Die Landwirtschaft im Spannungsfeld: Überschüsse — Einkommen — Umweltgefährdung. Zur Diskussion um die Neuorientierung der Agrarpolitik | APuZ 42/1986 | bpb.de
Die Landwirtschaft im Spannungsfeld: Überschüsse — Einkommen — Umweltgefährdung. Zur Diskussion um die Neuorientierung der Agrarpolitik
Hermann Priebe
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Zusammenfassung
Die Entwicklung der modernen Agrartechnik, die sich seit Ende der fünfziger Jahre mit der Mechanisierung, dem verstärkten Einsatz chemischer Mittel und weitgehender Spezialisierung der Betriebe vollzog, hatte weitreichende Folgen: Durch eine starke Produktionssteigerung kam es zu wachsenden Überschüssen und volkswirtschaftlichen Belastungen, zugleich führten die modernen Produktionsmethoden zu Störungen im Naturhaushalt, Belastungen der Böden, Verarmung der Landschaft und Gefährdung der bäuerlichen Landwirtschaft. Über die Notwendigkeit einer Neuorientierung der Agrarpolitik besteht weitgehende Übereinstimmung. Eine Analyse der dafür von verschiedenen politischen Seiten vorgelegten Vorschläge zeigt noch viele Widersprüche und unerfüllbare Hoffnungen, aber noch kaum eine vollständige Konzeption für eine zukünftige Agrarpolitik, bei der es um zwei gleichrangige Ziele geht: Gleichgewicht am Markt und Gleichgewicht im Naturhaushalt. Um die entsprechende Struktur und Produktionsweise zu erhalten, ist die Entwicklung einer kombinierten Einkommenspolitik die zentrale Aufgabe: Bezahlung der Produkte über marktorientierte Preise und Vergütung der Leistungen der Landwirte in der Pflege von Landschaft und Umwelt durch direkte Zahlungen. Das ist die einzige Lösung, wenn wir das selbständige Bauerntum in seiner vielfältigen Struktur erhalten und eine naturgerechte Wirtschaftsweise fördern wollen. Berechnungen zeigen die verschiedenen Einkommenswirkungen. Die bisherige Einkommenspolitik über Preise und Produktionsmengen vergrößert die Einkommensunterschiede innerhalb der Landwirtschaft und verursacht wachsende Marktordnungskosten, die den Landwirten am wenigsten zugute kommen. Die Aufgabe ist, eine sozial gerechtere und ökologisch sinnvollere Verteilung der Mittel durch produktionsneutrale Einkommenshilfen, die nach den natürlichen Produktionsbedingungen und der umweltgerechten Wirtschaftsweise bemessen werden. Zu einem neuen agrarpolitischen Gesamtprogramm gehört auch eine vollständige Neuausrichtung der Strukturpolitik, bei der Existenzsicherung möglichst vieler Betriebe vor weiterem Wachstum geht. Die Strukturveränderung sollte weniger durch Auflösung bäuerlicher Betriebe erfolgen, sondern eher zu ihrer Stärkung führen, einerseits durch Abbau der Massentierhaltungen, andererseits durch Kombination von Landwirtschaft mit anderen Erwerbsmöglichkeiten.
Kurzfassung einer demnächst erscheinenden, von der Thyssen-Stiftung geförderten wissenschaftlichen Untersuchung von Vorschlägen zur Neuorientierung der Agrarpolitik. Vgl. zum Thema auch H. Priebe, Die subventionierte Unvernunft. Landwirtschaft und Naturhaushalt, Berlin 1986.
Die Landwirtschaft steht in einem weiten Spannungsfeld wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Probleme. Die Agrarpolitik erscheint ausweglos und verursacht zunehmende politische Spannungen im Innern der EWG und nach außen.
Im Vordergrund der agrarpolitischen Diskussion stehen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte, dramatisch wachsende Überschüsse und Finanz-lasten. Die Marktordnungskosten und alle weiteren Subventionen an die Landwirtschaft sind höher als die Gesamteinkommen aller Landwirte. Aber die Mittel fließen am wenigsten denjenigen Bauern zu, die wir für die Pflege von Umwelt und Landschaft dringend brauchen. Sie werden einerseits für Ankauf, Einlagerung, Verarbeitung und subventionierten Export der Überschüsse vergeudet. Und andererseits, soweit sie in die Landwirtschaft fließen, begünstigen sie die Vergrößerung und Intensivierung der Betriebe und damit eine Entwicklung, die zum Raubbau an der Natur führt: Bei naturwidriger Spezialisierung beherrschen technische und chemische Mittel das Feld, zerstören die Artenvielfalt an Wildtieren und Wildpflanzen, gefährden unsere Gesundheit und lassen die Landschaft verarmen.
So steht die Landwirtschaft in jeder Hinsicht an den Grenzen ihrer bisherigen Entwicklung: wirtschaftlich und ökologisch. Eine große Unruhe unter den Bauern ist die Folge. Zwar waren die Probleme seit Ende der sechziger Jahre zu erkennen, aber sie wurden trotz aller Warnungen von den Politikern verdrängt; die Bauern wurden in der Vorstellung getäuscht, das Wachstum der Produktion könnte bei sicheren Absatzgarantien und steigenden Preisen unverändert weitergehen. Unter dem Diktat leerer Kassen gab es 1983/84 ein böses Erwachen, und eine überzeugende Gesamtschau für die weitere Entwicklung der Landwirtschaft und für eine zukunftsweisende Agrarpolitik fehlt bis heute.
Inzwischen sind von verschiedenen Seiten Vorschläge zur Neuorientierung der Agrarpolitik vorgelegt worden. Um ein Urteil über die richtigen Wege zu gewinnen, müssen wir zunächst nach den Ursachen der Fehlentwicklungen fragen.
Veränderung der agrarpolitischen Problemstellungen
Sowohl die Wirtschaftsweise der Landwirtschaft als auch die Versörgungs-und Marktlage mit Nahrungsmitteln hat sich seit den fünfziger Jahren völlig verändert.
Damals herrschten noch die traditionellen Wirtschaftsmethoden vor. Wie eh und je sah man die Bauern hinter ihren Pferden oder Rindern den Pflug über die Felder führen, und in zwei Millionen Betrieben gab es in der Bundesrepublik nur 75 000 Traktoren. Dann begann eine rasante technische Entwicklung; Ende der sechziger Jahre waren schon 1, 2 Mio. Traktoren im Einsatz. Mit der Motorisierung wurde es möglich, Menschen und Zugtiere durch Maschinen zu ersetzen, so daß auch eine große Veränderung der landwirtschaftlichen Struktur erfolgte, eine Abnahme der Betriebe und Arbeitskräfte., Dazu trug auch die Entwicklung und schnelle Verbreitung chemischer Mittel bei: zur Düngung, zur Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten, von tierischen Schädlingen und Unkräutern. Die Folgen der modernen Agrartechnik zeigten sich nach zwei Richtungen hin: in einer ungeahnten Produktionssteigerung der Landwirtschaft und in zunehmenden Belastungen von Umwelt und Natur-haushalt. Als der EWG-Vertrag 1957 geschlossen wurde, lebte Europa noch in der frischen Erinnerung an die Mangelzeit nach dem Krieg, und weder die agrartechnischen Neuerungen noch die Möglichkeiten der Produktionsentwicklung waren voll zu übersehen. So stand die Steigerung der Produktivität im EWG-Vertrag unter den Zielen der Agrarpolitik an erster Stelle. Der Zuschußbedarf an Nahrungsmitteln war dann die Voraussetzung für i den Aufbau des Agrarmarktsystems. Dieses gab 1 der Eigenproduktion durch Abschirmung an den Außengrenzen volle Priorität bei zugleich im In-1 nern festen Preise über dem Weltmarktniveau und ’ unbegrenzten Absatzgarantien für die wichtigsten Erzeugnisse. Dieses System kann aber nur funk-i tionieren, solange ein Einfuhrspielraum besteht.
Sobald die Eigenproduktion über den Eigenbedarf hinausgeht, bleibt die öffentliche Hand bei ü garantierter Abnahme auf den Überschüssen sit: zen, die dann nur mit Verlusten verwertet oder exportiert werden können.
