I. Stadtplanung unter industriegesellschaftlichen Bedingungen
Der folgende Beitrag hat zwei Zielsetzungen:
— auf der Basis einer noch laufenden empirischen Untersuchung zu aktuellen Leitbildern der Stadtentwicklung in der Bundesrepublik soll über gegenwärtige Probleme und Perspektiven der Stadtentwicklung berichtet werden;
— aus der Geschichte des Städtebaus in der Bundesrepublik und der sehr intensiven Diskussion über die Stadtentwicklung seit Kriegsende sollen wichtige Etappen in Erinnerung gerufen werden, um die gegenwärtige Situation besser verorten zu können.
Die Diskussion um die „richtige“ Stadtgestalt läßt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Die Industriegesellschaft, die sich in Deutschland erst nach 1850 durchzusetzen begann, stellte das im wesentlichen aus dem Mittelalter überkommene deutsche Städtesystem vor bis dahin unbekannte Probleme: sowohl im Hinblick auf die großen Bevölkerungsmassen, die nun in den Städten nach Wohnung und Arbeit suchten, wie im Hinblick auf die völlig neuen Arbeitsund Lebensbedingungen, die Möglichkeiten der Kommunikation (Telegraphie, Telefon) und des Verkehrs (Eisenbahn und Untergrundbahn; Straßenbahn und seit Ende des 19. Jahrhunderts das Automobil Stadtentwicklung unter industriegesellschaftlichen Bedingungen bedeutet Anpassung an den raschen technischen und kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Wandel und die sich damit ändernden Lebensbedingungen, Lebensplanungen und Bedürfnisse der Bürger. Auch die gegenwärtigen Phase der Stadtentwicklung läuft ab unter Bedingungen eines beschleunigten, industriegesellschaftlich verursachten Wandels, wozu auch ein ungewöhnlich starker Wandel der Familienstrukturen und Haushaltsgrößen gehört
II. Leitgedanken und Etappen der Stadtentwicklung nach 1945
1. Gliederung und Auflockerung Neuere Veröffentlichungen zeigen, daß es schon vor Kriegsende 1945 intensive Diskussionen und Planungen für die kriegszerstörten deutschen Städte gegeben hat Das dominante Leitbild für den Städtebau nach 1945 war „die gegliederte und aufgelockerte Stadt“ auch wenn es in Buchform erst 1957 formuliert wurde
Der schlagwortartige Titel und einzelne Passagen des Werkes waren vor der endgültigen Veröffentlichung bekannt. Überraschen muß aus heutiger Sicht, daß weder die jetzt so viel zitierte „Charta von Athen“ — nunmehr das wohl bekannteste Städtebaumanifest des Jahrhunderts — noch die Gartenstadt-Idee von Howard erwähnt wurden. Vergleichbar der „Charta von Athen“ (vgl.deren Punkte 77 und 78) geht auch das Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ von einer räumlichen Trennung und damit störungsfreien Lokalisierung der „städtischen Grundfunktionen“ aus: Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr. In Anlehnung an englische bzw. amerikanische Vorstellungen von einer „Nachbarschaftseinheit“ (neighborhood-unit) als grundlegender städtischer Siedlungseinheit wurde für größere Städte folgender Stadtaufbau vorgeschlagen: Eine Nachbarschaftseinheit sollte aus ca. 1 000 Wohnungen (vor allem in Einfamilienhäusern verschiedener Bauweise und Zuordnung) und 4 000 Einwohnern bestehen; vier Nachbarschaftseinheiten sollten eine „Stadtzelle“ („cellular city“) mit ca. 16 000 Einwohnern bilden; drei Stadtzellen sollten einen „Stadtbezirk“ mit ca. 48 000 Einwohnern und vier Stadtbezirke sollten einen Stadtteil bilden.
Das Werk „Die gegliederte und aufgelockerte Stadt“ wurde im gleichen Jahr veröffentlicht, als in Berlin mit dem wiederaufgebauten Hansaviertel „im Rahmen einer internationalen Bauausstellung der Öffentlichkeit ein Musterbeispiel solcher Auflockerung vorgeführt wurde“
Die Wirkungen dieses Leitbildes bleiben ebenso umstritten wie die Wirkungen der vielfach einseitig oder falsch verstandenen „Charta von Athen“. Die Realität war mit diesen Leitbildern von den gegebenen Strukturen und den aktuellen Anforderungen des Wiederaufbaus her nur in teilweiser Übereinstimmung. 2. Dichte und Suburbanität Schon seit Mitte der fünfziger Jahre begann jener Stadtumbau und Stadtausbau, der seit Beginn der sechziger Jahre zu einer bis in die Gegenwart andauernden heftigen Kritik führte. Bis etwa Mitte der fünfziger Jahre hatten auch die Zentren der kriegszerstörten Städte noch hohe Zuwachsraten an Wohnbevölkerung. Die Restauration wurde hier früher, dort später überlagert und ergänzt durch einen Stadtumbau und eine Stadterweiterung, die in ihren Größenordnungen und ihren Folgen nur mit der intensiven Verstädterungsphase im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts verglichen werden können. Karolus Heil sprach in diesem Zusammenhang zu Recht von einer „neuen Gründerphase“ Der Bau — vor allem in den späten sechziger Jahren — von hochverdichteten, durch Hochbauweise geprägten Trabanten-und Satellitenstädten mit ihren, so die Kritik, „Wohnsilos“ oder „normierten Wohnfabriken“ aus der Retorte ist hier ebenso zu nennen wie die erst durch das Auto ermöglichte Ausbreitung in die Fläche: die Suburbanisierung zunächst vor allem der Wohnfunktion
Die „gegliederte und aufgelockerte Stadt“ wurde zum Teil dort verwirklicht, woran sicher nicht gedacht war: vor den Toren der Stadt, im immer entfernteren suburbanen Raum. Die Suburbanisierung blieb nun nicht mehr beschränkt auf die älteren Ballungszentren und Industrieregionen, sondern erfaßte alle Städte und Regionen. Die Entstehung dieses neuen Stadttyps, des im Umkreis der großen Städte sich konsolidierenden suburbanen Raumes, ist noch nicht abgeschlossen. In den geglückten Ansätzen (z. B. die neue Stadt Wulfen) verbindet er das von so vielen Bürgern ersehnte „Wohnen im Grünen“ mit attraktiven Einkaufszentren und Bürgerhäusern, mit großzügigeren Freizeit-, Spiel-und Sportmöglichkeiten; in den weniger geglückten Fällen ist der suburbane Raum reine „Schlafstadt“, ein Trabant ohne jede Selbständigkeit, in dem sich die erforderlichen Qualitäten des „Städters neuen Typs“, des „Suburbaniten“ nicht ausbilden können. 