Die Entscheidung für die Verwendung des Begriffs „nationalkonservative Opposition“ anstatt „bürgerlich-militärischer Widerstand“ rechtfertigt sich durch die Tatsache, daß Opposition und Widerstand zwischen 1933 und 1939 weder eine ausschließliche Sache von Militärs noch nur von Bürgerlichen waren. Einerseits findet sich ein erheblicher Anteil von Adligen darin, andererseits haben manche Militärs — wie z. B. General Beck — in zunehmendem Maße ihre Rolle nicht als eine ausschließlich militärische verstanden; und die später oft an maßgeblicher Stelle im Widerstand wirkenden Reserveoffiziere waren häufig von ganz anderen Ideen und Sozialisationsinstanzen geprägt als die Berufsmilitärs. Im Grunde handelte es sich bis 1939 vornehmlich um die Entstehung einer Opposition, die sich aus Teilen der traditionellen Führungsschichten des deutschen Reiches rekrutierte: hohe Beamte, Diplomaten, Militärs, Industrielle, die weder mit den Begriffen „adlig“ bzw. „bürgerlich“ oder „zivil“ bzw. „militärisch“ angemessen beschrieben werden können. Sie gehören allerdings als traditionelle Führungseliten des deutschen Nationalstaates insgesamt dem konservativen Lager an.
Nun ist der Konservatismus gewiß eine vielfältig gegliederte und verästelte historische Erscheinung Für die hier zur Diskussion stehende Gruppierung indessen bietet sich der spezifische Terminus „nationalkonservativ“ deshalb an, weil sie zwar dem konservativen Lager insgesamt angehörte, die ihr zuzurechnenden Persönlichkeiten aber — von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen — bis weit in den Krieg hinein auf das Bismarck-Reich fixiert waren. Diese Fixierung auf den preußisch-deutschen Nationalstaat bildete die differentia specifica, die sie von anderen konservativen Erscheinungen (etwa den Altkonservativen) abhebt. Im übrigen wird dieser Terminus hier stets nur als ein rein deskriptiver benutzt, nicht als ein wertender; daher darf er z. B. nicht
I.
etwa mit dem negativ-besetzten „deutsch-national“ gleichgesetzt werden. Auch ist er nicht mit „nationalistisch“ identisch. Weiterhin ist einschränkend zu bemerken, daß diese Gruppierung aus Kreisen der Eliten von Militär, Diplomatie und Verwaltung sich fraglos aus sehr unterschiedlichen Charakteren, aus sehr ausgeprägten Individuen zusammensetzte, die nur mit großer Vorsicht unter einer gemeinsamen Etikettierung zusammengefaßt werden können. Insofern ist der Terminus nur eine Art Annäherungsbegriff, aber eben ein solcher, der eine größtmögliche Annäherung ermöglicht.
Und noch eine Abgrenzung ist notwendig, um Mißverständnisse auszuschließen: Es geht hier nur um die bis zum Kriegsbeginn sich in der Opposition sammelnden Kräfte, nicht um all die Kräfte, die später im Laufe des Krieges sich in der Verschwörung und beim Staatsstreichversuch des 20. Juli 1944 zusammenfanden. Zwischen 1938/39 und 1944 veränderte sich die Verschwörung; neue Kräfte wie etwa jene der anti-totalitären Reformbewegung des Kreisauer Kreises traten hinzu, die der bisherigen nationalkonservativen Opposition personell wie ideenmäßig entscheidenden Zuwachs brachten. Daher wandelte sich — nicht zuletzt unter dem Einfluß dieser neuen Kräfte — die bisherige Opposition, so daß die den 20. Juli tragenden Kräftegruppierungen in sich zu differenziert waren, um noch mit dem Terminus „nationalkonservativ“ bezeichnet werden zu können
Des weiteren ist die nationalkonservative Opposition in dem hier zur Diskussion stehenden Zeitraum als ein eigenständiges Phänomen aufzufassen, das nicht bloß Teileinheit eines als monolithisch und homogen erscheinenden Gesamtphä-nomens „Widerstand“ war. Vielmehr ist „nationalkonservativer Widerstand“ als eine spezielle (von anderen zu unterscheidende) Erscheinungsform innerhalb der überaus vielfältigen und sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen traditioneller Führungseliten gegenüber dem Nationalsozialismus aufzufassen. Es geht also um die Entstehung und die Eigenart von oppositionellen Kräften aus den Reihen der das „Dritte Reich“ anfangs mittragenden traditionellen Führungseliten — vornehmlich Militär, Diplomatie und hohe Verwaltung.
Ein Typikum dieser nationalkonservativen Opposition lag fraglos darin, daß die in ihr sich zusammenfindenden Persönlichkeiten meist nicht von Anfang an gegen den Nationalsozialismus und gegen das Hitler-Regime Front gemacht haben, sondern daß sie zunächst, wenngleich in individuell unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichem inneren Engagement, sogar mit dem nationalsozialistischen Regime kooperiert hatten. Sie mußten erst einen mehr oder weniger langen Weg von der Kooperation zum Widerstand zurücklegen. General Beck schrieb zum Beispiel in einem Brief im Jahr 1933, der politische Umschwung jenes Jahres sei für ihn der erste große Lichtblick seit 1918 gewesen Knapp fünf Jahre später trat derselbe General aus Protest gegen Hitlers Kriegspolitik zurück und wurde dann zur Zentralfigur des deutschen Widerstandes gegen das „Dritte Reich“. Ausnahmen von dieser Art gruppentypischem Entwicklungsgang gab es natürlich auch. Ewald v. Kleist-Schmenzin wäre hier zu nennen, der aus religiös fundierter Überzeugung und aus seiner besonderen Auffassung von konservativer Haltung und Politik bereits von Anbeginn gegen Hitler und dessen Partei Stellung genommen hatte. Aber gerade Kleist war eben kein Nationalkonservativer, sondern ein dezidierter Altkonservativer
Dieser weitgehend aus der Kooperation, auch aus der Anpassung an das Regime sich heraus entwickelnde nationalkonservative Widerstand war ein sehr komplexes Phänomen. Jene in ihm zu findenden Repräsentanten traditioneller Führungsschichten wandelten sich in der Konfrontation mit dem Nationalsozialismus. Aus diesem Grunde ist auch vom Prozeßcharakter des Widerstandes gesprochen worden Wie ist nun diese spezifische Entwicklung von der Kooperation zur Konfrontation, zu Opposition und Widerstand zu erklären?
II.
