I. Einführung
Wer im schulischen oder im außerschulischen Bereich politisch bilden will, muß die fachlich oftmals komplizierten und recht komplexen Sachverhalte mit ihren unterschiedlichen politischen Bewertungsmöglichkeiten allgemeinverständlich machen. Die politische Meinungsbildung soll erleichtert, die Entscheidungsfähigkeit der Bürger verbessert werden. Bei der Entwicklung von geeigneten Lerneinheiten gilt es, vor allem die Interessen der Lernenden, die Rolle des Lehrenden, die Lernziele und Lerninhalte sowie nicht zuletzt Methoden des Lehrens und Lernens zu beachten.
Im folgenden geht es um die Anwendung dieser Grundprinzipien auf das nicht zuletzt durch die Rheinverseuchung aktuelle Thema „Ökonomie Die primäre Motivation der Lernenden in Schule und Erwachsenenbildung hinsichtlich der Auseinandersetzung mit umweltpolitischen Themen ist durch die erlebte Betroffenheit nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl größer geworden. Das Problembewußtsein wird durch die politische Auseinandersetzung um die Umweltpolitik wach gehalten. Der Interessierte erkennt dabei auch die europäische Dimension des Problems. Das sind recht günstige Voraussetzungen auch für die politische Bildungsarbeit.
Gleichzeitig ist aber zu beachten, daß das Umweltthema in der Regel schon mit Schülern der Primarstufe im Sachunterricht bei der Erkundung ihrer Lebenswelt und mit Schülern der Sekundarstufe I in naturwissenschaftlichen Fä-DidaktischesKorreferat, gehalten aufdem 3. Bundeskongreßfür politische Bildung im Oktober 1986 in Kehl zum Rahmenthema: „Politische Bildung in undfür Europa“. und Ökologie in europäischer Dimension“, das heißt speziell in der Europäischen Gemeinschaft. Die Dringlichkeit dieser Aufgabe hat die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung dadurch unterstrichen, daß sie Umweltbildung zum Schwerpunktprogramm der nächsten Jahre erhoben hat. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat das Jahr 1987 zum „Europäischen Jahr des Umweltschutzes“ proklamiert. Es soll vor allem einer verstärkten Bewußtmachung der Notwendigkeit umwelt-politischen Handelns dienen. Sowohl zum Schwerpunktprogramm der Bund-Länder-Kommission als auch zum „Europäischen Jahr des Umweltschutzes“ der EG gehört die Förderung didaktischer Modelle und geeigneter Lerneinheiten.
II. Die Interessen der Lernenden und die Rolle des Lehrenden
ehern, in der Erdkunde und nicht selten im Religionsunterricht mehr oder weniger ausführlich behandelt wird. Das wirkt für ein erneutes Aufgreifen von Umweltproblemen im Politikunterricht teilweise demotivierend, wenn es nicht gelingt, die politische Relevanz schülergemäß deutlich zu machen. Persönlich stark Engagierte machen sich in Umweltfragen gern zum Wortführer in einer Lerngruppe; Heranwachsende neigen in ihrem Identitätsfindungsprozeß zu moralischem Rigorismus. Nach dem Erkennen der Umweltprobleme möchten sie — von hehren Ansprüchen einer Gesinnungsethik getragen — ihre oft einseitigen Problemlösungskonzepte ohne Zeitverzug durch längere Auseinandersetzung mit „Uneinsichtigen“ in die Tat umgesetzt sehen.
Diese gelegentlich auch in anderen politischen Auseinandersetzungen anzutreffende Haltung beherrscht Ökologiedebatten recht häufig. Eine von mehreren Ursachen bildet hier der naturwissenschaftliche Unterricht, in dem vielfach ein starkes Umweltbewußtsein geweckt wird, ohne daß in diesem Unterricht politische Aspekte des Themas hinreichend berücksichtigt werden können. Das gilt ganz sicher für die europäische Dimension des Problems. Die häufige Enttäuschung darüber, daß politische Entscheidungsprozesse vor allem auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft zu anderen Ergebnissen führen, als Lernende sie für richtig halten, kann in politische Resignation oder in Aggression umschlagen bis hin zur Extremform der Öko-Guerilla, die Überzeugungsarbeit durch Gewalttaten ersetzt.
In dieser für die Entwicklung demokratischer Verhaltensweisen problematischen Situation hat der Lehrende eine wichtige Funktion. Bei vollem Respekt für das Engagement seiner Lernenden kann er mit ihnen nach den Gründen für abweichende Meinungen, d. h. nach sozioökonomischen und länderspezifischen Ursachen, Wirkungen und politischen Folgerungen zum Umwelt-problem fragen. Er bietet Hilfestellung für eine bessere Sachkenntnis und realitätsbezogene Kritik. Das ist leichter gesagt als getan, denn der Lehrende für politische Bildung hat selten zugleich naturwissenschaftliche Fachkompetenz.
In solchen Fällen bewältigen Politiker interdisziplinäre Aufgaben durch Heranziehen von Gutachten und durch Expertenbefragungen. Sie stehen dann oftmals vor unterschiedlichen Aussagen, die sie einer abwägenden Beurteilung unter Bezug auf politisch erstrebte Ziele unterziehen. In ähnlicher Weise kann auch im Unterricht bei der Behandlung umweltpolitischer Themen vorgegangen und dabei das Vorwissen der Lernenden herangezogen werden. Auf das Problem der hierbei nötigen Vereinfachung wird noch eingegangen.
Der Lehrende muß auf jeden Fall dafür sorgen, daß möglichst die gesamte Breite der Kontroverse zur Beurteilung des Ökonomie-ÖkologieProblems in europäischer Dimension zur Sprache kommt. Aber im Felde politischer Entscheidungen kann er nicht als Fachkompetenz herangezogen werden. Er kann es nicht „besser wissen“, weil es letztlich um Wertungen und Mehrheitsentscheidungen geht.