3. Urbanität und städtische Öffentlichkeit als Leitgedanken Gegen die Entwicklung des inneren Stadtumbaus wie gegen die Formen der äußeren Stadterweiterung regte sich seit Ende der fünfziger Jahre eine ständig wachsende Kritik. Sie wurde von engagierten Sozialwissenschaftlern vorgetragen, weniger von Architekten und Städtebauern. Diese standen eher im Banne ihrer eigenen Städtebau-Ideologien oder unter den Anforderungen der hektischen Planungsund Bau-Aktivitäten. Die nun vorgetragene Kritik gegen die Zerstörung von Urbanität, gegen „Profitopolis" gegen den „organisierten Stadtabriß“ und die „gemordete Stadt“ gegen inhumane Schlafstädte und lieblos angehängte Satelliten wurde von Architekten und Stadtplanern erstaunlich schnell und mit Interesse aufgenommen. Da die eigenen Leitbilder nicht mehr zureichten, erhoffte man sich — und das ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der auch das Wissen und die Wissenschaft immer spezialisierter geworden sind, völlig legitim — Orientierung, Zielvorgaben und ein neues Leitbild von den Sozialwissenschaften, vor allem der Soziologie. Die Soziologie als Wissenschaft vom mensch-lichen Handeln, den Gruppenbildungen und Assoziationen, den Institutionen und der Gesellschaft sollte sagen, wie unter gewandelten Bedingungen der Arbeit und Freizeit, des Familienlebens und aller anderen sozialen Faktoren stadtbezogene Planungen reagieren müssen. Als 1961 Hans Paul Bahrdts „Soziologische Überlegungen zum Städtebau“ erschienen, begann eine intensive Zusammenarbeit zwischen Soziologie und Architektur bzw. Stadtplanung, die aber spätestens der siebziger Jahre mit beiderseiti- gen Enttäuschungen in dieser Form wieder beendet wurde
Was die Arbeit von Bahrdt für Architekten und Stadtplaner so wichtig machte, war eine überzeugende Darstellung städtischer Öffentlichkeit und städtischen Verhaltens aus soziologischer Sicht. Bahrdt definierte Stadt als „eine Ansiedlung, in der das gesamte, also auch das alltägliche Leben die Tendenz zeigt, sich zu polarisieren, d. h. entweder im sozialen Aggregatzustand der Öffentlichkeit oder in dem der Privatheit stattzufinden. Es bilden sich eine öffentliche und eine private Sphäre, die in engem Wechselverhältnis stehen, ohne daß die Polarität verlorengeht“. Da Bahrdt die baulichen Arrangements, die diese Polarität ermöglichen, bis ins Detail beschrieb, wurde die Rezeption bei Architekten und Stadtplanern wesentlich erleichtert, und so konnte die Kritik auf die Fehlentwicklungen sowohl des Stadtumbaus wie der Stadterweiterung hinweisen.
Ein zweites Buch ist zu nennen, das die Diskussion belebte und Horrorvisionen wachrief im Hinblick auf das, was in deutschen Städten geschah (Entleerung der Innenstädte von Wohnbevölkerung, Verkehrsadern, die intakte Stadtviertel brutal durchschnitten usw.) oder vor den Toren der großen Städte in immer gigantischerem Ausmaß, zumal in den sechziger Jahren, gebaut wurde (man denke an München-Perlach, an Gropius-Stadt oder an das Märkische Viertel in Berlin, wo das Leitbild der frühen sechziger Jahre „Urbanität durch Verdichtung“ in rasendem Bautempo ad absurdum geführt wurde): 1963 erschien auf deutsch von Jane Jacobs „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ Da auch sonstige Innovationen mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung aus den USA übernommen wurden, war die Befürchtung nicht ganz von der Hand zu wei-sen, daß den deutschen Städten ein ähnliches Schicksal bevorstand wie den amerikanischen. Die an Jane Jacobs orientierten Warnungen fielen schon deshalb auf fruchtbaren Boden, weil den Deutschen „ihre“ Stadt viel bedeutet und die tra-ditionsreichen deutschen Städte mit der Geschichte und Identität der Regionen, Stämme und Länder und schließlich der Nation in einzigartiger Weise verbunden sind.
In dieser mehr und mehr sich zuspitzenden Kritik an der Entwicklung der Stadt bedurfte es nur noch eines einzigen Anstoßes, um aus dem Re-staurations-und Neubaueifer, der Wachstumseuphorie und betulichen Selbstzufriedenheit zu erwachen. Diesen Anstoß gab Alexander Mitscherlich mit seinem „Pamphlet“ (von ihm selbst so genannt): „Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden“. Der Band erschien 1965 in der kleinen, (damals) sehr preiswerten Reihe der „edition suhrkamp“ und erreichte schnell, auth bedingt durch das öffentliche Ansehen des Autors, eine große Verbreitung. Es war ein aufrüttelnd geschriebenes Pamphlet gegen die Entstellung von Städten und weitere Zersiedlung, gegen die „bornierte Profitgier“, gegen die alles zerstörende Spekulation mit Bodenbesitz. Mitscherlichs Kritik ließ auch dadurch aufhorchen, daß er den Zusammenhang zwischen gebauter Umwelt, den baulich verschuldeten Psychosen und dem Verbauen von Freiheit und Demokratie drastisch herausstellte. Einen „Humanen Städtebau“ sah Mitscherlich untergehen im „Dschungel der Konkurrenzgesellschaft“. Hier wird deutlich, daß die wachsende Kritik am Städtebau nun bereits zusammenging mit der ebenfalls wachsenden Kritik an der Entwicklung von Staat und Gesellschaft in der „Restaurationsphase“, vor allem am sich immer ungehemmter ausbreitenden Kapitalismus, der seine Verpflichtung auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft wie eine lästige Anfangsbürde abzustreifen schien. In der dann 1967 voll ausbrechenden Studentenrevolte und den Forderungen nach mehr Mitbestimmung und nach Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche spielte die Kritik an der gebauten Umwelt eine Schlüsselrolle. Heide Berndt, Schülerin von Mitscherlich und Theodor W. Adorno, kritisierte (1968) das nach ihrem Urteil überwiegend konservative „Gesellschaftsbild bei Stadtplanern“ und veröffentlichte im gleichen Jahr mit anderen Mitscherlich-Schülern eine Ideologie-Kritik der funktionalistischen Architektur und des funktionalistischen Städtebaus
Die „eindimensionale“ funktionalistische Architektur führe immer mehr, so wurde dort ausgeführt, zur „Eindimensionalität" des Menschen schließlich zum Verlust von Demokratie und Freiheit. 4. Sanierung und innerer Stadtumbau Bei den verantwortlichen Politikern konnte die seit Beginn der sechziger Jahre sich verschärfende Kritik nicht ungehört bleiben. So begannen Mitte der sechziger Jahre die Arbeiten am „Gesetz über städtebauliche Sanierungsund Entwicklungsmaßnahmen in Gemeinden“ (kurz „Städtebauförderungsgesetz“ genannt, StBauFG), auf das sich nunmehr große Hoffnungen richteten. Als es dann schließlich 1971 in Kraft trat, zeigte sich, daß es wohl einige Jahre zu spät kam. Die großen Sanierungsvorhaben, für die das Gesetz einen Rahmen schaffen sollte, waren angelaufen oder zum Teil sogar schon abgeschlossen Dennoch müssen die Wirkungen dieses Gesetzes und die sich daran anknüpfenden Diskussionen positiv bewertet werden. Nicht nur wurde aus der intensiven Partizipations-Diskussion der sechziger Jahre die Konsequenz gezogen und die Partizipation im Städtebau — insbesondere durch den von Hans Paul Bahrdt initiierten „Sozialplan“ — in die Sanierungsplanung eingeführt, sondern auch der „innere Stadtumbau“ der siebziger und achtziger Jahre angeregt.