Der historische Kontext, in dem die Entwicklung der nationalkonservativen Opposition gesehen werden muß, ist die „Entente“ zwischen einflußreichen Gruppen der traditionellen deutschen Machteliten und den Führern der NS-Massenbewegung Diese „Entente“ bildete 1933 die Grundlage für die politische Basis der HitlerRegierung. Die Formel von den „Zwei-Säulen“, auf denen das Regime beruhe — der Partei und der Armee —, war der propagandistische Ausdruck dieser Entente. Die Bündnispartner Hitlers aus den Reihen der traditionellen preußisch-deutschen Führungsschichten sahen in dem Übereinkommen mit der NS-Massenbewegung eine Möglichkeit, ihre durch den sozio-ökonomischen Wandel Und vor allem durch die politischen Veränderungen im Gefolge von Weltkrieg, Inflation und Wirtschaftskrise gefährdet erscheinende politische Machtbasis zu stabilisieren. Vor allem aber sahen sie in der Verbindung mit Hitler die Voraussetzungen für die Verwirklichung ihrer politischen Zielsetzung im Inneren und nach außen: innenpolitisch die Absicherung der insbesondere seit 1918 als bedroht empfundenen traditionellen Machtposition im Staat; außenpolitisch die Wiederherstellung einer deutschen Großmacht-position in Europa. Für die Militärelite umfaßte dies auch den militärpolitischen Aspekt — jene mit dem Euphemismus „Wehrhaftmachung der Nation“ umschriebene totale Mobilisierung der Gesellschaft, die im industriell-technischen Zeitalter als unumgängliche Voraussetzung nationaler Großmachtstellung angesehen wurde. Das implizierte natürlich ein militärisches und auch po-litisches Mitspracherecht der militärischen Führung, insbesondere des Generalstabs.
Aufgrund dieses historischen Zusammenhangs erhielt der Entente-Charakter der Koalition zusammen mit der zweifachen Zielsetzung eine entscheidende Funktion für die Entwicklung des Verhältnisses von traditionellen Führungseliten und dem NS-Regime. Die künftige Entwicklung dieses Verhältnisses wurde fortan im wesentlichen bestimmt von dem Grad der Erfüllung beziehungsweise der Enttäuschung jener Erwartungen, welche die Eliten an die Entente von 1933 geknüpft hatten. Konkret gesprochen hieß dies, daß dieses Verhältnis sich innenpolitisch entwikkelte nach dem Ausmaß der Verwirklichung beziehungsweise der Infragestellung einer mit-entscheidenden Machtposition im Staat und außen-politisch entsprechend der Gewährleistung, Durchsetzung oder Gefährdung der militärisch-machtpolitisch definierten Großmachtposition. Damit ist ein geeigneter interpretatorischer Raster gegeben, der eine hinreichend präzise historische Bestimmung des Phänomens „nationalkonservative Opposition“ ermöglicht. In der historischen Konkretisierung erscheint die national-konservative Opposition somit als eine bestimmte Komplementärerscheinung der Entente traditioneller Eliten mit Hitler und seiner Bewegung. Nationalkonservative Opposition war also ein differenziertes Konfliktphänomen im Rahmen dieser Entente.
Um dieses Konfliktphänomen in seiner ganzen Vielfalt angemessen analysieren und beschreiben sowie die Variationsbreite und die unterschiedlichen Reaktionen der nationalkonservativen Eliten in Konfliktlagen mit dem Nationalsozialismus verstehen zu können, müssen weitere analytische Fragestellungen angesetzt werden. Es wird zu fragen sein, erstens, welche der beiden wesentlichen Zielsetzungen den nationalkonservativen Eliten gefährdet erschienen: der Entente-Charakter des Regimes oder das Großmachtkonzept? Diese Fragestellung ermöglicht unter anderem, eine hinreichende Antwort auf das Problem zu finden, warum gewisse unmoralische Aspekte des Regimes anfangs nur moralische Bedenken und Mißbilligung in nationalkonservativen Kreisen hervorriefen, nicht aber Opposition; Gegenreaktionen hingegen wurden ausgelöst von Röhms Griff nach der bewaffneten Macht oder Hitlers riskanter Kriegspolitik oder der Intrige gegen Generaloberst v. Fritsch. Zweitens müßte gefragt werden, wie die nationalkonservativen Eliten gewisse Bedrohungsfaktoren gegen ihre Zielsetzungen perzipierten. Von wem ging in ihrer Sicht die jeweilige Bedrohung aus? Von Gruppen innerhalb der NS-Bewegung oder von Hitler selbst?
Mit der Beantwortung dieser Fragen ergibt sich die Möglichkeit, die ganze Variationsbreite nationalkonservativer Reaktionen in Konfliktlagen präzise zu erfassen und zu beschreiben: Also die Entwicklung etwa von defensiver Sicherung der eigenen Position über offensive Positionsstabilisierung (zum Beispiel „Säuberung des Regimes von , radikalen* Elementen“ oder deren Ausschaltung aus dem außenpolitischen Entscheidungsprozeß) bis zu systemdestabilisierenden Umsturz-planungen und -versuchen. Eine Analyse verschiedener Konfliktlagen — wie etwa die „Röhm-Affäre", die Blomberg-Fritsch-Krise und die Sudetenkrise — oder individueller Konflikt-komplexe — etwa Carl Goerdelers oder Frhr. v. Weizsäckers Verhältnis zum Regime — könnte damit aufzeigen, wie Eigenart und Qualität der jeweiligen Reaktionen entscheidend bestimmt waren von der subjektiven Lageeinschätzung, die mit den genannten zwei Fragen erfaßt werden kann.
Mit diesem analytischen Raster läßt sich ebenfalls der unterschiedliche Grad von Verhaltensweisen messen, was angesichts des Prozeßcharakters und der Inkohärenz des nationalkonservativen Widerstandes von großer Wichtigkeit ist; war doch zum Beispiel ein zeitweiliges Nebeneinander von Opposition und Kooperation mit dem Regime als häufig anzutreffendes Verhaltensmuster oder als Durchgangsstufe zu fundamentalem Widerstand typisch für die nationalkonservative Opposition.
III.
Drei große Krisen des Regimes spielten schließlich eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der nationalkonservativen Opposition. Da war zunächst die sogenannte Röhm-Affäre vom Juni 1934. Warum — so wird oft gefragt — haben die damaligen Morde an zwei Generalen und anderen konservativen Persönlichkeiten keine politisch bedeutsame Reaktion von Seiten der berufenen Repräsentanten des Offizierkorps hervorgerufen? Die Antwort ist im Rahmen des skizzierten Interpretationsmusters klar: Die Politik der SA-Führung unter Ernst Röhm war für die Reichswehrführung der erste gefährliche Angriff auf die innenpolitische Stellung der Armee in ihrer Eigenschaft als Monopolistin staatlicher Gewaltmittel wie auch in ihrer Qualität als einer der beiden konstitutiven „Säulen“ des Regimes. Die SA stellte mit ihren innen-und militär-politischen Aspirationen die Kooperation von 1933 in Frage. Hitler dagegen erwies sich trotz der „Liquidation“ einiger konservativer Persönlichkeiten scheinbar doch als loyaler Bündnispartner, der mit seinem Vorgehen gegen die SA-Führung das System der zwei „Säulen“ stabilisiert hatte. Die Passivität gegenüber den Morden, die Entscheidung für Hitler als Hindenburgs Nachfolger, der Eid der Reichswehr auf Hitler lassen sich auf diese Weise erklären, ganz abgesehen davon, daß die Armeeführung sich in die Vorbereitung der Mord-Affäre selbst erheblich verstrickt hatte. Nur für einige wenige Einzelpersönlichkeiten wurden die damaligen Ereignisse schon zum Beginn fortschreitender Desillusionierung bezüglich des politisch-moralischen Charakters des Systems Im Rückblick war die Affäre für diese Männer der erste Schritt auf dem Weg, der sie dann zur Opposition, zum Widerstand und schließlich zum 20. Juli führte.