Von den Lernenden herausgefordert, seine persönliche Beurteilung abzugeben, sollte er abwarten, bis eine sachgemäße und wertbewußte Urteilsbildung der Lernenden abgeschlossen ist, um so eine Beeinflussung im Meinungsbildungsprozeß gering zu halten. Der Lehrende hat als politischer Mensch — wie der Lernende — das Recht zur begründeten Stellungnahme, aber er hat als Lehrender zugleich die Pflicht, Verständnis für international unterschiedliche Bewertungen zu wecken und abweichende Meinungen gelten zu lassen, ja sie unter seinen Lernenden sogar zu fördern, damit Meinungsvielfalt nicht von Andersdenkenden unterdrückt werden kann (Überwältigungsverbot). Diese Doppelrolle des Lehrenden stellt an ihn besondere Anforderungen.
III. Intentionen und allgemeine Lernziele
Für die Praxis politischer Bildung ist es nicht unwichtig, daß die Kultusminister deutscher Länder die Umwelterziehung 1980 zum fächerübergreifenden Prinzip erklärt haben, das in gleicher Weise den naturwissenschaftlichen wie den gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht durchdringen soll. In der Verantwortung für nachfolgende Generationen soll die Erziehung zu Umweltbewußtsein und Umweltschutz „Verständnis und eine positive Einstellung für die zu lösenden Probleme gleichermaßen fördern“.
Im Rahmen dieser allgemeinen Zielsetzung soll der Schüler u. a. „erkennen, daß Sorge für die Umwelt die Auseinandersetzung mit Interessen-gegensätzen einschließt und deshalb eine sorgfältige Abwägung von ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten notwendig ist“ (KMKBeschluß vom 17. Oktober 1980).
Dazu müssen ökonomische und ökologische Entwicklungstendenzen in ihrer Vernetzung, mög-liehst unter Beachtung von Besonderheiten einzelner EG-Mitgliedsländer, dargestellt werden können. Die Relevanz dieser Sachverhalte wird durch Gegenüberstellung von Sein und Sollen deutlich, d. h. hier durch Konfrontation mit Interessen und Zielen politisch relevanter Gruppen in den Ländern der EG.
Wer den Prozeß politischer Willensbildung im Bereich der Umweltpolitik erfassen will, kann sich nicht auf Deklarationen des Europäischen Parlaments, Beschlußvorlagen der EG-Kommission oder Beschlüsse des Ministerrats beschränken. Auch Zielsetzungen der Regierungen einzelner Mitgliedsländer reichen nicht aus. Vorstellungen von Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, Kirchen und politischen Parteien sollten mit herangezogen werden. Wo können Lehrende und Lernende hier eine Grenze ziehen? Auf jeden Fall müssen die Zielsetzungen unterschiedlicher Grundpositionen mit ihren Zielprioritäten hinreichend deutlich werden. Trotz der Beschäftigung mit politischen Wertungen anderer bleibt der Lernende im Bereich kognitiver Lernziele. Erst wenn es um sein eigenes Urteilsvermögen geht, stehen affektive Lernziele im Vordergrund: Fragen der Aufnahmebereitschaft, des Reagierens und persönlichen Wertens. Das subjektive Eintreten nicht nur für einen einzelnen Wert, sondern für ein in sich schlüssiges Wertsystem erfordert das Abwägen verschiedener Werte. Das heißt Prioritäten setzen unter Beachtung der Auswirkungen damit verknüpfter Maßnahmen. Wer diesen Schritt nach kritischer Über-prüfung seiner Vorurteile mit dem gebotenen Respekt vor unterschiedlichen Wertvorstellungen in den Mitgliedsländern der EG im Sinne der Verantwortungsethik vollzieht, wird auch bereit sein, auf das Prinzip „Alles oder Nichts“ zu verzichten und in demokratischer Weise Kompromisse zu schließen, die er in rationaler Argumentation zu vertreten weiß. Dafür bietet das an späterer Stelle angeführte Ringen um die europaweite Einführung abgasarmer Autos guten Anschauungsunterricht.
Diesen Überlegungen entsprechen nachstehende allgemeine Lernziele, die das angestrebte Verhalten beschreiben:
— Der Lernende kann ökonomische Entwicklungen im Industriesystem mit ihren Auswirkungen auf ökologische Prozesse in Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft erklären.
— Er kann heterogene ökonomische und ökologische Interessen oder Ziele von Gruppen, Parteien und Regierungen in der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Umweltpolitik anhand von Beispielen analysieren.
— Er kann Programme und Maßnahmen der Umweltpolitik in EG-Mitgliedsländern sowie ihre Koordination durch Gemeinschaftsorgane an erstrebten Zielprioritäten messen.
— Er kann seinen eigenen Standpunkt im Streit der Meinungen zur Umweltpolitik in der Europäischen Gemeinschaft argumentativ vertreten und Wege zur Durchsetzung künftiger Maßnahmen mit den Möglichkeiten zur eigenen Aktivität nennen.
IV. Lehr-und Lerninhalte
Die Komplexität und Interdisziplinarität des Themas „Ökonomie und Ökologie in europäischer Sicht“ erfordert für Zwecke des Lehrens und Lernens eine angemessene didaktische Reduktion. Der Lehrende braucht für seine Vorbereitung ein inhaltliches Grundgerüst, das er, den jeweiligen Adressaten entsprechend, mit passenden Beispielen ausfüllen kann.
Jede Vereinfachung läuft Gefahr, durch zu starke Reduktion die Problemstellung zu verfälschen und damit das Gegenteil des erstrebten Bildungszieles zu erreichen. Wie weit kann man also die Komplexität und Interdisziplinarität mindern?
