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Der asiatisch-pazifische Mythos. „Atlantische Gegenwart — Pazifische Zukunft“? | APuZ 45/1986 | bpb.de

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APuZ 45/1986 Der Machtwechsel auf den Philippinen Der asiatisch-pazifische Mythos. „Atlantische Gegenwart — Pazifische Zukunft“?

Der asiatisch-pazifische Mythos. „Atlantische Gegenwart — Pazifische Zukunft“?

Oskar Weggel/Rüdiger Machetzki

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Zusammenfassung

Während der letzten beiden Jahrzehnte waren Weltpolitik und Weltwirtschaft deutlichen Wandlungen unterworfen, die das internationale Bewußtsein stark geprägt haben. Im Rahmen dieser Veränderungen sind einige Ansätze zu einer allmählichen Verlagerung des „Weltzentrums“ von der atlantischen zur pazifischen Großregion erkennbar geworden. Die weltweite Diskussion um Ursachen und Folgen der prognostizierten regionalen Gewichtsverschiebung dauert seit Jahren an. Sie spiegelt sich in Schlagworten wie „Atlantische Gegenwart — Pazifische Zukunft“ und „ 21. Jahrhundert — Pazifisches Jahrhundert“ wider. Hauptquelle der „neuen Dynamik“ war die wirtschaftliche Wachstumsstärke des pazifisch-nordamerikanischen Westens, Japans und der aufsteigenden pazifisch-asiatischen Schwellenländer. Im Gegensatz dazu werden die europäischen Volkswirtschaften als überaltert und entwicklungsschwach apostrophiert. Man prophezeit ihnen eine allmähliche „Rückentwicklung“, falls nicht ein grundlegender Bewußtseinswandel eintritt. Stimmt ein solches Zukunftsbild mit der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Realität der Welt überein? Ist der Pazifik eine Region, in der es zur großen wirtschaftlich-politischen Zusammenarbeit kommen wird, oder existieren gegenläufige Tendenzen und Hindernisse, die den „pazifischen Optimismus" zumindest verfrüht erscheinen lassen? Wirtschaftliche Dynamik und hohe Wachstumsraten der Vergangenheit sind unumstritten. Seit einigen Jahren zeigen sich jedoch unterschiedliche Entwicklungsengpässe, die zu Zweifeln an einer „mechanischen Fortschreibung“ der bisherigen Leistungen Anlaß geben. Ferner sind die grundlegenden wirtschaftspolitischen Anforderungen und Interessenlagen der wichtigen pazifischen Wirtschaftsgesellschaften zu unterschiedlich und gegensätzlich, um einen umfassenden regionalenAbstimmungs- und Kooperationsprozeß als wahrscheinlich anzusehen. Auch die abweichenden geopolitischen Ordnungsvorstellungen der wichtigsten pazifischen Anrainerstaaten sprechen nicht für eine Vertiefung der Kooperations-und Integrationsansätze der Gegenwart. Es wird ein pazifisches Wachstum geben, aber ein Wachstum, das durchaus von Konflikten und Brüchen gekennzeichnet sein kann. Bisher ist die Idee der großen pazifischen Wirtschaft ihrer eigenen Wirklichkeit weit vorangeeilt.

Analog zum „Manifest“ von 1848 könnte man heute sagen: „Ein Gespenst geht um in Europa“ — das Gespenst des „Pazifischen Wunders. Die Gelehrten des alten Kontinents haben sich aufgemacht, um in Selbstmitleid und düsteren Verheißungen dem dahingeschwundenen Europa ein letztes Geleit zu geben und Erde aufseinen Sarg zu werfen“. Es ist die Rede von „Eurosklerose“, vom Rückzug in die „Festung Europa“, von der europäischen “ oder vielleicht sogar „deutschen Krankheit“. Man habe den „Anschluß verpaßt“. Das 20. Jahrhundert habe dem Atlantik gehört, das 21. Jahrhundert dagegen dem Pazifik. „Atlantische Gegenwart — Pazifische Zukunft“ ist das Motto einer seit mehr als zehn Jahren andauernden weltweiten Diskussion, die sich mit den langfristigen wirtschaftlich-politischen Entwicklungstendenzen im asiatisch-pazifischen Raum befaßt. In der Zwischenzeit sind weltweit mehr als tausend Publikationen zur allgemeinen Situation im Pazifik und zu den Aussichten einer künftigen pazifischen Kooperationssphäre erschienen. Mit Recht kann man von der „Proliferation einer Idee“ sprechen, die ihrer Wirklichkeit weit vorangeeilt ist. Die Stellungnahmen zur „Wachstumsdynamik der asiatisch-pazifischen Region“ sind von ständig wiederholten Grund-thesen geprägt, die fast schon Losungscharakter angenommen haben. Insbesondere wird das 21. Jahrhundert im Vorgriff als das „Pazifische Jahrhundert“ bezeichnet, das das gegenwärtige „Atlantische Jahrhundert“ ablöst.

Diese zuversichtliche stereotype Voraussage beruht nicht zuletzt auf einer „mechanischen“ Fortschreibung des Wachstums der Anteile der verschiedenen Weltregionen am Weltsozialprodukt während der letzten 25 Jahre. 1960 stellte die Atlantische Region (bewertet als Westeuropa plus halbes Sozialprodukt Nordamerikas) noch eindeutig die weltwirtschaftliche Schwerpunktregion dar. Auf sie entfiel ein Anteil von annähernd 50%. Westeuropa allein kam auf gut 26%, während die asiatisch-pazifischen Staaten (ohne Nordamerika) nur knapp 11 % erreichten. Bis zum Beginn der achtziger Jahre hatte sich das Anteilsverhältnis deutlich verschoben. Der Pazifik erwirtschaftete jetzt 36%, der Atlantik hingegen nur noch 32%. Westeuropa allein kam auf knapp 17% und der Pazifische Raum ohne Nordamerika auf knapp 20%. Man kann davon ausgehen, daß sich diese Schere weiter öffnen wird.

Es ist nicht verwunderlich, wenn derartige internationale Gewichtsverschiebungen das Bewußtsein der am weltwirtschaftlichen Austauschprozeß beteiligten Staaten entsprechend beeinflußt haben. Drei Entwicklungstendenzen waren hier von besonderer Bedeutung. Zum einen geht es um die andauernde „Ost-West-Drift“ der Zentren wirtschaftlicher Aktivität auf dem nordamerikanischen Kontinent. Zum anderen handelt es sich um den Aufstieg Japans zum zweiten großen Akteur im Pazifik und zur Weltwirtschaftsmacht Nummer zwei vor der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland. Als drittes Grundphänomen ist die Herausbildung einer „Zwischenschicht“ von wirtschaftlich dynamischen Staaten zu nennen. Insbesondere Korea (Süd), Taiwan, aber auch die südostasiatischen ASEAN-Staaten sind dabei, sich von der Ebene der Entwicklungsländer „abzuheben“ (take off). Diese aufstrebenden Schwellenländer sind in ihren Entwicklungsstrategien mehr oder weniger stark auf das „Modell Japan“ ausgerichtet. Umgekehrt sieht sich Japan immer stärker als Mittelpunkt einer sogenannten asiatischen Hochwachstumsregion. Demgegenüber scheint die allgemeine Stimmung in Westeuropa eher von resignativen Vorstellungen durchsetzt zu sein. Charakteristisch hierfür ist z. B. ein weithin bekannt gewordener Aufsatztitel der Euro-Asia Business Review „Kann Europa das Pazifische Jahrhundert überleben?“. Andere Schlagwörter, die den vermeintlichen Zustand der westeuropäischen Wirtschaften kennzeichnen sollen, sind „Rückentwicklungsländer“, „alternde Volkswirtschaften“ usw. Die Verbreitung dieser Thesen hat selbst in der Bundesrepublik Deutschland, der führenden europäischen Wirtschaftsmacht, dazu geführt, daß weithin geklagt wird, man habe den Anschluß an die neuen Entwicklungen im Pazifischen Raum verpaßt. Die Bedeutung des Wirtschaftsraums Ost-und Südostasien sei vielfach unterschätzt worden, ganz im Gegensatz zu Japan und auch zu den USA, die ihre dortige Position nachhaltig gefestigt haben. Angesichts des Tenors pessimistischer Stimmen stellt sich die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Beschreibung der weltwirtschaftlichen Realität handelt. Geht die „Pazifische Verheißung“ wirklich an Europa vorbei, kommt es also zu einer „sich selbst erfüllenden Prophezeihung“, oder sind die allgemeinen Befürchtungen eher Aus-B druck einer verzerrten Wahrnehmung internationaler Entwicklungen? Vieles spricht für die letztere These, wenngleich sich nicht leugnen läßt, daß die Region um das größte Weltmeer zu einem neuen Schwerpunkt des Weltgeschehens heranreift. Dort leben mehr als zwei Milliarden Menschen, die gegenwärtig zum wirtschaftlich aktivsten und dynamischsten Teil der Menschheit gehören.

I. Politische Gesichtspunkte

Häufig wird jedoch eine wichtige Tatsache übersehen: Asien und der asiatisch-pazifische Raum (APR) sind alles andere als eine Einheit. Verglichen mit anderen Kontinenten zeichnet sich Asien (und mit ihm der APR) vor allem durch vier Besonderheiten aus: Es besitzt mehr traditionelle Großstaaten, es ist geschichtlich tiefer verwurzelt, es ist in religiösen Belangen autochthoner und — nicht zuletzt aus diesem Grunde — auch in seinen Modernisierungsversuchen eigenständiger als etwa Afrika oder Lateinamerika. Nicht zuletzt deshalb wird es in der Weltpolitik und in der Weltwirtschaft ernster genommen als andere Regionen der Dritten Welt. Trotz solcher Gemeinsamkeiten aber bildet es keine Einheit, sondern eine Vielheit, ja ein vielfaches Gegeneinander. Dies gilt nicht nur für die vorkoloniale und koloniale, sondern nicht zuletzt auch für die nachkoloniale Epoche. 1. Die historische Entwicklung des asiatisch-pazifischen Raums In vorkolonialer Zeit gab es nicht einmal „Staaten“ im Sinne der klassischen Begriffstrias von Volk, Gebiet und Gewalt. Nirgends bestanden z. B. feste Grenzen, weshalb es ja auch kein Zufall ist, daß heute, da die asiatischen Staaten sich im westlichen Sinne zu definieren beginnen, an allen Ecken und Enden Grenzstreitigkeiten zutage treten — man denke vor allem an die Konfliktvielfalt im Südchinesischen Meer.