Die zweite Krise war die Fritsch-Blomberg-Krise vom Frühjahr 1938: Sie war in mehrfacher Hinsicht ein entscheidender Markstein in der Entwicklung der nationalkonservativen Opposition.
Vor der Blomberg-Fritsch-Krise fanden auf zwei Ebenen Aktivitäten statt, die häufig von einer ausschließlich auf den Widerstandsaspekt fixierten Literatur als Manifestation entschlossenen Widerstandes angesprochen werden. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, daß sie alles andere als dies waren.
Einmal sind die Aktivitäten des von dem Major (später General) Oster im Rahmen der Abwehr aufgebauten, von Canaris geduldeten und geförderten innenpolitischen Informations-, und Nachrichtendienstes zu nennen. Er richtete sein Augenmerk vor allem auf die der Armee feindselig eingestellten Parteigliederungen (insbesondere SS und SD) und auf deren verbrecherische Machenschaften. Oster hatte die ihm durch die Abwehr gleichsam amtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zum Aufbau eines locker geknüpften inoffiziellen Netzwerkes benutzt und so einen recht effektiven Informationsapparat aufgebaut.
Er hielt Verbindung zu zahlreichen der Partei gegenüber kritisch eingestellten Persönlichkeiten aus dem konservativen Milieu (wie z. B. Gisevius, Schlabrendorff, Halem, Kleist-Schmenzin, Beppo Römer). Teilweise waren ihm diese aus gemeinsamen Freikorpszeiten bzw. aufgrund gesellschaftlicher oder dienstlicher Kontakte bekannt, sie waren für seine Zwecke ansprechbar und besaßen ihrerseits wiederum wertvolle Kontaktmöglichkeiten. Aber dies war keineswegs jene „bedeutsame Verflechtung und Weitläufigkeit der in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre beginnenden Verschwörung“ Von „Verschwörung“ im Sinne einer zielgerichtet auf Umsturz der Verhältnissse oder auf einen Staatsstreich abgestellten Konspiration kann nicht die Rede sein. Vielmehr bietet sich dem analytischen Blick eine Art von sehr lockerem „Old-Boy-Network“ ehemaliger Freikorpsler und Konservativer, ergänzt durch zufällige oder gesellschaftlich etablierte Verbindungen mit kritisch eingestellten Einzel-persönlichkeiten. Es bildete die Grundlage für Osters innenpolitisches Informations-und Kontakt-System, stellte aber zunächst keineswegs mehr dar.
Zudem hatten Fritsch und Beck sich ihrerseits um möglichst ungefilterte und umfassende In-und Auslands-Informationen bemüht. Ihnen persönlich verbundene Militärattaches wie Geyr v. Schweppenburg (London) oder Kühlenthal (Paris) sandten vielfältige Informationen außerhalb des normalen Dienstweges; außerdem dienten ihnen Personen aus ihrem weiteren privaten und dienstlichen Umfeld als Informationsquelle. Zu ihnen gehörte auch Goerdeler, der seit Sommer 1937 eine rege Auslandsreisetätigkeit entfaltete und dabei auch Kontakte zum Foreign Office knüpfte. Er ließ seine Berichte damals genauso an die beiden entscheidenden Männer in der Heeresleitung gelangen, wie er sie über den persönlichen Adjutanten Hitlers, Wiedemann, an den „Führer“ zu senden versuchte. Gegenüber seinen ausländischen Gesprächspartnern konnte Goerdeler jedoch, was immer er ihnen auch gesagt haben mag, nur seine private, persönliche Meinung darlegen. Keine irgendwie geartete Oppositionsgruppe stand hinter ihm; bestenfalls gab er die Stimmung in gewissen Kreisen des nationalkonservativen Milieus wieder.
Gerade diese Aktivitäten Goerdelers sind ein gutes Beispiel für die Vielschichtigkeit des soge-nannten Oppositionsphänomens: Einerseits war seine Berichterstattung für die Heeresführung ein Mittel zur besseren Eigeninformation in einem sonst ziemlich abgeschlossenen Informationssystem; andererseits war sie, von Goerdeler selbst aus gesehen, ein klassischer Fall eines systemimmanenten politischen Einwirkungsversuches von außerhalb des Staatsapparates her in die Sphäre der Entscheidungsträger hinein.
Diese beiden, den engeren dienstlichen Bereich teilweise überschreitenden Aktivitäten — Osters Aufbau eines Informationssystems und Fritschs und Becks weniger organisierte Informationsbemühungen — waren alles andere als Vorbereitungen zu einer oppositionellen Konspiration. Vielmehr waren sie zunächst schlicht und einfach Initiativen zum Ausgleich des für eine totalitäre Gesellschaft symptomatischen Informationsdefizits hoher Amtsträger. Daß derartige Initiativen gleichzeitig auch Ergebnisse brachten, die im Rahmen des systemimmanenten Machtkampfes um die Position der Armee im Staat wertvoll waren, liegt ebenso in der Sache selbst begründet wie die teilweise Verselbständigung der informativen Aktivitäten Goerdelers im Ausland und bei seinen Versuchen, Hitler zu informieren.
Die Blomberg-Fritsch-Krise im Januar 1938 bildet in mehrfacher Hinsicht einen entscheidenden Markstein in der Vorgeschichte der späteren Militäropposition. Zum einen wirkte die Krise gleichsam als Katalysator: Verschiedene bisher nur in lockerem Kontakt zueinander stehende Personen fanden nunmehr erstmals zu unmittelbaren und direkten Beziehungen zusammen. Eine genauere Analyse zeigt indessen, daß es sich dabei noch keineswegs um die Bildung einer Art einheitlicher, zusammenhängender Oppositionsgruppierung handelte, sondern um Aktivitäten und Zusammenarbeit auf sehr verschiedenen Ebenen mit durchaus unterschiedlichen Motiven, Zielsetzungen und Methoden, getragen von recht verschiedenen Personen und Personengruppen.
Erstens war der als Rechtsbeistand des Generalobersten von Fritsch tätige Rechtsanwalt v. d. Goltz mit einigen ihn tatkräftig unterstützenden Vertretern der Militärjustiz nicht nur bemüht, seinen Mandanten zu entlasten, sondern zugleich auch die Hintergründe der Affäre aufzuhellen. Oster gab mit seinem Apparat diesen im Kern zunächst unpolitischen, im Effekt gleichwohl politischen Bestrebungen wertvolle Hilfeleistung. Sodann gab es einige im wesentlichen unkoordinierte Aktivitäten einzelner außerhalb der Streitkräfte stehender Persönlichkeiten. Sie zielten darauf ab, hohe Militärs über die Hintergründe, die anfangs mehr erahnt als nachgewiesen werden konnten, zu orientieren in der Hoffnung, diese irgendwie zum Eingreifen veranlassen zu können. Allerdings wußte niemand von ihnen genau, wie, mit welchen Mitteln und letztlich zu welchem Ende dies eigentlich geschehen sollte. So wirkten Goerdeler, Gisevius, Schacht, auch der SA-Stabschef Lutze in diesem Sinne auf einige Kommandierende Generale und teilweise auch auf den Nachfolger Fritschs (v. Brauchitsch) ein.
Das waren aber völlig illusionäre Interventionen, soweit sie mehr bewirken sollten, als nur die Rehabilitierung des Generalobersten voranzutreiben. Das Gewicht der moralischen Motivation dieser Initiativen stand in umgekehrtem Verhältnis zu ihrem Realitätsbezug.