Für die politische Bildung stehen nicht naturwissenschaftliche oder wirtschaftswissenschaftliche Detailkenntnisse im Vordergrund, sondern hinreichende Informationen zur politischen Urteilsbildung. Für das zu erarbeitende Grundgerüst gilt inhaltlich die Anwendung des Minimumprinzips: So wenig Grundinformationen wie möglich, aber soviel wie nötig, um sich in Anwendungsbeispiele vertiefen und mit politischen Entscheidungsfragen auseinandersetzen zu können. Die genannten allgemeinen Lernziele bieten hier für eine entsprechende Komplexitätsreduktion geeignete Auswahlkriterien:
Anschauen: Analyse der Sachverhalte und ihrer Probleme, Urteilen: Interessen-und zielorientierte Stellungnahme, Handeln: Auswahl von Instrumenten zur Problemlösung. Mit diesen Auswahlkriterien und dem Minimum-prinzip folgend soll im folgenden ein Grundgerüst der Lehr-und Lerninhalte vorgestellt werden, das manche Wiederholung bereits dargelegter, aber nun in einen anderen Zusammenhang gestellter Sachverhalte enthält. 1. Das Industriesystem gefährdet die Ökosysteme In allen Industrieländern wird unabhängig von der jeweiligen Wirtschaftsordnung ein angemessenes Wirtschaftswachstum zur Verbesserung von Lebensstandard und Lebensqualität der Bürger sowie zur Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes der Arbeitskräfte erstrebt. Aber das Wirtschaftswachstum vollzieht sich auf begrenztem Raum des Planeten Erde. Produzenten betreiben bei wachsendem Bedarf Raubbau an Bodenschätzen. Sie belasten im Streben nach Einsparung betrieblicher Kosten zusammen mit Verbrauchern die Umwelt in zunehmendem Maße und in vielfältiger Form. Die technologische Entwicklung wird oftmals mit staatlicher Unterstützung vor allem bei der Energiegewinnung durch Kernspaltung trotz großer Gefahren für die Umwelt immer weiter vorangetrieben.
Die Umwelt ist mit ihren Ökosystemen, das heißt mit den Wechselbeziehungen zwischen belebter und unbelebter Natur innerhalb unterschiedlicher Lebensräume, nur in begrenztem Umfang in der Lage, Schadstoffe aufzunehmen und in nutzbare oder nicht schädliche Substanzen umzuwandeln. Naturwissenschaftler weisen auf sich gegenseitig verstärkende Wirkungen von Umweltschäden durch Schadstoffe aller Art ohne Rücksicht auf politische Grenzen hin: — kurzfristig erkennbare Schäden in der Tier-und Pflanzenwelt sowie Gesundheitsschäden unmittelbar betroffener Personen, — langfristig lebensgefährliche Folgen für die gesamte Bevölkerung und eine weitgehende Zerstörung von Flora und Fauna.
Die Aussagen der Sachverständigen zu den Gefahren in unserer Risikogesellschaft sind nicht einhellig, zum Teil sogar widersprüchlich und weisen viele Lücken auf. Die EG-Mitgliedsländer sind je nach ihrem Industrialisierungsgrad und ihrer geographischen Lage mehr oder weniger stark betroffen. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den am stärksten durch Umweltschäden belasteten Ländern. 2. Die unterschiedliche Beurteilung des Umwelt-Problems in den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft In allen Mitgliedsländern reicht die Skala kontroverser Stellungnahmen von beschwichtigenden Verlautbarungen der Wirtschaftsverbände über abwägende Stimmen aus den Gewerkschaften, Protesten von Verbrauchern und Bürgerinitiativen bis zu Systemüberwindungsstrategien der Radikalökologen verschiedenster Herkunft. Aber der Einfluß dieser Gruppen und Verbände auf das Umweltbewußtsein der Bevölkerung und auf die politische Meinungsbildung ist in den EG-Ländern sehr unterschiedlich.
In der Bundesrepublik Deutschland haben die grüne Protestbewegung, der Einzug der Grünen in die Parlamente und nicht zuletzt der Reaktor-unfall von Tschernobyl zu einer „grünen Welle“ bei den etablierten Parteien geführt, das heißt den Stellenwert ökologischer Belange gegenüber ökonomischen Interessen erhöht:
— Die Bonner Regierungsparteien CDU/CSU und FDP sehen den Schutz der Umwelt als gleichrangig mit wirtschaftspolitischen Zielen an. Sie bejahen wirtschaftliches Wachstum als Hilfe für die Lösung ökonomischer und ökologischer Probleme. Marktwirtschaftliche Kräfte sollen durch die Anwendung des Verursacher-statt des Gemeinlastprinzips und durch Bevorzugung staatlicher Anreize anstelle von Geboten und Verboten den ökologischen Suchprozeß nach umweltschonenden Produktionsverfahren und Produkten fördern. Dadurch würden zugleich neue Märkte erschlossen und Arbeitsplätze geschaffen.
In der Energiepolitik, dem bedeutendsten Testfall, wird — mit Abstufungen zwischen den Regierungsparteien — ein Wandel vollzogen zur nur noch eingeschränkten Bejahung der Kernenergie. Aber aus Gründen einer sicheren, umweltschonenden und preisgünstigen Energieversorgung könne kurz-und mittelfristig auf die Nutzung der Kernenergie nicht verzichtet werden. Die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit soll vor allem innerhalb der EG intensiviert werden. Die Bundesregierung will die Nutzung aller technisch möglichen, wirtschaftlich vertretbaren und sozial annehmbaren Energiesparmöglichkeiten unterstützen und die Entwicklung neuer Energietechnologien verstärkt fördern. — Die SPD will mit ihrem Programm „Arbeit und Umwelt“ eine ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft erreichen. Durch Abgaben, Anreize und Staatsausgaben sollen öffentliche und private Umweltinvestitionen gefördert und gleichzeitig neue Dauerarbeitsplätze geschaffen werden. Zur Gefahrenabwehr werden Gebote und Verbote als ökologisch notwendige Rahmenbedingungen angesehen.
Energiepolitisch wird eine sichere Energieversorgung ohne Atomkraft angestrebt. Ein „geordneter Rückzug“ aus der Kernenergie innerhalb eines Jahrzehnts soll Arbeitsplätze durch Umstellung auf ein umweltschonendes Energieversorgungssystem vor allem zugunsten technologisch verbesserter Kohlekraftwerke sichern. — Bei den GR ÜNEN möchten die radikalökologischen Fundamentalisten aus dem Industriesystem mit seinem „Plutoniumstaat“ ganz aussteigen und ökologisch bewußt in kleinen, selbstverwalteten Einheiten leben. Die Realpolitiker der GRÜNEN fordern eine „sozialökologische Wirtschaft“, die durch eine langfristig orientierte Rahmenplanung und Strukturpolitik basisdemokratisch geschaffen werden soll.
