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Frühe Weichenstellungen im Wirtschaftsparlament der Bizone | APuZ 49/1986 | bpb.de

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APuZ 49/1986 Frühe Weichenstellungen im Wirtschaftsparlament der Bizone Ein deutsches Entwicklungsmodell? Zur Rolle des Marshallplans beim Wiederaufstieg der westdeutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg Sozialökonomische Weichenstellungen: Sozialisierung und Mitbestimmung Westkurs und innenpolitische Stabilisierung der Bundesrepublik Deutschland Die westdeutsche Nachkriegsgeschichte in Lehrplänen und Schulbüchern. Zur Rezeption der Forschung, aufgezeigt an ausgewählten Beispielen Aspekte der Diskussion in der Sektion

Frühe Weichenstellungen im Wirtschaftsparlament der Bizone

Uwe Uffelmann

/ 12 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Dem Forschungsstand zu Aspekten der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (Bizone) und den wichtigsten im Frankfurter Wirtschaftsrat vollzogenen Weichenstellungen werden entsprechende Befunde in ausgewählten Schulbüchern und Lehrplänen gegenübergestellt, um die Fragestellung für die Sektionsarbeit zu entwickeln, an der Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Schule beteiligt sind.

Ein Problemaufriß zum Verhältnis von Forschungsstand und Lehrplan-/Schulbuchstandard

Die Beiträge dieses Heftes sind — bis auf den letzten — in der Sektion 5 des 36. Deutschen Historikertages in Trier am 9. Oktober 1986 vorgetragen und diskutiert worden. Am Schluß steht der Versuch einer Ertragssicherung der Diskussion. Anliegen der Sektion und der Publikation ist es, eine Bestandsaufnahme neuer fachwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Nachkriegsgeschichte mit dem derzeitigen Lehrplan-und Schulbuchstandard zu vergleichen. „Fachdidaktische Rezeption“ bezieht sich damit auf die Lehrpläne und Schulbücher, umfaßt also nicht den gesamten Bereich der Rezeption in der didaktischen Literatur, z. B. in Unterrichtsmodellen etc.

Im folgenden soll es weder um destruktive Lehrplan-und Schulbuchschelte, noch um politische Akzentuierungen in der einen oder anderen Richtung gehen. Unter dem wichtigen Erziehungsziel, den Schüler zu einer kritischen Loyalität gegenüber dem eigenen Gemeinwesen zu befähigen und zu motivieren, ist es in nicht zu großen Abständen unerläßlich, die aus Erforschungsgründen notwendigerweise noch nicht genügend gesicherten Aussagen über Entstehung und Anfänge der Bundesrepublik Deutschland in den schulischen Medien auf ihre Gültigkeit hin zu befragen und sie unter Berücksichtigung der Bedingungen der Vermittlung in der Schule gegebenenfalls zu modifizieren oder zu revidieren. Lehrplan-und Schulbuchkommissionen werden auf diese Weise Hilfen angeboten, mit denen sie sich auseinandersetzen können. Diesem Zweck diente die Sektion, indem sie auf dem vom Historiker-und Geschichtslehrerverband gemeinsam ausgerichteten Kongreß das direkte Gespräch zwischen Fachwissenschaftlern, Fachdidaktikern und Lehrern ermöglichte. Und diesem Zweck dient auch die Publikation, indem sie dieses Gespräch einer breiteren Öffentlichkeit mitteilt.

In dieser Einführung wird der Problemhorizont beschrieben, in dem die 5. Sektion angesiedelt war. Dazu wird ein sehr begrenzter Ausschnitt gewählt, der inhaltlich zwar unzureichend ist, methodisch von der Absicht des Unternehmens her aber gerechtfertigt sein dürfte. Alternativ hätte sich angeboten, mit Hilfe mehrerer Stichpunkte das generelle Problem von Interaktionen, Hand-lungsspielräumen und Optionen zu erörtern. Die damit erreichten Vorteile größerer Breite hätten gegenüber dem gewählten Weg allerdings den Nachteil geringerer Konkretheit gehabt. Zum anderen wird die größere Breite durch die nachfolgenden Beiträge von W. Abeishauser, H. Lademacher und C. Kießmann erreicht.

I.

