Aufgaben der Landwirtschaft in einer modernen Industriegesellschaft
Friedrich Golter
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Zusammenfassung
In allen Industriestaaten kommt die Landwirtschaft in wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten. Sie ist mit Hilfe des technischen Fortschritts in der Lage, immer mehr zu produzieren. Auf der anderen Seite sind der Nachfrage nach Nahrungsmitteln Grenzen gesetzt. Dies führt zu Überangeboten auf den Märkten mit starkem Druck auf die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise. Damit sinken die Stückgewinne und verstärkt sich der Zwang, die Produktion auszudehnen, wenn die Landwirte ihre Einkommen einigermaßen halten wollen. Das Ausscheiden kleiner und mittlerer Betriebe, insbesondere in benachteiligten Regionen, ist die Folge, und der Trend zu Großbetrieben und „Agrarfabriken“ ist unvermeidbar. Die damit verbundenen Konsequenzen für die ländlichen Gebiete sind weitreichend. Es besteht die Gefahr, daß ganze Regionen nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden und damit Probleme für die regionale Wirtschafts-und Sozialstruktur ebenso entstehen wie für die Landschaft und Umwelt. Aus diesen Gründen sollten in der Agrarpolitik einschneidende Korrekturen erfolgen mit dem Ziel, die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten. Eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft ist am ehesten in der Lage, eine sichere Versorgung mit qualitativ hochwertigen und preisgünstigen Nahrungsmitteln zu gewährleisten, Landschaft und Natur zu pflegen und die sozioökonomische Struktur des ländlichen Raumes zu garantieren. Die Alternative wäre eine marktwirtschaftlich orientierte Agrarproduktion mit wenigen Großbetrieben und Massentierhaltungen auf den landwirtschaftlich günstigsten Standorten. Das ist zwar die billigste Form der Produktion; ob damit aber ein sicheres und qualitätsgerechtes Nahrungsmittelangebot auf Dauer möglich ist, bleibt mit einem Fragezeichen zu versehen. Eine Integration der „freigesetzten" Landwirte in den Arbeitsmarkt erscheint, zumal in ohnehin strukturschwachen Gebieten, als ausgeschlossen. Um die dann landwirtschaftlich nicht mehr genutzten Flächen zu pflegen, wären ferner erhebliche finanzielle Mittel duch den Staat aufzuwenden.
Makro-und mikroökonomisches Umfeld für die deutsche und europäische Landwirtschaft
Die Landwirtschaft hat in einer modernen Industrie-und Dienstleistungsgesellschaft wichtige volkswirtschaftliche, aber auch gesellschaftspolitische Aufgaben zu erfüllen. An erster Stelle stehen die Produktion hochwertiger und gesundheitlich unbedenklicher Nahrungsmittel bzw.der dafür erforderlichen Rohstoffe. Darüber hinaus ist die Leistung der Landwirtschaft bei der Erhaltung und Pflege von Natur, Landschaft und Umwelt unverzichtbar. Auch die Erzeugung von pflanzlichen Rohstoffen für die industrielle und gewerbliche Verarbeitung gewinnt an Bedeutung. Schließlich trägt die bäuerliche Landwirtschaft in ländlichen Räumen wesentlich zu einer lebensfähigen Infrastruktur bei, womit eine Vielzahl von Arbeitsplätzen auch in Gewerbe-, Handwerks-und Dienstleistungsunternehmen gesichert wird.
Die landwirtschaftliche Produktion ist in den zurückliegenden Jahren sowohl in der Bundesrepublik als auch in der Europäischen Gemeinschaft (EG) stark angestiegen. Demgegenüber blieb die Entwicklung des Verbrauchs an Nahrungsmitteln hinter dieser Produktionssteigerung zurück mit der Folge, daß die Selbstversorgungsgrade EG-weit bei nahezu allen Produkten gestiegen sind und heute teilweise deutlich über 100% liegen.
Die Selbstversorgung bei Frischobst schwankt entsprechend der stark witterungsabhängigen Erträge seit Jahren zwischen 82 und 87 %. Bei Milch ist der Selbstversorgungsgrad von 1975 bis 1983 auf 122 % geradezu explodiert. Hier zeigt die 1984 eingeführte Quotenregelung erste Wirkungen: Die Überschüsse am europäischen Milchmarkt werden langsam abgebaut.
In der Bundesrepublik Deutschland hat sich mindestens bei einigen wichtigen Agrarprodukten die Eigenversorgung ebenfalls deutlich erhöht.
Vor allem bei Produkten, die nicht in stärkerem Umfang in eine EG-Marktordnung eingebunden sind — z. B. Gemüse, Obst, Schweine-und Geflügelfleisch sowie Eier —, konnte die deutsche Landwirtschaft ihre Marktanteile nicht oder vergleichsweise unzureichend verbessern. Insgesamt zeigen also die Zahlen, daß besonders bei Produkten mit Marktordungen, in denen entsprechende Preisstützungen vorgeschrieben sind, der Selbstversorgungsgrad stark erhöht wurde. Damit sind teilweise erhebliche Ungleichgewichte an den Märkten entstanden und daraus folgend mehr oder weniger große Überschüsse. Diese Tatsache spricht jedoch nicht gegen vernünftig ausgerichtete Marktordnungen. Die mindestens bei einigen Erzeugnissen sehr starke Produktionsentwicklung hat zu steigenden EG-Marktordungsausgaben geführt, die 1986 über 47 Mrd. DM erreichen können. Parallel dazu wachsen die Lagerbestände bei Getreide, Zucker, Rindfleisch und Milchprodukten. Der Buchwert der Lagerbestände lag Ende 1982 in der EG bei 4 Mrd. ECU und Ende 1985 bei 10, 5 Mrd. ECU (23, 6 Mrd. DM). Mit zunehmender Lagerdauer sinkt der Marktwert der Lagerbestände, der 1985 weniger als die Hälfte des Buchwertes (10, 9 Mrd. DM) ausmachte.
Hinzu kommt, daß jede Senkung des US-Dollarkurses den EG-Haushalt mit Mehrausgaben belastet, da der Export auf Dollarbasis abgewickelt wird und bei sinkendem Dollarkurs höhere Erstattungsbeträge von der EG-Kasse gezahlt werden müssen. Eine zehnprozentige Senkung des Dollarkurses bedeutet rund eine Milliarde ECU oder 2, 22 Milliarden DM. Sollte sich die stetige Abwertung des US-Dollars auch in der zweiten Jahreshälfte 1986 fortsetzen, ist sogar zu befürchten, daß die für 1986 errechneten EG-Marktordnungsausgaben nicht ausreichen werden.
Der finanzielle Spielraum der EG ist ausgereizt. Aus der Sicht der Finanzminister müssen schnell Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausgaben zu begrenzen.
Dennoch ist der EG-Haushalt verglichen mit dem Volumen der nationalen Haushalte der EG-Länder bescheiden. Der EG-Haushalt belief sich 1985 auf insgesamt 64 Mrd. DM. Jeder Bürger der Gemeinschaft zahlte so umgerechnet 236 DM an die Gemeinschaft, das sind 65 Pfennig pro Tag. Die anteiligen Kosten für die Agrarpolitik betragen 45 Mrd. DM, das entspricht 165 DM je EG-Bürger im Jahr 1985 oder 45 Pfennig pro Tag. Dagegen hat jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland täglich 25 DM für den nationalen Haushalt aufzubringen. Der EG-Haushalt hat ein Volumen von weniger als einem Prozent des Bruttosozialproduktes der Mitgliedstaaten. Demgegenüber macht nach Angaben der EG-Kommission der Anteil der öffentlichen Ausgaben auf nationaler Ebene im EG-Durchschnitt 50, 7 % am Sozialprodukt aus. In der längerfristigen Entwicklung sind die Zuwachsraten des EG-Haushaltes mit denen der nationalen Haushalte durchaus vergleichbar. Zwischen 1979 und 1985 haben sich sowohl der EG-Haushalt als auch die kumulierten Haushalte der Mitgliedsländer ungefähr verdoppelt.