In der Energiepolitik kommt der Vorrang ökologischer Ziele vor ökonomischen Interessen deutlich zum Ausdruck durch die Forderung nach sofortigem Ausstieg aus der Kernenergie. Der Sofort-B ausstieg wird ohne Gefährdung der Versorgungssicherheit auf Grund von Überkapazitäten der Energieversorgungsunternehmen und durch verstärkte Energieeinsparung sowie Nutzung regenerierbarer Energiequellen für möglich gehalten.
In Frankreich, das von Umweltschäden bisher weniger betroffen ist als die Bundesrepublik, richtet sich die Kritik von Umweltschützern vor allem gegen das Kernenergieprogramm. Alle französischen Regierungen haben bisher zur militärischen und wirtschaftlichen Sicherung ihrer nationalstaatlichen Unabhängigkeit eine konsequente Nuklearpolitik mit einem ständigen Ausbau von Kernkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen in öffentlichem Eigentum betrieben. Der Mangel an eigenen Energiequellen in Frankreich hatte bei wachsendem Energiebedarf zu einer bedrohlichen Abhängigkeit von Erdölimporten und zu Versorgungsengpässen in den Erdöl-krisen der siebziger Jahre geführt. Seitdem suchen die Franzosen stärker als andere Länder den Ausweg in der Kernenergie, und zwar nicht als Übergangslösung. Sie sind prinzipiell bereit, die von der EG festgesetzten Sicherheitsnormen zu beachten. Besondere deutsche Sicherheitsanforderungen halten sie für übertrieben. Versuche zur Einschaltung von Alternativ-Energien waren bis auf den Sonderfall des Gezeiten-Werks Saint Malo nicht erfolgreich.
Die französische Ökologiebewegung hat trotz einiger Teilerfolge den Nuklear-Konsens aller großen Parteien, der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften bisher nicht beeinträchtigen können. Auch in anderen Fällen, wie bei der Rheinverschmutzung oder bei der Einführung umweltfreundlicher Autos, ist Frankreich sehr auf die Respektierung nationaler Belange bedacht.
I In den übrigen EG-Ländern schwankt die Beurteilung des Ökologieproblems je nach Betroffenheit, nationaler Mentalität, wirtschaftlicher Lage und politischer Zielsetzung zwischen den für Frankreich und die Bundesrepublik typischen Standpunkten. Das Umweltbewußtsein ist in den Niederlanden und in Dänemark stark ausgeprägt. Dänemark hat auf den Bau von Kernkraftwerken verzichtet. In Großbritannien ist die Bevölkerung weniger hinsichtlich der Verunreinigung von Boden, Wasser und Luft sensibilisiert. Sie nimmt vielmehr starken Anteil an der Landschaftsplanung und dem Artenschutz. Insgesamt ist ein Nord-Süd-Gefälle des Umweltbewußtseins festzustellen, das aber angesichts verschmutzter Küsten geringer zu werden scheint. Die Ökologiebewegung hat in mehreren Ländern zur Gründung ökologischer Parteien geführt, die aber nirgends einen bedeutsamen Einfluß erlangten.
Die Bundesbürger müssen zur Kenntnis nehmen, daß die besondere Betroffenheit der deutschen Bevölkerung im Ausland zwar gesehen wird, einige Reaktionen in der deutschen Öffentlichkeit aber als Umwelthysterie bezeichnet werden. Man führt die Umweltängste vielfach auf nationale Eigenarten zurück, vor allem auf eine romantisch verklärte Einstellung zur Natur, insbesondere zum deutschen Wald, sowie auf einen „Sicherheitstick“, verbunden mit dem Hang zur Schulmeisterei.
Der Bundesregierung wird eine inkonsequente Umweltpolitik vorgeworfen, weil sie z. B. einerseits das Katalysator-Auto und bleifreies Benzin unbedingt europaweit einführen wollte, aber zugleich wirksame Geschwindigkeitsbegrenzungen für Autos ablehnte. Hier hätten offenbar ökonomische Interessen der deutschen Automobilindustrie starken Einfluß gehabt.
Insgesamt kann festgestellt werden, daß ökologische Belange gegenüber ökonomischen und militärischen Sicherheitsinteressen in den meisten Mitgliedstaaten der EG eine geringere Bedeutung als in der Bundesrepublik Deutschland haben. Aber der verstärkte Einsatz umweltschonender Techniken wird allgemein bejaht. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Mitgliedstaaten der EG durch Kooperation mehr erreichen als durch Konfrontation. 3. Umstrittene Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft: Ökonomie im Dienste der Ökologie?
Der Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 enthält keine Regelungen zur Umweltpolitik. Vorrangiges Ziel ist die stetige Besserung der Lebens-und Beschäftigungsbedingungen. Die Staats-oder Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft haben 1972 eine gemeinschaftliche Umweltpolitik als unabdingbare Notwendigkeit anerkannt. Seitdem konnte der Rat in Umweltfragen vor allem Beschlüsse zur Angleichung solcher Rechtsvorschriften einstimmig fassen, die sich unmittelbar auf den Gemeinsamen Markt auswirken (Art. 100 EG-Vertrag).
Erst mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) vom Februar 1986 wurde die Umweltpolitik Bestandteil des EWG-Vertrages. (Die Vertragsänderung bedarf noch der Ratifizierung durch die Mitgliedsländer.) „Die Umweltpolitik der Gemeinschaft hat zum Ziel:
— die Umwelt zu erhalten, zu schützen und ihre Qualität zu verbessern, — zum Schutze der menschlichen Gesundheit beizutragen, — eine umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen zu gewährleisten“ (Art. 130r Abs. 1).
In den dafür speziell beschlossenen Verfahrensvorschriften kommt das in anderen Bereichen etwas verminderte Demokratiedefizit der Europäischen Gemeinschaft doch wieder deutlich zum Ausdruck. Noch immer bleibt die nationale Exekutive europäische Legislative, denn das Europäische Parlament hat zu Beschlüssen der Umweltpolitik nur ein Anhörungsrecht; der Rat beschließt einstimmig über das Tätigwerden der Gemeinschaft; Mitgliedstaaten können sich für Sonderregelungen auf die Schutzklausel der wichtigen Erfordernisse gemäß Artikel 36 berufen.