Im Zuge der durch die Öffnung der Archive intensivierten Erforschung der Nachkriegszeit seit Mitte der siebziger Jahre wird eine Institution zunehmend beachtet und in ihrer Bedeutung für die Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland neu eingeschätzt, die man bis dahin mehr als eines unter anderen vorbundesrepublikanischen Provisorien zur Kenntnis genommen hatte: der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, also der Bizone, von 1947 bis 1949. 1977 gaben das Institut für Zeitgeschichte und der Deutsche Bundestag die Akten des Wirtschaftsrates heraus; für die Erforschung stehen besonders die Namen Gerold Ambrosius (1977), Georg Müller (1982) sowie Wolfgang Benz (1983 und 1984).

Ich habe im Herbst 1984 in didaktischer Absicht eine Akzentuierung der wichtigsten Weichenstellungen für die Bundesrepublik Deutschland, die sich zwischen 1947 und 1949 im Wirtschaftsrat vollzogen, versucht

Man wird die Bedeutung des Frankfurter Wirtschaftsrates, dessen Mitglieder von den Landtagen der Länder gewählt wurden, nicht verfehlen, wenn man ihn mit Wolfgang Benz als „Keimzelle und Präfiguration der Bundesrepublik mit einem fast vollständig ausgebildeten politischen For-menkanon, wie er in Bonn verbindlich wurde“, sieht und darin, daß in der Ära des bizonalen Interregnums — so der Buchtitel Tilman Pünders — „von den Zeitgenossen meist unbemerkt viele Weichen endgültig gestellt“ wurden. Die Leistungen des Wirtschaftsrates wurden nicht zuletzt dadurch verdeckt, daß er an der Erarbeitung des Grundgesetzes überhaupt nicht beteiligt war Wohl ist ein Umstand richtig, der noch heute zur Unterschätzung des Wirtschaftsrates beiträgt, nämlich, daß sich die Anfangsphase des bizonalen Gremiums außerordentlich schwierig und wenig effektiv gestaltete, zumal die Kompetenzen äußerst gering und die Aufsicht durch die Besatzungsmächte sehr stark waren. Doch dann kam der Apparat mehr in Gang: „Gegen Ende der Bizonen-Ära“ waren die Frankfurter Parlamentarier so in Schwung gekommen, daß BICO einige Mühe hatte, sie zu bremsen. Die Alliierten, die in der ersten und zweiten Phase der Bizone so ärgerlich über den schleppenden Gang der Geschäfte gewesen waren, fürchteten im Frühjahr und Sommer 1949, daß alle noch anstehenden Gesetzesvorlagen zugunsten der bizonalen Erfolgsbilanz — und möglicherweise zu Lasten der kommenden Bundesrepublik, die die Verpflichtungen tragen müßte — durchgepeitscht werden sollten

Tatsächlich beschloß der Wirtschaftsrat in den zwei Jahren seiner Existenz 171 Gesetze, von denen immerhin 131 für die Bundesrepublik gültig blieben — Zeichen für die wachsende Handlungsfähigkeit dieser von vielen, aber bei weitem nicht von allen deutschen politischen Kräften unterschätzten Institution. Die Grenzen dieser Handlungsfähigkeit jedoch wurden noch 1949 markiert, als die Militärregierungen die Reform des deutschen Beamtengesetzes durch ein eigenes, an angelsächsischen Maßstäben orientiertes Gesetz erzwangen, obwohl der Wirtschaftsrat, wenn auch gezwungenermaßen, über ein derartiges Gesetzes-werk verhandelte. Hier liegt — nebenbei gesagt — ein in der Öffentlichkeit kaum gesehener großangelegter alliierter Reformwunsch vor — Handlungsspielräume für die Deutschen? —, den die Deutschen so gar nicht wünschten und den sie bis 1953 schließlich abwürgen konnten

Der beschriebene Sachverhalt der wachsenden Aktivität des Wirtschaftsrates reicht allein jedoch nicht aus, seine Bedeutung für die Weichenstellungen des zukünftigen westdeutschen Staates neu zu bestimmen. Nicht in der Schlußphase seiner Arbeit erfolgten diese Weichenstellungen, sondern gleich am Anfang im Juli 1947 und dann im Juni 1948.