Entwicklung des Agrarhandels
Abbildung 2
Tabelle 2: Selbstversorgungsgrade in der Bundesrepublik Deutschland in % Quelle: Agrarberichte der Bundesregierung und „Agrarmärkte in Zahlen“ der Zentrale Markt-und Preisberichtstelle der deutschen Agrarwirtschaft (ZMP), verschiedene Jahrgänge.
Tabelle 2: Selbstversorgungsgrade in der Bundesrepublik Deutschland in % Quelle: Agrarberichte der Bundesregierung und „Agrarmärkte in Zahlen“ der Zentrale Markt-und Preisberichtstelle der deutschen Agrarwirtschaft (ZMP), verschiedene Jahrgänge.
Trotz wachsender Produktion und damit verbundener struktureller Überschüsse ist die EG nach wie vor weltweit der größte Nahrungsmittelimporteur. Solange der Import von Agrargütern nicht begrenzt wird, ist jeder Versuch, produktionsmindernde Maßnahmen zur Marktentlastung agrarpolitisch durchzusetzen, zum Scheitern verurteilt. Die Tabelle zeigt, daß der Importüberschuß bei Agrargütern in die Bundesrepublik von knapp 25 Mrd. DM im Jahr 1980 auf 30 Mrd. DM im Jahr 1985 kontinuierlich angestiegen ist.
EG-weit hat sich der Einfuhrüberschuß von Agrargütern von 28 Mrd. DM im Jahr 1980 auf rund 33 Mrd. DM im Jahr 1985 erhöht. Daher ist die Kritik aus Wirtschaftskreisen, der Agrarhandel behindere zunehmend die Industrieexporte, nicht berechtigt. Die Bundesrepublik Deutschland ist innerhalb der EG der weitaus wichtigste Nettoimporteur von Agrargütern.
Vor allem die jährlich in die EG eingeführten 45 Mio. Tonnen Futtermittel im Wert von durchschnittlich 23 Mrd. DM verursachen Wettbewerbsverzerrungen und führen zur ständigen Vergrößerung der tierischen Produktion. In küsten-nahen Regionen werden diese „Billigfuttermittel" in der Tierfütterung eingesetzt und haben wegen damit verbundener Wettbewerbsvorteile zu umfangreichen Massentierhaltungen geführt.
Die preiswerten Futtermittelimporte verursachen nicht nur Druck auf den europäischen Getreidepreis, sondern heizen auch die Produktion von Milch, Fleisch und Eiern an. Vor allem die Niederländer sind auf der Basis von Importfutter sehr stark in die Veredlungsproduktion (Fleisch, Eier, Milch) eingestiegen, wobei der außereuropäische Rohstoffanteil im Mischfutter 44% beträgt. In der Bundesrepublik liegt dieser Anteil bei 35%, in Frankreich bei 25% und in Großbritannien bei 20%.
Der Druck der Amerikaner auf die EG wird unter der Last der dortigen Agrarüberschüsse immer größer. Im Interesse ihrer eigenen Landwirtschaft sollte die EG gegenüber den USA Härte zeigen und die bereits 1966 bei der sogenannten „Kennedy-Runde“ eingeräumte Zollfreiheit für Futtermittellieferungen eindämmen oder besser „wegverhandeln“. So sind beispielsweise die 1983 in die EG eingeführten Futtermitteln auf 8, 2 Millionen Hektar produziert worden, was indirekt die landwirtschaftlich genutzte Fläche der EG um 8% vergrößert — mit der Auswirkung, daß rund 15 % der tierischen Erzeugnisse aus der Verfütterung von aus Drittländern eingeführtem Futter stammt. Holland ist auf der Basis der genannten Wettbewerbsvorteile voll in die Veredlung eingestiegen und profitiert dabei von der Absicherung durch das EG-Agrarmarktordnungssystem. So lagen die gesamten öffentlichen Aufwendungen (EG und national) je landwirtschaftlichem Betrieb in Holland im Jahr 1980 bei über 37 000 DM. Für einen Betrieb in Belgien betrugen sie 28000 DM, in Großbritannien 20800 DM, in Dänemark 19 800 DM und in der Bundesrepublik 13 000 DM bei einem EG-Durchschnitt von 11 100 DM. Pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche betrugen die nationale und die EG-Stützung zusammen 1980 in den Niederlanden 2370 DM, in Belgien 1430 DM und in der Bundesrepublik 850 DM. Der EG-Durchschnitt lag bei 580 DM je Hektar. Durch die Billigfutterimporte hat die Agrarpolitik Betrieben in Küstenregionen Wettbewerbsvorteile verschafft, die diese betriebswirtschaftlich konsequent genutzt haben. Letzten Endes hat so eine Agrar-und Handelspolitik, die das Unterlaufen des EG-Außenschutzes bei einigen Futtermitteln zuläßt, die derzeitige Überproduktion bei Getreide und wichtigen Veredlungserzeugnissen wie Milch und Rindfleisch verursacht und den Schweinemarkt unter Druck gebracht. Zudem ergibt sich, daß die Betriebe in den Küstenregionen noch mit den höchsten öffentlichen Aufwendungen gestützt werden.
Solange einzelne Länder und Regionen so stark von dem jetzigen System profitieren, ist nicht zu erwarten, daß ein allgemeiner Konsens für produktionsbegrenzende Maßnahmen zustande kommt. Aus diesem Grunde ist ernsthaft zu prüfen, ob nicht jene Mitgliedstaaten, die besonders stark am Markt vorbeiproduzieren, nach dem Verursacherprinzip stärker an der Finanzierung der Marktordnungskosten beteiligt werden müssen. Bei der gegenwärtigen Finanzierung steuert die Bundesrepublik den größten Teil bei und bezahlt so in erheblichem Umfang die steigende Agrarproduktion in anderen EG-Ländem. Diese sehen angesichts des derzeit herrschenden Systems keinen Grund, marktkonform zu produzieren.
Wettbewerbsprobleme innerhalb der EG
Abbildung 3
Tabelle 3: Agraraußenhandel in Mrd. DM Quelle: Statistische Jahrbücher, verschiedene Jahrgänge.
Tabelle 3: Agraraußenhandel in Mrd. DM Quelle: Statistische Jahrbücher, verschiedene Jahrgänge.
Neben den im System der Marktordnungen liegenden Wettbewerbsunterschieden gibt es auch Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlicher Gesetze und Vorschriften im Tier-, Natur-und Umweltschutz. Beispielsweise sind die EG-Mitgliedstaaten frei in der Festsetzung von Wartezeiten nach der Verabreichung von Tierarzneimitteln. Daraus resultieren bei deren Einsatz unterschiedliche Wartezeiten vor der Schlachtung bzw. vor dem Verkauf vom Tier stammender Lebensmittel. Die damit verbundene Wettbewerbsverzerrung und die in der EG unterschiedliche Bewertung des gesundheitlichen Risikos des Verbrauchers durch mögliche Rückstände sind offensichtlich.
Ein Beispiel dafür, wie steinig und lang der Weg zu einer Harmonisierung ist, bietet die Vorgehensweise der EG-Politik beim Verbot von natürlichen und künstlichen Hormonen in der Tiermast. In der Bundesrepublik ist der Einsatz von Hormonen in der Tiermast seit Jahren verboten. In Irland, Frankreich und England können die Hormone jedoch heute noch eingesetzt werden. Nach einem mühsam zustande gekommenen EG-Beschluß ist der Hormoneinsatz in der Tiermast in Irland und Frankreich ab 1988 und in England sogar erst ab 1989 untersagt.