Auf der anderen Seite brachten die modernen Produktionsmethoden mit Strukturveränderungen und Umweltbelastungen völlig neuartige Probleme. Mit dem Übergang auf Fremdenergie, verstärktem Einsatz chemischer Mittel und einer Spezialisierung der Betriebe hat sich die Landwirtschaft von den traditionellen Grundsätzen der or-1 ganischen Produktionskreisläufe gelöst, in denen die Bodenfruchtbarkeit auf der Selbstregulierung im Ausgleich zwischen Pflanzenbau und Tierhal! tung und dem Wechsel der Früchte beruhte. Monotone Produktionsflächen und Massentierhaltungen kennzeichnen die Extreme der heutigen Entwicklung.
Bei erheblichen Strukturveränderungen stieg die ’ Produktion seit den fünfziger Jahren je Hektar im Durchschnitt auf mehr als das Doppelte, je Arbeitskraft auf nahezu das Achtfache. Denn die ständigen Arbeitskräfte nahmen um nahezu 80%, die landwirtschaftlichen Betriebe um rund 60% ab. Erhebliche Veränderungen der Lebensbedingungen in den ländlichen Räumen waren die Folge dieses Schrumpfungsprozesses der Landwirtschaft. Dabei war die Einkommensentwicklung der Landwirtschaft weniger ungünstig, als allgemein angenommen wird. Nach den deutschen Agrarberichten stiegen die landwirtschaftlichen Betriebseinkommen von 1954/55 bis 1984/85 jährlich im ! Durchschnitt um 7, 7%, die gewerblichen Vergleichslöhne um 7, 9%. Die Steigerungsraten in der Landwirtschaft waren bis Mitte der siebziger Jahre stärker; unter dem Preisdruck der Über-schüsse gingen sie dann zurück. Im Nettoeinkommen dürften die Landwirte aber aufgrund ihrer geringeren Steuerleistungen gegenüber den Nettolöhnen in der gewerblichen Wirtschaft kaum zurückstehen. Die Probleme liegen heute weniger in dem so viel berufenen Einkommensrückstand der Landwirtschaft gegenüber der übrigen Wirtschaft, sondern vielmehr in den großen Einkommensunterschieden innerhalb der Landwirtschaft. Nach dem Agrarbericht 1986 verfügen 10% der Landwirte über nahezu 30% des Gesamteinkommens der Landwirtschaft, während aufder anderen Seite für 40% der Landwirte nur 16% der Gesamteinkommen verbleiben. Die Einkommensunterschiede innerhalb der Landwirtschaft wurden durch die agrartechnische Entwicklung noch vergrößert, die den Betrieben an Standorten mit ungünstigen Produktionsbedingungen weniger zugute kam.
Und auch die gesamte Agrarpolitik verschärft die Unterschiede und zugleich den Schrumpfungsprozeß der Landwirtschaft. Die Preis-und Absatzgarantien begünstigen die Produktion großer Mengen und damit die größeren Landwirte an den guten Standorten. Zugleich ließ man die Konzentration der Tierbestände in Massentierhaltungen zu, die praktisch den kleineren Bauern Mark-anteile wegnahm. Und überdies wurden auch in der Strukturpolitik ohne Rücksicht auf die gesamtwirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen nur größere Betriebe gefördert, mit der unmittelbaren Folge, daß die Produktionskapazitäten ausgeweitet und die Überschüsse gesteigert wurden. Von der staatlichen Flurbereinigung wurde diese Entwicklung durch Ausräumung der Landschaft zugunsten des Maschineneinsatzes auf kahlen Feldfluren unterstützt.
So war die gesamte Agrarpolitik auf Wachstum eingestellt. Wachsen oder Weichen wurde das unselige Schlagwort. Weiterhin begünstigen Agrartechnik und Agrarpolitik die Intensivierung der Produktion sowie Strukturveränderungen und verursachen — einerseits die Überschußbildung mit volkswirtschaftlichen Belastungen, — andererseits die Entwicklung von Produktionsmethoden mit ökologischen Belastungen.
Die Gefahren der weiteren Entwicklung sind nicht zu unterschätzen. Seit 1970 gaben 360000 Bauern ihre Betriebe auf, durchschnittlich 24000 in jedem Jahr. Und das waren überwiegend bäuerliche Betriebe mit noch umweltgerechter Wirtschaftsweise. Die Natur wird ärmer, und wenn der Schrumpfungsprozeß der Landwirtschaft weiterginge wie bisher, dann würde bald nach dem Jahre 2000 der letzte deutsche Bauer die Tore schließen und größeren Spezialbetrieben in monotonen Produktionsgebieten Platz machen.
So ist es für eine neue Weichenstellung der Agrarpolitik höchste Zeit. Wirtschaftliche und ökologische Forderungen weisen in die gleiche Richtung: — Wie ist bei verminderten Produktionsmengen ein Marktgleichgewicht zu erreichen?
— Wie sind diejenigen bäuerlichen Betriebe zu erhalten und zu fördern, die wir für die Pflege von Umwelt und Landschaft, für die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen brauchen?
Der beginnende Umbruch
Abbildung 7
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Die deutsche Agrarpolitik zwischen Beharrung und Irrtum Von der deutschen Bundesregierung werden die agrarpolitischen Ziele in den jährlichen Agrarberichten überzeugend dargestellt: Bei umweltgerechter Agrarproduktion soll der bodenabhängig wirtschaftende bäuerliche Familienbetrieb das Leitbild sein. Das würde der traditionellen Wirtschaftsweise im „organischen Betriebskreislauf" durchaus entsprechen.
Die agrarpolitischen Maßnahmen stehen dazu aber in krassem Widerspruch. Alles ist auf Fortsetzung der bisherigen Politik angelegt, und um das Vertrauen der Bauern wiederzugewinnen, werden zusätzliche Subventionen gewährt. Bei wachsendem Marktdruck durch die Überschüsse kann aber das Abrutschen der Preise nicht ganz verhindert werden, und so kommt es zu sehr bedenklichen neuen Maßnahmen und Vorschlägen. Die erste große Fehlentscheidung war die Milchkontingentierung— ein großer Schritt in den bürokratischen Dirigismus. Dabei wurde die Zuteilung an die Betriebe nicht an den natürlichen Produktionsbedingungen orientiert, wie man es erwarten sollte. Statt dessen wurden mit einem Rentenprogramm gerade die kleineren Betriebe mit boden-gebundener Viehhaltung zur Aufgabe der Milchproduktion veranlaßt, dafür größeren Betrieben zusätzliche Kontingente als sogenannten Härtefällen zugeschoben. Das war eine Vernihtung selbständiger Existenzen mit staatlichen Mitteln.
Eine weitere Fehlentscheidung war die Subventionierung über die Mehrwertsteuer. Sie benachteiligt gerade die Familienbetriebe mit bodengebundener Viehhaltung, sie bringt aber den größeren Veredelungsbetrieben, die unseren Naturhaushalt belasten, erhebliche Zusatzgewinne und stärkt sie noch für den weiteren Verdrängungswettbewerb.
Und nun drohen neue Maßnahmen zur Marktentlastung durch Auflösung bäuerlicher Betriebe, durch Vorruhestandsregelungen und Stillegung 60 000 deutsche Bauern auf 900 000 von Flächen.
Hektar sollen zur völligen Einstellung ihrer Produktion veranlaßt werden. Die Stillegung der Flächen würde an den Umweltbelastungen und der Überschußbildung durch die Intensivlandwirtschaft in guten Gebieten wahrscheinlich nichts ändern, sie würde gerade die Gebiete mit weniger günstigen Produktionsbedingungen betreffen und dort zur Verödung zunehmender Flächen führen.
Das wäre ein staatlich gefördertes Umweltzerstörungsprogramm in den besten Wohn-und Erholungsgebieten unserer Mittelgebirge.
Zudem werden mit dem Anbau „nachwachsender Rohstoffe" zur industriellen Verarbeitung neue Hoffnungen geweckt, die weitgehend Illusionen bleiben werden, denn bisher bestehen dabei nicht die geringsten Aussichten auf eine wirtschaftliche Verwertung der Überschüsse. Darüber hinaus ist eine entscheidende Frage, nämlich wie sich der intensive Anbau pflanzlicher Rohstoffe zur industriellen Verwertung auf den Naturhaushalt auswirkt, noch völlig ungeklärt.