Auch eine homogene Volkskonzeption war den traditionellen Gesellschaftsordnungen Asiens fremd. Der Begriff „Indonesien“ und die damit verknüpfte Einheitsvorstellung stammt von den Holländern; vorher gab es nur Javaner, Ambonesen, Balinesen oder Bataker. Auch „Las Filipinas“ und „Los Filipinos“ sind Begriffe, die von außen her, d. h. von den Spaniern, einem Archipel aufgeprägt wurden, der aus 7 000 Inseln bestand und von den verschiedensten malaiischen Völkerschaften bewohnt war, die sich ganz gewiß nicht als einheitliches Volk empfanden und deshalb auch die verschiedensten Bezeichnungen trugen und unterschiedliche Dialekte sprachen.

Was schließlich die „Staatsgewalt“ anbelangt, so gab es in der Tradition keine Identität von Staat und Ökumene. Der „Staat“ war vielmehr ein Gebiet, in dem der Herrscher des betreffenden Reichs unmittelbar Steuern einziehen, Registrierungen vornehmen oder Polizeimacht ausüben konnte. Zur Ökumene dagegen gehörten die einzelnen Tributstaaten, die lediglich in regelmäßigen Abständen vor dem Hof zu erscheinen und dort ihre Respektsbezeugungen in Form von Verbeugungen, Weihgaben etc. zu erbringen hatten. Nichterscheinen war ein Casus belli, bei regelmäßigen Visitationen dagegen konnten sich die Beziehungen in den friedlichsten Formen abspielen. In der Auffassung der meisten asiatischen Königreiche gab es mit wachsender Nähe zum König/Kaiser Verdichtungen von Raum, Zeit und Gewalt, während diese Dimensionen in umgekehrter Richtung abnahmen und nur soweit reichten, wie die Tributverhältnisse funktionierten. „Staatsgewalt“ war also kein kontinuierliches Element, das das gesamte Staats-„Gebiet“ gleichmäßig ausfüllte, sondern ein Diskontinuum mit Verdichtungs-und Ausdünnungserscheinungen. Nicht „Staaten“ gab es also, sondern nur „Mächte“, die sich der Außenwelt gegenüber höchst unterschiedlich verhielten, sei es nun im „impansiven“, expansiven oder isolationistischen Sinne

Angesichts dieser Spielformen war das Asien der vorkolonialen Zeit alles andere als eine Einheit. Dies änderte sich auch nicht im Verlaufe der europäischen Kolonialisierung, die im Jahr 1511 mit der Eroberung Malakkas durch die Portugiesen begann und 1963 mit dem Rückzug der Holländer aus West-Neuguinea endete. Portugal, Spanien, die Holländer, die Briten, die Franzosen, die Amerikaner und die Deutschen, die im asiatisch-pazifischen Raum Kolonien gründeten, brachten zwar das europäische Wertesystem nach Asien, doch in einer jeweils verschiedenen Ausprägung. Vor allem im 19. Jahrhundert wurden die Kolo-nialgebiete zu Anhängseln ihrer jeweiligen Mutterländer — und damit zu Bestandteilen des europäischen Konfliktspektrums. Die Kolonisierung trug hier sogar noch eher zur Spaltungsvertiefung als zur Aufhebung der Unterschiede bei, zumal die Kolonialmächte ja auch noch feste Grenzen um „ihre“ Gebiete zogen und auf diese Weise meist alte Stammesverbindungen zerrissen. Das daraus entstandene Erbe belastet auch heute noch viele asiatische Staaten.

Wenn es bisher überhaupt panasiatische/panpazifische Bewegungen gab, so in den Zwischen-kriegsjahren 1918— 1939. Zwei Grundtendenzen kamen damals auf, die einander diametral entgegenwirkten und die in dieser Gegenläufigkeit neue Kräfte freisetzten, nämlich für und gegen den politischen Status quo im asiatisch-pazifischen Raum. Zu den Pro-Status-quo-Kräften gehörte vor allem die durch den Ersten Weltkrieg geschwächte Weltmacht Großbritannien, die sich nach 1918 bemühte, alle neu aufkommenden Kräfte soweit wie möglich niederzuhalten. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang wurde die Washingtoner Konferenz von 1921/22, die sich hauptsächlich gegen eine weitere japanische Expansion richtete und deren Ergebnisse sich in vier Abkommen niederschlugen. Das Flottenbeschränkungsabkommen legte fest, daß das Flottenverhältnis Großbritannien : USA : Japan bei 5: 3: 3 fixiert werden solle. Das Pazifikabkommen, das zwischen den Mächten Großbritannien, USA, Frankreich und Japan zustande kam, sollte den jeweiligen Inselbesitz im Pazifik garantieren. Ein drittes Abkommen galt — an die Adresse Japans gerichtet — der chinesischen Unabhängigkeit („Offene Tür“), und ein viertes verpflichtete Japan zur Rückgabe der Bucht von Qiaozhou, die das Kaiserreich 1914 den Deutschen abgenommen hatte, an China.

Gegen diese Stabilisierungsversuche richteten sich jedoch vor allem zwei Kräfte, nämlich die Komintern und das imperiale Japan. Beide Anti-Statusquo-Bewegungen waren, so sehr sie sich auch sonst voneinander unterschieden, höchst panasiatisch eingefärbt, da sie von einem als ganzem „aufzurollenden“ asiatisch-pazifischen Raum ausgingen. Hierbei laborierte die Komintern mit ihren so berühmt gewordenen zwei Strategien: Im Wege der Rechten Strategie erstrebte sie eine Vereinigung der UdSSR mit den internationalen Parias der Nachkriegszeit, nämlich mit dem Deutschen Reich und mit dem Republikanischen China. Ganz in diesem Sinne kam es im April 1922 zum Abschluß des Rapallo-und im Mai 1924 zum Abschluß des Chinavertrags, demzufolge die „ungleichen“ Vereinbarungen aus der Zarenzeit null und nichtig seien und durch neue „gleiche“

Verträge ersetzt werden sollten. Das republikanische China war begeistert und gestattete es der Komintern in den Jahren ab 1923, beim Aufbau der Guomindang und anderer Organisationen mitzuwirken.

Weitaus bedeutsamer für Asien sollte jedoch die Linke Strategie werden. Gemäß dem Grundsatz Lenins, daß die „schwächsten Kettenglieder des Imperialismus“ in den Kolonien lägen, versuchte die Komintern, ihre Hebel vor allem dort anzusetzen und bildete asiatische Revolutionäre aus. Unter anderem entsandte sie Ho Chi Minh nach Indochina und eine Reihe anderer Emissäre nach Niederländisch-Indien, Indien und Malaia. Aus Moskauer Sicht war ganz Asien ein Schachbrett, auf dem sich „anti-imperialistische“ Züge durchspielen ließen.

Noch stärker freilich waren die panasiatischen und panpazifischen Bestrebungen beim japanischen Kaiserreich ausgeprägt, das die Parole „Asien den Asiaten“ ausgab und das im Zeichen des Antikommunismus eine mit Deutschland und Italien abgestimmte Vorwärts-Politik zu betreiben begann. Dem Anti-Kominternpakt von 1936 zufolge sollten Deutschland und Italien eine Neue Ordnung in Europa schaffen, während Japan freie Hand für die Errichtung einer „Großasiatischen Wohlstandssphäre“ bekam.

Der japanische Militarismus sah sich von nun an mit zwei Fronten konfrontiert, nämlich im Norden mit der UdSSR, im Süden mit der ABCD-Gruppe. (Amerika, Britannien, China, Dutch).

1938 kam es zu einer Reihe von japanisch-sowjetischen Zusammenstößen an der mongolischen Grenze; als jedoch die Truppen Hitlers 1941 die Sowjetunion angriffen, schloß Japan überraschend mit der UdSSR einen Nicht-Angriffspakt (1941) ab, mit der Folge, daß Stalin sich nun ganz der Westfront, Japan dagegen der ABCD-Front zuwenden konnte. Die eigentliche Expansion begann 1937 mit dem Angriff auf China und 1941 (Pearl Harbour) mit dem Pazifischen Krieg. Während der ganzen folgenden Jahre unterstützte Japan den Aufbau pro-japanischer Regierungen im APR. Während die Komintern in einem Gebiet wie Indochina auf Ho Chi Minh setzte, unterstützte Japan dort zur gleichen Zeit den Thronfolger der Nguyen-Dynastie, Bao Dai. Auch in anderen Ländern kam es zu ähnlichen Gegenpositionen. Im November 1943 fand in Tokio die „Großasiatische Konferenz“ statt, an der die von Japan protegierten Vertreter Chinas, Mandchukuos, der Philippinen, Siams, Birmas und Indiens teilnahmen.

Mit der Kapitulation Japans 1945 scheiterte der bis dahin bedeutsamste Versuch, den asiatisch-pazifischen Raum unter einheitliche — sprich: japanische — Führung zu bringen. Aber auch die Komintern stand schon bald vor einem Trümmerhaufen. Die letzte von ihr inspirierte Aufstandsbewegung, die unter der Bezeichnung „Emergency“ in die Geschichte einging, nämlich der Guerilla-B Krieg auf der malaiischen Halbinsel (1948— 1960) scheiterte nach zwölf Jahren und löste im gesamten insularen Südosten eine Welle des Antikommunismus aus.

Die beiden bedeutsamsten „panasiatischen“ Bewegungen hatten sich also Mitte der vierziger Jahre totgelaufen. Asien verwandelte sich wieder in jenes Mosaik vielfältiger Kräfte und Gegenkräfte zurück, das es immer schon gewesen war. Aus dem britischen Kolonialverband gingen nach 1947 nicht weniger als elf neue Staaten hervor, nämlich sieben in Südasien (Indische Union, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Bhutan, Nepal, Malediven) und vier in Südostasien (Birma, Malaysia, Singapur, Brunei); aus französischem Kolonialbesitz drei Staaten (Vietnam, Kambodscha, Laos) und aus holländischem sowie US-Besitz jeweils ein Staat, nämlich Indonesien und die Philippinen; sogar aus der japanischen „Hinterlassenschaft“ entstanden vier allerdings höchst problematische Gebilde, nämlich Taiwan, Nordkorea, Südkorea und Mikronesien, letzteres kam unter US-Protektorat.

Alle diese neuen Staaten, die noch ergänzt wurden durch das sich schnell erholende Japan sowie durch die neu ausgerufene Volksrepublik China, boten ein buntes Bild, das in den nachfolgenden Jahren keineswegs einheitlicher wurde. Vielmehr gerieten alle Staaten von Anfang an mitten in die Ost-West-Auseinandersetzung hinein. China, Nordkorea, Nordvietnam und die Mongolische Volksrepublik wendeten sich hierbei dem sozialistischen Lager zu, Japan, Südkorea, Taiwan, die Philippinen, Thailand und Pakistan schwenkten dagegen ganz zum „Westen“ über. Erst mit der Konferenz von Bandung (1955) konnte sich zwischen diesen beiden „Lagern“ ein neutralistisches Spektrum entfalten, zu dem das Indien Nehrus, Birma, Kambodscha, Laos, Nepal und eine Reihe anderer Staaten gehörten.