Dennoch bedeutet es einen umweltpolitischen Fortschritt, wenn die Kommission laut Vertrags-ergänzung (Art. 100 a Abschn. 3) in ihren Vorschlägen zur schrittweisen Verwirklichung des Binnenmarktes in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz ausdrücklich von einem hohen Schutzniveau ausgeht.
Aber man muß dazu andere Ziele der EG in Beziehung setzen. Für die hier besonders relevante Energiepolitik gilt nach wie vor, daß die Kernenergie laut Euratom-Vertrag als unentbehrliche Hilfsquelle für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen wird. Zur Einheitlichen Europäischen Akte wurden Erklärungen beigefügt, in denen die Konferenz u. a. feststellte, „daß die Tätigkeit der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Umweltschutzes sich nicht störend auf die einzelstaatliche Politik der Nutzung der Energieressourcen auswirken darf" (Erklärung zu Art. 130 r des EWG-Vertrages).
Auch nach Tschernobyl fand im Europäischen Parlament ein Entwurf der sozialistischen Fraktion, die Rolle der Kernenergie in Frage zu stellen, zwar die Unterstützung der Regenbogenfraktion, aber keine Mehrheit. Die Resolution wurde von den französischen Sozialisten nicht mitgetragen. Dagegen konnte eine Resolution zur sofortigen Überprüfung der Sicherheitsnormen in Kernkraftwerken mit einer Mehrheit aus den Reihen der Europäischen Volkspartei/Christdemokraten, der Liberalen, der Konservativen und der Gaullisten verabschiedet werden.
In der Konjunkturpolitik wurde der Zielkonflikt zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen bisher ebenfalls zu Lasten der Umweltpolitik entschieden. Bei Knappheit der Finanzmittel im Haushalt der EG und konjunktureller Rezession in den Mitgliedsländern war eine Marginalisierung der Umweltpolitik festzustellen. Die Einstellung hat sich inzwischen geändert. Im vierten Aktionsprogramm der EG für den Umweltschutz, das ab 1987 gelten wird, geht die Kommission davon aus, daß eine strikte Umweltpolitik nicht nur mit langfristigem Wirtschaftswachstum vereinbar, sondern auch ein wesentlicher Bestandteil hiervon ist und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt. Eine Versöhnung von Ökologie und Ökonomie wird in dieser Weise angestrebt.
Im einzelnen haben die Gemeinschaftsorgane bereits ein beachtliches Harmonisierungswerk mit mehr als hundert natur-, umweit-und gesundheitsbezogenen EG-Regelungen verabschiedet, die anhand von Einzelbeispielen behandelt werden können. Für die Zuständigkeit gilt das Subsidiaritätsprinzip, d. h. die auftretenden Probleme sollen auf der am besten geeigneten Aktionsebene (örtlich, regional, national, gemeinschaftlich, international) gelöst werden. Aber hierbei ist allgemein ein Vollzugsdefizit festzustellen. Bei der zeitraubenden Umsetzung der im Sinne von Rahmengesetzen beschlossenen EG-Richtlinien in nationales Recht bestehen zudem Ermessensspielräume, die eine Harmonisierung der Normen beeinträchtigen.
Andererseits möchte die EG-Kommission die auf nationaler Ebene erreichten Fortschritte nicht behindern. Das bedeutet Spielraum für wegbereitende Umweltschutzmaßnahmen einzelner Mitgliedstaaten, aber immer unter der Bedingung, daß die Weiterentwicklung des Gemeinsamen Marktes nicht beeinträchtigt wird. Dieser schwierige Prozeß der Harmonisierung durch Abstimmung unterschiedlicher ökonomischer und politischer Interessen einzelner Mitgliedstaaten mit ökologischen Zielen darf nicht als kurzfristig erfüllbare Aufgabe angesehen werden. Das Tempo ökologischer Fortschritte hängt — wie betont — von umweltpolitischen Aktivitäten einzelner Mitgliedstaaten ab, die wiederum durch umweltpolitisches Engagement der Bürger in Parteien und Verbänden vorangetrieben werden können.
Zum Verhältnis der Ökonomie zur Ökologie kann als Zwischenbilanz dieser didaktisch konzipierten Sachanalyse festgehalten werden: Weder in den Mitgliedsländern noch in den EG-Organen gibt es eine Mehrheit, die Umweltprobleme durch den Ausstieg aus der Industriegesellschaft lösen möchte. Vorherrschend ist vielmehr die Auffassung, daß das innovatorische Potential dieser Gesellschaft in geeigneter Weise für eine ökologisch vertretbare Wirtschaftsentwicklung genutzt werden soll.
Dabei ist zu bedenken, daß die Probleme weder national noch im Rahmen der EG allein zu lösen sind. Sie bedürfen interkontinentaler, ja globaler Anstrengungen. Auf die Ost-West-und Nord-Süd-Aspekte des Themas kann hier nur am Rande hingewiesen werden, obwohl man damit ihrer Bedeutung nicht gerecht wird. In der EG wird seitens der Mitgliedsländer und der EG-Kommission bi-und multilateral an internationalen Vereinbarungen und deren Verbesserung mitgearbeitet. Die Wiener Sonderkonferenz der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) ist dafür ein aktuelles Beispiel.
Damit ist das Grundgerüst an politisch relevanten Informationen errichtet. Es folgen Überlegungen, wie der Lehrende diese Informationen für seinen Unterricht verwenden kann.
V. Lehr-und Lernmethoden
Auf der Suche nach geeigneten Methoden des Lernprozesses bieten die Ziele politischer Bildung und weniger die Lerninhalte Kriterien für die Methoden-und Medienwahl. Problemorientiertes Lernen, das die Meinungsbildung und politische Urteilsfähigkeit zu dem aktuellen und stark umstrittenen Thema Umweltpolitik verbessern soll, braucht aktive Mitarbeit der Lernenden. Deshalb sind lehrdominante Aktionsformen, die sich auf Informationen durch den Lehrenden mit gelegentlichen Zwischenfragen der Lernenden (Frontalunterricht) oder auf das Studium gesicherten Fachwissens aus einem Lehrbuch beschränken, nicht optimal. Bevorzugt werden lerndominante Aktionsformen wie Einzel-, Partner-oder Gruppenarbeit mit anschließenden Plenumsdiskussionen im Rahmen von Fall-und Problemstudien, Rollen-und Planspielen.
