zwischen Israel und Jordanien, die eine irgendwie geartete Regelung der Palästinenser-frage einschlösse, würde eine Isolierung Syriens als letzten Frontstaat herbeiführen. Damaskus ist zum Hort einer Ablehnungsfront palästinensischer radikaler Gruppen geworden, deren Ziel die Ablösung der Führungsspitze um Arafat und ein radikalerer Konfrontationskurs der PLO ist.
Machtkampf innerhalb der PLO Die gegenwärtige Situation der PLO wird von wachsenden internen Spannungen bestimmt, ausgelöst durch die seit dem Camp-David-Abkommen mit neuer Härte ausgefochtenen Fehden innerhalb der palästinensischen Bewegung. Ein Element dieses Binnenkonflikts zwischen den Anhängern Arafats und den Verfechtern eines radikalen Kurses ist die Kette von Attentaten auf PLO-Repräsentanten im Ausland, die mit der Erschießung von Said Hammami im Januar 1978 begann und die mit dem Mord an Issam Sartawi, dem PLO-Delegierten der Sozialistischen Internationale, im April 1983 einen spektakulären Höhepunkt fand. Arafats Fatah schlug zurück, indem sie sich gegen die Unterstützerländer der radikalen Freischärlergruppen wandte — zuerst mit Angriffen auf irakische, später auf syrische Institutionen im Ausland und in Syrien selbst. Die jüngste Phase dieser Entwicklung wurde im Dezember 1984 mit einer neuen Folge von Anschlägen durch eine Gruppe „Schwarzer September“ eingeleitet, die sich gegen die Annäherung zwischen Arafat und König Hussein richtete.
Diese Aktionen, hinter denen die von Syrien gesteuerten Akteure Abu Nidals standen, wurden schlagartig eingestellt, nachdem die jordanische Regierung im Juli 1986 im Anschluß an einen überraschenden Gipfel zwischen Präsident Assad und König Hussein die PLO-Büros in Amman schließen ließ und führende Arafat-Anhänger des Landes verwies.
Die palästinensische Nationalbewegung ist heute in drei Komponenten zerstritten. Der massiven
Niederlage im Libanonkrieg von 1982 folgte eine Rebellion in den Reihen der Fatah, die von Syrien und Libyen unterstützt wurde. Die Rebellen Abu Moussa, Abu Khaled el-Amla und Nimr Saleh schlossen sich mit ihren Anhängern der in Damaskus geformten Verweigerungsfront — dem „Nationalen Revolutionären Bündnis“ — an, dem Achmed Jibrils „Volksfront Generalkommando“, die von der syrischen Baath-Partei kontrollierte „Saika“, ein Teil der aufgesplitterten „Palästinensischen Befreiungsfront“ und die „Volkskampffront“ angehören. George Habbasch und Naif Hawatmeh, deren „Volksfront“ und „Demokratische Volksfront“ in einer gemeinsamen „Demokratischen Allianz“ zu den entschiedensten Herausforderern der Politik Arafats gehören, haben sich zwar dieser Ablehnungsfront nicht direkt angeschlossen, unterstützen sie aber. Arafats PLO stützt sich nur noch auf seine eigene Hausmacht „El Fatah“, die irakische „Arabische Befreiungsfront“ und den von Abul Abbas geführten Teil der „Befreiungsfront“. Aber auch in diesen Reihen gärt die Unzufriedenheit. Es fehlt an Erfolgen. Die PLO muß, um nicht weitere Spaltungen zu erfahren, der eigenen militanten Rhetorik wegen den Kampf gegen Israel intensivieren. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die internationalen Anschläge der Fatah-eigenen „Gruppe 17“ oder die „Achille-Lauro“ -Affäre von Abul Abbas Volksfront erklären. Dabei ist das Bemühen zu erkennen, sich nur auf israelische Ziele zu konzentrieren, um politische Folgeschäden zu minimieren. Wenn dieser Plan fehlschlägt, wie bei den Ereignissen auf der „Achille Lauro“, differenziert sich die PLO-Führung und bietet sich als Vermittler an — eine Methode, die bereits 1972/73 bei den Anschlägen des „Schwarzen Septembers“ politische Erfolge brachte