Am 23. /24. Juli 1947 verzichtete die SPD überraschend schnell auf „Regierungsbeteiligung“ in Gestalt von Direktorenposten, förderte auf diese Weise eine bis dahin noch nicht formierte bürgerliche Koalition, die der Interessenrichtung des Adenauer-Flügels entgegenkam und übernahm die Oppositionsrolle. Ich habe dies 1984 so formuliert: „Die Bonner Koalition vom Herbst 1949 entstand nicht erst aufgrund des Bundestagswahl-ergebnisses, sie existierte im Frankfurter Wirtschaftsrat bereits seit Sommer 1947 und war seitdem in diesem »Vorparlament der Bundesrepublik bestens erprobt und für eine längere Regierungsdauer gerüstet. Die SPD andererseits übernahm 1949 nicht erst erzwungenermaßen aufgrund des Wahlergebnisses die Rolle der parlamentarischen Opposition, sie hatte sie fast freiwillig seit Sommer 1947 im Wirtschaftsrat inne. Während dieser Zeit präformierte sie den konstruktiven Charakter der parlamentarischen Opposition im Deutschen Bundestag, begab sich dabei aber der Möglichkeiten, die Wirtschaftsordnung des neuen Staates maßgeblich zu bestimmen.“

Damit ist bereits die zweite Weichenstellung angesprochen: das Leitsätzegesetz, das am 17. /18. Juni 1948 vom Wirtschaftsrat beschlossen wurde. Der Anteil der Deutschen an der Währungsreform war nicht so groß, wie es in der Erinnerung aussieht, und Ludwig Erhard war nicht etwa der Vater dieser Reform. Aber: So gering der deutsche Anteil hier auch war, so bedeutsam war er bei den wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Weichenstellungen, die seit Juni 1948 vom Frankfurter Wirtschaftsparlament und Erhard als dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft vorgenommen wurden. Die Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft, in ihrer Entstehungszeit ebenso umstritten wie später euphorisch gepriesen, wurde zur zentralen Leistung des Wirtschaftsrates. Bevor man im Grundgesetz die Wirtschaftsordnung des neuen Staates offenzulassen beschloß, wurde im Wirtschaftsrat die an neoliberalen Grundsätzen orientierte Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland de facto festgelegt und in ersten Schritten erprobt.

Die Frage nach den Leistungen des Frankfurter Wirtschaftsrates ist zugleich die nach den Handlungsspielräumen der Deutschen, und die soeben mitgeteilten Antworten bejahen Existenz und Nutzung eines solchen. Die Veränderungen in der Bizonenverwaltung mit Schaffung des ersten Wirtschaftsrates im Sommer 1947 reflektierten die nunmehrige Klarheit, daß das Ost-West-Verhältnis eine neue Konfliktstufe (Kalter Krieg) erreicht hatte. Jetzt erst wurde planmäßiges Handeln der Deutschen im Hinblick auf die Zukunft möglich, so begrenzt die Kompetenzen des Wirtschaftsrates zunächst auch waren, denn die USA konnten eine policy of postponement nicht länger verantworten und gingen zu offensiver Gestaltung der europäischen Verhältnisse über. War dies der Rahmen, so kam es nun seit Mitte 1947 darauf an, was die Deutschen aus der Institution des Wirtschaftsrates und der beschränkten Gesetzgebungsbefugnis machen würden. Hier mußte sich entscheiden, welche Gruppen zuerst grundsätzlich auf der Basis der gegebenen Strukturen zu gestalterischer Tätigkeit nicht nur bereit, sondern auch in der Lage waren, die situativen Faktoren zu erkennen und richtig einzuschätzen, die erfolgversprechende Aktivitäten im Sinne der Realisierung eigener Vorstellungen gestatten könnten. Es waren von Anfang an die , bürger-liehen* Parteien, geführt von der CDU, welche diese Chance erkannten und nutzten, während die Sozialdemokraten u. a. aufgrund der Einschät zung, daß es sich beim Wirtschaftsrat um ein Provisorium in einer Kette von Provisorien handelte, die Möglichkeit aktiver Gestaltung nicht deutlich genug erkannten und deshalb überwiegend nur reagierten.