Es kann gar kein Zweifel bestehen, daß seit Beginn der siebziger Jahre für den inneren Stadtumbau erhebliche Anstrengungen unternommen wurden und auch große Leistungen vorzuweisen sind. Sanierungen vieler kleiner, mittlerer, aber auch größerer Stadtzentren gerieten mustergültig und zeigten eine Revitalisierung der Städte und auch des urbanen Lebens, die man Anfang der sechziger Jahre kaum für möglich gehalten hätte. Stadtentwicklung fand nunmehr unter neuen Bedingungen statt: unter den Vorzeichen einer gebrochenen Prosperität, einer Wachstums-und Energiekrise und eines immer wacheren Umweltbewußtseins. „Wir stehen am Ende einer zweiten Gründerzeit“ — was Ferdinand Stracke 1985 im Hinblick auf die abgelaufene Expansionsphase des städtischen Systems in die Höhe und in die Fläche feststellte, zeigte sich seit Mitte der siebziger Jahre in drastisch rückläufigen Zahlen fertiggestellter Wohnungen und anderen Indikatoren
Erhalten, Bewahren, behutsamer Umbau und „Rückbau“ wie der sich rücksichtsvoll einpassende Neubau wurden mehr und mehr zu Zielen der Stadtentwicklung Hiermit verbunden waren neue Aufgaben, die seit Anfang der siebziger Jahre mit verschiedenen Bundes-und Landesprogrammen gefördert wurden: Wohnumfeldverbesserung; Zentrumsentwicklung (in der doppelten Perspektive: Stärkung der Stadtteile und Heraus-stellung des historischen Kerns als „Mitte“); Freiflächenplanung; Verkehrsberuhigung; Rückgewinnung innerstädtischen Wohnens; Entwicklung von Zentren eines differenzierten, alle Bevölkerungsgruppen erreichenden städtischen Kultur-lebens; Beseitigung bzw. Umwidmung innerstädtischer Industriebrachen; Veränderungen des Stadt-Image als Wiederentdeckung des , Genius Loci
Daß diese neue Phase der Stadtentwicklung wieder ihre eigenen Überzeichnungen, Ideologien, schiefen Rezeptionslagen vor allem hinsichtlich einiger Entwicklungen in der sogenannten „postmodernen“ Architektur — dieser „Kostümierung in geliehenen Identitäten“ — zeigt, ist kaum überraschend. „Nostalgische Kopien“ (wie z. B.der Römerberg in Frankfurt) und eine „neue Schnuckligkeit“ waren nach den vorausgegangenen Entwicklungen wohl unvermeidlich.
Im folgenden seien aus unserer erwähnten Untersuchung einige Ergebnisse mitgeteilt, die den Stand der gegenwärtigen Diskussion sowohl dokumentieren wie beleben können.
III. Aktuelle Aussagen zum Leitbildbegriff
In unserer Erhebung war eine deutliche Skepsis gegenüber der Aufstellung von Leitbildern für den Städtebau herauszuhören. Einige Äußerungen seien wörtlich wiedergegeben: — „Ein integrales Leitbild halte ich für schädlich, und je mehr es sich auf die Gestaltung hinbewegt, desto schädlicher ist es“ (Detlef Ipsen, Kassel). — „Leitbilder sind dann gefährlich, wenn sie als historisch neutrale Konzepte über eine Stadt gestülpt werden. Städte sind Jahresringe von Leitbildern“ (Gerhard Curdes, Aachen). — „Die Stadt ist viel zu komplex, als daß man sie mit einem Leitbild belegen könnte“ (Fred Angerer, München).
Die Aussagen zum Stellenwert von Leitbildern für die gegenwärtige Stadtentwicklung spiegeln die kritische Distanz wider, die eine an Leitbildern orientierte Stadtplanung inzwischen hervorruft. Leitbilder werden zum Teil als Produkte einer autoritären Stadtplanung angesehen. In der Tat ist der Begriff „Leitbild“ vorbelastet. In der rege geführten Planungsdiskussion der sechziger und beginnenden siebziger Jahre war der Begriff gebräuchlich, um die Zielvorstellungen eines geordneten (Siedlungs-) Raumes in der Gegenwart oder eine zukünftige positive Raum-und Stadtentwicklung zu bezeichnen. Vielfach waren „Leitbilder“ Synonyme für Zielkataloge der Stadtentwicklungsplanung, wobei — entsprechend den damaligen Diskussionen über „oberste Lehrziele“ in der Didaktik— von obersten Grundwerten in einer Hierarchie menschlicher Bedürfnisse ausgegangen wurde. Diese Diskussion gehört der Vergangenheit an; es geht hier nicht darum, ein neues Leitbild der Stadtentwicklung zu fordern oder zu propagieren. Leitbilder können gleichwohl eine bestimmte Orientierungsfunktion haben, auf die kaum verzichtet werden kann. In einer neueren Veröffentlichung kommt Bernd Streich zu folgender Differenzierung dieser Funktion: Leitbilder formulieren in einer „Verdichtung“ vorhandener Vorstellungen kollektiv übergreifende Ziele; sie haben zwar ein utopisches Moment, müssen aber konkret genug sein, um bildlich faßbare Vorstellungen (und eine entsprechende Unterstützung) hervorzurufen.