Alles in allem läßt die deutsche Agrarpolitik erkennen, daß es an einer realistischen Situationsbetrachtung ebenso fehlt wie an Schlußfolgerungen für die Förderung einer umweltpolitisch orientierten Landwirtschaft.
Vielseitige neue Vorschläge Währenddessen wird von verschiedenen Seiten aus an Vorschlägen zur Neuorientierung der Agrarpolitik gearbeitet. Die EG-Kommission hat im Juli 1985 Perspektiven für die gemeinsame Agrarpolitik in einem „Grünbuch“ vorgelegt. In der Bundesrepublik entstanden zahlreiche Stellungnahmen, Konzepte, Leitlinien — und zwar im Bauernverband, aus der Wissenschaft, aus allen Parteien, auch Stellungnahmen aus einzelnen Bundesländern —, die auf erhebliche Meinungsunterschiede zwischen den nord-und süddeutschen Ländern hindeuten. Die Vorschläge lassen aber weitgehend noch ein ängstliches Beharren auf den gewohnten Maßnahmen ohne Konsequenzen für eine wirkliche Neuorientierung der Agrarpolitik erkennen.
Der Inhalt ist daher auch nicht ganz einfach wiederzugeben. Offensichtlich ist es den Verfassern schwergefallen, ihre agrarpolitischen Einsichten mit den Erwartungen der Bauern in Einklang zu bringen. So sind wichtige Aussagen verklausuliert, insbesondere zu den kritischen Fragen der Preis-und Einkommenspolitik. Andere sind widersprüchlich oder enthalten unerfüllbare Forderungen. Im folgenden wird versucht, die Grundgedanken von sieben Vorschlägen aus der Bundesrepublik Deutschland wiederzugeben:
1. Deutscher Bauernverband: Konzeption zur Neuausrichtung der EG-Agrarpolitik, Januar 1986.
2. CDU/CSU: Agrarpolitisches Konzept (Albrecht-Papier), März 1986.
3. F. D. P.: Konzept zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik, November 1985.
4. SPD: Leitlinien zur Neuausrichtung der Agrarpolitik, November 1985.
5. Baden-Württembergische Landesregierung: Leitlinien für die Neuorientierung der Agrarpolitik, Dezember 1985.
6. Wirtschaftswissenschaftler im „Kronberger Kreis“: Für eine neue Agrarordnung, Dezember 1984. 7. Die GRÜNEN: 15 Grundsätze zur Agrarpolitik, Februar 1986.
Welche unterschiedlichen Positionen, welche Leitbilder für die Entwicklung der Landwirtschaft stehen hinter den Forderungen, was wird offen ausgesprochen oder insgeheim begünstigt?
1. Das Konzept des Deutschen Bauernverbandes ist eine wenig realistische Summierung von Forderungen, die im Grunde auf mehr staatliche Lenkung und mehr Subventionen hinauslaufen. Da eine aktive Preispolitik das Hauptziel bleibt, muß der Marktausgleich durch eine Vielzahl von Maßnahmen herbeigeführt werden: durch Kontingente für Milch und Getreide, Absatzförderung, stärkere Abschirmung nach außen, Stillegung von Flächen oder Umwidmung für nachwachsende Rohstoffe. Allein zur Entlastung des Getreidemarktes durch neue Produkte werden jährlich 4 bis 6 Mrd. DM verlangt und zusätzlich hohe Subventionen für die Sozialversicherung, für Steuerentlastungen und Vorruhestandsregelungen gefordert. So wird der Hintergrund deutlich: Der größere, weiter wachsende Betrieb soll begünstigt werden; für ihn gilt es, die Produktionsmengen durch Kontingente zu sichern, die Preise zu erhöhen und kleine Bauern herauszukaufen. Ausdrücklich wird von „freigestellten Nutzflächen zur Strukturverbesserung in den verbleibenden ! Betrieben“ gesprochen. Leider folgt die Agrarpolitik der deutschen Bundesregierung immer noch weitgehend dem Konzept des Bauernverbandes.
2. Das Konzept der CDU/CSU zeigt gegenüber der Agrarpolitik der Bundesregierung nur leicht (Veränderte Akzente. Die Preispolitik steht im Mittelpunkt, während generelle Einkommensübertragungen abgelehnt werden. Dem Marktgleichgewicht dienen Kontingente, Flächenstillegungen, Herauskauf von Lieferrechten. Wenig realistisch und mehr zur Beruhigung der Bauern wird die Begrenzung der Einfuhren bei Ausweitung der Exporte und der Nahrungsmittelhilfe gefordert.
Eine besondere Bedeutung wird auch dem verstärkten Anbau agrarischer Rohstoffe, vor allem Bioäthanol, gegeben, obwohl dafür immense Subventionen erforderlich wären. Bei allen unerfüllbaren Hoffnungen dürfte auch hier der Strukturwandel zum größeren Betrieb das unausgesprochene Leitbild sein.
3. Das Konzept der F. D. P. geht etwas realistischer davon aus, daß eine Einkommenssicherung über die Preise allein nicht mehr möglich ist. Auf der Suche nach Alternativen erscheinen alle bekannten Ziele und Maßnahmen in weitgehend unverbindlichen Formulierungen. Dabei wird der Kontingentierung weniger, den Umweltfragen etwas mehr Gewicht gegeben, aber ausdrücklich eine Verminderung der Produktionskapazitäten, das heißt also Förderung des Strukturwandels, als wichtiges Mittel zur Problemlösung bezeichnet.
Jedoch wird hier nicht nur dem Ausscheiden von Betrieben und Flächen Gewicht gegeben, sondern mehr noch ihrer Weiterbewirtschaftung im Nebenberuf und mit Zuerwerb.
4. In den Leitlinien der SPD ist das Bemühen um eine eigene Konzeption für eine Agrarpolitik deutlich, bei der die Mittel sozial gerechter, vor allem für die klein-und mittelbäuerlichen Betriebe sowie für umweltverträgliche Produktionsformen eingesetzt werden sollen. Bei stärkerer Marktorientierung der Preise und Ablehnung von Kontingenten wird einerseits Einkommenshilfen größeres Gewicht gegeben, andererseits wird aber auch die Bedeutung flankierender Maßnahmen des Strukturwandels — von Rentenprogrammen und Mitteln zur Flächenstillegung — hervorgehoben, also letzten Endes eine Lösung doch in der Abnahme von Betrieben und Flächen gesehen. Dagegen wird vor übertriebenen Hoffnungen auf Entlastung durch nachwachsende Rohstoffe gewarnt. Insgesamt sind die Forderungen und Vorschläge realistischer, doch fehlt auch hier noch ein geschlossenes Programm für die Durchführung. 5. Die Leitlinien der Baden-Württembergischen Regierung zeigen eine durchaus eigene Linie und sind insgesamt geschlossener, im deutlichen Bemühen, die typische ländliche Struktur des Landes zu erhalten. Kernproblem ist ein eigenständiges EG-Binnenmarktsystem, das unter Ausschluß der Importe von Futtermitteln und Getreidesubstituten bei einem Selbstversorgungsgrad um 100% ohne wesentliche Interventionen funktioniert. Dadurch kann eine stärkere Hinwendung von einer bisher „mengenorientierten Ausrichtung der EG-Agrarpolitik zu einer betriebs-bzw. flächenbezogenen Einkommenspolitik erfolgen“. Von den unvermeidlichen Preisrückgängen werden Einkommenseinbußen, aber zugleich auch Ersparnisse an Marktordnungskosten erwartet, die einen Spielraum für direkte Ausgleichszahlungen bieten. Diese sollen nach sozialen, regionalen und ökologischen Kriterien verteilt werden und einer Grundsicherung der Betriebe sowie der Abgeltung ihrer gesellschaftspolitischen Leistungen dienen.