Dieser Hinweis darf nicht als Verzicht auf eine Systematisierung des erarbeiteten Orientierungswissens mißverstanden werden. Um sich in dem Bündel von Beispielen mit Sachverhalten, Stellungnahmen und Beschlüssen zurechtzufinden, brauchen Lernende die Möglichkeit der Strukturierung und Einordnung ihres Wissens. Dafür stellt das beschriebene Grundgerüst der Lerninhalte einen Entwurf dar.
Die anspruchsvolle Arbeitsweise muß nach Alter und Bildungsstand, d. h. adressatenspezifisch differenziert werden. In der Sekundarstufe I stehen kommunale und regionale Beispiele (Mikroebene) im Vordergrund, deren allgemeine Bedeutung im Sinne der exemplarischen Lehre herausgearbeitet werden soll. In der Sekundarstufe II kann eher von gesamtwirtschaftlichen Problemen (Makroebene) ausgegangen und auf passende Beispiele vor Ort verwiesen werden. In jedem Falle ist die Verknüpfung mit verantwortlichem Verhalten des einzelnen Bürgers notwendig. Aber Lösungsansätze für Umweltprobleme dürfen sich nicht auf individuelles Verhalten, z. B. im privaten Haushalt, beschränken. Das Ringen um veränderte politische Rahmenbedingungen über nationale Grenzen hinaus bildet den Kern der Lerneinheiten.
Die Behandlung des Themas „Ökonomie und Ökologie in europäischer Dimension“ ist vorwiegend in der Sekundarstufe II sowie in den vielfältigen Institutionen außerschulischer Bildung möglich. Hierfür sollen nachstehend einige Anregungen und Erklärungen zu lernzieladäquaten Methoden gegeben werden. 1. Das Rollenspiel Es liegt nahe, die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion zum Verhältnis von Ökonomie und Ökologie anhand eines aktuellen und zugleich europaweit bedeutsamen Problems mit den Lernenden so zu führen, daß sich die Teilnehmer in die Situation der Betroffenen versetzen und ihre Rollen argumentativ übernehmen. Gemessen an der Aktualität und Bedeutsamkeit ist das Thema „Energiewirtschaft und Umweltpolitik in der Europäischen Gemeinschaft“ zur Zeit hierfür am besten geeignet. Der Entscheidungsprozeß ist noch nicht abgeschlossen, die Auseinandersetzung damit hat deshalb unmittelbar politische Relevanz und wird sie auch bei sich ändernden Sachverhalten noch lange behalten.
Um der Realität möglichst nahe zu kommen, kann ein Hearing im Europäischen Parlament als Vorbereitung für einen Initiativantrag an die EG-Kommission zur umweltschonenden Energiewirtschaft simuliert werden. Dazu werden eingeladen, d. h. Rollen übernommen als — Sprecher der Energiewirtschaft aus Mitglieds-ländern der EG, die mit unterschiedlichen Akzenten vor allem für Sicherheit der Versorgung durch den Ausbau der Kernenergie, der Kohle-kraftwerke und des Erdgasnetzes eintreten; — Vertreter von Gewerkschaften und Verbraucherverbänden aus dem Wirtschafts-und Sozialausschuß der EG, die die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze sowie eine ausreichende, preisgünstige und umweltschonende Energieversorgung im Auge haben; — Parlamentarier aller Fraktionen des Europäischen Parlaments, die unterschiedliche politische Meinungen auch innerhalb der Fraktionen zum Ausdruck bringen.
Die Beschränkung auf die genannten drei Rollengruppen bewahrt die Überschaubarkeit, ohne die Interessenvielfalt einzuschränken. Ein argumentativ geführtes Streitgespräch, in dem jede Gruppe versucht, das Plenum von der Richtigkeit des eigenen Standpunktes zu überzeugen, wird dadurch erleichtert.
Das Rollenspiel kann dann in drei Phasen ablaufen:
— einer Informationsphase für die Teilgruppen, in der sie ausgewähltes Material lesen und ihre Stellungnahme vorbereiten;
— einer Diskussionsphase, in der die kontroversen Positionen durch Rollenidentifikation möglichst lebendig und treffend herausgestellt werden;
— einer Auswertungsphase durch Erarbeitung und Abstimmung über einen Initiativantrag (oder dessen Ablehnung), bei der die ersten beiden Teilgruppen sich auflösen und als Parlamentarier in den Fraktionen ihrer Wahl mitwirken. Es ist erstrebenswert, daß dabei das politische Kräfte-verhältnis im Europäischen Parlament annähernd repräsentiert wird.
Wer als Lernender mit Interesse und Engagement an einem Rollenspiel dieser Art mitgewirkt hat, ist in aller Regel den Problemen gegenüber, mit denen er sich auseinandergesetzt hat, stärker aufgeschlossen und eher bereit, sich weiter zu informieren und zu engagieren. Die affektive und soziale Lernzieldimension wird begünstigt, aber auch die Wissensvermittlung, wenn man daran denkt, daß nur etwa 10% von dem, was wir lesen, behalten wird, aber 70% von dem, was wir selber sagen.