Die über-individuelle, kollektive Orientierungsfunktion des (bzw.der) Leitbildes(r) interessierte uns weniger als die Gesamtheit der Vorstellungen, die sich für einen bestimmten, aktuell mit Stadtplanung befaßten Personenkreis auf die jetzige und künftige Gestaltung von Städten bezieht. Fast alle Experten unserer Befragung wiesen darauf hin, daß sich der Begriff des Leitbildes gewandelt habe und er unter diesen Voraussetzungen durchaus akzeptabel sei. In einer Stellungnahme von Winfried Schwantes (Stuttgart) wird dies klar ausgesprochen: „Der Begriff des Leitbildes, wie er früher im Städtebau geprägt war — z. B. die Gartenstadt —, hat sich heute geändert. Leitbild meint nicht mehr ein allgemein gültiges, programmatisch ausgearbeitetes Konzept. Das Leitbild ist , instrumentalisiert', es verliert seine dogmatische Bedeutung', es steht eher für . verallgemeinerte, kompromißfähige Strategie'.“
In dieser Perspektive sind die positiven Äußerungen zum Leitbild zu verstehen. In einer zweiten Expertenrunde, einer sogenannten „Delphi-Studie“ erhielten folgende Zusammenfassungen der wörtlichen Äußerungen aus der ersten Befragungsrunde die größte Zustimmung: — „Jeder, der über ein begrenztes Einzelvorhaben hinaus etwas tun will, braucht in seinem Hinterkopf ein Leitbild. Solche Vorstellungen sind aber nicht mehr allgemein gültige, dogmatische Leitlinien, aus denen die Planungsschritte deduziert werden könnten.“
— „Es ist durchaus sinnvoll, Leitbilder zu formulieren. Leitbilder sind aber mehr als nur architektonische oder städtebauliche Bilder; sie sind gesellschaftliche Bilder und beinhalten sozialpolitische Zielvorstellungen. Sie geben als solche den Maßstab für das tägliche Handeln.“
Inhaltlich gab es kaum konkrete Aussagen. Nach Ansicht von Ulfert Herlyn (Hannover) würden Leitbilder alten Stils im neuen Gewände — z. B. „die umweltgerechte Stadt“ oder „die sozialgerechte Stadt“ — ähnlich problematische Ergebnisse zeigen wie einst „die aufgelockerte Stadt“.
Hätte man z. B. das Leitbild „die demokratische Stadt“, so sei es gleichwohl sehr schwierig, dieses mit Inhalten, sprich: baulichen Planungen, zu konkretisieren (Dierk Brandt, München). Alle diese Vorstellungen wie: die sozialgerechte Stadt, die umweltgerechte Stadt, die grüne Stadt usw.seien als Elemente eines humanen Städtebaus zu begreifen; nur die Analyse vor Ort, in einer konkreten Situation, könne darüber entscheiden, was von diesen vielen Wunschvorstellungen, die an den Städtebau herangetragen werden, verwirklicht werden könne. Konkrete Vorstellungen über jetzt anstehende Aufgaben wurden nicht als Leitbild formuliert, sondern als „aktuelle Planungsprobleme“ vorgetragen. Um den Bedeutungszusammenhang der Aussagen zu Problemen der künftigen Stadtentwicklung zu erhalten, wurde auch nach den Vorstellungen der Experten zum Begriff „Stadt“ gefragt.
IV. Stadtbegriff und Unverwechselbarkeit der Stadt
1. Aktuelle Aussagen zum Stadtbegriff Louis Wirth hat die Stadt definiert als „eine relativ große, dicht besiedelte und dauerhafte Niederlassung gesellschaftlich heterogener Individuen“
Dieser Stadtbegriffgibt auch heute noch eine erste gute Orientierung. Jede Disziplin, die die Stadt zum Gegenstand ihrer fachlichen Auseinandersetzungen macht, hat ihre je spezifischen Schwierigkeiten, die „Stadt“ zu definieren. Es gibt zahlreiche Merkmale, nach denen dieser Begriff bestimmt werden könnte. Werner Sombart 38) gibt zu bedenken, „daß jeweils zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten etwas sehr Verschiedenes unter , verstanden worden ist Stadt'“ ). Dies bedeutet, daß der Stadtbegriff sich wandelt und immer wieder neu diskutiert werden muß im Zusammenhang mit den Prozessen der Stadtentwicklung. In der jüngsten Vergangenheit haben diese Prozesse der Stadtentwicklung dazu geführt, daß die Städte als abgegrenzte räumliche Bereiche aufgelöst wurden. Die Städte sind über ihre Ver-waltungsgsrenzen hinaus ins Umland gewachsen. Angesichts dieser Suburbanisierung und der weitreichenden Verstädterungsprozesse erscheint es fraglich, ob es noch einen eindeutigen Begriff von „Stadt“ gibt. Die Lebensgewohnheiten von Städtern und Bewohnern des Landes haben sich weitgehend angeglichen. Manche Entwicklungen legen nahe, den Begriff „Stadt“ durch Begriffe wie „Stadt-Land-Kontinuum“ oder „Verdichtungsraum“ abzulösen. Trotz solcher Entwicklungen und Erscheinungen, die eine empirische Definition der „Stadt“ erschweren, bleibt die Stadt im Bewußtsein der Bewohner und im alltäglichen Leben ein identifizierbares Phänomen: Man geht in die „Stadt“ zum Einkäufen, zum Flanieren; man trifft sich in der „Stadt“; man lebt in der „Stadt“. Der Begriff „Stadt“ ist nach wie vor gültig, wenn auch der räumliche Bereich, den er bezeichnet, auf das Zentrum der Städte verengt ist. Eine Mehrzahl der Fachleute, die wir in unserer Untersuchung befragt haben, hat folgender Definition von „Stadt“ zugestimmt: „Die Stadt ist Vielfalt und Widerspruch. In der Stadt findet man Verkehrschaos, Schönheit, historische Identität, Gestank und Lärm, Zentralität, Geborgenheit, Anonymität. Es gibt dort viele kulturelle Angebote sowie Chancen und Nischen für alternative Entwicklungen.“ Die noch von Louis Wirth herausgehobenen Definitionsmerkmale Größe, Dichte und Dauerhaftigkeit der Siedlung erscheinen heute weniger bedeutungsvoll, werden zwar implizit noch anerkannt, aber doch nachdrücklich ergänzt um die Definitionsmerkmale „Differenziertheit“, „Pluralität“ und „Widersprüchlichkeit“. Nicht mehr eine „harmonische“, klar abgrenzbare, dauerhafte Siedlungseinheit steht also im Vordergrund der Definition. Das Bild der Stadt ist lebhafter geworden; es zeigt den Wandel von empirisch nachvollziehbaren Größen hin zu einer Lebensform bzw.deren räumlich-baulichem Ausdruck. 2. Die Unverwechselbarkeit der Stadt \ als Siedlungsgebilde „Das Herzstück einer Stadt ist das Zentrum, und das ist die „gute Stube 1 für alle Bewohner einer Stadt. Und wie sich jeder Private sein Wohnzimmer mit besonderer Sorgfalt einrichtet, so sollte auch die Stadt ihr Zentrum , einrichten 1“ (Lothar Juckel, Berlin).