An der jetzigen Konstellation wird sich in absehbarer Zeit keine wesentliche Veränderung ereignen können. Solange die PLO und ihre Freischärlergruppen ihren Alleinvertretungsanspruch für die Palästinenser aufrechterhalten, kann die in sich zerstrittene palästinensische Nationalbewegung keine Rolle in einer irgendwie gearteten Konfliktlösung mit Israel spielen. Im Gegenteil: Jeder Anschein direkter Verhandlungen mit Israel oder einer Kompromißform wird wie in der Vergangenheit zu einer neuen Runde bewaffneter Auseinandersetzungen und terroristischer Anschläge auf regionaler und internationaler Ebene führen. Wie in früheren Phasen des Konflikts um Palästina hat sich die Militanz der palästinensischen Bewegung längst gegen sich selbst gerichtet. Keine Kompromißlösung wird das radikale Potential in den Freischärlergruppen befriedigen, und auch die im Westen als „gemäßigt“ verkannte PLO-Führung um Arafat ist längst bewußt oder unbewußt in der eigenen Rhetorik gefangen. Selbst wenn Israel sich zu Konzessionen bereit findet — und der Terrorismus liefert nur den Hardlinern die Argumente für eine Verhand-lungsverweigerung mit der palästinensischen Führung —, könnte eine Vertragsregelung angesichts der Widerstände im radikalen Teil der PLO nicht durchgesetzt werden. Die Beschwörungsfloskeln europäischer Poilitiker von der gerechten Lösung der Palästinenserfrage wird diese Kräfte auf ihrem bisherigen Weg nur bestätigen.
III. Islamischer Fundamentalismus, Libanon und die Schiiten
Nach einer statistischen Analyse des Zentrums für Strategische Studien an der Tel Aviver Universität verursachten nahöstliche Gruppen 1985 weltweit 31, 2% der terroristischen Anschläge mit internationalem Charakter: 70 (oder 17, 2%) der Attentate, Bombenanschläge oder Entführungen gingen auf das Konto palästinensischer Terroristen, 57 Aktionen (14%) wurden durch radikale Schiiten durchgeführt — allein 35 der Anschläge liefen unter dem Namen „Islamischer Jihad (Heiliger Krieg)“
Das Auftauchen des schiitischen Terrorismus allein auf den israelischen Einmarsch im Libanon 1982 zurückzuführen — so wie dies von einigen Kommentatoren grob vereinfachend dargestellt wird —, hieße die eigentlichen Ursachen und Konsequenzen dieses Phänomens zu verkennen. Zwar wirkten die israelische Besetzung des südlichen Libanons und die verhängnisvolle israelische Bündnispolitik mit den maronitischen Kräften als Katalysator, aber das Erstarken radikaler Gruppen innerhalb der schiitischen Glaubensgemeinschaft im Libanon begann Jahre vor der israelischen Invasion. Die neue Welle des islamischen Fundamentalismus, der die Triebfeder des gegenwärtigen schiitischen Terrorismus darstellt, ist auch nicht nur auf den Libanon oder die schiitische Glaubensgemeinschaft begrenzt, sondern tritt als drohender Destabilisierungsfaktor in den verschiedensten Ländern der Region auf: in der Türkei genauso wie im Sudan, in Ägypten, in Syrien und den Golf-Emiraten wie auch in der Westbank und unter den Arabern in Israel. Die Rückkehr zur islamischen Orthodoxie ist Reaktion auf soziale und politische Mißstände, auf die eingangs erwähnten Modernisierungseinflüsse durch Urbanisierung und westliche Technologie, mit denen die Vernichtung herkömmlicher Lebensformen und Strukturen einhergeht, und auf den Bankrott westlicher Heilslehren wie Marxismus und Nationalismus in dieser Region.
Die Rolle der Schiiten im Libanon Zwei Faktoren begünstigten die Entwicklung radikal-schiitischer Bewegungen im Libanon: Der Zerfall des libanesischen Staates brachte eine Neuordnung der Kräfteverhältnisse, in der die schiitische Bevölkerungsgruppe aus ihrer bisherigen peripheren politischen Rolle ausbrechen konnte. Der Erfolg der islamischen Revolution im Iran verschaffte den Schiiten hierfür eine einflußreiche Anlehnungsmacht.