Mit dem chinesisch-indischen Konflikt, mit dem Konflikt um die SEATO und mit dem Zweiten Indochinakrieg kamen neue Varianten in das ohnehin schon buntscheckige Bild. Besonders scharfkantig entwickelten sich die Parteiungen in Südostasien. Dort bildete sich im Laufe der Zeit eine antikommunistische ASEAN (mit heute sechs Mitgliedern), ein „kommunistisches“ Indochina mit drei Staaten und ein neutralistisches Staatswesen (Birma) heraus. Aber selbst die ASEAN-Gemeinschaft, die sich doch nach außen hin stets den Anstrich fugenloser Einheitlichkeit gibt, ist in ihrem Inneren alles andere als ein Monolith. Da sind einerseits die stark außenwirtschaftsorientierten Mitglieder wie Singapur und Brunei und — am anderen Ende der Skala — das am stärksten binnenorientierte Indonesien. Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich Malaysia und Thailand sowie die Philippinen. Verschieden wie ihre sozioökonomische ist auch ihre außenpolitische Orientierung. Indonesien beispielsweise, das seinen größten Gegner in China sieht, neigt dazu, Vietnam als den potentiellen Hauptverbündeten in Südostasien zu betrachten, während andererseits Thailand angesichts des Kambodscha-Konflikts in Vietnam den Hauptwidersacher erblickt und sich deshalb in einer Reihe mit der Volksrepublik China gegen Hanoi sieht. Zwischen den asiatischen Staaten gibt es ferner zahlreiche Grenzkonflikte, die sich im Südchinesischen Meer zu einem Brennpunkt verdichten, wo China, Vietnam, Malaysia, Indonesien, die Philippinen und Taiwan gegensätzliche Standpunkte einnehmen und ihre Ansprüche z. T. sogar mit Waffen durchsetzen, so z. B. bei den chinesisch-südvietnamesischen Auseinandersetzungen um die Paracel-Inseln im Jahre 1974.

Für das Fortbestehen der Verschiedenheiten sprechen auch unterschiedliche „politkulturelle“ Traditionen, die oft Äonen voneinander entfernt sind — man denke etwa an die „lose strukturierten“ Gesellschaften Thailands, Laos’, Kambodschas und Birmas auf der einen und die (im Geiste des Metakonfuzianismus) straff gebündelten Gesellschaften Chinas, Vietnams, Japans, der beiden Koreas, Singapurs und Hongkongs auf der anderen Seite. Bringt man hier gar noch die Andenstaaten, Kalifornien sowie die polynesischen, melanesischen und mikronesischen Kulturen ins Spiel, so ergeben sich Gegenstrukturen, die unter einheitlichen Kriterien betrachten zu wollen, der Quadratur des Kreises gleichkäme. Es mag eine gemeinsame „atlantische“ Wertelandschaft geben — eine asiatisch-pazifische gibt es ganz bestimmt nicht. 2. Politische Veränderungen im asiatisch-pazifischen Raum Könnten sich hier aber nicht in Zukunft entscheidende Wandlungen vollziehen, wobei — wieder einmal — die Wirtschaft eine Pilotfunktion zu übernehmen hätte?

Mitte der fünfziger Jahre schien es eine Zeitlang, als könnten sich die jungen Staaten Asiens mit panasiatischen Zielsetzungen anfreunden. Es war dies die Zeit, als Nehru und Zhou Enlai sich in Bandung trafen, Verträge abschlossen, in denen die fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz verankert waren, und Erklärungen abgaben, die auf den Prozeß einer gesamtasiatischen „Verbrüderung“ hinzudeuten schienen. Als sich jedoch 1961/62 im Himalaya die chinesisch-indischen Waffen kreuzten, glaubte bereits niemand mehr an „Asien“, obwohl sich Anfang der sechziger Jahre eine zweite stark asienbezogene Entente Cordiale andeutete, die diesmal im Zeichen Chinas und Indonesiens stand. Geplant war damals die Gründung einer Gegen-UNO, einer Gegen-21 Olympiade und überhaupt einer „asiatischen“ Gegenideologie. Mit dem Sturz Sukarnos freilich und der daraufhin in Indonesien einsetzenden antikommunistischen/antichinesischen Verfolgungswelle hatte auch dieser Ansatz ein schnelles Ende gefunden.

Was von der so häufig beschworenen chinesischvietnamesischen Verbundenheit zu halten war, zeigte spätestens das Jahr 1979, als es zwischen beiden ebenfalls zum Krieg kam. Was China und Japan anbelangt, so gibt es zwischen ihnen zwar intensive Handelsbeziehungen und auch eine im höchsten Führungsbereich angesiedelte Institution, die den schönen Namen „chinesisch-japanische Freundschaft im 21. Jahrhundert“ trägt; in der praktischen Politik jedoch wahren beide Länder kühle Distanz zueinander; vor allem erwartet China von Japan „respektvolles“ Verhalten sowie einen „ständigen Gang nach Canossa“.

Wie steht es nun um die künftigen Zielsetzungen der wichtigsten asiatisch-pazifischen Mächte? Zeigen sich irgendwo panasiatische oder auf den asiatisch-pazifischen Raum bezogene Ansätze?

Japan Nach den Lehren, die das Kaiserreich aus seiner Niederlage von 1945 ziehen mußte, steht der Pan-Asiatismus nicht mehr besonders hoch im Kurs. Zwar haben die japanischen Industriellen heute mit wirtschaftlichen Mitteln beinahe erreicht, was die japanischen Militärs bis 1945 mit ihren Gewehren vergeblich versuchten, nämlich die Schaffung einer Art „Großasiatischer Wohlstands-sphäre“ — vor allem im ASEAN-Bereich —, doch bekommt Japan hier einerseits wachsenden Widerstand von Seiten der asiatischen Partner zu spüren, andererseits liegen seine Vorbilder, seine „Wertelieferanten“ und vor allem seine Hauptwirtschaftspartner nicht in Asien, sondern im Westen.

Eine Bindung an die beiden Festlandsmächte China oder Sowjetunion bleibt außer Betracht. Was die neutralistische Option anbelangt, so wird sie zwar von einigen Parteien (SPJ, KOMEITO) und von Randgruppen der Regierungspartei LDP nach wie vor verfochten, doch hat spätestens der chinesisch-japanische Friedens-und Kooperationsvertrag von 1978 bewirkt, daß Japan keine Äquidistanz mehr zwischen Moskau und Peking anstreben kann. Ferner beginnt Japan sich angesichts des Anwachsens der sowjetischen PazifikFlotte Gedanken über eine „Vorwärtsverteidigung“ zu machen, um notfalls vor allem seine lebenswichtigen „Ölrouten“ zu verteidigen.

Für Japan scheidet aber nicht nur die neutralistische Option, sondern auch der „nationale Alleingang“ aus. Nicht nur daß hier der Artikel 9 der japanischen Verfassung (Verzicht auf Wiederbewaffnung) einen Riegel vorschiebt; das Land müßte sich auch noch, um in seiner Verteidigung „glaubhaft“ zu sein, mit dem Gedanken einer Nuklearbewaffnung vertraut machen, der bei der japanischen Bevölkerung insgesamt auf geschlossene Ablehnung stößt — man denke an Hiroshima und Nagasaki. Außerdem würde das ohnehin wache Mißtrauen der Südostasiaten gegen ein voll aufgerüstetes Japan vermutlich auch außen-wirtschaftlich kontraproduktiv wirken.

Für Japan verbleibt nach alledem nur die Option einer fortgesetzten Westbindung: An der Spitze des „Westens“ befindet sich Japans Hauptschutzmacht, dort liegen auch seine Hauptabsatzmärkte (40% des japanischen Außenhandels werden allein mit den USA abgewickelt), seine Hauptkonkurrenten und seine Vorbilder.

China Noch Mitte der fünfziger Jahre schien es, als könnte sich die damals noch junge Volksrepublik mit panasiatischen Zielsetzungen anfreunden. Es war die Zeit, als die oben erwähnte Zusammenarbeit mit Indien und Indonesien in Blüte stand. Von solchen Ausflügen in eher exotische Abenteuer abgesehen, kam China aber nicht einmal mit seinen unmittelbaren Nachbarn Korea, Vietnam und Japan ins reine. Zur Wirtschaftsmacht Japan vor allem wird sich die Volksrepublik in keine wirtschaftliche Abhängigkeit begeben, sondern statt dessen dafür sorgen, daß andere Industriestaaten ein außenwirtschaftliches Gegengewicht bilden. Damit sind aber bereits wieder die westlichen Industriestaaten angesprochen — von Pan-Asiatismus keine Spur. China hat seit 1949 mit einer Reihe von außenpolitischen Optionen experimentiert und sich zunächst „einseitig zur Sowjetunion hingelehnt“. Nach 1972 pflegte es dann kurze Zeit stärkere Kontakte zu den Vereinigten Staaten. Diese hielten freilich nicht lange an. Neutralismus, eine dritte Option, kommt für China nicht in Betracht, und zwar weder in Form von „Äquidistanz“ und „Pazifismus“ noch in Form von offizieller „Nichtanlehnung“. Seit Anfang der achtziger Jahre wird statt dessen verstärkt die „Unabhängigkeit“ betont — eine Formulierung, mit der angedeutet werden soll, daß China seinen Weg völlig selbständig gehen, daß es mit seiner Sicherheitspolitik auf eigenen Beinen stehen, daß es nach allen Seiten hin offen bleiben und daß es sich vor allem künftig auch nicht mehr negativ an die Sowjetunion binden will: Bis dahin hatte die Volksrepublik ja fast stets das genaue Gegenteil dessen getan, was die Sowjetunion betrieb — und sich auf diese Weise in eine (selbst verschuldete) Abhängigkeit mit umgekehrtem Vorzeichen gebracht. Der Kurs, für den sich die Volksrepublik China mit gut einer Milliarde Menschen und ihrem Wirtschaftspotential entschlossen hat, ist ein Kurs des Alleingangs, wobei die chinesische Regierung allerdings offiziell wünscht, mit den Entwicklungsländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in enger Fühlungnahme zu bleiben.

Südostasien Schließlich zeigt auch „Südostasien“ wenig gesamtasiatische oder gesamtpazifische Neigungen: Einstweilen gibt es dort ja noch zwei Blöcke, die sich je an eine Supermacht angebunden haben, nämlich auf der einen Seite die drei Indochina-staaten an die UdSSR, auf der anderen die ASEAN-Staaten an die USA sowie an andere westliche Länder. Diese Supermachtsanbindung kann jedoch nur kurzfristig hilfreich sein. Auf längere Sicht bleiben eigentlich nur zwei realistische Optionen, nämlich die des Regionalismus und des Neutralismus, wobei das eine mit dem anderen zu verknüpfen wäre.