Nach der Wertung vieler Experten ist die Stadtgestaltung heute zu einem zentralen Thema in der Stadtplanung geworden. Dabei wird angenommen, daß die Bemühungen um die Stadtgestalt dem Bedürfnis der Bewohner einer Stadt nach einer real erfahrbaren Begrenzung und Unverwechselbarkeit ihres Lebensraumes dienen. Die Ausbildung der Unverwechselbarkeit der Stadt erscheint notwendig zur Förderung der Identifikation der Bürger mit ihrem Wohnort. Die erwähnte Kritik am Städtebau der Nachkriegszeit, die unter anderem gegen die Gleichförmigkeit der Baumaßnahmen in den Städten und den neuen suburbanen Räumen gerichtet war, spielte in fast allen Gesprächen eine Rolle und gab Anlaß zu kritischen Distanzierungen. Eine Konsequenz, die aus diesen Fehlentwicklungen gezogen wird, ist in dem Bemühen zu sehen, die den Städten je eigene Individualität besser zu entwickeln und mit ihren Besonderheiten herauszustellen. Dies betrifft die Unverwechselbarkeit der einzelnen Stadt; darüber hinaus wurde aber auch betont, daß die Stadt an sich als ein eigenständiges Siedlungsgebilde gegenüber anderen, nicht-städtischen Siedlungsformen deutlicher abzugrenzen sei. Hierzu äußerte sich ein verantwortlicher Stadtplaner wie folgt: „Wie kann man , Tore‘ in der Stadt wieder entwickeln? Das sind keine Stadttore im traditionellen Sinne, sondern Bauanlagen, die z. B. aufgrund einer bestimmten Dichte signalisieren, daß man in eine Zone mit einem veränderten baulichen Maßstab überwechselt“ (Egbert Kossak, Hamburg).
Andere Experten warnen vor einem stadtgestalterischen Übereifer. Dazu einige Stimmen: „Wir müssen schnell durch die Phase durchkommen, wo man schöne Kulissen aus den Städten macht. Die Bundesrepublik ist in Gefahr, ein Staat zu werden, in dem ganz moderne Technologien und Ideen verfolgt werden, wo es aber aussieht wie bei , Schneewittchen 1“ (Hanns Adrian, Hannover). Ähnlich äußerten sich Gerhard Richter („Imagepflege kann vieles verschleiern und notwendige Auseinandersetzungen zurückdrängen“) und Ulfert Herlyn: „Ich bin gegen jede Imageverbesserung, wenn sie nicht substantiell auch den Gegenstand selbst verändert. Imageverbesserung, ohne real die Lebensbedingungen zu verbessern, ist Augenwischerei.“
V. Aktuelle Planungsprobleme
1. Kontext der gegenwärtigen Stadtplanung Die Stadtentwicklung der achtziger und der folgenden Jahre steht unter neuen Bedingungen: die wirtschaftliche Entwicklung ist sektoral rückläufig. Die demographische Entwicklung ist ebenfalls weiterhin stark rückläufig, mit regional und stadtspezifisch sehr unterschiedlichen Auswirkungen. Die kommunalen Haushalte sind stark belastet, nicht zuletzt durch die relativ hohen Aufwendungen, die infolge der Arbeitslosigkeit notwendig werden. Ungewißheit herrscht über den Einfluß der technologischen Entwicklung; insbesondere die Auswirkungen der neuen Kommunikationstechniken auf die Stadtentwicklung lassen sich nur spekulativ abschätzen. Wie bereits hervorgehoben, steht nicht mehr die Stadtentwicklung — im Sinne von Wachstum — im Vordergrund der Aufgabenstellung der Planer, sondern vielmehr die Stadtentwicklung im Sinne von Stadtumbau, Nutzungsänderungen und Bestands-erhaltung vorhandener Infrastruktureinrichtungen.
Es hat sich aber mittlerweile auch gezeigt, daß die anstehenden Aufgaben „nicht eigentlich neu sind in dem Sinne, daß sie vorher nicht bestanden hätten. Neu ist aber, daß vor dem Hintergrund neuer Werthaltungen und geänderter politischer Prioritäten die Dringlichkeit der Aufgaben und die Bereitschaft, sie anzugehen, aber auch die Kenntnisse über wichtige Zusammenhänge vor allem zwischen den Lebensbedürfnissen des Menschen und der gebauten Umwelt erheblich zugenommen haben“
Seit dem Ende der siebziger Jahre ist eine Desillusionierung bezüglich den Leistungen einer umfassenden und weit vorausschauenden Planung eingetreten: „Dem Scheitern vieler großmaßstäblicher Planungen folgte eine gewisse Ernüchterung und eine Hinwendung auf kleinräumige — zumeist innerstädtische — Bereiche“ (Martin Ein-sele, Karlsruhe). Die Planung wurde dadurch auch in gewisser Weise „einfacher“, überschaubarer. Durch die Maßstabsverkleinerung glaubte man auch eine Reduktion der Komplexität erreicht zu haben, die die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen in größeren Planungsgruppen nicht mehr zwingend erforderlich macht. In den sechziger und siebziger Jahren waren große Planungsbüros und -ämter gegründet worden, die damals als besonderes Kennzeichen ihre Interdisziplinarität hervorhoben. Heute haben diese Büros oder Ämter (falls sie noch bestehen) diese Interdisziplinarität weitgehend verloren und beschränken sich auf spezifische Aufgaben, zumeist auf die traditionelle Objektplanung.