Des weiteren entwickelte Oster mit einigen Gesinnungsgenossen und Freunden aus der Abwehr und aus alten Freikorpstagen, zu denen als dynamische Kraft Dr. v. Dohnanyi, der Persönliche Referent des Reichsjustizministers, stieß, eine starke Aktivität. Ihr Ziel war ein doppeltes, nämlich sowohl die Urheberschaft von SS, SD und Gestapo bei der bösartigen Intrige gegen die oberste militärische Führung aufzudecken als auch eine Art außergewöhnlicher, gewaltsamer Selbsthilfeaktion der Armee gegen diese Organisationen in die Wege zu leiten. Auf diese Weise sollte jene Hauptgefahrenquelle für die Position der Armee im Staat beseitigt und eine Reform der innenpolitischen Verhältnisse im Sinne einer Wiederherstellung des Entente-Charakters des Regimes durchgesetzt werden, zu dem im Verständnis von Männern wie Oster auch ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit gehörte.
Schließlich wurden auf höchster militärischer Ebene der Generalstabschef Beck, der Chef der Abwehr Canaris und der soeben entlassene Chef-adjutant der Wehrmacht bei Hitler, Hoßbach, aktiv Sie wollten im Zusammenhang mit der Bereinigung des Falles Fritsch zugleich grundlegende Veränderungen durchsetzen, welche die Stellung der Streitkräfte im Staat wieder stabilisieren und dem Regime seinen ursprünglichen Charakter, wie sie ihn auffaßten, wiedergeben sollten. Beck bemühte sich damals um eine Reorganisation der obersten militärischen Führungsstruktur, durch welche die Heeresleitung in eine militärische Schlüsselposition gekommen wäre. Canaris und Hoßbach wiederum entwarfen einen Plan, der eine ultimative Intervention der Heeresführung bei Hitler vorsah mit dem Ziel, die SSund Gestapo-Führung zu entmachten und „die Befreiung der Wehrmacht von dem Alpdruck einer Tscheka“ zu erzwingen. Im Gegensatz zu den verschwörerischen, ein gewaltsames Vorgehen einkalkulierenden Überlegungen der Oster-Gisevius-Gruppe hielten sich die Initiativen und Pläne der drei hohen Militärs im Rahmen amtlicher Prozeduren, wenngleich sie teilweise durchaus von außergewöhnlicher Natur waren.
So wurden damals von sehr unterschiedlichen Kreisen sehr verschiedene Ziele mit jeweils unterschiedlichen Mitteln und Methoden angestrebt: Aktivitäten zur Entlastung des Generalobersten von Fritsch trafen zusammen mit Versuchen, SS, SD und Gestapo zu entlarven. Diese wiederum flossen teilweise mit dem Bemühen zusammen, jene nationalsozialistischen Organisationen ihrer Machtstellung zu entkleiden. Dies hätte zugleich die innenpolitische Position der Streitkräfte im Staat stabilisiert, vielleicht gar den Charakter des Regimes modifiziert, es aber nicht beseitigt. Gemeinsam war der Anlaß — die Rehabilitation des Generalobersten von Fritsch; gemeinsam war die Stoßrichtung gegen die SS und die von dieser gelenkten Gestapo und SD. Unterschiedlich aber waren Reichweite der Absichten, die Intensität des Wollens und das Ausmaß der Zielsetzung.
Unterschiedlich waren auch die Aktionsmöglichkeiten und die ins Auge gefaßten Methoden: Der Kreis um Oster und Gisevius wollte mit einer gewaltsamen Säuberungsaktion die innenpolitischen Verhältnisse modifizieren; sie wollten die SS — jene neue Kraft, welche die Entente von 1933 gefährdete — als Machtfaktor ausschalten.
In der Heeresleitung dagegen dachte man eher an eine mit mehr oder weniger gelindem Druck in die Wege geleitete, amtlich legitimierte Neuverteilung der Kompetenzen und an die Beschneidung von problematischem Wildwuchs im NS-Organisationsdschungel. Angestrebtes Ziel war nicht die Modifizierung des Regimes, sondern — neben der Rehabilitation von Fritsch — eine Machtverstärkung zugunsten der Armeeführung innerhalb des Systems.
Etwas schematisierend könnte man davon sprechen, daß es sich hier wiederum um einen systeminternen Machtkampf handelte, dem nunmehr Tendenzen sowohl zur evolutionären Regimereform wie zur gewaltsamen Regimesäuberung innewohnten. So brachte die Fritsch-Krise vor allem einen Höhepunkt im systemimmanenten innenpolitischen Machtkampf, keineswegs aber irgendeine, auch nur im Ansatz auf Systemumsturz abzielende Verschwörung. Weiterhin wurde entscheidend für die künftige Entwicklung, daß für manche der beteiligten Angehörigen der traditionellen Elitegruppen das Verhalten Hitlers keineswegs mehr so eindeutig war wie noch in der Röhm-Affäre. Vordergründig waren es wohl SS und Gestapo, die mit der Intrige gegen Frhr. v. Fritsch einen perfiden Schlag gegen die Armee als eine der tragenden Säulen der Entente von 1933 geführt hatten. Hitlers Verhalten indessen war zumindest undurchsichtig. Die von ihm schließlich durchgeführte personelle und organisatorische Bereinigung der Affäre ließen ihn nicht mehr zweifelsfrei als einen loyalen Bundesgenossen oder einen dem nationalkonservativen Entente-Partner gegenüber wohlwollenden Schiedsrichter erscheinen. Diese Einsicht stand hinter den Überlegungen Osters und anderer, Schritte zur inneren Säuberung zu unternehmen. Hinzu kommt ein weiteres wichtiges Moment, das für die künftige Entwicklung der national-konservativen Opposition entscheidend werden sollte: Für etliche der späteren entschiedenen Gegner des Regimes und Schlüsselfiguren des späteren Widerstandes (etwa Hans Oster, Henning von Tresckow, mit Einschränkung wohl auch Wilhelm Canaris) wurde das Erlebnis der Fritsch-Krise zum Beginn einer Wende, welche sie von der Stufe eines innenpolitischen Machtkampfes zu der Stufe grundlegender Opposition schreiten ließ.
Den nächsten Entwicklungsschub brachte sodann die dritte Krise, die Sudeten-Krise von April bis September 1938 Jetzt entstand eine Kräftegruppierung, die als Antikriegspartei bezeich-net werden kann. Ihre hervorragenden Vertreter waren damals auf militärischer Seite der Generalstabschef Ludwig Beck, dessen Stellvertreter und späterer Nachfolger General Halder sowie der Abwehrchef Admiral Canaris auf Seiten der Diplomatie waren es der Staatssekretär von Weizsäcker und eine kleine Gruppe von jüngeren Diplomaten Diese Antikriegspartei gewann dadurch eine besondere Dynamik, daß ihre Aktivitäten zur Kriegsverhinderung zusammenflossen mit Bestrebungen jenes akuten innenpolitischen Machtkampfes, von dem schon die Rede war. So waren es also drei Elemente —: die Kriegsverhinderungsbestrebungen sowie die den internen Machtkampf kennzeichnenden Tendenzen zur evolutionären Regimereform und zur gewaltsamen Regimesäuberung —, welche damals die Eigenart der nationalkonservativen Opposition ausmachten. Begriffe wie „Verschwörung“, „Konspiration“ oder „Anti-Hitler-Fronde“ sind daher angesichts der komplexen Struktur dieser Opposition viel zu unscharf. Zudem suggerieren sie die Vorstellung einer Homogenität, die nicht gegeben war.