Solche offensichtlichen Wettbewerbsverzerrungen benachteiligen die deutschen Landwirte in zweifacher Hinsicht: Einmal dürfen sie diese Stoffe, die zu einem schnelleren Wachstum der Tiere in der Mast führen, nicht verwenden, zum anderen drücken die Produkte jener Länder, in denen diese Wachstumsförderer noch erlaubt sind, verstärkt auf den deutschen Markt und belasten die Erzeugerpreise. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Rindfleischproduktion durch ein vollständiges Verbot von Hormonen in der Tiermast EG-weit um gut 10% zurückgehen würde. Das würde die Kosten der Rindfleisch-marktordnung deutlich reduzieren und die Preise für die Landwirte spürbar verbessern. Ähnliche Wettbewerbsverzerrungen gibt es auch im Bereich der Pflanzenproduktion beim Einsatz von Pflanzenbehandlungsmitteln. Ganz wichtig für einigermaßen vergleichbare Wettbewerbsbedingungen bei der Agrarproduktion innerhalb der EG wäre die Einführung einer europäischen Währung. Durch das derzeitige komplizierte System ist der Preisspielraum aufgrund der unterschiedlichen Währungsentwicklungen in den einzelnen Ländern sehr groß und wird gezielt dazu mißbraucht, Wettbewerbsverzerrungen herbeizuführen. Beispielsweise hat sich gezeigt, daß der Abbau des positiven deutschen Währungsausgleiches — der ursprünglich zum Ausgleich der unterschiedlichen Währungsentwicklungen in den Mitgliedstaaten eingeführt wurde — den Verlust von Marktanteilen im In-und Ausland mit sich brachte. Schwachwährungsländer bekommen gegenwärtig automatisch einen größeren Spielraum für Erzeugerpreiserhöhungen mit der Folge, daß die Landwirtschaft dort einseitig begünstigt wird.
Frankreich hat vor den letzten Agrarpreisbeschlüssen gezeigt, wie man Preisanhebungen für die einheimischen Landwirte auch ohne Brüsseler Agrarbeschlüsse durchsetzen kann. Durch die von Frankreich erzwungene Änderung der Wechselkursrelationen vor dem Abschluß der Agrarpreisrunde für das Wirtschaftsjahr 1986/87 gab es wegen des neu entstandenen negativen Währungsausgleichs erneut einen erhöhten Preisanpassungsspielraum für die Schwachwährungsländer. Durch diese „Selbstbedienung“ über die Anpassung der grünen Wechselkurse war für diese Länder eine Erhöhung der Marktordnungspreise in ECU im Prinzip nicht mehr notwendig. Zusätzlich hat die EG-Kommission den Währungsausgleich für Schweinefleisch, Eier und Geflügel mehrere Monate ausgesetzt und damit den Preisanpassungsspielraum für Schwachwährungsländer nochmals erhöht.
Die Festsetzung der neuen Wechselkurse bei Dänemark und Belgien erfolgte gerade so, daß die Freimargenregelung in Verbindung mit der Anpassungsschwelle dazu mißbraucht wird, um keinen Währungsausgleich entstehen zu lassen. Damit ist eine erneute Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der deutschen Landwirtschaft geschaffen, die permanent bestehen bleibt.
Wenn diese Situation nicht schnell geändert wird, sind in den benachteiligten Ländern Ausgleichs-mechanismen auch gegen massiven Widerstand aus anderen Ländern unumgänglich. Der Druck in Richtung verstärkter Regionalisierung der europäischen Agrarpolitik ist sonst nicht mehr zu verhindern.
Entwicklung der Erzeuger-und Betriebsmittelpreise
Abbildung 4
Schaubild 1: Preisindex im Vergleich (Bundesrepublik Deutschland)
Schaubild 1: Preisindex im Vergleich (Bundesrepublik Deutschland)
Von 1980 bis 1985 ist der Index der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise lediglich um 3, 1 % gestiegen. Für Juni 1986 wird sogar ein Index von 98, 9 ausgewiesen. Das bedeutet, die Erzeugerpreise lagen im Juni 1986 im Durchschnitt um 1, 1 % unter den Preisen des Jahres 1980. Die landwirtschaftlichen Betriebsmittelpreise sind dagegen von 1980 bis 1985 um 15% gestiegen. In den letzten Monaten jedoch gingen sie zurück und liegen jetzt noch etwa 10% über dem Jahr 1980. Trotz rückläufiger Erzeugerpreise liegen die Verbraucherpreise im Juni 1986 um 10% über dem Basisjahr 1980. Da die Lebenshaltungskosten im Juni 1986 um 21 % über denen von 1980 lagen, ist daraus die inflationsdämpfende Wirkung der Nahrungsmittelpreise zu erkennen. Eine langfristige Entwicklung der Lebenshaltungskosten, der Ausgaben für Nahrungsmittel und der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise zeigt Schaubild 1.
Auf der anderen Seite wird deutlich, daß die der Landwirtschaft nachgelagerten Stufen, d. h.der Handel und die Verarbeitung, rückläufige Erzeugerpreise nicht voll dem Verbraucher zugute kommen lassen, sondern ihre Spannen ausweiten. Daß diese Entwicklung auch auf die starke Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel zurückzuführen ist, steht dabei außer Frage. Daher sollten Fusionen von Lebensmittelketten konsequent kartell-rechtlichüberprüft werden, damit sich der bereits in Teilbereichen abzeichnende Oligopolmarkt nicht zu einem Monopolmarkt entwickelt.
Die Preis-Kosten-Schere für die Landwirtschaft in der Bundesrepublik hat sich trotz sinkender Betriebsmittelpreise 1985 nicht verengt, weil die Erzeugerpreise noch stärker zurückgegangen sind. Dagegen hat sich die Situation in anderen EG-Ländern verbessert, hauptsächlich in Italien, wo die Betriebsmittelpreise stark und die Erzeugerpreise nur wenig gesunken sind. Italien konnte deshalb real eine positive Erzeugerpreisentwicklung von 3, 9 % verbuchen. Reale Verbesserungen hatten 1985 ebenfalls die Bauern in Luxemburg mit 3, 8 %, Holland mit 2, 2 %, Dänemark mit 1, 0 % und Griechenland mit 0, 7 %. Das bedeutet, daß die immer stärker auseinanderlaufende Entwicklung von Kosten und Erzeugerpreisen zumindest in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gestoppt werden konnte.
Die Gesamtentwicklung hat dazu geführt, daß 1985 mit Ausnahme von Italien und Luxemburg die Einkommenssituation der Landwirtschaft in allen anderen EG-Ländern schlechter wurde. Die stärksten Einbußen erlitten dabei die britischen und deutschen Bauern. Die reale Nettowertschöpfung aus landwirtschaftlicher Tätigkeit je Arbeitskraft ist 1985 in der Bundesrepublik gegenüber dem Vorjahr um 14% gesunken. Damit hat das Gesamteinkommen 1985 den niedrigsten Stand der letzten 15 Jahre erreicht.
Die Zukunftsperspektiven für viele Landwirte in der EG und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht gut. Wenn die EG-Agrarpolitik weiterhin handlungsunfähig bleibt, wird ein großer Teil der Betriebe in den nächsten Jahren aufgeben müssen, weil sie — aufgrund der ständig fallenden Erzeugerpreise — kein ausreichendes Einkommen erwirtschaften können und mehr oder weniger ihr Eigenkapital verbrauchen.
Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft
Abbildung 5
Schaubild 2: Einkommen landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetriebe und gewerblicher Vergleichslohn Quelle; DBV nach Agrarbericht 1986
Schaubild 2: Einkommen landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetriebe und gewerblicher Vergleichslohn Quelle; DBV nach Agrarbericht 1986
Vergleicht man die Entwicklung der landwirtschaftlichen Einkommen seit 1968/69 und des gewerblichen Vergleichslohns in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Schaubild 2), so wird eine wachsende Disparität offensichtlich. Im Durchschnitt der Wirtschaftsjahre 1983/84 und 1984/85 hatten die Vollerwerbsbetriebe ein Gesamteinkommen von 31 300 DM je Familie. Das Gesamteinkommen der Zuerwerbsbetriebe (Haupteinkommen aus Landwirtschaft, Teileinkommen aus anderen Bereichen) lag im Durchschnitt der beiden Wirtschaftsjahre bei 35 100 DM und das der Nebenerwerbsbetriebe (Teileinkommen aus Landwirtschaft, Haupteinkommen aus anderen Bereichen) bei 36 200 DM. Daraus ist zu ersehen, daß die Nebenerwerbsbetriebe das höchste Gesamteinkommen je Familie aufweisen. Allerdings kommt in diesen Betrieben über 90 % (!) des Gesamteinkommens aus dem außerlandwirtschaftlichen Erwerbseinkommen. Unter den ungünstigen und sich zur Zeit laufend verschlechternden Ertrags-Aufwands-Verhältnissen wird der Anteil des landwirtschaftlichen Einkommens weiter abnehmen. 293 000 oder 40 % aller Betriebe ab einem Hektar gehören zur Gruppe der Nebenerwerbsbetriebe. Aufgrund des außerlandwirtschaftlichen Haupt-erwerbs kann bei diesen in der Regel ein ausreichendes Einkommen erzielt werden. Problematisch bei diesen Betrieben sind jedoch die doppelten Sozialversicherungsbeiträge für den landwirtschaftlichen und außerlandwirtschaftlichen Bereich. Von den nunmehr von der Bundesregierung beschlossenen Beitragsentlastungsmaßnahmen profitieren sie in der Regel nicht, weil ihre außer-landwirtschaftlichen Einkommen zu hoch sind. Die 73 000 (10%) . Zuerwerbsbetriebe haben in den Wirtschaftsjahren 1983/84 und 1984/85 im Durchschnitt ein außerbetriebliches Erwerbseinkommen von 16 400 DM und einen Gewinn aus der Landwirtschaft von 17 860 DM aufzuweisen. Das niedrigste Einkommen haben die 356 000 Vollerwerbsbetriebe. In den Wirtschaftsjahren 1983/84 und 1984/85 konnten nur 53 bzw. 56% der Vollerwerbsbetriebe eine positive Eigenkapitalbildung aufweisen. Nur 35, 6 bzw. 37, 8 % der Vollerwerbsbetriebe erreichten eine Eigenkapital-bildung von 300 DM je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche und mehr. Knapp die Hälfte aller Vollerwerbsbetriebe hat in den letzten Wirtschaftsjahren Eigenkapitalverluste hinnehmen müssen und lebt somit von der Substanz. Ungefähr ein Viertel der Vollerwerbsbetriebe ist in der Ertragskraft bereits so geschwächt, daß sie selbst in günstigen Jahren keinen Anschluß an die allgemeine Einkommensentwicklung finden können. All jene, deren Konzept zur Lösung der Agrarmarktprobleme in der wohlklingenden Forderung nach „mehr Markt“ liegt, müssen sich folgender Konsequenzen bewußt sein: Mehr Markt kann zur Zeit nur gleichgesetzt werden mit Preissenkungen. Das bedeutet, daß die knapp 50% der Vollerwerbsbetriebe, die Eigenkapitalverluste aufweisen, kaum eine Chance haben, im Vollerwerb bestehen zu bleiben. Um nicht auf lange Sicht ihre Substanz und ihr Eigentum aufzubrauchen, müssen diese Betriebe im außerlandwirtschaftlichen Bereich ein zusätzliches Einkommen anstreben, wobei es zur Zeit für viele Betriebsinhaber äußerst schwierig ist, einen Arbeitsplatz oder eine Betätigung zu finden, ganz zu schweigen davon, wie diese zusätzliche Arbeit arbeitswirtschaftlich überhaupt verkraftet werden kann. Etwa weitere 20% der Vollerwerbsbetriebe, die zwar noch eine positive Eigenkapitalbildung haben, werden durch weitere Preissenkungen Eigen-kapitalverluste hinnehmen müssen und damit auch zur Aufnahme einer zusätzlichen Tätigkeit gezwungen sein.
Im Prinzip ist jedem Landwirt klar, daß für die Einkommenssicherung in seinem Betrieb nicht nur die Produktionsausweitung, sondern auch die weitere Kostensenkung Bedeutung hat. Besonders auf dem Gebiet der überbetrieblichen Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitserledigung gibt es noch Rationalisierungsreserven. Es reicht künftig nicht aus, Rationalisierung nur als Substitution von Arbeit durch Kapital zu betreiben. Daher ist verstärkt die Rentabilität des Kapitaleinsatzes zu prüfen. Eine sinnvolle überbetriebliche Zusammenarbeit, beispielsweise in Maschinenringen, läßt unrentable einzelbetriebliche Investitionen vermeiden und die Produktionsfaktoren im Betrieb effizienter nutzen.
Durch die überbetriebliche Arbeitserledigung in der Landwirtschaft werden nicht nur einzelbetriebliche Einkommensreserven mobilisiert, mit diesen innersektoralen Dienstleistungen wird auch die Nettowertschöpfung der Landwirtschaft in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verbessert.
Ergänzung des landwirtschaftlichen Einkommens
Aus der Sicht der Landwirtschaft ist es zur Absicherung der Existenz mittlerer und kleinerer Betriebe zunehmend notwendig, das landwirtschaftliche Einkommen zu ergänzen. Da der klassische Zu-und Nebenerwerb durch eine Teilzeit-oder Vollzeitarbeit in gewerblichen Betrieben bei der aktuellen Arbeitsmarktlage schwierig ist, kommt verstärkt in die Diskussion, daß sich Landwirte in selbständiger Verantwortung durch Dienstleistungen, die sie für die verschiedensten Einrichtungen übernehmen, zusätzliches Einkommen schaffen sollten. Möglichkeiten sind beispielsweise denkbar
— im Bereich der Kommunen, — im Bereich des Natur-und Landschaftsschutzes und im Bereich des Fremdenverkehrs. —t Dies sollte auf der Grundlage von Verträgen erfolgen, um die notwendige Absicherung zu haben, vor allem dann, wenn mit dem Auftrag Investitionen in Spezialtechnik verbunden sind.
Alle diese Aktivitäten gehen nach den derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen, beispielsweise im Gewerbe-, Steuer-, Versicherungs-und Baurecht, über die rein landwirtschaftliche Tätigkeit hinaus. Dies führt dazu, daß viele Landwirte davor zurückschrecken, solche Dienstleistungen zu übernehmen, oder aber Schwierigkeiten entstehen, wenn sie dazu bereit sind, weil ihre damit verbundenen finanziellen und verwaltungsmäßigen Belastungen im Vergleich zu den tatsächlichen Einkommensmöglichkeiten zu hoch sind.
Wenn dieser Sektor als Zuerwerb für die Landwirtschaft erschlossen werden soll, ist es erforderlich, die gegenwärtig im Wege stehenden Vorschriften zu überdenken und flexiblere Lösungen anzustreben. In öffentlichen Diskussionen wird immer wieder betont, daß durch eine privatwirtschaftliche Abwicklung dieser Arbeiten Kosten für die Nutzer eingespart werden können. Auch aus dieser Sicht ist es ernsthafter Überlegungen wert, vernünftige Voraussetzungen für eine privatwirtschaftliche Lösung zu schaffen. Dabei können landwirtschaftliche Betriebe mit freien Arbeitskapazitäten und geeigneter Technik (Zuerwerbsbetriebe) zuverlässige und kostengünstige Vertragspartner sein.
Bedeutung der Land-und Agrarwirtschaft in einer modernen Industriegesellschaft
Die Land-und Forstwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland hat heute noch einen Anteil an der Bruttowertschöpfung von ungefähr 2 %. 1960 betrug dieser Anteil noch um 6 %. Der Anteil der Wertschöpfung der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen liegt in der EG bei 3, 6 %, in der Bundesrepublik bei 1, 8 %, im Vereinigten Königreich bei 2, 1 %, in Frankreich bei 4 %, in den Niederlanden bei 4, 4 %, in Italien bei 6, 4%, in Irland bei 10, 7% und in Griechenland bei 16, 5 %.