Neben den Vorzügen des Rollenspiels sollen wenigstens einige Schwierigkeiten angesprochen werden. Der Lehrende hat die Last einer intensiven Vorbereitung, weil er das Informationsmaterial beschaffen, sichten und für die Lernenden zusammenstellen muß. Die inhaltlich schwierige Informationsphase kann durch vorausgehende Hausarbeit erleichtert werden. Aber man braucht, abgesehen von der keineswegs selbstverständlichen konstruktiven Mitarbeit der Teilnehmer, mindestens je eine Doppelstunde pro Phase. Sechs Unterrichtsstunden sind im Klassenunterricht der Sekundarstufe I oder in Kursen der Sekundarstufe II nicht leicht unterzubringen. Hier hat es die außerschulische Bildung in der Regel leichter. 2: Die Fallstudie Nach dem didaktischen Prinzip des exemplarischen Lernens bietet die Fallstudie — ähnlich wie das Rollenspiel — die Möglichkeit, komplexe Probleme anhand typischer Beispiele durchschaubar zu machen. Im Sinne der induktiven Methode wird von einem bedeutsamen Einzelfall ausgegangen und daran das Allgemeine der Problemstellung deutlich gemacht. Der Fall (so F. -J. Kaiser) sollte — der Wirklichkeit entsprechen, — überschaubar sein und — mehrere Lösungen zulassen.
Problemfälle dieser Art sind im kommunalen Bereich zu Müll und Abwasser fast in allen Gemeinden zu finden. Umwelterziehung kann hier vor allem für Schüler und Schülerinnen der Sekundarstufe I von real erfahrbarer Umwelt und subjektiver Betroffenheit ausgehen. Schwieriger ist es schon, Fälle mit europäischer Dimension herauszufinden. Auch hier müssen verstreute Informationen gesammelt und bereitgehalten werden. Die Verschmutzung der Nordsee, der größten Müllkippe Europas, bietet ein Beispiel gemeinsamer Verantwortung der Europäer für deren Bekämpfung. Das gilt analog für die Belastungen des Rheinwassers, vor allem durch Kernkraftwerke, Kaligruben und Chemieunternehmen, oder für den Abfalltourismus, d. h. das Problem des grenzüberschreitenden Transports gefährlicher Abfälle. Ein weiteres Beispiel bieten gesundheitliche Gefahren durch Denaturierung der Nahrungsmittel in der Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, wobei unterschiedliche Rechtsvorschriften in den durch Freihandel verbundenen EG-Ländern gelten.
Der Konflikt zwischen EG-Mitgliedsländern und das Ringen um Kompromisse auf EG-Ebene läßt sich am Beispiel des Kampfes gegen das Waldsterben durch Einführung umweltschonender Kraftwagen im Nachvollzug besonders gut erfahrbar machen. Die Auseinandersetzung liegt in Zeitungen und Zeitschriften gut dokumentiert vor. Das ist ein Vorteil, aber zugleich ein Nachteil, weil das Ergebnis der Auseinandersetzung den Lernenden in Kernpunkten bereits bekannt ist. Dennoch kennen sie in der Regel die europäische Dimension der Entscheidungen kaum.
In der Fallstudie zum Thema „Die Einführung schadstoffarmer PKW in der Europäischen Gemeinschaft“ braucht die durch umweltpolitische Auseinandersetzungen bereits motivierte Lerngruppe Informationen:
a) zur Luftverschmutzung durch Autoabgase;
b) zu den Problemlösungsstrategien — einer sofortigen Geschwindigkeitsbegrenzung oder — einer baldigen Einführung bleifreien Benzins und des Katalysators zur Nachbehandlung der Abgase oder — einer längerfristigen technischen Weiterentwicklung durch motorinterne Entgiftung;
c) zu den unterschiedlichen Beurteilungen des Problems — durch Industrieverbände und Automobilclubs in EG-Ländern, — durch politische Parteien und Regierungen;
d) zu den Grundsätzen der EG-Umweltpolitik und den Beschlüssen des EG-Ministerrats sowie des Deutschen Bundestages.
Das ist eine lange Liste notwendiger Informationen. Aber zur ersten Runde der Auseinandersetzung mit dem Fall genügen wenige Angaben zur Luftverschmutzung durch Autoabgase, einige kontroverse Stimmen aus den Mitgliedsländern zu den Problemlösungsstrategien sowie Auszüge aus den Grundsätzen der EG-Umweltpolitik.
Die Lerngruppe erhält die Aufgabe, die durch Autoverkehr verursachte Luftverschmutzung mit ihren Auswirkungen zu erklären und eine begründete Stellungnahme zu den Problemlösungsstrategien abzugeben. In Partnerarbeit oder in Kleingruppen erfolgt die Auswertung des Materials, wobei jeder Teilnehmer weitere Informationen bei Bedarf aus einer bereitgehaltenen Infothek entnehmen kann, mit Ausnahme der Informationen über die auf EG-und Bundesebene getroffenen Entscheidungen.
Zur Berichterstattung und Stellungnahme aufgefordert, vergleichen die Teilnehmer im Plenum unterschiedliche Konzeptionen und Ziele sowie vorgeschlagene Maßnahmen zur Problemlösung und beurteilen den Fall unter Angabe ihrer persönlichen Wertungen.
Dann folgt eine zweite Runde, in der die Teilnehmer ihre eigenen Stellungnahmen den getroffenen Entscheidungen gegenüberstellen, d. h. mit den EG-Richtlinien und dem deutschen „Gesetz über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen PKW“ (gültig ab 1. 7. 1985) vergleichen. Die allgemeinen Lernziele sind weitgehend erreicht, wenn Grenzen des Alleingangs eines Staates in der EG deutlich werden und der Kompromißcharakter der EG-Beschlüsse zwischen divergierenden ökonomischen und ökologischen Interessen der Mitgliedsländer herausgearbeitet wird, ein Kompromiß, der sowohl kurzfristige als auch mittel-und langfristige umwelt-politische Strategien zuläßt, ohne den Gemeinsamen Markt zu gefährden.
Dann kann der einzelne immer noch für weitergehende Umweltschutzmaßnahmen eintreten, sich Gruppen oder Parteien seiner Option anschließen und auch von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch machen. Aber er wird als demokratischer Bürger in kritischer Loyalität die von der gewählten deutschen Regierung mitgetragenen EG-Ministerrats-Beschlüsse und die Beschlüsse des Deutschen Bundestages repektieren. Anderenfalls — und auch das muß deutlich gemacht werden — stellt er die freiheitliche demokratische Grundordnung in Frage. 3. Das Planspiel Als Kombination von Fallstudie und Rollenspiel ist das Planspiel eher für Fortgeschrittene geeignet, die zum Thema Umweltpolitik bereits über Vorkenntnisse verfügen und nun — eventuell als Lernerfolgskontrolle — nach festgelegten Spielregeln und Rollenanweisungen als Interessengruppe oder als Vertreter einer politischen Partei versuchen, ihre Vorstellungen einer Problemlösung gegenüber anderen durchzusetzen.