Auf die Bühne des internationalen Terrorismus traten die Schiiten erstmalig Ende der siebziger Jahre mit Flugzeugentführungen, durch die sie auf das Schicksal ihres verschwundenen Führers Imam Musa al-Sadr aufmerksam machen wollten. Nicht vergessen werden sollte, daß palästinensische Gruppen — in ihrem Bestreben, einen Prellbock für ihre Auseinandersetzungen mit den staatstragenden libanesischen Kräften zu gewinnen — beim Aufbau schiitischer Milizen wesentliche Unterstützung leisteten. Im Laufe von zehn Jahren haben sich aber die Austragungsebenen des andauernden libanesischen Binnenkonflikts völlig verändert. Der Bürgerkrieg, dessen erste Phase zwischen Palästinensergruppen und ihren links-libanesischen Alliierten und den staatstragenden Milizen der Maroniten mit dem Zerfall des Staatswesens zur syrischen Intervention führte, ist längst ein Kampf aller gegen alle um Einflußzonen und Herrschaftsgebiete geworden. Das Jahr 1986 wurde dabei von Angriffen schiitischer Milizionäre auf palästinensische Lager geprägt, mit denen auf die Rückkehr von PLO-Gruppen nach Beirut und in den südlichen Libanon reagiert wurde.
Terroristische Taktiken wie Geiselnahmen, Attentate, Sprengstoffanschläge und Fahrzeugbomben wurden und werden in diesem Bürgerkrieg von allen Parteien angewendet. Wenn die Schiiten in dieses Chaos eine neue Qualität des Terrors einbrachten, dann nur in dem Maße, daß sie mit einigen spektakulär inszenierten Selbstmord-angriffen Aufsehen erregten — ein Faktor, der von den Weltmedien überbewertet wurde. Trotz des Mythos des Märtyrertodes im schiitischen Islam bleibt es auch für dessen radikalste Gruppen schwierig, Freiwillige für Kamikaze-Operationen zu finden. Obwohl solche Angriffe mehr Ausnahme als Regel darstellen, haben auch andere libanesische Gruppen, wie z. B. die „Syrisch Sozialistisch-Nationale Partei“, die Methode wie auch die Presseaufbereitung (durch Video-Interviews mit dem Selbstmordkandidaten) nachgeahmt. Die Schiiten sind mit rund 700 000 Menschen die größte der 13 ethnisch-konfessionellen Gemeinschaften des Libanons mit Siedlungszentren in West-und Süd-Beirut, in der Bekaa-Ebene und im südlichen Libanon. Aber auch diese Bevölkerungsgruppe ist kein monolithischer Block, sondern zerfällt politisch in zahlreiche Untergruppen von Anhängerschaften führender, landbesitzender Familien, örtlicher Notabein und Mullahs. Eine Polarisierung dieser Volksgruppe erfolgte erst durch den 1959 aus dem Iran in den Libanon eingereisten islamischen Rechtsgelehrten (Mufti) Said Musa al-Sadr. Mufti Sadr wurde bald zu einer populären Führerfigur, zum Imam, dessen Gefolgschaft sich vornehmlich aus dem immer mehr zur Kampfzone werdenden Südlibanon rekrutierte, wo die PLO-Gruppen die Errichtung eines Ersatz-Palästinas betrieben, zum Staat im Staate wurden und die Einwohner verdrängten. Imam Sadr gründete die „Bewegung der Entrechteten“, deren Miliz „Amal“ 1975 mit Unterstützung der PLO entstand und auf Seiten der Palästinenser gegen die Maroniten kämpfte. Mit dem Einmarsch der Syrer verließ Amal diese Allianz und wandte sich der Etablierung einer Einflußzone im Südlibanon zu, was ab 1977 zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit der PLO führte. Im August 1978 verschwand Imam Sadr während einer Flugreise in Libyen Einer seiner Gefolgsleute, der Anwalt Nabih Berri, übernahm die Führung der Amal, die durch die Allianz mit Syrien und dem Iran zu einem wichtigen Faktor im libanesischen Mosaik heranwuchs.
Der schiitische Terrorismus Wie bei der PLO resultiert ein großer Teil des schiitischen Terrorismus aus den Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen: Bombenanschläge und Attentate gegeneinander werden abgelöst von spektakulären Angriffen auf internationaler Ebene gegen Dritte (Israel, Frankreich, die USA) als „acte de presence“, mit denen die Fraktionen versuchen, sich gegenseitig den Rang abzulaufen. Solange Israel im Südlibanon auftrat, waren Angriffe auf die Besatzungsmacht ein publikumswirksames Werbemittel und überdeckten die internen Rivalitäten. Sehr bald aber nutzten sich solche äußeren Feinde als Einigungsfaktor ab.