6. Ein Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern im „Kronberger Kreis“ hat eine umfassende Analyse der agrarpolitischen Fehlentwicklungen vorgelegt. Für die Neuorientierung wird von ihnen die extremste Position einer radikal marktwirtschaftlichen Lösung vertreten, die praktisch auf eine Marktanpassung und Verminderung der volkswirtschaftlichen Belastungen durch forciertes Ausscheiden von Betrieben, Flächen und Arbeitskräften hinausläuft. Zentraler Punkt ist eine konsequente Marktorientierung der Preise, bei Abbau des Dirigismus und der Subventionen, und nach einer Übergangszeit freie Preisbildung ohne staatliche Stützungskäufe. Durch zeitlich begrenzte Überbrückungshilfen soll ein soziales Auffangnetz geschaffen werden, um den Bauern die Umstellung zu erleichtern. An ständige Einkommens-beihilfen wird nur in Sonderfällen gedacht. So bleibt die in sich schlüssige Konzeption einäugig auf die wirtschaftliche Problematik beschränkt, ohne daß die Konsequenzen für eine Agrarpolitik gezogen werden, wie sie der Bedeutung der Landwirtschaft für Umwelt und Naturhaushalt entspricht. 7. Die GRÜNEN haben einige neue Varianten in die agrarpolitische Diskussion eingebracht, aber leider liegt weder von ihnen noch von den deutschen Naturschutzverbänden ein geschlossenes Konzept vor. Im deutlichen Gegensatz sowohl zu den Bauernverbänden als auch zu den Wirtschaftswissenschaftlern geht es ihnen jedoch um die Erhaltung der bäuerlichen Klein-und Mittelbetriebe, um naturgerechte Produktionsmethoden und um die Begrenzung der Konzentrationsprozesse in der Feldwirtschaft und Tierhaltung. Im Mittelpunkt ihrer Forderungen steht eine Einkommenspolitik mit Hilfe von Preisen, die zugunsten der Kleinbetriebe nach Betriebsgrößen gestaffelt werden. Bei der Frage, wie solche Vorschläge zu realisieren und die Überschüsse zu beseitigen wären, verlieren sich die Aussagen jedoch im Ungewissen. Und bei finanziellen Forderungen an die Allgemeinheit zeigen die GRÜNEN ebensowenig Zurückhaltung wie die Bauernverbände. Immerhin besteht ein wesentlicher Unterschied: Die Politik der Bauernverbände begünstigt die wohlhabenden Landwirte, für die GRÜNEN und die Naturschutzverbände stehen die sozialen und ökologischen Belange im Vordergrund.
Vorschläge der EG-Kommission Die EG-Kommission war seit 1984 bemüht, neue Perspektiven für die gemeinsame Agrarpolitik zu entwickeln, die im Juli 1985 in ihrem „Grünbuch“ vorgelegt wurden. Sie waren ausdrücklich noch nicht als Vorschläge an den Rat, sondern als Diskussionsgrundlagen gedacht, denen nach weiteren Anhörungen die Orientierungen „Eine Zukunft für die europäische Landwirtschaft“ und im Frühjahr 1986 „Sozio-strukturelle Reformvorschläge“ folgten.
Das Grünbuch geht von einer umfassenden Darstellung der Probleme aus. Doch, wie bei einem internationalen Gremium nicht anders zu erwarten, sind verschiedene Auffassungen darin zusammengeflossen und die einzelnen Teile nicht voll aufeinander abgestimmt. Erfreulich ist aber, daß die Betrachtung über die wirtschaftlichen Fragen hinaus auf die gesellschaftspolitischen und ökologischen Ziele eingeht, auf die „Notwendigkeit, ein soziales Gefüge in den ländlichen Gebieten zu erhalten, die natürliche Umwelt zu wahren und die seit zwei Jahrtausenden von der Landwirtschaft geformte Landschaft zu schützen“. In diesem Sinne ist auch der Frage Landwirtschaft und Umwelt ein besonderer Abschnitt gewidmet, wenn es auch noch nicht ganz gelungen ist, die Schlußfolgerungen daraus in allen agrarpolitischen Maßnahmen erkennbar werden zu lassen.
Die Analyse der Entwicklung und Situation führt folgerichtig zur Konsequenz, daß eine Markt-orientierung der Erzeugerpreise nicht zu umgehen ist, während quantitative Beschränkungen wie die Milchkontingente nur als Notlösung bezeichnet werden. Aus einer restriktiven Preispolitik wird gefolgert, daß „die Schlüsselfrage alternative oder ergänzende Einkommens-und Beschäftigungsmöglichkeiten“ sind, wenn man „die ländliche Struktur erhalten“ will.
In diesem Sinne wird zwar den Aufgaben in den Bereichen Landwirtschaft und Umwelt, regionale Entwicklung und Einkommensbeihilfen ein breites Schlußkapitel gewidmet. Doch die konkreten Vorschäge dafür lassen noch kaum Maßnahmen zur Erhaltung der ländlichen Struktur erkennen, und bei den Einkommenshilfenfehlt ein ökologisch orientierter Ansatz:
— Frühzeitiger Ruhestand für Landwirte vom 55. Lebensjahr an, — strukturpolitisch orientierter Ansatz, degressive Anpassungshilfen für eine Übergangszeit von fünf Jahren, — sozialpolitischer Ansatz, Beihilfen für einkommensschwache Familien, aber beschränkt auf die jeweilige Generation der Betriebsleiter, — Beihilfen zur Aufgabe der landwirtschaftlichen Erzeugung und Stillegung der Flächen. Die Einkommenshilfen zielen vorwiegend auf eine Verminderung der Produktion durch Abnahme der Betriebe, der Flächen und Beschäftigten in der Landwirtschaft ab. Sie sollen den Strukturwandel zwar sozial abfedern, aber doch fördern. Wie dadurch die ländliche Struktur erhalten und eine umweltgerechte Landwirtschaft gefördert werden könnte, ist nicht zu erkennen.
Die dem Grünbuch folgenden „Orientierungen" enthalten allerdings einige positive Ergänzungen. So soll mit der Vorruhestandsregelung eine Unterstützung junger Landwirte verbunden werden, die Betriebe übernehmen und auf alternative Erzeugung oder umweltgerechte Produktionssysteme umstellen. Darüber hinaus wird ausdrücklich von Einkommensstützungen für Landwirte mit einer Produktionsweise gesprochen, die den Erfordernissen des Umweltschutzes dient.
Die sozio-strukturellen Vorschläge von 1986 enthalten dazu nähere Bestimmungen. Jährliche Hektar-Prämien an jüngere Landwirte, die sich zur Extensivierung bei Verminderung der Erzeugung pro ha um mindestens 20% verpflichten, darüber hinaus an Landwirte, die Produktionsregeln zum Schutz des natürlichen Lebensraums befolgen. Außerdem ist eine Erweiterung der Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete vorgesehen. Mit diesen Vorschlägen wird der erste Einstieg in eine umweltorientierte Einkommens-und Strukturpolitik erkennbar.
Die Kernprobleme Die verschiedenen Vorschläge zur Neuorientierung der Agrarpolitik enthalten mehr oder weniger umfangreiche IVunschlisten, die kaum erkennen lassen, wie die einzelnen Wünsche verwirklicht werden könnten. Schlimmer noch sind die Widersprüche, sowohl zwischen den Zielen untereinander als auch zwischen den Zielen und Maßnahmen der Agrarpolitik. Darin hat die deutsche Agrarpolitik einen traurigen Rekord erreicht.
Entscheidend ist, was hinter den Vorschlägen steht, in welche Richtung die Verfasser die Entwicklung lenken möchten, vielleicht gegen ihren erklärten Willen, sei es unter politischem Druck, vielleicht auch nur unter dem Zwang der Vorstellung, die sie von den Wünschen ihrer Wähler haben.
Bei näherer Betrachtung einiger Schwerpunktbereiche wird deutlich, daß sich die vorgeschlagenen Maßnahmen wohl teilweise ergänzen, daß aber gerade auch in zentralen Fragen unter den gleichen Begriffen Lösungen vorgeschlagen werden, die in ganz verschiedene Richtungen führen.
1. Auf dem Wege zum Marktgleichgewicht geht es um sehr verschiedene Alternativen:
— Hochpreispolitik mit gezielter Mengensteuerung, die weiterhin eine „aktive“ Preispolitik ermöglicht.
— Marktorientierte, restriktive Preispolitik mit ergänzenden Einkommenshilfen.
— Weitgehend freie Preisbildung über den Markt, die zum Ausscheiden von Betrieben und/oder Anbauflächen führt.