Für die Aktionsmöglichkeiten der Antikriegspartei und ihre Erfolgchancen spielte ihre politische Motivation eine wesentliche Rolle. Die klassische Zielvorstellung der nationalkonservativen Eliten bestimmte auch ihr außenpolitisches Denken: Die Gewinnung einer hegemonialen Großmacht-position des Reiches in Mitteleuropa bzw. Abwendung einer jeglichen Gefährdung dieser Zielsetzung oder deren Voraussetzungen. Bezüglich der Realisierung dieser Zielsetzung schlossen sie den Einsatz militärischer Machtmittel nicht grundsätzlich aus. Allerdings dürfe ein militärischer Konflikt in Europa — war er schon nicht zu vermeiden — nie zu einem gesamteuropäischen Krieg führen. Begrenzte kriegerische Konflikte waren also aus diesem Konzept nicht grundsätzlich ausgeklammert, wenngleich auch nicht zwangsläufig eingeplant.
Diese Zielsetzung und diese außenpolitischen Methoden brachte die genannten Vertreter der Antikriegspartei allerdings bald in eine ausweg-lose Lage, als nämlich Hitler in der Sudetenfrage Ziele anzustreben begann, die auch sie akzeptierten, jedoch mit Mitteln und unter Umständen, die ihnen unannehmbar erschienen. Eindrucksvoll wird dies bei General Beck und bei Staatssekretär von Weizsäcker deutlich: Für Beck war die Verfügbarkeit überlegener deutscher militärischer Macht eine absolute Voraussetzung zum Erreichen der außenpolitischen Zielsetzung Dementsprechend war die von ihm konzipierte und durchgesetzte Militärpolitik auch angelegt, deren Kernstück die massive, beschleunigte und vor allem einseitige, international vertraglich nicht abgesicherte deutsche Aufrüstung war. Ungeachtet aller außenpolitischen, finanziellen und wirtschaftlichen Bedenken trieb er sie ungestüm voran. Dahinter stand das Kalkül, möglichst rasch durch die mit dieser Art von Aufrüstung gegebene Risikophase hindurchzukommen und so stark zu werden, daß ein möglicher Konflikt im Verfolg deutscher Großmachtpolitik rasch beendet und dritte Mächte möglichst von einem Eingreifen abgehalten würden.
Mit dieser Militärpolitik geriet der Generalstabschef ab Ende 1937 in eine schwierige Lage. In der bekannten Besprechung vom 5. November 1937 in der Reichskanzlei begründete Hitler seine geplante kriegerische Expansionspolitik unter anderem auch mit dem Zeitdruck, in den man durch den von der deutschen Aufrüstung ausgelösten Rüstungswettlauf hineingeraten sei. Daß Hitler derart argumentieren konnte, war nicht zuletzt das Ergebnis der Militärpolitik der Heeresführung. Der General kritisierte daher in seinem Memorandum vom 12. November 1937 — seiner Antwort auf Hitlers Ausführungen vom 5. November — auch nicht des Diktators unmittelbare Zielsetzung. Mit ihr stimmte er prinzipiell überein: verschiedene Gründe, so schrieb er, sprächen durchaus für eine baldige gewaltsame Lösung der tschechischen Frage. Im übrigen sei auch die Tschechoslowakei „in ihrer jetzigen Gestalt“ für Deutschland „unerträglich“. Er stimmte allerdings nicht mit dem von Hitler ins Auge gefaßten Zeitpunkt und nicht in der Frage der außenpolitischen Opportunität überein. Es war also damals noch kein prinzipieller Konflikt über das „Ob“, sondern eher ein grundsätzliche Dimensionen annehmender Konflikt, der über das „Wie“ und „Wann“ ausbrach.
Staatssekretär von Weizsäcker sah ebenfalls in der Neubegründung deutscher hegemonialer Großmachtstellung in Mitteleuropa das Ziel deutscher Außenpolitik. Ende 1937/Anfang 1938 sprach er davon, daß „wir von England Kolonien und freie Hand im Osten“ wollen. Er war sich zwar klar, daß „die Verwirklichung unserer expansiven Ideen englische Toleranz verlange“, hielt aber einen Ausgleich mit den Briten noch nicht für unmöglich Auf keinen Fall dürfe es jedoch wegen der deutschen Ambitionen zu einem europäischen Krieg kommen. Zwar bejahte er die machtpolitische Ausschaltung der Tschechoslowakei als außenpolitische Zielsetzung, aber spätestens seit Frühjahr 1938 war ihm klar, daß die Lokalisierung eines deutsch-tschechoslowakischen Krieges nicht möglich sein werde. Für General Beck wurde die berühmte Wochenendkrise von Ende Mai 1938 zum entscheidenden Wendepunkt, als die Tschechoslowakei in Fehleinschätzung deutscher Aktivitäten mobil-machte, London und Paris die Deutschen vor aggressiven Taten warnten und Hitler sich in den Augen der Weltöffentlichkeit bloßgestellt glaubte. Bis zum Frühjahr 1938 hatte er die militärische Planung gegen die CSR in der Annahme vorangetrieben, es sei frühestens ab 1940 bis 1943 mit einer militärischen Intervention gegen die CSR zu rechnen, wenn nämlich die deutsche Aufrüstung beendet sei. Nun traf es ihn wie ein Schock, als Hitler in Reaktion auf die Wochenendkrise nicht nur von einem kriegerischen Konflikt mit der CSR, sondern unter Umständen auch mit den Westmächten schon für 1938 sprach. Damit brachen für Beck nahezu alle Voraussetzungen seiner Militärpolitik zusammen. Seit Ende Mai — so bekannte er im November desselben Jahres gegenüber einem Vertrauten — habe er nur noch einen Gedanken gehabt: „Wie verhindere ich einen Krieg“ Auch für Canaris und Halder war die Mai-Krise der entscheidende Zeitpunkt ihrer Desillusionierung hinsichtlich des außenpolitischen Vabanque-Spiels Hitlers.
Weizsäcker reagierte etwas anders auf die Ereignisse von Ende Mai. Er entwickelte angesichts der sich zuspitzenden internationalen Krise ein eigenes Konzept, das die Aufhebung der Tschechoslowakei als Staat von machtpolitischem Gewicht in Europa mit der Vermeidung eines europäischen Krieges zu verbinden suchte. Er beschrieb dieses Konzept mit dem bildhaften Begriff „chemischer Auflösungsprozeß“, also Desintegration der CSR durch äußeren Druck unterhalb der Schwelle des Krieges und durch innere Subversion. Dies blieb während der gesamten internationalen Krise die Leitlinie seiner Politik.