Nabih Berris laizistische Amal wird in zunehmendem Maße von radikaleren Elementen herausgefordert, die im Libanon einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild errichten und den Süd-libanon zu einem neuen Zentrum formen wollen, von dem aus die islamische Revolution in die arabische Welt exportiert werden kann. Berri, der in der Regierung des Amin Gemayel Minister für Justiz und.den Südlibanon ist, geht es um die Festigung des schiitischen Einflusses im innerlibanesischen Machtgefüge. Er steuert einen Mittelkurs, damit Amal das Sammelbecken der verschiedensten schiitischen Bevölkerungsgruppen bleibt — auch jener, die nicht den theokratischen Staat nach dem Vorbild des Iran im Libanon wollen Diese Politik ist auch in der Amal nicht unumstritten. Innerhalb der Bewegung versuchen Radikale, die Führung durch Aktionen in ihre Richtung zu drängen, wie dies am Beispiel der Geiselverhandlungen nach der TWA-Entführung im Juni 1985 deutlich wurde. Regionale Amal-Kommandeure verfolgen mitunter einen eigenen Kurs ohne Berücksichtigung der Amal-Spitze in Beirut, wie z. B.der Führer von Tyre, Daoud-Daoud, der Berris Abhängigkeit von Syrien kritisiert.
Auf dem linken Flügel wird der Führungsanspruch der Amal durch eine neue Generation strittig gemacht, die im Laufe der Bürgerkriegs-jahre in den radikalen politischen Organisationen aufgestiegen ist. So leitet der Schiit Muchsim Ibrahim die Organisation der „Libanesischen Kommunistischen Aktion“, die, ursprünglich von der palästinensischen „Demokratischen Volksfront“ (Naif Hawatmeh) unterstützt, in den siebziger Jahren durch Sprengstoffanschläge im Libanon und den Golf-Emiraten bekannt wurde. Der prosyrische Flügel der libanesischen Baath steht seit Jahren unter dem Befehl von Issam Quansuh, während andere Schiiten, wie der politische Sekretär Qarim Buruwa, in das Führungsgremium der Libanesischen Kommunistischen Partei vorgestoßen sind
Ein Zentrum der radikal-schiitischen Fundamentalisten religiöser Prägung ist Baalbek, wo die aus dem Iran 1980 entsandten Pasdaran ihr Hauptquartier haben. Unter dem Vorwand der Teilnahme am heiligen Krieg gegen Israel etablierten sich Hunderte dieser Revolutionsgardisten fernab von der Front im Bekaa. Unter dem Schutz der dort stationierten syrischen Streitkräfte beteiligten sich die Iraner an den innerlibanesischen Machtkämpfen und bauten die „Islamische Amal“ auf. Diese in scharfer Opposition zur Amal stehende Fraktion entstand 1981 durch eine Spaltung innerhalb der Amal, bei der Hussein Mussawi, der frühere Stellvertreter Nabih Berris, sich gegen dessen kompromißbereiten, weltlichen Kurs der Schiiten-Bewegung wandte. Ein Verwandter Mussawis, Scheich Abbas Mussawi, ist einer der geistigen Führer von „Hezbollah“ (Die Partei Gottes), einer Dachorganisation der Gefolgschaften verschiedener Mullahs von Beirut und dem südlichen Libanon, unter der Leitung des Scheich Mohammed Hussein Fadlallah. Die libanesische Hezbollah steht in engem Kontakt mit dem Iran, wo 1981 eine gleichnamige Bewegung als Instrument des Obersten Rates der Islamisch-Iranischen Revolution gegründet wurde. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern von Amal und Hezbollah gehörten 1985 zur Tagesordnung und führten im März und April zu einer verheerenden Serie von Autobomben-Attentaten, die wechselseitig gegen Moscheen und Treffpunkte gerichtet waren
Der immer wieder bei Anschlägen genannte Name „al Jihad al-Islami" (Islamischer Heiliger Krieg) bezeichnet dagegen keine feste Organisation, sondern dient als eine Art Symbol für die verschiedenartigsten Gruppen und Zellen, von denen einige wie die „Unterdrückten der Erde“ oder das Beiruter „Imam Hussein Selbstmord-kommando“ des Scheich Abdel Illah el-Mussawi mit Hezbollah liiert sind. Bei den verschiedenartigsten Aktionen seit April 1983 wurde aber ersichtlich, daß der anonyme Name des Jihad alIslami lediglich eine brauchbare Tarnung für die staatlichen Drahtzieher war, deren Absichten mit den Terroraktionen gedient wurde.