-Flächenstillegung und/oder Übergang auf neue Produkte durch biotechnologische Innovationen. 2. Bei den Vorschlägenfür Einkommenshilfen werden die Gegensätze besonders deutlich. Zwar gehen alle von der Erkenntnis aus, daß die Agrarpolitik bei steigender Produktion und stagnierender Nachfrage mit der Doppelfunktion der Preise auf Einkommen und Marktgleichheit in zunehmende Konflikte gerät, so daß bei stärkerer Marktorientierung der Preise ergänzende Mittel der Einkommenspolitik erforderlich werden. Und seit Jahren wird auch über Vorschläge für direkte, produktionsneutrale Einkommenshilfen eine kontroverse Diskussion geführt. Doch bei näherer Betrachtung weisen die Vorschläge in ganz verschiedene Richtungen: — Existenzsicherung bäuerlicher Betriebe durch produktionsneutrale Einkommenshilfen, möglicherweise differenziert nach den natürlichen Produktionsbedingungen und/oder als Leistungsentgelte für umweltgerechte Bewirtschaftung.
— Soziale Absicherung, aber doch indirekte Förderung des Strukturwandels durch flankierende Maßnahmen wie Landabgaberenten und Vorruhestandsregelungen bei teilweisem oder völligem Verzicht auf die Produktion.
3. Den Fragen Landwirtschaft und Umwelt wird zwar verbal wachsende Bedeutung zugemessen. Doch auch hier werden verschiedene Lösungen angestrebt:
— Eine insgesamt weniger intensive, umweltgerechtere Wirtschaftsweise mit gezielten Einkommenshilfen als entsprechenden Leistungsentgelten.
— Einzelmaßnahmen zur Verminderung umwelt-schädlicher Wirkungen, wie sie aus starkem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln sowie der Konzentration großer Tierbestände hervorgehen.
— Bildung von Naturschufzßächen und/oder Umlaufbrachen durch Herausnahme bestimmter Flächenanteile aus der Bewirtschaftung.
4. Die Strukturentwicklung steht mit allen anderen Maßnahmen im Zusammenhang. Dabei geht es um eine entscheidende Weichenstellung:
— Erhaltung einer vielseitigen bäuerlichen Struktur mit umweltgerechter Wirtschaftsweise, einer breiten Bodenverteilung und ländlichen Bevölkerung. Hier stehen primär gesellschaftspolitisch und ökologisch begründete Zielsetzungen im Vordergrund.
— Förderung der Strukturwandlung, um die Überschußbildung abzuschwächen und zugleich die Einkommen der abnehmenden Anzahl verbleibender Landwirte zu verbessern. Eine solche Lösung wird gern mit der Schaffung wettbewerbsfähiger Betriebe begründet, wie sie von 1972 bis 1983 als „entwicklungsfähige“ Betriebe gefördert wurden. Dabei werden flankierende regionalpolitische Maßnahmen zur Schaffung anderer Erwerbsmöglichkeiten für die Ausscheidenden Landwirte verlangt.
Alles in allem werden zwei ganz verschiedene Entwicklungsrichtungen erkennbar:
1. Eine mehr industrialisierte Landwirtschaft, bei der die Struktur der Betriebe und die Gestaltung der Landschaft höchster technischer Effizienz untergeordnet werden. Rein wirtschaftliche Ziele stehen im Vordergrund. Die Einkommensbildung erfolgt über Preise und Produktionsmengen. Sie läßt sich aber bei anhaltender Produktionssteigerung nur bei Zunahme der Subventionen und zugleich Schrumpfung der Berufsgruppe durchhal47 ten. Diese weitgehend indirekte Subventionierung über die Preise ist praktisch eine versteckte Begünstigung einer kleinen Gruppe größerer Landwirte, die dann nach Zerstörung der bäuerlichen Struktur technisch höchst vollkommen in monotonen Produktionsgebieten wirtschaften. Bei Fortsetzung der bisherigen Politik ist eine solche Entwicklung in allenfalls zehn bis zwanzig Jahren absehbar.
2. Die Alternative ist eine bäuerliche Landwirtschaft mit umweltgerechter Wirtschaftsweise in einer vielgestaltigen Kulturlandschaft. In Überein-stimmung wirtschaftlicher, gesellschaftspolitischer und ökologischer Ziele wird die Landwirtschaft nicht nur in ihren wirtschaftlichen Aufgaben gesehen, sondern zugleich als moderner Dienstleistungsbereich mit der Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen der Gesamtheit. Bei kombinierter Einkommenspolitik erfolgt die Förderung der Betriebe direkt, nach dem Maß ihrer Wohlfahrtswirkungen und aus der Überzeugung, daß Naturhaushalt und Kulturlandschaft zu den wertvollsten Gütern der Wohlstandsgesellschaft gehören.
Einen wichtigen Teil der ländlichen Sozialstruktur bilden auch die landwirtschaftlichen Teilzeitbetriebe mit Erwerbskombinationen, Bauern, die im Nebenberuf oder mit Zuerwerb wirtschaften. Sie wurden in der Agrarpolitik allzulange nur als Bauern zweiter Klasse behandelt und sind auch heute noch bei vielen agrarpolitischen Maßnahmen benachteiligt.
Für ihre Förderung sprechen gesellschaftspolitische und wirtschaftlicheGründe: Gerade in den weniger günstigen, aber landschaftlich wertvollen Gebieten bilden nebenberuliche Landwirte die Kerngruppe der ländlichen Bevölkerung. Und bei außerlandwirtschaftlichen Einkommen sind sie bemüht, ihr Land bei geringer Arbeitsbelastung extensiver zu bewirtschaften. Die geringere Intensität ist aus den deutschen Agrarberichten deutlich nachzuweisen: Die durchschnittlichen Produktionswerte pro Hektar liegen bei nur 75 % der Vollerwerbslandwirte. So trägt die nebenberufliche Landwirtschaft zur Verminderung der Überschüsse und Umweltbelastungen bei und gewinnt in allen hochentwickelten Ländern zunehmend an Bedeutung. In der EG waren nach der Strukturerhebung von 1975 schon 44% Teilzeitbetriebe, bei erheblichen Unterschieden in den einzelnen Ländern. In Italien und in der Bundesrepublik Deutschland werden rund 60% aller Betriebe mit Zuerwerb oder im Nebenberuf bewirtschaftet. Es geht darum, sie in der Agrarpolitik vollwertig zu behandeln.
Sozial und ökologisch abgesicherte Marktwirtschaft
Abbildung 8
Übersicht: Einkommensvorausschätzung für Haupterwerbs-Marktfrucht- und -Futterbaubetriebe in Hessen Quellen: „Buchführungsergebnisse landwirtschaftlicher Betriebe in Hessen“, Kassel 1984 und 1985; eigene Berechnungen.
Übersicht: Einkommensvorausschätzung für Haupterwerbs-Marktfrucht- und -Futterbaubetriebe in Hessen Quellen: „Buchführungsergebnisse landwirtschaftlicher Betriebe in Hessen“, Kassel 1984 und 1985; eigene Berechnungen.
Das Kernproblem ist die zukünftige Einkommens-und Marktpolitik. Die dabei bestehenden Probleme werden im folgenden anhand von Beispielsrechnungen aufgezeigt.
Im Hinblick auf das Überschußchaos und die weiterhin unabsehbaren Produktionsreserven ist die stärkere Marktorientierung der Erzeugerpreise eine zwingende Notwendigkeit. Infolgedessen wird die Entwicklung einer kombinierten Einkommenspolitik. d. h. eine Ergänzung der Preispolitik durch produktionsneutrale, direkte Einkommens-hilfen, eine zentrale Aufgabe der Agrarpolitik. Das ist die einzige Lösung, wenn wir das selbständige Bauerntum in seiner vielfältigen Struktur erhalten und eine naturgerechte Wirtschaftsweise fördern wollen.