Beck hatte bereits Ende Mai Hitlers Kriegspolitik erkannt, Weizsäcker jedoch erging sich den ganzen Juni und Juli über noch in „ständigem Rätselraten über die wirklichen Absichten Hitlers“ Er glaubte einerseits an eine großangelegte Bluffstrategie Hitlers, um die Tschechen mürbe zu machen, andererseits gewann er allmählich den Eindruck, daß es der Reichsaußenminister v. Ribbentrop sei, der zum Kriege drängte, und nicht Hitler selbst. Seit Anfang August versuchte er daher, am Reichsaußenminister vorbei auf Hitler einzuwirken, um diesen von riskanten Entschlüssen abzubringen
Die Sorge, daß eine allzu aggressive deutsche Politik zum unrechten Moment das Risiko eines nicht zu isolierenden Krieges um die Tschechoslowakei herbeiführe, solange die deutsche Rüstung unvollständig und die außenpolitische Absicherung nicht erfolgt war, ließ diese Männer zu entschiedenen Gegnern einer bedenkenlosen Machtpolitik werden, deren Voraussetzungen sie indessen zu einem erheblichen Teil mitgeschaffen hatten und deren Ziele auch noch die ihren waren. Die nationalkonservative Opposition — wie sie damals die Antikriegspartei verkörperte — stellte also zu jener Zeit noch keine System-Alternative dar, sondern eine über Differenzen hinsichtlich der Opportunität, Methoden und Risikofaktoren deutscher Machtpolitik sich herausbildende systemimmanente Opposition hoher staatlicher Amtsträger, die eine alternative Außenpolitik durchzusetzen sich bemühten.
Dabei kam es zum Konflikt zwischen dem Generalstabschef und dem „Führer“, in dessen Verlauf sich ein weiterer qualitativer Entwicklungsgang abzeichnete. Der Konflikt, der damals zwischen Hitler und Ludwig Beck aufbrach und in dem Halder und Canaris Beck zur Seite standen und auch Weizsäcker mit ihm Fühlung hielt, ist häufig beschrieben worden. Ihn jedoch als ersten Staatsstreichversuch darzustellen, greift gewiß fehl; die Quellen erlauben keineswegs eine solch weitgehende Interpretation. Ihn aber auch lediglich als „Kampf gegen den Krieg“ zu bezeichnen, ist eine unzutreffende Verkürzung, da sie seinen Charakter als innenpolitischen Machtkampf verkennt und vor allem die geschilderte militärpolitische Tiefendimension übersieht Gegen eine eindimensionale Betrachtung, die bei der Interpretation der Sachzusammenhänge vorschnell und ausschließlich nur den Widerstands-aspekt sieht und daher in jedem Konflikt sogleich eine gegen die Grundlagen des Regimes zielende Widerstandshandlung erkennen möchte, sind diese drei wesentlichen Komponenten hervorzuheben, welche damals die Aktivitäten des Generalstabschefs bestimmten: der Kampf gegen den Krieg, der innenpolitische Kampf und die militärpolitische Dimension. Jede einseitige Hervorhebung nur einer dieser drei Komponenten wäre eine unzulässige, weil unzutreffende Verkürzung eines sehr komplexen Ereigniszusammenhanges. Becks Aktivitäten und Planungen waren damals der massivste Ausdruck der Bestrebungen jener Antikriegspartei hoher Amtsträger im Rahmen der Auseinandersetzung antagonistischer Machteliten. Ihre Schärfe und ihren grundsätzlichen Charakter nahm diese Auseinandersetzung für Beck nicht dadurch an, daß sie etwa systemzerstörende Zielsetzungen besaß — dies war noch nicht der Fall —, sondern — in Becks Sicht — aus zwei Gründen: Einmal, weil ein Krieg gegen die CSR zum damaligen Zeitpunkt seiner Meinung nach nicht zu isolieren war und daher das von ihm beschworene finis Germaniae hätte, die -bedeutet und zweitens, weil leichtfer tige Art der Entschlußfassung und Entscheidungsfindung des Diktators — noch dazu unter Ausschaltung der zuständigen militärischen Führung — angesichts dessen, was auf dem Spiel stand, in Becks Augen einfach unmoralisch war.
Becks Bemühungen im Sommer 1938 entwickelten sich, methodisch gesehen, in drei Stufen: Zunächst versuchte der Generalstabschef vergeblich, auf dem Wege normaler dienstlicher Einwirkungen (Denkschriften und Vorträge) über den Oberbefehlshaber des Heeres auf Hitler einzuwirken, um ihn von seinen kriegerischen Plänen abzubringen. Auf einer zweiten Stufe, auf der offenbar Canaris einen wichtigen Einfluß auf den Generalstabschef ausübte, erwog Beck ungewöhnliche Maßnahmen: Durch den kollektiven Rücktritt der höchsten Generale sollte massiver Druck auf Hitler ausgeübt werden, damit dieser von seinen Kriegsplänen Abstand nehme. Die Formulierung dieser Kollektivrücktrittsdrohung könne — so schrieb er — „nicht eindrucksvoll, hart und brutal genug“ sein. Drittens nahm er einen während der Fritsch-Krise von Canaris und Hoßbach erarbeiteten Plan in modifizierter Form wieder auf: Er faßte eine Aktion des Militärs gegen jene vermeintlich „radikalen Kräfte“ der NS-Bewegung ins Auge, die er und andere Mitglieder der Militärelite hinter Hitlers Kriegsabsichten am Werk sahen. Die durch die Kollektivrücktrittsdrohung der Generalität wahrscheinlich entstehenden Spannungen sollten zu einer „innerpolitischen Flurbereinigung“ benutzt werden, zur Entmachtung jener „radikalen Kräfte“ innerhalb des Systems, die in ihren Augen für das außenpolitische Vabanquespiel mitverantwortlich waren und die sich schon früher als Gegner der Armee demaskiert hatten. So flossen in diesen Vorschlägen der Kampf gegen den Krieg zusammen mit dem langjährigen Machtkampf um die Bewahrung bzw. Wiederherstellung des Entente-Charakters des Regimes.
Damit ging Beck immerhin einen Schritt weiter als Weizsäcker, dessen Einwirkungsversuchen auch engere institutionelle Grenzen gesetzt waren. Beiden bleib indessen damals noch der Weg in eine gegen das Regime selbst sich richtende Fundamentalopposition versperrt: Beck, weil er sich zwar gegen den von ihm so gefürchteten Krieg wandte, aber trotz aller Überlegungen hinsichtlich einer gewaltsamen Säuberungsaktion doch grundsätzlich noch im Rahmen des — zu reformierenden — Regimes handeln wollte;
Weizsäcker wiederum, weil er nicht nur das Ziel — die machtpolitische Ausschaltung der CSR — ebenso wie Beck bejahte, sondern weil er lange Zeit in Verkennung der wahren Absichten Hitlers immer noch glaubte, dieser betreibe lediglich eine — allerdings waghalsige — Bluff-Politik Letztlich scheiterten all diese Aktivitäten, und das hatte vielschichtige Ursachen.