Wird die volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung der Landwirtschaft nur am Bruttosozialprodukt gemessen, so wäre sie in der Bundesrepublik gering. Man würde der Landwirtschaft bei dieser Betrachtungsweise indessen nicht gerecht. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttosozialprodukt in ländlichen Regionen macht häufig 8 bis 10 % und mehr aus. Damit ist die Landwirtschaft gerade im ländlichen Raum ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, von dem viele Arbeitsplätze in Gewerbe, Handel und Handwerk abhängen. Allein für Betriebsgebäude werden jährlich von der Landwirtschaft knapp 2 Mrd. DM investiert. Die Bruttoanlageinvestitionen der deutschen Landwirtschaft betrugen im Wirtschaftsjahr 1984/85 knapp 9 Mrd. DM und sind damit aufgrund der aktuellen kritischen Gewinnsituation gegenüber den vorangegangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Die gesamten Betriebsmittel und Investitionsgüter, die die deutsche Landwirtschaft zukauft, machen jährlich über 33 Mrd. DM aus.
Wenn sich die Einkommenssituation der Landwirtschaft in absehbarer Zeit nicht verbessert und durch finanzielle Anreize auch noch freiwillige Betriebsstillegungen gefördert werden, wird dies folgenschwere Auswirkungen für den gesamten ländlichen Raum durch Vernichtung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft, in der Agrar-und Ernährungswirtschaft, dem Handwerk sowie im Gewerbe-und Dienstleistungssektor haben. Es wird zu verstärkter Abwanderung in die Ballungsgebiete kommen, mit sehr negativen Auswirkungen auf die gesamte Infrastruktur.
In der agrarpolitischen Diskussion wird in letzter Zeit verstärkt betont, daß den Landwirten auch die Wohlfahrtsleistungen, die sie für die Gesellschaft erbringen, wie etwa Landschaftspflege, Naturschutz und Umweltschutz, vergütet werden müssen. Diese Zusammenhänge zeigen, daß der Stellenwert der Landwirtschaft nicht nur am Beitrag zum Bruttosozialprodukt gemessen werden kann. Wenn die seit Jahrhunderten von bäuerlichen Betrieben geprägte Kulturlandschaft erhalten werden soll, muß eine Agrarpolitik betrieben werden, die dem immer schneller werdenden Trend zu Großbetrieben und Agrarfabriken EG-weit Einhalt gebietet.
Eine Landschaft, in der nur noch wenige Großbetriebe das Bild bestimmen, erleidet nicht mehr korrigierbaren Schaden mit negativen Folgen für Umwelt und Natur. Deshalb muß es Hauptaufgabe der Agrarpolitik sein, die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten. Dem läuft jedoch die derzeitige Entwicklung entgegen.
Lösungsansätze für eine sachgerechte Agrarpolitik
Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten, Agrarpolitik zu betreiben: einerseits den marktwirtschaftlichen Weg zu gehen, andererseits Rahmenbedingungen für eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft zu setzen.
Der von der EG-Kommission (vgl. Grünbuch) und einigen Wissenschaftlern vorgeschlagene Weg zur Überwindung der gegenwärtigen Agrarkrise, über Preissenkungen und/oder Abgabenerhöhungen die Märkte in ein Gleichgewicht zu bringen, ist die marktwirtschaftliche Lösung. Angesichts der beschriebenen Ausgangssituation für die deutsche Landwirtschaft wird bei dieser Lösung allenfalls dem Teil der Vollerwerbsbetriebe mit der höchsten Eigenkapitalbildung Chancen für eine dauerhafte Existenz eingeräumt. Auch deren Einkommen wird dabei weiter unzureichend sein, weil sich der Druck auf die Erzeugerpreise ständig verstärkt. Diese Betriebe kommen darüber hinaus nicht in den Genuß von staatlichen Zuschüssen im Sozialbereich, wenn die gegenwärtigen Bedingungen bestehen bleiben.
Für die Zuerwerbsbetriebe bedeutet die marktwirtschaftliche Lösung, daß ihr landwirtschaftliches Einkommen weiter stark geschmälert wird und aufgrund des schlechter werdenden Ertrags-Aufwands-Verhältnisses Investitionen im landwirtschaftlichen Bereich kaum mehr möglich sind. Um ihr Gesamteinkommen auf gegenwärtigem Niveau zu halten, müssen die Zuerwerbsbetriebe alles versuchen, ihr außerlandwirtschaftliches Einkommen zu verbessern, d. h. sich zu Nebenerwerbsbetrieben entwickeln.
Die Nebenerwerbslandwirtschaft wird bei der marktwirtschaftlichen Lösung zur Hobby-Landwirtschaft degradiert, weil der Einkommens-beitrag aus der Landwirtschaft immer kleiner oder sogar kein Einkommen aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit mehr erreicht wird. Für die meisten Nebenerwerbslandwirte wird deshalb aus betriebswirtschaftlicher Sicht wenig dafür sprechen, den Betrieb weiterzuführen. Das bedeutet, daß insbesondere im Generationswechsel viele Nebenerwerbsbetriebe aufgegeben werden.
Die marktwirtschaftliche Lösung wird dazu führen, daß von den 346 000 Vollerwerbsbetrieben höchstens noch etwa 90000 bestehen bleiben werden. Den anderen bleibt nicht selten aufgrund mangelnder außerlandwirtschaftlicher Erwerbs-B möglichkeiten nichts anderes übrig, als ihr Vermögen langsam aufzubrauchen.
Es ist eine Illusion zu glauben, daß der Staat bereit ist, die aus den Preissenkungen folgenden Einkommensverluste durch direkte Ausgleichszahlungen zu kompensieren. Die in der letzten Zeit von der Bundesregierung bereitgestellten zusätzlichen Mittel für die Landwirtschaft konnten für die meisten Betriebe nicht die durch die Preissenkungen erlittenen Einkommensverluste ausgleichen. So hat beispielsweise ein Betrieb mit 15 Hektar landwirtschaftlicher Fläche und zehn Kühen in den letzten Jahren durch Preisrückgang an wichtigen Märkten einen jährlichen Einkommensausfall von etwa 6000 DM zu verzeichnen. Aus dem Programm zur Kostenentlastung im Sozialbereich erhält er jährlich maximal 2 900 DM. Selbst bei der Annahme, daß der Betrieb in einem der ausgewiesenen benachteiligten Gebiete liegt und Anspruch auf sogenannte „Ausgleichszulagen“ hat, ist der Einkommensausfall nicht auszugleichen.
Demgegenüber wirkt der Vorschlag der baden-württembergischen Landesregierung, die Preis-stützung auf dem EG-Binnenmarkt abzubauen und die so freiwerdenden Mittel für direkte Ausgleichszahlungen an die Landwirte einzusetzen, auf den ersten Blick bestechend. Denn bei etwa 47 Mrd. DM könnten beträchtliche Beträge — je Hektar etwa 450 DM — direkt an die Landwirtschaft bezahlt werden. Jedoch werden die Agrarpreise bei einem Wegfall der Preisstützung im Rahmen der EG-Marktordnungen mindestens kurzfristig noch weiter sinken. Damit verbundene Einkommenseinbußen der Landwirte übersteigen schnell die Mittel aus eingesparten Marktordnungskosten für direkte Ausgleichszahlungen. Daher ist zu befürchten, daß zunächst zusätzliche Mittel erforderlich sind, um die Einkommenseinbußen voll auszugleichen.
Da die Überschüsse von heute auf morgen nicht abzubauen sind und nach den bisherigen Ergebnissen bei Verhandlungen auch nicht sicher ist, ob an der EG-Grenze wirksame Außenschutzmaßnahmen, vor allem gegen Futtermittelimporte, durchgesetzt werden können, ist offen, ob und wann Erzeugerpreiserhöhungen an den Märkten möglich sind. Die Gefahr ist groß, daß die europäischen Agrarpreise auf das Weltmarktpreisniveau absinken, das von den großen Agrarexportländern gesteuert wird und mit Marktwirtschaft nichts zu tun hat. Mit einer Agrarpolitik des Preisdrucks kann der bäuerlichen Landwirtschaft trotz direkter Ausgleichszahlungen mit hohem Mittelaufwand keine tragfähige Perspektive gegeben werden.