Mit diesem realitätsbezogenen Zupacken, das seinerseits den Handlungsspielraum langsam, aber stetig vergrößerte, bereitete die „bürgerliche’ Koalition auch den Weg und damit den Handlungsrahmen für die Verwirklichung eines wirtschaftspolitischen Konzepts, das der seit Frühjahr 1948 amtierende Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, entwickelte. Von einer politischen Gruppierung getragen, die ihre Position im Wirtschaftsrat erkämpft und ausgebaut, aber nur sehr allgemeine Vorstellungen von zukünftiger Wirtschaftsordnung hatte, schmiedete er ein sozialökonomisches Strukturkonzept, und setzte dieses ein. Es wurde von den Alliierten nicht oktroyiert, gegen ihren Willen wäre es allerdings nicht durchsetzbar gewesen. Gerold Ambrosius akzenturiert den Umstand in einem gerade erschienenen Beitrag so: „Ohne Einwilligung der Alliierten verband ... Ludwig Erhard die Währungsreform mit einer Wirtschaftsreform.“ 5a) Aber auch auf das Handeln Adenauers fällt in diesem Kontext ein besonderes Licht, denn er verstand es, den parteilosen Erhard in die bürgerliche Koalition einzubinden.

Wenn auch der Erfolg des Erhard-Konzeptes lange in Frage stand, so setzte es sich doch bis 1950 durch und prägte damit eine der grundlegenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland. Die Institution, aus der diese Struktur hervorging, war der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. Funktion und Bedeutung des Wirtschaftsrates sind damit umschrieben.

Sind diese Erkenntnisse nun relevant genug, um auch den Schülern bei der Suche nach Antworten auf die Bedingungen ihrer Gegenwart behilflich sein zu können, um also in Schulbüchern und Lehrplänen entsprechend berücksichtigt zu werden?

II.

Was steht über den Wirtschaftsrat z. B. in zwei ziemlich neuen Geschichtsbüchern der Sekundarstufe I? 1. „erinnern und urteilen“, IV (1986) „ 1947 schlossen die beiden angelsächsischen Staaten ihre Zonen zu einem vereinigten Wirtschaftsgebiet ( Bizone 1) zusammen, ohne dafür die Zustimmung der anderen Besatzungsmächte einzuholen ...“. Und etwas später: „Im Anschluß an die Währungsreform von 1948 entschloß sich die CDU-FDP-Mehrheit im Frankfurter Wirtschaftsrat (dem Wirtschaftsparlament der britisch-amerikanischen Bizone) auf Anraten des CDU-Wirtschaftsdirektors Ludwig Erhard zu einem aufsehenerregenden wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Sie hob die bis dahin geübte Lenkung der Güterproduktion und -Verteilung durch staatliche Behörden in vielen Wirtschaftsbereichen auf und ersetzte sie durch die Entscheidungsfreiheit der wirtschaftenden Menschen.“ 2. „Geschichte und Gegenwart“, Ausgabe Baden-Württemberg, 4 (1984) „Vom 1. Januar 1947 an wurden die angelsächsischen Besatzungszonen in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten als einheitliches Gebiet behandelt. Amerikaner und Engländer regelten künftig in der , Bizone 1 gemeinsam die Einfuhr lebenswichtiger Güter, die Ausfuhr deutscher Waren und erhöhten die Lebensmittel-Rationen nach einheitlichem Maßstab. Bald darauf traten auch deutsche Gremien zusammen, um unter Aufsicht der Besatzungsmächte die wirtschaftliche Entwicklung der Bizone voranzutreiben. Sie konnten Amerikaner und Engländer von der Notwendigkeit überzeugen, den Umfang der deutschen Produktion vor allem im Bereich der Metall-, Maschinen-und chemischen Industrien zu erweitern. Im März 1948 stimmte schließlich auch Frankreich einer Vereinheitlichung der westlichen Wirtschaftspolitik in Deutschland zu; die amerikanische Politik hatte ihre Wirkung nicht verfehlt, die durch zwei Stichworte zu kennzeichnen ist.“

Diese beiden Stichworte sind Marshallplan und Währungsreform. Die Wirtschaftsreform wird nicht als drittes Stichwort genannt. Etwas später heißt es dann: „Währungsreform, Steuererleichterungen für Unternehmer und der Übergang zur Marktwirtschaft durch die Abschaffung staatlicher Preis-und Bewirtschaftungsvorschriften kurbelten die Industrieproduktion beträchtlich an und förderten die Investitionsbereitschaft der Unternehmer, die Weichen in Richtung , Wirtschaftswunder der 50er Jahre waren gestellt.“

Und die Lehrpläne? Wird der Wirtschaftsrat z. B. in den revidierten baden-württembergischen Lehrplänen von 1983, die seit 1984 praktiziert werden, für Hauptschule, Realschule und Gymnasium in Lernzielen bzw. Stichwörtern erwähnt?

III.