Langfristige und großräumige Konzeptionen scheinen nur noch schwer durchsetzbar zu sein. Große Planungs-Bauaufgaben sind nicht in Sicht. „Heute müssen wir uns einstellen auf die Stagnation, auf den Rückgang, auf die Aufwertung des Bestandes — also keine großen Entwicklungen mehr, nur noch geringfügige Erweiterungen in einzelnen Stadtteilen, so daß die Infrastruktureinrichtungen in den Stadtteilen tragfähig erhalten werden können“ (Egon Martin, Karlsruhe).
Die in den sechziger und siebziger Jahren entstandene integrale Gesamtaufgabenplanung wurde immer mehr ausgedünnt: „Der Städtebau hat seine integrierende Funktion verloren ... Die Gesamtaufgabenplanung ist überall aufgegeben worden, und übrig blieb die Stadtentwicklungsplanung mehr oder minder als eine Form der räumlichen Planung“ (Rüdiger Göb, Köln). Die in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren konzipierten Stadtentwicklungspläne werden nicht mehr fortgeschrieben. Dort, wo es heute noch „Stadtentwicklungsämter“ gibt, fallen ihnen Aufgaben zu, für die sich die übrigen Fachplanungsabteilungen nicht zuständig halten.
Der Ansatz einer Gesamtplanung war in einer Zeit entwickelt worden, als der Glaube an ein nahezu unbegrenztes wirtschaftliches und damit auch städtisches Wachstum noch unbeirrt war. Heute weiß man um die „Grenzen des Wachstums“ in allen Planungs-und Entwicklungsbereichen. Von den vielen Expertenäußerungen hierzu sei die von Karl Ganser (Düsseldorf) hervorgehoben: „Eine Wirtschaftspolitik und auch eine Stadtpolitik, die glaubt, ein unbegrenztes Wachstum einrichten zu können und die Stadtentwicklung als Wachstumsmotor einsetzen will, wird sich nicht als tragfähig erweisen.“
Unter diesen geänderten Bedingungen bekommt Planung — wie die Leitbild-Diskussion — einen anderen Stellenwert. Dies geht aus folgenden Äußerungen sehr deutlich hervor: So wird die gegenwärtige Situation ausdrücklich als Chance gesehen, Planung qualitativ zu verbessern: „In den vergangenen 30 Jahren wurden, der Not gehorchend, auch viele unausgegorene Dinge realisiert, weil man nicht genug Zeit hatte, vernünftig zu planen. Jetzt wäre es an der Zeit, in Ruhe zu plaB nen und sich zu überlegen, was man wo machen will. Und es wäre notwendig, eine politische Kraft zu entwickeln, die dann auch stark genug sein könnte, eine solche Planung mit langem Atem zu vertreten, selbst wenn über Jahrzehnte hin nichts Sichtbares passiert“ (Friedrich Spengelin, Hannover).
Neben dem nachlassenden „Planungsdruck“ wird zum einen in der „Kleinteiligkeit" der Planung, zum anderen in den knapper werdenden Ressourcen eine Chance zu ihrer Verbesserung gesehen: „Gerade wenn die Aufgaben kleiner werden und die öffentlichen Investitionen sinken, wird es um So wichtiger, zu wissen, wo diese eingesetzt werden sollen und mit welchen Prioritäten. Das aber ist nur möglich, wenn man eine Gesamtvorstellung hat, die man dann auch politisch durchsetzen können sollte“ (Albert Speer, Frankfurt/Kaisers-lautern). Auch Gerd Albers (München) hat die Notwendigkeit einer intensiveren Planungstätigkeit, gerade unter „Schrumpfungsbedingungen“, mehrfach betont: „Mehr Planung soll heißen, nicht so sehr eine ambitionierte Planung, als vielmehr das detaillierte, sorgfältige Nachdenken über kleine Dinge. In einer Situation, in der wenig wirtschaftliche Kräfte zur Verfügung stehen, um die Stadt zu bewegen, muß man sich intensiver mit den Fragen befassen, wie man positive Entwicklungen per Planung initiieren könne. Der Anspruch an individuelle sinnvolle Entscheidungen und die Ablehnung von »Planungen vom grünen Tisch’ führen zu mehr Planung. Will man heute für ein kleines Baugebiet planen, so braucht man einen Arbeitsstab, der so groß ist und so intensiv beschäftigt ist, wie dies früher für einen ganzen Stadtteil nötig war. Die stärkere Orientierung am Bestand macht diese intensivere Beschäftigung notwendig.“ 2. Rechtliche Bedingungen der Planung und die Bodenfrage Die Diskussion der rechtlichen Bedingungen der Stadtplanung ist in jüngster Zeit angeregt worden im Zusammenhang mit den Vorarbeiten zum Entwurf eines neuen Baugesetzbuches dessen Ziel die „Zusammenfassung der rechtlichen Grundlagen des Städtebaus in einem einheitlichen Gesetzeswerk“ ist, d. h. die „Gesamtnovellierung des Städtebaurechtes“ Das vorhandene Rechtsinstrumentarium war als zu verwaltungsaufwendig und kompliziert kritisiert worden. Bundesbaugesetz und Städtebauförderungsgesetz sollen nunmehr zusammengefaßt werden, um eine Vereinfa-chung der Verfahren zu erreichen: Bauen soll leichter möglich sein.
Viele, die von dem Gesetzentwurf eine Reform des Städtebaurechtes erhofft hatten, zeigen sich heute enttäuscht. Sie hatten mehr als nur Verfahrensvereinfachungen und Streichungen von Paragraphen erwartet. Nach dem mehrheitlichen Urteil der Experten werden Fragen der Bodennutzung und deren Beeinflussung durch die Planung eine neue Brisanz erhalten. Dabei spielen weniger die Probleme der Spekulation um die Bodenpreise eine Rolle, als vielmehr die neuen Aufgaben des Bodenschutzes, der Flächenrückgewinnung usw. Diese machen das Wiederaufgreifen der Boden-frage dringend erforderlich.