Da der Staat kaum bereit ist, den Mitteleinsatz für die Landwirtschaft zu steigern, muß alles versucht werden, durch marktentlastende Maßnahmen zu einer kostenorientierten Preisentwicklung an den Agrarmärkten zu kommen. Nur wenn dies erreicht wird und ergänzend dazu direkte Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete beibehalten werden, wird der Strukturwandel in vernünftigen Bahnen ablaufen.
Eine rein marktwirtschaftliche Lösung führt zwangsläufig zu einer Großbetriebsstruktur wie in den USA, ohne daß die verbleibenden Großbetriebe und Agrarfabriken angemessene Gewinne erwirtschaften können. Dies bestätigt die derzeitige Agrarkrise in den USA. Die Auswirkungen eines solchen Strukturwandels und die Folgen hinsichtlich infrastruktureller, gesellschafts-, wirtschafts-und umweltpolitischer Probleme sind gravierend. Mit Sicherheit wird dabei die aktive Landbewirtschaftung in benachteiligten Regionen ganz verschwinden und sich dabei die Kulturlandschaft total verändern. Negative Auswirkungen in diesen Regionen bis hin zur mangelnden Ernährungsvorsorge für Krisenzeiten sind zu befürchten. Will man die Konsequenzen einer marktwirtschaftlichen Lösung vermeiden und eine Agrarpolitik mit Perspektiven für bäuerliche Betriebe betreiben, müssen neue Wege beschritten werden.
Agrarpolitische Rahmenbedingungen für eine bäuerliche Landwirtschaft
Die Bundesregierung stellt im Agrarbericht 1986 das Ziel der Agrar-und Ernährungspolitik wie folgt heraus: „Im Mittelpunkt der Agrarpolitik steht die Sicherung einer möglichst großen Zahl leistungsfähiger bäuerlicher Familienbetriebe, die neben der Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft mit Agrargütern eine Reihe weiterer Leistungen erbringen, die überwiegend immaterieller Natur sind, wie zum Beispiel Erhaltung und Pflege der Kulturlandschaft.“
Wenn dies wirklich das Ziel ist, dann müssen agrarpolitische Rahmenbedingungen für eine bäuerliche Landwirtschaft geschaffen werden. Dabei ist vor allem zu definieren, welche Betriebe als leistungsfähige bäuerliche Familienbetriebe gelten und deshalb erhaltenswert sind.
Die Existenz einer bäuerlichen Landwirtschaft ist nur zu garantieren, wenn durch agrarpolitische Maßnahmen erreicht werden kann, daß die Erzeugerpreise der Kostensteigerung folgen. Daß man die Einkommen wie bisher weitgehend über Produktivitätssteigerungen und Strukturwandel abzusichern versucht, ist mit den Interessen und der Fortexistenz einer bäuerlichen Landwirtschaft nicht vereinbar.
Erzeugerpreissteigerungen sind nur möglich, wenn das Angebot durch wirksame marktentlastende Maßnahmen begrenzt wird. Die dadurch mögliche Preisentwicklung kommt einer bäuerlich strukturierten Landwirtschaft aber nur dann zugute, wenn gleichzeitig extreme Konzentrationstendenzen zu Agrarfabriken verhindert werden. Wirksam kann dies nur über eine entsprechende Strukturpolitik erreicht werden.
Eine Agrarpolitik für die bäuerliche Landwirtschaft muß daher Rahmenbedingungen für die gewünschten Strukturen setzen und Maßnahmen ergreifen, welche die Agrarmärkte in ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bringen. Rahmenbedingungen zur Sicherung bäuerlicher Strukturen sind die Einführung von Bestands-obergrenzen in der Tierhaltung, die Verhinderung einer einseitigen Flächenkonzentration und der Abbau von Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EG.
Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung Die Konzentration in der Tierhaltung geht auch in der Bundesrepublik weiter. Beispielsweise lag der Anteil der Schweine in Beständen von über 1 000 Tieren 1979 bei 3%, heute beträgt er bereits 6%. 1977 wurden 53% der Masthühner in Beständen mit über 50000 Tieren gehalten, heute sind es knapp 70%. In anderen EG-Ländern, wie beispielsweise in den Niederlanden, ist die Konzentration noch viel weiter fortgeschritten.
Um weitere Auswüchse zu verhindern, ist eine europaweite Einführung von Bestandsobergrenzen in der Tierproduktion dringend notwendig. Dies ist dadurch zu erreichen, daß ab einem bestimmten Tierbestand keine Baugenehmigung für Vergrößerungen oder Neubauten erteilt wird. Dabei ist sekundär, ob beispielsweise eine absolute Bestandsobergrenze bei 1 000 oder 1 200 oder gar 1 500 Mastschweineplätzen festgelegt wird; wichtig ist, daß überhaupt solche Obergrenzen eingeführt werden.
Die gegenwärtige Tendenz in der Politik geht dahin, die Viehhaltung mehr an die Flächen zu binden. Baugenehmigungen, beispielsweise für Schweineställe, werden nur dann erteilt, wenn ausreichend Fläche nachgewiesen wird, um den anfallenden organischen Dünger zu verwerten.
Durch immissionsschutzrechtliche und steuerliche Bestimmungen ist die Flächenbindung der Viehhaltung in den letzten Jahren verschärft worden, was zu steigenden Pachtpreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen geführt hat.
Diese Erfahrungen zeigen, daß durch eine verschärfte Flächenbindung Tierbestände nicht abgebaut werden, sondern in erster Linie den bäuerlichen Betrieben Einkommen entzogen wird. Für die bäuerliche Landwirtschaft ist deshalb die Einführung von absoluten Obergrenzen von entscheidender Bedeutung. Selbstverständlich müssen diese Obergrenzen den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen angepaßt sein. Bestandsobergrenzen sind grundsätzlich EG-weit einzuführen. Falls dies kurzfristig nicht möglich ist, erscheint ein nationaler Alleingang erwägenswert. Die deutsche Landwirtschaft hat daraus keine Wettbewerbsnachteile zu befürchten, weil Obergrenzen so gesetzt werden müssen, daß Kostendegressionseffekte ausgeschöpft werden können und damit eine rationelle Produktion möglich ist.
Flächenkonzentration in der Pflanzenproduktion verhindern Die gesetzlichen Instrumente zur Verhinderung einer einseitigen Flächenkonzentration sind in der Bundesrepublik im Prinzip vorhanden. § 9 des Grundstückverkehrsgesetzes sagt aus, daß die Genehmigung von Grunderwerb versagt werden kann, wenn die Veräußerung eine „ungesunde Verteilung des Grund und Bodens“ bedeutet. Nach § 4 des Landpachtverkehrsgesetzes kann die zuständige Behörde einen anzuzeigenden Land-pachtvertrag beanstanden, wenn diese Verpachtung eine ungesunde Anhäufung von land-und forstwirtschaftlichen Nutzflächen bedeutet. Die Ausgestaltung des unbestimmten Rechtsbegriffes der „ungesunden Verteilung des Grund und Bodens“ wird jedoch den Gerichten überlassen. Der Bundesgerichtshof sieht nach bisheriger Praxis nur einen Beanstandungsgrund nach dem Grundstückverkehrsgesetz, wenn beispielsweise ein Nebenerwerbslandwirt oder Nichtlandwirt in Konkurrenz zum Haupterwerbslandwirt tritt. Haupterwerbslandwirte können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unbegrenzt zukaufen.
Die Politik ist deshalb gefordert, klar zu sagen, wann nach ihren Zielvorstellungen eine ungesunde Landverteilung beginnt und damit beanstandet werden muß. Dies kann durchaus, wie nach dem neuen Landpachtverkehrsgesetz möglich, regional differenziert festgelegt werden.