In der Lehrplaneinheit 5, Klasse 9 der Hauptschule, sollen die Schüler erkennen, daß die Entstehung zweier deutscher Staaten nicht dem Willen des deutschen Volkes entspricht, sondern die Folge des verlorenen Krieges und der weltpoliti-.sehen Gegensätze der Nachkriegszeit ist. Sie sollen die Soziale Marktwirtschaft und die Westorientierung als historische Grundlagen des Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland begreifen. Die Beschäftigung mit der DDR soll ihnen die Frage der Deutschen Einheit und das Problem des Nationalbewußtseins vor Augen führen. Als Stichwörter findet man: Wiederbeginn des demokratischen politischen Lebens, Neuordnung Deutschlands und Europas im Zeichen des Ost-West-Konfliktes, Truman-Doktrin, Marshallplan, Marktwirtschaft, Währungsreform, Grundgesetz. Im Realschul-Lehrplan Klasse 10 „Deutschland im Ost-West-Konflikt“ heißt es, daß die Schüler zur Anerkennung der Wiederaufbauleistung geführt werden und erkennen sollen, daß die Spaltung Deutschlands auf dem verlorenen Krieg und dem Ost-West-Konflikt nach 1945 beruht, wobei ihnen bewußt werden soll, daß ein Anspruch auf Einheit der deutschen Nation und auf Selbstbestimmung in Frieden und Freiheit besteht. Stichwörter, die Vorgeschichte und den Aufbau der Bundesrepublik betreffend, sind: Truman-Doktrin, Marshallplan, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in den Besatzungszonen und in Berlin, die Entstehung der Bundesrepublik.

Im gymnasialen Lehrplan S II zielt der Leistungskurs 13. 1 „Die Entwicklung der Demokratie in Deutschland“, Einheit „Demokratischer Neubeginn nach 45“ darauf, daß die Schüler das Entstehen eines neuen politischen Bewußtseins in Ost und West unter den Bedingungen des totalen Zusammenbruchs untersuchen und die Vorstellungen von der „Stunde Null“ erörtern sowie das Zusammenwirken von demokratischer Tradition und politischer Neubesinnung, von alliierten Einflüssen und deutscher Selbstbestimmung bei der Neugestaltung des politischen Lebens in den Besatzungszonen verfolgen. Hier interessierende Stichwörter sind: Grundlagen und Wendepunkte der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in den Westzonen und in der SBZ 1945 bis 1949, Erfahrungen von Weimar, politische Neuorientierung, alliierte Einflußnahme und Entstehung des Grundgesetzes.

Im Grundkurs 13. 2 „Deutschlandpolitische und weltpolitische Entwicklungen nach 1945“ sollen die Schüler u. a. die Gründe für die deutsche Teilung und die historischen Wendepunkte für die Deutsche Frage kennen sowie sich mit den politischen Konzeptionen in Ost und West auseinandersetzen. Hier sind folgende Stichwörter zu nennen: Ausgangsbedingungen und Weichenstellungen in den Westzonen und in der sowjetischen Besatzungszone, die Gründung der Bundesrepublik. Die Zielformulierungen aller zitierten Lehrpläne bleiben sehr allgemein, die hier besonders interessierenden Stichwörter nennen Währungsreform, Marshallplan, Marktwirtschaft, nicht aber Funktion und Leistung des Wirtschaftsrates, lassen aber gleichwohl die Behandlung im Unterricht zu.

IV.

Die Befunde sind in dieser Einführung noch nicht zu diskutieren. Ich sagte eingangs, daß schlichte Lehrplan-und Schulbuchschelte nicht beabsichtigt sind. Daß die Schulbücher generell besser geworden sind, habe ich bereits in meinem Diskussionsbeitrag in der Rohlfes/Rumpf/Schmid-Sektion in Münster 1982 festgestellt und mich inzwischen selbst bemüht, an dieser Verbesserung mitzuarbeiten. Dennoch geht es hier darum, gerade an noch neuen und , unfertigen Themen der Nachkriegszeit durch eine Bestandsaufnahme von fachwissenschaftlichen Erträgen und Lehrplan-und Schulbuchbefunden — natürlich auch positiver Art, wie das erste Schulbuchbeispiel ausweist — zu zeigen, welche Abstände zwischen Schulbuchstandard und Forschungsstand bestehen.