Orientierungspunkt für beide Ausrichtungen könnte die am 27. November 1971 von Malaysia verkündete ZOPFAN-Idee sein. Ziel der Zone of Peace, Freedom and Neutrality ist es, in Südostasien einen Zehn-Länder-Block entstehen zu lassen, dessen Mitglieder sich zu dauernder Neutralität verpflichten — einer Neutralität, die ihrerseits von den größeren Mächten garantiert werden müßte. Mindestvoraussetzung für eine Realisierung dieses Plans wäre allerdings ein (Teil-) Rückzug der Großmächte aus der Region, eine Auflösung noch bestehender Verteidigungsallianzen mit außerregionalen Mächten (vietnamesischsowjetischer Kooperationsvertrag von 1978, Manila-Vertrag von 1954 u. a.), eine Lösung der Kambodscha-Frage und ein weiterer Abbau innerregionaler Konflikte (Territorial-und Maritimgrenzen) bei gleichzeitiger Intensivierung der regionalen Zusammenarbeit.

Bis es soweit ist, wird wohl noch geraume Zeit vergehen. Immerhin aber zeichnet sich hier eine Option ab, die zu den heutigen Gegebenheiten eine glaubhafte entspannungsträchtige Alternative liefert. Von panasiatischen oder APR-Bestrebungen ist demgegenüber nirgends die Rede, wie nicht nur die gegenwärtige Anbindung der südostasiatischen Staaten an (außerregionale) Supermächte zeigt, sondern wie auch aus dem Wunsche der meisten ASEAN-Staaten deutlich wird, sich gegenüber der japanischen Wirtschaftsvormacht eine europäische und amerikanische Rückendekkung zu verschaffen. 3. Die Einheit der „Pazifischen Gemeinschaft“?

Ist also nach alledem die „Pazifische Gemeinschaft“ als Einheit überhaupt realisierbar? In den so phantastischen Spekulationen über eine „Pazifische Gemeinschaft“, wie sie während der vergangenen Jahre überaus zahlreich entstanden sind, gingen die meisten Überlegungen von schieren Quantitäten aus: Menschenpotential, Rohstoffreichtum, Verkehrslage, Wachstumsraten der letzten Jahre etc. Sämtliche 100-Millionen-Völker, so die Argumentation, mit Ausnahme Indiens, lägen am Rande des Pazifik. Mit Ausnahme von Erdöl und Erdgas stelle das Rohstoffpotential der pazifischen Region alle anderen Erdteile in den Schatten — man denke an Zinn, Bauxit, Eisenerz, Mangan, Wolfram, Kohle usw. Der „Große Teich“ sei vom Verkehrshindernis zum Idealverkehrsverbund geworden: Schon heute lägen die Transportkosten zwischen San Franzisko und Tokio niedriger als zwischen San Franzisko und New York! Diesseits und jenseits des Pazifik befänden sich außerdem die technologischen Innovationszentren etc. etc. Ergo rücke der Pazifik — auf Kosten der „atlantischen Gemeinschaft“ — unaufhaltsam nach vorne.

Eine solche „geopolitische“ Schlußfolgerung erweist sich jedoch aus mehreren Gründen als unzulässig: 1. Nicht oft genug kann die Tatsache betont werden, daß Asien — oder gar der Pazifik — keine Einheit ist und daß deshalb die Rohstoff-und Innovationspotentiale der dortigen Länder nicht einfach addiert werden dürfen. Ein solches Vorgehen wäre nicht einmal bei der „atlantischen Gemeinschaft“ zulässig: Ist es etwa ein Zufall, daß sich hier die intensivsten Verbindungen ausgerechnet zwischen den hochindustrialisierten Ländern Nord-und Mitteleuropas einerseits und den USA sowie Kanada andererseits ergeben, während beispielsweise die Beziehungen zwischen Westafrika und der Ostküste Lateinamerikas sehr zu wünschen übrig lassen, obwohl ja auch diese Länder ganz ohne Zweifel Atlantik-Anlieger sind? Nicht viel anders kann es im Pazifik sein. Daß sich dort enge Waren-und Ideenströme zwischen Japan und Kalifornien ergeben, liegt auf der Hand. Warum aber lassen sich die Beziehungen zwischen Indonesien und Chile damit auch nicht im entferntesten vergleichen!? Und was hat „British Columbia“ mit Neuguinea zu tun!? Vergleichbar vorschnelle „Einheits“ -Hypothesen hat es bereits Anfang der fünfziger Jahre gegeben, als von einem „roten Block“ von Canton bis zur Elbe die Rede war. Hier unterstellte man eine Einheitlichkeit „des“ Kommunismus, die von Anfang an abwegig war und die sich im weiteren Verlauf der Geschichte dann ja auch als absurd erwiesen hat. 2. Kooperations-und Einigungsüberlegungen haben nichts mit Geographie und statt dessen sehr viel mit Strukturgegebenheiten zu tun. Wenn es beispielsweise um wirtschaftlich-technologische Kontakte geht, so ist anzunehmen, daß Japan einem „atlantischen“ Land wie Frankreich oder den Niederlanden Priorität gibt gegenüber einem pazifischen Staat wie Samoa oder Papua-Neugui23 nea. Die „pazifische“ oder „atlantische“ Qualität als solche kann folglich nicht über die Intensität von Beziehungsfeldern entscheiden! Raumgebunden sind am Ende höchstens Sicherheits-und Militärüberlegungen, nicht jedoch Wirtschafts-und Technologiebeziehungen, es sei denn, daß man die Transportkosten veranschlagt, die jedoch angesichts der immer moderneren und immer weniger kostspieligen Verkehrsmittel sowie angesichts der zunehmenden Miniaturisierung auch nicht mehr so stark ins Gewicht fallen. Überdies schlagen sich Transportkosten auf den Preis einer Ware oder Leistung erfahrungsgemäß weitaus weniger nieder als etwa Währungsparitäten — man denke an die gewaltigen Ausschläge des US-Dollar innerhalb eines Zeitraums von nicht einmal zehn Jahren! Auch für die Kommunikation, die zunehmend an Bedeutung gewinnt, spielt es keine Rolle, ob der Partner Atlantik-oder Pazifikanrainer ist.

Ist es außerdem von Belang, daß die größte Schiffswerft der Welt nicht mehr in Manchester, London oder Hamburg, sondern in Südkorea liegt, daß Tokio, Hongkong und Singapur als Finanzplätze immer interessanter werden und daß Kalifornien und die Ostküste Japans zu „Mikroelektronikzentren“ geworden sind? Die Größe der Schiffswerft kann vorteilhaft sein, sie kann aber — im Zeichen einer flauen Nachfrage — auch zur Belastung werden. Die geographische Lage von Finanzzentren spielt unter den heutigen Kommunikationsbedingungen ebenfalls eine abnehmende Rolle: Zum einen gibt es bekanntlich moderne Telekommunikationseinrichtungen, zum anderen ist es üblich geworden, daß atlantische Banken im pazifischen Bereich und umgekehrt pazifische Banken im atlantischen Raum Filialen einrichten und entsprechend die Geldströme mitverwalten und -lenken. Was schließlich die technologischen Mekkas anbelangt, so gibt es hier verhältnismäßig schnelle Wandlungen. Die Bedeutung von Osaka kann morgen München oder Toulouse oder vielleicht irgendeine amerikanische Stadt an der Atlantikküste haben! Nichts ist hier „metaphysisch“ ein für allemal festgelegt. Entscheidend ist die Offenheit für neue Entdekkungen, die Innovationsbegeisterung und der Wille, Rückstände so schnell wie möglich wieder wett zu machen; auf die Geographie kommt es dabei ganz bestimmt nicht an! 3. Der transpazifische Handel hat inzwischen das Volumen des transatlantischen Handels überholt. Dies aber bedeutet für Europa lediglich, daß es sich in den transpazifischen Handel stärker einschalten muß. Europa — und die atlantische Hälfte der USA! — sind hier genauso zum Wettbewerb aufgefordert wie jedes asiatisch-pazifische Land — und es hat am Ende die gleichen Chancen, im Positiven wie im Negativen. 4. Wenn es einen Erdteil gibt, bei dem die wirtschaftlichen und technologischen Gefällestufen zwischen den einzelnen Ländern besonders kraß zutage treten, so ist es ebenfalls, wie noch näher auszuführen sein wird, der asiatisch-pazifische Raum. Wie soll diese „Gemeinschaft der Ungleichen“ aber in absehbarer Zeit je zusammenwachsen!? 5. Asien und der Pazifik sind sicherheitspolitisch und ideologisch ein Teil des Ost-West-Konflikts — und bleiben auch insofern gespalten. Im asiatisch-pazifischen Raum bestehen zur Zeit sechs prowestliche Bündnissysteme sowie der Versuch der UdSSR, ein „Kollektives Sicherheitssystem in Asien“ (Plan von 1969) aufzubauen. Die sechs proamerikanischen Bündnisse sind der ANZUS-Pakt von 1952 (Australien, Neuseeland, USA), der ANZUK-Pakt von 1971 (Australien, Neuseeland, Großbritannien, Malaysia und Singapur), der US-philippinische Verteidigungsvertrag von 1952, der US-japanische Sicherheitsvertrag von 1952, der 1960 verlängert wurde, der US-süd-koreanische Verteidigungspakt von 1963 und das US-thailändische Sicherheitssonderabkommen von 1962, das als Ergänzung des SEATO-Vertrags von 1954 zu verstehen war. Die SEATO-Organisation ist zwar nach Austritt fast aller ihrer Mitglieder gegenstandslos geworden, nicht jedoch der Manila-Vertrag von 1954, auf dessen Basis sie errichtet wurde.

Ein ähnlich zwiespältiges Bild ergibt sich bei der Betrachtung des sowjetischen Plans eines „Kollektiven Sicherheitssystems in Asien“ von 1969. Dessen Hauptzweck war es von Anfang an, der UdSSR ein Mitspracherecht in einer Region einzuräumen, in der sie bis dahin kaum präsent gewesen war. Sie würde von jetzt an (1969!) jene Vakua auffüllen, die die USA, vor allem aber Großbritannien durch ihren „Rückzug“ schufen. Zweitens ging es darum, die oben erwähnten sechs „imperialistischen Pakte“ langfristig zu liquidieren und an ihre Stelle ein umfassendes neues Sicherheitsbündnis zu setzen, an dem auch Moskau beteiligt sein sollte. Selbst die asiatischen Haupt-verbündeten der UdSSR, nämlich Vietnam und Indien, verhielten sich gegenüber dem sowjetischen Vorschlag höchst zurückhaltend — es gab überhaupt nur einen Interessenten, der wirklich nachdrückliches Interesse bekundete, nämlich die Mongolische Volksrepublik; diese aber zählt seit langem zum Einflußbereich der UdSSR.