IV. Staatliche Sponsoren des Terrorismus
Nach Professor Elie Kedouries sind Terror und Terrorismus keine vorübergehende Erscheinung in der Politik der arabischen Staaten, sondern „Manifestation einer tiefverwurzelten Entgleisung der islamischen Gesellschaft im modernen Zeitalter, der weitverbreiteten Überzeugung, daß gewalttätige politische Aktion fruchtbringend sei, ... (was) auch auf die Tatsache zurückgeht, daß zahlreiche islamische Regime, die der Legitimität entbehren, sich zwecks Beibehaltung ihrer Herrschaft der Waffe der Verschwörung und des Staatsstreichs bedienen“
Nicht erst seit dem Herbst 1986 und den Verfahren gegen die Brüder Hindawi und Hasi in London und Berlin wissen Sicherheitsbehörden und Politiker in den europäischen Staaten, daß verschiedene arabische Staaten eine aktive Rolle hinter den Kulissen des internationalen Terrorismus spielen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten fehlte es nicht an zahlreichen Indizien und Hinweisen, aber wirtschaftspolitischer Opportunismus — die Abhängigkeit von Ölimporten, Petrodollars und Exportmärkten — ließ westliche Regierungen schweigen. Man beeilte sich, festgenommene Attentäter oder Agenten abzuschieben, um diplomatischen Komplikationen aus dem Wege zu gehen, und beließ es bei Protestnoten, wenn Staaten wie Libyen und der Iran, Irak und Syrien in europäischen Staaten tödliche Jagd auf Regimegegner und Oppositionelle machten, die hier politisches Asyl genossen. Die Schwierigkeit europäischer Staaten, sich zu Maßnahmen gegen den Terrorismus zusammenzufinden, die halbherzigen Formulierungen von Resolutionen und die Unfähigkeit zu Sanktionen signalisierten den Drahtziehern des Terrorismus nur einmal mehr die Erpreßbarkeit der westlichen Welt.
Die Rolle Syriens im internationalen Terrorismus Syrien benützt seit den fünfziger Jahren terroristische Taktiken und Gruppen in seinen Versuchen, die Nachbarstaaten Irak, Libanon und Jordanien zu destabilisieren. Selbst die Gründung von Jassir Arafats Fatah wurde 1963/64 durch den Chef der Nachrichtenabteilung des syrischen Generalstabes, Oberst Achmed Sweidani, bewerkstelligt -Heute ist das alawitische Minderheitenregime Hafez al-Assads bestrebt, Syrien zur überragenden Führungsmacht der Region werden zu lassen. Der Umstand, daß heute noch eine libanesische Regierung dem Namen nach in Beirut existiert, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Damaskus längst seinen Hegemonialanspruch auf den Libanon verwirklicht und die Grenzziehung der französischen Mandatszeit durch die de facto Annexion der Region von Tripoli und der Bekaa-Ebene rückgängig gemacht hat. Durch die abwechselnde Unterstützung der verschiedensten Bürgerkriegsparteien ist es Sy-rien gelungen, auch noch die Reste jeglicher staatlichen Autorität im Libanon zu untergraben.