Die Bodenfrage als schon klassisch zu nennendes Thema der Stadtplanung wurde in unserer Befragung eher heruntergespielt, auch wenn die Spekulation um den knappen Boden den Absichten einer integralen Stadtplanung oft genug im Wege stand. Inzwischen sehen die Planer die „klassische Bodenfrage“ als weniger bedeutsam an, weil sie gelernt haben, sich mit den Bedingungen des Marktes zu arrangieren. Die vorhandenen rechtlichen Eingriffsmögiichkeiten werden als hinreichend angesehen, auch wenn oft bedauert wurde, daß die Gemeinden Möglichkeiten der städtischen Bodenpolitik nicht genügend nutzen. Mit einer einschneidenden Änderung des Bodenrechtes rechnet in absehbarer Zukunft ohnehin niemand. 3. Bürgerbeteiligung als Element der Stadtentwicklung Zu den geänderten Kontextbedingungen der Stadtentwicklung muß auch gezählt werden, daß sie nicht mehr nur als Aufgabenfeld professioneller Spezialisten gelten kann. Es ist heute unbestritten, daß Stadtplanung ein politischer Prozeß ist, auf den Gruppen -die verschiedensten der Bevöl kerung Einfluß nehmen. Die Bürgerbeteiligung ist mittlerweile zu einem weitgehend akzeptierten Bestandteil im Planungs-und Entscheidungsprozeß geworden: „Wir haben die Erfahrung gemacht, daß man mit den Betroffenen zusammen durchaus einen Konsens herstellen kann, was allerdings häufig zu Lasten der Verwertungsinteressen geht. Dieser Konsens kann zu einer viel rascheren, positiveren Lösung führen, als wenn man den Betroffenen nicht fragt oder über seinen Kopf hinweg entscheidet“ (Hardt-Walter Hämer, Berlin). Besonders auf Stadtteilebene oder auf der Ebene des Bebauungsplanes wird die Beteiligung der Bürger als notwendig angesehen. In ihrem unmittelbaren Wohnumfeld und Lebensbereich haben die Bürger einen Informationsstand, den die Planer nutzen können. Als problematisch wird die Bürgerbeteiligung für umfassendere und längerfristige städtische Planungsprobleme angesehen: „Die Bürgerbeteiligung ist an kurzfristigen Zielen orientiert erfolgreich gewesen; für längerfristige Stadtentwicklungsziele ist sie nur schwer als ein tragendes Element in die Stadtplanung einzubauen“ (Ferdinand Stracke, Braunschweig).
Als weiteres Problem der Bürgerbeteiligung werten viele Planer, daß sich hieran die Betroffenen-gruppen sehr unterschiedlich beteiligen. Oft seien dort in der Mehrzahl jene vertreten, die sich gut artikulieren können und nur ihre Sonderinteressen im Blick haben. Darum sehen sich manche Planer zunehmend in der Rolle der „Anwälte“ jener, die sich nicht lautstark zu Wort melden. 4. Wohnungsbau, Verkehrs-und Freiflächenplanung Wie erwähnt, ist die Neubautätigkeit im Wohnungsbau und damit die Bedeutung des Wohnungsbaus als Element der Stadtentwicklung stark zurückgegangen. Dennoch wird der Wohnungsbau weiterhin als wichtig angesehen, weil die geringe Zahl der noch zu bauenden Wohnungen nun mit besonderer Sorgfalt über das Stadtgebiet verteilt werden muß: „Wenn pro Jahr in Hamburg nur noch 1 000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau zu verteilen sind, dann muß sehr genau überlegt werden, wohin diese Wohnungen kommen, und zwar unter dem Kriterium: Wo schaffe ich mit dieser Wohnung nicht nur eine Unterkunft für eine Familie, sondern wo kann ich darüber hinaus auch für die Stadtteilstruktur einen positiven Beitrag leisten“ (Christian Farenholtz, Hamburg).
Ähnlich wie der Wohnungsbau hatte die Verkehrsplanung in den sechziger und siebziger Jahren eine überragende Bedeutung für die Stadtentwicklung. Nicht wenige Städte sind von der Idee der „Verkehrstüchtigkeit“ geprägt. Das Durchfahren dieser Städte ist kaum behindert, aber das Verweilen erscheint um so schwerer. Nach Ansicht der Experten gewinnt für die Verkehrsplanung der Begriff „Rückbau“ weiter an Bedeutung: Überdimensionierte Straßenbaumaßnahmen werden zurückgenommen; die noch notwendig zu bauenden Trassen und Ergänzungen werden stärker in die örtliche Situation eingebunden, allerdings mit der Konsequenz von viel höheren Kosten.
Die Probleme des Individualverkehrs werden weiter die Stadtplanung beschäftigen, da diesbezüglich keine Änderung der Werthaltungen abzusehen ist. Stellvertretend für die Einschätzungen hinsichtlich des Autoverkehrs: „Wir werden in absehbarer Zeit mit dem Auto leben müssen. In den großen Städten werden die Massenverkehrsmittel noch ausgebaut, aber der noch verbleibende Autoverkehr kann von den öffentlichen Verkehrsbetrieben nicht mehr aufgenommen werden. Für die Erschließung der Fläche in den
Randbereichen und in kleinen Städten wird es für das Auto auf absehbare Zeit keine Alternativen geben“ (Fred Angerer, München).