Wie die Entwicklung des von den USA im Rahmen ihrer Containment-Politik aufgebauten Verteidigungsgürtels und das Schicksal des sowjetischen Plans eines „Kollektiven Sicherheitssystems in Asien“ zeigten, gibt es in Asien keinerlei pan-asiatische Sicherheitsansätze. Vielmehr zieht sich der Ost-West-Konflikt, einem Mäander ähnlich, durch sämtliche Länder, Regionen und Formationen. Aus den vorangegangenen Betrachtungen lassen sich folgende Thesen ableiten:

1. Asien war nie eine Einheit, es ist keine Einheit und es hat auch wenig Chancen, auf absehbare Zeit eine solche zu werden. Politische und wirtschaftliche Potentiale dürfen also nicht einfach zu einer regionalen Gesamtgröße zusammenaddiert werden. Vor allem ist der asiatisch-pazifische Raum ein Gesamtmosaik von Subsystemen, die untereinander zwar zusammenarbeiten, aber auch im Konflikt zueinander stehen.

2. Die Chancen für panasiatische Systeme stehen ungünstig, sei es nun für ein gesamtregionales Verteidigungssystem, für eine wie immer geartete „asiatisch-pazifische Wirtschaftsgemeinschaft“ oder aber für ein gesamtpazifisches Gemeinschaftsbewußtsein. Wirtschaftspotentiale allein erzeugen nämlich noch lange keine regionalspezifischen Zentripetalkräfte. Es kann also nicht verwundern, daß bisher noch jeder pazifische Integrationsansatz, heiße er nun OPTAD (Organization for Pacific Trade and Development, 1968) oder aber „Pacific Basin Cooperation“ (japanischer Vorschlag von 1979), gescheitert ist. Verstärkte Kooperation ist vielleicht realisierbar (wenn auch nur zwischen einigen wenigen fortgeschrittenen Pazifikanrainern), Integration (z. B. nach EG-Muster) dagegen bleibt zumindest auf absehbare Zeit utopisch. 3. Nichtasiatische Mächte sind jederzeit in der Lage, sich sowohl in die Ost-West-als auch in die Nord-Süd-Belange Asiens und des asiatisch-pazifischen Raumes einzuschalten — und werden dort in der Regel auch als politische oder wirtschaftliche Gegengewichte zu der einen oder anderen Großmacht willkommen sein. Für Europa bedeutet dies, daß es jederzeit seinen Einfluß ausdehnen kann, sei es nun im Bereich des Handels, des Technologieaustausches, bei der Gründung von Industrieparks oder aber durch die Errichtung von Produktionsbetrieben in Wirtschaftssonderzonen — um nur einige Beispiele weltweiter Arbeitsteilung zu nennen. Fürchten muß es nicht den Rohstoffreichtum dieser Region, nicht die in den letzten Jahren zutage getretene Wachstumsdynamik im „pazifischen Becken“ und auch nicht das Ausgesperrtsein (alle erfolgreichen pazifischen Staaten sind ja Verfechter der Marktwirtschaft und des Prinzips der „offenen Tür“), fürchten muß es vielmehr seine eigene Lethargie — wenn sie denn weiter um sich greifen sollte —, seinen Kleinmut und den Verlust seines ureigensten Wertesystems, das so altmodische Tugenden wie Fleiß, Sparsamkeit, Offenheit und Wettbewerbs-sowie Lernbereitschaft umfaßt. Insofern ist es weniger der asiatisch-pazifische Raum, der Europa gefährlich werden könnte, als vielmehr der Verlust seiner ureigensten Identität.

II. Wirtschaftliche Gesichtspunkte

Historische, sicherheitspolitische und weltanschauliche Gefälle im asiatisch-pazifischen Raum sprechen nicht für eine baldige großregionale „Einheitszone“. Wie sieht es mit den wirtschaftspolitischen Zwängen aus, die sich aus der nicht zu leugnenden Vertiefung des außenwirtschaftlichen Austausches zwischen den großen Teilregionen des asiatisch-pazifischen Raumes zunehmend ergeben? Um die Antwort vorwegzunehmen, auch auf wirtschaftlichem Gebiet scheinen mehr Gründe gegen eine großregionale Kooperationssphäre denn für eine solche zu sprechen. 1. Die ökonomische Bedeutung der USA für den pazifischen Raum Ein wesentlicher Ausgangspunkt für die (relative) Verschiebung weltwirtschaftlicher Gewichte ist der Nordamerikanische Kontinent. Insbesondere in den USA scheinen die traditionellen Zentren der atlantischen Ostküste allmählich an Lebenskraft zu verlieren. Dort sind vorrangig die soge-nannten alten „Schornsteinindustrien“ konzentriert, deren internationale Leistungsfähigkeit deutlich abgenommen hat. Symptomatisch hierfür sind die sprungartig gestiegenen amerikanischen Einfuhren von Massenkonsumgütern sowohl aus dem asiatisch-pazifischen Raum als auch aus Westeuropa.

Im Gegensatz zum Osten der USA scheint der pazifische Westen „Grenzen des Wachstums“ noch nicht zu kennen. Immer mehr Menschen, Unternehmen und Kapital zieht es an die Pazifikküste und in den sogenannten „Sonnengürtel“ des Südwestens. Kalifornien, Texas und andere Weststaaten sehen sich als die Garanten der Zukunft Amerikas. Städte wie Los Angeles und San Franzisko schöpfen hieraus ihr wachsendes Selbstbewußtsein gegenüber der traditionellen Wirtschaftsmetropole New York. „Silicon-Valley“ nahe San Franzisko ist zum Schlagwort für diesen Aufbruch geworden. Dort experimentieren zur Zeit mehr als 400 Unternehmen im Bereich der sogenannten Zukunftstechnologien. Amerikanische Fachleute, vom letztlich segensvollen Wirken des harten Wettbewerbs überzeugt, geben allenfalls 30 eine Überlebenschance. Der amerikanische Drang nach Westen („Amerikas Zukunft liegt im Westen“) ist also ein nicht zu leugnendes Faktum. Dafür sprechen auch zahlreiche amerika-25 nische Stimmen, die Ostasien (Ferner Osten) bereits als „Unser Naher Westen“ bezeichnen. Andere Stimmen warnen vor einer „Abkoppelung“ Westeuropas, die sich im Zuge der pazifischen Reorientierung der Vereinigten Staaten ergeben könnte. Insbesondere in Kalifornien scheint die Meinung verbreitet, daß man den „Verlust“ Westeuropas zur Not verschmerzen könne, nicht jedoch den Zusammenbruch Japans.

Wird der Bewußtseinswandel in den USA, wie nicht wenige befürchten, Westeuropa als Urheimat der industriellen Zivilisation bald zum Hinterland, zum Randgebiet des weltwirtschaftlichen Kraftfeldes herabsinken lassen? Wird es eines Tages zur Ironie der Geschichte gehören, daß die Europäer ihre neuzeitliche Entwicklung als „Irrweg“ ablehnen, während die „östlichen Kulturen“ das technisch-wirtschaftliche Leistungsdenken als Heilsweg aus der Unterentwicklung aufnehmen? Muß Westeuropa sich damit begnügen, „Chancen in den Nischen“ der Weltwirtschaft zu suchen? Die Begründung folgt an späterer Stelle, aber die Antwort soll hier vorweggenommen werden. Es besteht zur Zeit kein ausreichender Grund, eine solche „Abwärtsentwicklung“ als ernsthafte Zukunftsperspektive ins Auge zu fassen.

Dagegen sprechen vor allem die Fakten des pazifischen Raums selbst. Zwar ist eine wachsende Verflechtung der asiatisch-pazifischen Länder untereinander und mit dem nordamerikanischen Kontinent im Handel, bei Investitionen und technologischer Entwicklung festzustellen, aber eine solche Verflechtung ist keineswegs gleichbedeutend mit wachsender Interessengemeinsamkeit hinsichtlich der wirtschaftlichen Ziele, in deren Folge die historische, kulturelle, ethnische und auch politische Heterogenität der Gesamtregion überwunden werden kann. Die Befürworter einer langfristigen wirtschaftlichen Kooperation gehen auf Grund ihres „wirtschaftlichen Interessenansatzes“ davon aus, daß eine potentielle Zusammenarbeit in der ersten Phase auf die pazifische Region im engeren Sinn beschränkt bleiben soll.

Sie verstehen darunter vor allem die marktwirtschaftlich orientierten Länder Nordamerikas und Pazifik-Asiens, d. h. die fünf Industriestaaten USA, Kanada, Japan, Australien und Neuseeland, die asiatischen Schwellenländer (Newly Industrializing Countries) und die ASEAN-Staaten.

In einer späteren Phase könne über eine Ausweitung, insbesondere über den Einschluß Chinas, sinnvoll nachgedacht werden. Organisatorisch solle eine solche Zusammenarbeit in Form einer pazifischen Handels-und Entwicklungsorganisation erfolgen.

Was die Praxis der Entwicklung betrifft, so ist nach einer längeren Phase der Anregungen und Initiativen privater und halboffizieller Art aus den pazifischen Industrieländern in der Zwischenzeit allgemein Übereinstimmung erzielt worden, daß die weitere Initiative im wesentlichen von den ASEAN-Ländern ausgehen solle. Auf Grund der bisher reservierten Haltung der ASEAN-Länder gegenüber gesamtregionalen Kooperationsformen scheint jedoch allenfalls ein vorsichtiger Schritt-für-Schritt-Prozeß möglich zu sein. Die Vision einer großen Zusammenarbeit muß schon deswegen als sehr vage angesehen werden, weil trotz begrenzter Gemeinsamkeiten die Unterschiede und Gegensätze innerhalb des pazifischen Raums auch in wirtschaftlicher Hinsicht überwiegen.