Abbau von Wettbewerbsverzerrungen Ein Abbau der bereits aufgeführten Wettbewerbs-verzerrungen bringt automatisch Vorteile für bäuerliche Betriebe in der gesamten EG. Es ist deshalb vordringlich, WettbewerbsVerzerrungen aufgrund unterschiedlicher Gesetze und Vorschriften im Tier-, Natur-und Umweltschutzbe-B reich sowie durch die unterschiedlichen Währungsentwicklungen möglichst schnell zu beseitigen. Dabei müssen die Entscheidungen so getroffen werden, daß nicht weiter der kleinste gemeinsame Nenner in Europa Grundlage einer Harmonisierung wird. Mit vernünftigen Vorschriften, beispielsweise im Tier-, Natur-und Umweltschutz, ist durchaus auch eine Entlastung an den Märkten verbunden.
Maßnahmen für einen Marktausgleich Ein Marktausgleich kann nur durch ein Bündel von Maßnahmen zur Absatzerweiterung und Produktionsreduzierung erreicht werden. Denkbare Maßnahmen zur Absatzerweiterung sind:
1. Ein wirksamer Außenschutz bei allen Agrarprodukten, insbesondere bei Importen von Getreideersatzstoffen (Substituten), ist unumgänglich. Gelingt dies nicht, sind alle Bemühungen zur Schaffung von intakten EG-Binnenmärkten zum Scheitern verurteilt. Dies gilt grundsätzlich für alle Industriestaaten, die eine eigene leistungsfähige Land-und Agrarwirtschaft erhalten wollen. 2. Ein tierartgerechter Mindestanteil von europäischem Getreide in Mischfuttermitteln ist im Hinblick auf die Situation bei Getreide vorzuschreiben. Damit kann der Absatz von Getreide wesentlich gesteigert werden.
3. Eine Ausweitung des Anbaus von Öl-und Eiweißpflanzen ist marktpolitisch sinnvoll, weil Europa bei diesen Produkten eine niedrige Eigenversorgung hat. Bei einer wirksamen und kontinuierlichen Förderung dieser Produkte sind Entlastungen am Getreidemarkt durch Flächenumwidmungen möglich.
4. Eine verstärkte Verwendung von pflanzlichen Rohstoffen für die Industrie-und Energieproduktion ist durch entsprechende politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere für Stärke und Zucker als Grundstoffe für die chemische Industrie und gegebenenfalls zur Produktion von Bioäthanol für die Beimischung in Kraftstoffen sowie für Faser-pflanzen zur Herstellung von Stoffen aller Art. Im Hinblick auf die Ansprüche künftiger Generationen, auf die Endlichkeit der Vorräte fossiler Rohstoffe und die positiven Wirkungen auf die Umwelt sollten umgehend politische Beschlüsse zum verbindlichen Einsatz dieser Rohstoffe erfolgen. Nach den nun offenbar gewordenen Risiken der Kernenergie sollte das Potential pflanzlicher Rohstoffe ernsthaft in zukunftsorientierte Energiebilanzen aufgenommen werden.
5. Eine Sicherung des „Reinheitsgebotes“ der Nahrungsmittel steht im Interesse von Landwirten und Verbrauchern. Die Unsicherheit darüber, daß künftig bei Milchprodukten und Fleischwaren möglicherweise sogenannte „Imitationsprodukte“ aus pflanzlichen Rohstoffen zugelassen sind, darf unter keinen Umständen anhalten. Neben negativen Auswirkungen auf die Agrarmärkte hat dies auch Konsequenzen hinsichtlich der wachsenden Qualitätsanforderungen der Verbraucher.
Denkbare Maßnahmen zur Produktionsreduzierung sind: 1. Ein EG-weites Verbot von Wachstumsförderern (Hormonen) in der tierischen Erzeugung muß kurzfristig wirksam werden. Für Fleisch und Fleischwaren aus Ländern, die sich nicht daran halten, sind Importsperren zu verhängen.
2. Von der Bundesregierung wurde das „Soziale Marktentlastungsprogramm“ (SMP) entwickelt. Damit sollen unter den bekannten Bedingungen ganze Betriebe aus der Produktion „herausgekauft“ bzw. Produktionskapazitäten stillgelegt werden, um so die Märkte zu entlasten. Dies kann dazu führen, daß hauptsächlich Betriebe aus ertragsschwachen Gebieten ihre Produktion äufgeben. Gerade in diesen Regionen werden Ausgleichszulagen bezahlt, um eine flächendeckende Landwirtschaft zu erhalten. Das politische Ziel einer flächendeckenden Landwirtschaft wird damit auf dem Altar einer scheinbaren Marktentlastung geopfert.
Hinzu kommt, daß eine theoretisch errechenbare Marktentlastung nach spätestens zwei Jahren durch den biologisch-technischen Fortschritt wieder eingeholt ist und so die Märkte weiter unter Druck bleiben. Die negativen Wirkungen auf die Strukturentwicklung sind nicht zu unterschätzen. Aufstockungsbedürftige Betriebe werden vor allem in kleinstrukturierten Gebieten Schwierigkeiten haben, Flächen zu pachten. Auch in landwirtschaftlich guten Regionen ist zu befürchten, daß die Pachtpreise ansteigen, da die Pächter mit dem Angebot des Staates konkurrieren müssen. Eine Flächenstillegung in Form von Rotationsoder Grünbrache ist dagegen ernsthaft zu prüfen. Dabei wäre jedes Jahr ein Teil der Fläche im Rahmen der Fruchtfolge brachzulegen. Für die Brach-flächen sind Entschädigungen zu zahlen. Dies ist durchaus vertretbar, weil dadurch Marktordnungskosten eingespart werden können. Aber auch mit der Grünbrache sind Probleme verbunden: Die Höhe der Entschädigung ist zu differenzieren, weil Beträge, die in einzelnen Regionen ausreichen, in anderen unzureichend sind. Gestaffelte Entschädigungen nach unterschiedlichen Deckungsbeiträgen sind nicht einfach zu handhaben und auch nicht einfach zu kontrollieren. Wenn die Grünbrache zu einer Marktentlastung führen soll, ist sie obligatorisch in allen Betrieben durchzuführen. Freiwilligkeit führt wahrschein39 lieh dazu, daß vorwiegend in ertragsschwachen Regionen Grünbrache praktiziert wird. Es ist außerdem davon auszugehen, daß die in der Nutzung verbleibenden Flächen mit höchster Intensität bewirtschaftet werden und so für eine wirksame Marktentlastung überproportional viel Fläche aus der Produktion genommen werden muß. 3. Die dringend notwendige Marktentlastung wäre auch über eine richtig konzipierte, EG-weite Beschränkung der Intensität der pflanzlichen Erzeugung denkbar. Dafür sind Rahmenbedingungen notwendig, die es dem Landwirt ermöglichen, ein angemessenes Einkommen auf einer niedrigen Intensitätsstufe und damit bei niedrigeren Erträgen je Hektar zu erreichen.
Möglichkeiten zur Beschränkung der Intensität sind beispielsweise: Verbot bestimmter Betriebsmittel, Beschränkung des Einsatzes ertragssteigernder Betriebsmittel wie Stickstoff. Sinnvoll wäre eine Kombination des Verbots von Wachstumsreglern und die Begrenzung des Stickstoffeinsatzes bei einer abgabenfreien Grundmenge je Hektar unter Anrechnung des Stickstoffs aus der betriebseigenen Tierhaltung. Entstehende Einkommensausfälle müssen über höhere Preise und/oder Ausgleichszahlungen kompensiert werden.
Das Verbot bestimmter Betriebsmittel und/oder die Beschränkung des Einsatzes ertragssteigernder Betriebsmittel sind Eingriffe in die freie Entwicklung des technischen Fortschritts. Der technische Fortschritt wird aber lediglich zur Herstellung eines Marktgleichgewichtes und der Erhaltung einer bäuerlichen Agrarstruktur korrigiert und keineswegs außer Kraft gesetzt. Mit einer solchen Maßnahme setzt die Agrarpolitik wettbewerbsneutrale Orientierungspunkte. Die damit verbundenen Möglichkeiten'kann jeder einzelne Landwirt nach seinen Vorstellungen wie bisher nutzen. Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit wird dabei weit weniger eingeschränkt als beispielsweise über Quoten oder Garantiemengen. Durch eine optimale Faktorkombination im Rahmen solcher Vorgaben lassen sich unternehmerische Leistungen in wirtschaftliche Erfolge umsetzen und auch die vom Markt gewünschten Qualitäten erzielen.