Die Behandlung von Freiflächen und Brachflächen ist ein wichtiges Thema geworden. Das Bewußtsein um die Erhaltung der noch vorhandenen Flächen innerhalb und am Rande der Städte ist gestiegen. Es gibt die Vorstellung, daß man aus Rücksicht auf die noch vorhandenen Flächen im Umland der Städte innerhalb der Städte „nachverdichten“ solle. Andererseits plädierten die Experten mehrheitlich dafür, daß man einige der innerstädtischen Freiflächen einfach „liegen lassen“ sollte. Wenn auch der Druck über die Bauland-preise sehr groß ist, sollten doch Freiflächen als Reserven und zur Regeneration und Regulation des Klimahaushaltes der Städte erhalten bleiben. Für die Durchsetzung einer solchen Freiflächen-politik wird als Problem gesehen, daß die Gleichwertigkeit von ökologischer und ökonomischer Nutzung noch nicht gegeben ist. Eine etwas andere Sichtweise vertreten die Experten im Hinblick auf die Behandlung von Freiflächen oder Reserveflächen in bestehenden Gewerbegebieten. Diese sollten aufgefüllt werden, um die Neuer-schließung von Gewerbegebieten im Umland zu vermeiden. Dazu seien Förderprogramme erforderlich, die die Behandlung von Altlasten (Bodensanierung) mit Ansiedlungsprogrammen verbinden; d. h. die Wirtschaftsförderung sollte in enger Abstimmung mit der Freiflächenplanung geschehen. 5. Zur Bedeutung der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung für die Städte und Gemeinden
Die wirtschaftliche und technologische Entwicklung der jüngsten Vergangenheit scheint bereits ihre Folgen in einem Süd-Nord-Gefälle deutlich werden zu lassen Für die Mehrzahl der Experten steht aber außer Frage, daß die Erscheinungen, die mit dem Schlagwort „Süd-Nord-Gefälle“ bezeichnet werden, nicht regional begrenzt bleiben. Sie sehen für die weitere Zukunft die Planung der „Schrumpfung“ als ein allgemeines Problem, das nicht nur die norddeutschen Städte betrifft und für das es bislang noch keine Lösungsstrategien gibt. Wenn es gelänge, Konzepte für die Planung der „Schrumpfung“ zu entwickeln, dann hätten gerade jene heute benachteiligten Regionen und Städte bessere Chancen für die Zukunft als jene, die sich „noch“ mit den Problemen des wirtschaftlichen Wachstums befassen.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Städte läßt sich per Stadtplanung kaum beeinflussen. Direkter Einfluß ist aufgrund der geringen städtischen Investitionsmittel minimal und Ansiedlungsund Umstrukturierungsentscheidungen der Betriebe treffen den städtischen Arbeitsmarkt relativ unbeeinflußt durch stadtplanerische Bemühungen. Eine kleine Chance der Einflußnahme sehen die Planer in der Förderung eines differenzierten Arbeitsmarktes. Es hat sich gezeigt, daß dieser wichtig ist zur Verhinderung von monostrukturellen Entwicklungen, die die Städte in einseitige Abhängigkeitsverhältnisse führen und sie der wirtschaftlichen Wohlfahrt des dominanten Sektors ausliefern. Die Sicherung der Existenz und der Entwicklungsfähigkeit von Klein-und Mittelbetrieben wird als eine vorrangige Aufgabe angesehen. Der Einfluß der technologischen Entwicklung auf die Städte erscheint primär im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung, d. h. also mit den Folgen der Technologie für den städtischen Arbeitsmarkt relevant zu sein. So wurde und wird viel darüber spekuliert, welche unmittelbaren stadträumlichen Auswirkungen die „mikroelektronische Revolution“ auf die Veränderung des städtischen Siedlungs-und Nutzungsgefüges haben könnte. Man glaubte, daß technologische Neuerungen so weitreichende Folgen für die Arbeitsplatzstrukturen hätten, daß z. B. durch die Zunahme von „Computer-Heimarbeitsplätzen“ die Trennung von Wohnen und Arbeiten weitgehend aufgehoben werden könnte. Heute sind die Experten in der Mehrzahl der Ansicht, daß solche Erwartungen überzogen waren und daß die raum-wirksamen Folgen der technologischen Entwicklung überschätzt werden.
Demgegenüber ist aber deutlich geworden, daß die arbeitsmarktwirksamen Folgen der Technologie die Stadtentwicklungsplanung betreffen. Rationalisierungen und Umstrukturierungen in den Betrieben reduzieren in der Regel die Arbeitsplätze oder stellen neue Anforderungen an die Arbeitskräfte. Technologiebedingte Arbeitsplatz-verluste und veränderte Qualifikationsansprüche sind Folgen der neuen Technologien, deren Abschätzung und Bewältigung mit zu den wichtigsten künftigen kommunalen Aufgabenfeldern gehören.
IV. Ökologischer Städtebau — ein neues Leitbild?
Die kurze Übersicht über die Wandlungen der Leitvorstellungen für die Stadtentwicklung seit 1945 kann — auch nach der Einschätzung der hierzu befragten Experten — heute nicht um ein allgemein gültiges Leitbild ergänzt werden. Die Vielfalt der Probleme und die Differenziertheit der Problemlagen —je nach Bundesland, Region, Stadt — läßt dies nicht zu. Aber es sind Grundhaltungen deutlich geworden, die die Problemgewichtung beeinflussen und möglicherweise auch die Praxis der Stadtplanung zunehmend bestimmen. „Wir denken heute mehr an Recycling, auch wenn wir es bisher noch nicht in allen Bereichen realisieren können“ (Martin Daub, Berlin). Unabhängig von der konkret-stadtplanerischen, städtebaulichen Ebene ist der Begriff „Ökologie“ bedeutungsvoll geworden: „Die Ökologie ist keine Sondersparte im Städtebau; sie ist eine verschärfte Grundforderung, die wir an alles stellen“ (Klaus Humpert, Stuttgart). Die große Bedeutung dieser Grundhaltung resultiert aus der tiefen Einsicht in die Begrenztheit der Ressourcen: „Man weiß heute, daß die Städte, so wie sie bestehen, nicht dauerhaft sein können. Es wird Raubbau getrieben; es werden mehr Rohstoffe importiert, als nachwachsen können, und es werden große Mengen von Abfall exportiert, die nicht wiederverwendbar sind ... Man muß darauf achten, daß der Bestand der Städte die biologischen Ressourcen in geringerem Maße in Anspruch nimmt“ (Hanns Adrian, Hannover). In vielen Gesprächen kam deutlich zum Ausdruck, daß die Ökologie zwar als ein „Wert“ anerkannt ist, daß aber nicht daraus folgend ein Leitbild „ökologischer Städte-bau“ formuliert werden könnte oder sollte. Es wird befürchtet, daß ein solches Leitbild allzu schnell zu „verkürzten“ Maßnahmekatalogen führen könnte, daß Ökologie z. B. reduziert würde auf „mehr Grün“, „bessere Luft“, „weniger Bauland“ oder „biologisches Bauen“. „Wer heute von der ökologischen Stadt schwärmt und dazu ein Lehmhaus vorführt, den kann ich nicht ernst nehmen...“ (Hanns Adrian, Hannover). „Ökologie ist viel mehr, als da und dort ein paar Bäume zu pflanzen und hier ein paar Flächen vor der Bebauung zu bewahren“ (Rüdiger Göb, Köln).
Es scheint nun so, daß wir gegenwärtig zwar kein städtebauliches Leitbild mit klaren Zielvorgaben und strukturellen Weisungen auffinden können; es gibt aber ohne Zweifel ein sehr starkes, auf die humane, auch auf die schöne Stadt bezogenes Engagement, das weitere qualitative Verbesserungen unserer Städte erwarten läßt.