Von der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit her, ausgedrückt als Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung, ergibt sich ein Gefälle von mehr als 13 000 US-Dollar (USA) auf gut 600 US-Dollar (Indonesien). Auch hinsichtlich des langfristigen Wachstums erscheinen die Unterschiede zwischen den entwickelten Ländern der Region, den Schwellenländern und den Entwicklungsländern beträchtlich. Mit Ausnahme Japans, dessen jährliches Durchschnittswachstum sich auf über 6% belief, weisen die vier anderen Industriestaaten geringe Wachstumsraten von 1, 5 bis 3, 5% auf. Im Gegensatz dazu zeigten die Entwicklungsländer bzw. Schwelleniänder ein deutlich höheres Wachstum. Mit Ausnahme der Philippinen (weniger als 3 % Jahresdurchschnitt) können sie alle als Hochwachstumsländer bezeichnet werden. Auch andere volkswirtschaftliche Indikatoren, die zur Beurteilung der Erfolgschancen einer zukünftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit von Bedeutung sind, wie z. B. Inflationsraten, öffentliche Ausgaben, Energieverbrauch, Außenhandelsumsatz usw. weisen nicht nur auf deutliche Gefälle hin, sondern lassen erkennen, daß hinsichtlich der nationalen Entwicklungsprozesse deutliche Interessenunterschiede und -gegensätze vorhanden sind. Es muß also betont werden, daß wachsende Verflechtung und Abhängigkeit (Stichwort „Interdependenz“) keineswegs mit wachsender Zusammenarbeit gleichgesetzt werden können. Vier Punkte werden im allgemeinen für die Möglichkeit einer Zusammenarbeit innerhalb einer zukünftigen innerpazifischen Wirtschaftsgemeinschaft genannt:

1. Die Schwellenländer und ASEAN-Staaten werden aufgrund ihrer exportorientierten Entwicklungsstrategie ihre zur Zeit noch schmale nationale Wirtschaftsbasis erweitern und einen zunehmenden Marktanteil auf dem pazifischen Regionalmarkt erobern.

2. Die entwickelten Länder (seit kurzem auch Japan) zeigen gegenüber der Vergangenheit ein deutlich verlangsamtes gesamtwirtschaftliches Wachstum. Engere außenwirtschaftliche Beziehungen mit den asiatischen Wachstumsländern der Region können einen erhöhten außenwirtB schaftlichen Beitrag zur Stabilisierung des eigenen gesamtwirtschaftlichen Wachstums leisten.

3. Die unter Punkt 1 und angedeuteten Entwicklungstendenzen können langfristig nur unter der Voraussetzung aufrechterhalten werden, daß nach dem Prinzip des „komparativen Vorteils“ innerhalb der Region eine allgemeine Bereitschaft zur industriellen Arbeitsteilung wächst.

4. Ein gesamtregionales Forum zur Diskussion dieser Aspekte ist Voraussetzung für eine bessere Abstimmung der Interessen aller Beteiligten. Solchen durchaus erkennbaren Entwicklungsansätzen in Richtung auf eine regionale Kooperation stehen massive Interessen, Abweichungen und Gegensätze nationaler Art gegenüber. Ein Anwachsen der wirtschaftlichen Verflechtungen, insbesondere soweit sie sich in materiellen Strömen (Warenhandel) ausdrücken, beeinflußt nicht zwangsläufig den wirtschaftspolitischen Spielraum der nationalen Systeme. Trotz wachsender Verflechtung ist also die Verfolgung unterschiedlicher, teilweise sogar gegensätzlicher Wirtschaftsstrategien nicht entscheidend beeinträchtigt. Integration hingegen verlangt die bewußte, dauerhafte Abstimmung der einzelnen nationalen Wirtschaftspolitiken und die Errichtung übernationaler Entscheidungsgremien. Einer solchen Entwicklung stehen nicht nur geschichtliche Dimensionen des pazifischen Raums entgegen, in dem die große Mehrzahl der Staaten, insbesondere der politischen Eliten, von starken und gegenwärtig noch eindeutig wachsenden Nationalideologien geprägt ist, sondern unter Umständen auch tief-greifende wirtschaftliche Unvereinbarkeiten.

In der Vergangenheit wurde dieser Abstimmungsprozeß zum großen Teil informell durch das Gewicht der „wirtschaftlichen Supermacht“ USA bewirkt. Die USA waren über lange Zeit hinweg in der Lage, die wachsenden pazifischen Handels-ströme aufzusaugen, langfristige Leistungsbilanz-defizite schwächerer Länder durch anhaltende Finanzübertragungen zu decken, Leistungsbilanzüberschüsse wirtschaftlich starker Länder „produktiv“ anzuziehen und internationale Organisationen maßgeblich zu stützen. Anders gesagt, die politisch-militärische Weltmachtrolle der USA wurde durch eine entsprechende wirtschaftliche Vorrangposition ergänzt. Diese Fähigkeit haben die Vereinigten Staaten während des letzten Jahrzehnts in zunehmendem Maß verloren. Hier ist vor allem an die These zu denken, daß der pazifische Handel der Vereinigten Staaten den atlantischen Handel (mit Westeuropa) seit Jahren deutlich übersteigt und daß der Abstand weiter wächst. Diese Tatsache wird häufig als Argument für die größere Bedeutung der pazifischen Region verwandt. Übersehen wird dabei jedoch, daß der Handel der Vereinigten Staaten mit den pazifischen Ländern, insbesondere mit Japan, zunehmend defizitär verlaufen ist. Anders gesagt: Die Vereinigten Staaten haben durch die Aufnahme der pazifisch-asiatischen Handelsströme das Wachstum in der pazifisch-asiatischen Region entscheidend getragen. Auf eine Kurzformel gebracht heißt dies: Ohne die USA gibt es keine Dynamik in Pazifik-Asien!

Diese impulsgebende Rolle für die Entwicklung im pazifisch-asiatischen Raum konnten die USA über einen langen Zeitraum hinweg vor allem deswegen erfolgreich übernehmen, weil sie die entsprechenden Defizite durch große Überschüsse im transatlantischen Handel weitgehend auszugleichen vermochten. Seit Beginn der achtziger Jahre jedoch hat sich auch hier die Situation erheblich zum Nachteil der USA verändert. Es bleibt also abzuwarten, ob die Vereinigten Staaten unter solchen veränderten Umständen auch weiterhin in der Lage sind, als „Motor“ des pazifischen Wachstums zu wirken. Das Lauterwerden sogenannter „neoprotektionistischer“ Rufe in den USA spricht nicht für diese Annahme. Über zwanzig „freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen“ sowie ein gutes Dutzend Konsultationsvereinbarungen für einseitige Auferlegung von „Selbstbeschränkung“ mit den wichtigsten Handelspartnern deuten eher auf eine Beschleunigung des Trends zu Handelsbeschränkungen als auf eine Verlangsamung hin.

Es geht hier nicht so sehr um die Frage, ob Japan und andere asiatisch-pazifische Länder zu einer internationalen Vergeltungspolitik fähig wären, obgleich auch dieser Aspekt nicht unerheblich auf die Fähigkeit der USA zu zukünftiger pazifischer Zusammenarbeit Einfluß nehmen dürfte. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang vielmehr eine grundsätzliche Kritik, die aus Japan stammt, aber auch in anderen asiatischen Ländern geäußert wird: „Insbesondere die Vereinigten Staaten sind deutlich zu einer Führung übergegangen, die darauf aus ist, die eigenen Interessen zu fördern ... Das Ergebnis ist, daß sich zur Zeit der Nationalismus breit macht als stärkste Alternative zur Pax Americana.“ 2)

Die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse beginnen sich zu verschieben und entsprechend ändern sich die wirtschaftspolitischen Gewichte. Unterschiedliche wirtschaftspolitische Entwicklungen sind nicht zuletzt Ausdruck unterschiedlicher Anforderungen an die Aufrechterhaltung der jeweiligen Volkswirtschaften. Angesichts des unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Erwartungshorizontes der wichtigsten pazifischen Staaten spricht gegenwärtig also wenig dafür, daß der pazifische Raum in absehbarer Zeit mehr als bloße Ansätze zu wirtschaftspolitischen Abstimmungsmechanis-men entwickeln wird. Was vordergründig als „nationaler Egoismus“ kritisiert wird, weist in der Tat auf eine tiefere Problemebene hin, die eng mit den unterschiedlichen bzw. gegensätzlichen Grundbedürfnissen der amerikanischen, japanischen und anderen asiatisch-pazifischen Volkswirtschaften verbunden ist. Theoretisch ließen sich verschiedene Ansätze zur Überwindung dieser Unterschiede vorstellen. In der Praxis jedoch scheinen die jeweiligen Regierungen aus politischen Gründen gezwungen zu sein, eigene, sich häufig gegenseitig blockierende Wege zu gehen.

Einen Hinweis hierauf bietet u. a. die von den Vereinigten Staaten ausgelöste Kontroverse um die Rolle des „Staates“ im außenwirtschaftlichen Prozeß der asiatisch-pazifischen Länder, insbesondere Japans. Diese Auseinandersetzung wird ungeachtet der Tatsache geführt, daß auch in der amerikanischen Wirtschaft ein steigendes Engagement des Staates festzustellen ist und daß in einer wachsenden Zahl von Bereichen der „Markt“ mehr oder weniger aufgehoben ist. Die Fülle von Einzelproblemen, die sich aus den Interessengegensätzen innerhalb der pazifischen Region ergibt, kann hier nicht behandelt werden. 2. Die ökonomische Bedeutung Japans für den pazifischen Raum Japan, die zweite große Macht im Pazifik, sieht sich zunehmend in der Rolle des wirtschaftlichen Rivalen der Vereinigten Staaten. Häufig sprechen einflußreiche Japaner sogar von dem Ziel „Japan Number One“, d. h. einem Überholen der USA als größte Weltwirtschaftsmacht bis zum Jahr 2000. Es läßt sich kaum leugnen, daß liberalwirtschaftliches Ideengut — trotz ständig wiederholter Lippenbekenntnisse — nicht zum Hauptstrom des japanischen Denkens gehört. Dies gilt sowohl für die staatliche Verwaltung als auch für die Wirtschaft selbst. Geschichtliche Gründe mögen einen Teil der Erklärung für das Ineinanderfließen staatlichen und wirtschaftlichen Handelns beitragen. Ebenso wichtig jedoch erscheint die Tatsache, daß das staatliche Moment im japanischen Wirtschaftsleben funktionell notwendig ist und daher auch weitgehend durch „nationale Übereinstimmung“ gedeckt ist.

Einer der Hauptunterschiede zur amerikanischen Volkswirtschaft liegt in der Fähigkeit der japanischen Wirtschaftsgesellschaft zu sparen. So ist die Inlandsersparnis mehr als ausreichend, um ein fortlaufendes Hochwachstum zu garantieren. Ausschlaggebend hierfür ist nicht zuletzt eine von der amerikanischen Wirtschaftsethik abweichende Haltung der japanischen Haushalte, deren Ersparnisquote immer noch bis zu 20% beträgt (USA 4— 6%). Das heißt: Angesichts hoher Sparquote (am BSP) und entsprechend niedrigeren Verbrauchs (relativ niedrige Inlandsnachfrage) neigt die japanische Volkswirtschaft im Gegensatz zur amerikanischen eher zur „Konjunkturabkühlung“ denn zur Überhitzung, eine Tatsache, die sie durch eine „konzertierte“ Außenhandelsstrategie von Staat und Wirtschaft auszugleichen versucht. Dieser Aspekt steht hinter der von den USA ausgelösten Auseinandersetzung um „unfaire Vorteile“, die sich Japan im internationalen Wettbewerb gesichert habe. Unter diesen Umständen läßt sich nicht erkennen, wie es zu einer echten dauerhaften Zusammenarbeit zwischen beiden Mächten kommen soll.