Die Versuche der europäischen Staaten und der USA, die Autonomie des libanesischen Staates nach der israelischen Invasion zu stabilisieren, wurden von Syrien in einem klassisch inszenierten Modellbeispiel von „low-intensity warfare“ unterbunden. Während die von Syrien unterstützten drusischen Milizen Beirut und die multinationale Friedenstruppe unter ständigem Feuer hielten, sorgten die von Damaskus dirigierten Autobombenangriffe von al-Jihad al-Islami auf die Hauptquartiere der französischen und amerikanischen Kontingente der Friedenstruppe dafür, daß die besorgten Wähler in den Heimatländern der Soldaten einen Abzug aus dem libanesischen Sumpf forderten. Für den Gegenanschlag der amerikanischen Militärmaschinerie bot sich kein Ziel. Assad hielt sich diplomatisch bedeckt und wurde erneut in der von ihm beanspruchten Schlüsselrolle bestärkt, während der Abzug des amerikanischen Kontingents der gesamten arabischen Welt den Mangel an der politischen Einsatzbereitschaft Washingtons im Nahen Osten demonstrierte
In ähnlicher Weise fördert das syrische Regime anonyme terroristische Aktionsgruppen aus den palästinensischen Kreisen, um den von Amerika initiierten Friedensprozeß zu torpedieren. Am augenscheinlichsten wurde diese Methodik bei der bereits erwähnten, gegen Jordanien gerichteten Terrorwelle, die in dem Moment aufhörte, als König Hussein den syrischen Forderungen nachgab und das Abkommen mit der PLO aufkündigte. Die wiederholten Beteuerungen aus Damaskus, die syrische Regierung hätte mit dem internationalen Terrorismus nichts zu tun, stehen nicht nur im krassen Gegensatz zu den zahlreichen Verbindungen zwischen Syrien und den radikalsten Gruppierungen der schiitischen und palästinensischen Terrorszene, sondern auch zu dem offensichtlichen Einfluß, den Syrien in seiner „Vermittlerrolle“ auf diese Gruppen ausübt.
So endete die Attentatsreihe des Sommers 1986 in Frankreich mit der Freilassung von französischen Geiseln in dem Moment, als die französische Regierung Assads Vermittlung mit den bereits seit langem geforderten Waffenlieferungen honorierte.
Die Auswirkungen des schiitischen Terrorismus in anderen Ländern Waffenlieferungen Frankreichs bilden auch das Motiv für terroristische Aktionen radikal-schiitischer Organisationen in Frankreich und gegen französische Staatsbürger im Libanon, die vom Iran über Syrien kontrolliert werden. Beide Staaten stehen mit dem Irak in Konflikt, der von Frankreich Rüstungshilfen erhält. Frankreich hat ferner führenden iranischen Exilpolitikern Asyl gewährt und wurde auch in diesem Zusammenhang Schauplatz von Attentaten. Schiitische Organisationen zeichneten — oft zusammen mit palästinensischen Splittergruppen — in den letzten zwei Jahren für eine Reihe von Anschlägen in Mittelmeerländern verantwortlich. Teils waren diese Angriffe gegen die USA gerichtet (wie bei der Bombenexplosion in einem von amerikanischen Soldaten besuchten Madrider Restaurant, bei dem am 14. April 1985 18 Personen getötet und 82 verletzt wurden), teils sollten sie bei früheren Anschlägen festgenommene schiitische Terroristen freipressen.
Der iranische Terrorismus richtet sich aber nicht nur gegen westliche Staaten; Attentate, Geiselnahmen, Flugzeugentführungen und Bombenanschläge werden vom Khomeini-Regime in gleichem Maße gegen gemäßigte Regierungen in der arabischen Welt eingesetzt. Diese Aktivitäten werden von dem Umstand begünstigt, daß in den Golf-Emiraten, in Kuwait und Saudi-Arabien Hunderttausende von Schiiten entweder als Gastarbeiter oder als Angehörige einer einheimischen Minderheit leben, die besonders in Saudi Arabien jahrzehntelanger Benachteiligung und Unterdrückung ausgesetzt waren. Im Mai 1985 ereigneten sich zwei Bombenanschläge in Riad, für die der Islamische Heilige Krieg verantwortlich zeichnete, dessen Bekenner-Erklärung eine Terrorwelle gegen die saudische Monarchie unter Bezugnahme auf deren Unterstützung des Iraks ankündigte. Andererseits wurde der saudische Botschafter im Libanon im Mai 1985 nach 16 Monaten Gefangenschaft von seinen Geiselnehmern freigelassen, nachdem seine Regierung Präsident Assad direkt um eine Intervention bat. In ähnlichem Zusammenhang steht auch die Entsendung eines saudischen Sonderbotschafters nach Teheran, der sich der Unterstützung der iranischen Regierung für den friedlichen Ablauf der alljährlichen Pilgersaison versicherte.