Es ist eine Tragik für die bäuerliche Landwirtschaft, daß sich ausgerechnet der Deutsche Bauernverband gegen Einkommenshilfen sträubt. Er konzentriert seine Energie auf den Preis als das alleinige Mittel der Einkommenspolitik, um die daraus entstehenden Privilegien der größeren, produktionsstarken Betriebe zu halten, ignoriert aber die volkswirtschaftlichen und sozialen Verluste. Doch wird bei den Vorschlägen für direkte Einkommenshilfen gar nicht an eine vollständige Alternative zur Preispolitik gedacht, sondern nur an ihre Ergänzung: Berechtigte Einkommensansprüche der Landwirte sollten soweit wie möglich über Preisanhebungen und nur darüber hinaus, wenn es unbedingt erforderlich ist, über Einkommensbeihilfen befriedigt werden; sie sollten nur solchen bäuerlichen Betrieben gewährt werden, die ohne sie in ihrer Existenz gefährdet wären. Über der heftigen Abwehr gegen eine kombinierte Einkommenspolitik sind die vorliegenden Vorschläge für Einkommensübertragungen kaum ernsthaft geprüft worden. Empirische Untersuchungen über die Auswirkungen der kombinierten Einkommenspolitik wurden von den verantwortlichen Stellen leider auch nicht veranlaßt.
Zur Wirkung von Preisveränderungen Ehe wir die Möglichkeiten dafür betrachten, fragen wir zunächst nach den Einkommenswirkungen von Preisveränderungen. Bei einer Marktorientierung der Preise wird hier nicht an stärkere, kurzfristige Preissenkungen gedacht, sondern ein behutsames Vorgehen unterstellt. Das sollte allerdings längerfristig konsequent sein, um der Landwirtschaft mehrjährige Richtwerte zu geben und entsprechende Anpassungen zu erleichtern.
Im folgenden werden Beispielsrechungen mit zwei Alternativen durchgeführt: — „Optimistische Alternative“: nominale Erzeugerpreissteigerung von + 2%, die weitgehend einer Konstanz der realen Erzeugerpreise entspricht. — „Pessimistische Alternative“: nominale Erzeugerpreissenkung um — 2 %.
Die zwei Alternativen entsprechen etwa dem Diskussionsstand zu Beginn des Jahres 1986. Auf deutscher Seite war man damals mit aller Energie bemüht, mindestens das reale Preisniveau zu halten und dafür eine leichte — nominale — Preiserhöhung durchzusetzen, wie sie der „optimistischen Alternative“ entspricht. Inzwischen hat sich unter dem Marktdruck aufgrund der steigenden Überschüsse die Tendenz zur leichten Absenkung des Preisniveaus durchgesetzt, so daß von den beiden folgenden Szenarien die „pessimistische Alternative“ der tatsächlichen Entwicklung näher-kommen dürfte.
Die folgenden Kalkulationen zeigen die kurzfristigen Veränderungen auf, die jährlich im Zeitraum von maximal drei Jahren bei veränderten Erzeugerpreisen erwartet werden können. Längere Voraussagen erscheinen aufgrund der vielfältigen Imponderabilien zu gewagt. Als Datenbasis dient die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für die deutsche Landwirtschaft des Jahres 1984. Für die Landwirtschaft der EG wurde das letzte verfügbare Jahr 1983 zugrunde gelegt.
Bei den Annahmen für die Veränderungen der Produktionsmengen (Vorleistungspreise und Vorleistungsmengen) wurde die Entwicklung in den vergangenen Jahren berücksichtigt. Für die Produktionsmengenentwicklung wird ein Zusammenhang mit der Preisentwicklung unterstellt, eine Fortsetzung der Zunahme um 1 % bei realer Konstanz der Erzeugerpreise, eine leichte Abnahme um — 1 % bei dem Erzeugerpreisrückgang um nominal — 2%.
Für die Vorleistungen war bis 1980 eine Zunahme der Mengen um 1 bis 2% zu beobachten. Mit der Stagnation der Erzeugerpreise begann eine deutliche Abnahme mit Jahresraten von — 1 bis — 2%.
1983 kam es zu einer leichten Steigerung, bei der ein Einfluß der letzten größeren Anhebung der Erzeugerpreise um rund 8% im Jahre 1982 nicht auszuschließen ist. Für die Vorleistungspreise wird ein Fortbestehen der Inflationsraten von knapp 2% unterstellt.
Zunächst werden für beide Alternativen auf der Basis der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für 1984 die Veränderungen der Bruttowertschöpfung der deutschen Landwirtschaft ermittelt:
1. Bei der optimistischen Alternative einer realen Konstanz der Preise bei nominaler Preiserhöhung um 2% erfolgt eine Steigerung der Bruttowertschöpfung der deutschen Landwirtschaft um 4, 7% = 1, 38 Mrd. DM pro Jahr. 2. Bei der pessimistischen Alternative einer nominalen Preisverminderung um 2% erfolgt dagegen eine Abnahme der Bruttowertschöpfung um 6, 6% = 1, 90 Mrd. DM.
Bei insgesamt 11, 95 Mio. ha in der Bundesrepublik entsteht — durch die Preiserhöhung eine durchschnittliche Steigerung der Wertschöpfung um rund 115 DM je ha, — bei der Preisverminderung um 2% eine durchschnittliche Abnahme der Wertschöpfung um rund 159 DM je ha.
Für die tatsächliche Entwicklung dürfte nicht ganz unwahrscheinlich sein, daß sie im mittleren Bereich zwischen beiden Alternativen bei einer Stagnation der landwirtschaftlichen Einkommen verläuft. Für die Europäische Gemeinschaft (EG der Zehn) führen die Kalkulationen auf der Basis der Gesamtrechnung für 1983 zu folgenden Ergebnissen:
1. Bei der optimistischen Alternative erfolgt eine Steigerung der Wertschöpfung um 4, 3% = 3, 5 Mrd. ECU (7, 96 Mrd. DM).
2. Bei der pessimistischen Alternative erfolgt eine Abnahme der Wertschöpfung um 5, 5% = 4, 45 Mrd. ECU (10, 10 Mrd. DM).
Entwicklung der Marktordnungskosten Die Veränderungen der Marktordnungskosten sind nur in annähernder Größenordnung abzuschätzen. Dabei gehen die Berechnungen von der Annahme aus, daß im Beobachtungszeitraum sowohl der Nahrungsmittelverbrauch als auch das Weltmarktpreisniveau konstant bleiben.
Für die Kalkulation werden in allen Mitgliedstaaten die gleichen Kosten der Überschußverwertung unterstellt und aus dem Selbstversorgungsgrad die Überschußmengen und daraus die Marktordnungskosten je Tonne ermittelt. Grundlage dafür bilden die fünf Hauptprodukte Getreide, Zucker, Rindfleisch, Schweinefleisch sowie Milch, auf die 67% der gesamten Marktordnungskosten entfallen. Bei der Hochrechnung auf 100% ist je nach der Entwicklung der Produktionsmengen bei der Preiserhöhung um 2% mit einer Steigerung von 5 bis 10%, bei der Preisverminderung um 2% mit Ersparnissen an Marktordnungskosten von 7 bis 12% zu rechnen.
Von der Basis des Jahres 1984 wären demnach die in der Übersicht auf der nächsten Seite dargestellten Veränderungen der Marktordnungskosten abzuschätzen. Eine Gegenüberstellung der ermittelten Marktordnungskosten mit den Veränderungen der Bruttowertschöpfung läßt folgendes erkennen:
Bei der Preiserhöhung um 2% erfordert die Steigerung der Bruttowertschöpfung um 1, 38 Mrd. DM (= 4, 7%) zusätzliche Marktord49 nungskosten in der Größenordnung von ca. 700 Mio. DM (= 50%). Demgegenüber tritt bei der Preisverminderung um 2% eine Abnahme der Bruttowertschöpfung um 1, 90 Mrd. DM (= 6, 6%) ein, die eine Ersparnis an Marktordnungskosten um nahezu 1 000 Mio. DM(= ca. 50%) zur Folge haben könnte.
Ergebnis: Bei der derzeitigen Überschußsituation werden Einkommenssteigerungen über die Preise nur zu rund 50 % über den Markt erreicht, während rund 50% indirekt aus Marktordnungskosten hervorgehen. Bei preisbedingten Einkommensverminderungen tritt, umgekehrt, eine entsprechende Ersparnis an Marktordnungskosten ein. Dieses Ergebnis ist für die Beurteilung der Möglichkeiten von direkten Einkommenshilfen wichtig.