Darüber hinaus ist die wirtschaftliche Kontroverse Teil eines übergeordneten Zusammenhangs, der sich aus der fortlaufenden Kräfteverschiebung zwischen den wichtigsten pazifischen Staaten ergeben hat. Sie ist eng verbunden mit der Forderung der USA nach einer „internationalen Lastenverteilung“ und der gleichzeitigen Forderung der pazifischen Entwicklungsstaaten nach einer „Internationalisierung“ der japanischen Wirtschaft, d. h. nach einer Politik der verstärkten Berücksichtigung der Entwicklungsinteressen im pazifischen Raum. Die Erfüllung dieser Forderungen wäre indessen die Minimalvoraussetzung für eine Verwirklichung konkreter pazifischer Zusammenarbeitsvorstellungen. Japan hat bisher sowohl gegenüber den USA als auch gegenüber den asiatisch-pazifischen Entwicklungsstaaten vorrangig mit einer Politik der hinhaltenden und minimalen Konzessionen gearbeitet. Innenpolitisch wird ein Aufbrechen des berühmten „nationalen Konsenses“ befürchtet, der angesichts der Übernahme größerer internationaler Mehrlasten nicht länger tragfähig wäre.

Die USA und Japan sind die eindeutig dominierenden Wirtschaftskräfte im pazifischen Raum. Als Wachstumspole begrenzen bzw. erweitern sie den Rahmen, innerhalb dessen die wirtschaftliche Entwicklung der anderen pazifischen Länder, insbesondere der Schwellenländer und der ASEAN-Staaten, verlaufen kann. Es gehört zu den Gemeinplätzen jeder Diskussion über den asiatisch-pazifischen Entwicklungsraum, die Entwicklungsstrategie der betreffenden Schwellen-und Entwicklungsländer als mehr oder weniger handelsorientiert zu kennzeichnen. Im Hinblick auf eine pazifische Zusammenarbeit bedeutet dies vor allem:

1. Das exportgeförderte Wachstum wird durch die Aufnahmefähigkeit und -Willigkeit der Industrieländer, insbesondere der USA und Japans, maßgeblich bestimmt.

2. Hinter der allgemeinen Forderung nach einer gerechteren Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen steht die Erkenntnis, daß die eigene nationale Entwicklungsdynamik nicht zuletzt durch mangelndes Tempo und Erfolg internationaler Industrieverlagerungspolitik begrenzt wird. Die schmale binnenwirtschaftliche Entwicklungsbasis der Schwellen-und Entwicklungsländer erscheint trotz hoher Sparraten nicht ausreichend, um die Investitionstätigkeit für ein anhaltend hohes Wachstum zu ermöglichen. Angesichts der bevölkerungs-und beschäftigungspolitischen Problematik sind im mittel-bis langfristigen Durchschnitt gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten von mehr als 5 % notwendig, wobei vor allem die verarbeitende Industrie überdurchschnittlich wachsen muß. Die betreffenden Länder sind also ausnahmslos auf einen starken Kapitalzustrom zu solchen Bedingungen angewiesen, die durch die eigene Entwicklung tragbar sind. Dies gilt sowohl für Direktinvestitionen als auch für internationale kommerzielle Kreditvereinbarungen. Für die Zukunft ist mit einem anhaltenden Anstieg des Nettobedarfs an Kapital zu rechnen. 4. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der allen asiatisch-pazifischen Schwellen-und Entwicklungsländern gemeinsam ist, ist die aktive, keineswegs „unsichtbare Hand“ des Staates in allen wichtigen Bereichen der Entwicklung. Die am „Modell Japan“ orientierte Politik deutet auf ein positives Verständnis staatlicher Wirtschaftstätigkeit hin, das dem nationalistischen Weltausblick der jeweiligen nationalen Eliten durchaus entspricht. Am deutlichsten wird dieser Zusammenhang in Indonesien ausgesprochen, das sich aufgrund seiner Größe als potentielle regionale Ordnungsmacht empfinden darf. Die besondere Art, mit der sich die japanische Wirtschaft in der Welt durchzusetzen versucht, wird als Bestandteil eines Gesamtsystems gesehen, das „strukturell, politisch und kulturell“ verankert ist. Es scheint hier angebracht, ein entsprechendes Zitat wiederzugeben: „Dieses Ineinandergreifen von Kräften verschiedenen Ursprungs ist ausschlaggebend für das Entstehen eines informellen, unsichtbaren und verdeckten »integrierten nationalen Systems* gewesen ... Die formalen und informellen Verbindungen, die zwischen der Geschäftswelt, der Politik, der Regierung und der bürokratischen Elite bestehen, haben immer für eine Atmosphäre gesorgt, in der die Regierung die Funktion des Initiators, Innovators und Unterstützers gemeinsam mit der Geschäftswelt, der Industrie und dem Bankensektor ausübt ... Dabei haben sich auch ein Sinn nationaler Mission und eine Art, Imperialmentalität* entwikkelt, die entweder bewußt oder unbewußt die Spitzenführung der Wirtschaft und ihre Manager beeinflußt haben.“ 3)

Unter solchen Umständen wird die Skepsis und Zurückhaltung der Schwellen-und Industrieländer gegenüber Vorstellungen einer großen gesamtpazifischen Zusammenarbeit verständlich.

Angesichts der unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Interessen der USA, Japans und der anderen pazifischen Staaten erscheinen den Schwellen-und Entwicklungsländern die Aussichten für die Verwirklichung eigener grundlegender Vorstellungen gering. Es wird ferner befürchtet, daß der mühsame Prozeß der wirtschaftlichen Integration kleiner Gruppen, so z. B. ASEAN, in einer übergeordneten Organisation verzögert werden könnte.

Wenn also der Wirklichkeitssinn dagegen spricht, daß aufabsehbare Zeit eine große pazifische Wirtschaftsgemeinschaft verwirklicht werden kann, wenn angesichts der Interessengegensätze nicht einmal ein Minimalrahmen bescheidener wirtschaftspolitischer Abstimmung gesichert erscheint, dann stellt sich die Frage, ob die realen Trends eines verstärkten innerpazifischen Handelsaustausches und wachsender Abhängigkeiten weiter steigen werden. Ohne angemessene Abstimmungsmechanismen ausgleichender Art kann ein solcher Anstieg des Wirtschaftsaustausches in Zukunft möglicherweise zu einem erhöhten Potential an Interessenkonflikten führen. 3. Die Bedeutung des asiatisch-pazifischen Raumes in der Zukunft Selbst wenn manches dafür spricht, daß die zukünftige Wachstumsdynamik im pazifischen Raum aufgrund der angesprochenen Interessen-gegensätze und Reibungsverluste nachlassen wird, so hebt diese Möglichkeit nicht die Frage nach der gegenwärtigen Rolle Westeuropas im pazifischen Raum auf. Daß das Engagement Westeuropas auf den asiatisch-pazifischen Märkten von „Zurückhaltung“ geprägt ist, ist eine Tatsache. Andererseits müssen im Hinblick auf die bisherige Entwicklung im Pazifik zwei ihrem Wesen nach unterschiedliche Dimensionen der Beurteilung sorgfältig voneinander getrennt werden. Zum einen geht es um die langfristige, geschichtliche Entwicklungsdimension von Ländern und Volkswirtschaften. Zum anderen geht es um die mittelfristige Dimension des wirtschaftlichen Engagements von Wirtschaftsunternehmen auf spezifischen Märkten und um die begrenzten Größenveränderungen, die auf solchen Märkten in mittelfristigen Zeiträumen möglich sind.

Volkswirtschaftliche Entwicklungsplanung muß mehr oder weniger zwangsläufig in langfristigen Zeiträumen gestaltet werden. Dementsprechend tritt der Wachstumsaspekt bei der Leistungsbeurteilung in den Vordergrund. Unter einem solchen Betrachtungswinkel muß die Entwicklung im pazifischen Raum tatsächlich als eindrucksvoll bewertet werden. In diesem sehr langfristigen Sinn mag es daher unter Umständen gerechtfertigt erscheinen, die weltwirtschaftliche Zukunft als pazifisch bestimmte Zukunft zu bewerten. Beschränkt man sich jedoch auf solche Zeiträume, die bis zu einem vertretbaren Mindestmaß kalkulierbar bleiben, dann sind die wirtschaftsgeschichtlich heranwachsenden „Zukunftsmärkte“ des Pazifiks keineswegs von jener überragenden Bedeutung, die ihnen aufgrund der Wachstumserfolge der Vergangenheit gemeinhin zugesprochen wird. Anders gesagt heißt dies, daß es die großen pazifischen Märkte, nimmt man einmal die Weltwirtschaftsmächte USA und Japan aus, (noch) nicht gibt. Es wird sie bis zum Ende dieses Jahrhunderts auch nicht in dem Ausmaß geben, das eine „mechanische“ Fortschreibung der Wachstumsleistungen der Vergangenheit suggeriert. In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, daran zu erinnern, daß ein ähnlicher „Optimismus“ im Falle der lateinamerikanischen Länder zu Beginn der siebziger Jahre vorherrschte. Es ist keinesfalls beabsichtigt zu prophezeihen, daß im asiatisch-pazifischen Raum ähnliche Entwicklungsrückschläge zu erwarten seien wie in Lateinamerika, aber ein solcher Hinweis vermag zu verdeutlichen, welchen Unsicherheiten Zukunftsprognosen zwangsläufig unterliegen.

Um es noch einmal zu wiederholen: Die Wachstumsgeschwindigkeiten der pazifischen Staaten haben sich in der Vergangenheit mit wenigen Ausnahmen von der übrigen Weltwirtschaft positiv abgehoben. Insbesondere vier Linien erhöhten Wachstums lassen sich nachzeichnen. Erstens war das außenwirtschaftliche Wachstum während der letzten 15 Jahre deutlich höher als in der Weltwirtschaft insgesamt. Der zweite Bereich hohen Wachstums betraf die Gesamtwirtschaft. So lagen die Steigerungen des Bruttosozialprodukts pro Kopf der Bevölkerung bei den einzelnen Ländern seit Beginn der siebziger Jahre zwischen und 7 % im jährlichen Durchschnitt. Der dritte große Wachstumsbereich war der der verarbeitenden Industrie. Hier wurden seit Beginn der siebziger Jahre Durchschnittsraten von jährlich 5, 5% (Japan) bis 11, 2% (Südkorea) erzielt. Der vierte Wachstumsbereich, der die höchsten aller durchschnittlichen Wachstumsraten aufwies, ist der Bereich der Investitionen. Hier ergaben sich für die Schwellen-und Entwicklungsländer jährliche Steigerungen von 6, 2% (Thailand) bis 12, 3% (Indonesien). Selbst Japan als hochentwickeltes Industrieland wies ein jährliches Wachstum der Investitionen von 3, 1% auf 4).