Kuwait ist seit 1983 wiederholt Schauplatz schiitischer Terroraktionen gegen amerikanische und irakische Ziele gewesen, deren Drahtzieher im Iran sitzen: Federführend war die Gruppe „Al Da’wa“ (Der Ruf), die zwar über einen libanesischen Zweig verfügt, deren Leitung aber dem Führer des Obersten Rats der Iranisch-Islamischen Revolution, Hodschatoleslam Mohammed Bakr al Hakim, untersteht Kuwait ist selbst Zielobjekt, nachdem 17 Angehörige von al Da’wa wegen einer Serie von Bombenanschlägen in Kuwait gegen amerikanische, französische und örtliche Ziele festgenommen und verurteilt wurden. Durch Entführungen von kuwaitischen Botschaftsangehörigen und Amerikanern im Libanon versuchte diese Gruppe, ihre Mitglieder freizupressen. Im Mai 1985 richtete sich ein Selbstmordangriff mit einer Autobombe sogar direkt gegen den Emir von Kuwait.
Libyens Rolle im internationalen Terrorismus Libyens Unterstützung der verschiedensten Gruppierungen, die sich terroristischer Praktiken bei der Verfolgung ihrer jeweiligen „Befreiungskämpfe“ bedienen, ist an anderer Stelle oft genug dokumentiert worden und wurde zuletzt wieder von Staatschef Gadhafi in einem Presseinterview bestätigt, bei dem er den Palästinensern sein Land als Operationsbasis anbot Der libysche Revolutionsführer hat seine entschiedene Ablehnung jeglicher Verhandlungslösungen des israelisch-arabischen Konflikts erklärt und unterstützt radikale PLO-Fraktionen. Obwohl offiziell jede Verbindung abgestritten wird, weisen Indizien auf eine zumindest logistische Unterstützung der Gruppe Abu Nidals durch den libyschen Geheimdienst hin
Die zögernde Haltung der europäischen Staaten gegenüber dem Regime Gadhafis ist angesichts der seit Jahren offen betriebenen Ermordung von Exil-Libyern und der aktenkundigen Umtriebe libyscher Botschaften unverständlich. Hierzu gehörte in der Bundesrepublik u. a. die Anwerbung und Ausbildung von Rechtsradikalen als Perspektivagenten, die im Sommer 1986 durch eine Veröffentlichung des „SPIEGEL“ -Magazins bekannt wurde
Wie wenig die arabischen Staaten gewillt sind, ihre Solidarität mit der Diktatur Gadhafis zu bekunden, zeigte die mangelnde Reaktion der arabischen Welt nach der amerikanischen Bombardierung. In dem Versuch, seine „Grüne Revolution“ zu exportieren und eine Führungsrolle in der arabischen Welt nach dem Vorbild Nassers zu übernehmen, ist Gadhafi in den verschiedensten Nachbarländern in Umsturzversuche und Destabilisierungskampagnen verwickelt, so in Tunesien, Algerien, Ägypten, dem Sudan und dem Tschad, wo libysche Söldnertruppen dem französischen Expeditionskorps gegenüberstehen. Auch diese Konfrontation uferte bereits in internationale Terroranschläge gegen französische Ziele aus und bildete allem Anschein nach den Hintergrund für den blutigen Bombenanschlag auf das Berliner Maison de France.
Die 1986 nach dem Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ geführte Diskussion über die Schlüssigkeit der von den Vereinigten Staaten vorgebrachten Erklärungen und Hinweise auf eine Urheberschaft Libyens zeigt nur die Orientierungslosigkeit und Fehleinschätzung der westlichen Demokratien angesichts dieser Konfliktform Terrorismus, deren Wesensart darin besteht, daß Akteure, Hintermänner und Nutznießer immer im Dunkeln bleiben werden und kaum Beweise für kriminalgerichtliche Schuldzuweisungen zurückgelassen werden.