Einkommenswirkungen auf verschiedene Betriebsformen Die Befürchtung, daß eine marktorientierte Preispolitik zur Existenzgefährdung vieler Betriebe führt, wirft die Frage auf, wie sich die erläuterten Veränderungen der Preise auf die verschiedenen Betriebsformen auswirken. Dafür ist von den großen Einkommensunterschieden innerhalb der Landwirtschaft auszugehen. Objektive Ursachen dafür sind die Betriebsgrößen, die natürlichen Produktionsbedingungen und die sich daraus ergebenden Produktionsformen. Danach werden die Testbetriebe in den Agrarberichten nach Betriebsgrößen und nach der Wirtschaftsweise untergliedert. Wichtigste Gruppen sind die Marktfruchtbaubetriebe mit 25% und die Futterbaubetriebe mit 52% aller Betriebe.
Die Einkommenswirkungen der beiden Preisalternativen werden zunächst für diese beiden Produktionsformen nach Buchführungsergebnissen aus Hessen dargestellt. (Übersicht siehe Seite 51)
Die Ergebnisse zeigen, daß die Marktfruchtbaubetriebe ein höheres Einkommensniveau haben als die Futterbaubetriebe. Diese haben im Durchschnitt etwas geringere Größen — hier um rund 15% — und wirtschaften im allgemeinen unter weniger günstigen natürlichen Produktionsbedingungen. Die Einkommensunterschiede zwischen beiden Gruppen werden durch die Preisveränderungen weiter vergrößert: Die Marktfruchtbaubetriebe — sie liegen mehr auf guten Standorten — haben durch Preiserhöhungen annähernd doppelt so hohe Gewinnsteigerungen wie die Futterbaubetriebe. Die Preisverminderungen bringen, umgekehrt, gerade den einkommensschwachen Futterbaubetrieben höhere Einkommensverluste. Diese Tendenzen werden weit deutlicher, wenn nicht die großen Gruppendurchschnitte, sondern Ergebnisse unterschiedlicher Betriebsgrößengruppen für den Vergleich herangezogen werden, wie sie in den Agrarberichten auch in einer Gliederung nach Hektar landwirtschaftlicher Fläche ausgewiesen werden. Dafür wurden zwei extreme Gruppen von Vollerwerbsbetrieben ausgewählt: Marktfruchtbau über 100 ha und Futterbau unter 20 ha. Da in 67% aller Futterbaubetriebe weniger als 20 ha bewirtschaftet werden, umfaßt diese Gruppe rund 35% aller Vollerwerbsbetriebe und darunter einen großen Teil der in ihrer Existenz gefährdeten Betriebe. I Die im Agrarbericht 1986 ausgewiesenen Gewinne zeigen extreme Unterschiede. Die kurzfristigen Auswirkungen einer Preiserhöhung um 2% sind — unter der Annahme sonst gleicher Verhältnisse — annähernd zu überschlagen. Die Ergebnisse sind alarmierend: Die Einkommenssteigerung je Familienarbeitskraft ist im Großbetrieb fast neunmal so hoch wie in den einkommensschwachen kleinen Futterbaubetrieben; sie entspricht 60% deren jährlicher Gesamteinkommen. Die Differenz der Einkommen zwischen beiden liegt vor der Preiserhöhung bei rund 73 000 DM, danach bei rund 82000 DM je Familienarbeitskraft. Es handelt sich zwar nur um eine Überschlagsrechnung; die Unterschiede sind aber in ihrer Größenordnung so gravierend, daß folgende Schlußfolgerungen möglich sind: — Den einkommensschwachen, in ihrer Existenz gefährdeten kleinen Familienbetrieben ist mit der Preispolitik nicht ausreichend zu helfen. — Die stärker spezialisierten, großen Marktfruchtbaubetriebe erhalten durch Preiserhöhungen zu ihren Spitzeneinkommen weitere erhebliche Differentialgewinne.
Gerade die kleinen Futterbaubetriebe, die hier erheblich benachteiligt werden, sind aber die boden-gebundenen Familienbetriebe mit umweltgerechter Wirtschaftsweise, die allgemein als Leitbilder hingestellt werden. Dieser Widerspruch dürfte zum Nachdenken darüber anregen, für welche Betriebe der Bauernverband mit seiner Forderung nach einer Einkommenspolitik ausschließlich über die Preise wirklich eintritt. Und sie leiten zur Frage über, wie sich eine kombinierte Einkommenspolitik auf die verschiedenen Betriebsformen und Betriebsgrößen auswirken könnte. Einkommenssicherung bäuerlicher Betriebe Der Begriff Einkommenshilfen wird heute vielfach als falsches Etikett für Maßnahmen benutzt, die der Förderung des Strukturwandels dienen und mehr Sterbehilfen bei der Stillegung von Bauernhöfen und Flächen sind.
Einkommenshilfen sollten jedoch im Gegenteil gesellschaftspolitische und ökologische Zielsetzungen fördern, um die Erhaltung einer bäuerlichen Struktur und Wirtschaftsweise zu sichern, die der Pflege von Landschaft und Umwelt sowie der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen der Gesamtbevölkerung dient. Einkommenshilfen gelten in diesem Sinne der Abgeltung von Leistungen der Bauern im Interesse der Allgemeinheit, die ihnen über die Preise und Produktionsmengen nicht vergütet werden können. So gesehen dürfen Einkommenshilfen auch nicht als Almosen oder Mittel einer gehobenen Sozialfürsorge gesehen werden.
Zunächst wäre hier auch weniger an eine Einsparung öffentlicher Mittel für die Landwirtschaft als an deren gerechtere und ökologisch sinnvollere Verteilung zu denken. Dabei muß das Ziel die Sicherung einer möglichst breiten bäuerlichen Struktur als Grundlage der Bevölkerung im ländlichen Raum und als Voraussetzung naturgerechter Produktionsmethoden sein. Die Förderung sollte daher weder nach den Produktionsmengen oder Betriebsgrößen noch nach den persönlichen Einkommen bemessen werden, sondern nach den Bodenflächen und der Art ihrer Bewirtschaftung.
Erste Ansätze dafür bestehen im EG-Bergbauernprogramm. Danach wurden Einkommenshilfen für Gebiete beschlossen, die „hinsichtlich der natürlichen Produktionsbedingungen am stärksten benachteiligt“ sind. Damit wird praktisch anerkannt, daß ein Ausgleich der naturbedingten Einkommensunterschiede durch die Preispolitik nicht möglich, jedoch die Erhaltung der Landwirtschaft in diesen Gebieten aus gesellschaftspolitischen Gründen erwünscht ist. Ausdrücklich sind „Erhaltung der Landschaft“ sowie „Lebensfähigkeit und Besiedlung der Gebiete“ als Ziele genannt. Die sogenannten Ausgleichszahlungen können bis zur Höhe von 97 ECU je ha, das heißt etwa 220 DM, gewährt werden. Die von der Bundesregierung angestrebte Erweiterung der Fördergebiete von bisher rund 30% auf 50% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzflächen ist sehr zu begrüßen.
Allgemein bietet der bäuerliche Betrieb die besten Voraussetzungen für eine weniger intensive Wirtschaftsweise in natürlichen Kreisläufen zwischen Flächennutzung und Viehhaltung. Dafür sind Kriterien festzulegen, um Betriebe mit entsprechender Wirtschaftsweise durch eine Bewirtschaftungsbeihilfe oder Kulturprämie abzusichern. Das könnte bedeuten, die Grundförderung im Höchstsatz für einen Viehbesatz bis zu einer Großvieh-einheit je ha Futterfläche zu gewähren und darüber hinaus zu staffeln. Ein weiteres Kriterium könnte der Stickstoffeinsatz sein, beispielsweise die Verpflichtung, nicht mehr als 60 kg Stickstoff je ha einzusetzen. Auch wäre an Beschränkungen bei der Bewirtschaftung zugunsten ds Natur-schutzes zu denken, in der Schonung von Grundwassergebieten und von Landschaftsteilen mit Hecken, Feldgehölzen und Biotopen. Die Grund-beiträge sollten für eine extensive Mindestnutzung gelten, die sowohl wirtschaftliche Vorteile in der Verringerung der Überschüsse hat, als auch im ökologischen Interesse liegt, in der Verminderung von Umweltbelastungen.