Aufgrund dieser Wachstumsleistungen der Vergangenheit erreichte das gemeinsame Bruttosozialprodukt der asiatisch-pazifischen Länder einschließlich der Volksrepublik China Mitte der achtziger Jahre rund 1 700 Mrd. US-Dollar. Es war damit nur geringfügig kleiner als das gemeinsame Sozialprodukt der ursprünglichen sechs EG

Mitglieder, das auf knapp 1 800 Mrd. US-Dollar kam. Dieses Bild verändert sich jedoch beträchtlich, wenn man das japanische Sozialprodukt ausklammert. Alle anderen asiatisch-pazifischen Länder zusammen erbringen zur Zeit eine gesamtwirtschaftliche Leistung, die etwa in der Größenordnung des bundesdeutschen Sozialprodukts liegt. Das gemeinsame Sozialprodukt des häufig so genannten „Wachstumsmarktes Südostasien“ war statistisch noch kleiner als das der BeneluxStaaten. Wenn also das gesamtwirtschaftliche Leistungsniveau der asiatisch-pazifischen Länder noch weit von der Größenordnung entfernt ist, die dazu berechtigte, von einer Verlagerung des weltwirtschaftlichen Schwerpunkts in den Pazifik zu sprechen, so könnten die Importmärkte der Region dennoch von großer Bedeutung sein. Teilt man diese Märkte in Einfuhranteile von Produktionsund Investitionsgütern einerseits und von Konsumgütern andererseits auf, so ergeben sich die folgenden Größenordnungen. Die Gesamteinfuhren der asiatisch-pazifischen Region einschließlich Japans beliefen sich Mitte der achtziger Jahre auf rund 300 Mrd. US-Dollar. Klammert man Japan aus, so wurde eine Größenordnung von rund 170 Mrd. erzielt. Ein Großteil dieser Gesamteinfuhren entfiel jedoch auf Brennstoffe, Mineralien, Metalle und sonstige Rohstoffe. Der für die westeuropäische Außenwirtschaft wesentliche Bereich, der Produktions-und Investitionsgüter erzielte nur eine Größenordnung von rund 120 Mrd. US-Dollar. Ohne Japan belief sich der Wert auf weniger als 100 Mrd. US-Dollar. Das heißt, daß die entsprechenden Einfuhren der asiatisch-pazifischen Länder nicht größer sind als die der Benelux-Staaten. Auch unter der Annahme, daß die Importe von Produktions-und Investitionsgütern während des nächsten Jahrzehnts deutlich wachsen, kann man für diesen Zeitraum kaum davon sprechen, daß im pazifisch-asiatischen Raum ein großer Importmarkt im Entstehen begriffen sei. Dies gilt um so mehr, als die meisten Länder der Region in wichtigen Entwicklungsbereichen einen starken Trend zur Importsubstitutionspolitik, d. h. zur Binnenproduktion der entsprechenden Produkte, aufweisen.

Diese Politik der Beschränkung von Importen gilt in noch größerem Maße für den Konsumgüterteilmarkt. Hinzu kommt, daß dieser Markt bzw. diese Märkte, nimmt man Japan aus, ausgesprochen klein sind. Eine solche Feststellung ist um so notwendiger, als im Zusammenhang mit der Wachstumsdynamik der asiatisch-pazifischen Märkte häufig auf Bevölkerungszahlen zurückgegriffen wird, deren unreflektierte Übernahme zu falschen Einschätzungen führt. Besonders typisch hierfür ist die stetige Wiederholung der Milliardenzahl im Falle Chinas („riesiger potentieller Markt“) und der Bevölkerungszahl der ASEAN-Staaten (bis Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich 400 Mio.). In der Praxis jedoch ist die Größe einer Bevölkerung kein hinreichendes Kriterium für die Größe des betreffenden Marktes. Letztere wird durch die Zahl der Konsumenten, d. h. durch die Zahl der Menschen mit frei verfügbarer Kaufkraft sowie die nationalen Devisenerlöse entscheidend bestimmt. In diesem Zusammenhang läßt sich nicht übersehen, daß in fast allen Ländern der asiatisch-pazifischen Region Widerstände bestehen, knappe Devisenbestände für Konsumgüterimporte einzusetzen. Legt man ferner Kaufkraft-schätzungen für die Konsumenten asiatisch-pazifischer Länder (ohne Japan) zugrunde, so ergeben sich allenfalls 20 bis 25 Mio. „Standardhaushalte“ nach westeuropäischem Maßstab. Die Konsumgütermärkte der asiatisch-pazifischen Länder erreichen also zusammen allenfalls die Größe des bundesdeutschen Marktes.

Abgesehen von der geringen Größe der asiatisch-pazifischen Märkte darf nicht übersehen werden, daß die Länder in der pazifischen Region (Ausnahme USA) nicht zur Aufrechterhaltung einer selbsttragenden Konjunktur fähig sind, sondern in ihrem Wirtschaftsrhythmus entscheidend von den Industrieländermärkten Nordamerikas und Westeuropas abhängig sind. Das bedeutet, daß das gesamt-und außenwirtschaftliche Auf und Ab parallel zu den Konjunkturbewegungen der westlichen Industriestaaten verläuft. Das „vielgeschmähte“ Westeuropa ist also zumindest indirekt von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Volkswirtschaften im asiatisch-pazifischen Raum einschließlich Japans. Die Parallelität der Konjunkturentwicklung äußert sich vor allem in zwei Tendenzen. Zum einen sind in weltwirtschaftlichen Rezessionsphasen die Ausfuhren der exportorientierten Länder der pazifischen Region ebenfalls rückläufig. Zum anderen führt diese Tatsache in den meisten der betroffenen Länder zu entsprechenden Einschränkungsmaßnahmen gegenüber Importen. Anders gesagt: In den zeitlichen Phasen, in denen die westlichen Industrieländer aufgrund der eigenen Konjunkturschwäche verstärkt um Exportmärkte bemüht sind, schrumpfen diese im asiatisch-pazifischen Raum, während sie sich in Zeiten wachsender Weltwirtschaftstätigkeit ausdehnen.

Fazit Abschließend stellt sich die Frage, wie sich die zukünftige Entwicklung im asiatisch-pazifischen Raum vollziehen wird. Zukunftsprognosen sind ihrer Natur nach immer mit Unsicherheiten behaftet, aber es läßt sich kaum übersehen, daß auch im Pazifik die Zeit des Hochwachstums (zumindest vorübergehend) vorbei ist. Auch dort sind die achtziger Jahre nicht die siebziger Jahre. In einer Reihe von Ländern, so u. a. in Indonesien, Südkorea etc., ist eine deutliche Ernüchterung zu spüren. Man hat feststellen müssen, daß die nationalen Entwicklungsprozesse länger und komplizierter sind, als während der Zeit des „großen Optimismus“ vermutet wurde. Andererseits sprechen die tatsächlichen Leistungen und der Behauptungswillen der asiatisch-pazifischen Volkswirtschaften dafür, daß, wenn es überhaupt eine Entwicklungsregion gibt, die den Weg zur modernen Industriewelt erfolgreich bewältigen kann, es sich um die asiatisch-pazifische Region handelt. Eine solche Entwicklung muß jedoch in entsprechenden entwicklungsgeschichtlichen Zeiträumen gesehen werden, d. h., auf absehbare Zeit sind die Chancen für eine beschleunigte Ausdehnung der pazifischen Volkswirtschaften nicht sehr vielversprechend, zumal die amerikanische Wirtschaft als einer der beiden wichtigen Träger (neben Westeuropa) des exportorientierten Wachstums im Pazifik zu ihrer latenten Wachstumsschwäche zurückgekehrt zu sein scheint. Das Pazifische Jahrhundert läßt noch auf sich warten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Impansiv“ kann man Einflüsse nennen, die nicht auf die Besetzung von Territorien, sondern nur von „Gehirnen“ gerichtet sind. In diesem Sinne verhielten sich im allgemeinen Indien und China. Zu den expansiven Mächten andererseits gehörten die Völker der Viets, der Thai und das Japan Hideoshi Toyotomis, das von 1592 bis 1598 z. B. Korea besetzte, nicht zu vergessen auch die beiden größten Wandervölker der Menschheitsgeschichte, die Mongolen und die Türken. Isolationistisch schließlich gab sich das chinesische Ming-Reich (seit Beginn des 15. Jahrhunderts), vor allem aber das japanische Tokugawa-Reich, das zwischen 1636 und 1868 seine „Türen“ schloß und nur in Nagasaki einen kleinen Spalt für den Handel mit Holland offen ließ.

  2. Murakami Yasusuke, A Critique of Neoliberal Economic Policies, in: Japan Echo, (1983) 1, S. 44 (Übersetzung RM).

  3. J. Panglaykim, The Japanese Economic Strategy: Sogo Shosha and ASEAN, in: The Indonesian Quarterly, (1983) 2, S. 80— 84 (Übersetzung RM).

  4. Daten entnommen aus: The World Bank, World Development Report 1983.

Weitere Inhalte

Rüdiger Machetzki, Dr. phil., geb. 1941; Studium der Sinologie, Politikwissenschaft und Japanologie in Hamburg und Taibei von 1964 bis 1970; Forschungsaufenthalt am Contemporary China Institute (London) von 1971 bis 1972; seit 1973 wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg. Veröffentlichungen u. a: Chronologie des innerparteilichen Linienkampfes der Kommunistischen Partei Chinas, 1974; Die Entwicklungshilfepolitik der Volksrepublik China, 1975; Entwicklungsmacht China, 1981; zahlreiche Aufsätze zu Problemen der VR China und Südostasiens. Oskar Weggel, Dr. jur., geb. 1935; seit 1986 wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg mit Forschungsschwerpunkt Volksrepublik China und Indochina; von 1954 bis 1963 Studium der Rechtswissenschaften und zweites juristisches Staatsexamen in München, von 1963 bis 1965 Studium des Chinesischen in Bonn; von 1965 bis 1967 Studienaufenthalt in Taiwan, regelmäßige Mitarbeit an den vom Institut für Asienkunde Hamburg herausgegebenen Monatszeitschriften „China aktuell“ und „Südostasien aktuell“. Veröffentlichungen u. a.: Die Alternative China. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft der VR China, Hamburg 1973; Die Außenpolitik der Volksrepublik China, Stuttgart 1977; Chinesische Rechtsgeschichte, Leiden -Köln 1980; China zwischen Revolution und Etikette: Eine Landeskunde, München 1981; Xinjiang — Das zentralasiatische China, Hamburg 1984.