Ist ein Umdenken im Gange?
In den jüngsten sozio-ökonomischen Vorschlägen der EG-Kommission findet man ungewohnte und neue Überlegungen. Maßnahmen zur Marktentlastung und Strukturentwicklung stehen dabei im Mittelpunkt. So wird eine Vorruhestandsregelung vorgeschlagen mit folgenden Varianten:
— eine dem deutschen Sozialen Marktentlastungsprogramm ähnliche Regelung;
— eine der früheren deutschen Landabgaberente ähnliche Maßnahme, also eine mit finanziellen Anreizen ausgestattete vorzeitige Hofübergabe an Verwandte ersten Grades, ohne die Bedingung einer Flächenstillegung und Produktionsaufgabe.
Ganz neu ist der Vorschlag einer Extensivierungsprämie für Junglandwirte, die ihre Erzeugung dem Marktbedarf anpassen oder weniger intensiv wirtschaften, beispielsweise durch Grünbrache und Verzicht auf Höchsterträge und -leistungen. Aus diesem Bündel von Vorschlägen für eine bäuerliche Agrarstruktur und zur Herstellung eines Gleichgewichts an den Agrarmärkten gilt es, eine neue Agrarpolitik zu formulieren, die nachhaltige Perspektiven für eine bäuerliche Landwirtschaft und eine darauf aufbauende Agrarwirtschaft gibt.
Langfristige Existenzsicherung in benachteiligten Gebieten Da die Agrarpolitiker bisher wenig Willen zeigen, kurzfristig durch eine konsequente Veränderung der Rahmenbedingungen einen Marktausgleich zu ermöglichen, muß noch für einige Zeit davon ausgegangen werden, daß die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise unter Druck bleiben. Jedoch ist eine grundsätzliche Einsicht, daß nur eine zukunftsträchtige und aufeinander abgestimmte Agrar-und Umweltpolitik eine flächendeckende Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft zuläßt, festzustellen. Am gemeinsamen Willen, schnell zu handeln, fehlt es bei den verantwortlichen Politikern aber noch.
Bis zu einer konsequenten Veränderung der Rahmenbedingungen sind an die bewirtschaftete Fläche gebundene und angemessene Direktzahlungen, mit denen die Wohlfahrtsleistungen der bäuerlichen Landwirtschaft honoriert werden, durchaus sinnvoll. Diese Gelder sind jedoch kein Ersatz für eine neue Agrarpolitik, sondern nur eine Hilfe für die Überwindung der gegenwärtigen Einkommensprobleme. So ist es möglich, die Funktionsfähigkeit der ländlichen Räume zu erhalten, ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern und die Existenz bäuerlicher Betriebe zu stabilisieren.
In strukturschwachen und von der Natur benachteiligten Regionen sind grundsätzlich Ausgleichszahlungen zu leisten. Diese müssen die Nachteile des Standortes genauso kompensieren wie die Leistung der Landwirte für die Allgemeinheit im Bereich der Erhaltung von Natur und Landschaft honorieren. Die 1986 erfolgte Ausweitung der benachteiligten Gebiete und Fortschreibung der Beträge ist ein erster Schritt.
Betrieben, deren Anbau-und Ertragsmöglichkeiten durch besondere Auflagen, beispielsweise in Wasserschutz-und Naturschutzgebieten, eingeschränkt werden, muß für die damit verbundenen Ertragsausfälle eine volle Entschädigung gezahlt werden. Hier ist einiges in Bewegung gekommen. Vor allem das Land Baden-Württemberg hat konkrete Pläne, nach denen schon ab 1987 Entschädigungen für Auflagen in Wasserschutzgebieten gezahlt werden sollen. Wenn auch in diesen Plänen noch Unstimmigkeiten enthalten sind, wird doch der (auch im Wasserhaushaltsgesetz verankerte) Grundsatz anerkannt, daß für Nutzungsbeschränkungen Entschädigungen gezahlt werden müssen. Eine differenzierte Agrarsozialpolitik und eine Steuerpolitik für die bäuerlichen Betriebe müssen die neue Agrarpolitik in sinnvoller Weise abrunden.
Schlußbemerkungen
In modernen Industrie-und Dienstleistungsgesellschaften ist Land-und Agrarwirtschaft mehr als nur Nahrungsmittelproduktion. Die bäuerliche Landwirtschaft ist in der Lage, die gestellten Aufgaben — Produktion von qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln bzw.deren Rohstoffe, Erhaltung und Pflege von Natur und Umwelt, Produktion jährlich nachwachsender pflanzlicher Rohstoffe für die industrielle Verarbeitung und Stabilisierung der Infrastruktur ländlicher Räume — zu erfüllen. Die zur Diskussion gestellten Lösungsansätze sollten zu einer neuen Agrarpolitik zusammengefügt werden, die tragfähige Perspektiven für die Landwirtschaft eröffnet.
Dabei ist eine Agrarpolitik anzustreben, die den Rahmen absteckt, innerhalb dessen nur wenige zielgerichtete Eingriffe in die einzelnen Betriebe und in den Markt vorgenommen werden. Eine rein marktwirtschaftlich orientierte Lösung ist, wenn das Ziel einer bäuerlichen Agrarstruktur verfolgt wird, nicht möglich. Die Agrarpolitik muß aber einen breiten markt-und betriebswirtschaftlichen Spielraum lassen, innerhalb dessen sich landwirtschaftliche Betriebe entwickeln können und sich eine unternehmerische Leistung auszahlt. Der Strukturwandel ginge dabei organisch und sozial abgefedert weiter, eine Entwicklung zu Agrarfabriken und Großbewirtschaftern würde so verhindert.
Wird indessen die bisherige Agrarpolitik fortgesetzt, dann wird eine bäuerliche Landwirtschaft längerfristig nicht zu erhalten sein. Damit werden neben selbständigen Existenzen und Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft auch eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in Gewerbe-, Handwerks-und Dienstleistungsunternehmen vernichtet, was volkswirtschaftlich, umweit-und gesellschaftspolitisch problematisch ist.
In der europäischen und deutschen Agrarpolitik gibt es somit einen akuten Handlungsbedarf, wenn eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft als wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil einer modernen Industrie-und Dienstleistungsgesellschaft erhalten werden soll.
Friedrich Gölter, Dr. sc. agr., geb. 1937; Studium der Agrarwissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre; Honorarprofessor an der Fachhochschule Nürtingen für landwirtschaftliche Marktlehre; Direktor im Bauernverband Württemberg-Baden e. V.; Geschäftsführer des Landesverbandes der Maschinenringe in Baden-Württemberg e. V. Veröffentlichungen u. a.: Stichwort „Agrarmarktpolitik“, in: Handwörterbuch der Volkswirtschaft, Wiesbaden 1978; Der landwirtschaftliche Betrieb zwischen Agrarpolitik und Markt, in: Vereinigte Landwaren-Kaufleute, 16 (1980) 8; Stichwort „Mehrbetriebliche Maschinenverwendung — Maschinenringe/Maschinengemeinschaften“, in: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980; Hat die baden-württembergische Agrarwirtschaft Zukunftschancen?, in: Deutsche Bauernkorrespondenz, (1980) 10; Überbetriebliche Zusammenarbeit nutzen, in: Archiv der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, (1983) 74; Überbetriebliche Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitserledigung in landwirtschaftlichen Betrieben, in: Berichte über Landwirtschaft, 63 (1985) 2; Möglichkeiten und Grenzen von Flächenstillegungen, in: Neues Archiv für Niedersachsen, (1986) 3.
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