Beck und Canaris vermochten es nicht, den Oberbefehlshaber des Heeres und die führende Heeresgeneralität davon zu überzeugen, daß der von Hitler intendierte militärische Konflikt nicht zu isolieren sei, daß die Westmächte unweigerlich eingreifen würden. Vom rein militärisch-professionellen Standpunkt aus vermochte Beck nämlich keine überzeugenden Beweise für die Richtigkeit dieser Prognose und damit für die Richtigkeit der Prämissen des vorgeschlagenen Handelns vorzulegen. Außerdem — rein militärisch gesehen — schien ein isolierter Krieg gegen die CSR durchaus chancenreich zu sein. Becks Aufrüstungs-und Militärpolitik hatte also höchst ambivalente Ergebnisse gebracht Staatssekretär v. Weizsäcker stand ebenfalls vor einem Dilemma: Sein eigener Vorgesetzter, der Reichsau-ßenminister, war in seinen Augen einer der entscheidendsten Kriegstreiber. Ihn mußte er daran hindern, Hitler in einer Politik des Kriegsrisikos zu bestärken; gleichzeitig mußte er auf den „Führer“ selbst im Sinne des eigenen politischen Konzeptes einzuwirken versuchen. Hier aber lag ein weiteres Problem. Seinen Einwirkungsversuchen waren nämlich Grenzen gesetzt; einerseits war er nicht in der Lage, seine allgemeine außenpolitische Zielsetzung zur Disposition zu stellen; andererseits ging es auch im Bereich der Diplomatie letztlich um schwer beweisbare Fragen der Lageeinschätzung und der daraus zu ziehenden Konsequenzen. Weizsäckers Auffassung, Hitler betreibe eine großangelegte Bluff-Politik, ist Ausdruck seines Versuches, dieses Problem rational zu bewältigen.
An diesem Punkt der Analyse wird im übrigen die funktionale Bedeutung der bekannten, von Canaris, von dem Kreis um Oster und von v. Weizsäcker initiierten Missionen verschiedener Emissäre und anderer diskreter Interventionen deutlich, die alle unter einer Zwecksetzung standen: Sie sollten die Richtigkeit jener entscheidenden Prämissen der Kriegsverhinderungspolitik bestätigen, nämlich daß die Westmächte im Falle eines deutschen Angriffs auf die CSR mit absoluter Sicherheit eingreifen würden. Das war die Funktion, die den Missionen von Kleist-Schmenzin (18. bis 24. August 1938), den Brüdern Kordt (Erich K. durch Einwirkung auf Brauchitsch, Theo K. in London, zwischen dem 23. August und 7. September 1938, wobei Kordt noch einige Überlegungen eigenmächtig einbrachte) und jener C. J. Burckhardts (Ende August und Anfang September 1938) zugedacht war. Canaris versuchte außerdem, eine negative Stellungnahme der wichtigsten deutschen Verbündeten zur Kriegspolitik Hitlers zu provozieren (Mission Groscurth in Budapest am 22. August und Canaris’ eigene Demarchen bei dem italienischen Generalstabschef Pariani vom 2. September 1938). Weizsäcker holte überdies ein gemeinsames Votum der wichtigsten deutschen Botschafter ein über die Unmöglichkeit, einen deutsch-tschechischen Konflikt zu isolieren
Festzuhalten ist also, daß im Augenblick der beginnenden Zuspitzung der Sudeten-Krise unter hohen staatlichen Amtsträgern eine Antikriegspartei entstand, die einen ihrer Ansicht zur Zeit nicht isolierbaren Konflikt vermeiden wollte, die jedoch die Zielsetzung deutscher Großmachtpolitik — in diesem Falle die Zerstörung der CSR — durchaus bejahte und auch die Anwendung militärischer Machtmittel (Beck), politisch-militärisehen Drucks (Weizsäcker) oder gezielter Subversionsmaßnahmen (Canaris) keineswegs grundsätzlich ablehnte. Sie wandte sich jedoch aus Risikokalkül gegen eine militärische Lösung des Konfliktes zum damaligen Zeitpunkt. Auf einer tieferen Ebene war diese Antikriegspolitik hoher Staatsfunktionäre zugleich auch der Versuch, die Konsequenzen einer machtpolitisch bestimmten deutschen Großmachtpolitik zu bewältigen. Des-weiteren war die Antikriegspolitik verknüpft mit einem innenpolitischen Machtkampf, in dem es darum ging, die Position traditioneller Führungseliten innerhalb des Regimes und des außenpolitischen Entscheidungsprozesses wieder zu stabilisieren.
Von dieser Kerngruppe der Antikriegspartei ist jener Kreis von Persönlichkeiten zu unterscheiden, die von der Antikriegspartei für Hilfsfunktionen — etwa den schon genannten GeheimMissionen — aktiviert wurden. Es waren regimekritische Persönlichkeiten des konservativen Milieus wie Kleist-Schmenzin oder Männer, die auf mittlerer Ebene im militärischen oder diplomatischen Apparat angesiedelt waren wie Major Groscurth oder die Gebrüder Kordt, oder aber Inhaber hoher politischer Ämter, die sich eine eigene kritische Meinung bewahrt hatten wie Schacht. Häufig haben sie eher ihre eigenen, bisweilen eigenwilligen Vorstellungen bei den ihnen übertragenen Missionen dargestellt als die Ansichten ihrer Auftraggeber. Das hat dazu beigetragen, das Bild der deutschen Opposition in bestimmten Kreisen des Auslandes eher zu verzerren als zu verdeutlichen. Indessen blieben sie immer nur Hilfsorgane der Antikriegspartei, selber besaßen sie kein oppositionelles Eigengewicht.
Es gab aber auch einige nationalkonservative Oppositionelle, die damals auf eigene Faust politische Initiativen entwickelten wie etwa der Journalist und Rittmeister a. D. v. Koerber, der konspirative Gespräche mit dem britischen Militärattache führte, oder der ehemalige Oberbürgermeister Carl Goerdeler auf seinen häufigen Auslandsreisen in westliche Hauptstädte. Sie bezeichneten sich zwar als „Angehörige der deutschen Opposition“, aber das waren sie nur in einem sehr vagen Sinn. Bestenfalls gaben sie eine gewisse Stimmungstendenz in natiorialkonservativen Kreisen wieder. Keineswegs waren sie mittel-oder unmittelbar einbezogen in die Aktivitäten der Beck-Canaris-Weizsäcker-Gruppe. Daher sind diese privaten Auslandskontakte, die oft pauschal „der Opposition“ zugeschrieben werden, säuberlich zu unterscheiden von den konspirativen Kontakten der Antikriegspartei. Und diese wiederum müssen genau abgegrenzt werden von den Aktivitäten, welche damals Teil des offi-ziellen und halboffiziellen deutsch-britischen Dialoges waren wie etwa die Kontakte des Hitler-Adjutanten Wiedemann, des Diplomaten Hewel und auch bisweilen Weizsäckers, bei dessen Initiativen die Trennlinie zwischen amtlichem Handeln und eigenen politischen Akzentsetzungen bisweilen schwer zu erkennen ist. Derartige analytische Unterscheidungen sind wichtig, um Vorstellungen zu begegnen, welche dem Begriff „Opposition“ für die damalige Zeit eine Kohärenz und Einheitlichkeit unterlegen, die mitnichten der Realität entsprachen
Becks letztlich noch system-immanenter Oppositionsansatz wurde im Laufe der zweiten August-hälfte von General Halder im Prinzip aufgegeben. Dieser, zuvor Becks Stellvertreter, dann ab 1. September 1938 sein Nachfolger, plante nunmehr schlichtweg den Staatsstreich Dazu zog er die oppositionelle Gruppe um Oster und Gisevius heran und erhielt die Unterstützung von Canaris. So begann eine neue Phase der Entwicklung: Die Antikriegspartei hatte mit der Idee eines Staatsstreiches eine neue Handlungsdimension entwickelt. Kennzeichen dieser Phase war es, daß einerseits die konspirative Staatsstreich-planung und andererseits politische und geheimdienstliche Aktivitäten im In-und Ausland — bisweilen wenig koordiniert — nebeneinander herliefen. So wurden die schon zu Becks Zeiten begonnenen Geheimkontakte mit London, vor allem Initiativen Weizsäckers und Canaris’, aber auch Halders (Mission Böhm-Tettelbach) ebenso fortgesetzt wie die Bemühungen, hohe Amtsträger wie Keitel und Brauchitsch für Einwirkungen auf Hitler im Sinne einer Kriegsverhinderung zu gewinnen. Gleichzeitig aber begann der Oster-Gisevius-Kreis im Auftrage Halders mit den technischen Vorbereitungen einer Staatsstreichaktion.