Die Wirkung von Einkommenshilfen kann vor allem für einkommensschwache, kleinere Betriebe in ungünstiger Lage entscheidend sein. Für die oben erwähnten kleinen Futterbaubetriebe wären schon die Ausgleichszulagen nach dem Bergbauernprogramm von etwa 220 DM je ha eine weit größere Hilfe als die Preiserhöhung:
— Zusätzlicher Gewinn bei Preiserhöhung 2% 1316 DM — Ausgleichszulage auf 14, 3 ha 3 360 DM Ein Finanzierungsmodell Eine marktorientierte Preispolitik — das ist die Hoffnung — sollte schrittweise zur Verminderung der Überschüsse und Marktordnungskosten führen und dadurch einen Spielraum für gezielte Einkommenshilfen schaffen.
Die kurzfristigen Ersparnisse von Marktordnungskosten reichen zum Ausgleich der Einkommens-verluste oder auch nur zur Finanzierung der Einkommenshilfen an die am meisten gefährdeten Betriebe und Regionen nicht aus. Wie wir gesehen hatten, würde bei der pessimistischen Variante eine Preisverminderung von 2 % zu einer Verminderung der Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft um etwa 1 900 Mio. DM führen. Dabei könnten Ersparnisse an Marktordnungskosten um annähernd 1 000 Mio. DM und Ersparnisse der Verbraucher durch Verminderung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise um etwa 1200 Mio. DM eintreten.
Die Aufgabe ist aber zunächst weniger eine Senkung der Verbraucherpreise, sondern die Signalwirkung verringerter Erzeugerpreise auf die Entwicklung der Produktionsmengen. Dafür wäre in Verbindung mit einer Abgabe auf die Verkaufserlöse der Landwirtschaft eine Lösung denkbar: Die Verminderung der Erzeugerpreise wird nicht an die Verbraucher weitergegeben, sondern durch eine Abgabe von den Landwirten abgeschöpft, während die Verbraucherpreise gleich bleiben oder erhöht werden. Die aus den Abgaben der Landwirte hervorgehenden Beträge fließen in einen Fonds zur Finanzierung gezielter Einkommens-hilfen für die Landwirtschaft. Praktisch könnte das so aussehen:
— Erhöhung der Interventionspreise, damit der Preise für die Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte um + 2% — Erhebung einer Abgabe der Landwirte auf die um 2 % erhöhten Preise aller Verkaufserlöse von + 4% — Ergebnis: Verminderung der Verkaufserlöse der Landwirte um die Differenz von — 2% Praktisch würden also die Marktpreise für Agrarprodukte nominal um 2% steigen, während die Landwirte eine Senkung ihrer Erlöse um 2% erfahren. Damit entsteht eine Gesamtsumme in Höhe von 4% der bisherigen Verkaufserlöse, die zur Hälfte die Verbraucher, zur Hälfte die Landwirte tragen.
Auf diese Weise entsteht ein Spielraum für Einkommenshilfen, insbesondere für Mittel zur Erhaltung einkommensschwacher und in ihrer Existenz gefährdeter Betriebe. Die produktionsneutrale Vergabe dieser Einkommenshilfen führt längerfristig zur Verminderung der Überschüsse und damit zur Verminderung der volkswirtschaftlichen und ökologischen Belastungen.
Eine Beispielrechnung für das Aufkommen einer solchen Abgabe und die entsprechenden Finanzmittel ist zunächst nur für die drei Produkte Getreide, Zuckerrüben und Milch möglich, die zusammen aber rund 40% der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft entsprechen:
Getreide 207 Mio. DM Zucker 86 Mio. DM Milch 668 Mio. DM Allein die Abgaben für diese drei Produkte (40% der Verkaufserlöse) würden also 961 Mio. DM einbringen, so daß man insgesamt mit einem Aufkommen von rund 2 Mrd. DM rechnen könnte.
Ein neues agrarpolitisches Gesamtprogramm Über die Markt-und Preispolitik hinaus wird zur Erhaltung einer bäuerlichen, umweltgerechten Landwirtschaft und zugleich zur Begrenzung der Produktionssteigerung ein Bündel weiterer Maßnahmen in einem neuen agrarpolitischen Geamtprogramm erforderlich. Das betrifft auch eine vollständige Neuausrichtung der Strukturpolitik, bei der Existenzsicherung vor Wachstum geht. Dafür werden folgende Leitsätze zur Diskussion gestellt: 1. Die Verminderung der Überproduktion und der ökologischen Belastungen soll nicht durch Ausverkauf kleiner Betriebe (Landabgaberenten, Milchrenten), sondern eher durch stärkere Belastung größerer und intensiver Betriebe angestrebt werden.
2. Für die Strukturförderung sollte nicht der Haupterwerb in der Landwirtschaft, sondern die gesellschaftspolitische Leistung des Betriebes maßgebend sein.
3. Bei allen agrarpolitischen Maßnahmen sollten die Betriebe, die im Nebenberuf oder mit Zuerwerb bewirtschaftet werden, den Vollerwerbsbetrieben gleichgestellt werden. Die Teilzeitlandwirtschaft ist bei wachsender Freizeit, frühem Ruhestand und zunehmender Mobilität in allen Industriestaaten eine wichtige Zukunftsform.
4. Die Garantiemengen, insbesondere bei Milch, sind an die Futterflächen zu binden, um die tierische Veredelung an ihren natürlichen Futterbaustandorten zu erhalten.
5. Investitionen sollten weniger der Erweiterung von Produktionskapazitäten als vielmehr der Modernisierung der Betriebe und der Verbesserung der bäuerlichen Arbeits-und Lebensbedingungen dienen.
6. Für Investitionshilfen aus öffentlichen Mitteln sollten Förderschwellen nach oben, nicht allein nach Einkommen, sondern nach Flächen, Viehbeständen und Arbeitskräftebedarf festgelegt werden.
7. Für Massentierhaltungen sind absolute Obergrenzen dringend erforderlich, auch schärfere Tierschutz-und Tierhygienebestimmungen, sowie klare Richtlinien für den Immissionsschutz. Ökologische Belastungen sollten durch progressiv steigende Abgaben ausgeglichen werden, durch Umweltsteuern oder gestaffelte Mitverantwortungsabgaben. Alles in allem: Strukturwandel ist erforderlich, aber nicht in einer Richtung allein durch Aufgabe von bäuerlichen Betrieben, sondern eher mit dem Ziel einer Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft, einerseits durch Abbau großer Tierbestände, andererseits durch zusätzlichen Erwerb außerhalb der Landwirtschaft. Dabei bleibt ein ernstes Problem die große Zahl der Betriebe ohne junge Nachfolger. Die Auflösung dieser Betriebe nicht noch durch Vorruhestands-und Rentenprogramme zu fördern, muß das Ziel einer verantwortungsbewußten Agrarpolitik sein. Dazu zählt auch die Aufgabe, den heutigen Zustrom junger Menschen zur Ausbildung in landwirtschaftliche Berufe zu fördern und ihnen die Möglichkeiten zur Übernahme auslaufender Betriebe zu eröffnen. Das gilt ganz besonders für alternativ, bewußt biologisch wirtschaftende Betriebe, die die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen nicht annähernd bewältigen können. Nehmen wird das als hoffnungsvolle Anzeichen dafür, daß die Vorzüge, die der Beruf des Bauern in der Selbständigkeit und Verbindung mit der Natur bietet, von der Jugend erkannt werden.
Hermann Priebe, Dr. agr., geb. 1907; seit 1957 Professor für Agrarpolitik an der Universität Frankfurt sowie Direktor des Instituts für ländliche Strukturforschung; von 1958 bis 1970 wissenschaftlicher Berater der EG-Kommission in Brüssel. Veröffentlichungen u. a.: Wer wird die Scheunen füllen?, Düsseldorf 1954; Landwirtschaft in der Welt von morgen, Düsseldorf 1970; Der Agrarsektor im Entwicklungsprozeß, Frankfurt 1980; Die subventionierte Unvernunft, Berlin 1985; zahlreiche Aufsätze zur deutschen und internationalen Agrarpolitik.
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