V. Fazit
Politische Bewegungen und Staaten im Nahen Osten haben seit den sechziger Jahren den Terrorismus zu einem wichtigen Faktor in den Auseinandersetzungen untereinander und in der Konfliktaustragung gegenüber dritten Parteien gemacht. In dieser Instrumentalisierung von Bombenanschlägen, Attentaten und Geiselnahmen gegen Unbeteiligte und Zivilisten ist längst die regionale Begrenzung der Konflikte überschritten worden. Die europäischen Länder sind schon lange nicht mehr nur Ersatzschlachtfeld, sondern werden heute als Ziel in die Konfrontation einbezogen. Auch die Entwicklung europäischer Terroristengruppen hätte ohne die logistische und taktische Unterstützung durch nahöstliche Partner nie die gegenwärtigen Ausmaße erreicht. Die Beziehungen zwischen PLO-Gruppen und so verschiedenen Organisationen wie der Roten Armee Fraktion, den Revolutionären Zellen, der Wehrsportgruppe Hoffmann, den italienischen Roten Brigaden, der holländischen Roten Hilfe oder der japanischen Rengo Sekugon sind längst gerichtsaktenkundig. Gleiches gilt für die Unterstützung durch Libyen und Syrien für irische oder armenische Terrorgruppen, die mitunter auch offen zugegeben wird Internationaler Terrorismus lohnt sich: Mit geringem Aufwand wird medienwirksam die Aufmerksamkeit der gesamten Welt gebannt, können machtpolitische Absichten durchgesetzt und Siege errungen werden, wie das syrische und iranische Beispiel zeigen. Die PLO verfügt über ein Vermögen, das nach vorsichtigen Schätzungen zwischen fünf und sechs Milliarden Dollar beträgt. Allein die Spenden der arabischen Nicht-Frontstaaten für 1986 werden auf über 300 Millionen Dollar geschätzt. Die PLO kontrolliert die einflußreiche „Arab Bank“ in Jordanien, besitzt Hotels, Farmen, Grundstücke und Firmen in Afrika, den USA und in Asien. Drogenhandel und Waffenschmuggel sind weitere Einnahme-quellen palästinensischer und anderer arabischer Terrorgruppen Die Wirksamkeit terroristischer Aktionen kann kaum geleugnet werden. Die PLO hat vorgeführt, wie man mit Bombenanschlägen und Geiseldramen international Aufmerksamkeit erregt und politische Anerkennung erzwingt. Andere Organisationen eifern heute dem Vorbild Arafats nach, der längst diplomatische Salonfähigkeit erlangt hat.
Protestnoten und diplomatische Verhandlungen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten beim Umgang mit dem nahöstlichen Terrorismus und seinen Förderstaaten als nutzlos erwiesen — genau wie die geheimen Stillhalteabkommen einiger europäischer Staaten mit Organisationen wie der PLO oder der armenischen ASALA, um das eigene Land vom Terrorkrieg auszusparen. Österreich und Italien wurden gerade deshalb
Schauplatz von Anschlägen, weil sie Arafats Vertretungsanspruch unterstützten. Reisen deutscher Politiker nach Syrien, in den Irak und nach Libyen und Kontakte zwischen Bundeskriminalamt und PLO konnten arabische Anschläge in der Bundesrepublik nicht verhindern.
Die Haltung der westlichen Staaten hat nicht nur Terroristen und Drahtzieher ermutigt, ihren Feldzug fortzuführen und auszudehnen, sondern auch die gemäßigten Kräfte und Staaten in der arabischen Welt in ihrer Bereitschaft zu friedlichen Lösungen sabotiert. Die mangelnde Bereitschaft europäischer Demokratien zu gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Sanktionen trägt eine große Mitschuld an der gegenwärtigen Dimension des nahöstlichen Terrorismus.
Man braucht kein Prophet zu sein, um eine weitere und stärkere Ausdehnung des nahöstlichen Terrorismus für die Zukunft vorauszusagen. Die islamische Revolution im Iran und der andauernde Konflikt am Golf werden neue Kräfte freisetzen und von weiteren Anschlagwellen begleitet sein. Soziale Gegensätze und radikalisierte Minderheiten gefährden die Stabilität der Angelpunkte westlicher Einflußpolitik — Saudi Arabien und Ägypten — mehr, als man dies in den Außenministerien Europas und der USA wahrhaben will. Eine ganze Generation Jugendlicher hat in dem Jahrzehnt der libanesischen Bürgerkriegswirren ihre militärische Ausbildung erhalten. Ein großer Teil werden als Handlanger und Akteure künftiger Anschläge zur Verfügung stehen. Terrorismus trägt kein Stigma in dieser Region, wo Mord und Geiselnahmen als bewaffneter Befreiungskampf ideologisch und religiös verbrämt werden.