Inhaltlich könnte das Planspiel der zweiten Phase des beschriebenen Rollenspiels entsprechen, also die Beschlußfassung im Europäischen Parlament zu einem Initiativantrag zur umweltschonenden Energiewirtschaft simulieren. Es ist jedoch zu beachten, daß es im Gegensatz zu Unternehmensplanspielen mit rechnerisch feststellbarem Erfolg eines Unternehmens im Wettbewerb mit anderen Unternehmen am Markt hierbei keine quantifizierbaren Bestlösungen geben kann, weil die politische Bewertung von Zielen wie Sicherheit, Lebensstandard und Umweltbedingungen sich der Rechenhaftigkeit entzieht. Man kann höchstens den ökonomischen Preis zum Beispiel eines Aus-35 stiegs aus der Kernenergie in etwa schätzen, wie das durch verschiedene Gutachten geschehen ist, und damit die Entscheidungsalternativen transparenter machen.
Das Planspiel erfordert eine noch intensivere Vorbereitung als das Rollenspiel und die Fallstudie. Es bedarf disziplinierter Mitwirkung der Teilnehmer nach Spielregeln und Rollenanweisungen, und es läßt sich zeitlich schlecht in Einzel-oder Doppelstunden zerlegen. Deshalb wird es vorwiegend in der außerschulischen Bildung erfolgreich eingesetzt. 4. Die Problemstudie Sie ist besonders geeignet für eine wissenschaftspropädeutische Arbeitsweise in der Sekundarstufe II allgemeinbildender Schulen. Dieser Hinweis ist für die Schulpraktiker von Bedeutung, denn Lehrer in den Fächern politischer Bildung müssen ihren Unterricht auf die für alle Fächer geltenden Rahmenbedingungen der Abiturprüfung einstellen, d. h. auf die drei Anforderungsbereiche Reproduktion und Reorganisation von Kenntnissen sowie problembezogenes Denken.
Die Auseinandersetzung mit einem Problem wird durch ausgewählte Texte vorstrukturiert, der Umfang so begrenzt, daß in der geplanten Zeit eine Bearbeitung, Auswertung und Ergebnissicherung stattfinden kann. Die Textanalyse ist der bevorzugte Aufgabentyp schulischer Bildung in der Sekundarstufe II. Sie ist eher Grundproblemen als Beispielen gewidmet. Ausgehend von allgemeinen Fragestellungen zur Umweltpolitik können dann deduktiv Einzelfälle zur Erläuterung herangezogen werden.
In der Zeit von Wahlkämpfen können zum Beispiel Verlautbarungen politischer Parteien in der Bundesrepublik mit ihren Aussagen zum Verhältnis ökonomischer und ökologischer Interessen analysiert und in Beziehung zum Umweltschutz-programm der Europäischen Gemeinschaft gestellt werden. Als Hintergrundinformation können hierzu u. a. Berichte und Themenausgaben der Wochenzeitung „Das Parlament“ (z. B. „Umweltschutz in Europa“ Nr. 33/34, 1985) herangezogen werden. In der Form von Curriculum-Bausteinen sind von mir Problemstudien mit ähnlichen Fragestellungen veröffentlicht worden (Gegenwartskunde, Heft 4/1984 und 4/1985).
Die Aufgabe zur Auswertung der vorgelegten Texte sollte, den genannten Anforderungsbereichen entsprechend, von der Reproduktion einzelner Statements ausgehen, dann einen Vergleich vorgeschlagener Ziele und Maßnahmen vorsehen (Reorganisation) und schließlich eine begründete Stellungnahme der Lernenden fördern (Urteilen).
Die Auswertung selbst kann in Einzel-, Partner-oder Gruppenarbeit geschehen und sollte als Plenumsdiskussion abgeschlossen werden.
Diese Arbeitsweise hat sich bewährt. Sie trägt den schulischen Rahmenbedingungen Rechnung, stellt problemorientierte, politisch relevante Auseinandersetzungen in den Mittelpunkt und stärkt die Fähigkeit zum Transfer auf andere Problemstellungen der Umweltpolitik.
VL Schlußbetrachtung
Mit den dargestellten fachdidaktischen Aspekten zum Thema „Ökonomie und Ökologie in europäischer Dimension“ wurde hier versucht, didaktische Prinzipien politischer Bildung auf das gestellte Thema zu beziehen. Eine kritische Betrachtung verschiedener Möglichkeiten und ihrer Grenzen macht dreierlei deutlich: — unter methodischen Aspekten die Bevorzugung offener Curricula mit lerndominanten Aktionsund Sozialformen; — unter inhaltlichem Aspekt die Erkenntnis, daß die Ökonomie Ökosysteme gefährdet, aber die Leistungsfähigkeit des Industriesystems künftig stärker in den Dienst einer ökologischen Neuorientierung gestellt werden soll; — unter politischem Bildungsaspekt die Notwendigkeit, die europäische Dimension von Problemlösungsstrategien weit stärker als bisher zu berücksichtigen, wenn Lernende zu einer sachlich fundierten und wertbewußten Urteilsbildung mit der Bereitschaft zu demokratischen Formen des Interessenausgleichs kommen sollen.
Das Thema „Ökonomie und Ökologie in europäischer Dimension“ ist insofern ein Musterbeispiel exemplarischer Lehre. Es gibt Anstoß für eine Curriculumrevision politischer Bildung mit den genannten Schwerpunkten.
Die Zeit abnehmender Schüler-und Studenten-zahlen ist kein Grund zur Resignation. Sie schafft vielmehr Spielraum für didaktische Forschung in Kooperation zwischen Hochschulen, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Auf dem Felde politischer Bildung könnten die Förderungsprogramme der Bund-Länder-Kommission und der Kommission der Europäischen Gemeinschaft durch Entwicklung und Erprobung von Lerneinheiten zur Umweltpolitik in Europa konstruktiv genutzt werden.