Im Gegensatz zu Becks Amtszeit war nunmehr aus den Kontakten zwischen den Repräsentanten der Kriegsverhinderungspolitik in hohen Ämtern und aktivistischen Elementen in untergeordneten Stellungen eine konspirative Aktionsverbindung geworden. Jetzt kann erstmals von einer direkt gegen die Führung des Regimes gerichteten Aktivität nationalkonservativer Kräfte die Rede sein, die man mit dem Begriff „Fundamentalopposition“ oder „Widerstand“ bezeichnen könnte. Dabei ist jedoch nachdrücklich auf die Mehrschichtigkeit des Phänomens zu verweisen. Diese Opposition war nämlich von prinzipiellen Divergenzen in ihren Motiven und Zielsetzungen gekennzeichnet: Für Halder und Canaris sollte der Staatsstreich die letzte und verzweifelte Möglichkeit zur Kriegsverhinderung sein. Der Gedanke an einen eventuell notwendigen Staatsstreich von Seiten der Antikriegspartei indessen stellte noch keine prinzipielle Aufkündigung und Ablehnung der Entente von 1933 dar, sondern eher eine bedingte und mit dem Vorbehalt gemachte, nicht zur Systemdestabilisierung zu schreiten, wenn die durch Hitlers Kriegspolitik verursachte Gefährdung der deutschen Machtstellung abgewendet würde. Für den Oster-Gisevius-Kreis (wie übrigens auch für die Brüder Kordt im Auswärtigen Amt) dagegen war er das eigentlich anzustrebende Ziel, das — wie sie meinten — aus Anlaß eines unmittelbar drohenden Kriegsausbruches am besten erreicht wäre.
Diese Gruppe, die bereits seit einiger Zeit nach einer Plattform für einen Coup d’Etat gesucht hatte, begann daher Umsturzvorbereitungen mit sehr viel weitergehenden Absichten, als sie Halder im Sinne hatte. Zugespitzt kann man von der Existenz einer „Verschwörung innerhalb der Ver-, schwörung“ (F. W. Heinz) sprechen. Mehr noch: Planten Oster und Gisevius im Zusammenwirken mit General v. Witzleben, Hitler im Rahmen eines Staatsstreiches zu verhaften, so beschlossen die meist dem Freikorps-Milieu entstammenden Führer des für die Durchführung der Aktion gegen Hitler vorgesehenen Kommandos (F. W. Heinz und Liedig) in selbständiger Ausweitung ihres Auftrages, den Diktator sofort zu töten. Die Radikalität des Wollens dieser kleinen Gruppe von Männern in relativ untergeordneten Positionen beruhte erstens offenkundig auf einer größeren Desillusionierung hinsichtlich des Systems, einer Desillusionierung, zu der sehr wesentlich — wie es scheint — eine starke, spätestens seit der Fritsch-Affäre aufgebrochene moralische Betroffenheit beigetragen hatte. Zweitens spielte aber auch ein generationsspezifischer Erlebnis-und Erfahrungshintergrund eine Rolle: Hier standen einstige Stoßtruppoffiziere der Materialschlachten des Ersten Weltkrieges und in den Nachkriegswirren „erprobte“ Freikorpskämpfer den nun in hohen Ämtern konspirierenden ehemaligen Generalstäblern des Weltkrieges und der Seeckt-Ära gegenüber. Aus diesem Generationsunterschied und der stärkeren moralischen Betroffenheit erklärt sich vielleicht die größere Radikalität der Attentatsgruppe. Es hatte sich also innerhalb der Konspiration eine fatale Mehrgleisigkeit entwickelt: Sehr schematisch kann man eine Kriegsverhinderungsgruppe, eine Umsturzgruppe und eine Attentatsgruppe unterscheiden. Wenn also hier von einer „Opposition“ gesprochen wird, dann nur im Sinne einer grob-schnittigen Pauschalbezeichnung für drei kooperierende, wiewohl in Zielsetzung und Methoden divergierende Gruppierungen.
Diese Divergenz der Motive und Zielsetzungen war auch die Ursache dafür, daß mit der Einigung der Großmächte auf der Konferenz von München die so heterogene „September-Verschwörung“ auseinanderbrach, nachdem Halder noch kurz zuvor auf dem Höhepunkt der Krise während der Verhandlungen zwischen Hitler und dem britischen Premierminister in Bad Godesberg die unmittelbaren Staatsstreichvorbereitungen hatte anlaufen lassen. Mit der Münchner Konferenz aber war für die Repräsentanten der Antikriegspartei das eigentliche Ziel, die Kriegs-verhinderung, erreicht — ohne ihr Zutun und ohne Staatsstreich. Die kleine Umsturzgruppe dagegen sah sich durch die britische Politik, die zur Konferenz von München führte, der entscheidenden Aktionsvoraussetzung für einen Staatsstreich — eine spektakuläre diplomatische Niederlage Hitlers oder eine britische Kriegserklärung — beraubt. Sie fühlte sich gleichsam durch Chamberlains geglückte Friedensinitiative um die Chance zum Systemumsturz betrogen. „Chamberlain hat Hitler gerettet“ — so meinten auch die am Rande der Septemberverschwörung stehenden Goerdeler und Hassell Letztlich hatten sich in der damaligen Konspiration allzu verschiedenartige Kräfte versammelt; ihnen fehlte noch eine gemeinsame politische Grundlage und ihre Zielsetzungen waren zu unterschiedlich.
Zwischen „München“ und Kriegsausbruch 1939 zerfiel daher die Zusammenarbeit von Anti-Kriegs-Partei und Umsturzgruppe. Es kam im Sommer 1939 während der polnischen Krise nur zu vergeblichen systemimmanenten Kriegsverhinderungsaktivitäten hoher Militärs und Diplomaten — im Grunde wiederum der Versuch, eine alternative Außenpolitik innerhalb des Systems durchzusetzen Hier wirkte einerseits der Schock von „München“ nach, aber auch die Unsicherheit darüber, ob Hitler wirklich den großen Krieg auszulösen bereit sei oder nicht doch schließlich wieder — wie im Herbst 1938 — einlenkte. Zudem glaubte man, daß der Pakt mit Stalin — komme es doch zum Konflikt — den befürchteten Zweifrontenkrieg verhindern könnte.