Danach wird die Frage der schnelleren Überwindung des bekannten time-lag ebenso diskutiert werden müssen wie das Grundsatzproblem, unter welchen Kriterien neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Hinblick auf ihre Aufnahme in Lehrpläne und Schulbücher generell wie auch deren Art und Weise geprüft werden sollen. Denn: Nicht kann es darum gehen, seitens der Fachwissenschaft einfach Forderungen zu erheben, was gelehrt und gelernt werden müsse. Im Programm steht die Formulierung: „Möglichkeiten und Grenzen der Rezeption der Forschung unter den Bedingungen der Schule.“ Ohne eine didaktisch begründete Auswahl der Unterrichtsinhalte auf der Basis curriculumtheoretischer, sozialisations-, bildungs-, informations-wie lerntheoretischer sowie entwicklungs-und denkpsychologischer Bezüge sind neue fachwissenschaftliche Erkenntnisse nicht in Lehrpläne und Schulbücher einbringbar. Auf einer didaktischen Fachtagung im Juli dieses Jahres in Soest wurde u. a. auch die Lehrplan-und —

Lehrbuchfrage der Geschichtsdidatik diskutiert Gefragt wurde nach der heteronomen Situation bezüglich der bildungspolitischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik, nach den neuen kurzen, nicht mehr argumentativen Lehrplänen, den problematischen Prinzipien und Verfahrensweisen staatlicher Schulbuchzulassung, aber auch nach den Aufgaben der Fachwissenschaftler wie der Fachdidaktiker angesichts derzeitiger Entwicklungen. Zum letztgenannten Aspekt wurde an die Kategorien Robinsohns und ihre Instrumentalisierung für die Auswahl historischer Unterrichtsinhalte (Bedeutung eines Gegenstandes im Gefüge der Wissenschaften, Leistung für das Weltverstehen des Schülers, Funktion in Verwendungssituationen des privaten und öffentlichen Lebens) unter der Frage erinnert, was Fachwissenschaftler und Fachdidaktiker — den Konsens über deren Anwendbarkeit vorausgesetzt — jeweils einzubringen vermöchten.

Dabei zeichnete sich eine Erkenntnis ab, die sich auch in der Geschichte von Geschichtswissenschäft und Geschichtsdidaktik verifizieren läßt, nämlich die, daß Fachwissenschaftler und Fachdidaktiker bei unterschiedlicher Gewichtung durchaus von vergleichbaren Grundüberlegungen ausgehen, indem beide bei der Auswahl ihrer Themen die Relevanzfrage stellen. So äußerte J. Kocka, daß der Fachwissenschaftler auch nach der Bedeutung seiner Themen für Weltverständnis und Lebensbewältigung der Studenten frage, und K. E. Jeismann stellte mit Blick auf die in den siebziger Jahren geleistete Arbeit der Lübecker Gruppe fest, daß die Inhaltsauswahl für den Geschichtsunterricht immer auch von dem Versuch bestimmt werde, Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben. Das bedeute, daß der Geschichtsdidaktiker gleichsam naturwüchsig die großen Themen der Zeit, aber auch der Geschichtswissenschaft aufnehme und zu einer Kommunikation zwischen gesellschaftlichen Anliegen und Wissenschaft gelange.

Fussnoten

Fußnoten

  1. U. Uffelmann, Der Frankfurter Wirtschaftsrat 1947— 1949. Weichenstellungen für das politische Kräftefeld und die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 37/84, S. 36 ff.

  2. W. Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946— 1949, Frankfurt 1984, S. 117.

  3. Ders., Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone zum souveränen Staat, München 1984, S. 80.

  4. U. Reusch, Versuche zur Neuordnung des Berufsbeamtentums, in: J. Foschepoth/R. Steininger (Hrsg.), Britische Deutschland-und Besatzungspolitik 1945 bis 1949, Paderborn 1985, S. 180 f.

  5. Vgl. Anm. 1, S. 37. 5a) G. Ambrosius, Die Ökonomie der 50er Jahre: Zum Verhältnis von Wachstum, Struktur und Politik, in: SOW 1 15 (1986) 2, S. 21.

  6. Klett-Verlag, Stuttgart 1986, S. 141 f. und 146.

  7. Verlag Schöningh/Schroedel, Paderborn 1984, S. 30 und 31.

  8. Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg, Lehrplanrevision in Baden-Württemberg. Die revidierten Lehrpläne, eingeführt im Schuljahr 1984/85.

  9. Bericht von U. Uffelmann in: Geschichtsdidaktik, (1987) 1.

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